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Gedankenspiele eines Drallenburger Unter-Lieutenants.

Ich hatte einen Onkel – er starb vor einigen Jahren als Unter-Lieutenant in Diensten des Fürsten von Drallenburg im 47. Lebensjahre an einer Leberverhärtung – welcher für einen Unter-Stellvertreter (um seinen Titel vollständig zu übersetzen) merkwürdig genug, nämlich originell war.

Da er mir, als seinen Universal-Erben, außer einem goldenen Portepee, einem abgerichteten Stieglitz, der als sein eigener Proviant-Kommissär sich das Futter herbeikarrte, und einem ziemlich vollgeschriebenen Folianten nichts hinterließ – so wird mir wohl Niemand verargen können, wenn ich den Ertrag der Erbschaftsmasse durch richtige Nutzanwendung zu steigern, und sie für mich zu einer silberhaltigen Kuxe umzuwandeln suchte. Mit dem ziemlich abgeschabten Portepee, welches zum letztenmale nicht an der Seite des Entschlafenen, sondern auf ihm, nämlich auf dessen Sarge paradierte, wußte ich nicht viel anzufangen. Denn trotzdem es für den Lieutenant eine, an jedem Ersten des Monats zahlbare lettre de change au porteur war, und ihm ein Gehalt abwarf, welches ihn so gut vor dem Verhungern schützte, daß er vielmehr 47 Jahre alt wurde, und, wie schon erwähnt, an einer Leberverhärtung sterben konnte – so hörte doch seine silberschaffende Kraft mit dem Tode des Besitzers auf – eben so wie die des Zaubersäckels und des Wünschhütleins der Söhne des Fortunatus. Auch der dressierte Stieglitz besaß zu alltägliche Fertigkeiten, als daß er, durch Vorzeigung derselben gegen Entree-Marken, einem Andern als sich selber das Brot hätte schaffen können. Zur Benutzung blieb mir also nur noch das dritte Inventariumsstück, das vollgeschriebene Buch – mit dem hatte es aber seine eigene Bewandtnis.

Josua von P–i, – ich will lieber die Delikatesse verletzen, und den ganzen Vor- und das Alpha und Omega seines Familien-Namens hersetzen, als mich stets mit dem Souslieutenants-Titel zu behelfen – Josua von P–i also war nicht nur ein enthusiastischer Bewunderer aller großen Schriftsteller, sondern auch selber einer – wenn auch gleich kein großer. Und hierin war er ein rühmliches Widerspiel der meisten seiner Drallenburger Kameraden und Kollegen, indem die letzteren, die Autoren, von jedem am litterarischen Himmel sich aufschwingenden Meteore das Verdunkeln des eigenen Sternenschimmers befürchteten, und Wallensteins Meinung: »Nacht muß es sein, wo Friedlands Sterne strahlen,« zufielen. Die ersteren hingegen, die Souslieutenants, achteten gemeiniglich an Schriftstellern das nur, was der Marschall Vorwärts seinen Generalstabs-Offizieren als triftigen Grund angab, um die Kaiserliche Bibliothek zu St. Cloud kriegsgefangen zu nehmen: daß ihre Werke nämlich, wie ordentliche Truppen, in Reihe und Glied ständen.

Mein Oheim Josua war aber von so inniger Bewunderung für alle Genies durchsickert, daß er beschloß, die Korrespondenz, die er mit ihnen führte, sowohl seine als fremde Briefe, ja sogar die mit großen Männern geführten Konversationen, in einem auf sechs Buch Schreibpapier zusammengepreßten Folianten, möglichst treu niederzulegen. Dieses Buch sollte, hoffte er, ihm ein Herbarium, voll der ausgesuchtesten exotischen Pflanzen, eine Piranesische Veduten-Sammlung werden, aus der ihm mitten in der Saharawüste seiner dienstlichen Beschäftigungen ein ewig grüner Frühling entgegen duften müsse. Die Idee war gewiß nicht übel.

Schade nur, daß er niemals die Freude erlebte, auf alle seine Zuschriften an Deutschlands große Autoren – ungeachtet diese durchgängig als humane, dienstfreundliche Männer bekannt sind – je eine Antwort zu erhalten; noch schlimmer, daß er niemals einen Zu sehen, geschweige denn zu sprechen bekam. Denn seine Garnison Kaelbrau, ein Grenzstädtchen des Fürstentums Drallenburg, zeichnete sich nächst den vortrefflichen Zimmetbretzeln – von denen die Bretzel im Stadtwappen herrührt – noch dadurch vor den berühmtesten Haupt- und Residenzstädten Deutschlands aus, daß nur ein einziger Schriftsteller, mein Onkel nämlich, in ihr wohnte. Wollte dieser also nicht das schöngebundene Buch zu einem Album im eigentlichsten Wortsinne werden lassen, so mußte er sich wohl entschließen, die einzigen Korrespondenzen und Unterhaltungen, die er mit Schöngeistern führte – d. h. mit sich selber – darin aufzunehmen. Er that's auch, und zwar mit vieler Genauigkeit.

Diese seine Schleiermachers-Monologe sind es nun, aus denen ich zu schöpfen, und die ich auszukörnen gedenke; und mein Verfahren ist sowohl gegen das Publikum, als gegen den seligen Onkel diskret genug, denn ein anderer ließe an meiner Stelle das ganze Buch abdrucken. Wundert sich aber der eine und der andere meiner Leser, daß Josua von P–i nicht selber auf diesen Einfall gekommen ist, so kann ich bloß erwidern, daß ich mich gleichfalls darüber wundere; es müßte denn sein, daß mein Oheim keinen Verleger für sein Buch habe finden können – ein allerdings triftiger Grund. Josua's übrige schriftstellerische Leistungen, von denen ich bloß eines Triolettes auf den Tod seines Feldwebels, und zweier Charaden auf die Wörter Sturmwind und Augenblick gedenken will, hat er in fremde Nester, d.h. Flugschriften, wie der Kuckuck seine Eier, meist sogar unter fremdem Namen verzettelt; und ich kann die Hoffnung, diese versprengten Truppen zu einem selbständigen Korps zu sammeln, und sie dem Publiko in Parade vorbei zu führen, bei meiner Erbschaft mit in Anschlag bringen. Vor der Hand theile ich hier ein Blatt aus der Wahrheit und Dichtung des Lieutenants mit, und glaube die Konjektur voranschicken zu müssen, daß der hier mitgeteilte Monolog in einem projektierten Romane des Onkels figurieren sollte: ich wüßte mir sonst nicht die Ausfälle auf das Schicksal und das hier zur Schau getragene broken heart zu erklären, da Josua jederzeit ein stiller, vernünftiger Mann war, von dem sich dergleichen Extravaganzen im Ernste nie erwarten ließen. Die mit Gänsefüßchen bezeichneten Zwischensätze sprach er ohne Zweifel mit lautem Zürnen zu den unter dem Prägestocke des Unteroffiziers seufzenden Rekruten, und begleitete mit ihnen melodramatisch seine Herzensergießungen.

Fol. 157. Den 6. März 18 ..

(Selbst-Unterhaltung während des Rekruten-Exerzierens.)

Heute befragte mich ein Freund, wen das Bild, welches über dem Sofa hängt, vorstellen sollte, und geriet in Verlegenheit, als ich ihm erwiderte: es sei mein eigenes, vor sieben Jahren gemaltes, welches man damals sogar gelungen nannte. Er entschuldigte sich stotternd mit schwachen Augen, gab auch zuletzt vor, daß ihm die Ähnlichkeit immer mehr einleuchte, und ging. – Als er mich verlassen hatte, stand ich noch eine lange Weile und verglich die lebenskräftige Gestalt, das lebendige Auge, die blühenden Wangen des drei und zwanzigjährigen Jünglings mit den bleichen eingefallenen Wangen, dem matten Auge, der geknickten Gestalt des kaum sieben Jahre ältern. Sieben flüchtige Jahre übten diese Verheerungen! – Eine kurze Spanne Zeit, aber lang genug, um ein Menschenherz zu brechen. Denn nicht nach den Zeiteinteilungen nach Wochen, Monden, Jahren, läßt sich des Lebens Dauer berechnen, sondern nach den Stigmen, nach den tiefen Einschnitten, welche die Leiden im blutenden Herzen hinterließen. Gar viele Kreuze, dicht aneinander gedrängt, haben auch im engsten Kirchhofe Raum, und mein Herz gleicht einem Kirchhofe, denn in seine Tiefe schlummert eine Leiche, die meiner Liebe.

»Thu' Er mir die Liebe, Neumann, und nehme Er die linke Schulter mehr vor. Oft genug hab' ich's ihm gesagt.«

Du liebes, schönes Bild! Deine Züge tragen alle den Abglanz des Rosenhimmels, der während Deiner Schöpfung in meinem Busen blühte und glühte. Dein Auge blicket sehnsüchtig in die Ferne nach der erwarteten Geliebten; deine halbgeöffneten Lippen schwellen wollüstig dem Kusse der Liebe entgegen, deine Arme heben sich, die Ersehnte zu umschlingen, an das ungestüme Herz zu pressen! Du liebes, schönes Bild, der Tempel der Liebe, in dem ich Dich als Weihgeschenk aufzustellen gedachte, liegt in Trümmern, und Dich allein habe ich aus dem Schutte gerettet.

»Das Gewehr tiefer, Busch! Noch tiefer! – So!«

Du gleichest dem Zauberspiegel der Norne. Wild drehen sich, so oft ich hineinblicke, sinnverwirrende, tolle Zerrgestalten im Kreise, und verschwinden im Nebel, schnell wie sie entstanden. Aber die gespenstischen Ausgeburten der Unterwelt weichen dem siegenden Lichte, das im Hintergrunde auftaucht und den in seiner alten Herrlichkeit neuerstehenden Liebestempel goldglänzend umsäumt. Und in das Heiligtum gehen zwei Menschen ein und lieben sich unsäglich. Sie denken, es könne niemals, niemals anders werden, und durchträumen einen himmlischen Frühlingstraum. Heloise und ich sind diese seligen, diese thörichten Menschen! –

»Der Wuttky ist ein Esel. Er marschiert wie ein altes Kamel. Mach' Er die Kniee steifer!«

Das Schicksal gleicht dem Prosektor, welcher seinen Pudel in den anatomischen Bock spannt, und ihn, ohne sich an sein Wimmern und Heulen zu kehren, langsam seziert, um die Lage der Arterieen und das Zucken der Nerven zu beobachten, dann aber den gequälten Hund sorgfältig auskuriert, um ihn zu ferneren Experimenten noch benutzen zu können. Und das arme, treue Tier leckt dankbar die grausame Hand, welche den kühlenden Balsam auflegt. Wir armen, Pudeltreuen Menschen! Wie innig beglückt uns jeder flüchtige Sonnenblick, der in unsere Leidensnacht fällt; in jedem sehen wir die Vorboten eines ewig blauen Himmels, und halten die aufs neue heranstürmenden Gewitterschwangern Wolken für abziehende.

»Kreuz-Donnerwetter, was sind das für Griffe? Hat Er Knochen von Marzipan, Er langer Flegel?«

Mir träumte einstens von einem frommen Knaben, auf dem mit stiller Wonne der Mutter freundlicher Blick geruht. Sein Auge schwamm bei fremdem Schmerze in Thränen, und heilige Glut durchströmte ihn beim Gebete. Mir träumte einst von einem jugendlichen Helden, der für Vaterland, Freiheit und Recht sang und stritt und blutete, und eines schönen Auges Thräne fiel auf sein Grab. – So träumte mir einst vor vielen, vielen Jahren, und ich schaudere jetzt, wo ich aus meinem Traum erwacht bin. Vor den thränenleeren Augen ward es Licht, und die trostlose Nacht zog ein ins öde Herz.

»Spitzen auswärts! Spitzen auswärts! Neumann, ich sag's Ihm zum letztenmale, nehm Er sich zusammen.«

Stundenlang kann ich der Vergangenheit gedenken, und all' ihre Kämpfe noch einmal mit geschlossenem Auge durchkämpfen. Bald ist mir, als sei ich es nicht, der das Erlebte erlebte und ich kann die Schicksale ruhig und kalt betrachten, als seien sie einem Fremden begegnet, ja als läse ich Dichtung und der Schöpfer aller dieser Leiden –

»Linken! Rechten! Das ist kein Tritt!« der Dichter führe seinen Helden nur durch alle Abgründe, um ihn desto höher erheben und von den Strahlen der Glückssonne umglänzen lassen zu können. Dann scheint mir auch dies fremdeigene Leben interessant genug, und ich denke immer, es ließe sich wohl ein Teilnahme erweckender Roman daraus bilden; ich ändere auch dies und jenes ab, und suche durch gesteigerte Unglücksfälle das Interesse zu erhöhen – dann fallt mir aber ein, mir selber sei ja dieses Alles begegnet, und ich möchte entsetzt aufschreien –

»Tausend Tonnen Teufel sollen ihm das Licht halten, wenn Er nicht besser aufpaßt, Er verfluchter Fuchsschwänzer! Zum Zeitvertreibe ist Er nicht hier, das merke Er sich,«

Ach Heloise!

»Das hat ja wohl zehn geschlagen? – Unteroffizier, lassen Sie die Leute nach Hanse gehen. Morgen um halb sieben wieder auf dem Platze.«


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