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Besuch bei einem Dichter.

Als Schriftsteller von Profession hielt ich es für Gewissenssache, während meiner Anwesenheit in Berlin alle Gelehrte und Autoren von nur halbwegem Ruf von Angesicht zu Angesicht kennen zu lernen. Nicht der Zehnte besäße diesen Mut und gäbe nach einem bloßen Hinblick auf Hitzig's gelehrtes Berlin das Projekt als unausführbar auf, zumal wenn er erwägte, daß die Zahl der in diesem Werke nicht aufgeführten Autoren, die obskuren wie der später nachgeschossenen, legio sei. Wie gesagt, ich hatte die Kourage, versuchte wenigstens die Möglichkeit zu leisten, und stattete unter andern dem Freiherrn Franz Gaudy in der elften Vormittagsstunde eines Oktobertages meinen Besuch ab.

Dieser Herr Franz Freiherr Gaudy – weshalb mag er wohl niemals von und immer nur Freiherr schlechtweg schreiben? Vielleicht macht er sich nichts aus den drei ominösen Buchstaben, und will den Leuten bloß zeigen, daß er ein freier Herr sei und sich um niemanden scheere. Wer kann's wissen – also dieser Herr Gaudy, welcher einer schlauen Kritik des Herrn O. Gruppe zufolge durch einige gelungene Dichtungen bekannt sein soll, wohnt in der Markgrafenstraße Nr. 87 auf gleicher Erde, wie ich dies auch im Berliner Wohnungsanzeiger ausnahmsweise richtig bemerkt fand. Sein Name steht auf einem rotlakierten Blech an der äußersten Stubenthür – das Zimmer hat nämlich Doppelthüren. Als ich anklopfte, rief der Autor dreimal mit ziemlich barscher Stimme: Herein! Ich machte ihm mein Kompliment und war noch artig genug, wenn ich äußerte: er möge meine Zudringlichkeit mit der lebhaften Begierde, einen der Heroen der neueren Litteratur kennen zu lernen, geneigtest entschuldigen. Der Baron warf das Kinn in die Höhe und schien sich weder aus meiner Visite noch aus meinen Artigkeiten sonderlich viel zu machen; nichts desto weniger nötigte er mich auf den Sofa, welches ich jedoch nicht annahm und mich auf einen seiner fünf Stühle niederließ.

Herr Franz von Gaudy ist ein Mann von 37 Jahren, sieht aber jünger aus und ist, um seinen Steckbrief vollständig zu entwerfen, von kaum mittler Statur. Seine Haare sind braun bis auf den Einschlag der allmählich sprossenden grauen; seine ziemlich alltägliche Gesichtsbildung trägt einen gewissen mokanten oder vielmehr verdrießlichen Charakter. Ein ins Rötliche spielender Schnurrbart, welcher, auf ungarische Manier, in zwei langen Zipfeln bis weit unter das Kinn hängt, ist das merkwürdigste an seiner Visage. Er trug ein kleines Tuchkäppchen, welches er bei meinem Eintreten kaum lüftete und während der ganzen Dauer des Besuchs aufbehielt. Seine Kleidung bestand übrigens aus einem Schlafpelz und blauen mit Gold und Silber ausgenähten Pantoffeln, auf welche, als das Geschenk eines Freundes, der sie ihm aus Petersburg mitgebracht, er sich viel einzubilden schien. Er rauchte aus einer langen Pfeife, mochte auch, nach der Masse der im Winkel stehenden Rauchinstrumente zu schließen, ein großer Verehrer des Nicotianischen Krautes sein. Die Wände des Zimmers waren mit Familien-Porträts in goldenen Rahmen dekoriert. Am Fenster hingen, über und neben einander, die Bildnisse sämtlicher Dichter, welche bisher dem Deutschen Musenalmanach als Schutzheilige vorangezogen. Uhland hing dicht neben Heine und schien diesen ingrimmig anzuschauen. Der Schreibtisch war mit Büchern, sehr unleserlichen Manuskripten und anderm Schriftsteller-Handwerkszeug belastet. Ein blanker Dolch zog meine Aufmerksamkeit auf sich. Herr von Gaudy bemerkte meine Befremdung und erläuterte: dies sei sein Radiermesser. Ich verhörte mich anfänglich und verstand Rasiermesser. Er mußte über meinen Irrtum lachen. Eine schwarze Stange Siegellack bewog mich zur Frage: ob er vielleicht einen werten Verwandten betraure? Er schüttelte aber kalt, und brummte: er siegle nur schwarz. Auf einem Seitentisch standen zwei leere Flaschen, der Form nach Burgunderflaschen, – beriechen durfte ich sie schicklicherweise doch nicht.

Ich machte dem Dichter mein Kompliment über seine neueren Schriften, welche ich mit größtem Interesse gelesen zu haben versicherte. In Parenthese gesagt, eine Lüge, da in jetziger Zeit ein Autor keinen andern liest als sich selber. Herr von Gaudy äußerte obenhin: was er in den letzten Jahren geschrieben, sei nicht des Aufschneidens der Blätter wert. Der große Haufe verlange Disteln und nichts als Disteln. Ananas und Melonen verfaulten unberührt, nicht anders, als im Gebiet der Litteratur die Cholera herrsche, und sich ein Jeder wehre. Er für seinen Teil habe den ganzen Bettel von Herzen satt. Wir gingen auf andere Schriftsteller über. Herr Franz Gaudy äußerte sich ziemlich wegwerfend über die neueren, namentlich über die neuesten, wobei er den Chamissoschen Vers »das Neue will nur selten mir gefallen« zitierte. Dagegen sprach er wieder seine Bewunderung für Männer wie Achim von Arnim, Clemens Brentano, Eichendorff, Hempel aus – alles Leute, die ich kaum dem Namen nach kannte.

Während unserer Unterhaltung trat ein Kurrendejunge ins Zimmer, um das Honorar für seine Gassenkonzerte einzutreiben. Der Baron packte den Schwarzmäntler beim Kragen und warf ihn sans façon aus der Thür. Als ich einen leisen Tadel über das brüste Entfernen des armen Chorschülers wagte, entgegnete der ägrierte Poet: Ohne die gehörige Dosis Grobheit kommt man in jetziger Lumpenzeit nicht mehr durch. Der verdammte Singsang hat mich bereits aus einem halben Dutzend Häuser, in denen ganz hübsche Töchter waren, vertrieben; jetzt ist man nicht einmal auf der Straße mehr seines Trommelfells sicher. Hierauf stichelte er ziemlich unverblümt auf stoffarme Tagesblatt-Skribenten, welche sich bei namhaften Leuten eindrängten, um ihre Personalia auszuschnüffeln und nachher das ganze Zeug brühwarm wieder abdrucken zu lassen. Ich entgegnete hierauf mit gerechter Empfindlichkeit: Von meiner Seite wenigstens sollen Sie sich über keine Indiskretion zu beschweren haben, und dies um so weniger, da der Besuchende kein anderer, als der Besuchte selber ist. Das hochverehrte Publikum wird dieser Beteuerung gewiß vollen Glauben schenken, besonders wenn ich sie durch meine vollständige Namensunterschrift bekräftige.

Franz Freiherr Gaudy.
Markgrafenstraße Nr. 87, den 21. Oktober 1837.


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