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Aus dem Tagebuche eines wandernden Schneidergesellen.

Mailand, den 5. Mai.

So weit wäre ich denn mit Gottes Hilfe gekommen, schnell und wunderbar genug – und habe nun doch wieder einmal an mir selber einen recht augenscheinlichen Beweis erlebt, daß der Himmel keinen Deutschen verläßt, und zu den Deutschen kann ich mich doch gewissermaßen auch noch rechnen, obschon ich ein geborener Berliner bin.

Es mögen jetzt drei Tage her sein, als ich in der zehnten Morgenstunde zu Padua vor der großen Kirche des heiligen Antonius saß, und mir verdrießlich genug die verschlafenen Augen rieb, und in die Sonne blinzelte. Die Herren Studenten hatten zur Nachtzeit in der Nachbarschaft meines Wirtshauses Ständchen gebracht, und zu meinem großen Leidwesen alles Ungeziefer in den Bettstellen mit Pauken und Trompeten aus dem Schlaf geweckt. Müde und marode hatte ich bereits mit grauendem Morgen mein Nachtquartier verlassen, war in den krummen und winklichten Gassen, unter den räuchrichten Arkaden mit ihren Brettvernagelten Fenstern auf und nieder gerannt, und gedachte nun auf der Steinbank im Sonnenschein die vermusizierte Nachtruhe ein wenig nachzuholen, und all meinen Kummer und Sorgen zu verschlafen. Von beiden aber war mir das Herz voll wie ein Ei. Da hatten sie mir Alle in der Heimat gesagt: ich möge nur in Gottes Namen nach Italien wandern, – das Italienische finde sich just wie das Griechische. Wie das letztere sich zu finden pflege, weiß ich nicht, denn ich habe zeitlebens nicht darnach gesucht, – daß aber die italienische Sprache einem nicht hinter dem Grenz-Schlagbaum von Oben überkomme, das hatte ich nun wohl zu meinem nicht geringen Herzeleid begriffen. Ich verstand keine Seele, und wurde noch weit weniger verstanden, und wenn ich auch noch so vornehm red'te. Die Marköre, hier zu Lande hochmütiger Weise Kamerieri geheißen, schwadronierten mir die Ohren voll, und brummten nachher balordo oder asino ferino, wenn ich zu allem den Kopf schüttelte. Ich werde mich aber doch noch nachträglich erkundigen, was das heiße, und sollten es Sticheleien sein, so belange ich sie Injuriarum halber. Das Einzige, was die aufwartenden Kammerherren deutlich zu machen wußten, war, daß ich die Zeche und Trinkgeld zu bezahlen habe. Aber da gab's ein neues Elend. Einmal war ihnen die Geldsorte nicht recht, ein andermal war's wieder nicht genug. Ich konnte die verrückten Münzsorten selber nicht unterscheiden, denn wenngleich alle mit den Gesichtern der regierenden Herren und mit deren Titeln gestempelt waren, so stand doch auf keiner einzigen der Wert angegeben, und so mußte ich denn zuletzt mein gestricktes Geldbeutelchen auf den Tisch schütten und den Herrn Kammerherren das Aussuchen überlassen. Mehrenteils griffen sie nach dem Silber. Wieviel die paar harten Stücke, die noch aus Insbruck her in dem Gurt eingenäht steckten, hier zu Lande nach Thalern und Silbergroschen gälten, mochte ich keinen Menschen fragen, in der Börse aber klimperten eitel Kupferdreier. Von Herbergen war nirgends mehr die Rede, und die Meister wünschten mir, so oft ich das Handwerk begrüßen wollte, jederzeit eine ausnehmend glückliche Reise. Ich war schon recht übel dran.

Als ich nun vor der Domkirche so recht malkontent auf der Bank sitze und mit schläfrigen verdrossnen Augen den kupfernen General zu Pferde und dessen ellenlange Pfundsporen, mit denen er auf dem kleinen Postament herumwirtschaftet, angucke und noch bei mir überlege, ob's nicht am Ende geratener sei, ich machte: Ganzer Schneidergesell! Kehrt! und zöge, anstatt mich von dem Volke hier schikanieren zu lassen, wieder nach Hause; indem ich ferner simulierte, ob nicht auf dem Aushängeschilde, wenn ich mich einstmals etablieren sollte, das »Tailleur de Padoue« sich eben so vornehm als »Tailleur de Rome« ausnehmen würde, – tritt eine Herrschaft aus der Kirche und postiert sich in meiner Nähe, um gleichfalls die kupferne Generals-Puppe in Augenschein zu nehmen. Es waren Fremde, das hatte ich beim ersten Blick am Schnitt ihrer Kleider weg, und gleich darauf erkannte ich sie auch als Landsleute an der Sprache. Vorweg schritt ein Herr, welcher einen dunkelblauen Karbonari-Mantel mit schwarzem Samtkragen recht verwogen über die Schulter geschwenkt und den Hut trotziglich in die Stirn gedrückt hatte. Er trug einen schwarzen Schnurrbart, und sah überhaupt recht patzig und heroisch aus. Das mußte etwas ganz besonders Vornehmes sein. Ihm zur Seite zog eine junge, schöne blasse Dame. Nur selten erhob sie die blauen Augen, um durch die Lorgnette umherzuspähn, dann aber senkte sie den Blick wieder auf die Pflastersteine, seufzte tief und beweglich, und lispelte einige Worte zu dem hochmütigen Karbonari. Zwei recht nobel gekleidete Herren schlossen sich dem Paare an, hielten ihre Augengläser fest auf den vornehmen Schnauzbart geheftet, spitzten die Ohren, um dessen Worten zu lauschen, sahen sich dann untereinander bedeutend an und nickten mit den Köpfen, worauf der Erste ein: »Bravo! Vortrefflich gesagt!« Der Zweite aber: »Geistvoll! Fein gegeben!« echote. Die beiden Herren bildeten augenscheinlich die Suite des Verdrießlichen, vor dessen hoher Geburt und Stand ich recht innerlichen Respekt bekam.

»Elendes Machwerk!« brummte der Karbonari naserümpfend und deutete auf die Kupferstatue. »Hockt der Feldherr dort nicht, wie ein Aff' auf dem Kamele?« – Drei Lorgnetten folgten der mit der Badine angegebenen Richtung, ich, in Ermangelung eines Opernguckers, mit zwei bloßen Augen. Die Dame seufzte; die beiden Herren nickten mit hochheraufgeschraubten Augenbrauen; der Erste erwiderte: »Auf Ehre, elendes Machwerk!« der Andere: »Auf meine Ehre, höchst miserabler Geschmack!« – und ich fand wirklich, daß sie recht hätten, und der kupferne alte Herr nur ein recht jämmerlicher Lump gegen den großen Kurfürsten auf der langen Brücke sei.

Während nun die Herrschaften den Rittersmann zum Affen machten, hatte sich allgemach ein mächtiger Kreis von Faullenzern, mit denen die Italienischen Städte recht reichlich gesegnet sind, und von Bettlern, mit denen sie noch besser ausstaffiert sind, um die Gesellschaft gezogen. Da standen die schwarzbärtigen, sonnverbrannten Kerle mit den breitkrempigen Hüten, die olivenfarbige Samtjacke über die Schulter geworfen, oder, wenn's ihnen grade kalt war, verkehrt angezogen, so daß die Knopflöcher rücklings zu sitzen kamen, und glotzten starr und steif aus ihren großen, pechschwarzen Augen auf den hohen Adel und das verehrungswürdig Publikum, welches letztere aus mir allein bestand. Das Bettelvolk kam mit Krücken und blechernen Büchsen herbeigehinkt, sang, betete, überheulte einander und rückte den Herrschaften hart auf den Leib. Ein Dutzend alter Weiber, welches auf dem Vorhof des Doms seine Krambuden aufgeschlagen hatte, stürmte kreischend mit geweihten Rosenkränzen von Glasperlen und mit Abbildungen des heiligen Antonius und des Doms heran; dazu bimmelten sämtliche Kirchenglocken – kurzum, es gab einen Heidenlärm ab.

Die junge bleiche Frau drängte sich zaghaft an den schnurrbärtigen Herrn; die beiden Begleiter legten die Doppellorgnette an die Nase, hielten die Hand an's Ohr, um ja nicht die Meinung ihres Prinzipals zu verpassen, und riefen, als dieser die zudringliche, schreihalsige Menge mit hoffärtig heruntergezogenen Mundwinkeln »ein heilloses Lumpenpack« geschimpft hatte, hinterdrein: »Ja wohl, ja wohl. Horrible Lumpen! Grauenvoller Pöbel!« Hierauf griff der vornehme Herr in die Tasche, als suche er nach seiner Geldbörse, zog die Hand rasch heraus und fuhr in die zweite, in die dritte, und immer schneller in die vierte und fünfte, bis in die siebzehnte Tasche – der Beutel aber war nirgends zu finden. Er fing wiederum bei der ersten an, kehrte das Unterfutter nach außen und zog es mit einem großmächtigen Loch heraus – dort mochte wohl das Geld den Ausweg genommen haben. Da stieß denn der fremde Herr einen so grauenhaften, gotteslästerlichen Fluch aus, daß seine junge hübsche Frau ordentlich zusammenfuhr und noch viel blasser wurde; dann aber, zu seinen Begleitern gewandt, fragte er mit recht ingrimmigem Lächeln: Würde Einem wohl außerhalb Italiens ein ähnliches Malheur begegnen können? Wie? Der Verlust des Geldes ist es nicht, welcher mich so tief indigniert – aber die Verderbtheit, die Verworfenheit eines Volkes, welches eine Geldbörse aus den Hosen gleiten sieht, dazu schweigt, den Fund verhehlt – o! es ist unerhört – Abscheuerregend!« – Die beiden Suitiers rissen die Achseln bis über die Ohren und schüttelten sich vor Entsetzen. – »Und wie nun,« fuhr der Schnauzbart fort, »einem zweiten Unfalle vorbeugen? Wo in ganz Italien einen Schneider auffinden, welcher nicht absichtlich das Taschenfutter mit losen weitläuftigen Stichen nähe, um dem Reisenden einen erneuten Verlust zu bereiten, seinen Landsleuten einen zweiten Fund zuzuschanzen?« Dies war mein Stichwort.

»Entschuldigen Sie geneigtest meine Keckheit, Herr Baron,« hob ich an und sprang flink mit galantestem Bückling an den Grollenden, »einen gründlicheren Wiederhersteller durchlöcherter Beinkleidertaschen vermögen aber Ew. Gnaden diesseits der Alpen nirgends als grade in Padua zu finden, und zwar in der Person von Ew. Hochedelgeboren tiefgeneigtestem Knechte.« – »Wer ist Er?« schnaubte mich der Karbonan-Mann wild an – »Ein zu seiner ästhetischen Vervollkommnung auf Reisen begriffener Bekleidungskunst-Assessor, mein gnädigster Herr Graf, der, um auch mit der Zeit fortzugehen, mit der Zeit fortging, und zwar von Berlin, allwo er gebürtig.« – »Ein Berliner seid Ihr?« – »Ew. Exzellenz allerunterthänigst aufzuwarten.« – Nun haben wir wohl einen Spruch, der lautet: »Berliner Kind, Spandauer Wind, Charlottenburger Pferd, sind keinen Dreier wert.« In der Fremde nimmt man's aber nicht so genau, und der Herr mit der zerrissenen Tasche mochte wohl auch ein Berliner sein, denn er verzog sein griesgrämiges Gesicht zu einer Art von Lächeln, rückte den Filz ein klein wenig und knurrte: »Kommen Sie nachher in den Principe Carlo auf dem Prato della Valle.« – Ew. Durchlaucht geruhen zu befehlen.« – »Nach dem Principe Carlo, mein lieber Freund!« wiederholte der Durchlauchtigste huldreichst, und zog den Hut vor mir bis tief auf die Erde herab – »und zwar in einer kleinen halben Stunde, wenn ich bitten darf.«

Nun hatte ich's doch 'raus. Es war richtig ein Prinz. Deshalb war er auch so bärbeißig, als ich ihn »Herr Baron« nannte; je höher ich aber in der Titulatur hinaufstieg, um desto tiefer stieg er herab, und erst zuletzt, als ich ihm das von Gottes Gnaden zustehende Prädikat erteilte, wurde er so gnädig und herablassend, daß mir über einen so lieben, scharmanten hochfürstlichen Herrn das Herz ordentlich im Leibe tanzte. Man muß nur die Menschen richtig zu nehmen wissen. Jedem das Seine. Wer's Geld hat, kann grob sein, wer keins hat, kann's auch sein – philosophierte ich, von der kupfernen Generals-Bildsäule vor dem Dom des heil. Antonius zu Padua durch die Hallen nach dem Principe Carlo schlendernd, und sah mich im Geiste schon als fürstlichen wirklichen Geheime-Ober-Hof-Kleiderverfertiger und Akademischen Künstler.

Die verderbliche Spaltung der Allerdurchlauchtigsten Beinkleidertasche war nach wenigen Minuten ausgeglichen worden. Zu jedem Bindestich reichten sich, gleich wie bei allen Kunstwerken, welche aus meinen Händen hervorgehn, Solidität und Eleganz die Hände. Se. fürstlichen Gnaden geruhten meine Restauration in Augenschein zu nehmen, in huldvollen Worten ihre allerhöchste Zufriedenheit an den Tag zu legen und mir ein hartes Stück Geld als Remuneration anzubieten. Unverzüglich schaute ich nach, ob die erhabnen Schnurrbart-paßpolierten Gesichtszüge meines gnädigsten Gönners dem Silber aufgedrückt wären; als ich jedoch ein völlig unbekanntes, ausdrucksloses Gesicht auf dem Geldstücke gewahrte, trat ich ehrfurchtsvoll einen Schritt zurück, wagte es, die begabende Hand abzudrängen und sprach mit submissestem Augen-Niederschlag: »Allerdurchlauchtigster Fürst, gnädigster Fürst und Herr! Ew. Liebden geruhen mein Zartgefühl mittelst eines Thalers Kourant zu verletzen. Überhäufen Sie mich, mein Prinz, mit Gnade und vergönnen Sie mir, diese wenigen Stiche an Allerhöchstdero Naht als ein geringfügiges Opfer auf den Altar des Vaterlandes niederlegen zu dürfen. Lassen sich Hochdieselben herab, meine patriotische Denkungsweise anerkennen zu wollen, und mir das stolze Bewußtsein, eine so erhabne Person mit meinen schwachen Talenten neu gefuttert zu haben, darum flehe ich inständigst. Sollten jedoch Ew. Fürstliche Gnaden darauf bestehen, Höchstdero Passion zur Generosität fröhnen zu wollen, so würde ich Ew. Durchlaucht mit pflichtschuldigster Devotion um die Vergünstigung angehn, mich auf den unbesetzten Bedientensitz hinter Höchstdero allerglorreichsten Wagen schwingen, und ein kleines Stückchen Weges mit fahren zu dürfen.« – Mein fürstlicher Beschützer kniff die Augen zu und erwiderte mit huldvollem Lächeln: »Ihr Gesuch sei Ihnen gewährt, verehrter Freund. Ich will Ihnen jedoch nicht verhehlen, daß Sie, vielleicht durch eine flüchtige Ähnlichkeit getäuscht, im Irrtum schweben, wenn Sie mich für eine fürstliche Person halten. Ich bin – ich reise unter dem Charakter eines Partikuliers.« – »Ich verstehe, mein gnädigster Herr! ich verstehe vollkommen. Verlassen Sich Ew. Liebden auf meine Diskretion. Mein Scharfblick konnte sich unmöglich von dem trügerischen Nebel des Inkognito bethören lassen – ich ehre jedoch die Macht der Verhältnisse und Allerhöchstdero Befehle. Die Loyalität meiner Gesinnungen bitte ich aber auf die Feuerprobe zu stellen.« – »Schon gut, schon gut, mein Lieber,« unterbrach mich der Fürst, »darf ich um Ihren werten Namen bitten?« – »Ich heiße Romberger, Ew. Gnaden, nach meinen schwächlichen Kräften eifrigst aufzuwarten.« – Der Prinz geruhte hierauf höchsteigenhändig meinen schlechten Namen in seine Schreibtafel einzutragen, ein wohlwollendes Kreuz dahinter zu malen, wandte sich hierauf zu seinen beiden Herren Kammerherren und äußerte mit herzgewinnender Huld: »Ein braver Junge, dieser Romberger!« – »Ein exquisites Subjekt – ein hoffnungsvoller Jüngling!« erwiderten unverzüglich die beiden gewandten Hofmänner mit tiefer Verbeugung.

So war ich denn mit einemmale dem Gefolge einer im strengsten Inkognito reisenden fürstlichen Person attachiert, und aller meiner Sorgen bar und ledig. Hurtig warf ich mein Ränzel von Seehundsfell auf den Rücksitz, voltigierte graziös hinterher – der Postillon knallte – die vier Pferde zogen an, und ich rollte stolz aus den Thoren von Padua und über die Brenta, welche die sprechendste Ähnlichkeit in Farbe und Geruch mit dem Berliner Schafgraben oder Landwehrgraben, wie er in der vornehmen Sprache heißt, nicht verleugnen kann.

Nun lernte ich denn, Gott sei Dank! endlich einmal kennen, was das heiße: »Reisen und Reiselust«. Bis jetzt hatte ich auf der Wanderschaft wohl nur blutwenig davon gekostet. Da zieht denn Unsereiner, bald über die Prellsteine, bald über die eigenen Beine stolpernd, solch eine neue Chaussee entlang, auf dem Fußsteige, der von den heillosen Steinklopfern wie ein Streuselkuchen mit losen, Messer-scharfen Steinen überzuckert worden ist, und möchte am liebsten die Füße, just wie die neuen Stiefeln, hinten auf den Ranzen schnallen. Der Knotenstock ist noch fauler als sein Herr, und läßt sich klappernd und höhnisch meckernd über das Geröll hintennach schleppen. Der Himmel sieht dumm und dämisch wie ein Mittwochmorgen nach den drei Osterfeiertagen aus, und steckt bis an den Hals im Katzenjammer. In allen Winkeln kriechen die grauen Wolken gleich maulenden Kindern herum, und fangen zuletzt aus Ungezogenheit und purer Langeweile an zu regnen. Das helle Wasser tropft an dem wachsleinwandnen Hut-Überzug herab, und rinnt zwischen Halsbinde und Nacken. Der Salpeterschwamm hat von der Feuchtigkeit angezogen und will nicht fangen. Das Felleisen mit den paar Scheeren, dem Bügeleisen, dem halben Dutzend gesteifter Halskragen und neuer Lieder gedruckt in diesem Jahr, macht sich so schwer, als säß' ein Kobold im Sacke, und die rechte Schulter bezeigt eben so wenig Luft zu tragen als die linke. Die Krähen tappen mit ihrem breitbeinigen Parademarsch durch die Saat, und der Grünhänfling fliegt dem Wandernden von Pappel zu Pappel voran und pfeift ihm malitiöserweise vom Aste zu: »Wenn Du 'n paar Flügel hätt'st, könnt'st Du mit flieg'n!« – Da rasselt nun eine Extrapost über die Straße – Kammerjungfer auf dem Bocke – Jäger hinten auf – Schachteln und Vache auf der Imperiale – sechs Pferde voran – Blitz, das ruckt! – Hut in der Hand trabt dann der wandernde Handwerksbursch neben dem Kutschschlag her: »Gnädige Herrschaften, ein armer reisender Schneidergesell!« – Das vornehme Pack glotzt Einen an, als wäre man nur so ein geklöppelter Bauerköter, der nebenherkläfft. Dann biegt sich wohl eine Siebenmeilen-Nase aus dem Fenster und schnarcht: »Das Betteln oder sogenannte Fechten der Handwerksburschen ist laut Paragraph bei unnachläßlicher Leibes- oder verhältnismäßiger Gefängnisstrafe verpönt!« – bis denn, nach langem Brummen und Anpredigen mit guten Lehren, ein Scheinkreuzer, wie ein Mond mit blutrotem Schein, aus der Westentasche aufsteigt, im Bogen über den Fechtenden hinwegzieht, um im vollgeregneten Chausseegraben spurlos unterzugehen – oder die Herrschaft wohl gar ein Traktätchen von Heidenbekehrern und gottseligen Schneidergesellen qua Zehrpfennig aus dem Fenster wirft. Und so muß sich ein armer Student der Bekleidungskunst durch die Welt schlagen – oft miserabel genug.

Nein, da lob' ich mir die Charge als Attaché bei einem inkognito reisenden Hofe. Das ist noch 'ne Lust! – Mutterseelallein saß ich auf dem weichen gepolsterten Hintersitz und durfte meine Beine bald zur Rechten, bald zur Linken herunterbaumeln lassen, und mit untergeschlagnen Armen das Fußgänger-Pack recht protzig von oben bis unten ansehen, und die Augen dabei mit vornehmer Manier zukneifen, als wenn ich nicht gut sehen könne, und den hübschen Mädchen, die aus den mit Papier verklebten Fenstern herablauschten, Kußhände zuwerfen. Die Kinder trabten in hellen Haufen winselnd und bettelnd hinter uns her, und schlugen im Chaussee-Staube Rad. Denen warf ich wohl ein paar Centesimi zu und amüsierte mich, wie sie sich um das elende Kupfer balgten; wenn aber Erwachsne mit kläglicher Miene die Strohkappen abzogen und die Hand nach Almosen ausstreckten, dann näselte ich kalt und abgemessen von meinem Sitze: »Das Betteln oder sogenannte Fechten der Handwerksburschen ist laut Paragraph bei unnachläßlicher Leibes- oder verhältnismäßiger Gefängnisstrafe verpönt.«

So saß ich stolz und trutziglich in meinem Kabriolet, schaukelte mich in den Federn und bedünkte mich was rechtes. Die Sonne brannte wohl mit Gewalt, und die Staubsäulen der Kalk-Chausseen umwirbelten mich oft, so daß ich nicht meine Nasenspitze mehr erkennen mochte; – doch das rührte mich nicht, denn den Staub war ich schon von Berlin her gewohnt, nur gab's dort keine so prächtige Gärten und Landhäuser, als hier zur Rechten und Linken der Straße. Da standen auf den Mauern entsetzlich große Blumentöpfe von Stein, aus denen seltsame breite stachlichte Blätter mit gelber Einfassung herauswuchsen – Aloe geheißen, wie ich später erfuhr; und durch die eiserne Gitterthür sah man auf lange, schnurgrade Alleen, zu deren Seite die beschnittnen Hecken wie grüne Gemäuer liefen. Der Gang war mit Sand und Kies sauber bestreut; am Ende stand dann gemeiniglich das große blitzende Grafenschloß mit himmelhohen, nachtschwarzen Bäumen, hier zu Lande Cypressen genannt, die sich, wie trübselige Leichendiener rings herumdrängten und keine Miene verzogen und kein Glied rührten. Dazwischen standen wieder gewaltige Kübel mit Apfelsinen und Zitronen – das roch wie lauter Punsch und Kardinal – und Springbrunnen zischten in die Luft, sprudelten helles klares Silber aus, und streuten die glitzernden Perlenfunken gen Himmel, als wollten sie den Brand der Sonne ausspritzen. Hart am Wege standen Steinkapellchen mit allerlei auf die Mauer gemalten Schildereien, und wo die Sonne schon die Farben ausgezogen hatte, da waren frische Blumen- und Blätterkränze davorgehängt und Bänder und allerhand Flitter. Zu beiden Seiten des Weges hing Garten an Garten, und die Kornfelder waren erst recht Gärten, und die Bäume rund herum mit Weinreben umwunden, die von Ulme zu Ulme wie Fenstergardinen hingen. Da schaukelte sich die Nachtigall auf den Zweigen und jauchzte aus jeder Hecke, und Lerchen tirilierten dazu, es war Jubels ohne Maß und Ende. Im Wagen aber war Alles mäuschenstill. Mein gnädigster Herr Fürst mochte wohl, unter Mitwirkung der Frau Prinzessin Durchlaucht und der beiden Herren Kammerjunker, zu ruhen geruhen. Da flogen wir denn durch Städte und Dörfer: was aber davon ordentliche Städte und was nur Dorfschaften waren, habe ich niemals recht erfahren können. Von Stein waren die Häuser in einer wie in der andern gebaut; stattliche Kirchen und lumpiges Gesindel gab's in beiden – doch das focht mich nichts an. Ich hatte nur meine Freude an dem schnellen Fahren, denn der Weg war glatt wie der Tisch, und die Postillions hieben ganz unbarmherzig auf das liebe Vieh.

Nachmittags kamen wir in eine große Stadt, die Vicenza hieß, und fuhren bei einem recht stattlichen Gasthofe vor. Die hohen Herrschaften zogen sich in ihre Gemächer zurück, ich aber blieb bei dem gelbbraunen Pack in der unteren Halle sitzen, und nickte mit dem Kopfe zu allem, was der Markör fragte. Wie's nachher mit der Zeche werden solle, war mir noch nicht recht einleuchtend – ich hatte ja aber einen mächtigen Rückhalt au meinem Allerhöchstgeborenen Beschützer. Als ich wieder einmal auf eine Frage des Aufwärters kopfgenickt hatte, setzte er mir eine Flasche, die wie ein majorenner Kürbis gestaltet und nur noch ein Vieles größer war, vor die Nase. Es gingen wenigstens zehn Berliner Quart in die Schilf-umflochtne Bombe, die einen ganz dünnen feinen Hals hatte. Der Bauch der Riesen-Bouteille sah aus, als müsse er einen recht gründlichen Baß brummen, und der Hals reckte sich wiederum so lang und schlank, als könne er nur durch die Fistel singen. Im Anfange erschrak ich zwar vor der Glastonne – meine Furcht dauerte aber doch nicht gar zu lange. Der Prinz müßte für den Riß stehen, und seine Gesundheit durfte doch schicklicherweise nicht in Bier getrunken werden, welches überhaupt gar nicht einmal zu haben war. So schenkte ich mir denn herzhaft ein Bierglas voll ein, schluckte und sprudelte, und fluchte gleichzeitig auf den verdammten Kellner, der sich vergriffen und mir die Ölflasche statt des Weins vorgesetzt hatte. Ich hatte richtig ein Maulvoll des schönsten Provencer-Öls hineingegossen. Da lachten die Lumpenkerle in der Halle wie die Wahnwitzigen, und schrieen in die Küche mit ihrem Kauderwelsch und aus der Hausthür, und noch ehe zwei Minuten vergangen, standen ein paar hundert solcher nichtsnutziger Burschen und Kinder, an denen die Haut das einzige Ungeflickte war, um mich her, hielten sich die Seiten vor Lachen und grinsten mich mit ihren blendendweißen Zähnen an, indem sie einmal über das andere das verwünschte: asino ferino und bestia tedesca wiederholten. Nun kam ich wohl nachgerade dahinter, daß sie mich zum Narren hatten – es waren ihrer aber doch zu Viele, um so geradezu Händel vom Zaune zu brechen, und ich setzte mich still und verschämt hinter mein Ölfaß, so daß sie mich nicht sehen mochten. Als der Pöbel nun aber gar erst auf Deutsch mich zu foppen anfing und immer schrie: »Trinkeswein!« da lief mir die Galle über und ich rief zornwütig: »Wein nennt Ihr das, Ihr Lumpe Ihr? Baumöl heißt das bei uns zu Lande, daß Ihr's nur wißt!« – Endlich kam der Aufwärter und deutete mir durch Zeichen an: Fett schwimme jederzeit oben, unten aber sei purer klarer Wein, und dies sei hier zu Lande so gebräuchlich. Kurios genug. Ich hatt's aber schnell begriffen, dankte schönstens und goß mir ein frisches Glas ein. Der Wein war nur gut, das mußte ihm auch der blasse Neid lassen.

Schnell versöhnt saß ich in stillseeliger Freudigkeit noch hinter meiner Schilfflasche und den mit Käse überpuderten Makkaronistengeln, als sich auf der Treppe ein furchtbares Geschrei und Gezänk erhob. Ich machte einen meiner Flasche an Länge gleichenden Hals, und erblickte zu meiner nicht geringen Bestürzung des Herrn Fürsten Durchlaucht in leidenschaftlichster Gemüttsbewegung, wie er mit ponceau-farbnen Wangen entsetzliche, zermalmende Worte der Allerhöchsten Ungnade auf den Obermarkör donnerte, Worte, die ich als italienische leider Gottes nicht verstand. Was mich jedoch noch mehr frappierte, war die hochverräterische Frechheit des Kellners, welcher sich nicht entblödete, noch weit rabiater als mein ungnädiger Herr sich Zu geberden, die Finger der rechten Hand wie einen Fächer dem Durchlauchtigsten entgegen zu sprechen, auf den Knöchel zu beißen, mit der linken Windmühlflügel-artige Dräugeberden zu wagen und Serenissimum zu überschreien. Durch die geöffnete Thür erblickte ich die Frau Fürstin ohnmächtig auf dem Kanapee liegend. Die Herren Kammerherren rannten von der scheintoten Prinzessin zu Dero exaltiertem Gemahl und riskierten etlichemale: »O mein Gott! Entsetzlicher Anblick! Hochtragisches Schauspiel!« zu stammeln. Ich richte mich auf und rief aus der Entfernung dem enragierten Oberkellner auf Hochdeutsch zu: Verehrter Freund, Sie stürzen sich in's Malhör; Sie laden eine Allerhöchste Ungnade auf Ihren Scheitel, Bedenken Sie, erwägen Sie, teuerster Schwärmer!« – Das war aber alles in den Wind geredet. Der rebellische Knecht achtete nicht im mindesten auf mein liebreiches Zureden – und zur thätigen Hilfeleistung fühlte ich mich keineswegs berufen, so lange die Herren Kammerjunker nicht intervenierten. Die Revolte wurde erst durch die Ankunft der Postpferde unterbrochen, worauf Se. fürstliche Gnaden dem Kellner eine Hand voll Geld mit den Zeichen der tiefsten Indignation vor die Füße zu schlendern sich herabließen. Das war dem impertinenten Menschen ganz recht. Die hohen Herrschaften warfen sich nunmehr in die Equipage, ich sprang hinten auf, und rettete – in dem Trubel dachte Niemand daran, mir die Zeche abzuverlangen – die kaum zum vierten Theil geleerte weitbauchige Flasche. Das boshafte Volk schnatterte unverständliches Zeug wild durcheinander, hantierte wie die Hampelmänner, lächle dann aber wieder hell auf, sowie der Wagen über das Pflaster rollte, und machte Männchen hinter uns her. Se. fürstliche Gnaden grollten empört: »Ha! diese Insolenz soll nicht ungerügt hingehen. Nur Geduld, ich will es Euch schon gedenken!« – Und im gerechten Ingrimm rief auch ich: »Soll sich ein gesalbtes Haupt straflos von einer solchen niedrigen Kanaille maltraitieren lassen? O ihr Wälschen Vipern, wie fürchterlich werdet ihr euren Frevel noch bereuen! Wie lange wird's währen, und mein Herr kehrt nach eurer Mördergrube zurück, aber nicht inkognito mit zwei Kammerherren und einem aggregierten Schneider, – nein! mit einer formidablen Heeresmacht, mit Congreveschen Raketen und Garde-Dragonern – und dann: Gute Nacht, Vicenza! Ich aber ziehe mit als Proviant- oder Profit- Kommissarius; ich schreibe Requisitionen aus – räche das verletzte Völkerrecht, Vivat, es lebe mein allergnädigster Herr Fürst!« schrie ich überlaut, und sog einen ellenlangen Schluck aus meiner Schilfflasche. »Und abermals! Und zum drittenmale hoch!« – Der Prinz verlängerte bei diesem von seiner Arrieregarde gebrachten Toast den Hals, guckte gleichsam um die Ecke, nickte mir huldvoll lächelnd zu und geruhte sein Wohlgefallen über diese ungekünstelte Huldigung eines weinseligen, kleiderschöpferischen Gemüts erkennen zu geben.

Von diesem Augenblick an aber beginnt die nächste Vergangenheit sich in düstre Nebel einzuhüllen, und die ganze fernere Reise bis nach Mailand bedünkt mich ein anmutiger, aber konfuser Traum. Die verwichne, schlaflos verdämmerte Nacht, die übermäßige Hitze, das Schaukeln der Sitzfedern vereinigten sich mit dem verzweifelt starken Wein, um mich in holdseligen Schlaf zu wiegen. Hätte ich das Felleisen nicht vorsorglich festgebunden, es wäre längst vom Wagen gerollt, und ich wahrscheinlicherweise hinterdrein, wofern ich nicht den Knotenstock quer vor den Sitz in die Eisenringe geschoben. So aber saß ich wie in Abrahams Schoß und wippte bald rechts, bald links. Gingen denn auch einmal die verschlafnen Augen auf, so fiel mein erster Blick auf meinen Schilf-Kürbis, welcher mit seinen geflochtenen Henkeln an die Karosse geschnallt, wie ein Perpendikel hinüber und herüber schwankte; und dann wollte ich mich ermuntern, und that Wohl einen tapfern Zug – aber ich weiß nicht, wie's kam, der Erfolg war jederzeit meinen Erwartungen kontrair. Kaum halte ich fünf Minuten auf die blauen Berge und den blauen Himmel gesehen, so konnte ich mich des Gähnens nicht mehr erwehren. Die Pappeln nickten, ebenso schlaftrunken als ich, mit den Köpfen – der Weinstock lehnte sich faul und verdrossen an den Maulbeerbaum – es muß wohl in der Luft oder in der Gegend selber gelegen haben, sonst wüßt' ich's nicht – kurzum, ich wachte erst wieder vor den Thoren der Stadt Verona auf, um in's Bett zu stolpern, nachdem ich dem Kellner noch durch Zeichen angedeutet, mir meine Flasche für den andern Morgen wieder voll zu gießen.

In meinen Reisenotizen finde ich über die Lombardei nur verzeichnet: daß daselbst ziemlich viel und recht starker Wein kultiviert werde, obwohl nicht auf Weinbergen, denn die Berge stehn zur rechten Hand, und der Wein wächst zur linken. Sodann: daß die Kutscher aller vernünftigen Sitte zum Hohn: brr! brr! rufen, wenn sie die Pferde antreiben wollen; und endlich: daß die Polizei-Sergeanten Czakos tragen und lange Haselstöcke mit weißledernen Troddeln in den Händen halten, wie ich dies namentlich in Mailand bei Arretierung eines rebellischen Schusterjungen zu bemerken Gelegenheit hatte. Mit dem festen Vorsatz, nur aus eigner Wahrnehmung zu schöpfen, habe ich Italien betreten, mit dem eisernen Entschluß, mich nicht durch das verdrehte Geschrei der Nachbeter bethören zu lassen – selbst zu forschen, zu prüfen. Als redlicher Mann liegt es mir ob, nur das selbst Erschaute in diese Blätter einzutragen – und seit dem Vivat, welches ich meinem huldreichen Herrn brachte, habe ich nur obige drei Notizen zu sammeln vermocht. Sie tragen indes das Gepräge der Wahrhaftigkeit, und werden eben deshalb häufig genug angefochten werden, denn die Welt verzeiht Alles – nur eben keine Wahrheit. Doch das edle Bewußtsein erfüllter Pflicht tröstet mich.

Genua, den 10. Mai.

So war ich denn nach etlichen Tagen halb schlafend, halb dämmernd – ich wußte selber nicht recht wie? – in Mailand angelangt, und logierte mit meinen Prinzlichkeiten im Hotel des Herrn Reichmann, auf dem Korso der Porta-Romana, Numero 4203. Es war dies ein durch und durch deutsches Wirtshaus. Der Herr, die Marköre, der Koch, der Portier, die Waschfrau – Alle sprachen sie deutsch. Da ließ sich doch noch ein vernünftiges Wort diskurieren, und das that ich auch nach Herzenslust, denn ich ahnte wohl, daß mir's doch in langer Zeit nicht werde wieder so gut geboten werden. Den ganzen Tag saß ich in der Loge des Portiers, spielte Dreiblatt mit ihm, verlor einen harten Thaler nach dem andern – wieviel meine alten eingenähten und nachmals wieder ausgetrennten Insbrucker hier zu Lande gelten, erfuhr ich jetzt aufs Haar – und rauchte dazu spottschlechte Mailändische Zigarren. Jedes Ding aber muß einmal ein Ende nehmen, und so erging's denn meinen Sparpfennigen auch nicht besser. Der Portier verlor, wunderbar genug, mit einemmale alle Lust zum Weiterspielen, und ich hatte nunmehr hinreichende Muße, mich auf der steinernen Bank vor dem Hause im Sonnenschein zu dehnen, und die trübseligen, bis auf den Fußboden reichenden weißen Jalousieen und die rostigen Eisenbalkone, welche vor jedem Fenster hängen, in Augenschein zu nehmen. Ich hatte gar gern meinen üblen Humor in Mailand herumgeführt, und schlenderte auch wohl eine halbe Straße entlang, aber doch nicht weiter, als daß ich nicht noch das Hotel Reichmann im Auge behalten hätte – und das war bei dem krummen, winklichten Gassengewirr nur ein wahrer Katzensprung. Allein die Stadt in Augenschein zu nehmen, wagte ich nicht, aus Furcht, mich bei meinem Sprachunverstand zeitlebens nicht wieder zurecht zu finden; der dicke Lohnbediente verlangte aber drei Franken für seine Begleitung – eine um desto indelikatere Forderung, da es mir nicht unbekannt geblieben, daß er sich mit dem Portier in meinen letzten Kronthaler geteilt habe. Eines Vormittags aber, als mich Friedrich, so hieß der aufgedunsene Lakai, wiederum auf der Steinbank langweilig hin und her rutschen und bald den linken, bald den rechten Nasenflügel mit zugekniffnem Auge beschauen sah, fühlte er doch eine Art menschlichen Erbarmens mit mir armen verlaßnen Schneiderlein und gähnte mir zu, er werde nachher einer vornehmen Familie die Kuriositäten der Stadt vorweisen; da könne ich mich anschließen und in ziemlicher Entfernung folgen. Voller Freude sprang ich nach meinem Felleisen, zog den bestgesteiften Hemdkragen aus meinen Siebensachen und die Gros-Kariste-Weste hervor, konnte mich schon nach fünf Minuten den Leuten zeigen, und schlich in einer Distanz von vier Berliner Ellen hinter den Reisenden her.

Der erste Gang galt dem großen, zu Ehren des Friedens errichteten Marmorbogen, welcher vor der Stadt steht, und zwar auf einer schönen breiten Straße, die schnurgrade auf die Mauer führt. Einen recht anschaulichen Begriff von diesem Siegesbogen des Friedens, welcher früher das Simple-Thor geheißen ward, kann man sich machen, wenn man sich das Brandenburger Thor zu Berlin vergegenwärtigt, nur mit dem Unterschiede, daß das Mailänder ganz anders ist. Die vier Pferde, die herauf kommen sollten, grasten noch unten, sonst aber waren noch viele Bilder vom Österreichischen Kaiser an den Wänden ausgemeißelt, vom alten Blücher, dessen Schnauzbart eine überraschende Ähnlichkeit mit dem bei unserm Opernhause stehenden hat, und Bataillen Bonaparte's. Ob aber Napoleon dies Siegesthor zu Ehren des Kaisers von Osterreich aufbauen ließ oder umgekehrt, habe ich nicht ermitteln können. Die Bilder drängten sich bunt übereck; bald waren die Alliierten obenauf, bald die Franzosen – wie sich's grade traf. Der ganze Bogen sah übrigens aus, als hätte ihn der Konditor mit milchweißem Zucker übergossen, so einzig flimmerte und funkelte der Marmor – ganz famos. Nota bene: das Wort famos ist jetzt modern und muß so oft als möglich angebracht werden. Einige Häuschen für Thor-Einnehmer und Wache wurden nebenbei gebaut, – klein und niedlich. – Von dem friedlichen Siegesbogen wanderten wir nach dem Dom. Wenn ich diesen mit dem Berliner vergleichen wollte, so würde ich dem letztern schreiendes Unrecht thun. Bei den drei Kuppeln des unsrigen, welche meines Wissens Glaube, Liebe und Hoffnung vorstellen sollen, (obwohl die letzteren gegen den dicken Glauben zu klein geraten sind,) läßt sich doch noch Etwas denken. Kann wohl aber ein Christ bei dem Mailänd'schen Dom auf einen nur Halbweg frommen Gedanken geraten, frage ich? Wie auf dem Weihnachtsmarkte stehn hunderte von Pyramiden, umgekehrten Eiszapfen gleich, oben auf dem Dach und an allen Ecken und Enden, und in jede hat sich ein Dutzend kleiner heiliger Männchen eingenistet, und obenauf steht auch einer, der aber absonderlich schwindelfrei sein muß. Ein ganz apartes Gebäude ist's schon. Inwendig frappierte mich der Mangel an Bänken, als ein gutes Mittel gegen das Schlafen, Höchst bemerkenswert war mir noch eine Katze mit abgehacktem Schwanz, welche frei in der Kirche umherspazierte, und, wie ich nachher erfuhr, das Patent auf die Kirchenmäuse gelöst hatte. Vom Domherrn und Dompfaffen hatte ich bereits gehört, mit einem Domkater kam ich dagegen hier zum erstenmale in Berührung.

Des Nachmittags, als ich wieder neben dem Hausbettler auf meinem alten Platze vor dem Thorweg in der Sonne sah und am Rauch einer bissigen Zigarre würgte, kehrten meine durchlauchtigsten Reisegefährten von einem Ausfluge nach dem Hotel zurück. Die Stirn Sr. Hoheit war wie schlecht gekrumpenes Tuch zusammengelaufen und hastig hervorzischende Wortblitze zuckten wie weiterleuchtend aus dem schwarzen Schnurrbart hervor, – Mit militärischem Anstand in die Höhe springend, riß ich den Glimmstengel aus dem Munde. Des Prinzen Durchlaucht gewahrte mein ehrfurchtsvolles Benehmen und richtete mit einem zugespitzten Lächeln die Frage an mich: »Nun, mein Lieber – wie heißen Sie doch gleich? – welche Meinung hegen Sie denn über dieses hochgepriesene Mailand? He?« – Schlauigkeit ist von jeher meine Force gewesen, und so begriff ich denn gleich aus den mokanten Mundwinkeln meines Herrn, daß er nicht nur auf Mailand, sondern auch auf ganz Italien eine kleine Pique habe, und einige verblümte Sticheleien nicht ungnädig vermerken dürfte, – »Herablassendster Fürst,« entgegnete ich, »von Mailand habe ich mir in meiner Jugend allzeit den Begriff gemacht, als sei dies ein Land, in welchem ein zwölfmonatlicher Mai regiere. Mailand im Mai aber, so wie wir es zu sehen bekommen, müßte demzufolge ein Frühling mit Lenz-Aufschlägen sein, gleichsam eine mit Honig überstrichene Zuckertorte,« – »Hm! Nicht übel!« schmunzelte der Prinz. Der erste Kammerherr lispelte: »Bravissimo!« der zweite applaudierte leise mit den Daumnägeln und riskierte ein pfiffiges Gesicht, – »Aber jetzt, mein guter Landsmann,« fuhr Serenissimus fort, »jetzt sind Sie enttäuscht? Nicht so?« – »Gnädigster Herr, wo fände ich denn hier den verheißnen, unverwüstlichen Mai? Ich frage, mit Vernunft. Nicht mehr als Alles vermisse ich, was mich an den Berlin'schen erinnert, sogar die liebe Jugend, welche bei uns einen unschuldigen Negoz mit Maikäfern á Stück zwei Nadeln zu treiben pflegt. Märzland würde ich diese Stadt zu nennen Wagen, Durchlauchtigster, um nur diesen unverzeihlichen Mißbrauch von mailichen Begriffen, welche sich bei dem Namen eingeschlichen haben, endlich einmal auszurotten.« – Mit einem bedeutsamen »Ha!« öffneten Monseigneur den Mund zum Erstaunen, zogen ihr Portefeuille aus der Seitentasche, hielten dann aber plötzlich inne und fragten: »Um Vergebung, sind Sie vielleicht Schriftsteller?«

– »Oh, da müßte ich doch schönstens deprezieren, Fürstliche Gnaden; ich habe etwas Solides gelernt, und bin, wie ich bereits zu vermelden die Ehre hatte, Schneider!« – »So, so! Nun, da erlauben Sie wohl gütigst!« fuhr der Prinz fort und trug meine geistvolle Bemerkung in seine Tabletten ein. Die beiden Herren vom Gefolge entfalteten während meines Bonmots und unserer Unterredung die Augenlider zu weitmöglichster Ausdehnung, waren aber allzu überrascht, um ihre Bewunderung in Worte einkleiden zu können. – »Ich reise morgen nach Genua,« setzte der Fürst mit gnädigem Kopfnicken hinzu, »und werde mich freuen, mit Ihnen auch fernerhin im Verlauf der Reise zusammenzutreffen.« – Hierauf beurlaubte er sich mit liebreichem Handwinken – ich aber merkte sogleich, wo er hinauswolle. Nur um mein Zartgefühl zu schonen, bot er mir den Hintersitz in der Kalesche nicht wieder an, und überließ es meiner Intelligenz, seiner Großmut gleichsam auf die Sprünge zu kommen. Er hatte sich nicht in mir getäuscht. Mit Morgensgrauen war ich bereits auf den Beinen, paßte den Augenblick ab, wo der letzte Kammerjunker in den Wagen gekrochen war, und hüpfte flink wie ein Eichhörnchen hinterher auf meinen scharmanten, weichen Sitz.

Sturmesschnell, wie auf Faust's Mantel, ging es nun wieder vorwärts. Mir war in meinem Kabriolet manchmal, als säß' ich im Paradiese des Opernhauses, und die Bäume und Schlösser und Kirchen und Dörfer wurden wie Kulissen rasch hervor geschoben und wieder weggezogen. Der Aufenthalt in Städten waren die Zwischenakte, und das Gezänk Sr. Durchlaucht mit Postmeister, Postillon, Markör und Zolleinnehmer, Gensdarmen und Bettlern gab die Orchester-Musik ab.

Mit Italien ging mir's übrigens ganz komisch. Das Land war nämlich himmelweit von dem verschieden, wie es die Büchermacher abschildern und ich mir's gedacht hatte, Die Banditen, gegen welche ich meine große Scheere obenaufgebunden hatte, wollten nicht erscheinen – und das war sehr gut; Schlangen und Skorpionen mußten wohl in diesem Jahre schlecht geraten sein, ich kriegte wenigstens keine zu sehen; die Pomeranzenbäume wuchsen nur in großen Kübeln, um kein Haar anders, als im Charlottenburger Schloßgarten, Trotzdem will ich nicht gesagt haben, daß das Land gar so übel gewesen wäre, im Gegenteil, es passierte. Die gähnerlichen Kieferwälder, durch welche man träg und dämisch wie eine Kienraupe hinkriecht, und in deren Sand man immer einen Schritt vorwärts und zwei zurückkommt, waren doch, Gott sei Dank! jenseits der Grenze geblieben. Die Saat stand zwar bis zur Nasenspitze im Wasser, dafür war's aber auch kein ordinäres Korn, sondern Reis, und diese Reisbrühe gehörte mit zur Sache, Sonst sah Alles hübsch grün und lustig aus. Die Dirnen mit ihren pechschwarzen Augen nickten gar freundlich mit dem Kopf, aus dessen Haarflechten die silbernen Nadeln wie Sonnenstrahlen hervorschossen, zeigten lachend ihre schneeweißen Perlzähnchen und winkten mit der Hand, als ob ich zu ihnen kommen sollte – ja, wer nur Zeit und Muße gehabt hätte. Auch waren die Leute gar nicht so boshaft, als sie mein ungnädigster Fürst und Herr verschrie. Nicht einem einzigen war es seit Padua eingefallen,, mir für Zehrung auch nur einen roten Heller abzufordern, trotzdem, daß ich mir wahrhaftig nichts abgehen und meine Flasche nie leer werden ließ. Entweder schrieben sie's dem Prinzen auf Rechnung, oder sie hielten's für Sünde, von einem armen wandernden Handwerksburschen Geld zu nehmen, und ich will zu ihrer Ehre das letztere glauben. Sogar das Bettelvolk war nicht halb so arg, als Wie bei uns zu Lande. Man brauchte ihm nichts zu geben, denn man hatte ja den schönsten Vorwand, daß man kein Italienisch verstände. Kurzum, ich für meinen Teil war mit Land und Volk soweit ganz leidlich zufrieden. Hörte ich mir nun aber das Lamento der Reisenden in der Kutsche mit an, so wurde ich wieder ganz irre. Es waren doch vornehme Herrschaften, die wohl schon allerwärts gewesen und das Allerrarste gesehen haben mochten. Nur das Eine konnte ich nicht begreifen: weshalb sie ein so schweres Geld wegwürfen, nur um sich gelb und krank und elend zu ärgern; weshalb sie immer tiefer in die gottlose Mördergrube hineinjagten, statt ruhig hinter dem Ofen zu sitzen und, mit der Schlafmütze über den Ohren nach Herzenslust zu regieren. Das mußte wohl einen ganz aparten Haken haben,

Mitternacht war's, als wir in Genua einpassierten. Ich schlug um nächsten Morgen die Jalousieen auf, um aus dem Fenster zu schauen, prallte aber trotz einer Schnecke, die mit den Hörnern anrennt, wieder zurück, denn im ersten Augenblick vermeinte ich, mit den Haarwickeln an das gegenüber stehende Haus angestoßen zu haben. Behutsam verlängerte ich zum zweitenmale den Hals – und ich muß bekennen, ich entsetzte mich über das gassentümliche Unwesen zu Genua. War doch die über Berg und Thal kriechende Straße nicht breiter, als daß ein Esel, wenn er den Atem anhielt, sich mit knapper Not hindurchzuschlängeln vermochte; und wenn das Auge an den sieben Stockwerk hohen Häusern über alle die vergilbten Marmortafeln mit ihren Pfropfenzieher-Säulchen und Seejungfern und steinernem Unkraut in die Höhe kletterte, so zog sich ein Faden blauen Zwirns längs der Dächer hin – das sollte den Himmel vorstellen. Durch dies Nadelöhr von einer Gasse wand, drängte, schob sich nun eine entsetzliche Menge Volks; es waren fast mehr der Menschen als der Pflastersteine. Alle aber schrieen aus sperrangelweitem Munde, tobten, lärmten, fluchten und schlenkerten mit Arm und Bein, als wenn sie nicht recht bei Sinnen wären, Eine Heidenwirtschaft! Anfänglich glaubte ich, es sei Feuer in der Nachbarschaft, oder eine Schneider-Revolution, oder die Leute Wollten sich in die Haare fallen – aber nichts von alledem. Dieser Mordspektakel gehörte nur so zum Handel und Wandel. Da hielt der Eine einen Teller mit Kürbis-Kernen unterm Arm, und hallohte dabei, als hätte er die ganze Berliner Schloßfreiheit im Sacke. Der Zweite hatte einen flachen Korb voll großer platter Meerfische, die recht wie die gleißenden alten Weibergesichter aussahen, so daß man sich komplett davor grauen konnte. Der Dritte trompetete Krebse mit fabelhaft großen Scheeren und Schnurrbärten, Kerls wie die Husaren-Offiziere, aus, der Vierte kleine Muscheln, welche das Volk aufknackte und ohne Salz und Schmalz hineinschlang. Was mir aber am allermeisten in die Nase stach, das waren die famosen Tragbutten voll Austern – nicht bloß solche weiße Schalen, wie sie bei unsern Italienern mit einem hölzernen Pomeranzen- und Zitronenkranz über dem Laden hängen, nein, graue und fest zugeklappte. Da hätte ich mir nun eine Güte anthun und ein halb Schock Austern in den Kaffee tunken können, wenn der heillose Portier in Mailand mir nicht im Dreiblatt das Geld abgenommen hätte. Ein recht verdrießlicher Kasus!

Während ich noch über mein letztes verunglücktes Fiduzit einige nachträgliche Betrachtungen anstelle, höre ich mit einemmale von einer bekannten Stimme: »Ei du mein Herr Jesus, Bruder Berliner, wo kommst denn Du her?« – Das war Niemand anders, als der Chemnitzer, mit dem ich vor einem halben Jahre in Fürth bei einem Meister gearbeitet hatte, der so rief. Er reichte mir die Hand aus dem Fenster des gegenüberstehenden Hauses, und ich gab ihm wieder die meinige, und wir drückten und schüttelten uns herzbrüderlich,so lange, bis die Austern- und Krebsweiber, welche die nunmehr gesperrte Gasse nicht passieren konnten – unsere Zimmer waren nämlich auf gleicher Erde – ausfällig zu werden begannen, und Miene machten, den Bund der verbrüderten Handlanger mit Gewalt zu sprengen.

Der Chemnitzer kam mir so recht wie gerufen. Daheim hatte ich mich immer ein wenig retiré gegen ihn gehalten, denn er war der demagogischen Herumtreibereien verdächtig, und verführte seit dem Hambacher Fest ein ganz heilloses Maulwerk. Hier aber brauchte ich mir keine Gêne anzuthun, und weihte ihn deshalb zum Vertrauten meiner pekuniären Verlegenheiten ein. Das treue Gemüt griff mir, bloß auf mein ehrliches Gesicht hin, mit fünf Speziesthalern unter die Arme, und begann hiernächst, sich nach meinen Zuständen und Reisebegebnissen zu erkundigen. Als er im Lauf des Gesprächs vernahm, wie ich als stillschweigender Reise-Kompagnon eines fürstlichen Hofes fahre, wurde er ganz braun vor Entsetzen. »Berliner,« schrie er, »o Du, der Du ein freier Deutscher Mann sein könntest und solltest, Du drängst Dich an Fürsten? Du erniedrigst Dich zum Despotenknechte? Wehe, wehe über Dich, der Du Dich –« – »Chemnitzer,« war meine Antwort, »Du sprichst wie ein Buch, aber wie ein schlechtes. Du hast gut reden, sitzst hier auf Arbeit, und Dir fehlt höchstens Nichts. Ich aber bin ein Schneider in der allerbrotlosesten Potenz und preise meinen Himmel, daß ich dem Prinzen wie ein Floh anspringen und mit kutschieren durfte.« – »Und wer ist denn dieser Tyrann? Wie nennt er sich? Welcher Deutsche Gau ist es, der unter seiner Geißel wimmert? – »Schatz, um Dir die Wahrheit zu sagen, so müßt' ich geradezu lügen. Er reist inkognito, und zwar im allerinkognitosten von der Welt. In Mailand sah ich beim Portier seinen Paß, der war Französisch geschrieben, und da hatte sich mein Prinz einen ganz ordinären Namen umgehängt und sich für einen simplen Partikulier oder Privatmann ausgegeben.« – Der Chemnitzer schnippte fünfzigmal mit den Fingern, schüttelte zu allem den Kopf und brummte: Das seien eitle faule Fische. Mit großen Herren sei schlecht Kirschen essen; es werde mich bitterlich gereuen, daß ich mich so weggeworfen; mein sogenannter Prinz sei doch im glücklichsten Falle gar keiner und ganz was Gewöhnliches – und was dergleichen hochverräterische Phrasen nun mehr waren. Als er aber sah, daß ich in meinen servilen Entschlüssen unerschütterlich blieb, schrieb er mir die Adresse seiner alten Mutter, der ich die fünf Spezies nach meiner Heimkehr zustellen sollte, in's Wanderbuch, steckte mir noch die Tasche voll grüner unreifer Mandeln, die, beiläufig bemerkt, elend genug schmeckten, und schüttelte mir zum Abschied gerührt die Hand.

Er hat sich, obwohl ein Chemnitzer von Geburt, doch als ein veritabler Landsmann gegen mich benommen, wie sich denn das auch seit dem Zollverbande nicht anders erwarten ließ. Möge es dem liebenswürdigen Sterblichen jederzeit nach Verdiensten wohl ergehen!

 

Incisa, den 13. Mai.

Bei Tage und bei Nacht kutschierten wir nun landeinwärts mit einer Vehemenz, als gält' es den gestrigen Tag einzuholen. Ich wurde aber zuletzt auf meinem Rücksitze recht verdrießlich und hypochondrisch über die widersinnige Landhetze, bei der ich von Italien so wenig zu sehen bekam, als ein totes Rehkalb auf dem Postwagen. Sämtliche Rippen im Leibe schmerzten mir von dem ungewohnten Fahren, und ich wäre für mein Leben gern abgestiegen und zu Fuß weiter gezogen, wäre nur die Wälsche Sprache nicht so verzweifelt konfus gewesen, und hätte ich nur eine Menschen-Seele nach dem Weg zu fragen verstanden.

Da lagen am Wege die plaisierlichsten Landhäuser, und meilenweite Gärten mit rotblühenden Pfirsichbäumen und Taxushecken und weißen Marmorbildern, die aus den grünen Sträuchern ordentlich zu winken schienen. In den Dorfschaften liefen längs der Häuser hübsche schattige Bogengänge mit Kaffeehäusern, in denen ich, der ich von der Sonne halb gebraten war, mich gar zu gern ein halb Stündchen erholt hätte. Des Abends spielten die jungen Bursche, welche Nelken hinter dem Ohre trugen, wie bei uns zu Lande die Sekretäre ihre Federn, ihr komisches Kegelspiel ohne Kegel, oder sie schlugen die Zither vor den Fenstern ihrer Mädchen, so daß mir oft ganz weichmütig ums Herz wurde und ich meine Durchlaucht, die mit mir davon fuhr; als ob mich der Böse hole, flehentlich hätte bitten mögen, doch nur ein einzigesmal anzuhalten, um das lustige Gesinge mit anzuhören, oder eine Kugel mitzuschieben, oder auch in den Parks ein wenig zu promenieren. Der Prinz mochte aber wohl weder von der Musik, noch von den Garten-Anlagen, noch vom edlen Kegelspiel absonderlich viel verstehen, und schien überhaupt bloß an Streiten und Zanken und Nörgeln sein rechtes Wohlgefallen zu finden. Ich aber durfte dahinten auf dem Sitz meinen Ärger und Verdruß nicht laut werden lassen, denn seit Genua wußte der blinde Prinz nichts mehr vom blinden Passagier, und so oft Jener ausstieg, mußte sich dieser jedesmal drücken, und nachher zusehen, wie er wieder nachkommen konnte. Wie gesagt, ich war recht von Grund meiner Seele verdrießlich. Nun hatte mir der Chemnitzer noch außerdem einen Floh ins Ohr gesetzt, daß der Fürst gar kein echter Fürst, sondern nur ein neusilberner sein könne. Ich rekapitulierte mir in meinen Gedanken alle Durchlauchtigkeiten, mit denen ich im Theater oder im Tiergarten jemals in Kollision gekommen war – der malkontente Karbonari war mir aber eine bisher unsichtbare Größe gewesen. Mißtrauisch, wie ich es meiner Komplexion zufolge bin, paßte ich ihm nunmehr scharf den Dienst. Bestellte er nun auch den ersten und zweiten Markör, den Hausknecht und den Lohnbedienten, Koch und Aschenprudel in allen Gasthöfen zu sich herauf, um ihnen seine Brieftasche voller Wechsel und Staatsschuldscheine zu produzieren, zu proklamieren: wie er nicht gesonnen sei, als Italienischer Lump zu reisen, wohl aber als Einer, dem das Geld nichts koste, dem das Teuerste noch zu wohlfeil wäre – so waren denn das so weit recht schöne, vornehme Charakter-Züge. Kam aber nachher die Rechnung, so gab's wieder Jammer in allen Ecken und Enden, Flüche und Ohnmachten – und zuletzt ließen Se. Hoheit sich dennoch regelmäßig vom Cameriere ins Bockshorn jagen, bezahlten das Verlangte, auch wohl noch drüber, unter dem fabelhaften Vorwande, den Spitzbuben schamrot zu machen, und schlugen nachher ihr Schnippchen in der Tasche, wenn sie erst wieder mit heiler Haut im Wagen saßen. Alles das intriguierte mich schon lange und kam mir verdächtig vor. Noch ärger aber war's, daß der verwunschene Prinz nicht nur mündlich, sondern auch schriftlich räsonnierte, und alle die Injurieen, die er sich hatte in den Bart werfen lassen, und um wie viel er betrogen worden war, aufnotierte. Kurzum, der Chemnitzer hatte mich aufsässig gemacht. Ich dachte mit jeder Meile Weges liberaler, und beschloß zuletzt, so wie ich mit guter Manier loskommen könne, den Herrn Partikulier oder Gesalbten, oder was er nun sein mochte, seinem jämmerlichen Schicksale zu überlassen. Am meisten wurmten mich die unterthänigen Redensarten meinerseits, mit denen ich ihn qua Prinzen traktiert, und die er geduldig eingesteckt hatte, und ich paßte nur auf die Gelegenheit, im Falle er kein Legitimer wäre, es ihm gehörig einzutränken. Mit dem baren Gelde in der Tasche überkommen Einem auch gewöhnlich die vorurteilsfreien Gedanken, und in der meinigen klingelten fünf schöne blanke Spezies – Geld genug, um ein Radikaler zu werden.

Florenz lag hinter uns. Um einen recht plausibeln Begriff von der Prächtigkeit der Stadt zu geben, brauch' ich bloß das Eine anzuführen, daß das Trottoir quer über die Straße geht, und die breiten Platten das Pflaster ganz verdrängt haben. Da fährt sich's wie in einer Wiege, und die Schuhe müssen so lange als die der Kinder Israels in der Wüste vorhalten. Eine Hundesteuer existiert aber dort meines Wissens nicht. Der privatisierende Schnurrbart knurrte: »Alltäglicher Ort, dieses Florenz ober Flohrenz, wie es mit Fug und Recht geschrieben werden sollte, unleidlich-flache Provinzialstadt! Wiederum einmal viel Lärmen um Nichts. Jederzeit bin ich ja gern erbötig, für mein schweres Geld zu staunen, zu bewundern – komm' ich denn aber wohl jemals dazu? Zeigt sich mir denn wohl irgend eine halbwege Veranlassung, in Enthusiasmus zu geraten? Wie? – Florenz, dieses wahnsinnigerweise als ein Stück auf die Erde gefallenen Himmels verschrie'ne, was ist es denn weiter? Häuser zur Rechten, Häuser zur Linken, die Gasse in der Mitte – das ist alles.« – Die beiden Jaherren klatschten in die Hände und tampelten vor Seligkeit mit den Füßen – ich aber ballte hinten aus Bosheit die Faust. – »Viel,« fuhr der Mutz fort, »hörte ich schon von der Schönheit des hiesigen Landvolks fabeln, von den reizenden Bewohnerinnen des Arnothals. Visionen – Spekulation armseliger Skribenten, welche wieder zu ihrem Reisegelde kommen wollen, und nun den Florentinerinnen zehn Seiten voll Reize andichten, um ihr Buch anzuschwellen, um sich interessant zu machen. Ich habe bisher in Italien nur eine Schönheit gefunden,« fügte er mit süßlicher Wendung gegen seine Frau hinzu, »und das sind Sie. Hab' ich nicht recht, Messieurs?« – Dies war nun allerdings ausnehmend galant gesprochen, hatte jedoch einen markierten pantoffelartigen Beigeschmack, und ich pries meinen Schöpfer, daß ich bis dato noch unehelich war und den netten drallen Dirnen dreist unter die breiten schwanken Strohhüte und in die kohlschwarzen wetterleuchtenden Augen gucken, und ihnen zunicken, und sie ohne Furcht vor Gardinenpredigten allerliebst finden durfte.

So kamen wir denn nach Incisa. Der Postmeister hieß sechs Pferde statt der bisherigen viere vorlegen. Er mochte es wohl der Berge halber thun, welche groß und breit vor dem Orte lagen, vielleicht auch nur des eignen Profits halber. Das fuhr aber meinem ungnädigen Reisekompagnon gewaltig in die Krone. Er schrie und schimpfte zum Wagenschlag hinaus, und sprang, trotzdem ihn Frau und Komp. am Mantel fest zu halten strebten, als trotz allen Lamentierens das halbe Dutzend Pferde vollzählig blieb, noch eh' ich mich's versah und mich skisieren konnte, aus dem Schlag. Da wurde er mich ansichtig. »Kriegsartikel und kein Ende!« hob er zu wettern an, »wer ist Er? Was treibt Er hier? Wer hat Ihm die Erlaubnis hinten aufzusitzen gegeben? He? Ist mein Wagen ein Charlottenburger? Soll ich etwa für Ihn, gottlosen Landstreicher, die zwei taxwidrigen Pferde bezahlen? He?« – In diesem Tone fuhr er fort und flickte den bisherigen Redensarten noch einige andre an, welche ich jedoch aus Achtung gegen meine Persönlichkeit zu vergessen strebe. Nun inkliniert zwar mein Gemüt im allgemeinen zur Sanftmut und Milde; nimmt hingegen einmal erst meine Stimmung einen nur einigermaßen leidenschaftlichen Charakter an, so kenne ich auch keine Schonung mehr. »O Sie privatisierender Partikulier,« schrie ich ihn an, »haben Sie mir denn nicht selber in Padua angeboten, à Conto der geflickten Taschennaht ein Ende Weges mitzufahren? Und wer ist denn der Landstreicher von uns beiden, der Bekleidungs-Kunstzögling, der sich mit seiner Hände Arbeit durch die Welt schlägt, oder so ein, ich weiß nicht wer, der durch alle Städte kutschiert, bloß um Menschen und Himmel und ehrliche Flöhe schlecht zu machen? Und nun bitte ich, Sich auf die Socken zu machen, sonst werde ich die Ehre haben, Ihnen zu zeigen, wo Barthel Most holt.« – Dabei biß ich recht wütend in den Knöchel der geballten Faust, wie ich's den Markören, wenn sie dem Musje bange machen wollten, abgelernt hatte, und packte zugleich meine große Scheere, um ihm einen Zipfel Schnurrbart abzukneifen. Wer weiß, was noch geschehen wäre, wenn nicht die beiden Adjutanten ihren Prinzipal zu einer rückwärts strebenden Bewegung veranlaßt und ihn fast mit Gewalt in den Wagen gehoben hätten. Von dort aus wollte er noch, wie der Hahn auf seinem Dünger, loskrähen – da begann aber ein mit Kohlensäcken vorüberziehender Esel den in der Chaise Sitzenden zu überbrüllen, und ich ließ ihn auch nicht mehr zu Worte kommen. Mittlerweile stürzte bei dem Lärmen eine große Menge Volks aus allen Häusern, umdrängte die Kutsche immer dichter, bis dem Herrn Partikulier angst und bange wurde, und er die Postknechte um Gotteswillen bat, nur tüchtig auf die sechs Pferde loszuhauen. Das ließen sich die auch nicht zweimal sagen, und die Karrete flog unter dem Hurrah der ganzen Kanaille über die Granitfliesen.

Meinen fatalen Reise-Kompagnon war ich nun, Gott sei Dank! losgeworden; wenn ich aber all das gelbe fremde Volk im Kreis um mich herumstehen, und mich so groß anglotzen, und die Köpfe zusammenstecken, hastig durcheinander schnattern, was Gott allein verstehen mochte, und dann wieder mich und mein Felleisen, mit dem ich recht zaghaft an der Wirtshausschwelle stand, mit so verdächtigen Blicken, wie etwa Schuljungen einen Pflaumenkorb, mustern sah – da wurde mir doch etwas bänglich zu Mute. Ich kam mir vor, wie der Daniel in der Löwengrube, und seufzte heimlich: wie soll das enden? Die Leute wollten sich noch immer nicht verlaufen, schienen sich über mich, der ich in ihre Stadt gleich am geschneit war, nicht beruhigen zu können, und überhaupt auch keine andre Geschäfte zu haben, als faul auf den Straßen herum zu lungern. Die Mannsleute mit den großen Strohkappen rauchten ihre kurze Thonpfeifchen mit unterschlagenen Armen, zuckten mitunter die Achseln, zogen ein schief Maul, bliesen dann wieder einen großmächtigen Qualm von sich, ohne sich aber auf etwas weiteres einzulassen. Das Frauenzimmer dagegen, welches recht verwogen- aufgekrempte Mannshüte mit Federn trug und mit der Spindel vom Wocken spann, plapperte und klapperte in einem fort, wobei es immer » poverino!« rief, und mich dabei ansah. Endlich kam die junge Wirtin aus dem Hause, und gab mir ein Zeichen, welches ich gar nicht verstand. Sie streckte nämlich die Hand nach der Erde zu und trillerte ein paarmal mit den Fingern in der Luft. Zuletzt wurde sie ungeduldig, packte mich beim Ärmel, schleifte mich in die verräucherte Wirtsstube und brachte auch bald einen tüchtigen Teller mit Wurst, oder vielmehr Salami, um mich auf Italienisch auszudrücken, nebst einem Stücke beinharten Käse. Ich begriff nun wohl, daß die gute Person mich traktieren wolle – um mich aber doch nicht lumpen zu lassen, erwischte ich ihr Söhnlein, dessen gelbe Höschen gerade an einer respektwidrigen Stelle eine gewaltige Ouvertüre spielten, bückte den zappelnden Jungen über's Knie und setzte ihm so bei lebendigem Leibe einen Fleck von schönem grünen Merino auf seine offenkundige Unverschämtheit. Die Frau Mama lachte, bis ihr die Thränen über die Backen liefen und sagte, nachdem sie ihr neu versohltes Bürschchen wie einen grün und gelb gesprenkelten Frosch munter davon springen sah, ein Wort, das wie »Grazie« klang – und da hatte die gute Frau auch nicht so ganz unrecht, denn das ist mein Erbfehler, daß ich nicht das mindeste ohne eine gewisse Grazie thun kann.

Nach und nach traten noch mehr Personen mit desolaten Bekleidungs-Gegenständen heran und wollten bald dies, bald jenes gemacht wissen. Eine trostlose Arbeit für einen selbständigen Geist, dieses Restaurieren – indessen hier mußte ich wohl mit den Wölfen heulen, denn es gab der Lumpen so viel am Orte, daß man die ganze Einwohnerschaft dreist hätte in die Papiermühle schicken können – und so sprang ich denn den Hilfsbedürftigen mit meiner Kunst nach bestem Wissen und Gewissen bei. Manche legten dann auch wohl ein kleines Silberstück, grau und dünn, als wär's aus Zeitungspapier geschnitzt, auf den Tisch, die meisten aber begnügten sich, meine Grazie zu beloben. Nun bin ich aber zwar für den Ruhm keinesweges unempfindlich, ziehe aber doch bar Geld vor, und so schüttelte ich bald mit dem Kopf, als immer mehr und mehr der Lumpazivagabundusse mein Talent in Anspruch nahmen, zog mein Tagebuch hervor und begann meine Memoiren von der Abreise aus Genua an zu schreiben. Das Italienische Volk machte Teller-große Augen, als es mich so hurtig mit dem Bleistift über's Papier fahren sah, und mußte wohl einen rechten Respekt vor meiner wissenschaftlichen Bildung bekommen – ließ mich jedoch ungestört weiter schreiben.

Ich war fast zu Ende, da tippte mich ein langer, breitschultriger Kerl, mit einem ganz barbarischen Backenbart rings um das birkenmasrige Gesicht, auf die Schulter und nannte mich einen braven Kameraden. Er setzte noch einige andere Worte hinzu, welche aus ziemlicher Entfernung wohl wie schlechtes Deutsch klingen mochten – jetzt aber stand er mir nur noch zu nah, als daß ich ihn so recht hätte verstehen können. Das schadete aber weiter nichts – merkte ich doch bald, daß er eine ungefähre Ahnung von meiner Sprache hätte, und das ist hier zu Lande schon etwas rares. Er war ein Handelsmann mit Tinte, auf seiner Wanderschaft früher einmal bis nach Mürzzuschlag gekommen, und wollte deshalb für einen Viertel-Landsmann von mir gelten, wogegen ich nichts hatte. Jetzt zog er über Rom nach Neapel zurück, und fragte mich, ob ich ihn begleiten wollte. Da schlug ich recht freudig ein. Ich sollte ihm nämlich bei der Korrespondenz und Buchführung an die Hand gehen, wie er mir später auseinandersetzte; meine schriftstellerischen Gaben hatten ihn frappiert, und ihm diesen Gedanken eingegeben, denn mit seiner Schreibseligkeit mocht' es wohl nicht weit her sein. Ich erkundigte mich nun, wo er sein Magazin habe. – »Hier hängt's!« rief er, und schlug auf ein kleines Fäßchen, nicht größer als das der Marketenderinnen, »und nun kommt, wenn's Euch beliebt.«

In zwei Minuten zogen wir wie alte gute Freunde des Weges, Die junge Wirtin mitsamt dem geflickten Söhnlein und allen den ausgebesserten Lumpen riefen uns felicissimo viaggio nach, und winkten mit den Händen das Adjes, Das Erstemal kehrte ich wieder um, vermeinend, sie hätten mir noch Etwas zu sagen – das war aber Irrtum, denn hier grüßen sie Einen, wenn er gehen soll, just so, als wenn sie bei uns Einen herbeiwinken. Komisches Volk – aber wenn man reist, muß man sich schon auf Absonderlichkeiten gefaßt machen.

Laterina, den 14. Mai.

Mir war ordentlich wohl zu Mute, als ich wieder von dem verdammten Chaisen-Rücksitz, auf dem man ganz verdummte, und wo mir Kopf und Beine einschliefen, erlöst war. Die letztem konnte ich doch wieder nach Herzenslust schlenkern und strecken, und so tanzte ich fideliter des Weges entlang und freute mich Gottes lieber Natur, Der Himmel sah so schön blau wie die schönste Waschstärke aus; die Maulbeerbäume streckten ihre Arme gleich Schabbesleuchtern in alle Weltgegenden, und der Wein wickelte sich um Äste und Zweige bis oben hinauf. Das mußte erst einen rechten Maulbeerbaum abgeben, wenn die Weintrauben reif geworden und Einem die Beeren vom Baum ins Maul hingen. Die schönsten Dörfer mit steinernen Wohnhäusern standen am Wege. Auf den Schwellen saßen hübsche Dirnen und flochten Strohhüte, und das war ganz artig anzuschaun, wie die seinen Fingerchen mit den kurzen Halmen wie mit Nadeln umsprangen und gleichsam den Hut zusammenstrickten. Ich kaufte mir auch gleich im nächsten Dorfe einen schönen gelben Strohhut von einer freundlichen Dirne, und sie zierte sich auch nicht lange, als ich sie durch meinen Tintenfreund um das violette Seidenband an ihrem hellroten Brustlatz bat, sondern knüpfte selber noch eine schmucke Schleife hinein, in welche ich einen Busch Granatenblüten steckte. Meine alte Reisemütze aber schleuderte ich hoch in die Luft und auf einen Eichdaum – mit der mochten im nächsten Jahr die Krähen ihr Nest wattieren. Das Berliner-blaue Apenninen-Gebirge lag uns zur linken Hand und spazierte immer unverdrossen mit. Am Fuß standen weiße Klöster und Kapellen und steckten die glitzernden Kuppeln und Wetterfahnen aus den schwarzen Cypressenbaumen hervor; alte zerfallene Ritterschlösser mit kleinen Türmchen und nette blanke Weinbergshäuschen lagen auf allen Kuppen – das ganze Land sah so bunt wie die Musterkarte einer Ausschnittshandlung aus, aber das gefiel mir ganz wohl.

Mein langer Reisekompagnon, der sich Spiridon nannte – was übrigens sein Taufname war – sah zwar ganz verteufelt meißeldrähtig und rabiat aus, war aber ein seelensguter Junge, immer kontent und guten Humors, handelte für mich in den Wirtshäusern bis auf den Heller und litt's nicht, daß ich zuviel bezahlte oder mich übertölpeln ließ. Dabei erzählte er mir eine Menge Geschichten, die ich ihm nicht verstand, und dann erzählte ich ihm eben so viele, die er eben so wenig kapierte – aber wir amüsierten uns königlich, und die Unterhaltung stockte nicht einen Augenblick, und wenn er den Hut vor einem steinerne Heiligen am Wege abzog, so machte ich dem Bilde gleichfalls meine Reverenz, denn das war ich meinem Kompagnon aus Kameradschaft schuldig, und mit dem Hut in der Hand, kommt man durch's ganze Land.

So wanderten wir denn fröhlich und wohlgemut des Weges. Als die Sonne keinen Spaß mehr verstehen mochte, legten wir uns seitwärts von der Straße unter Eichen in's grüne Gras. Wir hatten ja keine Eile; meine Nähnadel verrostete nicht so schnell, und die Tinte des Bruder Neapolitaner vertrocknete auch nicht gleich im Fasse. Ich holte die Salami-Reste von Incisa aus meinem Felleisen, der lange Spiridion eine Flasche Wermutto – einen ganz nachdenklichen Wein, der mit Wermut bitter gemacht wird, aber auch nicht uneben schmeckt – und so lebten wir denn, wie die jungen Frühlingsgötter, » Vivat Italien!« schrie ich, und mein Kamerad revangierte sich mit einem: » Vivat Deutschland!« und darauf tranken wir einen herzhaften Schluck. Aus lauter herzinniglicher Lustigkeit zog ich ein schönes neues Lied aus meinem Seehundsranzen und sang ganz sanft mit anmutiger Stimme:

Als ich einmal am Sommertag
Im grünen Wald im Schatten lag.
Sah ich von fern ein Mädchen steh'n,
Das war ganz unvergleichlich schön.

u. s. w. bis zum Schluß des sechsten Verses. Der Tinten-Kaufmann war ganz still während meines Gesanges und blieb's auch nachher, ohne weiter zu applaudieren. Das verdroß mich ein wenig, und ich sagte ihm: Jetzt solle er nun auch was Schönes vortragen. Das that er denn, und sang eine lange Geschichte ab; in der Arie war jedoch weder Melodie noch Takt. Das ging bald langsam, bald wieder Galopp, bald fistulierte er in der Höhe, bald brummte er wieder Baß – wie's ihm gerade einkam – und was das schlimmste bei dem Singsang war, er mochte wohl 66 Verse haben, und wollte gar nicht enden. Ich hatte mich mittlerweile auf den Rücken gelegt und guckte nach den Eichenzweigen hinauf, wo manchmal die blauen Himmelsringel hindurch flimmerten und die Sonnenstrahlen über die Blätter glitten und die Singvögel hin und her hüpfen – und darüber schlief ich ein. Ich läge, glaub ich, heute noch dort, wenn mich der Lange nicht aufgerüttelt hätte, weil es schon spät und noch ein gut Stück Weges bis Laterina, unserm Nachtquartier, sei. Da sprang ich denn auf, mochte aber gar nicht wieder singen, aus Furcht, den Neapolitaner gleichfalls auf singerliche Gedanken zu bringen – mir genügte das Erstemal. Der mochte wohl aber auch nicht mit meinem Einschlafen zufrieden gewesen sein, und bedeutete mich: Seine Arie heiße man Ritornell; das sei hier zu Lande so Mode, und das ganze Volk singe nichts anders, als solche Ritornelle, freilich nicht so schön, als er, der als famoser länger in seiner Heimat renommiert sei. Das klang nun nicht gerade erbaulich.

Laterina war ein rechtes Rauchloch von einer Stadt. Die hohen Steinhäuser krochen bergauf, bergab und balancierten oft wie Spanische Reiter auf den Felszacken, Ich dachte bei mir: wenn das alte Nest nur noch heute und morgen aushalten wollte, nur so lange wenigstens, bis ich wieder aus dem andern Thore bin – dann mag's in Gottes Namen zusammenbrechen. Verwunderlich war nur, daß die Leute sich wie die Krähen hoch auf den kahlen Spitzen angebaut halten, anstatt in der grünen weiten Ebene zwischen Wald und Gärten und Wiese. Anfänglich glaubte ich, sie müßten wohl Liebhaber von weiten Aussichten sein, aber da hatten sie die Häuser so ineinander geknetet, daß kein Mensch über des Nachbarn Rauchfang hinweg sehen konnte. Nun, sie mußten wohl ihre guten Gründe gehabt haben – was kümmerte es mich.

Der Lange hielt vor einem alten verschimmelten Hause, über dessen Thür ein vertrockneter Lorbeerbusch schwankte. Das Hotel sah nicht ganz so patent aus, als diejenigen, in welchen ich mit meiner reisenden Brummfliege logiert hatte – ich mochte aber doch nicht widersprechen. Der Spiridion war ja überall wie ein buntes Hündlein bekannt, und wußte gewiß am besten Bescheid. Zur Thür konnte man gar nicht hinausgeworfen werden, schon aus dem Grunde, weil das Haus keine hatte. Wir traten gleich von der Straße in ein reichlich mit Spinngeweben tapeziertes Kellergewölbe, und warfen Felleisen und Tönnchen auf ein ungehobeltes Brett, welches auf leeren Fässern lag – das war der Tisch. Der Neapolitaner wälzte noch ein paar geleerte Tonnen für uns zu Sitzen herbei, bestellte das Abendbrot, und bald darauf brachte auch die Wirtin eine große Schüssel, in welcher ein ganzes zoologisches Museum von verschiednen, durch einander gehackten Fleischsorten schwamm. Stillschweigend angelten wir in dem Teiche, bis nur noch das klare Wasser übrig blieb. Der Spiridion suchte mit seinem Tönnchen alte Kunden auf, ich blieb in der Kneipe zurück und sah mir die Lokalitäten an. Das war eine echt Polnische Wirtschaft. Im Winkel war der Herd, und große Töpfe, auf deren Inhalt ich nach der verzehrten Museumstunke gar nicht begierig war, standen rings um's Feuer. Der Rauch wedelte über's Gewölbe hin, und sah zu, wo er hinaus konnte. Auf Hackeklötzen wackelten neben dem Herd ein paar Bretter, auf denen Strohflaschen standen, und Töpfe und Teller, welche die Katze hübsch sauber leckte. Im Winkel lag ein Haufe Kürbisse aufgerollt, und drüber neben den Windeln des kleinen Kindes das Portrait des Leib-Heiligen, welches eine qualmende Lampe einschmauchte. Über die ausgetretnen Ziegelsteine des Fußbodens rannte eine recht muntre Ferkelfamilie, deren schwarze Frau Mama an der Thürschwelle mit einem Strick um den Hals wie ein Kettenhund Wache hielt, außerdem noch diverse Hühner und nach der feinsten Paradieser Mode kostümierte Kinder. Wo ich nun hier die Nacht kampieren sollte, war mir nicht recht klar. Hätte ich mich an dem Kronleuchter-Haken am Gewölbe aufhängen können, so war's wohl noch das leidlichste gewesen – indessen mußte ich doch noch immer froh sein, daß mich der Neapolitaner gleich in das beste Hotel geführt hatte. Wie wär's mir erst gegangen, wenn ich in ein Wirtshaus vom zweiten oder gar dritten Range geraten wäre.

Unterdessen trat immer mehr und mehr des schauderösesten Gesindels mit bloßen Hälsen und in Hemdsärmeln ein – recht effektive Galgengesichter. Das soff Alles Wein und schwadronierte kunterbunt durch einander. Nachher holten sie schmutzige Karten hervor, spielten, zankten und fluchten. Der Eine mochte wohl verloren haben, ohne gerade bezahlen zu wollen – flugs zog der Andre ein langes Messer und ging dem schlechten Zahler recht bestialisch zu Leibe. Lieber Gott, wenn wir Schneider gleich alle Diejenigen, die uns die Rechnung schuldig bleiben, abkehlen wollten, was gäb's da für'n Avancement in der Armee! Die Wirtin hielt zum Glück den wütigen Kerl noch beim Kragen fest, sonst hätt' es Mord und Totschlag gegeben. Nachher spielten sie ruhig weiter, als ob nichts passiert wäre. Pack schlägt sich, Pack verträgt sich. Mir aber war in der Mördergrube gar nicht recht kauscher zu Mut. Ich saß auf meinem Ränzel, machte mich so schmal, daß ich in eine Nadelbüchse hätte kriechen können, und will nicht in Abrede stellen, daß ich gehörige Manschetten gehabt.

Endlich kehrte denn der Neapolitaner zurück, sah sich das Heidentum im Keller eine Weile mit an, sprach dann ein paar Worte zur Wirtsfrau, schüttelte den Zeigefinger hin und her und winkte mir zu folgen. Das that ich nur zu gern. Es war mittlerweile stockpechfinstre Nacht geworden. Wir kletterten stolpernd die dunkeln schmalen Gassen bergauf, bergab. Der Tintennegoziant brummte und raisonnierte innerlich, und ich erpackte seine Jacke, um ihn nur nicht auf ewige Zeit zu verlieren. Endlich hielten wir auf einem kleinen Platz vor einer Kirche, Meinen Führer rief »ecco!« und deutete dabei auf die steinernen Stufen. Ich verstand nicht gleich, was er damit sagen wollte, bis er sein Tintenfäßchen abwarf und sich unter der Halle der Länge nach hinstreckte, Es sollte also hier biwakiert werden. Eine wundersame Landesmode bleibt es aber doch, den Tag in der Schenke und die Nächte vor den Kirchen zuzubringen. Ich befühlte die Quadersteine, auf denen ich zu liegen kommen sollte – sie waren ganz impertinent hart, und einer just wie der andre. So legte ich denn mit bittern Seufzern meinen Tornister unter den Kopf, zog die Schlafmütze über die Ohren und die Beine dicht an mich heran, um nur so wenig wie möglich von der Kirchen-Matratze zu berühren. Der Mond kam unterdessen hinter den Häusern hervor und beschien die Säulen unsers Schlafgemachs und die zwei Kirchenheiligen, welche in den Nischen standen. Der Eine von den beiden machte ein recht erbärmliches Gesicht, als wollte er sagen: »Teuerster, Sie jammern mich da unten auf Ihrem steinharten Schlaf-Sofa;« der Zweite hingegen warf trotzig den Kopf zurück und schien mir zuzurufen: »Wenn ich hier auf meinem Postament die ganze Nacht stehen kann, so wird Dich der Geier auch noch nicht holen.« Es kamen aber bald noch mehr Menschen, welche große Liebhaber von wohlfeilen Schlafstellen zu sein schienen, und sich auch mit einem acquit auf die Fliesen warfen, als sollten ihnen die Steine wie die Federbetten über den Kopf zusammenschlagen. Die schnarchten im Umsehen ein. Der Mond verkroch sich bald wieder hinter seine Wolkengardine. Ein naher Springbrunnen zischte und pischte ganz heimlich, als wolle er mich wie ein Wickelkind einlullen – ja, wenn nur die Wiege nicht so empfindlich auf Abhärtung berechnet gewesen wäre. Aus der Ferne miaute ein Verliebter sein Ritornell und fuhr manchmal undeutlich über die Zither – darüber kam aber auch nach und nach der Sandmann, und ich träumte von dem mißvergnügten Partikulier, mit dem ich bis nach Incisa gefahren war, und iah ihn im Traum, wie er sich mit einem Riesenfloh auf Tod und Leben duellierte.

So verging denn auch diese Nacht. Das Bett brauchte nicht gemacht zu werden – den Vorteil hatte unser heiliges Lager. Ich wusch mir die Augen in dem nahen Born, arrangierte meine Locken auf offnem Markt, zur großen Verwunderung des Volks, welches noch niemals in seinem Leben einen Kamm gesehen haben mochte, trank beim Zuckerbäcker einen schönen süßen Kaffee aus entsetzlich schmutzigen Tassen, und pilgerte mit dem Langen zum Thor hinaus.

Monterosi, den 25. Mai.

Weil ich doch nun immer tiefer in den großen Stiefel Italien hineinmarschierte, und mit meinem Berliner Deutsch geradezu verraten und verkauft war, so blieb mir wohl nichts übrig, als mich auf's Italienische zu legen. Ich schlug dem Spiridion vor, mir spazierengehenderweise einige Privatlektionen in seiner Sprache zu geben, und wolle ihm aus Dankbarkeit dafür mit Berliner Redensarten an die Hand gehn. Er könne nicht wissen, ob er nicht dereinst 'mal bis nach Berlin käme, denn dort würde gewaltig viel geschrieben, und wenn sein Weizen irgendwo blühe, so sei es dort und nirgend anders. Übrigens hätt' ich einen anschlägschen Kopf und er solle seine Freude an mir haben. Der Tintenmann zog ein schiefes Maul, fing aber doch an, und zwar bei den Anfangsgründen der Litteratur. So belehrte er mich denn: wenn mich hungere, so brauche ich bloß den Daumen und Zeigefinger quer unter der Nase in den Mund zu stecken; durste mich, so sei der Daumen hinreichend. Eine delikate Weinsorte beschreibe sich am besten mit dem Daumen und gekrümmten Zeigefinger am Mundwinkel, als beiße man eine Patrone ab, oder als wolle man sich 'nen Zahn ausdrehen. Den Zeigefinger schütteln heiße: Nein! und reiße man mit dem Daumnagel an einem obern Zahn, so bedeute das: ich mach' mir den Henker aus dir. Wolle man Einen schimpfen, so sei cazzo ein gutes Wort, und was nun dergleichen gemeinnützige Lehren mehr waren. Ich machte aber ganz stupende Fortschritte, und es dauerte keine 72 Stunden, so konnte ich Einen schon kurz und lang heißen, machte die Fica wie ein Alter, schnitt Italienische Fratzen, verrenkte bald die Nase, bald das Maul, riß die Augen mit dem Finger auf und hatte mit einem Worte Alles, was einem Mann von Bildung hier zu Lande zu wissen Not thut, am Schnürchen. Der Neapolitaner hingegen machte unbegreifliche Fortschritte, ich meine nämlich, er konnte nichts begreifen, und verwechselte fortwährend das mir und mich. Da hatte ich meine Not, um ihm den Unterschied recht plausibel zu machen.

Es ist ein altes Sprichwort: »Für Hunde, Soldaten und Handwerksburschen giebt es keine Umwege.« So kann ich denn auch nicht sagen, daß ich gerade umgegangen wäre, obgleich unser Weg der Kreuz und der Quere, die Berge hinan, weit hinab ins flache Land und dann wieder einmal auf die Apenninen-Gebirge hinauf führte. Das Tönnchen des Spiridion war der Kompaß, nach dem wir unseren Kurs richteten, und wo der Lauge ein eingetrocknetes Tintenfaß witterte, da steuerte er drauf los. Also ging's durch eine Menge Dörfer und Ortschaften, deren Namen ich einen über dem andern vergessen, wenn sie überhaupt einen Namen hatten. Mit der Table d'hote sah es mitunter trübselig aus, absonderlich an den fatalen Fasttagen. Schuhsohlenzähe Makkaroni, ein Stockfisch, welcher für honnett-gebildete Nasen etwas schroffes beibehielt, das waren so die Hauptstückchen. Der Spargel war nicht zu zerbeißen, trotz den Stettiner Pfeifenspitzen, und wenn die Artischocken nach gar nichts geschmeckt hätten, so wär's noch gut gewesen. Da mußte denn der Wein herhalten, der war fast immer trinkabel. Nachts wurde, wenn wir Luxus treiben wollten, auf den Kirchenschwellen kampiert, zumeist aber im wohlfeilen Gasthof zum grünen Baum oder zum blauen Himmel – es war ein rechtes Zigeunerleben. Aber spottwohlfeil, das muß ich sagen. In den Bergen war auch das Volk ganz kordial, nur auf der großen Straße hatte das moralische Zartgefühl einen etwas spitzbübischen Beigeschmack. Das kam aber von den Engländern und solchen Vornehmthuern wie mein Ex- Reisekumpan – die verführten die Menschheit zu der doppelten Kreide-Buchführung. Ich wußte schon besser, wie der Hase lief. Trat ich in eine Schenke, so fragte ich gleich, was sie hätten, was das Alles koste, bot ein Viertel und that, ohne mich an ihr Gewäsch zu kehren, als ob ich weiterziehen wolle – dazu kam's aber nie. Was nicht gut war, schob ich nach dem Kosten zurück und kommandierte was Besseres. Ländlich, sittlich. Dreihärigkeit war meine Devise. Der Neapolitaner ging mir anfänglich mit gloriösem Beispiel vor – es dauerte aber nicht lange, so verstand ich die Manier, das Volk zu traktieren, noch besser als er: denn was dasjenige anbelangt, so bin ich ein Berliner. – Während dem führte ich getreulich Buch über Einnahme und Ausgabe meines Reisegenossen, und schrieb Alles, was er mir vorsagte, Wort für Wort auf. Es war nur schabe, daß er's nachher nicht lesen konnte, teils weil ich wohl in der Italienischen Rechtschreibung nicht recht firm sein mochte, teils weil der Spiridion überhaupt das Lesen nie gelernt hatte.

An einem schönen Morgen – mein Tagebuch ist aber bei dem ewigen Herumvagieren in Konfusion geraten, und so weiß ich nicht mehr genau das Datum – saß ich in einem der Dörfer, die schon zu des Papstes Grund und Boden gehörten, und dessen Namen ich ignoriere, auf einer steinernen Bank im Schatten querüber einer alten Kirche, und sah, wie das Volk über die Heerstraße zog, die barfüßigen Kerle mit großen gelben Schirmen von Wachsleinwand und kleinen kupfernen Medaillen mit dem Bilde des Schutzpatrons auf der bloßen Brust; die Maulesel, die immer fünf Mann hoch hinter einander trentelten, und die zweirädrigen Fuhrmannskarren, deren Rosse rote wollene Büschel mit Schellengeläut wie unsere Schlittagen-Pferde auf dem Kopf trugen, und vor allem das Bauervolk, wie es auf den blanken Eseln Karriere ritt. Die Frauenzimmerchen, unter denen recht hübsche Gesichter, wenngleich ein bischen braun angelaufene waren, ritten gleichfalls zu Esel mit dem Wickelkinde auf dem Arm, während der Mann das Tier am Strick führte, beinahe so, wie die Schildereien von der Flucht nach Ägypten gemalt sind, nur mit dem Unterschiede, daß dort die Jungfrau jederzeit anständig der Quere, wie die Damen bei uns im Tiergarten, im Sattel sitzt, und nicht so männlich wie hier, wo oftmals die Strumpfbänder ganz natürlich zum Vorschein kamen, und der weiße Kopfschleier in Quartformat, den die Bauerdirnen mit einer langen silbernen Spicknadel an den Kopf feststeckten, wie ein Kometenschweif mit seinem langen Zipfel hinterdrein fegte. Dann kamen auch Pilger mit einer langen Stange in den Händen, und einem kleinen Wachstuchmäntelchen, das aber knapp bis an die Ellenbogen reichte: die Straße war ein kompletter Maskenball, und bei uns wären die Leute hinter den Leuten hergelaufen – hier aber wunderte sich kein Mensch darüber, als ich allein.

Während ich noch mehrfache Betrachtungen über den Schnitt der Kostüme mache, tritt ein kurzer recht wohlbeleibter schwarzer Herr in Schuh und Strümpfen, blauer Halsbinde und den Dreimaster auf den Kopf an mich heran, macht mir sein Kompliment und fragt mich: ob ich ein forestiere, das heißt ein Ausländischer, sei? Als ich ihm dies mit einer zierlichen Reverenz bejahe, bietet er mir eine Prise Tabak an, ich nicht faul, hole auch meine Schnupftabakdose mit dem Porträt des alten Fritz ans der Tasche und gehe Revanche. Als er das Bild zu sehn kriegt, fragt er bornierterweise: Ob dies den hochseligen König von Neapel vorstellen solle? eine Frage, die bei uns doch jeder Dorflümmel als seiner unwürdig verschmähen würde. Ich zuckte bloß innerlich die Achseln und fragte ihn, ob er denn noch niemals von dem allen Fritz, von dem großen Preußenkönig gehört habe, und von dessen Heldenthaten mit dem Schwert und der Feder und der Krücke? Er sann eine Weile nach, nickte dann, wie eine Gipskatze, mit dem Kopf, und murmelte: Si, si; aus seiner Kindheit wäre ihm noch dunkel erinnerlich, daß es jenseits der Alpen einen König gegeben habe, den der Papst heimlich zum Kardinal gemacht, und ihn zugleich vom Fasten dispensiert habe. Ob's der etwa sei? – Ich schüttelte verdutzt den Kopf.– Und dann habe er einmal den Präsidenten del consiglio, welcher einem armen Müller, Namens Arnoldo, himmelschreiend unrecht gethan, auf die Galeeren geschickt und den Müller statt seiner zum Präsidenten gemacht. Und ja, jetzt fall' es ihm bei, er sei auch ein guter Freund von Napoleon gewesen, wie er denn auch die beiden Porträts einmal nebeneinander gesehn. – Das war eine Heidenkonfusion in dem Kopf des Herrn Pastor, und ich wußte nicht, wie ich es anzufangen habe, um ihm das Alles auseinander zu setzen; ich nickte also bloß stillschweigend mit dem Kopf. Der katholische Prediger brummte noch vor sich hin: der gran Federigo müsse doch schon ziemlich bei Jahren sein, und fragte mich hierauf ganz ernsthaft: ob ich ein Christ sei? – »Sapperment,« fuhr ich ilm an, »und was für Einer. Ein ganzes Quartal bin ich Abonnent der Evangelischen Kirchenzeitung gewesen.« – Dies schien dem Schwarzrock aber noch keineswegs zu genügen, und er examinierte weiter, ob wir denn regelmäßige Orden hätten? – »Das will ich meinen,« erwiderte ich, «Ordensfeste und Orden von allem möglichen Kaliber!« – Wunderbarerweise wunderte er sich darüber. »Bisher habe ich in dem Wahn geschwebt,« äußerte er dann, »Ihr hättet gar keine ordentlichen Geistlichen? – »Wo denken Sie hin? Ordentliche und unordentliche, Pfarrer mit und ohne Orden, mio signore pastore.« Er lächelte und belehrte mich, daß er kein pastore, wohl aber der curato von der Kirche Santa Filomena sei. – Auch etwas Neues, ein Pastor, der keiner war. Viel verwunderlicher erschien es ihm dagegen, als ich im Laufe des Gesprächs erwähnte: Bücher und Kinder wären die einzigen Gegenstände, welche bei unsern Pastoren anzutreffen seien. – »Bücher und Kinder!« schrie der Curato und schlug die Hände über den Kopf zusammen, »Bücher und Kinder! Ich schwör' es Euch bei dem heiligen Francesco von Assisi, bei mir findet Ihr weder das Eine noch das Andere.« – Während unseres Diskurses hatte ein ganz netter Schwarzkopf aus dem Pfarrhause zugehorcht. Der Priester von Santa Filomena schlug die Augen gen Himmel, erblickte seine lauschende Nichte, wie er das junge Frauenzimmerchen titulierte, und rief ihr zu, doch schnell herunterzukommen, hier seien ganz erstaunliche Dinge zu erfahren. Die hübsche Brünette war auch wie der Blitz zur Hand, ließ sich vom Pfarrer, der kein Pastor war, das angebliche Wunder von den Büchern und Kindern erzählen, und schlug nach etlichen Kreuzen gleichfalls die Hände über das viereckige Kopftuch zusammen. – Ich erwähne dieser Konversation bloß, um zu belegen, wie weit die Leute noch im allgemeinen in der Kultur zurück seien. – Bald nachher empfahl sich der Curato ganz nachdenklich und kopfschüttelnd mitsamt seiner Nichte, schickte mir aber doch noch einen Schoppen Wein und einen schönen Teller mit Makkaroni, die in der Sauce nur so schwammen, durch den Schwarzkopf herunter. Ich mußte der Fräulein Nichte noch ein Langes und Breites über unsere verheirateten Prediger erzählen – das Evangelium schien so recht Wasser für ihre Mühle zu sein.

Zehn volle Tage waren wir schon wie die Sperlinge der Kreuz und der Quer geflattert, als wir an einem Abend spät nach Monterosi kamen. Der lange Tinten-Spiridion machte hier Schicht, und zwar ausnahmsweise in der Osterie, und erzählte mir, als wir uns ins Bett warfen: Morgen kämen wir nach Rom. – Wenn's auch die verhungerten Floh-Schwadronen gelitten, so hätte ich doch vor Jubel über diese Nachricht kein Auge zuthun können. Ich warf mich die ganze Nacht herüber und hinüber und träumte von nichts als vom heiligen Petrus und vom Papst und vom Römischen Kaiser, und wie wunderprächtig das erst sein werde, wenn ich wieder heimgekehrt und den Leuten von meiner Wanderschaft und Abenteuern referieren konnte, und wie ich doch von morgen an ein wirklicher Romberger, nämlich einer, der auf Roms Bergen spazieren gegangen, sein würde.

 

Rom, den 26. Mai.

Mit den Hühnern war ich schon munter und setzte alle Hilfsmittel in Bewegung, um mich gehörig zu ajustieren, und den Einzug in Rom mit Anstand und Würde zu feiern. Besagte Verschönerungskünste waren aber nur recht natürlich-populäre. Ein Steintrog vor dem Hanse, in welchen das schlammige Wasser tröpfelte, diente mir statt Waschbeckens und zugleich auch als Spiegel, denn sonst gab's weiter keinen in Monterosi. Schmachtete ich doch sogar vergeblich nach einer Stiefelbürste – auch dieses Möbel war hier zu Lande nicht einheimisch. Aber um Gotteswillen, Menschenkinder, wie macht Ihr's denn, um Eure Fußbekleidung nur ein einzigmal aus dem Zustande der Glaubhaftigkeit in den der Politur zu erheben?« – »Sonntag früh,« entgegnete der Kameriere, »kommt der Schuhmacher von Nepi und wichst der ganzen Ortschaft das Lederzeug.« – Dienstag war's, und da ging's doch nicht füglich, daß ich auf die Ankunft des stiefelwichsenden Messias hätte warten können. So mußte ich denn wohl oder übel den alten Staub weiter schleppen, obschon ich mich im voraus schämte, so Pfaufüßelnd in die päpstliche Residenz einzurücken. Vor der Hand war's aber noch nicht so weit und es galt noch ein sauer Stuck Weges zu verarbeiten.

Rom liegt wie der einzige Michaelistag zwischen Pfingsten und Weihnachten – nichts als Wüstenei ringsum. Solch eine katzenjämmerliche Strecke Landes war mir auf der Wanderschaft noch nicht zwischen die Beine geraten. Wohin man schaut, kahle Hügel und Moor und dann wieder Moor und kahle Hügel, kein Haus, kein Baum, kein Strauch, höchstens hier und dort ein altes morsches Raubnest, in welchem die Dohlen ihre Singakademieen aufführen. Hier hörte Alles auf. Dann lagen auch wohl am Wege solche weiße, Elephanten-große Ochsen, mit einem Paar Hörnern, lang wie meine beiden ausgestreckten Arme, und gähnten einen so klaftebreit an, daß man's ihnen, man mochte wollen oder nicht, nachahmen mußte; und wenn einmal ein lumpiger Kerl mit einer Bohnenstange in der Faust, wie ein Kosak, quer über den Weg galoppierte, so war's was Großes. Das hießen sie die Römische Campagna. Endlich kamen wir doch an ein Haus, welches eine Art von Schenke vorstellen sollte. Verhungertes, abgerissnes Gesindel hauste darin, und wenn es nicht so überaus schmutzig gewesen wäre, so hätte es gar keine Farbe gehabt. Dafür hatten aber auch die Wirtsleute nichts zu brechen und zu beißen, und lebten nur so schlecht und recht von der Fieberluft, wie ich vermute. Wir machten, daß wir weiter kamen, und schritten besonders, nachdem wir die alte Sankt Peterskuppel im Sonnenschein, gleichsam Wie eine rotgleißende Pontaksnase, hatten aus den Nebeln hervorgucken sehn, recht tapfer zu.

Die Straße führte über einen Fluß, der sich durch einen gelblichen Teint von der Spree unterscheidet, und Tiber, nach einem Römischen Kaiser Tiberius, geheißen wird, dann noch durch ein paar Gärten und an zwei Dutzend Häuser, von deren weißen Kalkwänden die Sonne recht amön abprallte, vorüber – und da waren wir in Rom,

Unterm Thor trennte sich mein langer Reisekumpan von mir und wanderte weiter südwärts nach seiner Heimat. Mir kam's ordentlich sauer an, von der redlichen Haut zu scheiden. Ohne ihn wäre ich mein lebtage nicht so weit gekommen und hätte nun und nimmer weder die Wälsche Sprache losgekriegt, noch die Volks- manieren. Gerührt schenkte ich ihm beim Abschied einen Pfeifenkopf mit der Abbildung der Russen-Insel im Berliner Tiergarten, damit er doch vermittelst dieses Konterfei's seinen Landsleuten versinnlichen könne, wir wären nicht so ganz ohne; sie bilden sich sonst wunder ein, wieviel sie vor uns voraus hätten. – Der Neapolitaner drückte mir die Hand und versprach, eine Messe für mich lesen zu lassen. Hilft's nichts, dachte ich, so schadt's auch nichts, und der gute Wille ist schon immer Etwas wert.

Nun setzte ich mich auf dem runden Platz am Thor an den Fuß einer roten spitzigen Säule, in welche allerhand hebräische Zeichen geschnitten waren. Vier große steinerne Bestien, die wie Fleischerhunde aussahen, lagen nach den vier Weltgegenden zu und sprudelten unverdrossen Wasser aus. An ihrer Seite ausruhend, überlegte ich, wohin ich jetzt in der wildfremden Stadt meine Schritte richten solle. Drei große Straßen standen mir offen, eine rechts, eine links, eine geradeaus. Ob ich mich nun zur äußersten Rechten, zur Linken oder zum juste milieu schlagen solle, war ich noch unschlüssig, als ein nettes, feines Mädchen an mir vorübertrippelte. Ein roter Korallenzweig, welcher aus der silbernen Haarnadel hervorwuchs, große goldne Ohrringe und eine recht massive Kette zeigten schon an, daß sie guter Leute Kind sein müsse. Dabei schlug sie mit ihrem Fächer Rad auf Rad wie ein Truthahn, wehte dem schönen erhitzten Gesichte Kühlung zu, warf mir einen so quasi fragenden und einladenden Seitenblick zu, hielt sich dann wieder den Luftwedel vor's Gesicht, und blinzelte abermals nach mir. Romberger, rief ich, das gilt dir. Vorwärts, hinterher getruppt. Der Zug des Herzens, sagt Clauren, ist des Schicksals Stimme.

Dies junge Römische Fräulein gehörte der äußersten Rechten an, und so schritt ich denn hinterher, gerade so weit, daß ich sie nicht aus den Augen verlieren konnte. Sie aber, just als wenn sie's auf mich gemünzt hätte, hielt jederzeit an den Straßenecken ein Weilchen an, bis ich ihr nachgekommen und zog dann wieder durch Gassen und Gäßchen voran. Vor einem uralten, verdrießlichen Palast mit Säulen und Steinfiguren, der in einem ganz kleinen Winkel wie zusammengekehrt dalag, guckte sich das Kindchen zum letztenmale um, und schwänzelte dann hurtig, wie ein Eidechschen, in eine der Thüren. Fort war sie.

Nachdem ich mich von der ersten Überraschung erholt und ein wenig orientiert hatte, erblickte ich ein halb Dutzend Schneidergesellen und Lehrburschen, welche ihre Schemel vor die Thür gerückt hatten und schwatzend und singend drauf losarbeiteten: über der Thür stand aber mit goldenen Lettern: Girolamo Bacci, Sartore – Da war ich ja mit einemmale zu Hause. Ich grüßte meine Herren Kollegen auf das verbindlichste und erkundigte mich nach dem Meister Bacci. Der sei drin, hieß es, und schneide zu. Dort fand ich ihn auch, ein sonderbar klein Männlein mit einem entsetzlich breiten Kopfe und langen Kinn. Von der Halsbinde bis auf den Wirbel war just so weit als nach den Schuhabsätzen. Er hörte meinen Antrag, bei ihm zu arbeiten, schweigsam mit an und guckte bloß manchmal in das Nebenzimmer, welches durch eine Glasthür getrennt war. Jenseits derselben saß eine unglaublich fleischliche Dame im Gespräch mit einem hagern schwarzen Geistlichen, dessen Antlitz an einer recht markierten Nase laborierte. Beide musterten mich mit großen Augen, letzterer durch seine blaugefärbten Brillengläser. Nachdem der Abbate der voluminösen Signora und diese wiederum dem Meister ein Zeichen gegeben hatte, fragte Herr Bacci: Ob ich denn ein wahrhafter und kunstverständiger Kleiderverfertiger sei? – Das wolle ich ihm zeigen, war meine Antwort, schleuderte das Ränzel in den Winkel, hing den Rock an den Nagel, erhaschte einen dortliegenden Frack und warf den fehlenden Ärmel mit einer Akkuratesse und Präzision hinein, so daß das Meisterlein Maul und Nase aufsperrte. Der Herr Priester, der eine blonde Perrücke, deren Netz aber schon Haare gelassen hatte, auf hatte, und ein langes Spanisches Rohr in den Händen schwenkte, war unterdessen näher getreten; die dicke Padrona – sie war ebenso aufgeblasen und gleißend wie ein Wildschwein von Goldschlägerhaut, welches ich einmal als Ballon auf dem Berliner Windmühlenberge steigen sah, watschelte gleichfalls herbei, und über ihre Schulter hinweg guckte Niemand anders als das allerliebste Engelchen mit dem Korallenzweige, dem ich vom Brunnen am Thor nachgezogen war, und lächelte mir ganz anmutig und verführerisch zu. Das nenne ich noch einen Treffer.

Der geistliche Herr äußerte, indem er mit dem Stock sein beträchtliches Riechorgan kajolierte: ich scheine ein galant 'nomo zu sein; die imposante Padrona wiederholte diese Worte mit kurzem Atem, und der Meister Girolamo Bacci hüstelte das nämliche in der dritten Instanz. Jetzt aber erkundigte sich der Pfaff, wie ich heiße, und wo ich her sei? – »Ich bin ein Berliner,« entgegnete ich, »und zwar aus dem Cölln. Mein Name ist übrigens Romberger.« – Letzterer schien ihnen aber, so wohltönend er auch sonst klingt, nicht absonderlich, und der Schwarze, der hier in der Familie die erste Violine spielte, wie ich alsbald begriff, fragte weiter nach dem Namen meines Schutzpatrons, oder Taufheiligen? – »Deren habe ich nicht einen, Herr Abbate, sondern wohl ein halbes Dutzend und zwar höchst heroisch-vornehme. Ich bin nämlich: Blücherich, Bülowhard, Kleistheim, Gneisenavius, Jorkus, Landstürmer, Achtzehnhundertvierzehner getauft worden.« – »Come«?« schrie die ganze Familie, und ich mußt' es ihnen noch zwei, dreimal wiedervorsagen. Da krähte das Töchterchen hell auf, die dicke Mama fiel vor Lachen iu einen Stuhl zurück, so daß er ordentlich krachte; ob der Priester sein Gesicht zum Lächeln verzogen, konnte ich der blauen Brille halber nicht deutlich erkennen. Die Padrona ächzte ihrem Manne zu: »Nun so lachet doch, Momolo!« worauf der Signore Bacci gleichfalls losbrach, bedeutend mit dem langen Kinn wackelte und sich von sämtlichen Gesellen und den Lehrjungen bei seinem Gebelser akkompagnieren ließ. Ich stand ganz verlegen da und wußte gar nicht, was ihnen an meinen gloriösen Namen so wunderlich vorkomme: je mehr ich mich aber bemühte, ihnen auseinander zu setzen, wie ich im Völkerbefreienden Jahre 1814 geboren sei, wie mein Vater den Feldzug als wirklicher Trainknecht mitgemacht und mir zur Verewigung seiner Heldenthaten gedachte patriotische Namen verliehn, um so toller kicherten und krähten sie durcheinander. Die glänzende Padrona bekam's zuerst satt, und hierauf schoben die Andern gleichfalls hurtig den Riegel vor ihre Lachklappermühle. – »Nun, nun, es ist schon gut, mein Täubchen,« sprach die Madam, »Ihr bleibt hier im Hause; aber nach einem anderem Namen müßt, Ihr Euch schon umthun. Da reicht ja kein Palmsonntag hin, um Euch zu rufen.« – Die kleine Mamsell wisperte: »Wir wollen ihn als einen, der nach Rom gepilgert, » Romeo« nennen.« – Das war Allen recht, und mir so ziemlich auch. Romeo war erstens doch ein hübscher Theatername, obgleich der im Stück ein jämmerlich elendes Ende nimmt, und dann klang's beinah wie Romberger. Ich hieß also von nun an Romeo, war im Hause installiert und begann auch sofort lustig draufloszusticheln.

Den 12. Juni.

Wenn ich die verwunderlichen Sitten und Gebräuche der Römer notieren und eine Abschilderung der ganz aparten und extraordinären Stadt liefern wollte, so müßte ich ein komplettes Buch schreiben. Es soll aber bereits ein solches existieren, und ich halte es unter meiner Würde, das bereits Gesagte zu wiederholen. So will ich denn auch nur die auf meine Persönlichkeit bezüglichen Begebnisse und was sich gerade daran knüpft, von Zeit zu Zeit aufzeichnen, und zwar auf eine Art und Weise, baß ich mich selber niemals aus dem Auge verliere und immer die Hauptrolle spiele, wie dies jetzt bei den Büchermachern gang und gäbe.

Mir ging's so weit ganz gut. Der Wochenlohn war nur anständig, und wenn auch die verflixten Pauls und die Mohnblatt dünnen halben Paoli wie Quecksilber durch die Finger rannen, so konnte doch ein sparsames, solides Gemüt immer schon etwas vor sich bringen, und dann und wann einen Scudo auf die hohe Kante legen. Mit der Arbeit war's auch nicht weit her; dafür sorgte schon die katholische Religion, die sich eine räsonnable Menge Heilige beigelegt hatte; so viel Heilige aber, so viel Feiertage. War auch einmal ausnahmsweise kein Fest, so hielt doch die Arbeit selten länger als bis zur zwanzigsten Stunde nach hiesiger verdrehter Zeitrechnung, oder bis um vier Uhr nachmittags nach unsrer Glocke, an. Dann pflegte die Signora Fortunata – dies war der Name der Mama Kürbis – ihrem Eheherrn Girolamo, in der Abkürzung Momolo aber noch häufiger Momolinetto genannt, ein fettes: »Basta!« durch die Glasthüre zuzurufen. Gewöhnlich setzte sie noch hinzu: Für einen Tag sei genug gearbeitet, und das heiße der Vorsehung in den Arm fallen, wenn man für den nächstfolgenden sorgen wolle. Sie rate aber heute nach dem Monte Testaccio, oder vor die Porta Pia, oder in die Villa Borghese, oder wohin es sonst sei, zu fahren. Das gute Lämmchen, der Romeo, habe sich noch gar nicht umgesehen, und dem müsse man doch zeigen, was Rom heiße. Der Rat der Signora Fortunata galt aber im Hause nicht mehr als alles. Ein Lehrbursch sprang auf ben Spanischen Platz nach einem Fiaker, und dann ging's in der Gesellschaft der Familie, und so viel ihrer im Wagen Platz hatten, lustig zum Thor hinaus.

Der Meister Vacci ward im Grunde genommen ein gar zahmes Menschenkind, stand aber, um mich populär auszudrücken, auf die allerfamoseste Art unter dem Pantoffel. Er kannte nur eine Sorte Hochmut, und das war, Jedem, der es nur hören wollte, zu erzählen: wie er ein echter veritabler Römer vom reinsten Blute sei, und in gerader Linie von den alten Römischen Kaisern Caesar und Titus Livius und Marc-Aurel und einer natürlichen Tochter eines hochseligen Papstes abstamme. Er sei auch eigentlich ein Nobile, nur habe sein Großvater den Adel aus Rücksichten niedergelegt, um pizzicarolo oder Viktualienhändler zu werden. Das glaubte ich ihm denn von Herzen gern, denn bei uns zu Lande giebt's keinen noch so schäbigen Lumpen, der nicht, wenn man ihn auf dies Kapitel bringt, dasselbe Lied von seinen adligen Vorfahren zu singen wisse, und noch mit seinem angebornen Wappen das Konto für gewichste Stiefeln siegelte. Den Meister brauchte ich nur auf seine vornehme tote Verwandtschaft zu bringen, um mich liebes Kind bei ihm zu machen. Dem blaubrilligen Abbate, Signore Vicente, bot ich jederzeit eine Prise aus meiner alten Fritz-Dose an, und der Mama Fortunata schwur ich hoch und teuer zu, wie ihr Töchterchen Annunziata eine ganz allerliebste Signorina, eine Zahlperle von Schönheit sei, und ihr so ähnlich wie ein Ärmel dem andern. So hatte ich auch die auf meiner Seite, gouvernierte mittelbar das ganze Haus, und alles mußte nach meiner Pfeife tanzen. Was aber das Fräulein Annunziata belangt, so sprach ich nur genau die pure Wahrheit. So ein wundernettes Mädchen sollte noch zum zweitenmale geboren werden, und ich war schon in den ersten 48 Stunden bis über die Ohren in sie verliebt – wie denn dies bei meinem gefühlvollen Temperament weiter kein Wunder war.

An einem klaren schönen Nachmittage waren wir in einem der Weingärten vor der Porta Pia ausgestiegen. Der Tisch stand in einer dichten schattigen Laube von Oleanderbüschen und Jelängerjelieber und Feigenbäumen. Jeder von uns hatte seine Foglietta, oder Viertel-Qüart, wie man's bei uns nennen würde, mit süßem Wein vor sich stehen. Der Himmel war heller und glänzender als ein neues Atlaskleid, und über die weite flache Campagna herüber nickten die blauen Berge mit schneeweißen Dörfern und Schlössern. Ich war recht fröhlich und guter Dinge; Annunziatchen war die Freundlichkeit selber; die Mutter brachte mich auf meine Heimat zu sprechen und auf meine Verwandtschaft, erkundigte sich verblümt ob ich vermögend sei und was dergleichen mehr. Ich nahm auch den Mund ein bischen voll und flunkerte viel von dem schönen Hause unter den Linden, welches meinem Alten zugehöre, und wie dieser täglich spazieren fahre – was nun auch nicht ganz erfunden und erlogen war, sintemal mein Vater dermalen als Droschkenfuhrmann konditionierte und seine Schlafstelle wirklich unter den Linden hat. Die Mama wurde immer kordialer und strich nun ihrerseits wieder Fräulein Annunziata heraus, wie diese das einzige Kind sei und einmal von ihnen einen hübschen Thaler Geld erbe, und wie auch der Onkel Kanonikus für sie spare und der Pate, der Abbate Vicente, sie im Testament bedenken wolle. Dabei habe aber Aunnunziatchen ein lammfrommes Gemüt, und sei dabei doch aufgeweckten Temperaments, u. s. w. – bis meine Herzliebste, die das Alles mit anhören mußte, rot wie eine Päonie wurde und die Mutter bat, nur endlich einmal aufzuhören. »Weißt Du was, Töchterchen,« hob nun die gute fette Mama in, »tanze doch den Saltarello. Romeo, mein Täubchen, den habt Ihr noch niemals gesehen, und werdet ihn auch wohl schwerlich wieder so zierlich getanzt zu schauen bekommen. Meine Annunziata ist die allerberühmteste Tänzerin in Rom und der ganzen Delegation, und das hat sie Alles lediglich von mir.« – Das mochte aber wohl zur Zeit der Römischen Kaiser, der Ahnherren meines Meisters gewesen sein: denn wie die Frau Bacci, für welche jeder Rücksitz in der Karosse zu schmal war, die Beine habe lüfteln und sich schwenken können, das überstieg meine Einbildungskraft. »Andrea, mein Perlhühnchen,« fuhr die Padrona fort, »nicht wahr. Ihr tanzt mit meinem Goldkinde?« – Das Perlhühnchen, welches als Gesell in unsrer Werkstatt arbeitete, war aus Spoleto gebürtig: ein gelbes magres Kerlchen mit einem horribel-langen Henriquatre in einem Gesichte, dem man die Malize und Bosheit bei stockfinstrer Nacht ansehen konnte. Er spielte den paino, was wir bei uns den Schniepel nennen würden, bildete sich nicht wenig auf seinen weißen Seidenhut und neue Zeugschuhe ein, sah recht höhnisch auf uns Alle herab und kourtoisierte nebenbei mein Annunziatchen, obwohl sie ihm nicht besonders grün zu sein schien. Der Patron war mir so recht im Grunde meiner Seele verhaßt, und mir kribbelte es in den Fingern, seine so insolent in die Welt hinausgereckte Nase einmal ganz gelinde zwischen Daumen und Zeigefinger zu packen, und sie mit der höflichen Floskel: »Erlauben Sie, Herr Kollege, ein Möpschen!« in eine minder widerwärtige Form zu recken. Wie gesagt, ein höchst odiöser Kerl. Der Gesell warf auf den Antrag der Patrona den Kopf zurück, ließ sich aber doch vom Wirt eine Zither geben und schlug die Saiten an. Annunziata faßte die Tändelschürze zierlich mit den spitzen Fingerchen, hob den gebogenen Arm über den Kopf und gaukelte nun wie ein kleiner Stieglitz im Kreise um den spielenden und gleichzeitig hopsenden Andrea. Bald floh sie vor dem Tänzer, bog dann das Köpfchen zurück, um zu sehen, ob er nachkomme, hüpfte wieder ein wenig näher, sah so schelmisch-verliebt über die Achsel, daß es mir ordentlich einen Stich durch's Herz gab, wie sie dem häßlichen Menschen so freundliche Blicke schenken könne, wiegte das Gesichtchen hin und her – ich war ganz weg. Der Padrone hatte mittlerweile eine Schellentrommel erwischt, schwang sie über den viereckigen Kopf, rasselte mit den Blechen und fuhr mit dem Daumen über das gespannte Fell, und dann sangen wieder Annunziata und der Spoletaner abwechselnd. Die Mama und die Neugierigen, die aus dem Garten herbeigeströmt waren, riefen: »bravi!« »bravi!« und klatschten in die Hände – ich aber schrie nur: »brava!« und meinte mein allerliebstes Mädchen allein, denn den verhaßten Andrea mochte ich nicht gern ansehen, geschweige denn applaudieren. Nach Beendigung des Tanzes befragte mich die Signora Fortunata: ob wir wohl auch jenseits der Berge so schöne Tänze aufzuführen wüßten? Das hatte ich nun eigentlich leugnen sollen, aber die Ehre meines Vaterlandes stand auf dem Spiele, und so bejahte ich es nicht nur dreistweg, sondern machte auch sogleich die Pas aus dem Stiefelknecht-Galopp, und zwar mit einem Diensteifer, daß mir bei dem heißen Tage der helle Schweiß die Backen hinunter lief, wobei ich mit vernehmlicher Stimme das bekannte Lied: »Herr Schmidt, Herr Schmidt, was kriegt die Jule mit?« intonierte. Hätte ich nur eine anständige Tänzerin gehabt, so hätte das Volk zweifelsohne Bravo gerufen; so aber lachten sie ganz unmenschlich, die Frau Mama an der Spitze; Annunziatchen kicherte gleichfalls und der Zieraffe Andrea meckerte recht giftig hinterdrein. Das wurmte mich bis in der tiefsten Tiefe, und ich simulierte nur, wie ich der odiösen Spinne etwas tüchtiges anhängen könne.

Mittlerweile hatte ich eine Fogliette nach der andern hineingegossen. Der Wein, der im Anfang so unschuldig wie Himbeerwasser schmeckte, fing an mit Vehemenz mir zu Kopf zu steigen – kam noch die Tageshitze hinzu und die innerliche Bosheit – es dauerte nicht lange, so flimmerte es mir vor den Auge und die wohlbeleibte Mama und die blauen Berge tanzten im Kreise um mich herum. Der Andrea mochte wohl so etwas merken, denn er rümpfte recht impertinent die Nase und wisperte halblaut meiner Sponsade ins Ohr: »E un ubbriacone«! Zu Deutsch: ich wäre ein Trunkenbold. Das hatte mir aber noch kein Mensch nachgesagt, und in wahrhafte Berserker-Wut geratend, schrie ich die Worte! Wart' Du Spoletanische Bestie, Dich will ich be-ubbriakonen!« Dabei holte ich mit der verwandten Hand aus und hatte ihm, trotzdem, daß er einen Schritt zurücksprang, ein fünfversiges Stammbuchblatt auf die Fratze geschrieben, wenn nicht die Kleine recht resolut zwischen uns gesprungen wäre, und unsere beiderseitigen Arme haltend, dem Andrea zugerufen hätte: »Es ist ein Deutscher, ein poverello; laß ihn, er weiß nicht, was er thut!« Der giftige Hund hatte, so wie ich den Arm hob, mit der Rechten in die Brusttasche gegriffen; jetzt ließ er die Hand sinken und murmelte etwas in den Bart, was ich nicht verstehen konnte, wie denn überhaupt meine fünf Sinne auf Urlaub gingen – ich war fertig.

Am folgenden Morgen wachte ich von heillosen Kopfschmerzen auf, sah mich höchlich verwundert im Bette liegen, ohne doch recht zu begreifen, wie ich hinein gekommen. Der gestrige Tag ging mir konfus, wie ein Divisions-Exempel mit benannten Zahlen, im Kopfe herum. Ich wußte nur noch, daß ich mir einen tüchtigen Habemus getrunken und mit dem Andrea Streit gehabt. Ick schämte mich aber wie ein begossenes Hündlein – über meinen körperlichen Zustand lasse ich den Schleier fallen – wäre am liebsten gar nicht wieder zum Vorschein gekommen, und hätte ich über die Dächer hinweg, leise wie eine Katze, bis nach Berlin kriechen können, ich hätt's gethan. Dies war aber doch nicht praktikabel, und so mußte ich denn in den sauren Apfel beißen und hinuntersteigen. Die Gesellen und Burschen steckten bei meiner Erscheinung die Köpfe zusammen und lachten: ich ließ mich aber keinesweges irritieren, sondern ging stramm auf den Andrea los, bot ihm die Hand und sprach mit würdevoller Stimme: »Signor' Andrea di Spoleto, derowegen, was gestern zwischen uns beiden passiert, keine Feindschaft!« – Die falsche Seele nähte weiter und brummte nur, ohne aufzusehn, vor sich hin: es sei schon gut. – Nun, so lauf Du hin, dachte ich bei mir, ich werde auch schon ohne Dich fertig werden. Einen Haarbeutel sich zuzulegen, ist menschlich, dem Feinde die Hand zur Versöhnung bieten aber das Zeichen einer noblen Denkungsweise. Ich habe das meinige gethan und wasche nunmehro meine Hände in Unschuld, und damit ging ich auf den Markt und kaufte einen kolossal-schönen Strauß von Iris, Rosen, Orangenblüten und Schwertlilien und umwickelte ihn mit einem breiten safrangelben Seidenbande, um ihn dergestalt der Madam zu überreichen und vermittelst diverser unterthänigst-gehorsamster Redensarten den gestrigen Bock, den ich geschossen, in Vergessenheit zu bringen.

Als ich mit meinem schönen Blumenbusch durch die Glasthür trete und eben meinen Sermon beginnen will, schreit die Mama so hell, als ihr Organ es zuließ: »Fort, fort mit den abscheulichen Blumen! Unerträgliche Gerüche! Ich falle in Ohnmacht!« – Und richtig, kaum hat sie das letzte Wort herausgebracht, so streckt sie im Lehnstuhl alle Glieder von sich. Anniziata stürzt auf den »mütterlichen Wehruf herbei – mir fällt ein vorrätiges Riechfläschchen mit Eau de Cologne von Treu und Nuglisch bei – wie ein Rasender springe ich die fünf Treppe hinauf, hinunter, beginne die scheintote Mama zu besprengen – da schreit die Tochter gleichfalls: »Fort, fort, abscheuliches Riechwasser! Unerträglicher Geruch! Ich falle in Ohnmacht!« – und legt sich zugleich auf das Anmutigste ihrer Frau Mutter gegenüber zu einer leblosen Gruppe auf das Kanapee. Da hatte ich was schönes angerichtet. Wer Kuckuck kann aber auch ahnen, daß eine unschuldige Hand voll Blumen und zwei Tropfen Eau de Cologne einen solchen Spektakel anzurichten im Stande wären? Unglaublich zarte Nervensysteme! – Über den Doppelschrei stürzten der Meister mit dem ganzen Arbeits-Personal und der Abbate Vicente herbei. »Wißt Ihr nicht«, grollte der Priester, mit der desolaten Perücke schüttelnd, »daß Blumen und stark duftende Essenzen Römerinnen ein Gräuel sind?« – »Oh!« – Der Andrea packte mein unglückliches Blumen-Bouquet mit der Feuerzange, nicht anders, als fasse er eine giftige Kröte, und schleuderte es vor meinen sichtlichen Augen, mit einer recht diabolischen Physiognomie, zum Fenster hinaus. Der Abbate hieß mich mit dem Flacon verschwinden – und so zog ich denn abermals, recht unglücklich und kleinlaut ab, wünschte zehntausend Klafter tief im Märkischen Sande zu sitzen, und ließ, fest entschlossen, mit Ablauf der Woche aufzusagen, meine Galle an einer Jacke von Manchester, die mir gerade unter die Finger kam, aus. Nun hatte ich doch die brillantesten Aussichten, mein schönstes Erdenglück recht mutwillig mit Füßen von mir gestoßen. Daß die Padrona mir wohlwolle und eine Mariage im Sinne habe, das lag am Tage. Annunziatchen war mir auch nicht gram – wie es denn überhaupt in meiner Natur liegt, daß ich beim weiblichen Geschlecht Fortüne mache. Vergegenwärtigte ich mir vollends den hübschen Backfisch mit den dunkeln, zärtlich-schwimmenden Augen und den schwarzen Zöpfen und dem roten goldgestickten Mieder, welches ihr eine so wespenhafte Taille machte, sah ich die wunderniedlichen Füße, wie sie im Saltarello ihre Hebungen und Senkungen machten – und die Erbschaft vom Onkel Kanonikus und vom Abbate mit der blauen Brille – das Herz wollte mir vor Wehmut zerspringen. Ach, nun war ja Alles, Alles vorbei. Mutter und Tochter konnten mir meine Schwabenstreiche nun und in Ewigkeit nicht vergeben – ich steckte im moralischen Katzenjammer tief, klaftertief.

Da klopfte mich Wer sanft auf die Achsel – es war der Abbate. Er winkte mir, ihm zu folgen. Ich sah mich um, ob's der Meister auch gut heißen werde – der Schwarze bedeutete mich aber: Was er anordne, sei jederzeit wohlgethan. Er habe Hochwichtiges mit mir zu reden, – Das wird eine gute Geschichte werden, seufzte ich innerlich, und schlich mit gesenkten Ohren hinterdrein. Mein geistlicher Wegweiser mochte sich wohl die zu haltende Predigt im Kopfe überhören, denn er gab bei der langen Wandrung bis nach seiner Wohnung keinen Laut von sich. Er wohnte in einem großen weitläuftigen Gebäude, in welchem eine Menge junger, mit roten Hüten, Mänteln und Strümpfen bekleideter Herren zum geistlichen Metier angelernt wurden. Angelangt, senkte sich der hagre Priester ganz bequem in einen Sofa, gab mir einen Wink, näher zu treten, und begann nunmehr, ohne mich zum Sitzen zu nötigen, in aller Form Rechtens mich gehörig abzukanzeln. Da eröffnete er mir unter andern: Trunkenheit sei ein arges Laster, mit dem wir Deutschen allzumal behaftet wären, ein um so ärgeres, weil wir den Römischen Wein nicht vertragen könnten und gleich Händel anfingen. Letztere seien aber hiesigen Ortes eine sehr quasimativische Sache. Der Signor Andrea sei ein galant 'uomo, und einem solchen biete man nicht, mir nichts, dir nichts, Maulschellen an, wofern man nicht zum Dank einen tüchtigen Messerstich zwischen den Rippen davon zu tragen beliebe. Dies belegte er mir Alles aus der heiligen Schrift mit Exempeln von Sem und Cham und Abel und Kain – kurzum, es war eine der denkwürdigsten Predigten, die ich jemals vernommen, und wohl würdig, gedruckt zu werden. Nach einer kleinen Pause hob der Herr Vicente seine Epistel an die Korinther von neuem an, wurde aber so mystisch und unverständlich, daß ich vom letzten Teil seines Sermons rein nichts kapierte. Da sprach er vom Zustand der Sündhaftigkeit und der Zerknirschung, vom wunderbaren Finger der Providenz, dann wieder von auserwählten Rüstzeugen und verworfnen Bausteinen, und noch mancherlei von verirrten Schafen und guten Hirten, was eigentlich ins ökonomische Fach schlug. Der Schluß war noch das Beste und den begriff ich allein: Es werde sich noch Alles freudiglich lösen, und ich solle nur ruhig wieder heimkehren. Das that ich auch nach einer tiefen Reverenz.

In Hause lachten mir lauter verklärte Gesichter entgegen, mit Ausnahme des Spoletaners, der tückisch blieb, und von nun an die Feierstunden außerhalb des Hauses verbrachte, worüber ich mich auch weiter nicht grämte. Alle Andern thaten aber, als sei nicht das mindeste vorgefallen. Meinerseits hütete ich mich weislich, die alten Geschichten aufzustören, und so stand ich denn wiederum mit der Familie Bacci auf dem besten Komment von der Welt.

Der Meister proponierte mir nachmittags ins Colosseum zu gehen. »Schon nach Tisch?« fragte ich ganz verwundert. »Bei mis in Berlin geht das Colosseum erst abends an. Und werden die Meisterin und das Fräulein Annunziata uns nicht begleiten?« – »Denen ist's nichts Neues.« – »Nun, was thut das? Ins Colosseum, sollte ich meinen, könne man nie zu oft gehn« – Unter diesen und ähnlichen Diskursen kamen wir über das Campo Vaccino, welches etwas ganz famoses vorstellen sollte. Das war auch wieder einmal viel Geschrei und wenig Wolle. Solch eine liederliche Wirtschaft sollte noch zum zweitenmale erfunden werden. Da standen alte invalide Marmorsäulen, die nichts zu tragen hatten, als ein paar Ellen Steine, und ein paar Thore voll Figuren ohne Nase tief in der Erde, und eine Menge Baugefangene karrten den Schutt heraus. Ich konnte mich in diesen konfusen Baustellen nicht zurecht finden, der Meister aber meinte: das sei das alte Römische Forum, und hier haben seine erlauchten Ahnherren, der Caesar und Cornelius Nepos, regiert und logiert. – Lumpig genug, wie mich bedünken will. Auf der einen Seite standen eine Menge der mit weißen Ochsen bespannten zweirädrigen Karren; unter den Ochsen waren aber auch etliche pechschwarze, mit einem so falschen Blick, wie der Andrea von Spoleto. Dies waren nach des Meisters Aussage Büffel, Höchstwahrscheinlicherweise eine fleißige Sorte von Tieren, weil doch das Zeitwort »büffeln« von ihnen abgeleitet worden. Hierauf zogen wir über eine kläglich gepflasterte Straße an einem Dutzend Akazienbäumen vorüber, und traten in ein weitläuftiges rundes Haus, das wie ein abgebranntes Theater aussah: kein Dach, keine Sparren – nichts als die alten nackten Mauern, auf denen Unkraut und Sträucher wuchsen. Auch aus diesem Gemäuer wußte ich nichts rechtes zu machen und mich verlangte sehnlichst nach dem Colosseum. »Ei, Romeo,« versetzte Diomolinetto und riß die Augen himmelweit auf, »seid Ihr denn nicht recht bei Sinnen? Hier steht Ihr ja in der Mitte des berühmten Theaters des Flavio, in jener Arena, welche meine erhabnen Vorfahren erbauten, in dem weltberühmten Coliseo.« – Du lieber Himmel! Was ist es doch mit der Berühmtheit für ein wunderbares Ding! Ich mochte wohl eine etwas schafsmäßige Physiognomie schneiden, denn der Meister Momolo fragte wieder: »Ob dies nicht alle meine Erwartung übertreffe? Ob ich so etwas Grandioses nur habe ahnen können?« – »Ahnen hin, ahnen her, Signore, da haben wir ein ganz anderes Colosseum!« war meine Erwiderung, und nun machte ich ihm eine Beschreibung von den drei Sälen des Berliner, von dem Tunnel und den Maskenbällen, von dem Vortänzer und allen den Wunderherrlichkeiten, so daß der Meister wohl zuletzt glauben mußte, ich mache ihm eitel Wind vor, während ich doch nur die reine Wahrheit sprach.

Wahrend des Gesprächs zog eine singende Prozession zu zweien und zweien herein, Kerle in einen grauen Leinwand-Sack gewindelt, mit einer dito Zipfelmütze, in welche zwei Löcher für die Augen geschnitten, fabelhafte Figuren wie die Mummelbätze. Die marschierten mit brennenden Laternen, trotz des hellen lichten Tages, bis nach dem großen Kreuze in der Mitte des Schauspielhauses, knieten nieder, sangen und drängten sich nachher um eine Art von Katheder, auf welchem ein Mönch, wie eine Wachtel zur Wanderzeit im Gebauer, hin und her rannte, die Hände warf und die versammelten andächtigen Zuhörer kurz und lang hieß. Diese ließen sich mit verwunderlicher Geduld seine Injurieen gefallen, und so mochte das Ganze wohl eine Art Korrektions-Anstalt für die Römischen Taugenichtse sein. Dagegen ließe sich nun zwar nichts einwenden, das aber soll mir doch kein Mensch weiß machen, daß das hiesige Colosseum mit dem Berlinischen auch nur die blasseste Ähnlichkeit habe. Ich wenigstens halte es mit dem letzteren – doch die Geschmäcker sind verschieden.

Nicht viel besser ging mir's ein paar Tage später auf einer Fahrt nach Tivoli. Ich engagierte Fräulein Annunziata im voraus auf eine Partie Rutschen – sie wollte mich aber durchaus nicht verstehn, und ich quälte mich vergeblich, das Wort »Russische Rutschbahn« in's Italienische zu transferieren. – Nach einer sechsstündigen Fahrt durch die langweilige Campagna gelangten wir in ein saloppes winkulöses Nest von einer Bergstadt, in welcher die Makkaroni noch viel schlechter als in Rom gebacken werden und mir den Magen verkleisterten. Mama Fortunata blieb im Wirtshause, zur Sybille geheißen, kleben, und ich machte mich mit dem Vater und der Kleinen auf den Weg, um die verheißnen Schönheiten zu suchen. Bergauf, bergab kletternd, gelangten wir endlich auf einen unkultivierten Fußsteig zwischen den Bergen, und zu unsrer Rechten gossen vier ober fünf Mühlbäche von oben herab – wahrscheinlich sollte dies hier zu Lande das Rutschen vorstellen. Nun hatte es aber tags vorher in den Gebirgen geregnet und alle Gewässer hatten die Farbe von schönem Milchkaffee angenommen, und das sah wahrhaft großartig aus, besonders wenn man sich einbildete, es wäre in der That welcher. Tief unten am Rande des Wassers saßen Dutzende von Malern unter großen Sonnenschirmen, pinselten eifrig die Kaskatellen nach und schmorten ganz erbärmlich in der Hitze. Außerdem ist noch bedeutend viel Bettelvolk in loco. Sonst aber wüßte ich nichts Bemerkenswertes mehr von Tivoli anzuführen, und kann nur den Tadel nicht unterdrücken, daß ich es für einen strafwürdigen Mißbrauch der Namen Colosseum und Tivoli erachte, sie auf dergleichen triviale Gegenstände überzutragen. Eine wohlorganisierte Polizei sollte dergleichen Windbeuteleien gar nicht dulden, denn das heißt ja einen ehrlichen Menschen ordentlich in April schicken.

 

Den 16. Juni.

Ich verführte in Rom ein wahres Schlaraffenleben. Wenn ich zu Nadel und Scheere griff, so geschah's wohl mehr aus freien Stücken und um nicht aus der Routine zu kommen, als aus Muß. Die Morgende brachte ich gemeiniglich beim Herrn Abbate Vicente unter tiefsinnigen, gelehrten Gesprächen zu, die Nachmittage mit Kourmachen bei den Frauen vom Hause.

Mir blieb's unerklärlich, wie der studierte Priester darauf verfallen konnte, sich gerade mit mir, der ich in der Theologie doch eigentlich wohl nur Dilettant bin, über solche ernsthafte und auch ein bischen langweilige Geschichten zu unterhalten. Da examinierte er mich ein Langes und Breites über meinen Glauben, aber weit exakter als der Curato mit, der hübschen, heiratslustigen Nichte zwei Tagereisen vor Rom. Über den Artikel von Schneiderflecken, den Rechnungen über Zuthat und dergleichen mehr, schlüpfte er ganz vernünftig hinweg; als er aber nach den andern Lehren forschte, von denen wohl das beste auf der Wanderschaft verzettelt worden war, da schüttelte er den Zeigefinger wie einen Perpendikel hin und her und rief einmal über das andre: » C'è niente! c'è niente! Ihr seid verdammt, und müßt Eure Irrtümer in den ewigen Flammen büßen«! – Das ist ein schöner Trost, dachte ich bei mir, und sah mich im Geiste bei dem perpetuierlichen Schwitzbade, gleich den Malern unterhalb der Kaskatellen zu Tivoli, braten und dörren. Nachdem mir der Pater die Hölle gehörig eingeheizt, ließ er mich aus purer Barmherzigkeit einen kleinen, ganz kleinen Schimmer von einer Hoffnung in weiter, weiter Ferne sehn und munkelte etwas: von wunderbarer Fürbitte der Heiligen, und von Binde- und Löseschlüsseln des Papstes, welche ich auch bereits auf den Czakos der Nationalgarde und den kupfernen Bajocchi gesehen hatte. Bei diesen ferneren theologischen Dispüten nötigte er mich jederzeit auf den Sofa und setzte mir wohl gar ein delikates Glas Vinosanto mit allerhand Zuckergebäck vor, welches ich besser als die Konversation verdauen mochte. Ich kaute still vor mich hin und ließ ihn reden, und so war's ihm auch gerade recht, denn er belobte mich gegen die Padrona als einen hoffnungsvollen Jüngling.

Da gefielen mir nun unstreitig die Unterhaltungen nach der Siesta um vieles besser. Da konnte ich auch schwatzen, wie mir der Schnabel gewachsen war, und wenn ich schon mit dem langen Spiridion solche unglaubliche Fortschritte im Italienischen gemacht hatte, so waren die jetzigen noch weit fabelhafter. Wer sich in ein hübsches Mädchen von einer fremden Völkerschaft verliebt, dem fliegt deren Sprache just wie eine gebratene Taube in den Mund, und wenn nur die Professoren an dem Werderschen und Joachimsthalschen Gymnasium lauter junge Lateinische und Griechische Mamsellchen wären, so käme von der ganzen Schule auch keine Haarspitze mehr ins Karzer.

In der Ignoranz hatten es aber meine Römerinnen weit gebracht, das mußte ihnen der Neid lassen. Sollte man da nicht Thränen vergießen, wenn eine achtungswerte Dame, wie doch die Padrona ohne Widerrede war, sich noch im ersten Drittel des neunzehnten Jahrhunderts so absurde Vorstellungen von Berlin machen konnte. Da waren, nach ihrer Meinung, alle Häuser von Holz gebaut; ellenhoher Schnee lag jahraus, jahrein auf den Dächern; die Bären rannten zu Dutzenden wie die Geheimeräte auf allen Gassen; mit unsrer Kultur war's gar im Argen – das Geld, das viele Geld aber, das wäre noch das beste an uns. Das Geld! Du meine Güte! wenn wir durch Überfluß an Geld selig werden sollten – da säh's windig aus. Und da half kein Deprezieren und kein Disputieren – die Frauen hielten ihre Ideen fest wie das Ave Maria. – Dann erzählten die Damen ihrerseits wieder von den Wundern Roms, von der Illumination der Peterskirche und dem großen Feuerwerk, welches man die Girandola heißt; vom Oktoberfest, wo bei Fackeln getanzt wird und Musik und Jubel in allen Weingärten sei, vor allem aber von dem himmlischen Karneval, vom Pferderennen ohne Reiter auf dem Korso, und den bunten Masken und dem Bombardieren mit Gipskörnern. Wenn sie auf dies Kapitel zu sprechen kamen, so war eben so wenig an ein Aufhören zu denken, als wenn der Meister von seinen seligen kaiserlichen Vorfahren oder der Signore Vicente von gräulichen Höllenstrafen erzählten. Die korpulente Mama war bei der letzten Fastnacht als Abbate verkleidet gassaten gegangen – welches ich der Kuriosität halber wohl hätte sehen mögen – Annunziata aber als ein schmuckes Chasseur-Offizierchen, mit großen goldnen Epauletts und Federhut und Sporen.

Mit meiner Amour ging mir's übrigens ganz kurios. Wie pfiffig ich's auch anstellen mochte, so glückte es mir doch niemals, der Kleinen ein unbelauschtes Wort zuflüstern zu können. An der kolossalen Mama war das Auge das einzige bewegliche geblieben, und das hatte sie allerwegen. Traf sich's auch einmal so gut, daß die Alte just mit dem sogenannten Hausfreunde, dem Abbate, diskutierte, und ich ansetzte, um die Felsenlast meiner Liebeserklärung von meinem Herzen abzuwälzen, so wutschte, noch eh' ich mit dem Einleitungs-Räuspern aufs reine gekommen war, Annunziatchen hinter den Lehnstuhl ihrer Mutter wie hinter einen riesengroßen Wollsack, und von dem prallten alle meine Sehnsuchtsseufzer ab. Das machte mich nun oft recht bitterverdrießlich, und dann sah mich die kleine Hexe über die Schulterwehr der mütterlicher Bastion so lieb und bittend und doch so schelmisch und winkend aus ihren dunkeln schimmernden Äuglein an, so daß ich vor Entzücken und Verliebtheit hätte unsinnig werden mögen.

In unserem Hause wohnte ein Maler, ein Landsmann von mir, dessen wirklichen Namen ich aber nicht kannte. In Rom taufen sie einen Jeden um und hängen ihm einen Spitz- oder Spitzbuben-Namen, bei dem sie ihn rufen, an. Sich die ordentlichen Namen der Fremden zu merken, dazu ist das Volk viel zu faul. Und so wie sie mich Romeo nannten, so hieß der Maler Barbarossa von dem langen, roten Schnurr- und Knebelbart, der ihm bis über den Adamsapfel herunterhing. Aber nicht allein sein Bart war von auffallend Tornister-blonder Kuleur, auch das ganze Lockensystem war so schreiend hell im Feuer vergoldet, daß die Kalekulschen Hähne überall, wo er sich nur sehen ließ, rebellisch wurden und zu kaudern anfingen. Nachdem ich etzlichemale in Amtsgeschäften mit ihm in Berührung gekommen war und diverse Reparaturen an seinem Kostüm vorgenommen, begann sich eine Art von amikablem Verhältnis zwischen uns beiden zu gestalten. Seine Malerwerkstatt lag hoch oben im Hause und nur fünf Schritte von meiner Bodenkammer. So erdreistete ich mich denn aus nachbarlichen und landsmannschaftlichen Motiven, ihm meine Visite zu machen, und fand an ihm, trotz seiner roten Haare, ein liebenswürdiges Bruchstück von Menschheit. Peu á peu wurden wir immer bekannter, und er erlaubte mir auch wohl, dann und wann ihn, wenn im Hause außer uns beiden noch Alles schlief, zu besuchen, bei seiner Malerei zuzusehn – und er malte eine süperbe Naht – ihm einige Witze vorzumachen und auch wohl gar mein Thonpfeifchen in seiner Gesellschaft zu schmauchen. Das letztere war ein wahres Labsal für unser einen. Sonst durfte ich's im ganzen weiten Hause, der feinen Nerven der beiden Damen halber, nirgends riskieren, denn sie verabscheuten die Pfeife beinahe noch ärger als Blumen und Riechwasser. Es war überhaupt die verkehrte Welt, daß jeder Lump auf der Straße so viel qualmen durfte als er mochte – in den Kaffeehäusern und Schenken aber katzab. »Qui non si fuma«, zu Deutsch: »Hier darf nicht geraucht werden« stand groß und breit in den saloppsten Kellerlöchern an der Wand – und die Pfeife ist und bleibt doch einmal das halbe Leben für denjenigen, welcher die noble Kunst zu rauchen praktiziert, und vollends für ein Berlinisch Kind. Da habe ich denn mit Herrn Barbarossa ganz vergnügliche Stunden verbracht und ihn oftmals, wenn ich ihm von meinen Berliner Suiten und der Reise nach Rom mit dem melancholischen Partikulier erzählte, dermaßen zum Lachen gebracht, daß er Pinsel und Malerstock von sich warf und wie toll in der weiten Stube herumsprang, so daß er mit seinen brennend-roten Haaren ordentlich wie ein zischender Schwärmer anzusehen war.

Schon von Kindesbeinen an hatte ich mir sagen lassen, wie Rom eine große Kunst- und Raritätenkammer sei, und wie man dorthin ziehen müsse, um sich zum Kenner zu perfektionieren, wobei denn auch solche Namen wie Michael und Raphael, Caracci und Caravaggio und noch eine Menge andrer auf ini und one genannt wurden. Nun war ich schon vier Wochen in Rom, ohne etwas von den Schildereien der Herren ini und one gesehen oder mich sonst zum Kunstkenner formiert zu haben. Ich ging den Herrn Barbarossa mit der Bitte an, mir doch bei meiner ästhetischen Ausbildung dienstwillig unter die Arme greifen zu wollen und mir nur im allgemeinen anzudeuten: wie man den Ochsen beim Schwanze, statt bei den Hörnern zu packen habe. – Er schüttelte brummisch den Kopf und fragte mich: ob ich denn nicht das gute alte Sprichwort: »Schuster bleib' bei deinem Leisten« kenne? – Das ärgerte mich: »Wie Ihnen gar wohl bekannt, verehrter Herr Landsmann und Maler, bin ich fürs erste keinesweges ein Schuster, wohl aber ein angehender Gewand-Verfertigungs-Künstler. Pro secundo aber leben wir in dem Zeitalter der Emanzipation, wo alle Barrieren und Vorurteile über den Haufen gerannt werden und die Kunstkennerei nicht mehr von einigen wenigen Privilegierten und Patentierten und Pensionierten in Erbpacht genommen werden darf, sondern wo ein Jeder über dergleichen Narrenspossen spricht, wie ihm das Maul gewachsen. Das bedenken Sie, wenn ich bitten darf. Befleißigen Sie sich mir gegenüber zeitgemäßer, freisinniger Gesinnungen und zeigen Sie sich gefälligst als einen Mann der Zukunft und der Bewegung.« – Der Rotbart lachte laut auf, gab mir aber doch vollkommen recht und zugleich ein dickes Buch in die Hand, mit dem Bedeuten: ich solle mir nur ein halbes Dutzend Maler-Namen und Kunstausdrücke memorieren – für das andere werde er schon Sorge tragen.

Nach einigen Tagen examinierte er mich und hieß mich ihm folgen. Wir stiegen auf das Kapitol und auf ein paar finstern in üblem Geruch stehenden Treppen in den Bildersaal. So viel mußte ich bekennen, daß die Goldrahmen nicht halb so brillant als die im Berliner Museum waren, wie denn auch unser Katalog noch dreimal dicker ist. Nachdem ich einigemal den Saal auf und ab spaziert war, kam der Rotbart mit einem Schwarme junger Männer, die er mir als lauter Künstler vorstellte, zurück und nannte mich ihnen als einen vornehmen Herrn und Gelehrten (vor Schreck überhörte ich meinen eignen Namen), der auf Kosten, ich weiß nicht welcher Regierung, reise, um Ankäufe für Schlösser und Gallerien zu machen, auch wohl gar Bestellungen bei lebenden Künstlern machen werde, vorausgesetzt, sie leisteten das überaus Vortrefflichste. Die Herren machten im Kreise sehr tiefe Komplimente und ich in meiner Herzensangst noch weit tiefere, dann aber schrieen Alle miteinander auf mich ein und beschwuren mich, ihre Ateliers zu besuchen, drückten mir ihre Visitenkarten in die Hand und erkundigten sich nach meiner Wohnung und der Stunde, wo sie mir die Aufwartung machen dürften. Herr Barbarossa schnitt aber mit der Erklärung: »ich wünsche in diesem Augenblick nicht belästigt zu werden und mich ungeteilt dem Genuß der Kunstwerke hinzugeben,« kurz ab, und so summten denn auch die Komplimente nach und nach aus, und der große Schweif von Malern schlängelte hinterher, um meine Aussprüche über die ausgestellten Bilder aufzuschnappen. Ich schwitzte große Tropfen in meiner Haut; als ich aber die vielen devoten Gesichter um mich her sah, da meinte ich, sie verständen wohl noch weniger als ich davon, fing an, mir ein Herz zu fassen und schwadronierte allerhand von Helldunkel und Kolorit, von Manier und Naivetät, Effekt, Reflex, Gruppierung und Motiven und Idealisierung, so daß ich ordentlich selber anfing, vor meinem Wissen Respekt zu bekommen. Es war nicht anders, als redete ein Teufel aus meinem Munde. Die jungen Herren unterbrachen meine Vorlesung mit keinem Muck, zogen die Augenbrauen nachdenklich in die Höhe, nickten mit den Köpfen, strichen sich die Schnauzbärte und Etliche notierten meine Bemerkungen ganz verstohlen in ihre Schreibtafeln. So zog ich mich noch gloriös genug aus der Affaire, schoß aber doch, so bald als ich konnte, die Treppe mit drei Sätzen hinab und rannte spornstreichs nach Hause. Dergestalt hatte es mit meiner Kunstkennerschaft ein Ende, denn von nun an traute ich mich nirgends mehr dorthin, wo nur ein Farbenklecks zu spüren war. Der Rotbart wollte sich aber am folgenden Morgen, als ich ihn zur Rede stellte, halb tot lachen, meinte: ich solle kein Narr sein, ich hätte ja wie ein Buch gesprochen. Übrigens sei es absolut unmöglich, daß Einer, der im Auftrage einer Regierung reise und Bestellungen mache, sich blamieren könne. Die Künstler hatten ihn nach meinem Verschwinden mit Bitten um Verwendung zu ihren Gunsten halb erdrückt. Wie er sich aus der Patsche gezogen, blieb mir unbekannt, und ich vergaß im Laufe der Ereignisse, ihn darum zu befragen.

Als ich wiederum einstmals mein Morgenstündchen in seinem Atelier verbrachte, bekam ich ein halbfertiges Bild zu Gesicht, auf welchem eine Menge nackter Frauenspersonen im Bade saßen, und aus dem Hintergründe ein Mannsbild mit zwei formidabeln Hirschhörnern, wie Zieten aus dem Busch, hervorkam. Wie ich den Hahnrei zu sehen kriegte, schrie ich überlaut: »I Potz Fledermäuschen!

Ist das nicht der Meister Momolo?« – Herr Barbarossa zwinkerte mit dem Munde und fragte mich, ob ich nicht noch mehr bekannte Figuren herausfinde? Ich beguckte mir eine Jungfer nach der andern. »Herr Jesus, da sitzt ja auch« – weiter mochte ich nicht reden, denn ich sah meine herzallerliebste Annunziata im allernegligeantesten Negligé mit im Bade sitzen, und wurde darüber so rot wie Zeichen-Garn. – »Nun, Romeo, was ficht Dich an?« – »Haben Sie denn«, fragte ich stotternd, »die Mamsell da in diesem natürlichen Kostüm zu sehen bekommen?« – »Dummes Zeug«, lachte der Maler, »ich nahm ihr Schelmengesicht zu einer meiner Nymphen, wozu es sich auch vorzüglich qualifiziert.« – »Nein, sagen Sie mir als ehrlicher Landsmann und auf Maler-Parole, haben Sie – ist das Alles – ist bis auch die reine Wahrheit?« – »Ich glaube gar, Romeo, Du bist eifersüchtig auf mich? Höre Du, mit Dir ist's nicht richtig. Liebst Du das Mädchen? Liebt sie Dich? Wie? Heraus mit der Sprache. Ich warne Dich, mein trauter Herr Landsmann, Dich nicht zu verplempern und in dumme Liebesaventüren einzulassen. So Etwas wird hier verzweifelt ernsthaft genommen. Da könntest Du leicht zu einer Frau kommen, wie Jener zur Ohrfeige.« – »Ach Gott, das ist ja eben meine Intention«, seufzte ich ganz kläglich, – »So, so, so. Nun das ist eine andre Sache. Doch nun erzähle mir offen und ohne Scheu: Wie stehst Du mit ihr, wie mit der Alten, mit dem Abbate? Ich kenne das Terrain.«

Weil ich doch nun einmal a gesagt, so sagte ich auch b, und so das ganze Alphabet durch, von dem ersten Tag an bis auf den gestrigen, und verschwieg ihm weder die Händel mit dem Andrea, noch die Morgenpredigten des Abbate mit der blauen Brille. Anfänglich lachte der Maler noch inwendig, wie ich aus den krausen gekniffnen Mundwinkeln ersah, bald aber wurde er immer nachdenklicher und ernsthafter und machte zuletzt ein so griesgrämiges Gesicht, daß mir angst und bange wurde. »Also darauf ist es abgesehen?« brummte er vor sich hin, als ich mit meiner Beichte fertig war. »Ich verstehe, ich verstehe. Höre. Romeo, traust Du mir zu, daß ich's gut und ehrlich mit Dir meine?« – »I du mein Gott, was sollte ich denn nicht, mein bester Herr Barbarossa, aber nennen Sie mich nur nicht immer Du; das schickt sich gar nicht ohne vorhergegangnes Smollis.« – Der Rotbart schien meinen Stich nicht zu fühlen, sondern fuhr ganz seriös fort: Mein verehrter Herr Landsmann, Du spielst ein hohes Spiel. Annunziata's Hand ist der Köder, mit dem sie Dich angeln, und Du kannst es kaum erwarten, anzubeißen. Aber ahnst Du auch den verborgnen Hamen? Junge, laß Dich nicht vom Teufel blenden, das rate ich Dir. Das Mädel kriegst Du, aber Deinen Glauben, die Religion Deiner Väter mußt Du verleugnen.« – Ich stand wie vom Donner gerührt. »Mensch«, fuhr der Maler mich an, »mach' kein solch Schafs-Gesicht, sonst muß ich lachen und will ernsthaft bleiben – ei, das mag auch der Henker!« und er schlug eine knatternde Lache auf. »Aber kehre Dich nicht daran, Junge. Was ich Dir sage, ist verteufelt ersthaft und, so wahr ich ein ehrlicher Kerl bin, nicht aus der Luft gegriffen. Jetzt aber packe Dich, Vielgeliebter. Bei dem Geplauder trocknen mir die Farben noch ein. Sei kein Esel! Denk an meinen treugemeinten Rat, zieh' den Kopf aus der Schlinge und laß mich jetzt ins Teufels Namen ungeschoren.«

Das wäre ja eine ganz horrible Konspiration, wenn dem wirklich so wäre. Aber was hätte denn der Maler davon, mir diesen faustdicken Floh ins Ohr zu setzen? Und die geistlichen Unterredungen mit dem Abbate – ja ja, es ist nicht ohne. – Dies waren ungefähr meine Gedanken, als ich langsam und träumerisch die Treppe, Stufe für Stufe, hinabkletterte, und mich melancholisch, wie eine gehängte Drossel, auf den Arbeitsschemel setzte. Des Morgens ging ich weder zum Abbate, noch des Nachmittags durch die Glasthür, büffelte drauf los und sah nicht von der Arbeit auf. Sobald aber die Feierstunde schlug, zog ich auf den Monte Pincio, setzte mich einsamlich in einen Winkel des Kaffeehauses und trank mit recht betrübtem Herzen mein Fläschchen Orvieto. Denn einen Trost muß doch der Mensch in seinem Elend haben. Den nächsten Tag trieb ich's nicht anders und kehrte mich weder an das Gebrumme des Meisters, noch an das Äugeln der Tochter. »Glauben verleugnen!« Die beiden fatalen Worte summten mir unaufhörlich, wie ein paar Brummfliegen, vor den Ohren.

Den 20. Juni.

Der Mensch denkt und Gott lenkt. Hängen und Freien sind beides Schickungen. Vorgethan und nachbedacht, hat Manchen schon ins Pech gebracht. Wer's Glück hat, führt die Braut heim, und wer Unglück hat, bricht den Finger in der Westentasche. Dies sind Alles unläugbare Wahrheiten, welche zum Teil hierher passen, zum Teil auch wieder nicht. Doch hier hilft kein Mundspitzen, gepfiffen muß werden.

Ich war in meinem Tagebuche bei dem Kapitel von den beiden Brummfliegen stehen geblieben. Zwei Tage lang spielte ich die Rolle von Menschenhaß ohne Reue so schön, daß ich mich selber hätte herausrufen mögen. Am dritten Tage steckt, in dem Augenblick, wo ich meinen Strohhut aufstülpe, um abermals nach der Kneipe des Monte Pincio zu ziehen, Annunziata das Köpfchen durch die Glasthüre und wispert: »Romeo, una parola!« – Ich fuhr ordentlich zusammen und wollte anfänglich thun, als ob ich nichts gehört habe – dies wäre aber doch ein Mangel an Galanterie gegen das schöne Geschlecht gewesen, und solchen Flecken läßt ein honnetter Berliner nicht an sich kommen. So wandte ich mich denn um und schlich mit niedergeschlagenen Augen in die Stube zurück. Annunziata sprach kein Wort – ich erst recht nicht, sondern guckte stramm auf die im Lehnstuhl schnarchende Katze. »Das wird eine erbauliche Konversation abgeben,« dachte ich in meinem Sinn, und wünschte mich inbrünstig nach den Regionen, wo der Pfeffer gedeiht. Nach einer Viertelmeilenlaugen Pause hob meine Ex-Liebste so sanft wie ein abgerichteter Kanarienvogel abermals: »Romeo!« an zu flöten. Ich blickte auf und – wahrhaftigen Gott! – das arme Kind weinte. Wenn die Frauenzimmer nur das vermaledeite Weinen lassen wollten, so nähm' ich's mit Jeder auf, aber Weiberthränen brennen mir wie siedendes Pech auf der Seele, und wenn Eine – sie brauchte gar nicht einmal so hübsch als vorliegende Annunziata zu sein – mich anginge, vom höchsten Turm hinunter zu springen – auf Ehre – ich setzte wenigstens an.

»Mein Gott, allerverehrteste Signorina, was ist Ihnen denn zugestoßen?« – »Ach!« – »Ach? Ich bitte, ich beschwöre Sie, holdseligster Engel, drücken Sie sich nur ein klein wenig zweisilbiger aus, wenn Sie wollen, daß ein aufrichtiges Deutsches Junggesellen-Gemüt Ihr kummerbelastetes Herz abladen helfe.« – »Romeo,« flüsterte sie leise und schluchzend, »das habe ich nicht um Euch verdient. Geht, geht, auch Ihr seid falsch, falsch wie alle Männer.« – »Fräulein,« erwiderte ich mit hohem, feierlichen Ernst, »wenn ich falsch bin. so will ich den Ehrlichen nicht sehen. Aber in meinem ganzen Leichnam ist auch kein Zwirnsfaden von einer falschen Ader. Da verkennen Sie mich ganz und gar, und thun mir außerdem noch ein mehr als gewaltthätiges Unrecht.« – Sie blickte mich mit ihren großen seelenvollen zwei beiden Augen an, so rührend, so schmachtend – ich ergriff ihre Hand – die zog sie aber hastig zurück und wisperte: »Nein, nicht hier. Hier sind wir nicht sicher – die Mutter, der Abbate – heute in der dritten Stunde auf meinem Zimmer« – – – fort war sie.

Mir war's, als läg' ich im Traum, und ich huschte mich ein weniges bei den Haaren, um gelegentlich aufzuwachen. Dies gelang aber nicht, sintemal ich wirklich wachte, und in leibhaftiger Person vor dem Großvaterstuhl der Padrona, in welchem statt der Herrin die Katze spann, stand und mit diesen meinen sehenden Augen erblickt hatte, wie Annunziata Thränen der alleraufrichtigsten Liebe um mich geweint, und mit meinem höchsteigenen Paar Ohren vernommen, daß mein angebeteter Engel mich zu einem Rendezvous auf ihr Zimmer bestellt, und zwar um die dritte Stunde, was so ziemlich auf Mitternacht hinauslaufen würde.

»Romberger,« rief ich selig aus, »Du bist doch ein ganzes Kerlchen! Wohin Du kommst, tragen Dich die Frauen auf Händen. Vivat, es lebe Rom und die Römerinnen! Vivat, es lebe die edle Schneiderprofession! Vivat, es lebe des alten Romberger sein einziger Sohn! Vivat, es lebe die ganze Welt und was noch sonst dazu gehört!« Und so jubelte und juchheite und sang ich durch alle Straßen, so daß die Vorübergehenden mir lange nachsahen, die Achseln zuckten und: »E un ubbriacone!« vor sich hinmurmelten. »Ja, zuckt Ihr nur die Achsel,« dachte ich, »rümpft Euere Wälschen Nasenflügel so hoch, als Ihr wollt. Berauscht bin ich, das hat seine Richtigkeit, aber nicht von Euerm miserablen Drei-Männer-Wein – von Glück bin ich's, von Liebesglück. Versteht Ihr das, Ihr Maulaffen?« – So wahr ist das Wort, daß die Liebe den Weisen zum Narren machen kann, denn ich war wirklich für den Augenblick nicht viel besser, als ein sothaner.

Springend und hüpfend stolperte ich über einen blinden Bettler, der quer über's Trottoir lag und ein Zetermordio anhob, schenkte ihm vor lauter Fidelität einen blanken Paoli. rannte um die Ecke und prallte an einen Herrn an: »I sieh da, mein allergroßmächtigster Prinz und Herr! Wie geht's? Wie befinden Sich Ew. Liebden?« Es war mein alter verdrießlicher Rentier, der gerade mit fest verhaltener Nase einen Schmutzwinkel unterhalb des Kapitols, ein Stück Felsen, von dem der Sage nach einmal ein Mensch gefallen und sich das Bein gebrochen haben soll, in Augenschein nahm. Der Schnurrbart that, als ob er mich nicht kenne und wandte sich vornehm ab. Heute konnte ich ihm aber nicht gram sein, ich war gar zu seelenskontent, darum warf ich ihm noch eine schöne Kußhand zu und rannte in eine dicht an der Fontana di Trevi belegene Osterie, die sie die Katakomben heißen. Eine Foglietta trank ich aus – der Kameriere behauptete, es seien drei gewesen – es ist auch möglich, ich weiß von nichts, als daß mir die Zeit bis zur dritten Stunde der Nacht zum mindesten anderthalb Ewigkeiten währte. Der Mensch kann aber viel ertragen, eh' es ihm ans Leben geht, und so überstand ich denn auch glücklich die verwünschten Zwischenstunden.

Mir zitterten die Kniee, als ich von meiner Bodenkammer hinunter schlich. Sollte es dem Mädchen etwa wieder leid geworden sein, oder Teufel und dessen Großmutter ihre Hände ins Spiel mischen wollen? Nichts von allem dem. Ich klinkte leise, leise – die Thür ging auf. Mein angebetetes Mädchen saß, den Rücken gegen die Thür gewandt, das Köpfchen auf den Arm gestützt, und las im Gebetbuche – aber das Bildnis der Madonna über ihrem Bett war nichts desto weniger mit einem Umschlagetuch verhangen. Sehr vernünftig, denn bei unsern Erläuterungen war jeder Dritte vom Übel. Annunziatchen las und las, ohne sich zu rühren. Ein kleines Weilchen bewunderte ich ihre Andacht, bekam's aber bald satt, und enthusiastisch von Prinzipien, wie ich nun einmal bin, stürzte ich mich ihr zu Füßen und ergriff eines der allerliebsten feinen Händchen. Bei meinem überraschenden Fußfall quietschte die Signorina ein wenig auf, aber nur ganz sacht, und wollte sich losmachen – ich hielt sie aber fest und beschwor sie in den rührendsten Brusttönen sich das Präsent eines heftig verliebten Herzens holdseligst gefallen zu lassen. »Annunziata,« setzte ich hinzu, »auf Ihr Geheiß habe ich den schwarzen Schleier der Nacht gelüftet. Jetzt ist der große Augenblick erschienen, wo Sie über das Glück oder das Unglück einer Menschenseele, über Sterblichkeit und Unsterblichkeit gebieten dürfen. Ein Hauch von Ihren Lippen – und ich bin ein Halbgott. Vernehmen Sie mit gütigem Ohre alle die Redensarten, welche bei dergleichen Gelegenheiten in Anwendung gebracht zu werden pflegen, und reichen Sie mir die Hand zum ewigen Bunde der Seelen und körperlichen Hüllen.« – Die Geliebte blickte seitwärts, seufzte, sagte nicht Pap – – da flog die Thür auf und der Padrone mit der Padrona und dem Abbate Vicente stürzten in leidenschaftlichster Gemütsbewegung ins Zimmer.

»Also hier finde ich ihn, den verruchten Ehrenräuber!« kreischte Momolo und sprang an mir in die Höhe, um mich bei der Brust zu fassen. »Dies ist der Dank,« heulte die Madam, »für das zärtliche Wohlwollen, für die Liebe, welche ich an Dich Ungeheuer verschwendete? Ehrloser Verführer. Rache fordert das, blutige Rache« – die Stimme schnappte ihr über, und: »Rache, blutige Rache!« bellte Momolinetto nach, indem er von neuem einen Anlauf nahm. Der Abbate packte den rabiaten Papa beim Rockschoß, hieß mich in der Geschwindigkeit einen gottlosen Frevler, den die himmlische Rache ereilen werde, führte dann, das wutschnaubende Meisterlein fortwährend an der Jacke haltend, die halb ohnmächtige Padrona in einen Sessel, und stimmte hierauf mit dem erbosten Elternpaar in Kompagnie das Trio von verletztem Gastrecht, gekränkter Familien-Ehre, verführter Unschuld und fürchterlicher Ahndung an. Ich stand da, wie der dumme Junge von Meißen – Annunziata hielt sich die Tändelschürze vors Gesicht und schluchzte, oder that doch wenigstens so. Endlich wurde mir das verwünschte Gekeife und Geschimpfe zu toll und ich schrie patzig: hier sei weder von Unschuld, noch von Ehre, noch von sonstigen Räubereien die Rede. Vor zwei Sekunden erst auf expressen Befehl der Signorina gekommen, habe ich ihr noch nicht einmal die Fingerspitzen geküßt; und wenn das nicht wahr sei, so wolle ich in alle Ewigkeiten verdammt sein. – »Das seid Ihr ohnehin!« donnerte der Schwarze mit giftig-funkelnder blauer Brille. Der Meister rief die Geister seiner seligen Kaiserahnen zu Zeugen für die ihm widerfahrne Beleidigung, die Padrona aber schrie mir durch die Thränen zu: Ob ich auf den Knieen Vergebung erflehn, ob ich die himmelschreiende Sünde bereuen und gut machen wolle. – »Ach, was Sünde, was Vergebung. Ich bin so unschuldig wie ein totgeborenes Kind, am Ende noch der einzige Unschuldige in der ganzen Gesellschaft, und nun lassen Sie mich ungehudelt meiner Wege gehn. Ich hab's satt, daß Sie's nur wissen. – »Ha, Barbar! Ist das Deine Meinung? Dein Wolfesherz wendet sich also nicht zur Reue? Du verschmähst den Weg der Milde, des Erbarmens? Signore Girolamo Bacci, so thut denn jetzt, was gekränkte Vater-Ehre Euch gebietet.«

Der Meister riß bei diesen Worten seiner dickbesagten Frau Gemahlin die Thür auf, und herein trat ein dürftiges gelbbraunes Männlein mit einer hypochondrisch geschlängelten hohen Schulter, schwarz vom Wirbel bis auf die Zehe gekleidet. An der Schwelle standen aber noch zwei schnurrbärtige Gendarmen mit Säbel, Tasche und Gewehr und recht glupsch in die Stirne gedrückten dreieckigen Hüten. »Herr Sekretär del Buon-Governo,« wütete die Mama, »eine rechtliche Römische Familie« – »eine alt-Römische«, schob Momolo ein, – »welche von einem fremden Landstreicher auf die grausenerregendste Art an ihrer Ehre gekränkt worden ist, ruft den Beistand der Gesetze an. Die einzige Tochter – eine Taube an Unschuld – sie glich mir – unter meinen Augen aufgeblüht – verführt – entehrt – o heilige Madonna! rettungslos entehrt! Rache! Rache! Fluch über das kalte nordische Ungeheuer! Rache! – Von neuem wagte ich einige schüchterne Versuche, um meine ordentlich lächerliche Schuldlosigkeit darzuthun – da hätte ich aber eher dem Sturmwind das Maul verbieten können; denn diejenigen, welche nicht hören mögen, das sind gerade die Allertaubsten – und der verdrießlich gekrümmte Herr Sekretär des sehr guten Gouvernements näselte: »Im Namen einer hohen Regierung! Stille! Der Paragraph 17 unsers weisen Gesetzbuches spricht sich in dem Abschnitte von Ehen und Verlöbnissen über vorliegenden verbrecherischen Fall mit einer wunderbaren Klarheit und Präzision aus: Sollte ein Unverehelichter eine Unverehelichte unter Vorspiegelung der Ehe verführt haben, welches aus,« – »Aber, Herr Polizeikommissarms,« schrie ich, hier ist ja gar nicht vom Verführen, sondern vom Anführen die Rede, und der Angeführte ist Niemand weiter als ich, ich allein« – »Man schweige: verführt haben, welches aus heimlichen Annäherungen unter Verdacht erweckenden Umständen hervorgeht, so soll Inkulpat die Ehre der Getäuschten durch ein baldmöglichstes Ehebündnis rehabilitieren; weigert er sich dessen, aber durch eine Ausstattung von 300 bis 500 Römischen Scudi, je nach dem Range und Vermögen der Eltern der Getäuschten, seinen Frevel büßen und im Unvermögensfalle mit zehn- bis mehrjähriger Galeerenstrafe. Ich frage Euch demnach, Herr Forestiere, kraft meines Amtes als Sekretär der Regierung und auf Antrag der klagenden Eltern, ob Ihr gesonnen seid, in Erwägung, daß der ansässige römische Bürger und Kleidermacher Girolamo Bacci ein achtbarer, wohlbegüterter Mann ist, der mißleiteten Tochter die Summe von 500 Römischen Scudi gerichtlich anzuweisen« – »Pfeffernüsse« brummte ich – »oder«, fuhr der Sekretär meckernd fort, »für zehn Jahre nach Civitavecchia auf die Galeeren Sr. Heiligkeit zu wandern, im Fall, daß Eure körperlichen Kräfte nicht verwandt werden sollten, zur Ausgrabung der ehrwürdigen Römischen Denkmäler mitzuwirken – oder schließlich, ob Ihr gegenwärtige Signora Annunziata Bacci zu Eurer ehlichen Gemahlin erkiesen und Euch sofort mit ihr verloben wollt?« – »Wohlverstanden,« schob der hagre Pfaff ein, »wenn Damnificat in den Schoß der alleinseligmachenden Kirche zurückkehrt.« – Der schwarzgelbe Gouvernements-Sekretär knurrte: »Signore Forestiere wandeln demnach noch in den Irrgängen der Ketzerei? Scharmant. Für diesen Fall spricht sich der Paragraph 20 des besagten Abschnittes mit einer bewundernswürdigen Klarheit und Präzision folgendermaßen aus: Sollte Verführer hingegen einem andern Glauben, als dem der katholischen Kirche zugethan sein, so kann er unter keiner Bedingung zur Ehe gezwungen werden« – ich atmete frei auf – und soll lediglich die Wahl zwischen der vorschriftsmäßigen Geldbuße und einer geschärften Galeerenstrafe haben.« – Da stand ich wiederum, wie Kasperle zwischen dem Teufel und dem bösen Weibe. – »Man entscheide sich,« quäckte das Polizeimännlein, »und zwar zur Stelle, um im Fall verweigerter Geldpön als Arrestant zu folgen.«

Das war ein furchtbarer Moment in meinem Leben. Ich guckte mir alle Anwesenden nach der Reihe an, ob nicht eine Mildrung der barbarischen Sentenz zu erhoffen – Wut, Zorn, Leidenschaftlichkeit, Haß blitzten mir aus vier Paar Augen entgegen – das Antlitz der angeblich Verführten blieb verhüllt, gleich dem der Madonna. Da kämpfte ich wohl einen harten Kampf. »Wird's?« drängte der Polizei-Schreiber.

Zitternd und zagend begann ich: »Ich würde nicht einen Augenblick anstehn, die gewünschte Summe von 500 Römischen Thalern der Signora als einen Beweis meiner Hochachtung zu offerieren, wenn nicht Rücksichten auf den niedrigen Stand der Papiere – augenblickliche dringende Verlegenheit – angeborene Delikatesse, mich von diesem Schritt zurückhielten. Ebenso würde ich mit Begeisterung die Gelegenheit ergreifen, Sr. Heiligkeit meine rudernden Dienste zu widmen, wofern nicht ein sehr lästiges Übelbefinden, welches mich jederzeit auf dem Wasser befällt – schon auf dem Rummelsburger See machte ich diese traurige Erfahrung – zu dieser ehrenvollen Anstellung mich unfähig machte. Auch bei der Ausgrabung der erhabenen Denkmäler Römischer Größe wirksam zu sein, wäre gar kein unebner Posten, eine recht beneidenswerte Versorgung – nur hege ich die Besorgnis, während jener zehnjährigen Antiken-Forschung in der bereits erworbnen Kunstfertigkeit als Schneider um ein weniges zurückzukommen – demnach entschließe ich mich freiwillig und ungezwungen – Zwang duldete ich bisher noch nimmer – und mit außerordentlich freudigem Herzen und gleichsam jauchzender Denkungsweise: mich um die rechte Hand des vielmals besagten Fräulein Annunziata Bacci – hiermit – feierlichst – zu – bewerb–« – »Gebenedeit sei die Madonna für ihre holdselige Wunderthätigkeit!« schrie die Signora und breitete die Arme zu einer schwiegermütterlichen Umarmung aus. Der Meister sprang rasch auf einen Stuhl, um mich zu umhalsen – der Abbate legte seine Tatze zum Segnen auf mein Toupé und das Duodez-Sekretärchen schnarrte unter verbindlichen Redensarten hinten aus. Aus dem Schwall von Glückwünschen und Umarmungen mich losreißend, wandte ich mich um nach meiner Fräulein Braut, um für all das viele Elend doch wenigstens einen Kuß zu profitieren – sie war aber nirgends zu sehen. »Bräutliche Scham, mein Täubchen,« schmunzele die Mama, »nichts weiter. Ihr könnt ihr diese zartjungfräuliche Flucht nicht verargen – im Gegenteil.« – Ich wollte aber, diese Anfechtungen hätten sich doch eine Stunde früher spüren lassen. Der Sekretär, dieses Semikolon von einem Menschchen, schnarrte mir zu: ich könne nunmehro frei gehen, wohin es mir beliebe; Papa und Mama wünschten mir die felicissima notte und drückten sich; die beiden Gendarmen schüttelten noch eine Sündflut von Heil und Segen mir über den Hals und verlangten ein Trinkgeld für die Nachtwache. – »Ich wollte, Ihr säßet in meiner Haut,« schrie ich sie grimmig an, »oder Ihr brächt zum allermindesten den Hals, Ihr Lumpe. Packt Euch zum Henker!« – Die Schnauzbarte lachten mir recht unverschämt ins Gesicht und polterten säbelklirrend die Treppe hinab.

Da stand ich nun mutterseelenallein im Zimmer meiner Fräulein Braut. Wie ich die Augen aufschlug, fiel mein Blick gerade auf mein Bild im Spiegel. Das hatte eine famose Ähnlichkeit mit dem geweihten Portrait des Meisters Bacci, an dem der Rotbart just pinselte. Ich warf aus Bosheit den Leuchter nach der widerwärtigen Fratze im Glase, stolperte in meine Bodenkammer zurück und verwachte eine recht liebenswürdige Nacht.

Am folgenden Morgen saß ich maulfaul vor der Werkstatt – meine Braut schlief noch nach der gestrigen aufregenden Szene. Meine Herren Kollegen und die Lehrburschen gratulierten mir nach der Reihe, nachdem der Meister mich ihnen als seinen dereinstigen Eidam präsentierte, und bohrten mir hinter dem Rücken einen Esel. Der Andrea war schon seit zwei Tagen nicht mehr zur Arbeit gekommen. Da stieg der Maler mit seinem Zeichenbuch unter dem Arm die Treppe herunter, streifte an mir, der ich die Augen recht blöde niederschlug, vorüber und nannte mich laut und vernehmlich »einen Pinsel.« »Na, hören Sie mal,« rief ich ihm nach, »zwischen einem Maler und einem Pinsel existiert denn doch meines Wissens auch noch eine gewisse Verwandtschaft!« Er aber pfiff sich laut und lustig ein Liedchen und zog seiner Wege. Ich wurde immer verdrießlicher, setzte zuletzt den Hut auf und schlenderte recht trotzig nach meinem Kaffeehause. Ein zukünftiger Schwiegersohn mußte doch Etwas vor den andern Gesellen voraus haben. Im Café kommandierte ich, um mir ein Air zu geben, die Französische Zeitung und zählte die Linien einmal herunter und dann einmal wieder herauf, bis wohl eine hinlängliche Zeit verstrichen sein mochte, daß die Leute glauben konnten, ich verstände das Blatt. Das langweilte mich aber auch gar bald, und ich rannte weiter zum Abbate Vicente, um doch in meiner Verlassenheit einen Menschen zu haben, mit dem ich ein vernünftig Wort reden konnte. Den traf ich auch richtig zu Hause. Ich mußte eine langgeschwänzte Predigt mit anhören, über das enorme Glück, welches ich mache, wie ich auf den Knieen der Vorsehung zu danken habe, daß ich in eine so honorable Familie treten dürfe, was meine Braut für eine fromme, strenggläubige Jungfrau sei, und die Mutter eine der respektabelsten Frauen im ganzen Viertel; wie ich für die unsäglichen Wohlthaten mich erkenntlich zu beweisen habe, von nun an mich seiner Leitung blindlings vertrauen müsse, und meinen Irrtümern baldmöglichst entsagen. Vor lauter Bekehrungs-Eifer vergaß der Priester die Deputat-Flasche mit dem Biskuit, und da empfahl ich mich denn zeitig genug.

Zu Hause waren die Damen denn endlich sichtbar geworden. Annunziata stand schamhaft und verlegen hinter dem Lehnstuhl der Mutter, war aber wo möglich noch schöner anzusehen, als sonst. Über aller der Holdseligkeit vergaß ich dann meinen Verdruß und Kummer, und trat ihr mit einem galanten, liebeatmenden Kompliment entgegen, wobei ich sie zu gleicher Zeit bat, mir den von gestern her schuldigen Verlobungskuß gestatten zu wollen. Sie schüttelte über und über rot das Köpfchen. Ich berief mich auf meine hypothekarischen Rechte als feierlich versprochener Bräutigam – und sie schüttelte abermals. Die Mama war nun desto spendabler und küßte mich als Bevollmächtigte. Um sich mir jedoch als zukünftige Schwiegermutter gefällig zu beweisen, so gestattete sie, daß ich mit Annunziaten allein ausgehen und ihr allerlei Galanteriewaren kaufen dürfe. Da war meine Braut auch gleich bei der Hand, hing sich an meinen Arm und zog mich fröhlich und guter Dinge nach der Goldschmiedstraße. Vor jeder Bude blieb das liebe natürliche Kind stehen und jauchzte vor Entzücken über die flimmernden goldnen Ketten und Ringe und Mosaiken und Ohrgehänge, die hier feil geboten wurden. Ich machte mich denn auch nobel und kaufte ihr so lange, als mein Geld vorhielt. Als es zu Rande war, kehrten wir heim. Meine Braut war ganz erstaunlich liebenswürdig und äußerte unter andern; wir würden ein sehr glückliches Paar abgeben, wenn ich nur jederzeit ihren Rat befolge; sie besäße ein eminentes Talent in Erteilung von Ratschlägen. Zu Hause bekam ich denn für meine 15 Scudi und 3 Paoli einen sehr anmutigen Kuß – ich wußte aber nicht, wie ich nunmehr zum zweiten gelangen sollte, denn in meiner Tasche war alles wüst und leer. Nach Tische fuhren wir in der Villa Borghese auf und ab spazieren. Annunziata war übler Laune – weshalb, weiß ich nicht; ich war's auch, obschon ich wußte, wo mich der Schuh drücke: kam's mir doch immer mehr vor, als habe ich mich versprochen, als ich Ja statt Nein sagte. Es ist schon ein eigen Ding mit dem Versprechen.

Den 2. August.

Wenn ich behauptete, zwischen mir und Bonaparte oder Karl X., oder sonst einem großen regierenden Herrn, der durch Schicksalstücke ins Dekrement geraten, existiere eine auffallende Ähnlichkeit, so klänge das wohl nun für den ersten Augenblick hochmütig und renommistisch, wäre aber doch nichts desto weniger der strengsten Wahrheit gemäß. Das menschliche Leben spielt oft bunt und wunderlich, und kommt mir jederzeit wie der »Beobachter an der Spree« vor: zu Anfang stehen lustige Geschichten, um sich krank zu lachen, nachher folgen allerhand schwer zu knackende Rätsel-Nüsse, nochmals kommen die unglücklichen Begebenheiten, wieviel sich in der Hasenhaide erhängt haben oder vom Gerüst fielen, und zuletzt die Todesfälle. Ich bin aber jetzt aus dem Kapitel der Rätsel in das der unglücklichen Begebenheiten geraten.

Was ich Alles in den früheren Blättern meines Tagebuches aufgeschrieben habe, kann ich mich nicht mehr so recht genau erinnern – ich habe sie nicht bei der Hand, und im Kopfe drehn sich die Gedanken so wild und konfus, wie die Nummern im großen Lotterie-Rade, durcheinander. Ich bin aber auch noch sehr schwach, und, wie man zu sagen pflegt, total auf den Hund. Das Eine weiß ich nur noch, daß ich, seit vierundzwanzig Stunden glücklicher Bräutigam und Empfänger eines Kusses, am Abend einsam und allein mein schwer bedrücktes Herz spazieren führte. Ich schlenderte, ohne recht zu wissen, wohin ich wolle, durch die Gassen, und stand, eh' ich mich's versah, auf dem Campo vaccino unter einem alten Römischen Schlosse oder Tempel, der aber ganz verfallen ist und in jetziger Zeit nur zum Durchgang benutzt wird. Dort hatte sich eine Menge schäbiges Gesindel versammelt und spielte zu zwei und zweien, unter wütigem Geschrei und mit ausgestreckten Fingern, ihr kauderwelsches Moraspiel, aus dem kein vernünftiger Mensch klug werden kann. Ich schaute eine Weile dem besessnen Hantieren der zerlumpten Kerle zu und amüsierte mich an ihren Gesichterschneidereien. Die Sonne ging mittlerweile unter; von den Kirchtürmen läuteten sie den Feierabend ein und das Gesindel lief nach und nach auseinander – da bekomme ich mit einemmale von hinten einen Stoß, wie mit der geballten Faust. Ich sehe mich nach dem Grobian um, und kann nur noch einen Kerl, der mit einem Satz durch den Durchgang springt und mir in der Dämmerung ganz wie der Andrea von Spoleto vorkommt, erkennen. »Na, was soll denn das heißen, dies Gestoße?« fragte ich noch und will mir den Rücken reiben – da fühl' ich's ganz naß, ganz heiß in der Hand – Herr Gott von Mannheim! es ist das helle klare rosenrote Blut, und da schlage ich denn vor Schrecken der Länge lang hin, und höre noch, wie der Pöbel: E ammazzato! – Der ist maustot geschlagen! schreit, aber nachher auch weiter nichts mehr.

Ich erwachte – es mochte wohl um Mitternacht sein – und sah mich in einem langen, finstern, mir ganz wildfremdem Saale, an dessen Decke eine schläfrige Lampe brannte. Wohin ich die Augen wandte, stand Bett an Bett, und aus den langen Leinwanddecken haspelten sich kreideweiße Figuren mit entsetzlich-schwarzen Augen hervor, heulten und ächzten und wimmerten – ich vermeinte im Grabe oder im Fegefeuer oder Gott weiß wo sonst zu sein, und wollte aufschreien – es war mir aber just, als wäre mir das Zäpfchen umgefallen. Ich konnte keinen Laut hervorbringen und fiel wieder in Ohnmacht zurück – das allergescheiteste, was sich unter so bewandten Umständen thun ließ.

Als ich am folgenden Morgen die Augen aufschlug, hielt ein schwarz und weiß montierter Mönch meinen Puls und rollte eine solche Menge Runzeln auf seiner Stirn zusammen, daß diese ordentlich das Aussehen eines Sturzackers bekam. Ich seufzte kläglich: ob er mir nicht von ungefähr sagen könne, was denn eigentlich mit mir vorgegangen sei und wo ich mich befände? Der Priester schnarchte mich aber brutal genug an und vermeinte: ich solle das Maul halten. Hierauf drehten sie mich um meine Achse, nahmen die Bandagen ab, fuhren mir, ohne sich nur im allermindesten an mein Geschrei zu kehren, mit spitzigen Instrumenten, dort, wo mir die Haut mittelst des widernatürlichen Messerstoßes wie eine Naht getrennt worden war, im Leibe herum, paßten dann einen neuen Fleck auf das Loch und legten mich wieder beiseite. Der schwarzweiße Pfaffe warf mir im Abgehn noch über die Achsel die Notiz zu: Hier läge ich im Ospedale di San Spirito, und solle mein Glück preisen, daß ich's so getroffen. – Dasselbe hatte mir auch der Pater Vicente gesagt. Was doch die Leute für wundersame Ansichten von Glück haben! Aber ach, mein Fräulein Braut! Was wird die für Thränen vergießen, wenn die erschütternde Kunde hon dieser blutigen Schicksalstragödie auf ihr zartes Nervensystem einstürmt. Als nach einigen höllenlangen Stunden der geistliche Doktor wiederum an mein Lager trat, bat ich ihn so recht inständigst, meine Geliebte von dem mir zugestoßenen Pech unterrichten zu lassen – doch nur ja recht schonend, recht peu à peu. – – Der Pater-Chirurgus schüttelte aber verdrießlich den Kahlkopf und zankte mich aus, daß ich solche weltliche Gedanken hege. Meine Sünden bereuen, die Heiligen anrufen, mit Geduld erwarten, was der Himmel über mich verhängt habe – weiter liege mir auf dieser Welt nichts mehr ob. Der Beichtvater wurde sich zu seiner Zeit einfinden. So weit also war's schon mit mir gediehen! Nachgerade fing sich auch ein hübsches Wundfieberchen an einzustellen, und ich verriet während des Phantasierens eminente Anlage zum Poeten. Da zerschnitt ich einmal in der Fieberhitze die dicke Mama Fortunata der Länge nach in lauter dünne Streifen, und nähte diese aneinander, um mit ihnen der Peterskuppel Maß zu einem neuen Frack zu nehmen. Ein andermal stand ich mit meiner Braut vor dem Altare, und als ich ihr nach gesprochenem Segen den Kuß geben wollte, so war ich aus Versehen mit der, der Madame Bacci zugehörigen Hauskatze getraut worden, und diese zerkratzte mir erbärmlich die Physiognomie. Ein drittes Mal spielte ich mit dem Teufel um meine arme Seele à la mora und verlor. Der böse Feind trug aber die Gesichtszüge und die blaue Brille und die defekte Perücke des Abbate Vicente – und was dergleichen unsinniges Zeug nun mehr noch in meinem Gehirn herumspukte. Ach, was ist es doch für ein erbärmlich Ding um den menschlichen Verstand! Zu dieser Erkenntnis kommt man wohl am besten, wenn man zu Rom im heil. Geist-Hospital am Wundfieber laboriert. Ich will mich aber fortan auch nun und nimmermehr meiner höhern Geistesgaben halber über meine Mitmenschen erheben und immerfort demütig an die jämmerliche Existenz, die ich nach der hinterlistigen Blessur verführte, denken.

Tage und Wochen vergingen langweilig und triste bei Viertels-Portionen, in Gesellschaft der Sterbenden, welche die letzte Ölung empfingen, und der Toten, die von vermummten Brüderschaften hinausgeschleift wurden. Und immer noch keine Nachricht von Annunziata. Was muße die von mir, was sollte ich von ihr denken? Endlich war ich denn doch mit Gottes Hilfe und vermöge meiner liberalen Konstitution so weit, daß ich mit knapper Not aufstehen und mich an das Gitterthor schleppen konnte. In Italien stehen nämlich die Lazarette jahraus, jahrein offen und wer vorüber geht, kann bis ins allerhinterste Bett sehn. Sie hingen mir eine alte Kapuze um, die vor der Schwedenzeit einmal rot gewesen sein mochte, in der ich mich aber vor mir selber graute, denn ich hatte justement das Aussehen eines ausrangierten Samiels, oder als ob ich meine drei Jahre als Vogelscheuche abdiente. Aber ich konnte doch wieder an der Thür sitzen und die Menschen vorübergehen sehn – das war schon immer eine Art von Trost.

Da rief ich eines Tages einen kleinen Jungen heran und schickte ihn zu meiner Braut mit einem schönen Kompliment, und sie möcht' es nur nicht übel nehmen, aber ich wäre unvorhergesehenerweise auf eine meuchelmörderische Manier von hinten angefallen worden, aller Wahrscheinlichkeit nach von dem Andrea von Spoleto, vor welchem sich in acht zu nehmen, und läge jetzt im Hospital, allwo mir's spottschlecht ginge. Dem Knaben sagte ich aber noch: er möchte sich von meiner Liebsten einen halben Paul für den Gang geben lassen, denn ich war so weit kahl. Es dauerte auch nicht lange, so kam die Range wieder und rapportierte: Signora Annunziata Bacci habe gemeint, der Absender – als wie ich – müsse wohl nicht recht bei gesunden Sinnen sein; sie kenne keinen Romeo gar nicht. – Weiß Gott, wo der dumme Junge hingerannt war und was er für verdrehtes Zeug ausgerichtet haben mochte. So war ich denn wiederum in die alte Trostlosigkeit versenkt, und wurde teils vor Kummer, teils von den Neumonds-Portionen, die aber immer und ewig im ersten Viertel stehn blieben, mager wie eine Schindel.

Als trübseligste Trübseligkeit waren mir immer vordem in Berlin die Stubenmädchen und die Ladendiener in Tabaks- und Syrupshandlungen an den Sonntagsnachmittagen, an denen sie nicht den freien Tag hatten, vorgekommen. Wenn ich so die Köchinnen im neuen Ghingan-Spenser auf den Thürschwellen stehn sah, oder die Ladenschwengel mit der braunen Schürze, gebrannten Locken und den vom Winter her erfrornen roten Händen, wie sie sich an den gemalten Pomeranzenbaum des Ladenschildes, zur Seite des Mohren, der die lange Gipspfeife raucht, mit kreuzweisen Beinen lehnten und langhälsig den Menschen nachguckten, die per Droschke oder Lohnkutscher oder auch per pedem zu allen Thoren hinauszogen – dann spürte ich wohl oft gewisse wehmutige Regungen des Mitleids in meiner Brust und rief: Ihr armen Schelme und Schelminnen, weshalb seid Ihr nicht statt Dütchendreher und Kehrbesen freie Schneidergesellen und respektive Schneidermamsellen geworden? Dann hättet Ihr doch Euern Sonntag, den Euch kein Kuckuck streitig machen könnte, und den blauen Montag extra noch. – Und jetzt! ach jetzt!–

Da zog der Minente mit seiner Herzallerliebsten an meinem Hospital vorüber und hinaus nach dem Monte Testaccio, wo der kühle Wein in den Kellern und die Deutschen unter der Erde liegen. Nach diesem weinerlichen Ort wäre ich auch spaziert, wenn sich der Andrea mehr Zeit zum Visieren genommen hätte. Dann rannte wieder einmal alles, was Beine hatte, nach San Pietro, wo der Papst vom Balkon das Volk generaliter segnete, und dann wieder an einem anderen Tage nach der Engelsburg nach dem großen Feuerwerk. Ich habe die Kanonen brummen hören, und sah auch einmal eine Viertelselle Widerschein der Raketen am Himmel – das war aber auch die ganze Herrlichkeit. – Kein Geld im Sack, dafür aber einen fußlangen Messerstich im Leibe, ohne Nachricht von der Braut, ohne zu wissen, ob sie einen noch liebe, ja sogar ohne recht klar zu sehen, ob man selber sie noch liebe, und in dieser Seelenkonfusion vor dem Thorwege der Römischen Charité einem Mantel, der aus alten Aderlaßbinden zusammengesteppt sein mochte, zu sitzen – da hat ein Schneider von Profession wohl gerechte Ansprüche, hypochondrisch werden zu dürfen, sollte ich meinen.

Ich gedachte der nächsten Vergangenheit, wo Annunziata noch freundselig gewesen und mir den Kuß für 15 Scudi und 3 Paoli an Goldschmiedsware geschenkt, und wie ich wohl recht glücklich mit ihr hätte sein können, wenn nur alles ganz anders gewesen wäre. Dann ging ich in Gedanken noch weiter zurück und erinnerte mich an die Ungeduld nach Rom zu kommen, und wie ich in Monterosi die ganze Nacht über kein Auge hatte zuthun können – das war auch ein recht überflüssiger Luxus. Und so ging ich denn in meinem Lebenslauf immer weiter rückwärts, träumte von den schönen Tagen in Berlin, von den Kotillous mit Blumen und Schleifen-Touren, die ich aufgeführt hatte, sah mich wieder als Werderaner Quintaner auf dem großen Exerzierplatz, wo wir die Russen waren und die Franzosen vom Kollege gottesjämmerlich zudeckten, und zuletzt saß ich als kleiner Junge auf der Schwelle und sang einem Maikäfer die schönen Reime vor: Maikäfer fliege, der Vater ist im Kriege, die Mutter ist in Pommerland, Pommerland ist abgebrannt! Da gingen mir aber die Augen vor Wehmut über, und ich fing bitterlich an zu schluchzen, denn ich war ja noch weit abgebrannter als das ganze Pommerland,

Als ich nun wieder eines Tages auf der Thürschwelle sitze, recht wie Hiob auf seinem Düngerhaufen, aber so recht zerknirscht und totbetrübt, da zieht der Herr Barbarossa singend und tirilierend vorüber. »Herr Landsmann, Herr Maler, lieber einziger Herr Barbarossa,« schrie ich kläglich, »gedulden Sie sich doch nur einen halben Augenblick und spazieren Sie einen Schritt näher.« – »Was sehe ich, Romeo? Bist Du's, oder ist es Dein Geist?« – »Ach Du mein Gott von Mannheim, englischer Herr Babarossa, ich bin's wohl in meiner allerjämmerlichsten Person, und von Geist ist auch nicht mehr ein Fingerhut voll bei mir zu spüren.« – »Aber, Junge, ich dachte Dich schon langst wieder jenseits der Berge. Wie kommst Du nach San Spirito und in diese verwünschte Kapuze?« – Meine Geschichte war mit zwei Worten erzählt, und meinen Jammer lang und breit auseinander zu zerren, war auch weiter nicht notwendig, denn ich sah ja aus wie ein leibhaftiger Leichenkaffee. »Aber nur die eine Frage erlauben Sie mir: Was macht denn meine Braut? Und denkt sie denn gar nicht meiner?« – »Deine Braut? Hm, hm! So weißt Du denn gar nichts? Armer Schelm! Dir haben sie wohl arg mitgespielt. Hättest Du doch nur hören wollen. Deine Braut – ja, alter Freund, die schlag' Dir nur aus dem Sinn. Heute sind es gerade acht Tage her, seit sie mit dem Andrea aus Spoleto Hochzeit machte.« – »Mit dem Andrea, barmherziger Himmel,« schrie ich laut auf und mir wurde es ganz obskur vor den Augen, »mit dem Andrea, mit dem hinterlistigen Mörder von Profession? Nein, seien Sie barmherzig, goldener Herr Barbarossa, nur widerrufen Sie das eine, dies einzige Wort. Nicht an dem. Sie haben mich bloß bange machen wollen?« – Der Maler schüttelte aber ernsthaft mit dem Kopf. »Nein, nein, mein ehrlicher Junge, es ist schon nicht anders als wie ich gesagt habe. Deine paar Siebensachen habe ich nach Deinem rätselhaften Verschwinden an mich genommen – Du sollst sie wieder erhalten. Vergiß das Mädel – wahrhaft gut ist sie Dir wohl nie gewesen. Dem Abbate war's nur um den Proselyten zu thun – er vermag alles über die Mutter; und von ihm mag auch wohl das Possenspiel bei Deiner nächtlichen Brautfahrt ausgegangen sein. Freilich dachten sie nicht an den frühern Liebhaber, den Andrea, der mit seinem Messer einen Strich durch ihre saubere Rechnung zog. Preise Dein Glück, daß es sich so gefügt« – da sollte ich schon wieder einmal meinen Glücksstern bewundern! – »daß Du mit dem Leben, hauptsächlich aber, daß Du ohne Frau davongekommen bist. Doch jetzt spute Dich, Rom mit dem Rücken anzusehn.« – Aber sagen Sie mir doch doch um Gotteswillen, existiert denn hier zu Lande keine Gerechtigkeit, kein Justiz? Und soll denn der Schurke, der Spoletaner, das Mädel so ruhig in pace behalten, und die Erbschaften vom Meister und vom Kanonikus und vom Abbate schlucken, und ich mit dem bloßen Messerstich meiner Wege ziehn?« – Wenn Du brav Geld hast – freilich gehört schon etwas viel dazu – und es Dir auch nicht weiter darauf ankommt, daß Dich der Spoletaner zum zweitenmal ins Spital, oder auch gleich ohne weitere Umwege nach der Cestius-Pyramide sende – dann mein Söhnchen, dann bleibe, dann prozessiere. Hast Du aber an diesem ersten Denkzettel zur genüge, dann, Romeo, mach's wie ich, der ich in acht Tagen Rom verlasse.« – Die heißen Thränen, die über meine blassen, transparenten Nacken rollten, mochten wohl dem Maler zu Herzen gehn. – »Romeo, willst Du mich begleiten? Für die Kosten der Reise laß mich sorgen – Du magst mir, bis wir zu Hause sind, als Bedienter an die Hand gehen. Willst Du?« – »Erstens, lieber Herr Barbarossa, muß ich Sie schönstens bitten, mich nur nicht mehr Romeo zu nennen. Es ist mir jedesmal ein Stich durchs Herz, wenn ich den verwünschten Namen, der an allem Unheil schuld ist und mir's von der Komödie her angethan hat, zu hören bekomme. Ich heiße Romberger, mit Respekt zu vermelden. Pro sekundo, was das Bedienter-sein anbelangt – sein Sie billig, ich bitte Sie, und haben Sie ein menschliches Einsehn. Ich – ein Schneider – ein Mann von Bildung, Inhaber vielseitiger Kenntnisse – Bedienter – ich – nein, nun und nimmermehr. Versetzen Sie sich in meine Seele, Herr Landsmann! Ich will Ihnen an die Hand gehn, will alles thun, was Sie nur irgend auf Gottes Welt begehren – Stiefel putzen, Kleider bürsten und reparieren, Gänge laufen – Ihnen Alles an den Augen absehn – umsonst – ganz umsonst. Aber Bedienter heißen, das übersteigt meine Kräfte. – Lassen Sie mich Ihren Gehülfen, Ihren Reinigungs-Assistenten sein – nennen Sie mich Ihren Sekretär, kurz – wie Sie wollen – aber nur nicht Romeo, nur nicht Bedienter.« – Ei, Freund Romberger, was thäte man nicht gern für seinen Landsmann? So magst Du denn meinetwegen mein Sekretär mit den Prädikat »wirklicher Geheimer« sein, wenn Dir dieser Titel besser klingt. Und wenn Du den Namen Romeo nicht mehr hören magst, so vergönne, daß auch ich meine romaneske Charakter-Maske, Bart und Spitznamen zugleich ablege, und mich wieder mit Taufnamen Theodor, mit meinem Vaternamen Eßlinger nenne.

Er erzählte mir nun in seiner Herzensfreudigleit, wie er heute einen gar schönen Brief mit unterschiedlichen schmeichelhaften Redensarten und einem noch schmeichelhaftern Wechsel von Hause bekommen. Der alte Herr, der Bankier Eßlinger, hatte immer gewollt, daß sein einziger Sohn, mein nunmehriger Gönner und Helfer in der Not, Doktor studieren sollte, oder doch wenigstens Justiz-Kommissar oder so etwas. Der junge Herr hatte aber nur seine Malerei im Kopf gehabt und für nichts anders Sinn und Herz, und so war er denn zuletzt in die weite Welt und bis nach Rom gelaufen, hatte dort die Künstler-Profession mit Vehemenz ergriffen und auch was Tüchtiges losgekriegt, wenngleich ohne Mutterpfennige Schmalhans oft genug Küchenmeister gewesen sein mochte. Nach langer Zeit hatte er einmal eine Schilderei auf die Ausstellung nach Berlin geschickt, und an der hatten sich die Leute nicht satt sehen können, bis sie Zuletzt ein Prinz oder eine andre Herrschaft für schweres Geld an sich gekauft. Da war denn der alte Herr Eßlinger in sich gegangen und zur Einsicht gekommen, daß sein Herr Sohn auch Einer bei der Maschinerie wäre, hatte ihm seinen allerschönsten Segen geschickt und außerdem, ich weiß nicht wie Viel tausend Thaler Geld. Die sollten wir beide jetzt verreisen.

Der junge Herr Theodor hat mir versprochen, für Wagen und Paß zu sorgen. Nach sechs Tagen holt er mich ab – nun, die werden ja auch wohl vergehn – und bis dahin bin ich wieder ganz gesund, schon vor bloßer Freude. Dann geht's zum Thor hinaus – noch drei ellenlange Kreuze schlage ich hinter Rom, und fort nach Civita-vecchia, wo ich einmal wirklicher päpstlicher Galeerenruderer werden sollte; von dort per Dampfschiff nach Genua – ach! was wird mich der Chemnitzer auslachen! – dann aber in einem Strich mit Extrapost bis nach Berlin – Zum Stralauer Fischzug komme ich gerade zurecht.

Aber das Eine muß ich noch sagen, daß der schnurrbärtige Herr Partikulier, der mich in Padua auflud und auf ganz Italien so heillos räsonierte, doch ein grundgescheidter Mann gewesen, der Otto Bellmann heißen kann. Und komme ich einmal in Berlin mit ihm zusammen, so sag' ich's frei von der Leber weg, daß ich ihm arges Unrecht gethan hätte, und er sei ein Vokativus, der's gleich an der Grenze gerochen, wie hier der Hase liefe.

 

Ja, dies ewige Geschrei über das himmlische Italien, dies Italien hinten und Italien vorne, es muß einmal ein Ende nehmen. Das habe ich nun nachgerade satt. Und daß ich fortan jeden Schneidergesellen vor Italien, und absonderlich vor Rom und den dortigen Meisterstöchtern getreulich und nach besten Lungenkräften warnen will, das steht fest, so wahr ich Romberger heiße.


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