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Viertes Kapitel

James sieht selber nach

Wer die Forsyte-Börse nicht kennt, würde vielleicht all den Aufruhr nicht voraussehen, den Irenens Besuch des Hauses erregte.

Nachdem Swithin bei Timothy die ganze Geschichte der denkwürdigen Fahrt erzählt hatte, wurde sie mit einem winzigen Anflug von Neugierde, einer ganz kleinen Spur von Bosheit, und in dem wirklichen Wunsch Gutes zu tun, June hinterbracht.

»Und wie abscheulich, so etwas zu sagen, mein Kind!« schloß Tante Juley, »das über ihr Nachhausekommen. Was meinte sie nur damit?«

Es war eine merkwürdige Erzählung für das Mädchen. Sie hörte sie mit peinlichem Erröten an, und plötzlich ging sie mit kurzem Händedruck davon.

»Beinah ungezogen!« sagte Mrs. Small zu Hester, als June fortgegangen war.

Die wahre Deutung hing von ihrer Aufnahme dieser Nachrichten ab. Es hatte sie sehr erregt. Darum war etwas nicht in Ordnung. Sonderbar! Sie und Irene waren so gute Freunde gewesen!

Es stimmte nur zu gut mit allem Flüstern und den Andeutungen überein, die seit einiger Zeit in Umlauf waren. Die Erinnerung an Euphemias Erzählung über den Besuch des Theaters – Mr. Bosinney, der immer bei Soames war! Oh, allerdings! Ja, freilich war er viel dort – wegen des Hauses! Nichts wurde offen heraus gesagt! Es war nur auf die lebhafteste, die dringendste Aufforderung hin notwendig, auf der Forsyte-Börse etwas offen herauszusagen. Diese Maschine war zu gut geaicht; ein Wink, der unbedeutendste Ausdruck von Bedauern oder Zweifel genügte, die – so teilnehmende – Familienseele in Aufruhr zu bringen. Keiner wünschte jemand dadurch ein Leid zuzufügen – durchaus nicht. Es geschah in bester Absicht, mit dem Gefühl, daß jedes Glied der Familie einen Anteil an der Familienseele hatte.

Und eigentlich liegt solcher Klatscherei große Güte zugrunde. Sie äußert sich häufig in Beileidsbesuchen, wie ein gesellschaftlicher Brauch sie vorschreibt, eine wahre Wohltat für den Leidenden und ein Trost für den Gesunden, den es immer angenehm berührt, wenn jemand unter etwas leidet, unter dem er selbst nicht zu leiden hat. Wirklich nur der Wunsch die Dinge eifrig zu erörtern, ein Wunsch, der zum Beispiel die öffentliche Presse beseelt, führte James jetzt mit Mrs. Septimus Small zusammen, Mrs. Septimus mit dem jungen Nicholas, den jungen Nicholas mit wer-weiß-wem, und so weiter. Die große Klasse, zu der sie aufgestiegen waren und der sie jetzt angehörten, forderte eine gewisse Offenheit und noch mehr eine gewisse Verschwiegenheit von ihnen. Beides war eine Gewähr für ihre Dazugehörigkeit.

Manche von den jüngeren Forsytes fühlten natürlich und erklärten offen, daß sie eine Einmischung in ihre Angelegenheiten nicht wünschten. Aber so mächtig war der unsichtbare magnetische Strom der Familienklatscherei, daß sie sich um keinen Preis dagegen wehren konnten, alles über jeden zu erfahren. Sie betrachteten es also als hoffnungslos.

Einer von ihnen (der junge Roger) hatte einen heroischen Versuch gemacht, die heranwachsende Generation dadurch zu befreien, daß er Timothy einen ›alten Kater‹ nannte. Es war aber auf ihn selbst zurückgeprallt; denn als die Worte in der zartesten Weise Tante Juley zu Ohren kamen, hatte sie dieselben entrüstet Mrs. Roger wiederholt, von wo sie wieder zu dem jungen Roger zurückkehrten.

Und schließlich litten nur die Übeltäter darunter, wie zum Beispiel George, als er sein ganzes Geld beim Billardspiel verlor; oder der junge Roger selbst, als er so furchtbar nahe daran war das Mädchen zu heiraten, mit dem er, so flüsterte man, schon durch die Gesetze der Natur verbunden war; und auch Irene, von der man eher dachte als sagte, daß sie in Gefahr sei.

Alles dies war nicht nur angenehm, sondern heilsam. Und es vertrieb so manche Stunde bei Timothy in Bayswater Road, viele Stunden, die sonst öde und trübselig für die drei gewesen wären, die dort lebten. Und Timothys Heim war nur eines der Hunderte solcher Häuser in dem großen London – der Häuser neutraler Personen der gesicherten Klassen, die selbst keine Kämpfe zu bestehen haben und darum in den Kämpfen anderer ihre Daseinsberechtigung finden müssen.

Ohne die Süßigkeit des Familienklatsches, wäre es dort wirklich einsam gewesen. Gerüchte und Erzählungen, Berichte und Vermutungen – waren sie nicht Kinder des Hauses, ihnen ebenso lieb und teuer wie plappernde Mäulchen, die Bruder und Schwestern auf ihrem Lebenswege hatten missen müssen? Darüber zu reden gab ihnen fast ebensoviel, wie der Besitz all der Kinder und Enkel, nach denen ihre weichen Herzen sich gesehnt. Denn wenn es auch zweifelhaft ist, ob Timothys Herz sich sehnte, kann nicht bestritten werden, daß die Ankunft jedes neuen Forsyte-Kindes ihn völlig überwältigte.

Es war nutzlos für den jungen Roger ›alter Kater‹ zu sagen, nutzlos für Euphemia die Hände emporzuheben, zu rufen: »Oh! diese drei!« und dann in ihr leises Lachen auszubrechen, das mit einem Quietschen endete. Nutzlos und nicht allzu freundlich.

Die Situation, die in diesem Stadium besonders Forsyteschen Augen seltsam – um nicht zu sagen ›unmöglich‹ erschien, war angesichts gewisser Tatsachen eigentlich gar nicht so seltsam.

Einige Dinge hatte man ganz außer acht gelassen.

Vor allem hatte man in dem Sicherheitsgefühl, das manche harmlose Ehen geben, völlig vergessen, daß Liebe keine Treibhausblume ist, sondern eine wilde Pflanze, die einer feuchten Nacht, einer Stunde Sonnenschein entstammt; einem wilden Samen entsprossen, den ein wilder Sturm über den Weg geweht. Eine wilde Pflanze, die wir, sobald sie zufällig innerhalb der Hecke unseres Gartens blüht, Blume nennen, und die, blüht sie draußen, Unkraut für uns ist; aber Blume oder Unkraut, Duft und Farbe bleiben immer wild!

Und ferner – denn Tatsachen und Gestalten ihres eigenen Lebens widersprachen dieser Vorstellung – merkten die Forsytes im allgemeinen nicht, daß wo diese wilde Pflanze wächst, Männer und Frauen nur wie Motten sind, die um die bleiche, flammengleiche Blüte flattern.

Es war lange her seit des jungen Jolyon Escapade – man befürchtete, es könnte die alte Ansicht wieder erstehen, daß Leute ihrer Stellung nicht die Hecke übersteigen, um eine solche Blume zu pflücken; daß man zu einer bestimmten Zeit auf Liebe wie auf Masern rechnen könne und – im Hafen der Ehe – bequem für immer darüber hinwegkomme, wie bei den Masern durch eine lindernde Mixtur von Butter und Honig.

Von allen, denen die sonderbaren Gerüchte über Irene und Bosinney zu Ohren gekommen, war James am meisten betroffen. Er hatte längst vergessen, wie er, hager und blaß, mit kastanienfarbenem Backenbart, in seinen Freiertagen Emily umschwärmt hatte. Hatte längst das kleine Haus in der Nähe von Mayfair vergessen, wo er die erste Zeit seiner Ehe verlebt, oder hatte vielmehr längst diese erste Zeit vergessen, nicht das kleine Haus, ein Forsyte vergißt niemals ein Haus – das er später mit einem klaren Profit von vierhundert Pfund verkauft hatte.

Längst hatte er jene Tage mit ihren Hoffnungen, Ängsten und Zweifeln über die Klugheit der Verbindung vergessen (denn Emily war zwar hübsch, besaß jedoch nichts, und er selbst verdiente damals knapp tausend Pfund im Jahr), jene seltsame unwiderstehliche Anziehungskraft, die ihn vorwärts getrieben, bis er glaubte sterben zu müssen, wenn er das Mädchen mit dem blonden, so sauber zurückgestrichenen Haar, mit den schönen Armen, die das enganliegende Leibchen freiließ, und der schönen Gestalt nicht heiraten konnte, die ein Käfig von wahrhaft verblüffendem Umfang züchtig schützte.

James war durchs Feuer gegangen, aber er war auch durch den Strom der Jahre gekommen, der das Feuer löscht. Er hatte die traurigste aller Erfahrungen gemacht – hatte vergessen, was es heißt zu lieben.

Vergessen! So lange schon vergessen, daß er vergessen, daß er vergessen hatte.

Und nun war dies Gerücht zu ihm gelangt, das Gerücht über die Frau seines Sohnes; sehr unbestimmt, ein Schatten unter den handgreiflich sichtbaren, äußeren Dingen, unwirklich, unfaßbar wie ein Geist, aber wie ein Geist mit unsagbarem Schrecken im Gefolge.

Er versuchte klar darüber zu werden, aber es nützte nicht mehr als der Versuch, sich mit einer jener Tragödien vertraut zu machen, von denen er täglich in seiner Abendzeitung las. Er konnte es einfach nicht. Es konnte nichts daran sein. Es war alles Unsinn. Sie stand mit Soames nicht, wie sie sollte, aber sie war ein liebes kleines Ding – ein liebes kleines Ding!

Wie die nicht unbeträchtliche Mehrzahl der Menschen genoß James einen netten kleinen Skandal und sagte wohl in selbstverständlichem Tone, indem er sich die Lippen leckte: »Ja, ja – sie und der junge Dyson; sie sollen in Monte Carlo leben!«

Aber die Bedeutung einer Sache dieser Art – ihr Entstehen, Sein und Werden – war ihm nie zum Bewußtsein gekommen. Auch nicht was ihr zugrunde lag, aus welchen Qualen und Wonnen sie entstanden, welch lauerndes, überwältigendes Verhängnis über den nackten, zuweilen schmutzigen, aber gewöhnlich pikanten Tatsachen geschwebt, die sich seinem staunenden Blicke darboten. Es war durchaus nicht seine Art solche Dinge zu tadeln, daraus Schlüsse zu ziehen oder sie zu verallgemeinern; er hörte nur ziemlich lüstern zu, wiederholte was ihm erzählt wurde und fand ein solches Vergnügen daran wie am Genuß eines Sherry oder Bittern vor der Mahlzeit.

Jetzt jedoch, wo so etwas – oder vielmehr das Gerücht, ein Hauch davon – ihm persönlich nahe gekommen war, fühlte er sich wie in einem Nebel, der ihm einen schlechten muffigen Geschmack im Munde verursachte und ihm das Atmen erschwerte.

Ein Skandal! Die Möglichkeit eines Skandals!

Sich dieses Wort beständig zu wiederholen, war die einzige Art es sich vorzustellen und begreiflich zu machen. Er hatte die Empfindungen vergessen, die zum Verständnis des Verlaufs, des Schicksals und der Bedeutung dieser Dinge notwendig waren; er konnte einfach die Möglichkeit nicht mehr begreifen, daß Leute um der Leidenschaft willen irgend welche Gefahr laufen konnten. Es wäre ihm lächerlich vorgekommen anzunehmen, daß einer unter all seinen Bekannten, die tagtäglich in die City fahren, dort ihren mannigfachen Geschäften nachgingen, in ihren müßigen Stunden Aktien kauften und Häuser, dinierten und spielten, wie es hieß, sich um etwas so Unklaren, Wesenlosen willen wie die Leidenschaft es war, in irgend eine Gefahr begeben könnte.

Leidenschaft! Er hatte wohl davon gehört, und Regeln wie »Ein junger Mann und eine junge Frau dürften einander nie anvertraut werden«, saßen fest in seinem Gedächtnis wie die Breitengrade auf einer Landkarte (denn alle Forsytes haben, wenn es sich um felsenfeste Tatsachen handelt, ein feines Gefühl für Realismus), aber sonst – ja, er konnte eben auf alles dies nur das eine Stichwort ›Skandal‹ anwenden.

Aber es war kein wahres Wort daran – es konnte nicht sein. Er fürchtete nichts; sie war wirklich ein liebes kleines Ding. Doch hatte man so etwas einmal im Kopf, wurde man es nicht wieder los. Und James war von nervösem Temperament – einer jener Menschen, die von den Dingen nicht loskommen, denen Unentschiedenheit und Vermutungen die größten Qualen bereiten. Aus Furcht sich etwas entschlüpfen zu lassen, das er sich sonst hätte sichern können, war es ihm eine physische Unmöglichkeit einen Entschluß zu fassen, bis er die absolute Gewißheit erhielt, durch diese Unentschlossenheit einen Verlust zu erleiden.

Im Leben jedoch gab es viele Gelegenheiten, wo er die Notwendigkeit einen Entschluß zu fassen, nicht einmal in Betracht zog, und dies war eine davon.

Was konnte er tun? Mit Soames darüber reden? Das würde die Sache nur verschlimmern. Und schließlich war doch nichts daran, dessen war er gewiß.

Das Haus allein war an allem schuld. Er hatte der Idee von Anfang an nicht getraut. Wozu brauchte Soames aufs Land zu ziehen? Und wenn er schon eine Masse Geld dafür ausgeben mußte sich ein eigenes Haus bauen zu lassen, warum nahm er dann nicht einen Mann ersten Ranges anstatt dieses jungen Bosinney, von dem niemand etwas wußte? Er hatte ihnen gesagt, wie es kommen würde. Und er hatte gehört, daß das Haus Soames einen hübschen Batzen mehr kostete, als er darauf zu verwenden gedacht.

Diese Tatsache brachte James, mehr als irgend etwas anderes, die wirkliche Gefahr der Lage zum Bewußtsein. Es war immer dieselbe Geschichte mit diesen ›Kunstfexen‹; ein vernünftiger Mann würde sich gar nicht erst mit ihnen einlassen. Auch Irene hatte er gewarnt. Und was war nun daraus entstanden!

Und plötzlich fiel es James ein, selbst hinzugehen und nachzusehen. Mitten in dem Nebel von Unbehagen, der sein Gemüt umhüllte, gewährte ihm der Gedanke, daß er hingehen konnte und das Haus sehen, eine unaussprechliche Befriedigung. Vielleicht verschaffte ihm einfach der Entschluß etwas zu unternehmen – wahrscheinlicher jedoch, die Möglichkeit das Haus zu sehen – eine Erleichterung.

Er hatte das Gefühl, durch das Betrachten eines Gebäudes aus Mörtel und Ziegel, aus Holz und Stein, das von dem verdächtigen Mann selbst gebaut war, zu dem Kern des Gerüchtes über Irene vorzudringen.

Ohne daher irgend jemand ein Wort zu sagen, nahm er eine Droschke zum Bahnhof und stieg in den Zug nach Robin Hill. Dort war er, da es wie in der ganzen Gegend keine Wagen gab, gezwungen zu Fuß zu gehen.

Langsam stieg er die Anhöhe hinan, seine eckigen Kniee und die hohen Schultern bogen sich kläglich, die Augen hefteten sich auf die Füße, aber trotz alledem sah er gut aus in seinem hohen Hut und dem Schoßrock, dem höchste Sorgfalt fleckenlosen Glanz verliehen hatte. Dafür sorgte Emily; das heißt, sie sorgte natürlich nicht selbst dafür – denn gutsituierte Leute sorgen nicht selbst für solche Dinge – aber sie sorgte dafür, daß der Diener dafür sorgte.

Er mußte dreimal nach dem Wege fragen; jedesmal wiederholte er die ihm bezeichneten Richtungen, ließ sie sich ebenfalls wiederholen und wiederholte sie dann selbst noch einmal, denn er war von Natur gesprächig, und man konnte in einer neuen Gegend nicht vorsichtig genug sein.

Er versicherte sie unaufhörlich, daß er nach einem neuen Hause suche; und erst, als ihm durch die Bäume das Dach gezeigt wurde, war er wirklich überzeugt, nicht völlig falsch geführt worden zu sein.

Ein schwerer Himmel schien das graue Weiß einer getünchten Zimmerdecke über die Welt zu breiten. In der Luft war weder Wohlgeruch noch Frische. An solch einem Tage taten selbst britische Arbeiter nicht mehr als sie mußten und erfüllten ihre Pflichten ohne jenes müßige Geplauder, das die Pein der Arbeit sonst vertreibt.

In den weiten Räumen des unfertigen Hauses sah man Gestalten in Hemdärmeln gemächlich arbeiten, und es ertönten Geräusche – krampfhaftes Klopfen, Kratzen auf Metall, Sägen von Holz und das Rasseln der Schiebkarren die Bretter entlang. Dann und wann winselte der mit einem Strick an einen eichenen Balken festgebundene Hund des Aufsehers leise mit einem Ton wie ein summender Kessel.

Die eben eingesetzten Fensterscheiben, jede in der Mitte mit einem weißen Fleck beschmiert, stierten wie die Augen eines blinden Hundes auf James herab.

Und freudlos und stetig ging es weiter im Chor der Bauleute unter dem grau-weißen Himmel. Aber die Drosseln, die in der frisch umgegrabenen Erde nach Würmern suchten, waren verstummt.

James suchte sich einen Weg zwischen den Kieshaufen – die Auffahrt war eben angelegt – bis er dem Portal gegenüberstand. Hier machte er Halt und blickte empor. Von dieser Stelle aus war nur wenig zu sehen, und dies Wenige übersah er sofort; aber doch blieb er mehrere Minuten in dieser Stellung stehen, und wer weiß, woran er dachte.

Seine porzellanblauen Augen unter den weißen Brauen, die in kleinen Hörnern vorstanden, bewegten sich nicht. Die lange Oberlippe seines breiten Mundes zwischen dem schönen weißen Backenbart zuckte ein- oder zweimal. An diesem besorgten, entrückten Ausdruck war leicht zu erkennen, woher der gedrückte Zug kam, den James' Gesicht zuweilen hatte. Vielleicht sagte er zu sich selbst: »Ich weiß nicht – das Leben ist ein schwieriges Stück Arbeit!«

Und so überraschte ihn Bosinney.

James' Augen wandten sich von irgend einem Punkt droben am Himmel, nach dem sie ausgeschaut, zu Bosinneys Gesicht, das einen Zug von humoristischer Verachtung hatte.

»Guten Tag, Mr. Forsyte! Kamen Sie her, um selbst einmal nachzuschauen?«

Gerade dazu war James allerdings gekommen, und deshalb berührte die Frage ihn peinlich. Jedoch reichte er ihm die Hand und erwiderte den Gruß, ohne Bosinney anzusehen.

Dieser machte ihm mit einem ironischen Lächeln Platz.

James witterte etwas Verdächtiges in seiner Höflichkeit. »Ich möchte gern erst außen herum gehen,« sagte er, »und sehen, wie weit Sie gekommen sind!« Eine mit Fliesen belegte Terrasse aus abgerundeten Steinen mit einem ein- bis zweizölligen Rand führte um die südöstliche und südwestliche Seite des Hauses und endigte mit einem abgeschrägten Rand in der Erde, die eben festgestampft werden sollte; diese Terrasse entlang führte der Weg.

»Was hat dies wohl gekostet?« erkundigte er sich, als er sah, daß die Terrasse weiter um die Ecke ging.

»Was glauben Sie?« fragte Bosinney dagegen.

»Wie kann ich das wissen?« erwiderte James etwas aufgebracht; »zwei- bis dreihundert, wahrscheinlich!«

»Genau soviel!«

James blickte ihn scharf an, aber Bosinney schien es nicht zu bemerken, er hatte ihn wohl mißverstanden.

Als sie beim Garteneingang anlangten, blieb er stehen, um die Aussicht zu betrachten.

»Die müßte fort,« sagte er und wies auf die Eiche.

»Finden Sie? Sie meinen mit der Eiche haben Sie nicht genug Aussicht für Ihr Geld?«

Wieder blickte James ihn argwöhnisch an – dieser junge Mann hatte eine sonderbare Art die Dinge zu nehmen.

»Nun,« sagte er verblüfft in erregtem Tone, »ich weiß nicht, was der Baum hier soll!«

»Er soll morgen herunter,« sagte Bosinney.

James erschrak. »Oh,« sagte er, »sagen Sie nicht etwa, daß ich ihn herunter haben wollte! Ich habe nichts damit zu tun!«

»Nein?«

James fuhr verwirrt fort. »Ja, was habe ich denn damit zu tun? Das geht mich gar nichts an. Tun Sie es auf Ihre eigene Verantwortung!«

»Gestatten Sie mir, Ihren Namen zu erwähnen?«

James erschrak mehr und mehr. »Ich weiß nicht, wozu Sie meinen Namen erwähnen wollen,« stammelte er, »Sie sollten den Baum lieber stehen lassen. Es ist doch nicht Ihr Baum!«

Er zog ein seidenes Taschentuch heraus und wischte sich über die Stirn. Sie gingen ins Haus. Wie auf Swithin, machte der innere Hof auch Eindruck auf James.

»Dafür müssen Sie ein Heidengeld ausgegeben haben,« sagte er, nachdem er eine Weile die Säulen und die Galerie angestarrt hatte.

»Was hat es denn gekostet, diese Säulen aufzustellen?«

»Ich kann es Ihnen aus dem Stegreif nicht sagen,« erwiderte Bosinney nachdenklich, »aber ich weiß, es war ein Heidengeld!«

»Das kann ich mir denken,« sagte James. »Ich würde –« Er fing einen Blick des Architekten auf und brach ab. Und wenn er von jetzt an die Kosten irgend einer Sache zu wissen wünschte, unterdrückte er seine Neugierde.

Bosinney schien zu wollen, daß er alles sehe, und wenn James es in seinem ›Spürsinn‹ nicht allzu deutlich gemerkt hätte, wäre er gewiß noch ein zweites Mal rund um das Haus gegangen. Auch schien er so erpicht darauf gefragt zu werden, daß James fühlte, er müsse auf der Hut sein. Die Anstrengung begann ihn jetzt zu ermüden, denn war er auch zäh genug für einen Mann von so hohem Wuchs, zählte er doch fünfundsiebzig Jahre.

Er war mutlos geworden, denn er war der Sache um nichts näher gerückt, hatte durch seine Besichtigung nichts von dem erfahren, was er vage gehofft. Nur seine Abneigung und sein Mißtrauen gegen diesen jungen Mann, der ihn mit seiner Höflichkeit ermüdete, hatte sich gesteigert, und er merkte in seinem Wesen jetzt deutlich den Hohn.

Der Mensch war schlauer als er gedacht und sah besser aus, als er gehofft. Es lag etwas Sorgloses in seiner Art, das James, für den ein Wagnis das Unerträglichste im Leben war, wenig zu schätzen wußte. Auch ein sonderbares Lächeln hatte er, das kam, wenn man es am wenigsten erwartete; und sehr merkwürdige Augen. Er erinnerte James, wie er nachher sagte, an eine hungrige Katze. Das war das Bezeichnendste was ihm einfiel, als er Emily die sonderbare Mischung von Erbitterung, Sammetweichheit und Spott in Bosinneys Wesen zu beschreiben suchte.

Endlich, nachdem er alles gesehen was zu sehen war, trat er aus der selben Tür ins Freie, durch die er hineingegangen war. Und in dem Gefühl jetzt nur noch Zeit, Kraft und Geld für nichts zu verschwenden, nahm er all seinen Mut zusammen wie ein echter Forsyte, blickte Bosinney scharf an und sagte:

»Sie sehen meine Schwiegertochter doch jetzt recht oft, was sagt sie denn zu dem Hause? Aber sie hat es wohl noch gar nicht gesehen?«

Er sagte dies, obwohl er alles über Irenens Besuch wußte – natürlich hatte es mit diesem Besuch nichts auf sich, abgesehen von der merkwürdigen Äußerung, daß es ihr »einerlei wäre, wenn sie nicht nach Haus käme« – und dem Gerücht wie June die Nachricht aufgenommen hatte!

Durch diese Art zu fragen, hatte er Bosinney Gelegenheit geben wollen zu reden.

Bosinney ließ lange auf die Antwort warten, hielt seinen Blick aber mit ungemütlicher Festigkeit auf James gerichtet.

»Sie hat das Haus gesehen, aber ich kann Ihnen nicht sagen, wie sie darüber denkt.«

Obwohl verwirrt und verblüfft, war James jetzt anstandshalber verpflichtet die Sache weiter zu verfolgen.

»O!« sagte er, »sie hat es gesehen? Soames brachte sie wohl her?«

Bosinney erwiderte lächelnd: »O, nein!«

»Wie, kam sie allein hierher?«

»O nein!«

»Wer – brachte sie denn her?«

»Ich weiß wirklich nicht, ob ich Ihnen das sagen darf.«

James, der wußte, daß Swithin es gewesen, war diese Antwort unbegreiflich.

»Aber!« stammelte er, »Sie wissen doch, daß –« doch er stockte, da er plötzlich die Gefahr merkte.

»Meinetwegen!« sagte er, »wenn Sie es mir nicht sagen, nehme ich an, daß Sie es nicht sagen wollen! Niemand sagt mir was!«

Zu seinem Erstaunen fragte ihn Bosinney:

»Übrigens, könnten Sie mir wohl sagen, ob noch jemand von Ihnen herkommen will. Ich wäre gern zur Stelle!«

»Noch jemand?« sagte James bestürzt, »wer sollte denn noch kommen? Ich weiß es von keinem. Adieu!«

Zu Boden blickend streckte er die Hand aus und berührte flüchtig die Bosinneys; dann faßte er seinen Schirm gerade über dem Seidenbezug und ging die Terrasse entlang davon.

Ehe er um die Ecke bog, warf er einen Blick zurück und sah, daß Bosinney »die Mauer entlang schleichend wie eine große Katze« – so kam es ihm vor – langsam folgte. Er beachtete es nicht, als der junge Mann den Hut lüftete.

Jenseits der Auffahrt und außer Sicht verlangsamte er seine Schritte noch mehr. Sehr matt, gebückter als beim Kommen, hager, hungrig und verzagt, legte er den Weg zur Bahnstation zurück.

Der ›Bukanier‹, der ihn so bedrückt nach Haus gehen sah, bedauerte vielleicht sein Benehmen gegen den alten Mann.


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