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Viertes Kapitel

Bauprojekte für das Haus

Drei Tage nach der Mittagsgesellschaft bei Swithin trat Soames Forsyte durch seine grüngestrichene Haustür, und als er von der andern Seite des Squares zurückblickte, befestigte sich der Eindruck, daß das Haus eines neuen Anstrichs bedurfte.

Er hatte seine Frau, mit gekreuzten Händen im Schoß, auf dem Sofa im Wohnzimmer sitzend verlassen; sie hatte augenscheinlich auf sein Fortgehen gewartet. Das war nichts Ungewöhnliches. Es geschah eigentlich jeden Tag.

Er begriff nicht, was sie an ihm auszusetzen hatte. Wenn er noch ein Trinker gewesen wäre! Stürzte er sich in Schulden, spielte oder fluchte er, war er gewalttätig oder hatte er leichtsinnige Freunde? Blieb er die Nächte fort? Im Gegenteil.

Die tiefe, unterdrückte Abneigung, die er seiner Frau anmerkte, war ihm ein Mysterium und eine Quelle der furchtbarsten Aufregung. Daß sie sich getäuscht hatte und ihn nicht liebte, daß sie versucht hatte ihn zu lieben und es nicht vermochte, war doch kein Grund dazu.

Wer eine so fernliegende Ursache dafür suchte, daß seine Frau nicht gut mit ihm stand, war sicherlich kein Forsyte.

Soames war darum geneigt, Irene allein alle Schuld zuzuschreiben. Er war nie einer Frau begegnet, die eine so allgemeine Bewunderung erregte. Wo er sich mit ihr zeigte, mußte er sehen, welche Anziehungskraft sie auf die Männer ausübte; ihre Blicke, ihre Mienen und Stimmen verrieten es. Irenens Benehmen war bei diesem Aufsehen über jeden Tadel erhaben. Daß sie eine jener Frauen war – sie sind nicht häufig in der angelsächsischen Rasse – die zum Lieben und Geliebtwerden geboren sind und ohne Liebe nicht leben können, war ihm wahrscheinlich nie in den Sinn gekommen. Ihre Anziehungskraft sah er für einen Teil ihres Wertes als sein Eigentum an; aber sie erweckte allerdings auch die Vermutung in ihm, daß sie ebenso geben könne wie nehmen; und ihm gab sie nichts! »Warum hat sie mich dann geheiratet?« fragte er sich beständig. Er hatte vergessen, wie er um sie geworben; hatte jene anderthalb Jahre vergessen, wo er sie belagert und ihr nachgestellt hatte, wo er Pläne zu ihrem Vergnügen geschmiedet, ihr Geschenke gebracht, immer wieder seinen Antrag wiederholt und durch seine beständige Anwesenheit ihre übrigen Verehrer verscheucht hatte. Er hatte jenen Tag vergessen, an dem er geschickt einen heftigen Ausbruch ihres Widerwillens gegen ihre häusliche Umgebung ausgenutzt hatte und seine Bemühungen von Erfolg gekrönt sah. Wenn noch etwas in seiner Erinnerung haftete, so war es die schnöde Launenhaftigkeit, mit der das goldhaarige, dunkeläugige Mädchen ihn behandelt hatte. Sicherlich erinnerte er sich nicht des Ausdrucks in ihrem Gesicht – jenes seltsamen, duldenden, anklagenden Blickes – als sie sich eines Tages plötzlich ergab und sagte, daß sie ihn heiraten wolle.

Es war ein Werben voll inniger Hingebung gewesen, wie es in Büchern und von den Menschen gepriesen wird, wo der Liebende nach langem geduldigen Harren schließlich belohnt wird und mit den Hochzeitsglocken ein ewiges Glück beginnt.

Soames ging, verdrießlich auf der Schattenseite der Straße hinschleichend, dem Osten zu.

Das Haus mußte neu gestrichen werden, wenn er sich nicht entschloß aufs Land zu ziehen und zu bauen.

Zum hundertsten Mal in diesem Monat überdachte er diesen Plan. Sich zu überstürzen hatte keinen Zweck! Er lebte in sehr behaglichen Verhältnissen, mit seinem wachsenden Einkommen das fast dreitausend Pfund im Jahr betrug; aber sein angelegtes Vermögen war vielleicht nicht so groß wie sein Vater glaubte – James neigte zu der Annahme, daß es seinen Kindern besser ging, als es der Fall war. »Achttausend kann ich leicht aufbringen,« dachte er, »ohne Robertson oder Nicholl in Anspruch zu nehmen.«

Er war stehen geblieben, um sich einen Bilderladen anzusehen, denn Soames war ein ›Liebhaber‹ von Bildern und hatte Montpellier Square Nummer 62 ein kleines Zimmer, wo an der Wand aufgestapelt eine Menge Gemälde standen, die aufzuhängen er keinen Platz hatte. Er brachte sie, gewöhnlich in der Dämmerung, auf seinem Wege aus der City mit nach Haus und pflegte sich an Sonntag-Nachmittagen in diesem Zimmer aufzuhalten, wo er Stunden damit zubrachte, die Bilder gegen das Licht zu wenden, die Zeichen auf ihrer Rückseite zu prüfen und sich gelegentlich Notizen zu machen.

Es waren fast nur Landschaften mit Figuren im Vordergrund, ein Zeichen geheimer Auflehnung gegen London, gegen die großen Häuser, die endlosen Straßen, wo sein Leben und das Leben der Seinen und seiner Klasse sich abspielte. Von Zeit zu Zeit nahm er dann ein oder zwei Bilder in einer Droschke mit und hielt auf dem Wege in die Stadt bei Jobson an.

Er zeigte sie selten jemand. Irene, auf deren Urteil er im geheimen etwas gab und es vielleicht darum nie forderte, kam nur bei seltenen Gelegenheiten in das Zimmer, um irgend eine Hausfrauenpflicht zu erledigen. Er forderte sie nicht auf, die Bilder anzusehen, und sie tat es auch niemals. Das war für Soames ein neuer Kummer. Er haßte ihren Stolz und fürchtete ihn heimlich.

Aus der Spiegelscheibe des Bilderladens schaute sein eigenes Bild ihn an.

Sein schlichtes Haar unter der Krempe des großen Hutes hatte einen Glanz wie der Hut selbst. Seine blassen schmalen Wangen, die Linie seiner glatt rasierten Lippen, das feste Kinn mit dem vom Rasieren grauen Schimmer und die zugeknöpfte Straffheit seines schwarzen Schoßrockes machten einen Eindruck von Zurückhaltung und Verschwiegenheit, von unerschütterlicher, sicherer Gelassenheit; aber seine kalten grauen Augen mit dem gespannten Blick und der Falte zwischen den Brauen, musterten ihn nachdenklich, als wüßten sie von einer geheimen Schwäche.

Er sah nach dem Gegenstand der Bilder, dem Namen der Maler und berechnete ihren Wert, aber ohne die Befriedigung, die ihm dieses innerliche Taxieren sonst gewährte, und ging weiter.

Nummer 62 würde für ein weiteres Jahr völlig ausreichen, wenn er sich entschloß zu bauen! Die Zeiten waren günstig zum Bauen, Geld war seit Jahren nicht so teuer gewesen; und die Baustelle, die er bei Robin Hill gesehen hatte, als er im Frühjahr hingefahren war um Nicholls Hypotheken zu prüfen – wo konnte er eine bessere finden! Zwölf Meilen von Hyde Park Corner gelegen, würde der Wert des Bodens sicher steigen und immer mehr einbringen als er dafür zahlte, so daß ein wirklich in gutem Stil gebautes Haus die beste Kapitalanlage war.

Das Bewußtsein, der einzige in der Familie zu sein, der ein Landhaus besaß, kam bei ihm kaum in Betracht, denn für einen echten Forsyte waren Gefühle, selbst das Gefühl der gesellschaftlichen Stellung, ein Luxus, den man sich erst gestatten durfte, nachdem das Verlangen nach mehr materiellen Freuden gestillt war.

Irene aus London fortbringen, ihr die Möglichkeit nehmen auszugehen und Leute zu sehen, sie von ihren Freunden trennen und von allen die ihr den Kopf verdrehten! Das war's! Sie war zu dick befreundet mit June! June konnte ihn nicht leiden. Er erwiderte dies Gefühl. Sie waren von gleichem Blut.

Alles wäre gewonnen, wenn er Irene aus der Stadt herausbekommen konnte. Das Haus würde ihr gefallen, und es machte ihr vielleicht Spaß, sich an der Ausschmückung mit zu beteiligen, sie hatte sehr künstlerische Anlagen!

Das Haus mußte in gutem Stil gebaut sein, so daß immer ein guter Preis zu erzielen war, mußte etwas Eigenartiges sein, wie das letzte Haus von Parker, das einen Turm hatte. Aber Parker hatte ihm selbst gesagt, sein Baumeister habe ihn ruiniert. Man wisse nie, woran man mit diesen Leuten sei. Hatten sie einen Namen, so veranlaßten sie einen zu Ausgaben ohne Ende und wären noch dünkelhaft obendrein.

Und einen gewöhnlichen Architekten zu wählen, hatte keinen Sinn – der Gedanke an Parkers Turm schloß die Verwendung eines gewöhnlichen Architekten aus.

Darum hatte er an Bosinney gedacht. Nach der Gesellschaft bei Swithin hatte er Erkundigungen eingezogen, deren Resultat dürftig aber ermutigend war:

»Einer von der neuen Richtung.«

»Tüchtig?«

»Das wohl – aber ein bißchen – ein bißchen hoch hinaus!«

Es war ihm nicht gelungen ausfindig zu machen, was für Häuser Bosinney gebaut hatte, noch wie seine Preise waren. Er hatte den Eindruck gewonnen, als würde er selber die Bedingungen stellen können. Je mehr er über die Idee nachdachte, desto besser gefiel sie ihm. Damit würde die Sache in der Familie bleiben, der Gedanke kam den Forsytes förmlich instinktmäßig; und er erhielt es wohl zu Vorzugspreisen, wenn nicht gar unter den billigsten Bedingungen – das war auch ganz in der Ordnung, wenn man bedachte, daß Bosinney Gelegenheit gegeben war, seine Talente zu entfalten, denn das Haus durfte kein gewöhnliches Bauwerk sein.

Soames freute sich bei dem Gedanken an die Aufträge, die es dem jungen Manne sicher einbringen würde; denn wie jeder Forsyte konnte er durch und durch Optimist sein, wenn irgend etwas dabei zu gewinnen war.

Bosinneys Bureau befand sich ganz in der Nähe, in der Sloane Street, so daß er die Pläne beständig würde überwachen können.

Übrigens würde Irene wohl auch nichts dagegen haben London zu verlassen, wenn der Bräutigam ihrer besten Freundin die Sache bekäme. Junes Heirat hing vielleicht davon ab. Irene konnte anstandshalber ihrer Heirat nicht im Wege stehen; das würde sie niemals tun, dazu kannte er sie zu gut. Und June würde sich freuen, darin sah er auch einen Vorteil.

Bosinney sah gescheit aus, aber er machte auch den Eindruck – und das war einer seiner größten Vorzüge – als wäre er nicht recht auf seinen Vorteil bedacht; in Geldsachen war es gewiß leicht, mit ihm fertig zu werden. Soames hatte bei diesen Betrachtungen nicht im Sinne dies auszunutzen; es war eine ganz natürliche Anschauungsweise bei ihm – die Anschauungsweise jedes guten Geschäftsmannes – all der Tausende von guten Geschäftsleuten, an denen vorbei er sich seinen Weg durch Ludgate Hill bahnte.

Er handelte also nach den unerforschlichen Gesetzen seiner großen Klasse – nach den Gesetzen der Natur selbst – wenn er mit einem Gefühl von innerer Zufriedenheit daran dachte, daß es leicht sein würde, in Geldsachen mit Bosinney fertig zu werden.

Während er sich weiter durch das Gewühl drängte, zog die Kuppel des St. Paulsdomes seine Blicke auf sich, die er sonst auf den Boden vor sich geheftet hielt. Dieser alte Dom übte einen eigentümlichen Zauber auf ihn aus, und er pflegte nicht nur einmal, sondern zwei-, dreimal in der Woche seine tägliche Pilgerfahrt zu unterbrechen, hineinzugehen und sich fünf oder zehn Minuten in den Seitenschiffen aufzuhalten, um die Namen und Inschriften auf den Grabmälern zu betrachten. Der Reiz, den diese große Kirche auf ihn ausübte, war unerklärlich, es sei denn, daß es ihm darin gelang, seine Gedanken auf die Angelegenheiten des Tages zu konzentrieren. Wenn irgend eine Sache, die von besonderer Bedeutung war oder besonderen Scharfsinn erforderte, auf seiner Seele lastete, ging er unwandelbar hinein und wanderte mäuschenstill von Inschrift zu Inschrift. Und wenn er dann auf die gleiche geräuschlose Weise wieder umkehrte, pflegte er, jedesmal ein klein wenig mehr eigensinnige Entschlossenheit in seinem Gang, die Straße hinaufzugehen, als hätte er etwas gesehen, das zu kaufen er sich vorgenommen hatte.

Auch an diesem Morgen ging er hinein, aber anstatt sich von Grabmal zu Grabmal zu stehlen, richtete er die Augen empor zu den Säulen und Wandflächen und blieb regungslos stehen.

Sein emporgewandtes Gesicht mit dem andächtigen, ehrfurchtsvollen Ausdruck, den Gesichter in der Kirche anzunehmen pflegen, war weiß wie Kalk geworden in dem weiten Gebäude. Die behandschuhten Hände hatte er vor sich über dem Griffe seines Schirmes gefaltet. Er hob sie in die Höhe. Eine heilige Eingebung war vielleicht über ihn gekommen.

»Ja,« dachte er, »ich muß Platz haben, um meine Bilder aufzuhängen.«

An demselben Abend sprach er auf seinem Heimweg aus der Stadt in Bosinneys Bureau vor. Er traf den Architekten in Hemdärmeln, eine Pfeife rauchend und im Begriff, den Grundriß eines Planes zu zeichnen. Soames lehnte einen Trunk ab und kam sogleich zur Sache.

»Wenn Sie am Sonntag nichts Besseres vorhaben, kommen Sie mit mir nach Robin Hill und sagen Sie mir Ihre Ansicht über eine Baustelle.«

»Sie wollen bauen?«

»Vielleicht,« sagte Soames. »Aber sprechen Sie nicht darüber. Ich möchte nur Ihre Ansicht wissen.«

»Sehr wohl,« sagte Bosinney.

Soames sah sich im Zimmer um.

»Sie wohnen hier ziemlich hoch,« bemerkte er.

Was er über Art und Zweck von Bosinneys Tätigkeit nur erfahren konnte, war von Nutzen für ihn.

»Für mich ist es so weit gut genug,« erwiderte der Architekt. »Sie sind an Protzen gewöhnt.«

Er klopfte seine Pfeife aus, steckte sie aber leer wieder zwischen die Zähne; es half ihm vielleicht, die Unterhaltung im Gange zu erhalten. Soames bemerkte eine Höhlung in jeder Wange, die vom Saugen herzurühren schien.

»Was zahlen Sie für ein Bureau wie dieses?« fragte er.

»Fünfzig zu viel,« erwiderte Bosinney.

Die Antwort machte einen günstigen Eindruck auf Soames.

»Es ist wahrscheinlich teuer,« sagte er. »Ich komme dann Sonntag gegen elf zu Ihnen.«

Am nächsten Sonntag holte er also Bosinney in einer Droschke ab und fuhr mit ihm zum Bahnhof. Als sie in Robin Hill eintrafen, fanden sie keinen Wagen, und machten sich auf, die anderthalb Meilen bis zu der Baustelle zu Fuß zu gehen.

Es war der erste August – ein herrlicher Tag mit glühender Sonne und wolkenlosem Himmel – und auf dem geraden schmalen Wege, der den Hügel hinauf führte, wirbelten ihre Füße einen gelben Staub auf.

»Kiesboden,« bemerkte Soames und warf von der Seite einen Blick auf den Rock, den Bosinney trug. In den Seitentaschen dieses Rockes steckten Papierbündel, und unter dem Arm trug er einen sonderbar aussehenden Stock. Soames merkte sich diese und andere Eigenheiten.

Nur ein gescheiter Mensch oder allenfalls ein ›Bukanier‹ durfte sich in seinem Äußeren solche Freiheiten erlauben; und obwohl Soames diese Exzentrizitäten zuwider waren, gewährten sie ihm doch auch wieder eine gewisse Befriedigung, da sie auf Eigenschaften schließen ließen, die einen unbedingten Vorteil für ihn bedeuteten. Wenn der Mann Häuser bauen konnte, was kam es dann auf seine Kleider an?

»Ich sagte Ihnen schon,« begann er, »daß dies Haus eine Überraschung sein soll, sprechen Sie also nicht darüber. Ich rede nie über meine Angelegenheiten, bis sie erledigt sind.«

Bosinney nickte.

»Weiht man erst die Weiber in seine Pläne ein,« fuhr Soames fort, »so weiß man nie, wohin das führt.«

»Ja,« sagte Bosinney, »Weiber sind des Teufels!«

Im Grunde seines Herzens hatte Soames seit lange so gefühlt; er hatte es jedoch nie in Worte gekleidet.

»Ah!« murmelte er. »Und nun haben Sie –« Er stockte, fügte aber mit unverhohlenem Ärger hinzu: »June besitzt ein Temperament! – schon von jeher.«

»Temperament ist nichts Schlimmes bei einem Engel.«

Soames hatte Irene nie einen Engel genannt. Er hätte seine besten Empfindungen nicht dadurch entweihen können, daß er anderen Leuten das Geheimnis ihres Wertes enthüllte und sich so gehen ließ. Er erwiderte nichts.

Sie hatten einen neu angelegten Weg quer über ein Gehege eingeschlagen. Eine Karrenspur führte im rechten Winkel zu einer Kiesgrube, dahinter erhoben sich die Schornsteine eines Häuschens inmitten einer Baumgruppe am Rande eines dichten Waldes. Büschel von Federgras bedeckten den rauhen Boden und daraus stiegen Lerchen in den Sonnendunst empor. Am fernen Horizont erhob sich über einer zahllosen Reihe von Feldern und Hecken eine Hügelkette.

Soames ging voran, bis sie die gegenüberliegende Seite erreicht hatten und machte Halt. Es war die gewählte Baustelle; aber jetzt, da er im Begriff war, einem andern den Platz zu zeigen, war er unsicher geworden.

»Der Agent wohnt in dem Häuschen dort,« sagte er, »man kann bei ihm etwas zu essen bekommen – wir wollen lieber erst frühstücken, bevor wir uns die Sache ansehen.«

Er ging wieder voran bis zu dem Haus, wo der Agent, ein Mann namens Oliver, mit einem plumpen Gesicht und ergrautem Bart, sie begrüßte. Während des Frühstücks, das Soames kaum berührte, wandte er keinen Blick von Bosinney und wischte sich mit seinem Taschentuch ein paarmal verstohlen über die Stirn. Endlich war das Mahl beendet und Bosinney erhob sich.

»Sie haben gewiß Geschäftliches zu besprechen,« sagte er, »ich will mich indessen draußen ein wenig umschauen.« Ohne eine Antwort abzuwarten, schlenderte er hinaus.

Soames war Anwalt für dieses Besitztum und brachte beinahe eine Stunde in der Gesellschaft des Agenten zu, besichtigte Grundstückspläne und sprach über die Hypotheken Nicholls und anderer; dann brachte er wie zufällig das Gespräch auf den Bauplatz.

»Die Leute,« sagte er, »sollten mir im Preise entgegenkommen, da ich als erster hier bauen will.«

Oliver schüttelte den Kopf.

»Der Platz, den Sie aussuchten, ist der billigste, den wir haben. Die Baustellen auf der Höhe oben sind ein gut Teil teurer.«

»Übriges,« sagte Soames, »ich bin noch nicht entschlossen, leicht möglich, daß ich gar nicht baue. Die Grundsteuer ist sehr hoch.«

»Es täte mir sehr leid, Mr. Forsyte, wenn Sie es aufgeben würden, und ich glaube, Sie tun nicht recht daran. Es gibt in der Nähe von London kein Stück Land mit einer solchen Aussicht, und keins, das billiger wäre, wenn alles mit in Betracht gezogen wird. Wir brauchten nur zu annoncieren, und eine Unmenge von Leuten risse sich darum.«

Sie sahen sich beide an. Ihre Gesichter sagten sehr deutlich: »Ich achte dich als Geschäftsmann, aber du kannst nicht erwarten, daß ich ein Wort von dem glaube, was du sagst.«

»Also,« wiederholte Soames, »ich bin noch nicht entschlossen, es wird wahrscheinlich nichts aus der Sache werden!« Mit diesen Worten nahm er seinen Schirm, dann reichte er dem Agenten seine frostige Hand, zog sie ohne den geringsten Druck wieder zurück und ging hinaus in die Sonne.

In tiefem Nachdenken kehrte er langsam zurück zu der Baustelle. Sein Instinkt sagte ihm, daß der Agent recht hatte. Ein billiger Bauplatz. Und das Beste daran war, er wußte, daß der Agent ihn gar nicht für so billig hielt; sein eigenes intuitives Urteil über die Sachlage war also ein Sieg über das des Agenten.

»Billig oder nicht, ich muß ihn haben,« dachte er.

Die Lerchen zu seinen Füßen flatterten auf, die Luft war voll von Schmetterlingen, und ein süßer Wohlgeruch stieg aus den wilden Gräsern empor. Der zarte Duft der Farnkräuter wehte leis vom Walde herüber, wo im Dickicht verborgen, die Tauben girrten, und fernher kam mit einem warmen Lüftchen der rhythmische Klang von Kirchenglocken.

Soames heftete die Augen beim Gehen auf den Boden, seine Lippen öffneten und schlossen sich, wie im Vorgeschmack eines leckeren Bissens. Aber als er bei dem Bauplatz anlangte, war Bosinney nirgends zu erblicken. Nachdem er eine Weile gewartet hatte, ging er quer über das Gehege in der Richtung auf die Anhöhe zu. Er hätte gern gerufen, fürchtete sich aber vor dem Klang seiner Stimme.

Das Gehege war einsam wie eine Prärie, nur durch das Rascheln der Kaninchen, die in ihre Löcher schlüpften, und den Gesang der Lerchen wurde die Stille unterbrochen.

Soames, der Bahnbrecher und Anführer der großen Forsytearmee, die heranrückte, diese Wildnis zu zivilisieren, fühlte sich bedrückt durch diese Einsamkeit, den unsichtbaren Gesang und die heiße süße Luft. Er war schon im Begriff umzukehren, als er endlich Bosinney entdeckte.

Der Architekt lag lang ausgestreckt unter einer hohen Eiche mit vom Alter geborstenem Stamm und einem ungeheuren Dach von Zweigen und Laub, die am Rande der Anhöhe stand.

Soames mußte seine Schulter berühren, ehe er aufblickte.

»Ah! Forsyte,« sagte er, »ich hab einen Platz für Ihr Haus gefunden. Da, sehen Sie!«

Soames sah ihn sich an und sagte dann kühl:

»Alles sehr gut und schön, aber dieser Platz würde mich noch einmal so viel kosten.«

»Zum Henker mit den Kosten, Mensch! Sehen Sie sich die Aussicht an!«

Fast ihnen zu Füßen erstreckte das reife Korn sich bis zu einem kleinen dunkeln Wäldchen drüben, wo es sich verlor. Weite Felder und Hecken dehnten sich bis zu dem fernen graublauen Hügelland. Zur Rechten sah man in einem silbernen Streifen den Lauf des Flusses.

Der Himmel war so blau und die Sonne so strahlend, daß es war, als herrsche ein ewiger Sommer über dieser Gegend. Taumelig im reinen Äther wirbelten die Flocken der Distelblüte rund um sie her. Die Hitze tanzte über dem Korn, und alles durchdringend ward sie zu einem leisen, unmerklichen Summen zwischen Himmel und Erde, festlich wie das Gemurmel fröhlicher Minuten.

Soames sah sich um. Unwillkürlich schwellte etwas ihm die Brust. Hier im Anblick von alledem zu leben, es seinen Freunden zeigen zu können, sich darüber zu unterhalten, es zu besitzen! Seine Wangen glühten. Die Hitze, der Glanz, die Glut nahmen seine Sinne gefangen wie vor vier Jahren Irenens Schönheit seine Sinne gefangen genommen und in ihm das Verlangen nach ihr erweckt hatten. Er warf verstohlen einen Blick auf Bosinney, dessen Augen, die Augen des ›Jahrmarkt-Tigers‹, wie der Kutscher ihn genannt hatte, wild über die Landschaft zu schweifen schienen. Die Sonne fiel auf die vorspringenden Teile seines Gesichts, auf die vorstehenden Backenknochen, die Spitze seines Kinns und die vertikalen Erhöhungen über den Brauen. Und Soames beobachtete dies kräftige, enthusiastische, unbekümmerte Gesicht mit einem unbehaglichen Gefühl.

Eine lange leise Windwelle kräuselte das Korn und wehte ihnen einen warmen Lufthauch ins Gesicht.

»Ich könnte Ihnen hier ein Mordsding herbauen,« sagte Bosinney, der endlich das Schweigen unterbrach.

»Das will ich meinen,« erwiderte Soames trocken. »Sie brauchen es nicht zu bezahlen.«

»Für etwa achttausend könnte ich Ihnen einen Palast bauen.«

Soames war sehr blaß geworden – er kämpfte mit sich. Er senkte die Augen und sagte eigensinnig:

»Das kann ich mir nicht leisten.«

Und langsam schritt er mit seinem schleichenden Gang den Weg zu der ersten Baustelle zurück.

Sie verbrachten dort einige Zeit, da sie die Einzelheiten des geplanten Hauses besprachen, und Soames begab sich dann nochmals in das Haus des Agenten.

Nach etwa einer halben Stunde kam er wieder heraus und ging mit Bosinney zum Bahnhof.

»Also,« sagte er, kaum die Lippen öffnend, »ich habe schließlich doch Ihre Baustelle genommen.«

Dann schwieg er wieder und dachte betroffen darüber nach, wie es gekommen war, daß dieser Mensch, den er eigentlich verachtete, ihn in seinem eigenen Entschluß hatte wankend machen können.


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