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Sechstes Kapitel

James auf eigene Hand

Es währte nicht lange, bis Soames' Entschluß zu bauen in der Familie herumgekommen war und eine Unruhe verursachte, wie jede Entscheidung, die mit Vermögensangelegenheiten in Beziehung stand, sie unter den Forsytes hervorgerufen hätte.

Es war nicht seine Schuld, denn er war entschlossen, niemand etwas davon wissen zu lassen. June hatte es in der Überfülle ihres Herzens Mrs. Small erzählt und ihr erlaubt, es nur Tante Ann zu sagen – sie dachte, es würde die gute alte Seele erfreuen! denn Tante Ann mußte seit vielen Tagen das Zimmer hüten.

Mrs. Small erzählte es sogleich Tante Ann, die in ihren Kissen liegend, lächelnd mit ihrer deutlichen, alten zittrigen Stimme sagte:

»Wie schön für die liebe June; aber ich hoffe, sie werden sorgsam sein – es ist doch ziemlich gewagt!«

Als sie wieder allein war, überflog ein Schatten gleich einer Wolke, die einen Regentag ankündigt, ihr Gesicht.

Wie sie die vielen Tage dort so lag, war sie unaufhörlich bemüht, ihre ganze Willenskraft immer aufs neue anzuspannen; auch ihrem Gesicht war es anzumerken, und um die Mundwinkel zuckte es beständig.

Ihr Mädchen, – ›ein gutes Mädchen – aber langsam!‹ – das seit fast zwanzig Jahren in ihren Diensten stand, vollzog jeden Morgen mit peinlichster Genauigkeit die Schlußzeremonie ihrer gewohnten Toilette. Aus der Tiefe einer sauberen weißen Putzschachtel nahm sie die flachgedrückten grauen Locken, das Abzeichen persönlicher Würde, legte sie vorsichtig in die Hände ihrer Herrin und kehrte ihr den Rücken zu.

Und jeden Tag mußten die Tanten Juley und Hester kommen und berichten wie es Timothy ging; was für Nachrichten von Nicholas gekommen; ob es June geglückt, den alten Jolyon zu einer Kürzung der Verlobungszeit zu bestimmen, da Mr. Bosinney doch nun das Haus für Soames baute; ob des jungen Rogers Frau wirklich – erwartete; wie Archie die Operation überstanden und was Swithin mit dem leeren Hause angefangen hatte, dessen Mieter sein ganzes Geld verloren und sich so schlecht benommen hatte. Vor allen Dingen aber über Soames. Verlangte Irene noch – noch immer getrennte Zimmer? Und jeden Morgen sagte sie zu ihrem Mädchen: »Ich komme heute Mittag hinunter, so gegen zwei Uhr. Du wirst mich stützen müssen nach all diesen Tagen im Bett.«

Nachdem Mrs. Small Tante Ann alles erzählt hatte, sprach sie in strengstem Vertrauen zu Nicholas' Frau von dem Haus, und diese wieder ließ es sich von Winifred Dartie bestätigen, in der Voraussetzung natürlich, daß sie als Soames' Schwester alles wissen müsse. Durch sie war es dann auf direktem Wege James zu Ohren gekommen. Er hatte sich nicht wenig darüber aufgeregt.

»Mir,« sagte er, »erzählt keiner was.«

Und anstatt direkt zu Soames zu gehen, vor dessen Einsilbigkeit er sich fürchtete, nahm er seinen Schirm und ging zu Timothy.

Er fand Mrs. Septimus Small und Hester (man hatte es ihr gesagt, denn sie war so zuverlässig und fand es so ermüdend zu sprechen) bereit, sogar begierig, sich über die Neuigkeit zu unterhalten. Es wäre sehr gütig von dem lieben Soames, fanden sie, Mr. Bosinney zu beschäftigen, aber ziemlich riskant. Wie hatte George ihn doch genannt? »Den Bukanier!« Wie drollig! Aber George war immer so drollig! Immerhin würde alles in der Familie bleiben – sie mußten Mr. Bosinney doch wohl als zur Familie gehörig betrachten, so sonderbar es ihnen auch vorkam.

James warf hier ein:

»Niemand weiß etwas von ihm. Ich verstehe nicht, was Soames mit diesem jungen Mann will. Es sollte mich nicht wundern, wenn Irene da die Hand mit im Spiele hätte. Ich werde darüber mit –«

»Soames,« fiel Tante Juley hier ein, »sagte zu Mr. Bosinney, er wünsche nicht, daß darüber gesprochen werde. Er sähe es gewiß nicht gern, wenn man mit ihm darüber spräche, und wenn Timothy es wüßte, würde er sich sehr ärgern, ich –«

James hielt die Hand hinters Ohr.

»Wie?« sagte er. »Ich werde sehr schwerhörig. Ich glaube, ich verstehe nicht recht was gesagt wird. Emily hat einen schlimmen Zeh. Vor Ende des Monats werden wir nicht nach Wales reisen können. Es ist immer was los!« Und da er erfahren hatte, was er wollte, nahm er seinen Hut und ging.

Es war ein schöner Nachmittag und er ging quer durch den Park zu Soames, wo er zu Tisch bleiben wollte, denn Emilys Fuß fesselte sie ans Bett, und Rachel und Cicely waren zum Besuch auf dem Lande. Er schlug einen Querweg über eine Wiese mit kurzem dürren Gras ein, wo hier und dort zerstreut schwarze Schafe weideten, Pärchen lagerten und sonderbare Gesellen auf dem Bauch lagen wie Leichen auf einem Feld, über das die Wogen einer Schlacht geflutet sind.

Er ging schnell, mit gesenktem Kopf und blickte weder nach rechts noch links. Der Anblick dieses Parks, der Mittelpunkt seines eigenen Schlachtfeldes, auf dem er sein Leben lang gekämpft hatte, regte ihn weder zum Nachdenken noch zu Betrachtungen an. Diese dort im Sturm und Drang des Kampfes hingestreckten Leiber, diese Liebespaare, die dicht an einandergeschmiegt der Einförmigkeit ihrer Tretmühle eine Stunde eitel Elysium abgerungen, ließen seine Phantasie unberührt; diese Art von Vorstellungen waren ihm fremd geworden; seine Nase war wie die eines Schafes auf die Weide gerichtet, die er abgraste.

Einer seiner Mieter hatte kürzlich angefangen mit seiner Miete im Rückstand zu bleiben, und es war eine ernste Frage für ihn gewesen, ob er ihn nicht lieber gleich hinaussetzen sollte und so Gefahr laufen, die Wohnung vor Weihnachten nicht wieder zu vermieten. Swithin war gerade übel mitgespielt worden, aber es war ihm recht geschehen – er hatte zu lange gezaudert.

Darüber sann er nach, als er da gleichmäßigen Schrittes weiterging und seinen Schirm vorsichtig, dicht unter der Krücke am Stock trug, um mit der Zwinge den Boden nicht zu berühren und die Seide in der Mitte nicht abzunutzen. Und wie er gebeugt mit seinen hohen mageren Schultern weiterschritt, wobei die langen Beine sich mit mechanischer Genauigkeit vorwärtsbewegten, glich dieser Gang durch den Park, wo die Sonne mit hellem Licht auf soviel Müßiggang – auf so viele menschliche Zeugen des unbarmherzigen Kampfes um Hab und Gut herabschien, der draußen tobte – dem Flug eines Zugvogels über das Meer.

Er fühlte eine Berührung am Arm, als er aus dem Park trat.

Es war Soames, der auf dem Wege vom Bureau plötzlich neben ihm auftauchte.

»Mutter liegt zu Bett,« sagte James. »Ich wollte eben zu euch, aber ich störe wohl.«

Die äußeren Beziehungen zwischen Soames und seinem Vater zeichneten sich durch einen echt Forsyteschen Mangel an Herzlichkeit aus, aber die beiden hingen trotzdem an einander. Vielleicht betrachteten sie sich gegenseitig als Kapitalsanlage; jedenfalls war jeder um das Wohl des andern besorgt und freute sich des Zusammenseins mit ihm. Nie hatten sie zwei Worte über intimere Lebensfragen gewechselt oder in der Gegenwart des andern die Existenz eines tieferen Gefühls verraten.

Etwas, das sich in Worten nicht ausdrücken läßt, verknüpfte sie mit einander, etwas, das verborgen tief in Familien und Nationen wurzelt – denn Blut ist dicker als Wasser, wie man sagt – und keiner von ihnen hatte kaltes Blut. Wirklich war James' Liebe zu seinen Kindern jetzt die Haupttriebkraft seines Lebens. Um diesen, die Teile von ihm selbst waren, sein erspartes Geld hinterlassen zu können, hatte er gespart; und mit fünfundsiebzig Jahren, was war ihm denn noch geblieben sich daran zu freuen, als – das Sparen. Das Sparen für seine Kinder bildete den Inhalt seines Lebens.

Dann war James Forsyte trotz all seiner ›Jonaismen‹ der gesundeste Mensch (wenn der Selbsterhaltungstrieb wirklich das erste Symptom von Gesundheit ist, obwohl Timothy darin entschieden zu weit ging) in ganz London, dem er so viel verdankte, an dem er als dem Mittelpunkt seiner Tätigkeit mit einer stillen Liebe hing. Er besaß die wunderbare instinktive Gesundheit des Mittelstandes. Mehr als bei Jolyon mit seiner festen Willenskraft und seinen Anwandlungen von Zärtlichkeit und Philosophie – mehr als bei Swithin, dem Märtyrer seiner Verschrobenheit – und Nicholas, der unter seinen Fähigkeiten litt – mehr als bei Roger, dem Opfer seiner Unternehmungslust – trat bei ihm die Neigung für Kompromisse zutage. Von allen Brüdern war er an Geist und Persönlichkeit am wenigsten bemerkenswert, und aus diesem Grunde wahrscheinlich zu ewigem Leben ausersehen.

James hatte mehr Liebe für ›die Familie‹ und deren Bedeutung, als einer der andern. Von jeher hatte in seinem Wesen dem Leben gegenüber etwas Ursprüngliches und Gemütliches gelegen; er liebte den häuslichen Herd, liebte es, zu plaudern und zu brummen. Alle seine Ansichten waren wie ein Rahm, den er von der Familiengesinnung abschöpfte, und durch diese Familie wieder von der Gesinnung Tausender von andern Familien gleicher Beschaffenheit. Jahr für Jahr und Woche für Woche besuchte er Timothy, saß mit übergeschlagenen Beinen und dem langen weißen Bart um den glattrasierten Mund im Wohnzimmer seines Bruders, sah die Familienkanne brodeln und den Rahm an die Oberfläche steigen und ging dann erfrischt und gestärkt, mit einem unbeschreiblichen Gefühl des Behagens wieder fort.

Unter der demantharten Decke seines Selbsterhaltungstriebes war viel echte Weichheit in James. Ein Besuch bei Timothy war wie eine Stunde auf dem Schoß einer Mutter; und sein tiefes Verlangen nach Schutz unter den Fittichen der Familie wirkte darum auch auf seine Empfindungen den eigenen Kindern gegenüber zurück. Wie ein Alp bedrückte es ihn, sie mit ihrem Vermögen, ihrer Gesundheit oder ihrem Ruf dem Treiben der Welt ausgesetzt zu sehen. Als der Sohn seines alten Freundes John Street als Freiwilliger eintreten wollte, schüttelte er bedenklich den Kopf und wunderte sich, daß John Street seine Einwilligung dazu gab. Und als der junge Street dann, durch einen Wurfspeer der Wilden getroffen, fiel, nahm er es sich so zu Herzen, daß er überall eigens zu dem Zweck Besuche machte, seine Empörung auszusprechen und zu sagen, daß er gewußt, wie es hatte kommen müssen.

Als sein Schwiegersohn Dartie damals infolge seiner Ölspekulationen jene verhängnisvolle geschäftliche Krisis durchzumachen hatte, war James vor Ärger krank geworden; ihm war, als würde aller Wohlstand zu Grabe geläutet, und es kostete ihn drei Monate und eine Reise nach Baden-Baden, um sich zu erholen; in dem Gedanken, daß ohne sein Geld Darties Namen vielleicht auf die Konkursliste gekommen wäre, lag etwas Furchtbares.

Da er sich einer so gesunden Konstitution erfreute, daß er, wenn er Ohrenschmerzen hatte, schon zu sterben wähnte, betrachtete er gelegentliche Unpäßlichkeiten seiner Frau und Kinder als persönliche Kränkung, als besondere Eingriffe der Vorsehung, um seinen Seelenfrieden zu stören. Aber bei Leuten außerhalb seiner unmittelbaren Familie glaubte er überhaupt nicht an Krankheit und schob die Schuld in jedem Fall auf ein vernachlässigtes Leberleiden.

»Was erwarten sie denn,« pflegte er zu sagen, »mir geht's ebenso, wenn ich nicht vorsichtig bin!«

Als er an diesem Abend zu Soames ging, fand er, daß das Leben ihm hart mitspielte. Emily lag mit ihrem kranken Fuß zu Bett, und Rachel kutschierte auf dem Lande umher; um ihn kümmerte sich keiner. Ann war krank – sie würde den Sommer wohl kaum überstehen – dreimal war er nun bei ihr gewesen, ohne daß sie ihn hatte sehen können! Und diese Idee von Soames ein Haus zu bauen, da mußte man doch aufpassen. Dann aber diese Sorge um Irene, was sollte daraus noch werden – es konnte alles Mögliche daraus entstehen!

Er betrat das Haus am Montpellier Square Nummer 62 mit der festesten Absicht, sich unglücklich zu fühlen.

Es war schon halb acht, und Irene saß, zum Essen angekleidet, im Wohnzimmer. Sie trug ihr goldfarbenes Kleid – denn nachdem sie bei einem Diner und einem Ball damit geprunkt hatte, mußte es im Hause aufgetragen werden – und hatte den Busen mit einer Kaskade von Spitzen geschmückt, an denen James' Blicke sofort haften blieben.

»Wo kaufst du deine Sachen?« fragte er lebhaft. »Rachel und Cicely sehen nie auch nur halb so gut aus. Aber diese Spitze mit dem Rosenmuster da – die ist nicht echt!«

Irene trat dicht an ihn heran, um zu beweisen, daß er sich irre.

Und wider Willen empfand James den Einfluß ihres Wesens, des leisen verführerischen Duftes, der von ihr ausströmte. Kein Forsyte, der einige Selbstachtung besitzt, ergibt sich mit einem Schlage, darum sagte er nur: Kann sein – sie mußte wohl ein schönes Stück Geld für ihre Toilette ausgeben.

Der Gong ertönte, Irene schob ihren weißen Arm in den seinen und führte ihn ins Speisezimmer. Sie wies ihm Soames' gewöhnlichen Platz an der Seite zu ihrer Linken an. Das Licht fiel nur schwach dahin, so daß das allmähliche Verlöschen des Tages ihn nicht belästigen konnte; dann fing sie an mit ihm über sich selbst zu sprechen.

Mit James ging alsbald eine Veränderung vor, wie mit einer Frucht, die in der Sonne reift. Er fühlte sich wie geliebkost, gelobt und getätschelt, und alles das, ohne eine einzige Zärtlichkeit oder ein Wort des Lobes von seiner Seite. Er hatte ein Gefühl, daß alles, was er aß, ihm zuträglich war; zu Haus hatte er nie diese Empfindung; er erinnerte sich nicht, daß ihm jemals ein Glas Champagner so gut geschmeckt hatte, und als er sich nach der Marke und dem Preis erkundigte, überraschte es ihn zu hören, daß es derselbe war, von dem er einen großen Vorrat besaß, jedoch zu Haus nie trinken konnte. Er beschloß sogleich seinem Weinhändler zu melden, daß er betrogen worden war.

Von seinem Teller aufblickend bemerkte er:

»Ihr habt hier eine Menge hübscher Sachen. Was zahltet ihr zum Beispiel für diesen Zuckerstreuer? Wird wohl schweres Geld gekostet haben?«

Besonders gut gefiel ihm ein Bild an der gegenüberliegenden Wand, das er selbst ihnen geschenkt hatte.

»Ich hatte keine Ahnung, daß es so gut ist!« sagte er.

Sie erhoben sich, um ins Wohnzimmer zu gehen, und James folgte Irene auf dem Fuße.

»Das nenne ich ein ausgezeichnetes kleines Diner,« murmelte er leise und beugte sich auf ihre Schultern herab, »nichts Schweres – und nicht zu sehr französiert. Aber zu Haus bekomme ich es nicht so. Ich zahle meiner Köchin sechzig Pfund das Jahr, aber sie kann mir kein Mittagessen bereiten wie dieses!«

Er hatte bis jetzt noch nichts von dem Bau des Hauses erwähnt und tat es auch nicht, als Soames sich unter dem Vorwand von Geschäften nach oben in das Zimmer begab, wo er seine Bilder aufbewahrte.

James blieb mit seiner Schwiegertochter allein. Die Glut des Weines und eines ausgezeichneten Likörs wirkte noch in ihm nach. Er hatte ein herzliches Gefühl für sie. Sie war wirklich ein reizendes kleines Geschöpf, hörte einem zu und schien auch zu verstehen was man sagte; und während der Unterhaltung betrachtete er beständig ihre Figur, von den bronzefarbenen Schuhen bis zu dem welligen Gold ihres Haares. Sie saß leicht zurückgelehnt in einem Empiresessel, an dessen oberen Rand die Schultern sich stützten – die biegsame Gestalt wiegte sich bei jeder Bewegung frei in den Hüften, als überließe sie sich den Armen eines Geliebten. Ihre Lippen lächelten und die Augen waren halb geschlossen.

Vielleicht war es die Erkenntnis einer Gefahr in dem Zauber ihrer Erscheinung oder auch eine Verdauungsbeschwerde, die James plötzlich zum Schweigen brachte. Er erinnerte sich nicht, jemals mit Irene allein gewesen zu sein. Und als er sie anblickte, überkam ihn ein sonderbares Gefühl, als begegne ihm etwas Seltsames und Fremdes. Woran dachte sie wohl – während sie so zurückgelehnt dasaß?

Als er wieder zu sprechen anfing, klang seine Stimme schärfer, als sei er aus einem angenehmen Traum erwacht.

»Was tust du eigentlich den ganzen Tag hindurch?« sagte er. »Du kommst niemals zu uns herüber!«

Sie brachte einige sehr lahme Entschuldigungen vor, und James sah sie nicht an. Er wollte nicht glauben, daß sie ihnen wirklich aus dem Wege ging – es wäre doch zu arg.

»Vermutlich hast du keine Zeit,« sagte er, »du bist ja immer mit June unterwegs, stehst ihr wohl bei, nimmst sie und ihren Bräutigam unter deinen Schutz und anderes mehr. Sie soll jetzt nie zu Haus sein; dein Onkel Jolyon liebt es, glaube ich, gar nicht, so viel allein gelassen zu werden. Sie soll immer um diesen jungen Bosinney sein; er kommt wohl jeden Tag hierher. Wie denkst denn du eigentlich über ihn? Glaubst du, daß er weiß, was er will? Mir scheint, er ist ein armseliger Tropf. Hier hat sie wohl das Regiment in Händen!«

Die Farbe in Irenens Gesicht vertiefte sich, und James beobachtete sie argwöhnisch.

»Vielleicht verstehst du Mr. Bosinney nicht ganz,« sagte sie.

»Ich ihn nicht verstehen!« fiel James hastig ein. »Warum nicht? – Man sieht doch, daß er einer von diesen Kunstfexen ist. Er soll tüchtig sein – aber alle halten sich für tüchtig. Doch du kennst ihn ja besser als ich,« fügte er hinzu und warf wieder einen argwöhnischen Blick auf sie.

»Er zeichnet den Plan zu einem Hause für Soames,« sagte sie freundlich, offenbar bemüht ihn zu besänftigen.

»Dabei fällt mir ein, was ich sagen wollte,« fuhr James fort. »Ich begreife nicht, was Soames mit diesem jungen Menschen will; warum geht er nicht zu einem Baumeister ersten Ranges?«

»Vielleicht ist Mr. Bosinney ersten Ranges!«

James stand auf und machte gesenkten Hauptes einen Gang durchs Zimmer.

»Dacht ich's doch,« sagte er, »ihr jungen Leute haltet alle zusammen; ihr wollt alles immer am besten wissen!«

Mit seiner hohen schmächtigen Gestalt stellte er sich vor sie hin, drohte mit dem Finger, den er dicht vor ihren Busen hielt, wie um eine Anklage gegen ihre Schönheit zu erheben und sagte:

»Soviel ich weiß, sind diese Künstler, oder wie sie sich nennen mögen, ganz unzuverlässige Leute; und dir möchte ich raten, gib dich nicht zuviel mit ihm ab!«

Irene lächelte, und in der Linie ihrer Lippen lag etwas seltsam Herausforderndes. Sie schien ihre Ehrfurcht abgelegt zu haben. Ihr Busen hob und senkte sich wie in geheimem Zorn; sie zog ihre Hände, die auf der Armlehne ihres Sessels geruht hatten, zurück, bis die Fingerspitzen sich berührten, und ihre dunklen Augen warfen einen unergründlichen Blick auf James.

Dieser musterte mißmutig den Fußboden.

»Ich will dir etwas sagen,« begann er wieder, »es ist schade, daß du kein Kind hast, an das du denken und mit dem du dich beschäftigen kannst!«

Ein sinnender Ausdruck kam in Irenens Gesicht, und selbst James merkte die Starrheit, die sich ihrer ganzen Gestalt unter dem weichen Gewand von Seide und Spitze bemächtigte.

Ihn erschreckte die Wirkung, die er hervorgebracht, und wie die meisten Männer, denen es an Mut fehlt, suchte er durch Schelten darüber hinweg zu kommen.

»Du scheinst nicht gern auszugehen. Warum fährst du nicht mit uns nach Hurlington? Und geh zuweilen doch ins Theater. In deinem Alter müßte alles dies dir Freude machen. Du bist doch eine junge Frau.«

Der sinnende Ausdruck ihres Gesichts verfinsterte sich; James war unbehaglich zumute.

»Nun ja,« sagte er, »ich weiß ja nicht; mir sagt keiner was. Soames sollte sich selbst darum kümmern. Ich kann es nicht für ihn. Wenn er sich nicht selbst darum kümmert, muß er auf mich nicht rechnen – alles ist –«

Er nagte an der Spitze seines Zeigefingers und warf verstohlen einen Blick auf seine Schwiegertochter.

Doch er begegnete einem so dunkeln tiefen Blick ihrer Augen, die fest auf die seinen gerichtet waren, daß er verstummte und in gelinden Schweiß geriet.

»Ja, ich muß fort,« sagte er nach einer kurzen Pause, und in leisem Erstaunen, als hätte er eine Aufforderung zu weiterem Bleiben erwartet, stand er eine Minute später auf. Er reichte Irene die Hand und ließ sich von ihr bis an die Haustür begleiten. Er wollte keine Droschke, wollte gehen, Irene sollte Soames für ihn Gutenacht wünschen, und wenn sie eine kleine Aufheiterung brauche, wäre er gern einmal bereit, nach Richmond mit ihr zu fahren.

Er ging nach Haus, und als er oben ankam, weckte er Emily aus dem ersten Schlaf, den sie seit vierundzwanzig Stunden gefunden hatte, um ihr zu sagen, daß die Dinge seiner Ansicht nach bei Soames eine schlimme Wendung nähmen. Nachdem er eine halbe Stunde über dies Thema geredet hatte, drehte er sich endlich mit den Worten, er werde die ganze Nacht kein Auge zutun, auf die Seite und fing augenblicklich an zu schnarchen.

In dem Haus am Montpellier Square stand Soames, der aus dem Bilderzimmer gekommen war, ungesehen oben auf der Treppe und beobachtete Irene, während sie die mit der letzten Post eingetroffenen Briefe sortierte. Sie ging ins Wohnzimmer zurück, kam aber eine Minute später wieder heraus und blieb lauschend stehen. Darauf kam sie mit einem Kätzchen im Arm ganz leise die Treppe hinauf. Er konnte sehen, wie sie ihr Gesicht über das Tierchen neigte, das an ihrem Halse schnurrte. Warum konnte sie ihn nicht so anschauen?

Plötzlich erblickte sie ihn, und ihr Gesicht veränderte sich.

»Sind Briefe für mich da?« fragte er.

»Drei.«

Er trat zur Seite, und ohne ein Wort ging sie weiter ins Schlafzimmer.


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