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Sechstes Kapitel.
Der grüne Pelz.

Der Meier zu Allerdissen blieb so lange mitten auf der Landstraße stehen, als er des schnell forttrabenden Reiters noch ansichtig bleiben konnte, und schaute ihm mit einem eigentümlich von Freude und Wehmut gemischten Gefühle nach. »Ja, ja,« sagte er leise zu sich, »da geht er hin, der echte Sohn seines Vaters, in Sinn und Wort, in Blick und Miene, wenn man nur ein Auge dafür hat! Aber um so mehr tut er mir leid; er ist nicht zur rechten Zeit und an seine rechte Stelle gekommen. Die Erbschaft des Alten wird und kann ihm nicht munden, wie er sich auch darüber entscheiden mag. Doch das überlassen wir ihm selbst. Eigentlich kenne ich ihn erst von heute an, obwohl mir sein Vater, die alte Treuhold und viele andere Leute oft genug über ihn Gutes gesagt, aber so viel habe ich auf den ersten Blick erkannt, daß er von einem ganz anderen Menschenschlage ist, als seine vornehmen Verwandten da drüben. Der Mann hat ein Herz in der Brust, wie es der echte Mann haben soll, und in seinem Auge liegt eine Flamme, die ebenso wohltätig wärmt, wie sie freundlich leuchtet. Ach, das wird –«

Bei diesen Worten wandte er sich von seinem Standpunkt ab, um in die Tenne zurückzukehren, als er plötzlich mitten auf dem kurzen Wege inne hielt und die Landstraße in entgegengesetzter Richtung hinabblickte, als in welcher Bodo von Sellhausen soeben fortgeritten war.

Er mußte etwas Absonderliches auf derselben wahrgenommen haben, denn er brach sein Selbstgespräch kurz ab, und sein Gesicht nahm dabei rasch einen ganz andern Ausdruck an, wie nur ein plötzlicher Gedankenwechsel ihn erzeugen kann.

»Ah,« sagte er, »das alte Sprichwort bewährt sich also auch heute: wenn man vom Wolf spricht oder an ihn denkt, ist er da – und siehe, dort kommt, wenn auch nicht der Wolf, doch eine Frau, von der wir heute sehr viel gesprochen haben und deren Namen ich noch soeben auf die Lippen nehmen wollte.«

Schnell sich den neuen Umständen fügend, ging er nun ein paar Schritte die Chaussee hinab, um sich sehr bald zu überzeugen, daß ihn sein gutes Auge nicht getäuscht hatte, denn das im Abendsonnenschein heranrollende Gefährt brachte ihm einen neuen und ebenso unerwarteten Besuch, wie es der am Nachmittag gewesen war.

Es war eine alte, mit ihren defekten Rädern weithin klappernde und von zwei mageren Gäulen gezogene Mietschaise, die langsam auf der Landstraße daher gerollt kam. Auf dem Bock beim Kutscher saß eine sehr sauber gekleidete ältliche Magd in der gewöhnlichen Landestracht, vor sich einen Regenschirm und eine lederne Reisetasche haltend, welche letztere sie mit großer Sorgfalt beachtete und darum stets mit einigen Fingern berührte. Hinten auf dem Stehbrett des Wagens war ein altmodisches Köfferchen festgeschnallt, und im Fond, tief in eine Ecke gedrückt, saß oder kauerte vielmehr ein altes, grauhaariges Mütterchen, mit zahllosen Runzeln im scharfmarkierten Gesicht, neben der eine kleine festverschlossene Samttasche lag, während vor ihr auf dem Rücksitz noch eine größere Tasche und ein Regenschirm Platz gefunden, welcher letztere ein treuer Begleiter auf allen ihren Wegen war, da sie ihn zu Hause und überall stets als Stütze beim Gehen gebrauchte.

Diese alte Dame, in ein schwarzes, sehr locker sitzendes Seidenkleid gehüllt, trug darüber einen grünen kurzen Samtpelz, äußerlich zwar etwas in der Farbe verschossen, aber inwendig das kostbare Fell einiger Zobel zeigend, die vielleicht schon vor dreißig Jahren in den sibirischen Eissteppen gefangen worden waren. Dieser Pelz war ein Kleidungsstück, welches die alte Dame Winter und Sommer benutzte, auch im Hause bei großer Hitze selten ablegte, denn sie fror beständig, und darum hatten gewisse Leute ihr spottweise den Namen der grüne Pelz beigelegt. Auf dem Kopfe trug sie eine enge weiße Tüllhaube, einfach mit grellen gelben Bändern verziert, und mit gleichem Schmucke war auch der etwas verwaschene Strohhut garniert, den sie darüber festgebunden hatte, um sich so doppelt gegen die kühlere Abendluft zu schützen.

Diese alte Dame war Frau Grete Birkenfeld, deren Vergangenheit wir schon aus der Erzählung des Meiers kennen. Um sie aber auch dem Leser in ihrer äußeren Erscheinung zu schildern, sagen wir ihm kurz, daß sie fast sechsundsiebzig Jahre alt, von Statur klein und schmächtig, überdies vom Alter gebeugt war und auf den ersten Blick überaus hinfällig erschien.

Je winziger und hinfälliger aber ihr von mancherlei Leiden – sie litt auch bisweilen an Asthma – geplagter Körper war, um so rüstiger, lebhafter und elastischer bewies sich ihr Geist. Wenn sie sprach, sprudelten ihr die Worte, und stets die treffendsten, in raschester Folge heraus; in ihrem beweglichen Mienenspiel und in ihrem scharfen grauen Auge spiegelte sich vollkommen die geistige Unruhe und Rastlosigkeit ab, von der sie, ohne dadurch leiblich Schaden zu nehmen, beinahe verzehrt ward. Der Blick dieses Auges war überraschend schnell und durchdringend, bisweilen sogar ätzend, der Ausdruck desselben verriet aber ebenso viel Lebensklugheit wie Menschenkenntnis, worauf es fiel, das hatte sie augenblicklich erfasst und in ihrem überall heimischen Geiste zurechtgelegt.

Wenn sie an Brustbeklemmung litt, was in der Regel nach Tische stattfand, obwohl sie überaus mäßig aß und trank, war sie stets übellaunig und leicht zum Zorn gereizt; fühlte sie sich gesund, so war sie heiter, nahm die Dinge leicht und fand sich mit geduldiger Ergebung in ihr Alter wie in mancherlei Mißverhältnisse, die sie in reichlicher Fülle umgaben.

Bisweilen, so auch jetzt, trug sie eine blaue Brille auf der Reise, um ihre Augen gegen den Staub und die Sonnenstrahlen zu schützen, im Hause aber nur dann, wenn sie einen Besuch hatte, der ihr unangenehm war. Der böse Leumund behauptete, daß sie die Brille nur deshalb trage, um dahinter ihre blitzenden Augen der näheren Beobachtung zu entziehen, da ihre Sehkraft ungemindert, ja in gewissen Punkten über alle Begriffe scharf und bewundernswert gut erhalten war.

Diese Frau nun kam von ihrer gewöhnlichen, im Oktober begonnenen Winterreise zurück, deren eigentliches Ziel sie stets nur ihrem vertrauten Sachwalter angab, vor allen übrigen Personen aber geheim hielt, da sie wenigstens in der Fremde ungestört sein und von ihren Verwandten, den Schwelgern und Hungerleidern, wie sie sie nannte, nicht geplagt sein wollte. Sie kam jetzt zurück, um sich auf ihr kleines stilles Landgut, die Cluus, zu begeben und dort den Sommer zu verbringen; aber nicht wie andere Leute freute sie sich auf die Heimat, vielmehr befand sie sich, in der Voraussicht, nun bald wieder den alten Ärger zu haben, schon jetzt in einem gereizten Gemütszustande, der jedoch momentan bedeutend gemildert ward, als sie den ihr sehr lieben Meierhof erblickte und von weitem bereits den auf der Landstraße stehenden Meier selbst wahrnahm und erkannte.

Der Wagen hielt vor dem Eingang des Hofes auf ihren Befehl still, und der Meier trat herzlich grüßend und winkend an den Schlag, um die alte Dame herauszuheben, was er mit großer Leichtigkeit vollbrachte, da der starke Mann die kleine Last der alten Frau kaum zu fühlen schien. Er wollte eben sagen: »Na, je später der Abend –« als die zungenfertige Frau ihn schon unterbrach und mit lebhaftem Kopfnicken gegen ihn selber, sich zuerst an den Kutscher wandte und mit einer schrillen Stimme rief:

»Haltet eine Weile an, ich habe hier zu tun. Ihr könnt den Pferden Heu und Wasser geben, aber ausspannen dürft Ihr sie nicht. Und Du, Dina, bleib sitzen und bewache die Sachen, wie es sich gebührt.«

Nach diesen Worten hing sie ihre kleine festgeschlossene Samttasche vorsichtig über den einen Arm, mit dem andern faßte sie den artig dargebotenen Arm des Meiers, und indem sie langsam durch die Tenne neben ihm fortschritt, dabei aber nicht einen einzigen Blick um sich her warf, fuhr sie nur um so eifriger im Sprechen fort.

»Ja, lieber Meier,« sagte sie, »guten abend, da bin ich wieder. Sie sind gesund und frisch, ich sehe es, und alles scheint ja wohlauf. – Na, ich bin es auch und ganz zufrieden, denn in meinem Alter muß man Gott für jede erträgliche Stunde danken. Aber Sie sehen mich an, als ob ich Ihnen erst sagen müßte, daß wir Frühjahr haben, und daß die alte Grete nicht ausbleiben kann, wenn die Schwalben und Störche in ihre Nester einkehren. Haha! Nun, ich gehe gern und ungern nach Hause, wie Sie es nehmen wollen, aber bei Ihnen will ich vorher ein halbes Stündchen rasten – ich habe Geschäfte – doch davon nachher. Wo ist die Trude jetzt?«

Der Meier, der seinen Besuch genau kannte und wußte, daß er die alte Frau in ihrem Redefluß nicht unterbrechen, noch weniger ihr Fragen über die zurückgelegte Reise und ihr Befinden vorlegen durfte, wenn er ihre gute Laune nicht verderben wollte, hatte bis jetzt noch keine Gelegenheit gehabt, nur ein einziges Wort zu sprechen, jetzt erst gelangte er dazu.

»Trude ist daheim,« sagte er, »seit einigen Wochen schon.«

»So. Das ist recht, eine Tochter gehört ins Vaterhaus, bis – bis der Unglückstag kommt, wo sie es mit – mit einem anderen verlassen muß. Na – ich habe das auch getan und es eigentlich nie bereut. Wo ist das Kind? Ist sie gewachsen?«

»Tüchtig, Frau Birkenfeld, und sie ist ganz wie sie sein soll, um mich zu erfreuen. Sie hält eben ihre Spinnstunde ab, wird aber bald damit fertig sein – oder soll ich sie gleich rufen lassen?«

»Gott bewahre! Wenn sie Unterricht im Spinnen gibt, tut sie, was ihre Pflicht ist, darin darf man sie nicht stören. Überhaupt keine Umstände, Meier! Sie wissen ja, ich liebe das nicht. So – da sind wir ja – nun, es sieht hier ganz hübsch und gut aus, aber es riecht gewaltig nach Tabaksrauch.«

Der Meier lächelte, bemerkte, daß eben ein Paar Zigarren geraucht seien, und wollte ein Fenster öffnen.

»Lassen Sie zu, lassen Sie zu!« rief die Alte, mit der Hand sein Tun abwehrend. »Ich liebe den Zug nicht. Sie wissen es ja. Mein alter Reinhold hat auch geraucht – ach ja! und ein bißchen Dampf erinnert mich immer an ihn – die gute Seele!«

»Darf ich Ihnen eine Tasse Kaffee anbieten, oder sonst etwas?« fragte der Meier, der die alte Dame in seiner Tochter Zimmer geleitet, wo sie nun in derselben Ecke des Sofas Platz nahm, in der vorher Bodo von Sellhausen gesessen hatte.

»Ach warum nicht gar,« antwortete sie schnell und kurz, indem sie mit der Rechten nach der Samttasche am linken Arme fühlte. »Ich gehöre nicht zu denen, die immer etwas zu beißen und zu schlürfen haben müssen, um ihren Bauch voll und sich dabei gemächlich zu fühlen. Nun, bleiben Sie hier, ich habe nur ein vernünftiges Wort mit Ihnen zu reden, und dann fahre ich gleich wieder ab. Zu Hause finde ich alles, was ich brauche. Boas ist benachrichtigt, daß ich komme.«

Der Meier willfahrte ihrem Wunsche, blieb indessen vor ihr mit einer gewissen Ehrerbietung stehen, die er ihr zollte, als wäre sie seine Mutter oder irgend eine andere Respektsperson.

»Setzen Sie sich – hierher!« rief sie plötzlich und deutete auf einen Stuhl, indem sie ihre Brille auf den Tisch legte. »Ich habe zu reden. Doch zuerst – was gibt es neues hier?«

Der Meier schaute einen Augenblick verlegen vor sich hin, als ob er nicht recht wisse, wie er seine Mitteilung beginnen solle. Diese kurze Zögerung aber und der ungewisse Blick waren hinreichend, um die ihn scharf beobachtende Frau merken zu lassen, daß in ihrer Abwesenheit etwas Wichtiges vorgefallen sei.

»Was ist es?« fuhr sie lebhaft fort und setzte rasch ihre Brille wieder auf. »Heraus mit der Sprache, wenn es auch nichts Gutes ist.«

»O, Schlimmes ist es gewiß nicht,« sagte der Meier, behutsam und mit seinen Fingern laut auf den Tisch trommelnd, »ich wenigstens halte es nicht dafür. Aber wissen müssen Sie es allerdings. Mit einem Wort: Sellhausen hat wieder einen Bewohner und einen neuen Herrn bekommen, nachdem wir den alten im September vorigen Jahres begraben haben, wie Ihnen bekannt ist.«

Die Alte fuhr von ihrem Sitze wie elektrisiert in die Höhe, setzte sich aber sogleich wieder, rückte die Brille fest und starrte den ruhig sprechenden Freund eine Weile sprachlos an. »Ah,« sagte sie endlich, »also das ist es. Nun, das ist nichts neues weiter. Ich habe mir wohl gedacht, daß es so kommen mußte. Ja, der Alte ist tot, und nun kommt der Junge, um es zu machen wie jener, die Feindschaft mit mir fortzusetzen und mir das bisschen Leben noch mehr zu verbittern. Ha! Aufgehetzt wird er ihn genug haben.«

»Meine liebe Frau Birkenfeld,« versetzte der Meier sehr ernst und nachdrücklich, »mein Freund, der alte Herr von Sellhausen, ist Ihnen nicht feindlich gesinnt gewesen.«

»Hoho! Das hat der Herr von Sellhausen bewiesen, jahrelang, schon dadurch, daß er so lange mein Haus gemieden, wo er doch vieles gut zu machen, wenigstens zu entschuldigen hatte. Wie? Warum hat er das getan? Darum, weil er kein reines Gewissen hatte, haha!«

»Nein,« fuhr der Meier ruhig fort, »das war nicht der Grund: sondern weil er wußte, daß Sie in dem einen bewußten Punkte unversöhnlich waren und weil er Ihnen durch den Anblick seiner Person den halb vergessenen Kummer nicht wieder auffrischen wollte. Das und das allein war der Grund!« setzte der Meier mit noch größerem Nachdruck hinzu, der offenbar den gewünschten Eindruck auf seine Zuhörerin nicht verfehlte.

Es entstand eine Pause. Beide schwiegen; nach einiger Zeit aber, während die alte Dame den ehrlichen Mann vor sich haarscharf durch ihre Brille beobachtete, fragte sie kurz: »Warum sprechen Sie nicht? Haben Sie weiter nichts zu sagen?«

»O ja,« sagte der Meier lächelnd. »Wenn Sie eine halbe Stunde früher gekommen wären, hätten Sie den Legationsrat hier getroffen.«

Er hielt inne, denn die alte Frau wurde auffallend bleich und zitterte am ganzen Leibe. Standhaft aber, wie sie immer war, bezwang sie sich auch diesmal bald und sagte nur das eine Wort: »Weiter!«

»Ja,« fuhr der Meier gelassen fort, »und noch dazu auf demselben Platz da hat er gesessen, wo Sie jetzt sitzen –«

Weiter kam er nicht. Die alte Frau sprang heftig auf, als scheue sie sich vor dem unschuldigen Sitze und, mit einem Fuß hart auf den Boden stampfend, rief sie mit der höchsten Erbitterung, wobei ihr kleines Gesicht dunkelrot wurde: »Ah, das ist wider die Abrede, das ist abscheulich von Ihnen, Meier. Sie wissen, daß ich diesen Mann und sein ganzes Geschlecht hasse, daß ich ihn hassen muß, wenn ich mir selbst treu bleiben will! Wie konnten Sie mich auf denselben Platz bringen, den dieser Mensch soeben besudelt hat?«

Der Meier regte sich nicht. In seinem biederen Gesicht spannten sich die ohnehin festen Muskeln nur noch fester an, über sein blaues Auge lagerte sich zwar eine leichte Wolke, aber er sagte ruhig: »So nehmen Sie wo anders Platz! Ich setze mich gern dahin, wo ein braver Mann gesessen hat.«

»Meier!« rief die Alte mit blitzendem Auge und stampfte noch einmal mit dem Fuße, »ist das Ihr Ernst?«

»Ja,« sagte der ehrliche Mann kühn und offen, stand dabei auf und schob seinem Besuche einen bequemen Sessel hin, auf dem die alte Dame grollend Platz nahm und vor stillem Ingrimm an den Nägeln kaute, da sie wußte, daß mit dem Meier nichts anzufangen sei, wenn er seine Meinung und Handlungsweise für rechtlich hielt und sich darauf steifte.

»So,« fuhr sie etwas gemäßigter fort, »aber Sie wissen doch, welche unübersteigliche Schranke zwischen mir und diesem Menschen gezogen ist?«

»Leider weiß ich es, ja. Aber ebensogut weiß ich auch, daß Ihr Groll diesmal auf den unrechten Mann gefallen ist. Überdies ist Ihnen Ihr Zorn kein Ernst. Ich kenne Sie besser. Am wenigsten können Sie Ihren Haß, wenn er wirklich vorhanden ist, auf einen Unschuldigen vererben wollen. Das wäre nicht menschlich, nicht christlich. Nein, nein, Sie sprechen gegen Ihr Gefühl. Ich weiß das.«

»Still, Mann, was wissen Sie von meinem Gefühl? Ebensowenig wie von meinem Haß.«

»O ja, ich weiß davon. Aber ich komme auf diesen Unschuldigen zurück, den ich, Ihnen gegenüber, in Schutz nehmen muß. Ich habe ihn heute so recht kennen gelernt und – warum soll ich es selbst Ihnen nicht sagen – meine wahre Freude daran gehabt.«

»Wie meinen Sie das? Reden Sie!«

»Ja, Frau Birkenfeld, ich will reden, offen und ehrlich, wie ich es immer tat, jedermann gegenüber, mag er sein, wer er will. So wissen Sie denn: der Bodo von Sellhausen hat mir sehr gut gefallen, viel besser, als ich mir ihn denken konnte. Er ist ein Mann, wie wir nicht viele um uns her haben. Ohne Falsch, ohne Trug, ohne List, – mit einem Wort, ein Mann, dem man bis in die Seele blicken kann. Und glauben Sie mir, ich habe ihm bis in die Seele geblickt, und er ist nicht glücklich über seines Vaters letzten Willen, den Sie so gut kennen wie ich, da ich ihn Ihnen selbst mitgeteilt. Aber er wird ihn dennoch erfüllen, so weit er es mit Ehren kann, das ist gewiß – und darum hat er auch meine ganze Achtung gewonnen.«

»Wie? Er wird – die Bagatelle heiraten?«

»Das weiß ich nicht. Bis jetzt kennt er sie noch nicht einmal. Denn er ist, obgleich er schon beinahe fünf Monate auf Sellhausen wohnt, noch nicht bei den Grotenburgs gewesen, um sich ihnen vorzustellen und seine Braut anzusehen – sie aber haben die Zeit nicht erwarten können und sind ihm auf eine seltsame Weise entgegengekommen.« Und er erzählte, was Bodo an diesem Tage begegnet war.

Die Alte lachte höhnisch. »Das sieht dem edlen Geschlechte ähnlich,« sagte sie bitter. »Aber ich halte es für gemein. Doch was verschlägt das. Diese Herrschaften haben sich schon öfter gemein gemacht und denken: nur was sie tun, ist nobel, ist vornehm, ist recht. Haha! Aber weiter. Sie wollen noch etwas sagen.«

»Ja, ich will noch etwas sagen. Was mich an dem Legationsrat am meisten gefreut, ist, daß er mir sein Vertrauen bewiesen, obgleich er mich so wenig kennt. Er trat eine mehrtägige Reise an und trug sein ganzes Vermögen in barem Gelde bei sich.«

Die Alte horchte bei diesen Worten hoch auf, atmete schneller und fragte, mehr mit den blitzenden Augen, als mit der Stimme: »Nun?«

»Und als er meinen Geldschrank sah.« fuhr der Meier fort, »bat er mich, ihm das Geld aufzubewahren, und er wollte es mir überliefern, ohne einen Schein von mir zu nehmen und ohne es einmal zu zählen. Ich litt es aber nicht und wir zählten es. Wissen Sie, wie groß sein Vermögen war? Was er sich in zehn langen mühseligen Jahren erworben, wofür er sich geplagt und in allen Erdwinkeln hat herumhetzen lassen? Nun, es waren alles in allem fünfzehnhundert Taler – und da liegen sie in meinem Schranke. Auf das, was sein Vater aber hinterlassen, macht er nicht den geringsten Anspruch, bis er sich entschieden hat, ob er seinen letzten Willen befolgen kann oder nicht. Er lebt wie ein armer Privatmann von seinen persönlichen Mitteln, obgleich er, da nichts dagegen geschrieben steht, mit den vorhandenen Geldern seines Vaters bis zum August machen könnte, was er will und darum schon, darum, Frau Birkenfeld, habe ich den Mann, der sich selbst bezwingt und in einer so fatalen Klemme sitzt, lieb gewonnen und ihm dazu meine Achtung geschenkt.«

Die alte Dame schwieg. Offenbar hatte die Art und Weise des Meiers, mehr noch als der Inhalt seiner Worte, Eindruck auf sie gemacht. Indeß war der Dämon des Zweifels noch lange nicht in ihr bezwungen und sie lachte plötzlich höhnisch auf.

»So,« rief sie, »also der Herr ist arm! Nun, dann habe ich vielleicht auch noch die Ehre, seine Bekanntschaft zu machen! Dergleichen Leute erinnern sich meiner Existenz nur zu leicht, und sie kommen stets, wenn sie mich gebrauchen.«

Des Meiers Gesicht wurde sehr ernst. Er streckte seinen mächtigen Körper straff in die Höhe und sein schönes Auge leuchtete hell auf als er sagte: »Ich glaube nicht, daß der Legationsrat zu Ihnen kommen wird, wenn er in die Lage geraten sollte, Geld zu gebrauchen. Der ist kein Pumper, wie Ihre teuren hochedlen Vettern und Neffen.«

»Woher wissen Sie das?« fragte die Alte, auf die das Wesen des Meiers jeden Augenblick einen größeren Eindruck machte.

»Das weiß ich aus seinem ganzen Benehmen, aus seinen Worten, aus seiner – äußeren Erscheinung. Sehen Sie ihn nur, und Sie werden sehr bald anders über ihn urteilen. Und gesetzt den Fall, er gebrauchte einmal Geld, und ich erführe es, so würde ich, so bald ich es erführe, zu ihm gehen und ihm vom meinigen anbieten, so viel er haben will. So wahr mir Gott helfe, das täte ich!«

Es erfolgte wieder eine Pause. Frau Birkenfeld sah unschlüssig vor sich hin. Sie kannte den Meier und wußte, daß er tun würde, wie er sagte. Als sie aber immer noch schwieg, reckte sich der Meier abermals in die Höhe und fuhr mit Bedeutung fort: »Und damit Sie erkennen, wie hoch ich den Mann achte, den Sie mit Ihrem Hasse verfolgen, so sage ich Ihnen auch, daß ich sogar den Entschluß gefaßt habe, die Gertrud in sein Haus zu der alten Treuhold zu senden, damit sie sich in der feineren Wirtschaft daselbst umsehe und ihr Wunsch erfüllt werde, auch das Letzte zu lernen, was sie noch nicht weiß.«

»Wie?« rief die Alte mit bebender Stimme und indem sie ihre Brille vor sich auf den Tisch schleuderte, da sie nun keinen Grund mehr sah, ihr wahres Gesicht zu verbergen. – »Wie, die Trude soll in das verfluchte Sellhausensche Haus? Ist das Ihr Ernst?«

»Ja, das ist mein Ernst und die Sache ist beschlossen.«

Frau Birkenfeld schien sich zu beruhigen, aber sie sammelte sich nur. Ihre Lippen verzogen sich plötzlich spöttisch, ihre Augen blitzten den Meier höhnisch an und sie sagte langsam, gleichsam, als wolle sie dadurch einen tieferen Eindruck hervorbringen: »Mir ist es recht, wenn es beschlossen ist. Ich habe keinen Nachteil davon, obgleich es mir um die arme Kreatur leid tut.«

»Welche arme Kreatur meinen Sie?«

»Wen anders, als die Trude? Schicken Sie sie hin, in Gottes Namen, und lassen Sie sie von dem Menschen in Teufels Gestalt, dem Legationsrat verführen. Solche Herren sind schlau und haben Studien genug dazu in der großen Welt gemacht.«

»Frau Birkenfeld!« rief der Meier mit blutrotem Gesicht und sprang energisch von seinem Stuhle auf. »Was sagen Sie da?«

»Sie werden mich hoffentlich verstanden haben,« lautete die ruhige Antwort, während sich der Oberkörper der Sprechenden leise hin und her wiegte.

»Ja, ich habe Sie leider verstanden,« rief der Meier mit edlem Stolze, der wie ein verzehrendes Feuer aus seinen Mienen leuchtete, »aber wissen Sie auch: in der Familie der Sattelmeister zu Allerdissen ist noch nie eine Tochter verführt worden. Unsre Kinder wissen, was sie sich und ihren Vätern schuldig sind!«

»Still, still, Mann, ich habe es nicht so böse gemeint. Setzen Sie sich. Ich bitte darum!« wiederholte sie nachdrücklich, als der Meier mit wogender Brust noch immer vor ihr stehen blieb.

Der ehrliche Mann beruhigte sich bald wieder. Er wußte, daß keine böse Absicht vorgelegen, ihn und seine Familie zu kränken und daß nur der Haß gegen die Sellhausen jene Worte hervorgebracht. Er setzte sich also bald darauf und beide sahen sich wieder milder an. Um aber die so jäh unterbrochene Unterhaltung wieder in das alte Geleise zu bringen, sagte die Alte: »Ich glaube, Sie wollten mir noch etwas von den Grotenburgs sagen. Sprechen Sie. Ich höre.«

»Ach nein,« erwiderte der Meier gelassen, obgleich sein verletztes Gefühl noch immer unter dem letzten Streiche vibrierte, »die Grotenburgs interessieren mich an und für sich sehr wenig, nur in bezug auf den Sohn meines Freundes, der jetzt auch mein Freund ist, flößt mir ihr jetziges Verhalten einigermaßen Sorge ein. Man könnte fast neugierig sein, wie sich das Verhältnis zwischen ihnen und dem Legationsrat gestalten wird.«

»Neugierig? Nicht im geringsten. Was geht uns diese tolle Kaprice eines zum Edelmann gestempelten einfältigen Menschen an?«

»Wenn man aus Menschenpflicht Partei nimmt – und das tue ich hier – so sieht man doch gern ein wenig hinter den Schleier der Zukunft, um so mehr, wenn es Personen betrifft, denen man wohl will.«

»Menschenpflicht hin, Menschenpflicht her! Mag er doch tun, was ihm gut dünkt oder den meisten Vorteil bringt, haha! Ich nehme für keinen von beiden Partei. Der Eine ist mir ebenso verhaßt wie der andere, nur daß ich von den Grotenburgs aus Erfahrung, von dem Sellhäuser aus Instinkt weiß, daß sie meinen Haß verdienen. Dem Baron von Grotenburg und seiner ganzen Sippschaft – o, was wünschte ich diesem Gezücht nicht alles! Aber sie werden ihren Lohn schon finden und ihrem Richter nicht entgehen! Die rechte Zeit kommt für die Gerechten wie für die Ungerechten, und über sie sollte das Urteil, wenn es nach meinem Wunsche ginge, wie ein vernichtender Blitzstrahl hereinfahren, haha! – Ach, lieber Meier, was haben mich diese Personen schon im Leben geärgert! Wie haben sie mich gequält! Was haben sie mir schlechtes nachgesagt, bloß weil ich ihnen mein Geld nicht in Haufen zuwerfen wollte! Und das alles verdanke ich dem Hochmutsteufel meines Schwesterkindes – ist es nicht arg? Diese liebe Nichte, die sich »gnädige Frau« schelten läßt, als ob sie ein sichtbares Stück der Vorsehung wäre, ist die albernste Gans und die dümmste Närrin von der Welt. Hat da aus Hochmut – sie selbst sagt, aus Liebe – einen Baron geheiratet, und der Baron hat sie aus Spekulation – er selbst sagt, wegen ihrer Schönheit – zur gnädigen Frau gemacht. Ja, wenn die reiche Tante nicht in einem Winkel gesessen hätte, wo wäre dann Liebe und Schönheit geblieben! Haha! Aber wie oft sich die Leute irren, wenn sie den Sack mit Geld schon in der Tasche zu haben glauben! Nun sieh doch zu, du dumme Gans, wie du mit deinem Baron auskommst, und du, verliebter Baron, sieh doch zu, wie du mit deiner dummen Gans fertig wirst. Für Euch habe ich nicht gearbeitet und gespart, und mein armer Reinhold auch nicht. Spart Ihr selber, wenn Ihr was haben wollt, und arbeitet, wie andere vernünftige Menschen arbeiten. Wie Ihr es aber jetzt treibt mit Faullenzen und Verschwenden, seid Ihr mir viel weniger wert, als der geringste Mann, der sich mit saurem Schweiß sein tägliches Brot erwirbt. Haha! – Aber Ihr wartet auf die Zukunft, nicht wahr? O ja, die Zukunft ist eine schöne Sache für die, die ihre Gegenwart weise benutzt und nicht unklug mit den Füßen von sich gestoßen haben. Für Euch ist diese Zukunft, wenn ich Eure Vorsehung sein darf, ein bißchen trübe und wolkig. Haha! – O ja, ich hätte Euch etwas vermacht, warum nicht – wenn Ihr nur etwas vernünftig gewesen wäret, aber bei Eurem Sündenleben würde sich Gott selbst im Himmel verwundern, wenn ich Euch auch nur einen Groschen geben wollte. Wie lange würde es wohl bei Euch dauern, bis mein Vermögen in alle Winde geblasen wäre, wie? Heute kriegt Ihr es – und morgen haben es schon andere. Und wofür gebt Ihr es aus? Für Putz und Tand, für Fraß und Soff, für Trug und List, für Schein und Flitter – haha! Das wäre mir recht!

Und so wie diese beiden sind, Meier, so sind die anderen alle. Für sich und ihre Sippschaft mögen sie ganz anständige Leute sein, aber für mich passen sie nicht, ja mir wird übel und wehe, wenn ich sie nur sehe. Als sie reiche Leute waren – sie hatten einmal ein hübsches Sümmchen Geld – da haben sie es vergeudet und verpraßt, als ob es ihnen zwischen den Fingern brennte, und damals haben sie sich um mich und meinen Mann nicht bekümmert, haben ihn den Krämer genannt und Tante Grete Tante Grete sein lassen – haben sogar niemanden gesagt, dass ich auf der Welt bin. Als sie aber arm und ich reich geworden war, da schmeichelten sie mir und wedelten, wie die Hunde mit den Schwänzen es tun, wenn sie auf Bettelei ausgehen. Jetzt, ja, jetzt bin ich ihre Goldtante – vorne und hinten – und das liebe Tantchen Grete! Haha! Ja, wenn ich jedem von ihnen jährlich 10 000 Taler gäbe, damit sie nach irgend einer großen Stadt gehen, mit Vieren fahren und alle Tage große Schmausereien geben könnten, dann bliebe ich für immer und ewig die gute Seele, die göttliche Tante Grete, aber jetzt, Meier, jetzt, da ich meine Hand verschließe, bin ich ein Drache, da schimpfen sie mich den verschimmelten »grünen Pelz«. O, ich fühle es recht gut, daß sie mich, wenn sie mich nur sehen, gern mit ihren Augen totschlagen möchten, um mich zu beerben, aber von einem solchen Totschlag stirbt kein Mensch, und ich lebe ihnen zum Trotz, womöglich noch hundert Jahre, so sauer es mir manchmal wird. Aber mein Geld ist mein und nach mir erhält es nur der, der damit wie ein vernünftiger Mensch zu wirtschaften versteht. – Doch ich will mich nicht ärgern über dies Gesindel. Haha! Vielmehr, lieber Meier, da wir gerade von Geld sprechen, will ich endlich zu meinem Geschäft mit Ihnen übergehen und dann getrost meines Weges fahren.«

Der Meier, der bei der letzten langen Expektoration, die er schon oft vernommen, ganz still gesessen und sich die Augen mit der Hand beschattet hatte, blickte jetzt hell auf und in seinem ehrlichen Gesicht stand deutlich ein Fragezeichen geschrieben, das mit dem Ausrufungszeichen gespannter Erwartung eng verbunden war.

»Was für ein Geschäft meinen Sie?« fragte er mit seiner gewöhnlichen Ruhe, obgleich ihm das Herz etwas heftig dabei pochte.

»O, lieber Meier, es ist die bewußte Geschichte wegen der 30 000 Taler, die Sie auf dem Gute da drüben stehen haben. Sie wissen ja. Ich frage Sie nun noch einmal: wollen Sie mir Ihren Teil zedieren, auf daß ich das Ganze in der Hand habe und damit nach meinem Gefallen heut' oder morgen tun kann, wenn ich das Geld gebrauche?«

Der Meier besann sich nur einen Augenblick, nicht um die Antwort auf diese Frage zu finden, sondern wie er sie am besten und eindringlichsten in Worte kleiden könnte, denn er wußte und sah, daß die Ohren und Augen der alten Frau mit einer wahren Falkenschärfe auf ihn gerichtet waren und daß ihr vulkanischer Geist nur wartete, um auch die Kralle des Falken zu zeigen.

»Frau Birkenfeld,« sagte er gelassen, »ja, ich erinnere mich, daß ich Ihnen einst das Versprechen gab, meinen Schuldanteil des Gutes auf Sie zu übertragen, damit Sie alles in Händen hätten, falls gewisse Fälle dies ratsam und ersprießlich erscheinen ließen. Allein erlauben Sie, daß ich Ihnen sage, daß mir der jetzige Moment und nachdem Sie mir eben von neuem – Ihren Haß enthüllt, kein geeigneter dazu scheint. Hätte ich nicht zufällig den Legationsrat heute kennen gelernt, so würde ich Ihnen vielleicht meine Einwilligung gegeben haben, aber jetzt weiß ich nicht, ob ich es vor meinem Gewissen verantworten könnte, gerade heute, nachdem ich ihm eben die Hand gedrückt und in sein Herz geschaut, etwas zu tun, was ihm möglicherweise einen großen Schaden bereiten, ja einen tödlichen Schlag versetzen könnte.«

Die Alte lachte wieder höhnisch auf – sie hatte diesen Ausspruch vorausgesehen, denn sie kannte den wackern Meier. »Schaden!« rief sie. »Einen tödlichen Schlag! Nun, was wäre am Ende daran gelegen?«

Der Meier lächelte wie ein Mann, der nicht an die Bosheit der Welt glauben will, obgleich er sie bisweilen in greifbarer Form vor sich sieht. »Das meinen Sie nicht so,« sagte er still, »ich kenne Sie besser. Sie sprechen oft etwas aus, was Ihr Herz an anderen noch öfter verurteilt.«

»Haha! Was Sie schlau sein wollen! Sie alter gutmütiger Tor! Vielleicht aber irren Sie sich doch in mir. Glauben Sie nur, mir ist an diesem – diesem Menschen, dem Sie so warm das Wort reden, wirklich sehr wenig gelegen.«

»Mag sein, aber sehen Sie ihn sich erst an, – ich wiederhole es – und wenn Sie dann noch etwas so Schweres gegen ihn zu unternehmen wünschen, wie Sie bisweilen schon in zornigen Momenten bei Lebzeiten seines Vaters haben tun wollen, dann will ich jenes Geschäft mit Ihnen abschließen. Aber keinen Augenblick eher.«

»Topp!« rief sie laut und hielt ihre welke Hand dem Meier entgegen.

Er schlug ein, und beide schüttelten sich wie alte Freunde, die sich besser kennen, als sie zugestehen, die Hände.

»Aber ich ändere meine Meinung über ihn nicht,« fügte sie mürrisch hinzu. »Das weiß ich bestimmt.«

»Wir wollen es sehen – er besucht Sie bald.«

»Ja, ja,« rief sie mit dunkelrotem Gesicht, »er soll mir nur kommen – ich werde ihn schon behandeln, wie er es verdient.«

»Nun, dann bin ich sicher, daß Sie ihn gut behandeln!« rief der Meier fast fröhlich.

In diesem Augenblick ging die Tür auf, und eine Gestalt trat herein, die mit ihrer jugendlichen Schönheit den aus dem Zimmer längst entschwundenen Sonnenschein zu ersetzen schien, wenigstens war die Wirkung ihrer bloßen Erscheinung fast der eines seltenen Sonnenstrahls gleich.

Gertrud, die Tochter des Meiers, war es selbst, der auch wir jetzt persönlich entgegentreten. Sie kam heiter, ernst, wie sie gewöhnlich war, aus ihrer Spinnstube herbei, nicht etwa um von der Arbeit daselbst zu ruhen, nein, nur um eine Pflichterfüllung mit der andern zu vertauschen und in der großen Wirtschaft nach dem Rechten zu sehen, wie sie es gern tat, wenn sie im väterlichen Hause war, obgleich ihre Erziehung und geistige Bildung sie weit über diese einfache Sphäre hinausgehoben hatte. Als sie aber hörte, daß Besuch beim Vater und wer es sei, kam sie aus den Wirtschaftszimmern herein, um die alte Dame, die sie so lange nicht gesehen, in ihrer herzlichen Weise zu begrüßen.

Als sie mit hurtigem Schritt und den gelenkigen Oberkörper mit anmutiger Bewegung sanft vorneigend in die Tür trat, war ihre Wange von der heißen Luft der mit Kindern gefüllten Spinnstube noch leicht gerötet, und ihr kluges Auge, von gleich schöner blauer Farbe, wie das des Vaters, leuchtete von jener inneren Zufriedenheit, die wir stets empfinden, wenn wir das Bewußtsein in uns tragen, eine gerade angenehme Pflicht mit Geduld und Ausdauer erfüllt zu haben.

Wie gesagt, eine wunderbare Wirkung brachte diese ebenso schöne wie imponierende Erscheinung auf die beiden Personen im Zimmer hervor. Beide brachen sofort von dem Gegenstande ihrer bisherigen Unterhaltung ab, und über des Vaters Gesicht schoß ein rascher Freudenstrahl – ob über seine Tochter selbst oder darüber, daß sie zu rechter Zeit ein unerquickliches Gespräch beseitigen half, wollen wir dahingestellt sein lassen.

Am sichtbarsten aber war die alte Dame betroffen, und sie schien plötzlich den Faden ihrer ebenso lebhaft entwickelten Gedanken ganz und gar verloren zu haben. Mit halb offenem Munde stand sie von ihrem Platze auf, sah mit Erstaunen dem lieblichen Mädchen entgegen, an dem sie eine so auffallende Veränderung bemerkte, und blickte dann, gleichsam um Aufklärung zu gewinnen, auf den Meier hin, den diese sichtbare Einwirkung seiner Tochter auf die alte Frau doppelt erfreute.

»Trude!« rief Frau Birkenfeld endlich, »was seh ich? Bist du es selber oder schickst du deinen guten Geist vor dir voraus? Wahrhaftig, lieber Meier, Sie hatten recht: das Kind ist gewachsen und ach! was hat sie für eine Gestalt und für ein Gesicht bekommen!«

Mit diesen Worten schritt sie auf das Mädchen zu, das sich ihr lächelnd näherte, und küßte es herzlich auf die Stirn, wobei Gertrud ihre hohe Gestalt tief vor der kleinen Frau beugen mußte.

»Tante Grete,« sagte nun Gertrud mit einer klangvollen, etwas tiefen und wunderbar in dem Herzen der Angeredeten widerhallenden Stimme, »ich begrüße Sie herzlich in der Heimat. O wie lange haben wir uns nicht gesehen, und wie angenehm fügt es sich, daß ich gerade zu Hause sein muß, da Sie meinen Vater mit Ihrem Besuch erfreuen.«

Die alte Dame antwortete nicht gleich, denn sie war mit der Betrachtung des lieben Mädchens noch lange nicht zu Ende gekommen. Sie ging mehrmals um sie herum, beschaute sie mit ihren scharfen Augen von allen Seiten und sagte dann mit einem Gesichtsausdruck, der dem im vorigen Gespräch entwickelten in keiner Weise glich, so gleichsam strahlend von Wohlwollen, Güte und Herzlichkeit war er:

»Mein lieber Meier, ich gratuliere Ihnen! Nun weiß ich, woher Ihre milden Gedanken kommen, und ich wundere mich nicht mehr, daß es so ist. Doch – machen wir über etwas, was sich von selbst versteht, nicht viele Worte. Trude, ich freue mich auch, dich zu sehen, und noch mehr fast, daß du mich wie in früheren Jahren Tante Grete nennst. Ja, mein Kind, ich will gern deine Tante sein und bleiben, wenn du selbst die alte Trude und mit Ehren die brave und fleißige Tochter des Meiers zu Allerdissen bleibst. Aber für heute, mein Liebchen, kann ich nicht weiter mit dir reden. Es beginnt dunkel zu werden, und mein Weg ist noch weit. Aber wenn du einmal länger mit mir sprechen willst – und ich hoffe, du willst es recht bald – so besuche mich auf der Cluus. Dort will ich dir meine Blumen zeigen, und du sollst von meinem besten Honig kosten, was nicht jedem zuteil wird. Willst du?«

»Gern will ich, Tante Grete. Der Sommer ist lang, und an Zeit wird es mir hoffentlich nicht fehlen.«

»So bin ich zufrieden, und ich erwarte dich. Aber jetzt muß ich aufbrechen. Nun, mein alter Freund,« wandte sie sich an den Meier, der unverwandt und mit teilnehmendem Schweigen bald seine Tochter, bald die alte Frau – zwei Erscheinungen, wie sie nicht verschiedener gedacht werden konnten – betrachtet hatte, »jetzt will ich von Ihnen scheiden. Hoffentlich sind Sie mir nicht böse, und wir bleiben gute Freunde vor wie nach, wenn wir uns auch heute ein wenig gezankt haben. Nun, das schadet nicht, ein bißchen Zank ist gesund. Über unser Geschäft sprechen wir also ein andermal weiter. Adieu, lieber Meier, und adieu, mein liebes Kind!«

Sie drückte dem Meier die Hand, küßte Gertrud noch einmal auf die Stirn und trippelte dann mit ihrem hastigen Schritt so rasch zur Tür hinaus, als ob sie eine junge Frau wäre und das eilfertigste Geschäft zu besorgen hätte.

Der Meier sowohl, wie seine Tochter begleiteten sie an den Wagen, hüllten sie sorgsam gegen die Abendluft ein und sahen ihr noch eine Weile nach, nachdem der Wagen mit der seltsamen Frau schon eine Strecke auf der Landstraße entlang gefahren war.

Nachdem aber beide in die Tenne zurückgekehrt waren und wenige Worte miteinander gewechselt hatten, trennten sie sich. Jeder mochte für sich Verschiedenes zu tun haben. Als Gertrud aber eine halbe Stunde später in ihres Vaters Zimmer trat, fand sie den sonst so lebensfrohen Mann mit gesenktem Kopfe und auf dem Rücken zusammengelegten Händen langsam durch die Stube schreiten, und sein Gesicht sah dabei so ernst und nachdenklich aus, als habe er nicht nur wichtige, sondern auch trübe Gedanken zu verarbeiten.

»Lieb Väterchen,« sagte da Gertrud und legte ihren schönen Arm um den kräftigen Leib des Meiers, »du gehst ja so sinnend einher, wie es gar nicht deine Gewohnheit ist, und die alte Dame sprach von Zank. Ihr habt Euch doch nicht ernstlich entzweit, oder sie hat dir doch mit ihrer scharfen Zunge nicht weh getan?«

Der Meier schaute bei diesen liebevollen Worten glückselig lächelnd auf, umfasste sein Kind ebenfalls, und nun gingen beide nebeneinander mehrmals durch das große Zimmer auf und ab. »Nein, Gertrud,« sagte der Vater dann, »persönlich hat sie mir nicht weh getan, die alte seltsame Frau; ich kenne ja ihre Art und Weise zu genau, um nur ihre Worte zu Gemüt zu ziehen. Aber Ernstes haben wir allerdings besprochen, und es wird künftig vielleicht noch Ernsteres im Gefolge haben. Doch davon wollte ich jetzt nicht mir dir reden.«

Bei diesen Worten blieb er stehen, sah Gertrud mit seinen blauen Augen fest an, was diese mit treuherzig lächelnder Miene warm erwiderte, und fuhr dann fort: »Ich wollte dir vielmehr etwas Anderes sagen, was mich heiterer gestimmt hat, als der Besuch der Tante Birkenfeld. Während du in der Spinnstube warst, habe ich einen Besuch gehabt, den ich lange vergeblich erwartet. Weißt du schon, wer hier war?«

»Nein, Väterchen, ich habe nichts gesehen und gehört.«

»Nun, es war der Legationsrat von Sellhausen, der Sohn meines alten Freundes, der endlich seinen nächsten Nachbar in mir aufsuchte. Du kennst ja das Verhältnis. Der junge Mann hat einen sehr günstigen Eindruck auf mich gemacht, und ich glaube, wir werden dereinst recht gute Freunde werden. Auch habe ich mit ihm von deinem Wunsche gesprochen, und er sieht es gern, wenn du auf einige Zeit nach Sellhausen gehst.«

»Ah, zu Tante Treuhold!« rief Gertrud.

»Ja, zu ihr. Hast du nun noch Lust, dich in einer so schönen Wirtschaft umzusehen, wo so viele Dinge, wie wir sie nicht haben, zu finden sind, dann sollst du hin – wo nicht, so bin ich es auch zufrieden, und du bleibst bei mir.«

»O nein, Väterchen, laß mich immerhin zur Tante Treuhold gehen. Sie wohnt ja so nahe, daß ich dich jeden Tag besuchen kann. Ich habe eine große Sehnsucht nach dem schönen Park von Sellhausen und dem Wesertal, was man ja vom Hause aus dort ganz und gar übersieht. Auch denke ich noch manches zu lernen, was ich später gebrauchen kann, um dir selbst das Leben hier angenehmer zu machen.«

»Gut,« sagte der Meier, »so soll es geschehen. Morgen kann ich nicht, übermorgen vielleicht will ich hinüberfahren und mit der Treuhold das Nötige besprechen. Ich bin so lange nicht in dem lieben Hause gewesen, daß ich selbst eine ordentliche Sehnsucht danach habe, und da sein Herr mich besucht hat, hält mich nichts mehr zurück. Bevor du aber selbst hingehst, habe ich dir noch manches zu erzählen – doch heute nicht, mein Kind; mein Kopf schwirrt mir von allem, was ich gesehen und gehört, und so will ich ein wenig die Abendluft aufsuchen, um mich zu erfrischen.«

»Soll ich dich nicht begleiten, Väterchen?«

»Nein, laß mich allein gehen, ich habe mir vielerlei zu überlegen.«

Nach diesen Worten nahm er seinen Hut und einen tüchtigen Stock, pfiff einem schlanken Hühnerhund, der irgendwo in der Tenne lag, und trat hinaus in den schönen Maiabend, der bald mit seiner Frische die heißen Schläfe des Mannes kühlte. Denn die beiden Besuche, so rasch aufeinander folgend und von so verschiedenen Empfindungen und Gedanken begleitet, hatten das Blut des starken Mannes in Wallung gebracht und seine Seele ergriffen, die weder am Groll, noch am Haß der Menschen Freude fand. Daher fühlte er das Bedürfnis, allein zu sein, und den Tropfen Gift, den die alte Frau ihm eingeträufelt, obwohl er sehr gut wußte, daß sie es nicht so böse meinte, wieder auszustoßen, was in der freien Natur, wo niemand uns sieht und stört, so leicht und schnell zu bewerkstelligen ist.

So schritt er rüstig eine Stunde auf der stillen Landstraße fort, und als er dann in sein von vielen Lichtern glänzendes Haus zurückkehrte, hatte er seine Absicht erreicht, er war wieder der ruhige Mann geworden, der getrost und mit hellem Blick der Zukunft entgegensah, die für ihn weder Sorge noch Schrecken im Schoße barg, weil er vertrauensvoll den Glauben hegte, daß alles kommen werde, wie es kommen müsse, und daß ein großer Geist da droben die Schicksale der kleinen Menschen nach seiner Weisheit und unermeßlichen Vatergüte lenke.


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