Sextus Julius Frontinus
Des Sextus Julius Frontinus' Schrift über die Wasserleitungen der Stadt Rom
Sextus Julius Frontinus

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20. Der Neue Anio und die Claudia werden von den Teichen ab auf höhere Bogen aufgenommen, so dass der Anio oben ist. Es endigen die Bogen derselben nach den Pallantianischen Gärten, und von da werden sie zum Gebrauche der Stadt durch Röhren vertheilt. Einen Theil ihres Wassers jedoch überträgt die Claudia zuvor an der Spes Vetus auf die sogenannten Neronischen Bogen. Diese ziehen sieb durch den Berg Celius hin und endigen neben dem Tempel des Divus Claudius. Das empfangene Maass versenden die beiden Gewässer theils um eben den Celius, theils auf das Palatium und den Aventinus und in das Transtiberiaische Stadtviertel.

21. Der Alte Anio geht diesseits des 4ten Meilensteines, da wo man von der Latinischen Strasse auf die Lavicanische geht, unterhalb der Bogen des Neuen Anio durch, und hat dort seinen Teich. Dann gibt er innerhalb des 2ten Meilensteines einen Theil in das sogenannte Octavianische Hohlgerinne ab, und gelangt in die Gegend des Neuen Weges bis an die Asianischen Garten, von wo aus er durch den dortigen Strich herum vertheilt wird. Die gerade Leitung aber, welche an der Spes Vetus vorbei bis innerhalb des Esquilinischen Thores kommt, wird in tiefliegende Gerinne durch die Stadt zertheilt.

22. Weder die Virgo noch die Appia noch die Alsietina haben Fassungsbehälter, das heisst Teiche. Die Bogen der Virgo nehmen ihren Anfang unter den Lucillianischen Gärten, sie endigen auf dem Marsfelde an der Vorderseite der Septa (Schranken). Das Gerinne der Appia, unter dem Celius und Aventinus fortgetrieben, taucht, wie wir gesagt haben, unter dem Publicischen Hügel wieder ans Tageslicht auf. Die Leitung der Alsietina endet hinter der Naumachie, um deretwillen sie angelegt zu seyn scheint.

23. Weil ich nun die Urheber und Alter eines jeden Gewässers, überdiess die Ursprünge und Längen der Gerinne und deren Höhe-Folge durchgegangen bin; so bedünkt es mir nicht unzweckmässig, auch das Einzelne nachfolgen zu lassen und darzuthun, wie gross die Wassermenge sey, welche zu des Staates and der Privaten Gebrauch und Aushilfe so wie zu deren Vergnügen dient, und durch wie viele Schlosser und in welche Stadtviertel sie vertheilt wird, wieviel Wasser innerhalb der Stadt, wieviel ausserhalb der Stadt, dann wieviel für Becken, wieviel für Wasserkünste, wieviel für öffentliche Wasserhäuser, wieviel auf Cäsars Rechnung, wieviel für den Privatgebrauch verwendet wird. Aber bevor ich die Namen Fünfer, Hunderter und die der übrigen Gemässe, durch welche die Messung festgesetzt ist, vorbringe, halte ich es für zweckmässig, auch anzugeben, welcher ihr Ursprung sey, welche die Gehalte, und was eine jede Benennung bedeute, und nach Vorlegung der Regel, nach welcher ihr Verhältniss und Eingang berechnet wird, zu zeigen, wie ich die Abweichungen gefunden und welchen Weg zur Verbesserung ich befolgt habe.

24. Die Gemässe der Gewässer sind entweder nach dem Maasse der Finger oder der Zolle eingerichtet. Die Finger sind in Campanien und an sehr vielen Orten Italiens, die Zolle in den Volksrechnungen bis auf den heutigen Tag im Gebrauch. Der Finger ist, nach Uebereinkunft, der sechszehnte, der Zoll der zwölfte Theil des Fusses. So wie aber zwischen Zoll und Finger Verschiedenheit stattfindet, so herrscht auch eben beim Finger keineswegs eine und dieselbige Geltung. Der eine heisst Quadratfinger, der andere Rundfinger. Der Quadratfinger ist um drei seiner Vierzehntheile grösser als der Rundfinger; der Rundfinger um drei seiner Ellftheile kleiner als der Quadratfinger, nämlich weil die Ecken abgehen.

25. Darnach wurde ein Gemässe, welches weder vom Zoll noch von einem der beiden Finger herstammt, nach der Angabe einiger vom Agrippa, nach andern von den Bleiern durch den Baukünstler Vitruvins eingeführt, und kam, mit Ausschliessung der früheren, in der Stadt in Gebrauch unter dem Namen Fünfer : weil, wie diejenigen sagen, welche es dem Agrippa zuschreiben, fünf alte winzige Gemässe und gleichsam Punkte, nach welchem einst das Wasser, als sein Vorrath noch unbedeutend war, getheilt wurde, in Eine Röhre zusammengetrieben worden sind; die es dem Vitruvius und den Bleiern zuschreiben, von dem Umstande, dass eine ebene Bleiplatte von fünf Fingern Breite, in Rundung getrieben, dieses Rohrmaass bilde. Allein dieses ist unsicher; weil die Platte, wenn sie rund getrieben wird, wie sie an der innern Oberfläche zusammengezogen, so an der äussern ausgedehnt wird. Am Wahrscheinlichsten ist, dass die Fünfer ihren Namen hat von dem Durchmesser von fünf Quadranten (Viertheilen); ein Verhältniss, welches auch bei den folgenden Gemässen bis zur Zwanziger fortbesteht, indem der Durchmesser jedes einzelnen Gemässes durch Hinzufügung einzelner Quadranten wächst: z. B. bei der Sechser, welche nämlich sechs Quadranten im Durchmesser hat, und bei der Siebener, welche sieben, und so der Reihe nach unter gleichem Zuwachs bis zur Zwanziger.

26. Jedes Gemässe aber wird berechnet entweder nach dem Durchmesser oder nach dem Ummesser oder nach dem Inhalte des Querschnittes; aus welchen auch das Fassungsvermögen erhellet. Um den Unterschied des Zolles, des Quadratfingers und des Rundfingers und der Fünfer selbst leichter zu erkennen, muss man sich des Werthes der Fünfer bedienen, welches Gemässe das genaueste und am Allgemeinsten angenommene ist. Das Gemässe des Zolles also hat einen Finger und 1/3 des Fingers im Durchmesser; es fasst eine Fünfer und mehr als 1/8 der Fünfer, das heisst als 1.5/12 der Fünfer und 3 Scripel und 8/12 des Scripels. Der Quadratfinger, in Rundung gebracht, hat im Durchmesser einen Finger und 1.5/12 des Fingers und ein Scripel; er fasst von der Fünfer 9/12, 1.5/12 und 1/48. Der Rundfinger hat im Durchmesser einen Finger; er fasst von der Fünfer 7/12, 1/24 und 1/72.

27. Uebrigens erhalten die Gemässe, welche von der Fünfer entspringen, auf zweierlei Art Zuwachs. Die eine ist, wenn die Fünfer selbst vervielfacht wird, d. h. in demselbigen Lichten mehrere Fünfer eingeschlossen werden; wobei je nach Hinzufügung von Fünfern die Weite des Lichten wächst. Sie ist aber in der Regel dann im Gebrauch, wenn mehrere Fünfer, um nicht durch das Recht auf bewilligtes Wasser die Röhren auf den Wegen zu oft zu verwunden, durch Eine Röhre ins Wasserschloss aufgenommen werden, aus welchen die Einzelnen ihr Maass erhalten. Die zweite Art findet Statt, so oft die Röhre nicht durch nothwendige Verdoppelung der Fünfer wächst, sondern nach dem Maass ihres Durchmessers: wornach sie auch den Namen erhält und das Fassungsvermögen erweitert. So z. B. gibt die Fünfer, wenn man ihr zum Durchmesser ein Viertheil hinzufügt, eine Sechser: nicht aber erweitert sie nun ihr Fassungsvermögen um ein Ganzes: denn sie fasst 1 Fünfer und 5/12 und 1/48. Und sofort auf dieselbe Weise ergeben sich durch Hinzufügung von Viertheilen, wie oben gesagt worden ist, die Siebener, die Achter, bis zur Zwanziger.

29. Hierauf folgt die Berechnungsweise, welche sich aus der Zahl der im Querschnitte, d. i. Lichten, jedes Gemässes enthaltenen Quadratfinger ergibt; von welchen die Röhren auch den Namen erhalten: denn diejenige, welche im Querschnitt, d. i. dem in Rundung gebrachten Lichten, fünf und zwanzig Quadratfinger hat, wird Fünfundzwanziger genannt: auf gleicher Berechnung beruht die Benennung Dreissiger, und sofort durch Zuwachs der Quadratfinger bis zur Hundertzwanziger.


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