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13. Schluß

Aus dem Hügellande Thüringen bewegte sich ein reisiger Zug ostwärts nach den Ufern der Weichsel. In der Urzeit hatte das gelbe Wasser des großen Stromes die Vandalen und Burgunder getrennt von Slawen und anderen Völkern fremden Stammes. Damals hatten sich die Germanenkrieger aus ihren östlichen Sitzen erhoben und waren wie Meereswogen eingebrochen in den Ländern des Westens, mildere Sonne und ein reicheres Leben begehrend. Jetzt strömte die Volkskraft der Deutschen in vielen kleineren Wellen wieder zurück von Westen nach Osten, und tausend Jahre nach der Auswanderung jener alten Germanen begannen die Thüringe und Sachsen an der Stromgrenze aufs neue den Kampf gegen die Fremden, mit stärkeren Waffen und festerer Kraft.

Der Haufe, welcher von den roten Bergen und dem Nessebach über die Saale zog, glich in vielem den Schwärmen alter Germanen, welche tausend Jahre vorher aus dem Osten gekommen waren; denn nicht nur gewappnete Krieger bildeten die Schar, ein langer Troß von Wagen und Karren folgte mit Kindern und Frauen, gezogen durch starke Rinder, beladen mit Saatkorn, Hausrat und Feldgerät. Und es war nicht allein die unruhige Jugend, welche auszog, auch grauhaarige Bauern mit ihren Hausfrauen saßen auf den Wagen oder schritten, das Kreuzlied singend, nebenher. Der alte Hartmann aus Friemar ritt in dem Haufen, der Freischöffe Isenhard und andere ansehnliche Nachbarn von der Nesse, welche Baugrund in einem Lande begehrten, wo sie als Christen ehrwürdig waren und wo man um anderes sorgte als um ihre Gedanken über die Macht des Vaters und des Sohnes. Auch deutsche Ordensleute zogen in der Schar, Bruder Sibold führte sie, und Ivo ritt als Mitbruder neben seinem Gemahl Friderun und in seinem Gefolge waren die Witwe Henners mit ihren zwei Knaben, Ritter Lutz und ein rotwangiges Dorfkind, das Berchtel aus Frienstädt.

Als der Zug über die Saale gesetzt hatte und auf der Höhe anhielt, damit die scheidenden Pilger noch einmal das Land ihrer Väter begrüßten, bestiegen Ivo und Friderun einen Felsen und blickten Hand in Hand hinüber nach dem blauen Streifen des Waldgebirges. Da klang in der Nähe Hufschlag eines einzelnen Reiters und Berthold stand vor ihnen. Wild und drohend war sein Aussehen, als er die Hand der Schwester ergriff und sprach: »Du trägst den Segen des alten Mannes auf deinem Haupte, meiner hat er nicht gedacht. Ich aber war in dem Hofe, den die Horden des Mönches ausgeraubt haben, ich kniete nieder am Herde und gelobte, den Vater zu rächen an seinem Mörder. Lebe wohl, Friderun, und Ihr, der Ihr über meine Schwester Herr geworden seid, macht an ihr gut, was Euer Gesinde an mir gefrevelt hat. Vernehmt Ihr von schwerer Tat, so wißt, daß es der Sohn des Richters ist, welcher eine Brandfackel in unserem Lande austilgt.« Und ohne Gruß trat er zurück und jagte den Bergen zu.

Je weiter die Fahrenden nach Osten drangen, desto größer wurde ihre Schar, mehr als einmal kamen sie bei ähnlichen Haufen gerüsteter Auswanderer vorüber, dann liefen die Fahrenden mit frohem Gruß zusammen als künftige Nachbarn und Streitgenossen. Während der Nächte rasteten sie in der Wagenburg, die sie aus ihren Karren zusammenstießen, auf einem Dorfanger oder in der Nähe einer ummauerten Stadt, bis sie das wilde Wasser der Weichsel erreichten. Dort lagerten sie am Ufer und zimmerten Fähren. Bruder Sibold aber fuhr mit Ivo über den Strom zu der Stelle, wo andere Brüder bereits um einen alten Eichbaum die kleine Holzburg gezimmert hatten. Dort steckten die beiden mit ihren Gehilfen Pfähle für ein Standlager, welches zu einer festen Stadt werden sollte und zu einer neuen Grenzburg der Deutschen. Den Brüdern gefiel, die neue Stätte Toron zu nennen, und sie dachten dabei mit Freude an einen Berg Accon, unter dem die Bremer vor vierzig Jahren das erste Spital des Ordens aus Segeltuch errichtet hatten. Die Kreuzfahrer aber taten jetzt am Gestade der Weichsel dieselbe Arbeit, welche frühere Waller im heiligen Lande geübt hatten, sie zogen die Gräben, erhöhten den Wall, richteten darüber aus Pfählen den Zaun einer Stadt und bauten in dem umschanzten Raum ihre Hütten. Fehlten ihnen in dem Flachland die Steine, so schichteten sie die Baumstämme des Waldes. Wie durch Zauber wuchs das neue Menschenwerk aus dem Boden, und auf dem Markt und in den Straßen der Stadt bewegte sich wenige Monate nach der Ankunft geschäftig die wohlgeordnete Gemeinde, der Kaufmann bot seine Waren feil, der Handwerker schnitt und hämmerte, und der Landbauer fuhr auf seinem Erntewagen den ersten Hafer ein.

In dem neuen deutschen Lager gründete auch Ivo sein Heimwesen. Zuerst war es ein Blockhaus, bald wurde es ein künstlicher Bau, welcher ansehnlich unter den Hütten ragte. Als Kriegsmann ritt er mit dem Kreuzheer gegen die Heiden und bei der ersten Ausfahrt führte er das Banner der thüringischen Pilger, wie einst seine Ahnen in den Kämpfen des Reiches das Banner ihrer Landschaft getragen hatten. Bald wurde er im Grenzlande ein vielgenannter Held, die Freude seiner Nachbarn und den Feinden furchtbar. Und ihm selbst hob sich das Herz in stolzem Behagen, als er sah, wie hier das Heidenland sich ganz nach dem Willen des weisen Sibold mit Burgen und Städten füllte, denn jeder Kreuzhaufe, der über die Weichsel kam, zimmerte eine neue Burg oder Feste und ließ Ansiedler für Dörfer oder eine neue Stadt zurück, und durch jede dieser Ansiedlungen wurden neue Meilen des Bodens den Heiden entrissen und mit deutschen Ansiedlern besetzt. Als Mitbruder blieb er auch den Bärtigen vertraut, und obgleich er nur ein Zugewandter war, welcher nicht im Rate der Bruderschaft stand und kein Ehrenamt bekleidete, so saßen die andern, welche sich der Jungfrau gelobt hatten und Eigentum und Haushalt entbehren mußten, doch lieber an seinem Herde nieder als anderswo, und mancher von ihnen betrachtete das Haus, in welchem Frau Friderun waltete, als seine Heimat.

Auch an wandernden Landsleuten fehlte es nicht, welche neue Kunde aus der Heimat zutrugen. Als erster kam Nikolaus mit seiner Laute. Ihn hatte die Furcht vor dem Mönche Dorso aus der Heimat vertrieben, er berichtete von dem frommen Ende der Frau Else, und von den wunderbaren Heilungen, welche sie in der letzten Zeit verrichtet, und klagte, daß seit ihrem Tode der Grimm des Priesters Konrad wie ein wildes Feuer durch das Land fuhr und unzählige Unglückliche zum Holzstoß führte. Als ihn Ivo aufforderte, im Preußenlande zu bleiben, wo seine Schreibekunst den neuen Bürgern wertvoll sein könne, da sah er traurig nach Friderun und schüttelte das Haupt. Doch einige Jahre später blieb er, und seit er das ansehnliche Amt des Stadtschreibers in einem neuen Burgsitz gewann, wurde er wohlhäbig und überwand seinen geheimen Gram, nur machte er zuweilen noch lateinische Verse, in denen die Anfangsbuchstaben, ohne daß es jemand merkte, zu dem Namen Friderun zusammenstimmten. Im nächsten Jahre zog ein anderer Gast, Berthold, mit einem sächsischen Kreuzhaufen durch das Stadttor. Aber erst am Abend betrat er Ivos Haus, dem Diener, welcher ihn ankündigte, nannte er einen fremden Namen, und im ersten Morgengrau ritt er, durch Ivo über die Stadtmark geleitet, zum Kampfe mit den Heiden von dannen. Die thüringischen Ansiedler aber erfuhren von anderen Wallern, daß Meister Konrad auf der Heerstraße durch unbekannte Rächer erschlagen, und die Brandfackel Deutschlands in Blut ausgelöscht sei.

Als endlich der große Ordensmeister Hermann selbst über die Weichsel kam, da war Ivos Haus die erste Herberge, welche er auf dem neuen Grunde der Deutschen besuchte. Er saß zwischen Friderun und ihrem Gatten und begann: »Dir, Schwester, bringe ich einen Gruß der Herzogin Hedwig, welche am Kaiserhofe lebt, von vielen umfreit und von den Sängern gepriesen. Sie sprach zu mir: Grüßt die Hausfrau, und nicht ihn, damit sie erkenne, daß ich ihr Recht ehre und ihr Gutes wünsche.« Darauf erzählte er, daß Kaiser Friedrich über die Alpen nach Deutschland gekommen sei. »Wie war sein Heergefolge, Meister?« fragte Ivo.

»Er zog ohne Heer. Dreißig Kamele trugen ihm Kisten nach, darunter einige mit Gold gefüllte für die deutschen Fürsten.«

»Wie widersteht er bei uns der Herrschaft des heiligen Vaters? Denn wir hören, daß die großen Häupter der Christenheit wieder uneinig sind.«

»Er hat, um seine Gläubigkeit zu erweisen, mit seinen Schultern den Sarg der Frau Else getragen, da diese als Heilige beigesetzt wurde«, antwortete der Meister ernsthaft. Die Männer sahen einander an. »Oft muß der große Kaiser tun, was er im geheimen mißbilligt oder verachtet,« fuhr Hermann traurig fort, »und doch wird seine Herrschaft im Reiche allmählich schwach und zu eitlem Scheine. Er ist so stolz auf die Majestät seines kaiserlichen Amtes und doch wurde sein Schicksal, daß er sich selbst die Wurzeln seiner Herrenmacht zerstören muß.«

»Die Leute hier sorgen oft, daß die Herrlichkeit das Reiches klein werde, und sie befürchten Unheil auch für unsere Burgen im Preußenland.«

»Der bescheidene Mann meidet vergeblich Sorge. Du weißt, wir Brüder deuten nicht und grübeln nicht, wir schaffen schweigsam und warten überall unseres Amtes. Hier im Lande säen wir deutsche Saat. Wenn einst die Zeit der Ernte kommt, dann mögen andere zusehen, die nach uns leben.« Er wies auf zwei blondhaarige Knaben, welche an die Knie der Mutter geschmiegt den fremden Herrn anstarrten.

Auch die deutsche Saat, bei welcher Ivo tätig war, wurde zuweilen durch die Kriegsrosse der heidnischen Preußen niedergetreten. Es war ein harter Kampf und es war ein sorgenreiches Wachstum, aber ihm erschien er als groß und als heilsam für alle, die er lieb hatte. Wenn er mit seinem treuen Gesellen Lutz gegen die Feinde ritt oder wenn er im Rate der Ansiedler tagte, sooft er den alten Sibold gleich einem Ahnherrn zwischen der Kinderschar sitzen sah, welche in seinem Hause aufblühte, und immer wenn er das mutige und hochgesinnte Weib im Arme hielt, welches sich ihm in der Todesnot verlobt hatte, freute er sich des Tages, wo er ein Mitbruder des deutschen Hauses geworden war und aus einem thüringischen Edeln der Ivo, den sie den König nannten, ein Burgmann von Thorn.

 


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