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12. Der Mitbruder

Wieder wehte der Mai mit warmem Hauch durch das Land und hing sein grünes Gewand um die entlaubten Bäume, wieder regte sich das frohe Leben auf Heide und Flur, und die Herzen der bekümmerten Menschen erhoben sich in neuer Hoffnung. Auch in dem Edelhofe war der goldene Schein zu erkennen, welchen das Sonnenlicht in die Seelen warf. Jedermann schritt stolzer einher; wer den ganzen Winter kein Lied gesungen hatte, der summte jetzt die fast vergessene Weise; aus den Kammern der Knechte erklang jeden Abend ein lustiger Rundgesang, Lutz, der sich wenig über den Winterfrost gegrämt hatte, bürstete viel über Bart und Haar und betrachtete vergnügt die glänzende Borte, welche er seinem Mädchen als Gürtel schenken wollte; Nikolaus war oft über seiner neubesaiteten Laute zu finden und sogar der Marschalk ehrte die frohe Jahreszeit, indem er eigenhändig einen großen Topf mit Farbe über den Hof trug und den Knechten gebot, das Speerholz säuberlich mit den Wappenfarben des Herrn zu bemalen. Ivo blickte wieder von der Galerie herab auf das kleine Baumgehege an der Mauer und hörte lachend auf den Gruß des thüringischen Finken, den er jahrelang nicht vernommen hatte. Öfter als sonst ließ er sein Pferd satteln, um nach dem Hofe des alten Bauern zu reiten. Denn dort erwartete ihn ein Weib, das er seit der Heimkehr gern als seine Schwester begrüßte.

Aber mit dem Frühling kam auch die Unruhe und Reiselust in das Volk; überall sprachen die Leute von der neuen Kreuzfahrt, die den Seelen ebenso heilsam sein sollte wie die früheren und doch weit weniger mühsam. Oft verließ die Dorfjugend den Anger und das Spiel mit dem bunten Ball, um auf die heftigen Mahnungen eines braunen Mönches zu hören, der auf dem Kirchhofe zur Fahrt in das Preußenland trieb und dabei von der Fülle guter Dinge berichtete, welche dort für begehrliche Weltkinder zu finden seien. Zuweilen zogen auf der Landstraße wandernde Haufen mit Gesang und Geschrei dem Ostlande zu, meist leichtfertiges und unstetes Volk, die ersten Schaumwellen der beginnenden Strömung, doch war auch mancher ehrenwerte Mann darunter, und in den Dörfern der Umgegend nannte man bereits die Namen seßhafter Wirte, welche ebenfalls daran dachten, sich zu erheben. Stärker als in anderen Jahren arbeitete das Sommerleben in der Natur und in den Seelen der Menschen, der Frühling war spät gekommen, aber als heißer und starker Gebieter. Fast plötzlich bedeckte sich der Grund mit Grün und die Obstbäume mit ihrem weißen Blütenschmuck, in unaufhörlichem Wechsel folgten heißes Tageslicht und befruchtender Regen, und wenn der Ackersmann auf die üppig wuchernde Saat schaute, so schüttelte er wohl das Haupt über die unerwartete Herrlichkeit und sorgte, daß der kalte Feind noch einmal zerstörend in das Land dringen werde.

Nach einem warmen Tage trat Ivo auf den Söller seines Hauses. Er staunte über den Wohlgeruch, welcher von der Wiese und den Blütenbäumen aufstieg, die Sonne war glühend rot gesunken, kein Tropfen Tau hing am Boden und die stille Luft wurde ihm so schwül, daß er sein Gewand aufriß. In der Höhe zogen die Wolken hastig um die Mondsichel, unter den kleinen Lichtflocken schoben sich graue unförmliche Gebilde dahin, jedes mit lichten Rändern umsäumt, während über den roten Hügeln und dem Bergwald die schwere schwarze Finsternis lagerte; dort sammelten sich die Gewaltigen der Luft zu einer großen Schlacht, und die Kinder der Erde harrten in bangem Schweigen auf den bevorstehenden Kampf. Ivo war den Tag im Hofe Bernhards gewesen und Friderun hatte zum erstenmal von ihrer Sorge um den Vater gesprochen, von seinem düstern Grübeln und von dem wilden Feuer, mit welchem er ihr und den Nachbarn das erforschte Geheimnis der heiligen Lehre verkündete. »Sie geht still durch Hof und Haus,« dachte Ivo, »schafft unablässig für den Vater und sorgt warmherzig um viele andere, immer ist ihre Rede mutvoll, aber ihr Lächeln wird traurig, ich sorge, ihr Herz ist schwer bekümmert und sie lebt in Erwartung eines Unheils.« Lange stand er und sah in die dunkle Landschaft, aus dem Hofe klang ein kriegerisches Lied, welches Nikolaus den Knechten vorsang, auf dem Lande lag tiefes Schweigen. Der Mond war verschwunden und dichte Finsternis deckte Himmel und Erde, vergebens sah er aus nach einem Blitz und hätte sich gefreut, das Rollen des Donners zu hören. Da suchte auch er mit einem Seufzer sein Lager.

Dort warf er sich unruhig umher, bis ihm endlich ein bleischwerer Schlaf die Glieder lähmte. Er vernahm nicht, daß sich der Wettersturm erhob, daß er die Baumblüten raufte und Äste brach und mit wilden Stößen um das Haus fuhr, durch den Hof fegte und an die Stalltüren schlug, bis die Rosse bäumten und die Rinder in Angst brüllten. Die Blitze zerrissen das schwere Wolkendach, der ganze Himmel loderte von Flammen und der Donner krachte und rollte unaufhörlich. Henner sprang auf dem schmalen Steg, der von seinem Hofe über den Wallgraben führte, zu den Kammern der Knechte, er fand die Männer wach und ermahnte sie auf den Hof und das Herrenhaus zu achten. »Wir Thüringe wissen, was ein tüchtiges Wetter heißt, aber solche Wut der Wolken hat noch keiner erlebt, denn armesdick fallen die feurigen Strahlen«; Lutz, welcher Türme und Wall des Hofes beschritten und den erschrockenen Torwächter getröstet hatte, rief durch das Brausen: »Von den roten Bergen hebt sich ein Feuerschein gegen den Himmel, dort liegt das Wetter über dem Talkessel, mir scheint, es versengt den Mühlburgern ihre Schlafdecken, und der Regen bleibt aus, der ihnen beim Löschen helfen sollte.« Im ersten Morgengrau öffneten die Männer das Tor und drangen mühsam durch den tobenden Sturm zu der nächsten Anhöhe, dort wiesen sie nach den Höhen und hoben die Arme. Als Henner zu ihnen kam, sah er von jeder der drei Burgen, welche auf den Bergen standen, eine Flamme und eine Rauchwolke aufsteigen zu dem schwarzen Himmel, aus dem noch immer die Blitze um den mißfarbigen Dampf zuckten. Da rief er bekümmert: »Dort fährt die Lohe aus den drei Steinringen, in denen vorzeiten das Geschlecht meines Herrn aufgewachsen ist, und Herr Ivo schläft. Ich war in seiner Kammer, doch ich scheute mich, ihn zu wecken.«

»Blieb doch unser Hof verschont«, tröstete Lutz.

»Dennoch darf er nicht liegen, während ihm der Himmel diese drei Lichter angezündet hat,« sprach Henner und kämpfte sich zurück nach dem Hofe.

Ivo fuhr empor, als ihn der Treue am Arm zog, er richtete sich auf und hörte erstaunt auf das Tosen im Freien. »Mir träumte so deutlich, wie ich Euch vor mir sehe, daß ich auf meinem Lager hingestreckt war, meine Hausfrau hielt ich im Arme, ihr Haupt und ihr langes Haar war an meiner Brust und ich fühlte den Schmerz in meiner Wunde. Um mich hörte ich Kampfgeschrei, über mir flammte das Hausdach und es knisterten die brennenden Balken. Doch war es nicht dieses Haus. Ihr aber, Henner, saßet abgewandt von mir am Fuß meines Lagers, das Schwert in den Händen. Der Donner dröhnte, da wecktet Ihr mich. Gern wüßte ich, was der Traum bedeutet.«

»Saht Ihr Flammen im Traume, so mag er Euch eine gute Neuigkeit verkünden«, antwortete Henner ernsthaft. »Dem andern aber, der abgewandt von Euch saß, weissagt er Übles. Steht auf, Herr, denn auch draußen hat das Wetter ein Zeichen aus den Wolken gesandt, das Euer Geschlecht angeht.«

Als der Morgen kam, sahen die im Hofe ringsum den Schaden der Sturmnacht: geworfene Baumstämme, niedergelegte Zäune, zerraufte Dächer und am Horizont hier und da aufsteigende Rauchwolken. Noch immer rollte der Donner, der Wind trieb die Wolken in hoher Luft und hinderte den Regen. Ivo stieg von dem alten Turme herab und winkte dem Schüler: »Es brennt in der Richtung von Friemar, wirf dich auf den Gaul, frage, wie es um den Hof des Alten steht.« Nikolaus sattelte willig sein Rößlein und trabte aus dem Hofe, während sein Schülermantel wie ein schwarzes Segel über den Kopf flog.

Die Sonne stieg höher, es sauste und pfiff in der Luft, und jedem war, als sei das ungeheure Wetter nicht zu Ende; da klang der Hornruf des Türmers, welcher das Nahen Bewaffneter anzeigte. Gleich darauf jagten fremde Reiter heran, und Lutz, der über dem Tore stand, erkannte mit Staunen die Turbane und Rüstungen maurischer Leibwachen. Er rief, alter Genossenschaft eingedenk, den Ungläubigen von der Zinne arabischen Gruß entgegen und empfing die Botschaft eines reichgeschmückten Knaben, der zwischen den Bewaffneten hervorritt und meldete, die Herzogin Hedwig von Staufen erbitte auf ihrem Wege nach Erfurt die Gastfreundschaft des Hofes.

Atemlos trug Lutz seinem Herrn die Nachricht zu. Ivo empfing sie schweigend, das Blut schoß ihm zum Herzen und übergoß gleich darauf seine Wangen mit dunkler Röte. »Bereitet Euch, sie zu empfangen,« rief er, sich umwendend, entließ den Boten und sprang auf das Tor, um dem Flüchtigen nachzusehen, ganz betäubt durch die große Erwartung. Henner kam eilfertig heran: »Der Hof ist übel für den Besuch einer Fürstin vorbereitet, darf ich Frau Jutte rufen, damit sie der erlauchten Frau zu Diensten sei?« Ivo wehrte: »Treibt Eure Hausfrau nicht in ihr Festgewand, ich denke, die Herrin wird Nachsicht in einem Reiterhaushalt üben.«

Ein glänzender Zug stob heran, Schleier und bunte Gewänder wehten im Winde, Henner erkannte Frau Wendelmuth und den Krämer Volko und hinter den maurischen Kriegern auch beladene Saumtiere. Ivo trat der Herrin auf der Brücke entgegen, und als er das Knie beugte, lachte ihn Hedwig von ihrem Rosse herzlich an: »Wir suchen bei dem ritterlichen Herrn Schutz gegen die wilden Wetter des Landes, nehmt gütig die Zudringlichen auf und bietet uns Willkommen wie alten Freunden.«

Ivo stand unter den strahlenden Augen des schönen Weibes und aufs neue umfing ihn der Zauber. »Nehmt vorlieb, der Wirt war lange in der Fremde und der Hof ist verwüstet«, rief er, indem die helle Freude sein Antlitz verklärte. Er selbst führte ihr Roß am Zügel in den Hof, und als er zur Seite trat, um sie herabzuheben, griff sie lachend in sein langes Haar und hielt sich daran, während sie zu Boden glitt. Als er sie in das Haus führte, warf sie einen schnellen Blick umher und sprach halb zu dem Gefolge: »Nicht lange denken wir Euch zu belästigen, und da dem Hause die Herrin fehlt, so bitte ich, gestattet meinen Frauen, daß sie mein Reisegerät in der edlen Herberge ausbreiten.« Ivo wies für das Gefolge auf die Hallen des Unterstocks und führte Frau Hedwig hinauf in seine Behausung, den einzigen wohnlichen Raum seit der Rückkehr. »Ich merke wohl, daß ich Euch nichts bieten kann, als meine Freude«, sagte er entschuldigend.

»Hier ist Euer Heimwesen? Nirgend will ich lieber weilen«, antwortete Hedwig. »Ich sehe die Rüstungen an der Wand, die Harfe und hier einen Söller, den ich kannte, bevor ich ihn sah.« Sie winkte der stummen Dienerin, das Mädchen flog hinab, im nächsten Augenblick wurden umhüllte Ballen herzugetragen und die Kammern und das Gemach mit Polstern und Teppichen belegt. Wieder ein Wink der Herrin und die Diener verschwanden, Hedwig stand Ivo allein gegenüber. Sie sah ihn innig an und hielt ihm die Hand entgegen. »Da hast du das Käuzlein«, sprach sie mit zuckenden Lippen. Hingerissen von der holden Mahnung senkte Ivo in tiefer Bewegung das Knie.

Leise berührte sie ihm das Haupt. »Steht auf, Ivo, uns beide hat die Zeit verwandelt und der Scherz des jugendlichen Frauendienstes mag uns nicht mehr geziemen. Kommt, setzt Euch zu mir und laßt uns beide wissen, wie jetzt die alte Liederweise in unsern Herzen klingt. Heut ist der Tag, wo ich mein Trauergewand abgetan habe; dieser Tag sollte dem Manne gehören, der mir vor anderen vertraut war.«

»Liebe Herrin«, rief Ivo.

»Still, Geselle,« mahnte sie, »laß mich bedächtig reden. Es ist lange her, seit ich dich als fahrenden Helden bei der Burg meines Vaters entdeckte, wie du am Quell lagst und schliefst. Der erste Kuß, den ich einem Manne gab, haftet an deinen Lippen, das kann ich nicht vergessen, Ivo. Uns beiden ist dadurch das Leben schwer geworden. Der Kaiser zwang mich, einem verhaßten Manne zu folgen, und ich habe die traurige Kunst der Frauen geübt, mich zu verstellen und zu lachen, während ich in meiner Seele Bitterkeit fühlte. Du aber hast, als ich dir entfremdet wurde, treu zu mir gehalten; du weißt nicht, wie oft der Gedanke an deinen demütigen Dienst mein einziges Glück war, an dem ich mich aufgerichtet habe, indem ich unter den Argen lebte. Aber dir und mir hat unsere Liebe zuletzt Not gebracht, und scharfes Eisen hat in das Band geschnitten, welches zwischen uns geschlungen war. Ich bin hier, um zu prüfen, ob das alte Bündnis noch dich und mich zusammenhält.«

Ivo wußte nicht, daß sie in derselben Stunde, in der sie die Kunde von seinem Leben erhielt, einen andern dem Arm des Rächers preisgegeben hatte; aber ihm fiel aufs Herz, daß eine wahrhafte Magd in der Nähe mit Unwillen an die List dachte, durch welche sie damals zur Zeugin gemacht worden war. Und der Gedanke an Friderun hing sich wie ein Reif an die Freuden seiner Mailiebe. Darum erwiderte er mit Haltung: »Beide hatten wir einem Fremden Anrecht gegeben, unsere Liebe zu hassen; daß er die Rache nehmen würde in seiner Weise, haben wir erwartet und wir mußten die Rache ertragen.«

Hedwig ahnte, daß ihr Falke anders flog als sie wollte, und sie fragte sich in der Stille angstvoll, ob er alles wisse und ob er ihr deshalb zürne. Aber als sie Ivos Blick unsicher und fragend auf sich gerichtet fand, erhob sie stolz das Haupt: »Jetzt sind wir beide frei. Wisse, Ivo, ich war seitdem bei dem Kaiser. Er nannte deinen Namen nicht, als er von meiner Zukunft sprach, aber gleich darauf begann er in großer Güte von dir zu reden, daß er dir das Beste gönne und daß er dir Hohes gewähren würde. Und er sagte: Ich vernahm, daß ihm sein Haus zerrüttet ist, weil er in meinem Dienst überlange verweilt wurde, mir wäre ganz recht, wenn eine Frauenhand ihn dieser lästigen Sorge enthöbe.« Frau Hedwig sah auf ihre eigene Hand, als sie fortfuhr: »Sieh zu, Ivo, ob du eine solche Hand findest.«

Das waren ruhige Worte, aber sie regten in der Seele des Mannes einen wilden Sturm von Gedanken auf. Hier ein enges Leben, gefüllt mit Demütigungen und einem endlosen Streit gegen widerwärtige Nachbarn, an ihrer Seite Reichtum und Glanz des Kaiserhofes, Herrschaft und Kriegsruhm. Er atmete tief, als er wie im Scherz antwortete: »Wir loben den Heldenmut des Mannes nicht, der sich durch ein Weib aus der Bedrängnis retten läßt. Ist die Mitgift der Hausfrau zu groß und die Morgengabe des Gatten zu gering, wie kann der Wirt die Herrschaft im Hause bewahren?«

»Denke stolzer von dir, Ivo; du selbst rühmtest einst in meiner Gegenwart gegen den Landgrafen die Hoheit deiner Ahnen. Wisse, Held, dies Geschlecht der Landgrafen ist dem Kaiser verleidet, und wenig Gutes erwartet er in Zukunft von ihm, vielleicht ist der Tag nicht fern, wo er sogar gegen sie rüstet. Wer ihm das Heer führt und die stolzen Häupter dieser Herren wirft, der mag selbst in ihrem Stuhle niedersitzen.« Das sprach sie in tiefem Ernste, Ivo wußte recht wohl, daß es nicht eitle Worte waren, und in seinem Auge blitzte der alte Stolz seines Hauses. Doch während sich Hedwig über die Glut freute, die sie in ihm entzündet hatte, fühlte sie den festen Druck seiner Hand und vernahm die traurigen Worte: »Lade nicht die Gewaltigen der Welt zu Bundesgenossen unseres Glückes. Aus Herrschsucht und Ehrgeiz darf ich dein Gemahl nicht werden, von solchem Elend hast du zur Genüge gekostet. Nur wenn wir beide uns im Herzen vertrauen, und wenn du in treuer Liebe zu mir stehen kannst, wie es mir auch in meinem Leben gelinge, nur dann sollst du dich zu mir neigen wie einst. Rühmte der Kaiser gegen dich meine Treue, so sage ich dir, ich ehre in Demut den großen Geist des Herrn, aber ich vermag ihm nicht zu folgen in seinen Gedanken und nicht auf seinen Wegen. Einfach bin ich in Sinn und Sitte. Wie enge und klein das Leben ist, in dem ich aufwuchs, habe ich in der Fremde völlig erkannt. Dennoch will ich die heimische Art nicht von mir abtun; redlich will ich bleiben in Liebe und Haß, die gewundenen Gedanken und die kalte List des Kaisers Friedrich kann ich nicht loben und ich will keinen Teil daran haben. Frei gedenke ich zu leben nach meinem Gewissen auch gegenüber seinem Willen. Und darum sage ich dir, Diener und Werkzeug der Hohenstaufen wird der Mann nicht, welcher sich einst im Mairitt vor dir berühmte, ein Nachkomme des alten Helden Ingram zu sein.«

Hedwig trat abgewandt auf den Söller und blickte nach den geballten Wolken. »Du zürnst, Herrin,« fuhr Ivo traurig fort, »merke wohl, heut schaust du das Gewand deines Kauzes beim Tageslicht, da erscheint es dir weit anders als sonst im Dämmerscheine und ganz ins Fahle und Schmucklose gewandelt. Halte mich darum nicht für unsinnig, wie die Tagesvögel mit dem Käuzlein tun. Dort an der Seite siehst du den alten Turm, die einzige Erinnerung an meine Vorfahren, er ist zerrissen und geflickt, ein guter Aufenthalt für Nachtvögel, nicht lange, und er sinkt in Trümmer. Aber solange sein Haupt gegen die Berge ragt, bewahre ich mir den Stolz, ein kleiner Herr zu sein und nicht ein mächtiger Diener.«

Hedwig wandte sich zu ihm und lachte; so zutraulich und herzlich war ihr Lachen, daß auch er nicht ganz ernsthaft blieb. »Wir sind beide kindisch, daß wir in der ersten Stunde des Wiedersehens vom Kaiser und von den Vätern reden statt von uns beiden. Ivo, geliebter Mann, ahnst du nicht, was ich dir bringe? Es ist die Erfüllung des Versprechens, das wir als Frau und Ritter einander gaben, sieh her.« Sie öffnete die Tür des kleinen Gemaches, in welchem die stumme Dienerin geschäftig gewesen war; über das Lager, welches sonst dem Hausherrn diente, war ein großer Hermelinmantel gebreitet, und dabei lag die Speerbeute des Mairittes, die wallende Kappe, welche aus Wappenzeichen zusammengenäht war. Hedwig warf die Kappe um ihre Schulter. »So komme ich zu dir, mein Ritter, wie ich dir verhieß, Gabe um Gabe, du gewannst mir den Mantel, ich bringe dir die Frau.« Sie warf sich in seine Arme und drückte ihn fest an sich. Die heißen Küsse des Mannes schlossen ihr den Mund.

Ivo hörte nicht den Hufschlag des Pferdes und nicht die Menschenstimme, welche ihn aus der Ferne ängstlich rief. Gleich darauf lärmte es im Hause und pochte wild an die Tür und der Schüler rief: »Zu Hilfe, Herr Ivo.«

Als Ivo öffnete, stand Nikolaus ganz außer sich mit schlotternden Gliedern vor ihm: »Friderun und ihr Vater sind gebunden, der Teufel Dorso führt sie wegen Ketzerei nach Erfurt. Rettet sie«, schrie er, die Hände ringend, »sie werden zum Holzstoß getrieben.«

Ivo starrte wie einer, der aus dem Traume erwacht.

»Die Magd sprang in die Flamme«, murmelte er und fragte, nach dem Harnisch an der Wand greifend: »Welchen Weg ziehen sie?«

»Die Straße jenseits der Nesse; der Alte ist verwundet, beide sind auf einen Karren gesetzt. Seitdem ist fast eine Stunde vergangen, obwohl ich mit dem Winde ritt.«

»Rufe den Hof zu Pferde.« Nikolaus flog die Treppe hinab, gleich darauf klang der Ton eines Hornes über den Hof. »Verzeiht, Herrin,« sprach Ivo tonlos, »wenn ich Euch verlasse, gröblich fehle ich gegen die Pflichten eines Wirtes«, und er warf sich das Eisenhemd über.

Hedwig stand bleich wie er selbst. »Ist jene, um deren Rettung Ihr reiten wollt, die Magd, welche für Euch zum Kaiser ging?«

»Sie ist es,« antwortete Ivo über seiner Arbeit, »Ihr wißt, ich bin ihr Dank schuldig.«

»Sendet Eure Dienstmannen mit meinen Speerreitern«, rief Hedwig, ihn am Arme haltend. »Nur Ihr verlaßt mich nicht in dieser Stunde.«

»Die Hilfe der Heiden, welche einen Mönch angreifen, würde das Verderben der Gebundenen vollenden. Verzeiht mir, ich bitte,« wiederholte er, »unhöflich handelt der Hausherr, welcher den Gast allein läßt.«

»Nicht deinen Gast kränkst du, wenn du jetzt von mir scheidest, sondern ein Weib, welches, die Liebe im Herzen, zu dir kam.«

»Auch Ihr könntet mich nicht lieben und nicht ehren, wenn ich treulos handelte gegen meine Freunde.«

Und wieder faßte Hedwig ihn am Arm und rief mit blitzenden Augen: »Willst du der Nichte des Kaisers Schimpf antun in deinem eigenen Hause, um die Bauerndirne zu retten?«

»Ich gehe die zu retten, welche in Not ist«, antwortete er, sein Schwert umgürtend. »Übt Großmut, Hedwig, und entlaßt mich ohne Vorwurf.«

Sie aber hielt ihm den Arm fest. »Ivo, ich kenne den Priester Konrad, dem es eine wilde Lust ist, der büßenden Landgräfin den nackten Rücken zu peitschen. Du selbst wirfst dich, wenn du gehst, in Todesnot, aus welcher keine Erdenmacht dich erlöst.«

»Das ist wohl möglich,« antwortete Ivo zerstreut und suchte in seinen Waffen, »Meister Konrad versteht zu hassen.«

Hedwig trat zurück und neigte ihr Haupt über die Harfe, sie fuhr mit den Fingern heftig durch die Saiten, die Weise des Herrn Ivo spielend; immer schneller und stürmischer wurden die Griffe, bis die Saiten mit schrillem Mißton zerrissen, da fuhr sie auf und starrte nach ihm, und als er den Helm ergriff und die bergende Eisenhülle über sein Haupt legte, faßte sie das Saitenspiel und schleuderte es in wildem Schwunge vor seine Füße, daß es klirrend zerbrach. Sie aber warf sich auf das Lager und verhüllte das Haupt. Ivo sprang aus der Tür. Im nächsten Augenblicke dröhnte Hufschlag der Davonreitenden auf der Brücke.

Als Nikolaus am Morgen nach scharfem Ritt in das Dorf gekommen war, hatte er keinen Wetterbrand gefunden, aber eine aufgeregte Gemeinde. Schon in der Ferne vernahm er zu ungewohnter Stunde unablässiges Glockengeläut und bei der Kirche hörte er predigen und erkannte die mißtönende Stimme des Mönches Dorso. Dieser stand über der Kirchhofsmauer, umgeben von seinen Handlangern und von fremden Landläufern, welche mit dem roten Kreuz gezeichnet waren, und las einen Brief vor, in welchem Kaiser und König geboten, die Ketzer, welche Meister Konrad verklagen würde, in weltlichem Gericht abzuurteilen, damit sie an Leib und Leben gestraft würden. Und der Mönch rief: »Hier stehe ich in heiligem Amte, um die Böcke von den frommen Schafen zu scheiden und die Ruchlosen zum Holzstoß zu führen. Hohen Preis hat der heilige Vater für die Treuen gesetzt, welche einen Irrgläubigen, den sie etwa kennen, anzeigen; denn Habe und Gut soll dem Untreuen genommen und den Treuen zugeteilt werden, Haus und Hof des Ketzers werden den eifrigen Kindern Gottes preisgegeben, damit sie sich daraus auch irdischen Lohn holen für ihre Frömmigkeit.« Und das Holzkreuz schwenkend, schrie er: »Darum weise ich das Kreuz und lade die frommen Zeugen zum ersten, zweiten und dritten Male vor mein Angesicht; scheuen sie sich laut zu rufen, so mögen sie mir ihren Argwohn leise anvertrauen, denn dazu bin ich hier.«

Da erhob sich unter den Wirten, welche umherstanden, ein unwilliges Gemurr, und aus dem Haufen trat ein alter Mann mit weißem Haar und festen Zügen und sprach mit lauter Stimme: »Wir aber halten Eure Verkündigung für ungerecht, denn leichtfertige Angeber und falsche Zeugen lockt Ihr durch wilden Preis, und jeden Herrn über Haus und Hof liefert Ihr in die Macht habgieriger Bösewichte. Wir Alten im Dorfe wollen uns wahren gegen so freche Forderung, und wir raten Euch, Euer Holzkreuz wieder auf die Schulter zu nehmen und abzuziehen aus unserer Flur.«

»Hallo,« rief der Mönch erstaunt, »ich höre, der schwarze Höllenmohr hat sich einen weißhaarigen Knappen geworben. Hast du nicht die Briefe gehört? Willst du es wagen, den Geboten des heiligen Vaters und des Kaisers zu widerstehen? Mißfällt dir ihr Inhalt, so gibst du deine eigene Bosheit zu erkennen, und ich will sogleich mit dir den Anfang machen und forschen, wie es mit deinem Glauben bestellt ist.«

Da drang ein Weib durch den Haufen und Friderun faßte flehend den Arm des Vaters. »Antwortet ihm nicht, Vater, und kehrt dem Wilden den Rücken.« Aber der Alte schüttelte sie heftig ab: »Meinst du, ich werde schweigen, wo es gilt, die Wahrheit zu bekennen und die teure Offenbarung«, und er warf dem Mönch entgegen: »An die kaiserlichen Briefe glauben wir nicht, denn wir wissen besser, wie unser Herr und Kaiser gegen uns Landleute gesinnt ist. An der Aufforderung des Papstes aber, welchen Ihr den heiligen Vater nennt, erkennen wir, daß sie hohem Zeugnis der Schrift widerstrebt.«

»Er lästert die Ordnung der hohen Apostel,« schrie der Mönch, zu seinem Haufen gewandt, »er bestreitet die Gewalt der heiligen Kirche«, und sein Gefolge heulte ihm die Worte nach. »Ein gottverdammter Ketzer bist du, Schriftgelehrter im Bauernrocke, und du selbst hast dir das Urteil gesprochen. Werft euch auf ihn und faßt mir den Schurken.«

Über die Kirchhofsmauer sprang der wütende Haufe gegen den Alten ein, um ihn sammelte sich ein Teil der Dorfleute und in wildem Tumulte blitzten die Waffen, der Mönch aber erhob sich auf der Mauer, streckte sein Kreuz in die Höhe und warnte mit dröhnender Stimme: »Verflucht sei, wer die Hand für ihn hebt, er ist gezeichnet und verdammt; weicht zurück, ihr Christenleute, flieht vor dem Kerker auf Erden und vor dem Höllenfeuer.«

Da wichen die Leute bleich und entsetzt zurück, auch die Alten des Dorfes standen finster zur Seite, und mancher schlich sich nach seinem Hause. Bernhard aber warf sein Schwert auf den Boden und rief: »Der Tag ist gekommen, Zeugnis zu geben; fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten, denn die Seele vermögen sie nicht zu töten. Hier stehe ich als ein Bekenner des Herrn, Trotz zu bieten den Pfaffen und Pharisäern, welche uns die Herrlichkeit der Gotteslehre verderben.«

»Hört ihr den Empörer prahlen?« schalt der Mönch aufs neue. »Packt ihn und bereitet ihn für das Gericht.« Die Schar strömte gegen ihn, ein roher Gesell führte mit dem Hebebaum den ersten Schlag, daß der Alte in der tobenden Menge zu Boden sank. Über ihn warf sich die Tochter, um die Streiche mit ihrem Leibe aufzufangen, beide wurden emporgerissen und gebunden nach ihrem Hofe gezogen. Nikolaus sah noch, wie das Gesindel raublustig in Ställe und Kammern drang und wie der Mönch die Gebundenen auf einen Karren des Hofes heben ließ und mit einem Teil seiner Begleiter in der Richtung nach Erfurt abzog. Dann jagte der Schüler, fast besinnungslos vor Angst und Grauen, dem Edelhofe zu.

Als Dorso mit seinen Gefangenen in die Nähe von Erfurt kam, merkte er, daß jenseit der Brücke, welche über den Nessebach führte, ein Trupp Bewaffneter den Weg sperrte. Er ritt vor, hob das Kreuz und rief von seinem Esel: »Als Beamter des hochwürdigen Meisters Konrad reise ich, öffnet die Straße.« Aber die Hand eines Gehelmten fiel schwer auf seinen Arm und hielt ihn mit seinem Tiere fest, wie sehr er sich sträubte und schrie, während die übrigen Reiter schweigend um den Karren rückten, das andringende Gesindel mit den Speerstangen abtrieben und die Pferde des Karrens in einen Seitenweg südwärts lenkten. Auf einen Ruf des Anführers fuhr der Karren, umschlossen von den Reitern, in schnellem Lauf von dannen. Der Anführer, welcher bis dahin den wütenden Mönch mit eisernem Griff gehalten hatte, sprengte nach und durchschnitt mit dem Dolche die Riemen der Gebundenen.

Als Ivo mit dem Karren am Edelhofe ankam, fand er den Marschalk seiner wartend. »Kalt war der Abschied der hohen Gäste,« meldete dieser bekümmert, »im Sturme sind sie gekommen und verstoben. Dafür, Herr, werden sich jetzt andere Gäste in Kutten einfinden, welche uns fester um den Hals fassen.«

»Vielleicht vermögen wir jene dort noch in die Berge zu retten. Wir kennen manches Versteck«, sprach Ivo leise.

»Der Mönch ist nicht nach Erfurt gelaufen, wie ich hoffte,« wandte Lutz ein, »die ganze Meute trabt hinter uns her und wir werden sie in kurzem am Tore hören. Auf unsere Knechte ist kein Verlaß, Herr, sie stutzten und redeten leise miteinander.«

»Wer kann sie darum schelten?« sagte Ivo mit kaltem Lächeln. »Die Verfolgten bergen wir in dem Gewölbe des alten Turmes; die Leute unseres Dorfes entbieten wir nicht zur Verteidigung der Mauern, denn auch diese würden uns versagen. Unterdessen besetzt die Türme mit Wachen, hebt die Brücke und sperrt das Tor.«

Die Brücke stieg auf, kurz darauf klang von der Landstraße Gesang der Wallfahrer, eine rauhe Stimme sang vor und die andern wiederholten die Worte. Dorso ritt auf seinem Esel gegen die Zugbrücke und schrie über den Graben: »Wer mit Irrgläubigen Gemeinschaft hält, wer den Verdammten Obdach gewährt, Speise und Trank, und wer eine Hand hebt für ihre Verteidigung, der wird teilhaftig ihrer Missetat und teilhaftig der irdischen und der ewigen Flammen. Gebt heraus, ihr groben Burgleute, die ihr mir entführt habt.«

»Ihr seid ein unverschämter Narr«, sprach Henner zurück.

»Vernehmt die lustigen Worte des Abtrünnigen,« rief der Mönch zu seinem Haufen, »verflucht sei dies Ketzernest und preisgegeben euren Fäusten.« Ein gellendes Geschrei antwortete. Der Mönch ritt zurück, lud seinen Haufen zusammen, und Henner erwartete einen Anlauf. Aber nichts dergleichen wurde versucht, der Schwarm teilte sich wieder, ein Teil zog in das Dorf, andere bewachten in einiger Entfernung das Tor, noch andere drangen oberhalb durch den Bach und stellten sich dort als Wächter auf.

Unterdes war Friderun im Gewölbe des Turmes um den verwundeten Vater bemüht, welcher nach dem furchtbaren Schlage auf das Haupt lange in Betäubung gelegen hatte, jetzt aber in wilde und wirre Reden ausbrach; sie sah, wie dem Schüler, der ihr zu helfen bemüht war, die Hände in der Angst flogen, und sprach gefaßt: »Längst habe ich einen solchen Tag in der Stille gefürchtet; ich weiß, daß wir dem Tode geweiht sind und daß auch Herr Ivo uns nicht davor bewahren wird. Aber weshalb wollt Ihr Euch dem Mönche in die Hand geben? Vielleicht könnt Ihr Euch noch retten. Entflieht, auch um unseretwillen.« Sie holte aus ihrem Gewande ein kleines schwarzes Kreuz, welches in geschlossener Hand zu bergen war. »Eilt nach Erfurt, Nikolaus, zum Hause der deutschen Brüder, gebt dies dem ersten Bruder ab, den Ihr dort findet, und sagt ihm, wir senden dies und der Vater liege hier in Not. Vermögen die Brüder auch nicht, uns das Leben zu retten, lieber wollen wir in ihrer Haft vergehen, als unter den Händen des wütenden Mönches.«

Nikolaus nahm das Dargebotene und lief dem Stege zu, der nach dem Hofe des Marschalks führte; gerade als Lutz im Begriff war, den Steg zu heben, sprang er hinüber, wand sich unbemerkt hinter dem Dorfe herum und rannte der Stadt zu.

Es war still geworden im Hofe und draußen, nur der Wind heulte und in der Höhe flogen die Wolken. Ivo trat zu Friderun, und als er ihr liebevoll Trost zusprechen wollte, antwortete sie mit verklärtem Blick: »Ihr habt an uns gehandelt, wie Eurer würdig ist, ich klage auch nicht um Eure Gefahr, ich flehe zu unserm Vater im Himmel, daß er mich annehme als Opfer und Euch errette.«

So verrann Stunde auf Stunde, bis die Sonne sich zum Abend neigte.

Ivo stand bei Henner auf dem Torturm. »Sie haben sich Hilfe geladen und wollen wie Krieger uns belagern. Verstehen wir, sie bis zur Nacht hinzuhalten, so kann uns wohl gelingen, über sie hinwegzureiten.«

»Der Mönch kennt sein Handwerk«, versetzte Henner und wies auf den Weg, der von der Mühlburg heranführte. »Seht dort, Gewappnete, sie nahen schwerlich, um Euch das Gesindlein zu verscheuchen.« Lutz kam eilig herzu: »Von Gotha zieht ein Haufe Kreuzfahrer heran, ich vernahm das Lied der Wallenden, der Mönch ritt ihnen entgegen.«

»Was bringst du, Martin?« fragte Ivo einen handfesten Knecht, welcher das geworbene Gesinde im Hofe anführte.

»Herr,« begann der Kriegsmann bekümmert, »meine Kumpane im Hofe weigern sich zu fechten, sie sagen, ihr Eid verpflichte sie nur, gegen Eure irdischen Feinde das Eisen zu heben, nicht aber gegen die Heiligen des Himmels.«

»Und was wollen sie tun, um den Heiligen zu gefallen?«

»Sie gedenken, nichts gegen Euer Haupt zu wagen, aber sie werden sich abseit halten in ihren Kammern und sobald der Hof geöffnet wird, davonziehen.«

»Sage ihnen, sie mögen handeln nach ihrem Gewissen«, versetzte Ivo.

Als der Mann kummervoll die Treppe hinabstieg, sprach Ivo: »Wir sind allein, ihr Herren«, und beiden die Hände reichend, fuhr er mit stolzem Lächeln fort: »Es ist nicht nötig, daß wir alle drei bei dem alten Turm die Totenwache halten; Ihr seid jung, Ludwig, und Ihr, Henner, habt Weib und Kind.«

»Wir aber dachten nicht, daß unser Herr uns jemals den Dienst aufkündigen würde«, antwortete Henner gekränkt. »Wir sind nicht auf Zeit gedungen, Herr Ivo, sondern unsere Ehre ist, wenn wir nicht mehr auf Erden Euch begleiten können, Eurer lieben Seele nachzufolgen, wohin der große Gott sie fahren läßt. – Dort hebt sich das Banner des Landgrafen in der Faust eines Mühlburgers. Der Bannerträger blickt nach dem Raben unseres Hofes umher, denn er hat von je seine Freude an dem schwarzen Vogel gehabt.«

Von der andern Seite des Grabens rief eine befehlende Stimme: »Im Namen des Landgrafen, öffnet das Tor.«

»Wie kommt's, daß Ihr unter dem fremden Wappentier reitet, Ritter Konz?« fragte Henner von der Zinne. »Scheut Ihr Euch, unter Eurem Raben dahinzufahren, weil er den Schwanz gegen Euch hebt?«

Den höhnenden Worten folgte helles Geschrei der Mühlburger, die anderen Haufen antworteten, und im Getümmel breiteten sich die Angreifer gegen den Grabenrand.

»Sie wissen, daß es uns an Händen fehlt, sie abzutreiben«, sprach Ivo. »Zu unserer Feste, ihr Herren!«

Die Bedrängten eilten nach dem alten Turme, ihrer letzten Zuflucht. »Ich rate, den Steg nicht zu werfen,« sprach Henner, »damit den ritterlichen Feinden der Anlauf leichter werde.« Und er stellte sich mit Schild und Schwert am Grabenrande auf. Sie vernahmen das Geschrei und Brausen der Menge, welche von allen Seiten mit Balken und Dachleitern gegen Tor und Mauer anlief. Nicht lange, und sie sahen hier und da Bewaffnete über die Mauer springen, hörten das Klirren der Ketten und das Dröhnen der geöffneten Brücke. In hellen Haufen drangen die Belagerer über den Hof, ein Teil rannte nach Haus und Stall, Beute zu holen, der größere Schwarm zog sich zu dem Turme; voran Ritter Konz, der vom Pferde gesprungen war und in wildem Mute den Schild erhebend gegen den Steg lief. Als Henner den Verhaßten im Ansprunge sah, vermochte er sich nicht zurückzuhalten, er stürmte ihm über die Bretter entgegen und die beiden Starken schlugen aufeinander. Aber dem Marschalk war kein ritterlicher Kampf gestattet, die Knechte des Mühlburgers stachen mit ihren Speeren gegen ihn, und während er sich ihrer erwehrte, traf ein Schwertschlag des Ritters seine Schulter, daß er blutend zurücksank. Konz schrie freudig auf, doch es war sein letzter Ruf, denn in demselben Augenblick fuhr ein mächtiger Pfeil des Stellbogens ihm durch Harnisch und Brust, er stöhnte und fiel. Während die Mühlburger erschrocken zu ihm liefen, sprang Lutz vor, hob seinen Gesellen und half ihm über den Steg. Dann riß er das Brett, welches auf dem jenseitigen Grabenrande ruhte, zurück, und einen neuen Pfeil auf den Stellbogen legend, drohte er: »Heran, wer die zweite Gabe begehrt.«

Von der Landstraße ritt ein Geistlicher, begleitet von Dorso und einem andern Mönche, in den Hof. Es war Meister Konrad selbst. »Tretet zurück,« gebot er den Haufen, »damit nicht ohne Not das Leben frommer Christen gefährdet werde. Euch aber, der Ihr Herr dieses Hofes seid, mahne ich noch einmal, daß Ihr den ruchlosen Widerstand aufgebt gegen das Gesetz des Himmels und der Menschen, und daß Ihr Euren Leib überantwortet dem irdischen Richter, damit die Fürbitte der Heiligen Eure Seele errette aus der ewigen Verdammnis.«

Vom Turme her antwortete Ivo: »Vergeblich ist Eure Ladung, Ihr stolzer Priester; die hier versammelt sind, vertrauen einem barmherzigeren Richter als Ihr seid.«

Der Meister erhob die Hand. Die Mönche begannen ein Bußlied, zu welchem die anderen das Kyrie eleison schrien, und die Haufen strömten von allen Seiten gegen den Graben, schichteten Holzscheite, trugen Balken und schossen mit Brandpfeilen nach den Fensteröffnungen des Turmes. In dem Turmgewölbe war Ivo mit Friderun um die Wunde Henners beschäftigt, nur Lutz kniete, gedeckt von seinem Schilde, draußen am Standbogen und wartete auf die Gelegenheit, um an einem Verhaßten die letzte Rache zu nehmen.

Eine Dampfwolke brach aus dem Luftloch des Turmes. Brennendes Werg und Teer, die um einen Pfeil gewickelt waren, hatten in dem Raume gezündet, wo den Rossen für einen Fall der Not das Heu geschichtet war. Mit den Windstößen wogte der Dampf um die Mauern und umhüllte den Fuß des Turmes. Ein wildes Freudengeschrei erscholl aus dem Haufen.

Da schmetterte von draußen eine Posaune. Über die Brücke ritten vier Brüder vom deutschen Hause mit ihren Knechten, und Bruder Arnfried von der Naumburg rief über die Menge: »Wo weilt der Herr des Hofes, damit wir ihn grüßen und fragen?«

Meister Konrad antwortete: »Er birgt sich im Turme, verstrickt in dem Dampfe, den fromme Christen ihm entzündet. Was führt euch her, ihr Brüder?«

Arnfried versetzte: »Einer, der die Heimlichkeit des Ordens weiß, liegt hier in Not und sandte uns sein Zeichen.«

»Die dort liegen, sind Verbrecher an der heiligen Kirche und Verächter des Landesherrn, die Boten des Landgrafen und meine Schergen begehren ihren Leib, und ich vertraue, die frommen Brüder deines Hauses werden uns nicht hindern.«

»Du weißt, wir gehen in Frieden unsern Weg und üben unsere Werke. Wir hindern dich nicht in deinem Recht, wir suchen nur das unsere; wir kommen, weil wir gerufen sind, und wir begehren nur, was uns gehört.«

»Einen Alten und ein Weib, die meinen Boten höhnend trotzten und ruchlose Ketzerei ausschrien, hat der Mönch gefaßt für mein Gericht, beide gehören mir.«

»Ist der Alte mit dem Weibe ein Zugewandter unserer Bruderschaft und finden deine Späher Irrglauben in ihm, so soll ihn ein frommer Priesterbruder unseres Ordens belehren, und wenn er der Belehrung widersteht, so straft und richtet ihn die Bruderschaft, nicht du, nicht der Landgraf, auch nicht der Kaiser. Erst wenn er sich unserer Strafe versagt und aus dem Orden scheidet, magst du ihn nehmen und mit ihm tun, was deines Amtes ist.« Und er ritt vor gegen den Turm. Da sprang der Mönch Dorso wütend aus dem Haufen und schrie: »Hinweg, wagt es nicht, das brennende Ketzernest zu betreten, denn verdammt sind alle, die dort im Qualme hausen.«

»Ob die Flamme lodert, ob der üble Teufel im Wirbel fährt, wir reiten, wohin uns die Pflicht führt«, versetzte Arnfried; und an den Grabenrand sprengend rief er hinüber: »Ist ein Christenmann dort drinnen, so öffne er den Weg. Die Jungfrau mit dem Kinde begehrt Einlaß.«

Ivo trat aus dem Turme und grüßte den Bruder.

»Nicht freiwillig drangen wir in Euren Hof, edler Ivo,« sagte Arnfried, »wir kommen Euch nicht zu Hilfe und nicht zu Leide, nur Eure Gäste holen wir, weil sie sich das begehren.«

»Nehmt sie und seid gesegnet für Eure gute Tat«, sprach Ivo dagegen. Lutz hatte behend die Bretter des Steges zusammengefügt, er hob mit Ivo den alten Bernhard vom Boden, trug ihn über den Graben und legte ihn vor die Rosse der Bärtigen; Friderun folgte. Die Ritter traten zurück an den Turm, Bruder Arnfried, der Sarazene, stieg ab und schloß den Alten in seine Arme.

Da rief Meister Konrad unwillig: »Du hast genommen, Arnfried, was deiner Bruderschaft gehört; jetzt fordere ich, weiche von jenem anderen, der mir gehört.«

Friderun warf sich vor dem Rosse Arnfrieds nieder: »Rettet ihn, ehrwürdiger Bruder, nur weil er meinen Vater und mich dem rasenden Haufen entriß, hat der böse Mönch die Menge gegen ihn gehetzt.«

»Verteidige ihn nicht,« antwortete Arnfried traurig, »ich bin nicht Kläger und Richter über Unglauben, aber jene sind die Kläger, und sie üben ihr heißes Recht; ein freier Mann ist Herr Ivo und frei hat er sich sein Schicksal gewählt. Wir aber vermögen nur den zu schützen, der zu uns gehört.« Und er sprach über den Graben: »Habt Ihr, edler Ivo, mir noch etwas zu sagen, was man einem wohlmeinenden Manne vor dem letzten Scheiden anvertraut, so sprecht.«

»Sorgt mit der Treue, die ich an Euch kenne, für die Magd, die dort vor Euren Füßen liegt.«

Da ritt Meister Konrad aufs neue heran und begann: »Wieder bitte ich dich, Arnfried, daß du nicht freundlich zu dem Schuldigen redest, der gegen meine Rechte gefrevelt hat, denn du irrst mir die Menge und minderst das Ansehn meines heiligen Amtes.«

»Ich ehre und scheue dein schweres Amt, Konrad, wie dem frommen Christen gebührt. Aber denke auch, daß jener dort in unseren Augen nichts Arges tat, als er deinen Schergen die entzog, welche nicht vor dein Gericht gehörten, sondern vor das unsere. Hat er dir die Ehre des Amtes gekränkt, so siehe zu, was dir dein Amt und dein Gewissen gegen ihn erlauben; uns aber zürne nicht, wenn wir ihm in seiner letzten Not noch danken, soweit wir dürfen.«

Meister Konrad wandte sein Roß, redete leise zu dem Mönche Dorso, der ihm mit rachsüchtiger Freude zustimmte, und verließ darauf den Hof. Er hielt vor der Brücke bei dem Haufen der Mühlburger an, welche um den todwunden Konz versammelt waren, und sprach über diesem die Gebete, dann ritt er abwärts. Im Hofe hielten die Bärtigen finster gegenüber dem brennenden Turme; die Flamme schlug aus den Öffnungen und züngelte an dem Mauerwerk empor; Dorso aber und seine Begleiter türmten auf der Windseite Holzwerk und was sie sonst an Brennbarem fanden, zu einem Walle, und Dorso rief höhnend hinüber: »Ihr habt die Ketzerküchlein mir entführt, jetzt halten wir euch in eurem Bau umschlossen, kommt ihr nicht gutwillig heraus, so räuchern wir euch«, und er hielt eine Pechfackel an den Holzstoß. Ivo legte die Hand auf die Schulter des jungen Ritters, der sich hinter seinem Schilde am Graben niedergesetzt hatte, und wies über den Steg; doch dieser schüttelte das Haupt. Da neigte sich Ivo gegen die deutschen Brüder zum letzten Gruß, und die Hand gen Himmel hebend rief er mit heller Stimme: »Aus feuriger Lohe stieg mein Geschlecht hernieder in dies Land, hier stehe ich unter der letzten Mauer, die mir von dem Erbe meines Geschlechtes geblieben ist; in ihrem Brande will ich vergehen als ein Freier; ehrlich habe ich gelebt und ehrlich sterbe ich, und meine Seele empfehle ich der Gnade des erbarmenden Gottes.« Und er wandte sich nach dem Turme.

Aber ein alter Bruder ritt an den Grabenrand und rief zornig hinüber: »Willst du als ein König der Spielleute untergehen auf den Trümmern deiner Herrschaft? Ich denke, du hast gelernt, neue Burgen zu bauen. Ich mahne dich, Geselle, daß du mir im Preußenlande die Meßschnur haltest.«

Als Ivo die Stimme hörte, hielt er an und hob das Haupt, da sprang von der Seite des wunden Vaters Friderun empor und rief: »Vater, ich tue, was ich muß«, und über den Steg eilend, warf sie die Arme um den geliebten Mann: »Hast du den Willen, in den Flammen zu sterben, so will auch ich nicht leben. Darfst du im Leben mir nicht gehören, so will ich dein sein im Tode.« Ivo umschlang die Magd und küßte sie auf den Mund, er hielt sie in seinen Armen und rief: »Ich will mit euch leben, Sibold.«

Wie eine Beschwörung erklangen diese Worte zwischen Erde und Himmel. Einem Wunder gleich erschien es, daß zugleich das Tosen des Sturmes aufhörte. Die Flamme, welche der Mönch am Grabenrand entzündet hatte, um die Eingeschlossenen durch Dampf zu töten, flackerte aufwärts und die Rauchsäule stieg gegen die Wolken.

Die Brüder aber rückten um den Steg, und Arnfried sprach: »Wer unser Bruder sein will, der muß um Bruderschaft bei uns werben.«

»Ich werbe«, antwortete Ivo.

»Wer Bruderschaft des Ordens begehrt und dabei in weltlichen Ehren leben will,« fuhr Arnfried fort, »der muß uns einen Anteil geben, groß oder klein, an seiner Habe und an seinem Gut, an seinen Gedanken und an seinem Willen, damit der Welt kundwerde, daß er mit uns diene, und ich muß Euch fragen, seid Ihr dazu bereit?«

»Ich bin bereit«, antwortete Ivo, der Magd in die Augen blickend.

»Harret, während ich die Brüder frage, ob sie Euch als Mitbruder empfangen wollen in unserer Gemeinschaft.« Die Bärtigen stiegen von den Rossen, traten zusammen und verhandelten leise. Und Arnfried begann aufs neue: »Komm zu uns, Ivo, und knie nieder.« Da trat Ivo mit Friderun über den Steg und beugte das Knie, während Arnfried die Worte der Aufnahme sang: » Deus meus, salvum fac servum tuum, mein Gott, errette deinen Knecht.« Er segnete ihn mit dem Kreuz, hob ihn auf, küßte ihn auf den Mund und gebot: »Legt ihm das Gewand um.«

Dorso aber rief in Wut: »Heillos seid ihr selbst und mit Ketzern haltet ihr Gemeinschaft. Herbei, ihr frommen Pilger, helft gegen die Verräter.«

Da erhob sich unter den Brüdern ein zorniger Ruf: »Er lästert den Orden, werft den bellenden Hund in den Graben.« Doch Arnfried gebot: »Nicht so, führt den Mönch an der Hand über die Brücke und entlaßt ihn in Frieden, denn er hat nicht teil an unserer Arbeit, und wir nicht an der seinen. Ihr Brüder aber entrollt das Banner der Jungfrau und stoßt es in die Zinne des Tores, damit die Pilger und das Landvolk erkennen, daß die deutschen Brüder hier eine Heimat haben und ein Hospital. In dem Hause unseres Mitbruders bereitet die Lager und sorgt um die Verwundeten, denn das ist unser erstes Amt.«

Dem Befehl des Bruders gehorchten nicht nur die Bärtigen, auch viele der Eingedrungenen riefen ihm Heil zu, die erschrockenen Knechte kamen eifrig hervor, und dieselben Hände, welche vor kurzem das Holz geschichtet hatten, zerwarfen jetzt die Flammen.

Arnfried aber sprach zu Ivo: »In Freuden fasse ich deine Hand, mein Bruder; denn dieser Tag verbindet einen Mann von edlem Sinne zu ehrlichem Dienste mit anderen, welche auch zu den Guten unseres Volkes gehören. Du selbst magst den Anteil bestimmen, den du der Bruderschaft an deinem Erbe gewähren willst, und sei er groß oder klein, du wirst gut dabei fahren, denn der Orden vermag jetzt dein Recht zu vertreten, und unter dem schwarzen Kreuze wirst du der meisten Gegner ohne jeden Kampf ledig. Mit unserer Mitschwester Friderun wird einer von unseren alten Priestern gutwillig wegen ihres Irrglaubens sprechen, ihr Vater aber wird bald vor einem Richter stehen, der die Seelen und Gedanken der Menschen mit anderem Maße mißt, als wir zornigen Sünder.«

An Henners Lager kniete neben der Hausfrau des Ritters Friderun und klagte, über seine Hand gebeugt: »Für mich und meinen Vater empfingt Ihr die Wunde, und bitter schmerzt mich, daß ich Euch gezürnt habe.«

»Gehabt Euch darum nicht pleurant, liebe Magd,« versetzte Henner rücksichtsvoll, »ich tat Euch Willkommenes und Eurem Bruder Widerwärtiges, beides in meinem Amte.« Und die Hände Ivos festhaltend sprach er mit Anstrengung: »Sorgt für die Kummervollen, welche ich zurücklasse. Zu den lieben Engeln nehme ich den Ruhm, daß ich mit dem adligsten Herrn in Thüringen geritten bin, keinem war er untreu und keiner hat ihn jemals vom Pferde gestochen, ich aber war sein Marschalk. Speere her! Lutz, mein Geselle, halte auf Kernholz!« Er sank sterbend zurück.

Aus den Wolken sank friedebringender Regen, und das Himmelswasser rauschte hernieder auf die Mauern des ausgebrannten Turmes.


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