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9. Friderun

Jahr aus, Jahr ein säeten die Thüringe die goldenen Halmfrüchte in den Ackergrund, aber die alte Fruchtbarkeit des Bodens, durch welche sie kräftig und stolz geworden waren, wollte nicht zurückkehren. Die Sommerglut dörrte, die schützende Schneedecke blieb aus, der Rost befiel die Ähren und die Feldmaus tilgte das Saatkorn. Darum blieben die Leute ärgerlich, und fuhren unruhig durcheinander. Noch anderes kränkte die alten Bauerndörfer am Nessebach. Als die Landgenossen sich einst versammelt hatten zu gebotenem Ding unter der Gerichtslinde in der Nähe von Friemar, kam ein Zug landgräflicher Reiter herangesprengt mit Edlen der Umgegend, mit Geistlichen und Hofherren. Und der Kanzler las dem erstaunten Ring der Versammelten große Briefe vor von Kaiser und König und von dem Landgrafen, in denen verkündet wurde, daß das kaiserliche Gericht der freien Thüringe aufhöre und daß alles Recht fortan im Namen des Landgrafen verkündet werde. Denn der Kaiser hatte den großen Gebietern in Deutschland dies Herrenrecht mit vielem anderem gewähren müssen, damit sie auf seine Seite traten und bei dem heiligen Vater die Lösung vom Banne betrieben.

Als die Briefe gelesen waren und die Landleute schweigend und erschrocken standen, ritt Graf Meginhard vor und sprach gegen den Richter: »Wollt Ihr dem Landgrafen den Eid leisten, wie Ihr ihn einst dem Kaiser geleistet habt, so möget Ihr Euer strenges Amt auch in der neuen Ordnung bewahren.«

Da antwortete der Richter, sein Haupt erhebend: »Viel Neues ereignet sich jetzt auf Erden und alter Brauch vergeht schnell; ob das Neue besser sein wird, darüber mag ein jüngeres Geschlecht urteilen, wenn es den Schaden fühlt. Ich aber stehe unter dieser Linde als ein alter Mann; im Namen meines Herrn, des Kaisers, bin ich geritten mit meinem Knecht, bis mein Haar weiß wurde. Soll der Name des Kaisers fernerhin verschwiegen bleiben, wenn die Schöffen unter der Linde sitzen oder stehen, so tue ich mich ab von meinem Amte, und ein anderer mag mit meinem Werkzeuge reiten, wenn es ihm gefällt.« Er legte den Strang und das Schwert auf die Gerichtsbank und trat finster zurück in den Ring.

 

Friderun stand auf dem Hügel unter der Linde, der Herbstwind schüttelte den Wipfel, und sie sprach leise vor sich hin: »Ich weiß eine Magd, die einst in stolzem Mute ihren Kranz auf die Zweige warf, das ist lange her. Seit ich traure, trug die Linde dreimal ihr grünes Kleid und dreimal zerriß es im Wintersturm. Als er hinausritt in die Fremde, sprach er: »Auf Wiedersehen, will's Gott, im nächsten Mai.« Es währte lange, da kam der Mai ins Land und mancher frohe Sommervogel flog heran und baute sein Nest in der Linde. Er aber blieb aus, und wenn die Magd die Kleinen im Laube nach ihm fragte, so sangen sie ihr die Antwort: »Er ist nicht da, so kommt er wohl bald. Die Sänger flogen davon und die Krähen schrien auf den Ästen. Doch als die Tagvögel zum andernmal kamen, und als die Magd wieder fragte, klagten sie traurig: Weit ist die Reise, nicht jeder, der ausflog, kehrt zurück. Und da sie zum drittenmal Bescheid geben sollten, flatterten sie scheu davon und weigerten die Antwort; und wenn die Magd hinaussah auf die grüne Heide, standen die Blumen welk und fahl und sie hatte niemand, den sie fragen konnte, als Wolken und Wind. Der Sturm fegte die Blätter hinab, die Wolken fuhren um den bleichen Mond, und sie rief in den wilden Sturmwind hinein: Dir will ich klagen, du sollst von dem einen Botschaft sagen. Da war ihr, als rufe aus den Wolken zur rechten Hand ein Reiter auf grauem Nebelrosse: Er liegt gefangen im Heidenland. Doch von links rief ein schwarzer Reiter: Er liegt still und tief unter dem Rasen. Seitdem war alles Hoffen der Magd geschwunden und sie weinte, wo niemand ihre Tränen sah.« Friderun setzte sich auf einen Stein und barg das Gesicht in den Händen.

Aus der Ferne klang Hufschlag. »Die Reiter kommen«, rief sie aufspringend. –

Auf dem Wege von Erfurt nahte ein Ritter mit seinem Knecht, er stieg am Holze ab, warf dem Begleiter die Zügel zu und eilte zu dem Steine.

»Berthold, mein Bruder!« grüßte Friderun, »du trägst den Rittergurt?«

»Meine Lehrzeit ist vorüber«, versetzte Berthold stolz. »Und auch die drei Jahre gingen zu Ende, in denen jene dort der heilige Frieden beschützte.« Er wies zornig nach der Gegend des Niederhofes.

»Die Rache hinkt, welche gegen die Toten reitet«, antwortete Friderun.

»Noch leben manche, welche meine Faust fühlen sollen. Das ganze Erbe gehört jetzt zu Recht dem Grafen Meginhard, und es ist wohl möglich, daß er einen seiner Getreuen ausstattet mit dem Hofe, in dem meine Feinde stolzierten.«

»Du denkst dich selbst in dem fremden Hofe niederzulassen, du ritterlicher Knabe?« fragte Friderun zornig. »Was der Graf tut, mag er vor dem Himmelsherrn verantworten. Wenn aber du aus dem Bahrtuch eines edlen Geschlechtes für dich ein neues Knechtsgewand zu schneiden hoffst, so wisse, Berthold, daß du einen Feind finden wirst, der dich als untreu verklagt, und dieser Feind will ich sein.«

»Du!« rief der junge Ritter unwillig. »So höre auch du, Schwester, was ich dir ungern sage, die Zeit ist vorüber, wo ich deine stolze Weise geduldig ertrug. Ich bin ein Mann geworden, und nach dem Vater, der grollend in seinem Hofe sitzt, werde ich dein Herr, und mir steht es zu, über deine Zukunft zu beschließen.«

»Und was hast du beschlossen?« fragte Friderun, die Arme übereinander schlagend.

»Ich meine es gut mit dir und will, daß du die Frau eines ehrlichen Ritters wirst. Mein Geselle Konz, gegen den du dich immer so hochmütig hältst, kann das Wohlgefallen an dir nicht verwinden und sprach erst gestern von seinem Wunsche, dich zu freien. Ich denke, der Vater wird sich fügen, wenn du nur willst. Sollte aber der Alte widerstehen, so ist mein Geselle auch bereit, seine Zeit abzuwarten, sobald du ihm nur gutwillig zulachst.«

»Ich bin euch beiden, ihr strengen Ritter, dankbar für das Los, welches ihr mir bereiten wollt«, antwortete Friderun verächtlich. Doch sogleich fuhr sie in anderm Ton fort: »Mein armer Bruder! Es war ein schweres Schicksal, das dich unter dies Reitervolk geschleudert hat. Dennoch hätte ich von dir mehr Liebe erwartet, als daß du mich dem ungeschickten Manne vermählen wolltest.«

»Er ist immer freundlich gegen mich gewesen,« versetzte der Bruder, »weil er auf dich gehofft hat; auch daran solltest du denken.«

»Ja, Berthold, die Schwester ist der Preis gewesen, durch den du dich in der Gunst deines Genossen eingekauft hast. Das war nicht treu gegen mich, und du mußt es jetzt tragen, wenn er dir wegen meiner Weigerung zürnt. Denn niemals werde ich seine Hausfrau.«

»Was soll aus dir werden?« fragte der Bruder zornig.

Die Magd sah zum Himmel hinauf. »Ich bleibe bei dem Vater, er bedarf meiner Dienste mehr als sonst, denn sein Mut ist beschwert und er grübelt über die arge Zeit. Auch um deinetwillen bleibe ich. Täglich, wenn ich deinen Sitz an unserm Herde leer sehe, denke ich daran, wie wir als Kinder miteinander im Herdloch kauerten, ich als Hauskatze und du als Schäferhund. Jetzt ist mein Hündlein unter die Wölfe geraten, und ich fürchte, es wird entweder seinen frommen Sinn verlieren, oder die Argen werden es zerreißen.«

»Sprich nicht solch wehmütiges Zeug, das hier ganz ungehörig ist,« versetzte Berthold unruhig, »und höre verständig auf meine Worte.«

»Ich bin verständig, Bruder«, sprach Friderun, seine Hand festhaltend. »Setze dich zu mir, Berthold. Mutterlos wuchsen wir zwei Geschwister auf und wenn der Vater hart war, suchten wir Trost beieinander. Mir ist oft einsam im Hofe und die Sehnsucht nach dir und deinem sorglosen Lachen verläßt mich nicht. Ich denke mir, daß auch du unter den Fremden keine Schwester gefunden hast, mit der du vertraulich reden kannst, wie du einst mit mir tatest.«

Berthold setzte sich willig zu ihr, sie sah ihn liebevoll an. »Du bist mannhaft geworden und ich muß dich loben, du eitles Kind, deine Löckchen hängen dir lustig um die Wange. Aber dein Auge fährt unruhig umher, und ich fürchte, sie haben dich zu mancher Tat verleitet, deren ein redlicher Mann ungern gedenkt.«

»Jeder Dienst verlangt Gehorsam«, sagte der Bruder trübe.

»Du warst ein Freier und an friedliche Sitte gewöhnt. Doch Vergangenes macht niemand ungeschehen«, fuhr sie seufzend fort. »Da du ein Ritter geworden bist, müssen wir beide darauf denken, daß dir dein Leben nicht in fremdem Dienst verdorben werde. Vernimm, mein Bruder, was dich trösten soll. Du hast jetzt keine Hoffnung, den Zorn des Vaters zu versöhnen, aber was ich als seine Tochter tun darf, um dir dein Erbe zu bewahren, darauf bestehe ich. Deshalb verpflichte dich nicht gegen die Mühlburger.«

Berthold erhob sich: »Du bist eine treue Schwester, doch du verstehst nicht, was ritterliche Pflicht gebietet.«

»Kannst du dich nicht heut und nicht morgen von ihnen befreien, so tue es allmählich. Denke immer daran, daß deine Zukunft nicht von ihrer Gunst abhängt und daß es noch andere gibt, die um dein Glück besorgt sind. Und laß mich dein vertrautes Gesicht bald wiedersehen, mein Bruder.«

Friderun sah dem scheidenden Berthold traurig nach. »Ein ungetümer Drache wälzt sich um den Edelhof, nicht lange, er dringt hinein und verzehrt Habe und Gut. Der Held aber, der diesen Drachen erlegt, ist geschwunden. Auch dem Hofe des Bauern wird der Untergang des edlen Hauses zum Verhängnis, der Sohn zieht unstet auf wilden Wegen und die Tochter wird auf dem Steine ein altes Lied singen, bis ein neues Geschlecht sie und ihren Gesang verlacht.« Sie sprang erschrocken auf. »Eine Mahnung erhalte ich vom Schicksal, schwarz ist das Roß, welches dort herankommt und schwarz ist der Reiter; ich weiß, was mir der Hufschlag bedeutet.« Bleich und starr sah sie auf den Weg.

»Seid gegrüßt, Magd Friderun,« rief ein bärtiger Krieger ihr zu, »ein gutes Vorzeichen soll es für mich sein, daß ich zuerst Euch finde.«

»Lange weiltet Ihr in der Fremde, Bruder Gottfried,« antwortete die Magd tonlos, »das Kreuz der Bruderschaft hing über leerem Hause.«

»Wir kommen und gehen, wie der Meister gebietet, diesmal denke ich nur kurze Zeit bei Euch zu bleiben.«

»Ihr kommt aus dem Morgen, bei uns wurde es Abend. Was bringt Ihr Neues für die Meinen und mich?«

»Aus Accon, einer Burg der Christenheit, bin ich herzugereist, und Euch bringe ich Botschaft aus dem Libanon.«

»Sprecht, ich höre«, murmelte Friderun unbeweglich.

Der Bruder griff in sein Gewand und bot ihr ein seidenes geknotetes Tuch, das mit vielen Schnüren umwunden war. »Ein sächsischer Mönch, der als Waller von Antiochien nach Damaskus zog, empfing dies heimlich in einem Tal der Ismaeliten von einem thüringischen Manne; traurig war der Geber und ein Notzeichen nannte er die Gabe, er gebot dem Mönch, sie in einem Haus unseres Ordens abzugeben zugleich mit dem Wahrspruch: Friderun aus Friemar sprang in die Flamme.«

Die Jungfrau stürzte auf die Knie, die zitternden Finger lösten und rissen an der Schnur, sie schlug das Tuch zurück, ein Strang Menschenhaare ringelte sich in ihrer Hand, und sie schrie: »Die Haarlocke ist es, das letzte Notzeichen des Bedrängten. Sein Haar ist es, er weiß, daß ich die Farbe kenne, er lebt und ruft nach Hilfe.« Sie warf sich an dem Baume nieder, hob die Arme gen Himmel, lachte und weinte zu gleicher Zeit.

Am Abend saß eine kleine Zahl älterer Männer am Herdfeuer des Freihofes, die Tür war verschlossen gegen Regen und Sturm, die Flamme schien auf graue Häupter und gefurchte Gesichter; es waren Bauern des Dorfes, die meisten seit alter Zeit dem Geschlechte des Richters Bernhard verwandt. Hinter ihnen auf der Bühne stand Friderun, den Arm auf das Geländer gestützt, sah sie zu, wie die Flamme loderte und der Rauch in der Höhe sich zu dicken Wolken ballte. Und ein alter Bauer begann: »Über dem Wald sieht man hellen Feuerschein, dort werden Häuser gesengt und neue Frucht verbrannt, denn es ist Fehde zwischen den Dienstmannen des Hennebergers und den Landgräflichen.«

»Nie dachte ich zu erleben,« fuhr der Schöffe Isenhard fort, »daß der grobe Mann, den sie Ritter Konz von der Mühlburg nennen, jemals auf dem Grafenstuhl Gericht halten sollte über freie Bauern; sonst ehrte der Richter in Wort und Gebärde den höchsten Herrn der Christenheit, diesmal war von dem Herrn nicht mehr die Rede. Ganz unordentlich und greulich hielt der Plumpe das Gericht, denn er mengte die Worte und herrschte die Schöffen an, als ob sie von seinem Gesinde wären.«

»Ich gedenke noch der Zeit,« sprach Hartmann, ein treuer Nachbar des Hauswirts, »wo die Leute bei uns lachten und fluchten, wenn jemandem einfiel, den Herrn Papst zu rühmen. Damals war ein großer Streit in der Christenheit, wer stärker sei, der Kaiser oder der Papst, doch jetzt ist dies anders geworden, man vernimmt wenig vom Kaiser und viel vom Papste.«

»Vielleicht ist das besser, vielleicht auch nicht«, antwortete vorsichtig der erste Bauer.

»Damals,« fuhr Hartmann nachdrücklich fort, »fragten die Leute, ob der Vater der Christenheit zu Rom mit seinem Gefolge in Wahrheit die Gewalt habe, das Himmelreich den armen Seelen zu öffnen oder zu sperren. Ich merke, daß jetzt niemand darüber spricht, und ich möchte wohl wissen, ob es noch viele gibt, die den Zweifel hegen.«

»Die meisten fürchten sich, zu fragen«, versetzte der erste Bauer. Die Männer sahen einander bedeutsam an.

Da sprach Bernhard mit starker Stimme: »Eine Verkündigung vernahmen wir, daß vor dem Ende der Welt eine neue Ordnung kommen soll und eine Herrschaft des Antichrists, welcher sich auf dem Stuhle niedersetzt, der für unsern Herrn Jesus, den Sohn des Himmelsgottes, errichtet ist; in dieser Zeit wird der Sinn von Geistlichen und Laien verkehrt und sie werden dem falschen Gott dienen, der sich frech vermißt, an Stelle des Herrn zu herrschen. Manche von uns sorgen, daß diese Zeit der Betörung nahe sei, denn der Acker beharrt darauf, die Frucht zu versagen, das alte Recht schwindet und ärger als je zuvor reiten die Diebe aus den Burgen und schnüren dem Landmann das Haupt mit seiner Peitschenschnur, damit er ihnen das Versteck eröffne, in dem er sein Geld birgt. Braune Mönche schweifen durch das Land, rufen die armen unfreien Leute, welche uns seither dienten, auf, daß sie die echten Gotteskinder seien, und hetzen die einfältige Menge gegen uns.«

»Wir wissen,« sprach Isenhard tröstend, »daß vieles auf Erden in das Arge verkehrt ist. Aber manche schwere Zeit erlebten wir, und ihr folgten bessere Tage. So denke auch ich, daß die beiden neuen Bedrücker, welche uns den Frieden in Unfrieden verkehrt haben, die schweifenden Bettler, welche sich Mönche des heiligen Vaters nennen, und die schlechten Richter, welche den Kaiser verleugnen, nicht ewig dauern werden. Denn wir sind nicht herrenlos, noch lebt unser Kaiser. Alle verkünden, daß er ein weiser und machtvoller Herr ist, der den Pfaffen und Mönchen gewaltig widersteht. Aber er ist fern von uns, und er weiß in der Fremde nicht, was uns, den Freien am Walde, Sorgen bereitet. Käme er zu uns und sähe das Leiden, er würde es an sich nicht fehlen lassen. Denn das ist sein Amt; und wir alle haben von unsern Vätern gehört, daß die Kaiser einst durch das Land geritten sind mit großem Gefolge, den raubenden Rittern haben sie die Burgen gebrochen und die Missetäter an die Bäume gehenkt, an grüne und an dürre, je nach dem Maß ihrer Untaten. Darum soll, soweit ich erkenne, unsere Sorge sein, ob wir den Kaiser zur Hilfe rufen können gegen die wilden Mönche, welche mit dem Holzstoß drohen, und gegen die Räuber, welche prahlen, daß sie im Dienste eines Herzogs oder Landgrafen mit unserer Habe und unseren Kindern zu schalten vermögen, wie ihnen beliebt.«

»Ihr sprecht verständig,« versetzte Bernhard, »aber wer wagt so laut zu schreien, daß seine Klage über deutsches und welsches Land hinausschallt bis an das Meer, wo die Heiden wohnen, denn dort waltet der Kaiser. Vieles und Schweres haben wir ihm zu künden, vielleicht,« fuhr er mit leuchtenden Augen fort, »auch manches, was ihm selbst ein teurer Gewinn sein kann. Denn er lebt in starker Feindschaft mit dem Manne zu Rom, der sich für den Herrn der Welt ausgibt, weil er ein Nachfolger der heiligen Apostel ist. Die Apostel aber haben wieder die Herrschaft empfangen von dem Sohne des Himmelsherrn. Darum erlügen die Pfaffen, daß der Sohn gleiche Macht und Herrlichkeit habe wie der Vater, damit sie den Mann in Rom und seine Gebote gleichmachen dem Himmelsherrn und den Geboten des alten Gottes selber. Wir aber haben erkannt und wir wissen, wie unser lieber Herr und Heiland in seiner Demut selbst bezeugt hat, daß sein Vater mehr ist als er. Hat der Herr Papst seine Macht von dem Sohne, so hat unser Herr Kaiser sein Recht und seine Macht von dem Vater; denn der Vater selbst hat in dem Erdgarten die Menschen geordnet und jedem sein Amt und seine Arbeit festgesetzt. Dies heilige Geheimnis haben wir erkundet und wir sind bereit, dasselbe vor aller Welt zu bezeugen. Denn wir besitzen einen unumstößlichen Grund dafür, das eigene Wort des Herrn, wie es niedergeschrieben wurde und besprengt mit dem Blute eines redlichen Bekenners. Das könnte dem Kaiser zum Siege verhelfen in seinem harten Streit mit dem Papst zu Rom, wenn er die heiligen Worte erfährt, welche sein Recht besser machen als das des andern, und wenn er solche Wahrheit verkünden läßt durch alle Lande, damit jedermann sie wisse. So vermöchten auch wir dem Kaiser zu helfen, wie er uns helfen soll. Und wieder beklagen wir, daß der Kaiser uns verlassen hat; denn wer von uns Bauern kann mit solchem Gruß viele hundert Meilen über ungeheure Berge und über das wilde Meer zu ihm dringen?«

Die Männer sahen in die Flamme und schwiegen; von oben klang eine Frauenstimme: »Die Freien von Friemar hatten einst unter den Edlen einen Genossen, welcher bei den Königen das Wort für sie führte.«

»Die wir einst hatten, wir haben sie nicht mehr, sie sind verdorben und gestorben«, versetzte der Vater.

»Hat auch die Grafen auf der Mühlburg ihr Hofdienst verdorben, die Herren im Niederhof haben uns billigen Sinn bewährt, sie vermöchten am ersten ihre Stimme für euer Recht zu erheben und den Kaiser, dem sie lieb sind, an eure Not zu mahnen.«

»Was rufst du die Toten, Friderun, der letzte von ihnen, der unter uns sein Haupt hoch trug, ist getilgt.«

»Er lebt,« rief Friderun, »so wahr auf die Nacht der Morgen kommt und auf Wettersturm das milde Sonnenlicht! Er lebt, aber er liegt in Not und Gefängnis, und er fordert von uns Hilfe für sich.« Sie stieg die Stufen herab und zog aus dem Gewande ein seidenes Tuch hervor, schlug es auseinander und hielt eine Locke in die Höhe. »Dies ist Haar von seinem Haupte, welches er in unsern Hof sandte, damit wir ihn retten. Der Bärtige brachte diesen Gruß aus dem heiligen Lande, ein Pilger empfing ihn von Herrn Ivo, der in Haft liegt bei dem wilden Heidenvolk, welches sie die Ismaeliten nennen. Dies ist in Wahrheit seine Locke, und als er sie dem Boten gab, sprach er einen Wahrspruch dazu, welchen nur wir kennen. Darum, mein Vater, beschließt, wie Ihr ihm helfen mögt.«

Die Landleute sahen scheu auf das ehrwürdige Notzeichen, welches Friderun unter ihnen in der Hand hielt.

»Ist das Zeichen echt,« begann der Richter, »so mahnt die Tochter nicht ohne Grund; denn wisset, ihr Freunde und Eidgesellen, ich bewahre einiges von seiner Habe, was er mir beim Abschied anvertraute. Ist er ein Gefangener, der durch Lösegeld befreit werden kann, so mag ihn vielleicht retten, was er meinem Herde übergab.«

Wieder saßen die Männer nachdenklich, bis Isenhard begann: »Ihr dachtet daran, ihn als Helfer zu gewinnen, und er begehrt Eure Hilfe für sich, so wächst zu der alten Sorge die neue. Schon war der Wagen überladen, wie vermögen die Rosse zu ziehen, wenn eine größere Last dazu kommt?«

»Darf ich sprechen in Eurem Rat, Vater?« fragte Friderun.

»Wollt ihr mein Kind hören? Ist sie auch ein Weib, so wurde ihr doch die Gabe nicht versagt, guten Rat zu finden.«

Die Männer nickten bedächtig. »Wir wissen, daß etwas in dir ist, Friderun,« ermunterte Hartmann, »was manchen mit Scheu erfüllt, mich aber mit Freude.«

»Sendet einen Boten zum Kaiser,« rief Friderun mit blitzenden Augen, »vertraut dem Boten an, was euch beschwert, und vertraut ihm den Schatz an, damit er ihn in die Hand des Kaisers lege. Denn wenn irgendein Mann, so vermag der Kaiser den Herrn Ivo zu lösen. Seine Herrlichkeit ist gefürchtet im Abend und im Morgen, und man sagt, daß auch die Heidenkönige sich vor ihm neigen wie vor einem Herrn und ihn durch reiche Geschenke ehren. Und, Vater,« rief sie begeistert und kniete nieder, seine Hand ergreifend, »der Bote will ich sein, laßt mich ziehen.«

»Du?« rief der Richter, und sein Antlitz erblich in der heftigen Bewegung. »Du bist mein letztes Kind, und du bist ein Weib. Soll ich auch dich verlieren?«

»Nicht verlieren sollst du mich, Vater, sondern besseres Glück durch mich gewinnen. Pilgern nicht alljährlich viele Frauen nach Rom und kehren ungekränkt zurück. Warum soll mir es schwer sein, zu unserm Kaiser zu dringen? Bedenke, Vater, daß wir bessere Hilfe haben als viele andere«, und sie legte schnell die Hände zusammen, wie die Bärtigen taten, wenn sie mit den Zugewandten der Bruderschaft Gruß tauschten. »Ich bin ein Kind der Thüringe und fürchte mich nicht vor den Fremden.«

Da der Richter nicht antwortete, so erhob sich der alte Hartmann und sprach feierlich zu seinem Genossen: »Ob Ihr als Vater die Tochter an solche Botschaft wagen wollt, das steht bei Euch allein, und wir andern dürfen nicht zureden und nicht abmahnen. Doch es handelt sich um ein großes Werk und das Schicksal von manchem unter uns mag daran hängen. Und deshalb sage ich hier nach meinem Gewissen, daß die Freien von Friemar keinen besseren Boten durch die wilde Welt senden können als unser Kind Friderun. Denn wir alle wissen und vertrauen, daß sie eine reine Magd ist, welche niemals einem Manne heimlich zugelächelt hat wie andere Mädchen im Dorfe. Einer solchen gelingt aber auf Erden, was einem starken Manne versagt ist, und sie ist begnadigt vor anderen Menschen, daß die Argen sie scheuen und die Gefahr von ihr weicht und die liebe Sonne freundlicher auf ihrem Wege scheint als vor anderen. Darum sorge ich auch nicht übermäßig um die Gefahren einer weiten Fahrt, nicht wegen der Räuber, wenn sie einen Schatz trägt, und nicht wegen der Heiden, wenn sie durch ihre Schwerter wandelt. Einen Edlen vermögen wir dem Kaiser nicht zu schicken, aber wir senden ihm das Vornehmste, was wir haben, eine Jungfrau, welche den Menschen und den Engeln lieb ist und welcher die Gabe der Rede zugeteilt wurde und zuweilen große Gedanken, denen auch wir Alten willig Gehör geben.«

Friderun stand mit gesenktem Haupt, während der Alte sprach, jetzt neigte sie sich wieder zu ihrem Vater herab und faßte Knie und Hand. Dem Alten rannen die Tränen über sein ehrwürdiges Angesicht, er legte den Arm um sie, küßte sie auf die Stirn und sprach: »Geh, und sage auch unserem Kaiser, daß Bernhard, der sein Richter war, ihm das Liebste sendet, was er noch auf Erden sein nennt.«

Am nächsten Morgen ging Friderun nach dem Edelhofe. Der Hof war leer, wie ausgeräumt, die Stalltüren standen offen, die Rosse waren bis auf zwei Klepper entführt. Als die Magd ein klägliches Brüllen hörte, trat sie in den Kuhstall, dort fand sie die letzte Kuh vor leerer Krippe. Sie sprang auf den Futterboden, holte von dem geringen Heuvorrat und legte der Hungrigen vor. Dann eilte sie über den öden Hof nach dem Herrenhause, öffnete die Tür der Stube, in welcher Herr Godwin hauste, und rief auf der Schwelle: »Er lebt.«

In seinem Bett lag Godwin, schwach und verfallen, an der Seite saß Nikolaus und las ihm aus einem kleinen Pergamentband Gebete vor. Als die beiden Friderun erkannten, welche freudestrahlend mit gehobener Hand die Verkündigung brachte, erhoben sie sich aus ihrer Bekümmernis, Godwin starrte mit gefalteten Händen nach der Tür und Nikolaus sprang auf, um der Magd entgegenzueilen, aber er hemmte den Schritt, da er ihre Verklärung erkannte, denn ihm kam plötzlich die Erkenntnis, daß die Magd um einen andern mehr sorge, als um ihn. »Der Herr lebt,« wiederholte Friderun, zu dem Lager tretend, »er liegt im Morgenlande gefangen, und ein Bote wird zu unserm Kaiser wandern, damit sein Wort die Befreiung verschaffe. Ihr zuerst sollt das wissen, Herr Godwin, und niemand anders, denn schädlich wäre es, davon zu reden; nur damit Ihr ausdauert, sage ich's Euch; will's Gott, kehrt er dennoch wieder.«

Der Alte hatte sich aufgerichtet, er beugte jetzt schweigend sein Haupt über die heftig zitternden Hände.

»Die Mühlburger haben den Hof geräumt,« sagte Nikolaus leise, »seitdem ist seine letzte Kraft gebrochen, und ich fürchte, es geht bald mit ihm zu Ende.«

Godwin faßte die Hand der Magd und wollte sie an sein Lager ziehen, sie aber sprach, über ihn gebeugt: »Ich darf mich nicht setzen und ich darf nicht rasten, denn Großes liegt mir auf der Seele, und ich bin nur hier wie die Schwalbe, wenn sie sich im Fluge durch den Hof schwingt, bevor sie den weiten Weg in die Fremde beginnt. – Wie kommt's, Nikolaus, daß Frau Jutte nicht nach dem Vieh im Stalle sieht? Ihr müßt sie bitten, ich darf nicht zu ihr gehen, weil ihr Hauswirt unser Geschlecht gekränkt hat.«

»Auch dort ist Not und Kummer,« klagte der Schüler, »die Knaben sind krank.«

»Ich sende Euch noch heut aus unserem Hofe, was Ihr zunächst brauchen mögt, später soll der Vater für Euch sorgen.«

»Ich frage nicht,« begann Nikolaus traurig, »wer der Bote zum Kaiser sein soll. Laßt mich Euch begleiten, Friderun.«

Die Magd schüttelte das Haupt. »Nimmer, Nikolaus; Ihr habt einmal von Eurem günstigen Willen zu mir gesprochen, und ich habe Euch Bescheid gegeben wie ich mußte. Wollt Ihr dem Herrn, dem Ihr Euch einst gelobt habt, Eure Treue erweisen, so verlaßt den Kranken nicht, und gewinnt Ihr Zeit, so seht nach meinem lieben Vater, denn in schwerer Sorge um ihn ziehe ich aus dem Lande.«

»Wie wollt Ihr allein über Berg und Tal in die Fremde?« fragte Nikolaus, die Hände ringend.

»Es ist für mich gesorgt, ein Bruder von den Bärtigen geht von der Naumburg zu seinem Meister nach Welschland, ihm vertraue ich mich, damit sein Kreuz mich schütze.«

Wenige Tage darauf hielt ein alter Ritterbruder mit seinem Knecht vor dem Hofe Bernhards und sah schweigend zu, wie die weinende Friderun sich vom Halse des Vaters löste und noch von ihrem Rößlein den Segen des Himmels für den Hof erflehte. Erst als sie eine gute Wegstrecke geritten waren, redete er die Traurige an: »Die Sorge für Euch ist mir von Bruder Arnfried auferlegt, und was ich bis jetzt von Euch gesehen habe, gefällt mir recht wohl. Doch mögt Ihr selbst denken, daß es mir geringe Freude ist, mit einem Weibe durch das Land zu ziehen, zumal ich in gewichtigen Sachen reise und eilig bin. Ich fürchte, Ihr werdet mich aufhalten.«

»Duldet mich, solange Ihr dürft«, bat Friderun. »Auch ich habe Eile und reite für Leben und Freiheit eines andern.«

»Sagt mir nichts, was ich nicht zu wissen brauche, denn wir Brüder kümmern uns nicht um fremde Geschäfte; nur was für den Weg nötig ist, laßt mich erfahren. Wollt Ihr auf Eurer Pilgerfahrt bei Heiligtümern eintreten oder sonstwo?«

»Nein, ehrwürdiger Bruder, zwischen Euch und mir muß Vertrauen sein,« antwortete Friderun, »sollt Ihr für mich sorgen mit freudigem Willen, so müßt Ihr vorher wissen, daß ich Eurer Sorge nicht unwert bin. Wenn Ihr auch rauh zu mir sprecht, so habe ich doch bemerkt, daß Ihr ein gutherziger Mann seid, als Ihr im letzten Dorfe dem Knaben über die Wange stricht. Darum verschmäht nicht, mein Geheimnis zu hören, soweit ich es sagen darf. Ich ziehe aus der Heimat, um Hilfe zu werben für einen Gefangenen im Morgenlande, und ich gleiche dem Mädchen, das über die Erde bis an den Himmel ging, um die drei segensreichen Gestirne zu fragen. Mein Mond ist Frau Else, die Landgräfin, welche jetzt auf der Marburg wohnt, der Morgenstern ist eine Verwandte des Kaisers, zu der mich die Landgräfin weisen soll, und das dritte Gestirn ist die lichte Sonne, unser Herr Kaiser selbst, zu dem ich dringen muß, um zu verkünden, daß ein Verlorener wiedergefunden ist, und daß er, den seine Freunde als tot beweint haben, Botschaft aus dem Berge Libanon gesandt hat.«

Der Bruder hielt sein Pferd an. »Meint Ihr einen Thüring, den edlen Ivo?«

»Ihr kennt ihn?« rief Friderun in heller Freude.

»Gewiß kenne ich ihn,« versetzte der Bruder, »und manchen Tag habe ich mit ihm vor Accon an demselben Werke geschafft. Einiges, was wir damals miteinander redeten, ist jetzt der Erfüllung nahe. Wagt Ihr die Reise für ihn, um den auch ich getrauert habe, so sollt Ihr mir lieb sein, und ich will treu für Euch sorgen, bis ich Euch zum Meister bringe, welcher jetzt bei dem heiligen Vater weilt oder doch in der Nähe.«

Im sichern Schutz des Bruders Sibold gelangte Friderun bis zu der Marburg, wo neben den frommen Stiftungen der Landgräfin auch ein Spital des deutschen Ordens war. Der Bruder führte Friderun in die Burg und empfahl sie dort dem Meister Konrad, welcher mit den Bärtigen in gutem Einvernehmen lebte. Prüfend fragte der strenge Priester: »Was begehrst du, Pilgerin, von der gottseligen Frau?«

»Verzeiht, ehrwürdiger Vater, wenn ich meine Bitten zuerst der Herrin selbst anvertraue. Doch darf ich Euch sagen, ich komme um Leben und Freiheit eines armen Kreuzträgers im Morgenlande.«

»Du berätst dich übel durch dein Mißtrauen. Doch bittest du für einen, der unter dem Kreuzeszeichen gelitten hat, so will ich dir den Zutritt nicht wehren.« Er schritt vor ihr in das Gemach.

Die Landgräfin saß in Nonnentracht unter den dienenden Frauen, der rosige Schimmer ihrer Wangen war geschwunden, ihr Leib hager von Gram und strengen Büßungen, und ihre Augen strahlten in dem Glanze, welcher zuweilen das Antlitz des Menschen verklärt, wenn ihm nur noch ein kurzes Leben bestimmt ist. Sie hob die Magd, welche an der Tür niedergekniet war, gütig auf: »Du kommst aus Thüringen, wo ich oft mit meinen Gedanken weile, gutwillig höre ich, was du mir zu sagen hast.« Sie setzte sich, und Friderun begann ihren Bericht, daß sie der Mutter des Verlorenen großen Dank schuldig sei und daß sie jetzt Fürsprache für sich selbst ersehne durch die Landgräfin und durch Frau Hedwig, damit sie bei dem Kaiser gnädigen Empfang finde.

Während sie erzählte, flog ein heller Schimmer wie vom Abendlicht über das Antlitz der Frau Else, und der Priester, welcher zur Seite stand, betrachtete besorgt die Miene der Herrin. Als Friderun geendet hatte, antwortete die Landgräfin: »Es ist lange her, seit ich mit meiner Base die letzten Briefe getauscht habe. Doch um des Herrn Ivo willen will ich dir gern einige Zeilen anvertrauen, denn ich kannte ihn, als ich hier auf Erden im Glücke war«, und mit leisem Lächeln fügte sie hinzu: »Er war auch mir wohlgesinnt, und dies ist eine Gelegenheit, wo ich ihm als Christin meinen Dank dafür erweisen darf.« Sie erhob sich; doch als sie zu dem Schreibpult trat, stand der Priester neben ihr, legte seine Hand auf das leere Pergamentblatt und fragte in gebietendem Tone: »Ziemt der Gedanke an eitle Ritterdienste einer gottgeweihten Seele?«

Frau Else hob das Haupt, und in ihren Augen blitzte der Stolz einer Fürstin: »Nehmt die Hand vom Pergament, Herr, mein Berater und Lehrer seid Ihr, und wahrlich, die Heiligen wissen es, ein strenger Lehrer, doch zu ihrem Hüter hat Euch die Landgräfin nicht bestellt.« Als er erstaunt und mit gefurchter Stirne wich, tat der Herrin die eigene Strenge leid und sie fuhr demütig fort: »Einst war ich nicht nachsichtig mit einer weltlichen Huldigung, obgleich sie in Ehrerbietung dargebracht wurde; aber hartherzig kann ich nicht werden gegen die wenigen, welche meinem lieben Gemahl und mir redliche Gesinnung erwiesen haben.«

Sie schrieb den Brief, übergab das geschlossene Pergament Friderun mit einem Segenswunsch für Ivo, und fügte hinzu: »Die Gräfin ist, wie ich vernehme, mit dem Königshofe nach Speyer gezogen, dort wirst du sie finden.« Aber die Magd bemerkte wohl, daß Frau Else bedrückt war durch ihren eigenen Widerstand gegen den mächtigen Meister, und als sich die Türe hinter ihr schloß, vernahm sie laute Worte des Mannes.

»Gütigen Schein spendete mir das Mondenlicht,« sprach Friderun, dem Bruder das Pergament weisend, »aber der Priester Konrad entließ mich feindselig.«

»Er ist heiß in allem Tun,« antwortete der Bruder, »und viele halten ihn für furchtbar. Doch unserer Bruderschaft ist er ein treuer Gehilfe, denn er spricht für uns bei den Großen und im Volke, und ich denke, wir werden in kurzem seinen mächtigen Beistand gebrauchen.«

Die Reisenden zogen in Frieden südwärts; als sie sich aber der ruhmvollen Königstadt Speyer näherten, begann der Bruder, den stolpernden Gaul der Magd am Zügel fassend: »Wer zu Rosse sitzt, ringt nicht ohne Gefahr die Hände. Verändert finde ich Euer Wesen, Friderun, der Weg zu dem goldnen Stuhle, dem Ihr jetzt nahet, wird Euch mühevoll.«

Friderun sah den Bruder mit so bitterer Seelenqual an, daß dieser ihren Kummer durch Schweigen ehrte. »Gern würde ich mich an den Weg setzen und ausweinen«, sagte sie.

»Manchem hilft das,« ermunterte der Bruder, »ich warte auf Euch.«

»Vorwärts!« rief die Magd, tief aufatmend.

Kurze Stunden darauf stand sie in einem reichgeschmückten Gemach der Gräfin von Meran gegenüber. Hoch aufgerichtet, sah sie von der Schwelle auf die vornehme Dame, so daß sich diese verwundert erhob, doch im nächsten Augenblick neigte sie sich tief und überreichte den Brief der Frau Else. Hedwig ging zum Fenster, las und faßte mit dem Arm die Stuhllehne, so stand sie lange Zeit abgewandt, und die Magd fragte sich, ob sie vor Freuden weine. Endlich trat sie zu der kleinen Harfe, welche auf einen zierlichen Tisch gestellt war, und fuhr mit der Hand durch die Saiten. Friderun wußte wohl, daß dies die Weise des Herrn Ivo war, und dachte bei sich: Ich höre sie oft erklingen, auch wenn niemand an die Saiten rührt, doch in den letzten Wochen habe ich nicht an seine Lieder gedacht. Plötzlich wandte sich die Gräfin zu ihr, faßte ihre Hand und sah sie so weich und dankbar an, daß Frideruns Trotz dahinschwand. »Seit wann kennst du ihn?«

»Da ich ein Kind war, weilte ich einige Jahre im Edelhofe«, antwortete die Magd, vor dem forschenden Blick die Augen niederschlagend.

»Wann hat er dich zum letztenmal geküßt?« fragte Hedwig lächelnd.

»Nimmer seit ich heranwuchs«, rief Friderun gekränkt. Beide schwiegen und betrachteten einander mit geröteten Wangen.

»Weiß jemand in diesem Hause, weshalb du zu mir kommst?«

»Nur wenige erfuhren, weshalb ich reise, in dieser Stadt seid Ihr die einzige.«

»Du sprichst verständig. Wenn dir sein Leben lieb ist, birg das Geheimnis vor jedermann. Jetzt setze dich zu mir und erzähle, wie du die Nachricht erhieltst und zu dem Entschluß kamst, für ihn, der einst dein Gespiele war, die weite Fahrt zu machen.«

»Niemals zeige ich ihr die Haarlocke,« dachte Friderun, »ihr Auge soll nicht darauf sehen, und sie soll mein Eigentum nicht von mir fordern.« Deshalb sprach sie vorsichtig: »Einer von den Bärtigen, der im Hofe meines Vaters Kranke gepflegt hatte, brachte uns die Botschaft, daß er als Gefangener im Libanon lebe und als Wahrzeichen Worte eines alten Liedes, das in unserem Dorfe bekannt ist. Denn bevor Herr Ivo unter dem Kreuze auszog, übergab er meinem Vater Goldschmuck und edle Steine, das Erbe seiner Mutter, damit der Vater den Schatz in unserem Herd berge bis zu seiner Rückkehr. Diesen Schatz soll ich zum Kaiser tragen als Lösegeld.«

Hedwig lächelte. »Und warum wurdest du der Bote und nicht dein Vater?«

»Der Vater ist alt und der Hof kann ihn nicht entbehren.« Hedwig nickte: »Du warst seiner Mutter vertraut. Sprich mir von ihr.«

»Sie war aus dem Grafenhaus von Orlamünde, wie Ihr wissen werdet, und eine stolze Wirtin, doch klüger als andere und von gütigem Herzen. Daß sie starb, war ein Unglück für den Hof, Herr Ivo lebte sorglos und ritt durch das Land, und ein Herrenhof bedarf Hände, die sparsam zusammenhalten, denn wo viele begehren, wird leicht unnütz verschwendet, und auch die Treuen gewöhnen sich, aus dem Vollen zu leben.«

Wieder lächelte Hedwig. »Wie war Herr Ivo als Knabe?«

Friderun schwieg. »Fragt mich, was Ihr über ihn wissen wollt«, sprach sie endlich mit Zurückhaltung.

»Sage mir, wie er gegen dich war.«

»Wir spielten miteinander. Wer die Gerte in der Hand hielt, führte den andern als Roß an der Leine.«

»Doch als du größer wurdest?«

»Wir zankten uns zuweilen, doch saßen wir auch beieinander und sangen Lieder um die Wette. Als Knabe hatte er eine liebliche Stimme«, berichtete Friderun kurz.

»Und wann schiedest du aus dem Hofe?«

»Da er in die Zucht des langen Marschalks kam und der Vater meiner bedurfte.«

»Ich erkenne,« begann Hedwig überlegend, »daß du schnell und klug zu antworten weißt; ich hoffe, du verstehst ebenso zu sehen und zu hören. Frau Else schreibt mir, daß du mein Fürwort beim Kaiser gebrauchst. Ich gebe dir keinen Brief, doch ein Zeichen, daß du von mir kommst.« Sie zog einen Ring vom Finger. »Auch den Ring bewahre geheim vor jedermann. Willst du dem Kaiser angenehm und wertvoll werden, so mußt du ihm einiges von seinem Sohne, dem König Heinrich, berichten können, denn wenn du ihm meinen Ring gibst, wird er auch darnach fragen. Ich will dir Gelegenheit verschaffen, den jungen König zu sehen und zu hören, ohne daß er und seine Herren dich mit Fragen belästigen, doch mußt du dich vorsichtig still halten. Verweile hier, bis ich dich rufe, mich zwingt meine Pflicht als Hauswirtin, dich zu verlassen; laß dir die Zeit nicht lang werden und wundere dich nicht, wenn ich die Tür zusperre, damit die Diener nicht eindringen.«

»Ich ginge lieber«, versetzte Friderun.

»Wenn du für Herrn Ivo sorgen willst, so bleibe«, sprach Frau Hedwig mit so hohem Ernst, daß die Magd schweigend einwilligte.

Hedwig verließ das Zimmer, und Friderun hörte, daß die Tür gesperrt wurde. Lange saß sie in unruhigen Gedanken. Endlich kehrte die Gräfin zurück. »Folge mir schnell und vorsichtig«, gebot sie, und Friderun erkannte, daß eine finstere Entschlossenheit auf dem bleichen Antlitz lag. Sie folgte der Führenden wenige Stufen einer Seitentreppe hinab und wurde erst ihrer Sorge enthoben, als sie ganz in der Nähe Gelächter und das frohe Geräusch eines Gastmahls vernahm.


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