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3. Der Ritt nach dem Mantel

Mit glühenden Wangen sprengte Ivo am nächsten Morgen in seinen Hof, er hob die Hand zum Gruß gegen seine Dienstmannen und fragte atemlos: »Wo ist der Schreiber?«, sprang aus dem Sattel und eilte in sein Gemach. Als Nikolaus eintrat, stieß der Herr den entblößten Dolch in den Tisch, um den Schreiber an seinen schweren Treueid zu mahnen, und ein zusammengefaltetes Pergamentblatt aus dem Gewande ziehend, gebot er: »Tritt vor das Messer und lies mir, was in diesem Briefe geschrieben steht, treu und genau, so wahr du leben willst«, und Nikolaus las folgendes:

»Ein armes trauriges Käuzlein schrieb an seinen Gesellen diesen Brief. – Ich, das Käuzlein, vernahm, wie zwei Frauen zueinander von einem Ritter redeten. Die eine lobte in guter Meinung seine Kunst im Speerkampf und sagte: er vermöchte wohl die Wappenzeichen am Gewande der Helden, welche er vom Pferde wirft, zu sammeln und seiner Herrin daraus einen wallenden Mantel zu gewinnen. Die andere Frau aber, welche aus der Fremde gekommen war, lachte spöttisch in argen Gedanken. Dennoch sage ich, könnte dieser Frau ihr Ritter einen ähnlichen Mantel erwerben, sie würde ihn mit Freuden statt ihres Gewandes umtun, wenn sie einmal mit ihrem Gesellen allein wäre. Manche, die sich hart gebärdet, verbirgt mit Mühe vor ihren Hütern Leid und Sehnsucht. Liebe du mich, wie ich dich. Der Brief muß liegen auf grünem Ast, ob ihn ein günstiger Wind erfaßt, ob ihn die Pfote des Katers packt, oder ob ihn der Specht zerhackt. – Der Brief ist zu Ende«, schloß Nikolaus verwundert.

»Lies noch einmal«, gebot Ivo, der neben ihm mit heißen Wangen auf das Pergament starrte. – »Und zum drittenmal, damit ich jedes Wort festhalte.« Darauf riß er den Dolch aus dem Tisch und winkte dem Schüler Entlassung. Als er allein war, barg er den Brief nahe bei seinem Herzen und rang die Hände. »Ja, du sagst es, arme Nachtvögel sind wir beide, endlos treibt die Sehnsucht, verhaßt ist mir das Leben, solange ich von dir getrennt bin, und wenn ich einmal vor dein Angesicht trete, wird auch das Wiedersehen zur Qual, denn das eherne Gitter ragt bis zum Himmel zwischen uns beiden und kein Flügelschlag vermag darüber zu erheben.« Er warf sich in den Sessel und barg sein Gesicht in den Händen. Doch nicht lange unterlag er dem Schmerze, denn ihm fiel, wie Liebenden geschieht, wieder etwas Günstiges ein, er sprang auf und lachte: »Verstehe ich meinen Kauz recht, so wäre ihm die Kappe lieb, von der die beiden Frauen zueinander sprachen. Eine frohe Verkündigung finde ich in den Worten, daß sie sich darein hüllen will, wenn das Glück uns zusammenführt. Ich denke, Geliebte, daß ich dir den Mantel gewinne. Einen Mairitt wage ich dir zu Ehren und das Tuch für dich hole ich mir im Speerkampf von den Edlen dieses Landes.« – Er schritt hastig auf und ab und überlegte.

Endlich lud er seine Getreuen, Godwin und Henner, zu geheimer Beratung.

Die wilden Kampfspiele zu Pferde, durch viele Jahrhunderte Stolz und Leidenschaft der Deutschen, waren in der Zeit des Herrn Ivo sehr ungleich dem Speerkampf späterer Zeiten, wo dicke Eisenschienen den ganzen Leib des Reiters schützten und wo das gepanzerte Roß manchen Stoß der feindlichen Speere auszuhalten hatte. In jener alten Zeit war nur Haupt und Hals des Reiters durch einen Eisentopf geschützt und die obere Brust durch eine Eisenplatte, die über das Kettenhemd geschnallt wurde; der Stoß des Speeres, welcher mit kurzer stumpfer Spitze bewehrt war, wurde durch einen hölzernen Schild aufgefangen. Das Roß trug keine Eisenrüstung, der Reiter beugte sich beim Anritt stark nach vorwärts, die hohe Rücklehne seines Sattels half verhüten, daß er durch einen kräftigen Stoß hinter das Pferd geschleudert wurde. Schon damals waren die Spielkämpfe mit Helm und Schildrand ein Vorrecht aller, welche den Rittergurt trugen, das höchste und am meisten beneidete Vorrecht, welches einen Stand, der zu den dienenden gehörte, in die Kampfgenossenschaft der Edlen heraufhob.

Der Mairitt aber, den Herr Ivo beschlossen hatte, galt für die ruhmvollste Aufforderung zum Speerkampfe, welche sich an alle Ritter des Landes richtete. Das Spiel selbst wurde in der Hofsprache Forest, Waldrennen, genannt und verlief nach herkömmlicher Spielordnung. Wer zu solchem Rennen herausforderte, der zog mit seinem Gefolge durch das Land und hielt zu vorbestimmter Zeit an bezeichneten Raststellen, um dort Gegner zu erwarten, denen der Ort gut gelegen war. Zu Raststellen wurden gewählt ebene Gründe an lichtem Laubwald, wo ein klares Bächlein rann oder ein Quell zum Tränken der Rosse. Unter dem Grün der Zweige wurde ein Zelt aufgeschlagen, in dem der Held sich wappnete; auch die Gegner brachen am liebsten aus einer Lichtung des Waldes hervor. Dann ritt der Herausforderer mit den einzelnen Gegnern im Speerkampf um einen begehrenswerten Preis, den er ausgesetzt hatte. Am letzten Tage pflegte dem Rennen gegen einzelne – welches in der Sprache des Herrn Henner Tjost genannt wurde – ein Massenkampf zu folgen, das Turnier, ebenfalls nach strenger Spielordnung.

Ivo gab seinem Mairitt solche Gesetze, wie sie einem vornehmen Herrn gebührten. Für jeden Renntag setzte er vier Raststellen, an jeder Rast war er verpflichtet dreimal zu rennen, und nur wenn er wollte, öfter; an jeder Rast erhielt einer von den Gegnern, welche ehrenvoll widerstanden hatten, nach Ivos Wahl einen goldenen Fingerring. Wer vom Pferde geworfen wurde oder sonst nach Rennbrauch für besiegt galt, der sollte nicht Roß und Rüstung verlieren, wie in der Regel geschah, sondern nur ein Stück des langen Überwurfs, den der Ritter damals über dem Kettenhemd und den eisernen Beinstrümpfen trug. Denn der Herausforderer verkündete, daß er seinen Mairitt unternehme, um von den Helden des Landes Tuch für einen Frauenmantel zu erbitten. Am letzten Tage der Fahrt sollte ein Turnier in der Nähe von Erfurt den Einzelkämpfen folgen.

Sogleich begann in dem Hofe ein emsiges Rüsten. Ivo selbst ritt nach Erfurt, goldene Ringe für die Gegner, Gewänder und Zierat für sich und sein Gefolge zu bestellen. Der Kämmerer Godwin hatte die schwierigere Aufgabe, das Geld für die Fahrt zu gewinnen, und dieser sah einige Tage sorgenvoll aus, bis es ihm endlich bei den Juden in Erfurt und bei den Mönchen in Reinhardsbrunn gelang. Die größte Arbeit aber fiel dem Marschalk zu, und vom Morgen bis zum späten Abend klang seine befehlende Stimme um die Ställe und auf der Rennbahn am Hofe. Die Pferde wurden geprüft, die Knechte und die jungen Knaben zum neuen Spiel angelernt und eine ganze Wagenladung Speerstangen wurde geschnitzt, sorgfältig geprobt und zuletzt mit blau und weißer Farbe schön bemalt.

Nikolaus schnitt unterdes eine große Rolle Pergament zu zahlreichen Briefen und Zetteln an die Herren in den Höfen und an die Burgmannen der Städte, und schrieb die Aufforderung so oft ab, daß ihn die Finger schmerzten. Im Hofe aber sammelte sich an den nächsten Morgen ein Haufe von fahrenden Leuten, welche hier und da im Lande hausten und welche bei ritterlichen Festen als Rufer und Boten zu dienen pflegten. Sie empfingen die Briefe und lernten eine mündliche Verkündigung, die ihnen der Schüler oft vorsagte. Damit zogen sie durch das Land zwischen dem Bergwald und dem Harz, sangen ihren Spruch in den Burgen und übergaben die Briefe an vornehme Edle und an die Obrigkeit der Städte.

Sogleich rührte sich's in der ganzen Landschaft, ehrenvoll und lustig erschien der angebotene Wettkampf, in wenigen Tagen war er in aller Munde als das große Ereignis des Frühlings. Wer den Rittergurt trug, erkannte eine Mahnung, der er sich ungern entzog, und nicht weniger ungeduldig wurden die Tage des Spieles von anderen erwartet, welche als Zuschauer daran teilnehmen wollten, besonders von den Frauen.

Aber am Hofe des Landgrafen brachte das Ausschreiben nicht jedermann Freude.

Als der Kanzler die schön geschriebene Einladung vorgelesen hatte und Herr Ludwig beifällig ausrief: »König Mai will eine neue Ausfahrt halten!« saß Frau Else erschrocken mit zusammengeschlagenen Händen ohne ein Wort zu sagen, die Frauen flüsterten einander leise zu und Frau Wendelmuth lächelte spöttisch.

»Was hast du, Base?« fragte Hedwig leise.

»Gedenkst du der Worte, die ich neulich im Scherze zu dir sprach? Jetzt will er tun, was mir damals einfiel, und was doch niemand aus meinem Munde vernommen hat als du und etwa unsere Frauen. Wer hat ihm meine törichte Rede zugetragen und was meint er damit, daß er sie durch das Land rufen läßt?«

»Manches Ohr hat deine Worte gehört,« tröstete Hedwig, »wie darf dich wundern, daß sie ihm gefielen? Er selbst hält es sicher für eine Huldigung gegen dich und deinen Gemahl, daß er seinen Willen nach der guten Meinung richtet, die du von ihm hegtest.« Und zum Landgrafen gewandt fuhr sie fort: »Wir wissen auch, Vetter, wie Euer Herr Ivo auf den Gedanken gekommen ist, um einen Mantel für seine Herrin zu reiten. Denn Else und ich waren es, welche damals, als er hier weilte, zuerst im Scherz die Kappe für seine Herrin forderten. Will er Euch und uns dadurch ehren, daß er den lustigen Einfall Eures Hofes zu einem Gesetz macht für seine Ritterfahrt, so haben auch wir Grund, ihm Gutes zu wünschen.«

»Wenn Frau Hedwig mit meiner Else zu der Kappe geraten hat,« versetzte der Landgraf sorglos, »so wünsche ich ihm, daß seine Herrin das nicht erfährt, damit ihr die Freude an der bunten Hülle nicht durch die Eifersucht verdorben werde. Doch rühmlich ist die Fahrt auch für uns andere, sie gibt meinen Thüringen Ehre unter den Fremden, den Edlen aber und ihrer Ritterschaft durch einige Wochen Arbeit und Unterhaltung, während ich abwesend bin. Vielleicht reite ich vorher selbst noch gegen ihn.« Und kampflustig ging er mit Herrn Walter nach den Ställen.

Auch auf der Mühlburg erwachte die Kampflust, aber mit gehässigen Gedanken gegen den Niederhof. Der alte Graf Meginhard war im Dienste des Landgrafen nach dem Süden gezogen, Herr Konz saß an seiner Stelle gebietend unter den Dienstmannen und hielt mit ihnen vertraulichen Rat über eine Ritterfahrt. Da ihm aber seine eigenen Gedanken nicht recht gefielen, so ritt er abwärts nach Friemar, lud den jungen Berthold aus dem Hofe und verhandelte heimlich mit diesem, daß er den Schüler Nikolaus versöhnen und zu einer Unterredung bestimmen möge. »Vermagst du mir diesen Gefallen zu tun, so sollst auch du dem Kampfe zusehen, nicht von der Heerstraße, sondern als unser Geselle im Festkleide mit meinen Farben.« Der Jüngling war freudig bereit, den Schüler zu gewinnen, und Nikolaus willigte schneller ein, als der Bote gehofft hatte, mit dem Ritter in einem Gehölz zusammenzutreffen, das zwischen dem Niederhofe und der Mühlburg lag.

»Berthold von Friemar hat dir gesagt, daß ich einen Dienst von dir begehre«, begann Herr Konz, von seiner Höhe auf den Schüler herabblickend.

»Er hat mir etwas gesagt«, versetzte Nikolaus kühl.

Konz griff in seine Tasche, suchte aus der hohlen Hand einige Silberstücke und bot sie mit gespitzten Fingern. »Wenn etwa früher Widerwärtiges zwischen uns gesprochen wurde, so soll es ungesagt und vergessen sein. Nimm dies, damit du mir in einer Sache, die mir am Herzen liegt, Gutes rätst.«

Nikolaus wog das leichte Silberblech in seiner Hand: »Von Fremden nehme ich ungern gebotenes Geld, zumal wenn es wenig ist. Doch noch unlieber ist mir, das Geld abzuweisen«, und er versenkte das Silber nachlässig in sein Gewand. »Fragt, und ich will antworten, soweit ich darf; aber wißt, auf leichte Münze folgt leichter Dienst.«

»Du sollst mehr erhalten, wenn ich erkenne, daß dein Rat mir frommt«, ermunterte Konz. »Bevor ich aber meine Frage stelle, gelobe mir Stillschweigen auf dieses Kreuz, du kannst in dem Schwertknopf deine schlauen Augen sehen, wenn du schwörst.« Und er hielt ihm den Kreuzgriff des Schwertes hin.

Nikolaus gelobte bereitwillig Verschwiegenheit.

»Sage mir, in welcher Farbe und mit welchen Zeichen wird Herr Ivo seinen Speerritt durch Thüringen vollbringen?«

»Niemand weiß das, Herr, als die in seinem Vertrauen sind.«

»Darum gerade sollst du es mir sagen,« versetzte Herr Konz ungeduldig, »denn ich gedenke ihm einen guten Possen zu spielen, wenn ich in denselben Farben und Abzeichen gegen ihn reite.«

Nikolaus überlegte. »Ihr mögt denken, daß Herr Ivo solchen Schimpf nicht freudig aufnehmen wird.«

»Das eben will ich«, rief Konz. »Sein Zorn ist mir ganz recht und ich hoffe ihn auf den Grund zu stechen, daß er dem Rennen für lange entsagt, denn unerträglich ist sein Hochmut und ich gönne ihm wenig Gutes.«

»Wenn Ihr so kühn seid, so fragt den Schneider in Erfurt«, antwortete Nikolaus mit ausbrechendem Unwillen.

»Das steht mir nicht an, wohl aber dir; darum eben begehre ich deinen Dienst.«

Der Schüler dachte nach und in seinen Augen glänzte die Schelmerei. »Ich vernahm, daß er sich und sein Roß mit den Farben decken wird, die er sonst trägt, und nach dem neuen Brauch, der jetzt aufkommt, wird er auch sein Wappentier, den Raben, auf seinem Gewande führen und auf der Roßdecke.«

»Das ist gute Botschaft,« versetzte Herr Konz vergnügt, »denn wir von der Mühlburg vermögen dieselben Farben und dasselbe Zeichen zu führen, und ich bedarf in diesem Fall deiner Dienste nicht mehr.«

»Dennoch mögt Ihr mir einen Einwurf gestatten; zumal mir der Ritterbrauch aus manchem Lande bekannt ist«, warf Nikolaus demütig ein. »Die vom Niederhofe wollen nicht leiden, daß Ihr selbst den Raben als Zeichen führt, wie Herr Ivo mit seinem Gesinde tut, da Ihr nicht von seinem Geschlechte seid. Kommt Ihr damit vor allem Volk zum Spiel geritten, so wird Ernst aus Scherz.«

»Das ist mir recht«, versetzte Konz, die starken Arme aus seinen Schultern reckend.

»Vielleicht werden sie Euch ganz den Kampf versagen, und alle Herren, welche etwa gegenwärtig sind, werden ihnen beistimmen. Möglich auch, daß sie Euch wegen dieser Kränkung zu scharfem Speerstoß fordern, nicht nur Herr Ivo, auch seine Dienstmannen.«

»Du meinst doch nicht, daß ich die fürchte?« fuhr Konz auf, aber seine Augen blickten unsicher umher.

»Auch werdet Ihr vor dem ganzen Lande wenig Ehre gewinnen, wenn Ihr das Ritterspiel unhöflich verderbt.«

Das gab Herr Konz durch sein Schweigen zu. »Dennoch gedenke ich den Raben nicht zu meiden,« versetzte er endlich mit Trotz.

»Dann rate ich, daß Ihr wenigstens sein Aussehen ändert. Auch die Brüder des Landgrafen geben dem Löwen auf ihrem Schilde ein Abzeichen, damit man sie unterscheide. Was diese tun, wird Euch ohne Minderung Eurer Ehre erlaubt sein.«

»Damit bin ich zufrieden,« versetzte Konz, »doch welches Abzeichen denkst du dir?«

Nikolaus überlegte wieder. »Die Alten im Lande nennen die Mühlburg das Vogelnest, und sie wissen darüber auch eine Sage. Darf ich Euch Gutes raten, so laßt unter dem Raben sein Nest oder doch ein Ei anbringen. Führt Ihr solch eigenes Abzeichen, so dürfen jene Euch das Kampfspiel nicht weigern, wie sehr sie sich auch darüber ärgern.«

Konz erwog die Sache, ihm selbst fiel durchaus nichts Besseres ein. Deshalb gab er seine Einwilligung und verpflichtete den Schüler noch einmal zur höchsten Verschwiegenheit, und dieser erbot sich endlich gutwillig, selbst den Schneider des Ritters anzuweisen.

 

Es war ein wonniger Morgen, oben am blauen Himmel zogen in langer Reihe kleine Lichtwolken und unten auf der Landstraße zog die geschmückte Schar des Frauenritters dahin, an der Spitze Herr Henner, hinter ihm der Posaunenbläser und der Rufer, dann Ivo mit seinem Gefolge, zuletzt ein Haufen Knechte und Diener, welche ledige Rennrosse und eine Reihe Rüstwagen führten.

Sooft die Fröhlichen durch ein Dorf zogen, rannten die Leute an die Straße und starrten neugierig auf den glänzenden Zug. Viele riefen Heil und Siegwunsch zu, wenn sie den Herrn der Schar erkannten, denn die ganze Landschaft war stolz auf seine Reitertugend. Barbeinige Dorfknaben liefen den Reitern meilenweit nach, um auch etwas von dem Rennen des großen Herrn zu schauen.

Als sie an eine Krümmung des Weges gelangten, wo ein lichtes Gehölz die freie Umsicht verbarg, da klang durch die lachende Landschaft der Ton einer Posaune und aus dem Holz ritt ein Rufer ihnen entgegen und hielt auf der Höhe, so daß sein reiches Gewand und die Posaune, welche er hoch emporstreckte, in der Morgensonne glänzten. Die Fahrt wurde gehemmt, der Gegenruf erscholl. »Schlagt den Pavillon auf unter dem Baumschatten«, gebot Herr Henner, nahm den schweren Helm aus der Hand seines Knaben, stürzte ihn auf und band ihn mit der seidenen Schnur am Halse fest, dann ließ er sich Schild und Speer reichen und ritt vor. Der fremde Rufer grüßte und verkündete mit lauten Worten, daß sein Herr, der Ritter vom gekrönten Löwen, in dem Holz lagere und von Herrn Ivo Ritterspiel begehre. Und der Marschalk antwortete, wie sich gebührte, daß jenem das Ritterspiel gewährt sei, drei Rennen nach Brauch ihm und seinen Begleitern, und daß Herr Ivo den Löwen erwarte. Im nächsten Augenblick regte sich's in dem grünen Holz, und aus dem Waldversteck brach eine geschmückte Schar von Rittern und Knappen, die Helme aufgebunden, so daß ihr Antlitz verborgen war; alle in rotem Gewande, gestreifte Löwenbilder auf den Schilden und auf den langen Roßdecken, in ihrer Mitte mit glänzender Rüstung der Herr, kenntlich durch ein Krönlein auf dem Helm. Ivo rief mit strahlendem Antlitz dem meldenden Marschalk entgegen: »Gutes Glück, es ist der Landgraf selbst, der uns die Ritterfahrt einweihen will. Sein Wappenbild soll, wenn mir die Heiligen beistehen, das erste Stück Tuch zu dem Mantel geben.« Henner hörte bekümmert diese Rede, doch wagte er nicht zu widersprechen, er wandte sich wieder der fremden Schar zu, von welcher jetzt ein Hofherr sich ablöste, um mit dem Marschalk den Rennplatz auf dem ebenen Rasengrund zu bestimmen. Feierlich begrüßten die beiden Würdenträger einander mit ritterlichen Worten. »Seid willkommen, Messire Chevalier du Lion,« begann Henner, »ich sehe, aus fremdem Lande kommt Ihr und sucht Goldringe als Beute.«

»Der König Löwe«, versetzte der andere stolz, »ist nicht um die Ringe zur Jagd gezogen, er begehrt sich Eure Rosse und Euer Heergewand, wahret Euch vor seinen Sprüngen.«

Nach diesem feierlichen Gruße ritten beide seitwärts, um auf ebener Stelle die Stäbe zu stecken, damit Wind und Sonne unter die Kämpfer gleich verteilt sei. Unterdes lagerte der Haufe des Herrn Ivo auf der andern Seite der Straße und Ivo wappnete sich in dem schnell aufgeschlagenen Zelte. Als aber die beiden Helfer des Kampfes sich von der übrigen Schar getrennt hatten, begann Henner in ganz anderem Ton: »Wir freuen uns nach Gebühr der Ehre, Rudolf Schenk; dennoch wäre besser gewesen, wenn Ihr den Löwen überredet hättet, sich dieser Sprünge auf grüner Heide zu enthalten, denn Ihr wißt ja selbst, daß es für Euren Herrn ein ungleicher Kampf wird, und ich bin von Eurer guten Gesinnung versichert, auch Ihr wollt nicht, daß der Landgraf meinem Herrn einen Groll nachtrage, was er sicher tun wird, wenn er auf den Grund rollt.«

Der Schenk von Vargula zuckte die Achseln. »Er war so begierig nach dem Abenteuer, daß ihm keiner zu widersprechen wagte, an Euch ist es, dafür zu sorgen, daß Euch nicht später ein Schaden entsteht.«

»Ihr sprecht gut,« bestätigte Henner, »aber auch meiner ist so begierig nach Beute, daß alles Zureden nichts fruchten wird. Es ist unmöglich, daß er der Ehre entsagt, die Haut des Löwen für das Gewand zurechtzuschneiden.«

»Ihr seid scharf, Henner. Solltet Ihr ja vielleicht gegen den Herrn das bessere Glück haben, so sind andere unter uns, um seinen Fall zu rächen.«

»Nun, Schenk,« versetzte Henner, »Ihr habt eine feste Faust, aber wenn Euch gelänge, was Eurem Herrn mißglückt, so würde Euer gutes Glück Euch selbst kalten Dank bei Eurem Gebieter eintragen.«

»Dann müssen wir zusehen, wer den Schaden trägt«, antwortete der Schenk zornig. »Auch die Frauen haben den Landgrafen bestärkt, Frau Hedwig bat sich den Fingerring aus, den er gewinnen wird, und Frau Else sah zwar anfangs traurig drein, doch im Grunde vertraut sie fest ihrem Gebet und der unübertrefflichen Tugend ihres Hauswirtes.«

Henner nickte. »Dennoch muß hier Hilfe geschafft werden. Tut, was Ihr vermögt, ich will's an mir nicht fehlen lassen.« Die beiden drängten die Rosse aneinander und verhandelten leise durch die Helmlöcher.

Nach dieser Beredung verliefen die drei Rennen besser, als Henner gefürchtet hatte. Hell klangen die Posaunen, die Herren sprengten auf ihren Stand, der durch ein Fähnlein bezeichnet war, sie grüßten einander mit würdiger Neigung des Hauptes, senkten die Speere, hoben die Schilde und rannten von der Stelle in gestrecktem Lauf gegeneinander. Aber während dem schnellen Ritt hob Ivo seinen Speer, setzte ihn auf das Knie und empfing ohne Gegenstoß den Anritt des Landgrafen. Dieser traf mit der stumpfen Spitze auf die Eisenplatte, welche als Bruststück über das Panzerhemd gelegt war, die Stange zersplitterte, Ivo saß unbeweglich und neigte das Haupt tiefer, als die Reiter so nahe aneinander vorüberflogen, daß ihre Knie streiften. »Speere her«, riefen beide und die aufgeregten Helden, welche in zwei Scharen geteilt um den Kampfplatz hielten, schrien ihnen die Worte nach. Die beiden Marschälle ritten herzu, prüften mit scharfem Blicke die Rüstung der Kämpfer und die Riemen des Geschirres und legten die neuen Speere in die Hand der Leibknappen. Diesmal antwortete der Löwe auf die Huldigung im ersten Rennen dadurch, daß er seinen Speer aus der eisernen Auflage hob und unter den Arm schlug. Ivo erwies sogleich dieselbe Artigkeit, und auch dies Rennen blieb, wie zu erwarten war, ohne Gefahr, der schwache Stoß des Landgrafen traf wenigstens den Schild des Gegners, so daß der Speer zerbrach, und Herr Ivo hatte nach der Mitte des Schildes gehalten, wo die Widerstandskraft des Gegners am größten war. Beide Kämpfer saßen, als sie aneinander vorübergejagt waren, fest im Sattel. Wieder riefen die Mannen Heil! und Waffen!, aber eine Unruhe war erkennbar, jeder wollte den Ernst des Spieles sehen. »Jetzt kommt's«, seufzte Henner; sorgfältiger prüfte er den Harnisch seines Herrn und damit beschäftigt sprach er leise: »Von Eurem Vater und von Eurem Großahn vernahm ich, sooft sie gegen einen gekrönten Helm ritten, stachen sie nach der Krone. Da auch heut der Löwe sich nicht enthalten konnte zu zeigen, daß er ein Herr sein will über uns alle, so wäre es ein gutes Werk, ihm das Krönlein zu kappen.« Der kluge Rat half, beide Herren trieben ihre Rosse weiter rückwärts von den Fähnlein, um stärkeren Anlauf zu gewinnen und sprengten kräftig gegeneinander. Der Speer Ivos traf genau die Krone, das vergoldete Holz flog rückwärts und fiel in Trümmern zur Erde, der Speer des Landgrafen brach regelrecht an dem Schilde, der Graf schwankte im Sattel, aber er hielt sich. Und beide Kämpfer warfen die Endstücke der Speere auf die Bahn und neigten sich grüßend gegeneinander. Wieder klang lauter Beifallsruf, der Landgraf nahm seinen Helm ab und streckte mit gerötetem Antlitz lachend seinem Gegner die Hand entgegen, welche dieser ehrerbietig ergriff.

Dem Kampf der Gebieter folgte eifriges Rennen des Gefolges, viel Eschenholz wurde kunstvoll zerbrochen und kein größeres Unglück war zu beklagen, als einige verstauchte Daumen und ein harmloser Fall auf den Rasen. Darauf rasteten die Rosse, die Herren saßen am Birkengehölz auf weichen Polstern, tranken vergnügt welschen Wein und sprachen von Rüstungen, Pferden und Falken, wie Brauch. Mit ehrlichem Heilwunsch schied der Landgraf, nachdem er noch Herrn Ivo eine gute Strecke begleitet und vergnügt den Ring empfangen hatte.

Auch an den nächsten Raststellen wurden die Reisenden von rüstigen Rittern der Umgegend erwartet und die von Ingersleben merkten mit stolzer Freude, daß der Beginn ihrer Rennen glück- und ruhmverheißend war.

 

Es war am zweiten Tage der Fahrt, als die Schar zu einem Platz auf einsamer Heide gelangte, wo sie keinen Gegner zu finden glaubte. Dennoch hielt auch dort ein kleiner Haufe mit gehobenen Waffen. Es war Herr Konz mit seinem Gefolge, er ritt vor und schwenkte seinen großen Speer, hochragend auf starkem Rosse, ein gefährlicher Gegner, in seiner Rüstung ganz ähnlich dem Herrn Ivo, nur breitschultriger und plumper. Jedoch die Zeichen auf seinem Wappenrock und auf dem Behang seines Pferdes waren übel geraten. Allerdings war ein Rabe sorgfältig aus schwarzem Tuch geschnitten und über den blauen Perkan genäht, auch ein Krönlein trug er aus vergoldetem Taffet, aber da der Schneider den Vogel gewissermaßen in häuslicher Tätigkeit dargestellt hatte, über seinem Nest schwebend, so hatte er ihm den Schwanz gehoben, und was darunter lag, als Ei und Nest, war weißlich, undeutlich und erregte Zweifel über die Beschäftigung des Vogels. Und wie Herr Konz selbst waren auch seine Begleiter gezeichnet.

Die Schar des Herausforderers sah befremdet auf die ungewöhnlichen Wappenzeichen. Einer wies dem andern den Vogel, bald hefteten sich aller Augen darauf, zuerst lachten die von Ingersleben, bald aber erkannten sie in dem Reiter und seinem Vogel eine Kränkung, die ihnen angetan wurde, sie schrien laut Hui! und Pfui! und faßten nach den Schwertern. Henner ritt vor und rief seinem Herrn zu: »Erlaubt, daß ich den Dreisten für seine Frechheit bezahle, denn unwürdig ist er Eures Speeres und schnell soll die Unehre getilgt sein, die er Euch bereitet hat.« Ivo winkte Gewähr und Henner spornte sein Pferd zum Anritt. »Den Herrn Ivo begehre ich zum Kampf!« schrie Konz aus der Ferne; doch Henner rief: »Zuerst der Marschalk, ob Euch dann noch ein zweiter Ritt gelüstet! Heran, wenn Ihr kein Feigling seid, oder ich kehre den Speer um und schlage Euch mit dem Holz, wie Ihr verdient.« Da erhob sich lautes Getümmel, von beiden Seiten klang wilder Zornesruf. Die beiden Kämpfer fuhren gegeneinander, nicht zum Heil für Herrn Konz, denn wie stark er sich dünkte, er war im Nu rückwärts aus dem Sattel geschleudert und lag betäubt auf dem Grunde. »Die Schere her«, rief Henner vom Rosse. »Und ihr, Mannen des edlen Ivo, rückt im Kreise um die Spießgesellen des Geworfenen, laßt keinen entweichen, der das Zeichen unseres Herrn so unhöflich führt. Euch aber, ihr Fremden, fordere ich auf, gutwillig abzusteigen und euer Gewand abzulegen, oder bei allen Heiligen, die Schäfte unserer Speere sollen euch den Rücken bleuen.« Doch die Begleiter des Mühlburgers spornten ihre Rosse und eine helle Stimme rief: »Nimmer gebe ich Euch Gewalt über Kleid und Leib trotz Eurem Drohwort, Marschalk; wahret Euch vor dem Freien.« Es war Bertholds Stimme, er riß sein Schwert von der Seite und fuhr gegen den Marschalk los. Aber im Nu war er umringt, vom Rosse geworfen, des Gewandes entkleidet und geschlagen, und wie er die andern. Und Henner warf die Streifen der zerschnittenen Decken hoch in die Luft, indem er rief: »So sei der Hohn gerächt nach Reiterbrauch, vorwärts, ihr Herren, zu einer Stelle, wo man höflichere Sitte übt; ihr aber tragt den Schaden.« Herr Ivo winkte ihm dankend zu und ritt davon. Flüchtig im Reiten sah er noch das Antlitz des jungen Berthold bleich und verstört, er sah einen Arm, der sich wie zum Schwur gen Himmel hob und ein Auge voll Zorn und Seelenqual, das auf ihn starrte. Und wieder bliesen die Pfeifen, spielten die Geigen und dröhnten die kleinen Trommeln, die bunte Schar flog lachend und jauchzend über den grünen Grund und ließ gebrochene Speere, geknickten Stolz und todwunde Herzen an der Erde zurück.

 

Größer wurde der Zug und lauter die Fröhlichkeit, als sich die Sonne abwärts neigte; die Schar war fast zu einem Heere gewachsen, einige der Herren, welche im Rennen rühmlich ihren Ring gewonnen hatten, schlossen sich dem Gefolge an, viele Landleute, die an den Kreuzwegen gewartet hatten, begleiteten meilenweit die Mairitter. Vollends die fahrenden Leute waren aus der ganzen Landschaft zusammengeströmt, die ansehnlichen auf Pferden und Eseln, die Mehrzahl zu Fuß: Spielleute mit ihrem Gerät, Gaukler und Luftspringer, Weiber in buntem Gewande mit herausforderndem Blick, auch solche, welche ein Gewerbe daraus machten, Pferde zu heilen und kranke Pferde um ein Billiges zu kaufen, dazu alle, die mit dem Brauch der Speerrennen und Turniere vertraut waren und als Rufer und gewandte Diener ihren Lohn zu gewinnen hofften; diese scharten sich achtungsvoll um ihre Genossen, welche dem Herrn Ivo während der Fahrt treuen Dienst geschworen hatten und einen schönen blauen Überwurf sowie am Arme einen silbernen Ring trugen mit dem Bilde eines Raben als Abzeichen. An sie schloß sich ein ruhmloser Haufe von verlorenen Kindern der Heerstraße, welcher keinerlei Kunst, aber große Begehrlichkeit besaß und durch Heilrufe und Geschrei seine Spende zu verdienen suchte. Hinter dem Zuge der Herren und Knechte wälzte das fahrende Volk sich mit Lachen, Geschrei und Zank dahin, lauernd spähten die Augen aus den sonnenverbrannten Gesichtern, und der erste Rufer des Herrn hatte Mühe, die Frechen, welche sich mit Scherzreden und Schmeicheleien an die Reiter drängten, durch eine zähe Gerte zurückzuhalten, die er über ihnen schwenkte.

Die Abendsonne schien golden auf die Türme und Mauern einer ansehnlichen Stadt, auf dem Felde davor sprengten Reiter und große Haufen von Neugierigen harrten der Gäste, denen die Luft ein Getöse von Hörnern, Pfeifen und kleinen Handtrommeln grüßend zutrug. Henner ritt zu seinem Herrn: »Das sind die lustigen Bürger von Mühlhausen, ansehnlich wissen sie sich zu halten und nicht wenige treue Gesellen erkenne ich, welche ihre Ritterschaft erweisen wollen. Sie haben Euch, wie ich vernehme, gute Herberge bereitet und hoffen auch bei einem Abendtrunk Ehre einzulegen. Da das Volk hier drängen wird, so umzäune ich mit der Schnur einen Rosengarten, in dem Ihr reiten könnt.« Er winkte den Rufern, und eilend liefen diese hinter ihm mit den spitzen Stäben und der roten Schnur; nach artiger Begrüßung wurde der Plan abgesteckt und das Zelt des Herrn aufgeschlagen. Die Burgmannen, welche den Ritterschild führten, waren zahlreich gekommen, unter ihnen hielt auf einem mächtigen Rosse Johannes der Kaufmann, den sie Langhans nannten, und sogar der alte Bertram Schultheiß, ein runder Mann mit fröhlichem Gesicht, als kluger Sprecher wohlbekannt in den Städten. Ihm wurde nicht bequem, auf das Roß zu steigen, aber man wußte auch, daß er nicht leicht herunterzubringen war, wenn er einmal fest saß.

Als Ivo gewappnet aus seinem Zelte trat und sich auf das Pferd schwang, begrüßte ihn wieder lauter Zuruf, Geschrei und Getöse der fahrenden Musiker, und als er in die Schranken ritt, drängten sich von allen Seiten die Zuschauer heran und ihre Augen richteten sich auf den entgegengesetzten Eingang, wer zuerst gegen den berühmten Kämpfer ansprengen würde. Es war der dicke Schultheiß Bertram unter einem schweren Helm in schönem feuerfarbenem Überwurf, zwar mit verdecktem Antlitz, aber wohl kenntlich an seiner Rundung; darüber freuten sich die Mühlhäuser, jauchzten und nickten einander zu. Alles glückte in dem Speergarten, zumal Herr Henner die Speere in freundlicher Gesinnung wählte und seinem Herrn auch einmal zuraunte: »Seid nicht zu scharf.« Die Burgmannen aber erwiesen sich gewaltig, der Schultheiß gewann den Fingerring und rief fröhlich dem Ivo zu: »Den trage ich, dieweil ich lebe, zu Eurem Gedächtnis.« Nur Herr Langhans entging dem Unglück nicht, er wurde aus dem Sattel geschleudert, daß er der Länge nach auf den Rücken fiel und mit den Händen in der Luft fingerte. Aber da er in der Stadt nicht sehr beliebt war wegen übergroßer Hoffart, so hielten die von Mühlhausen seinen Fall für keine Kränkung, auch er selbst trug's leidlich, da ihm Ähnliches schon früher begegnet war. Ja er versuchte sogar trotz seinem Schmerz zu lächeln, als Henner sich über ihn beugte und dem Knappen mit der Schere zuwinkte, den vorderen Teil eines Überwurfs von kostbarem Samt wegzuschneiden, indem er artig sagte: »Gestattet, Chevalier, daß wir nach unserem Devoir tun, wenn wir auch weniger geübt sind, Gewand zu schneiden, als Ihr selbst.«

Jedesmal, wenn Herr Ivo von einem Rennen auf seine Stelle zurückritt, erhob sich das Freudengeschrei des Haufens, der mit ihm gekommen war, zumal der fahrenden Leute, welche dichtgedrängt am Eingange standen und einander stießen, um den Schranken am nächsten zu sein. Denn alsdann griff Herr Henner in die Geldtasche, welche er an der Seite trug und warf kleine Silbermünzen in den Haufen. Sobald er an die Tasche rührte, hoben sich die Arme der Fahrenden und sie schrien: »Segen über Euch, Herr Ritter, hierher, hierher!« Sie bückten sich nach der fallenden Münze, schlugen und balgten sich zum Ergötzen der Zuschauer. Als Ivo einmal so an den Schranken hielt, unter dem Helme tief atmend und sich mit einem Tuch durch die Helmlöcher Kühlung zuwehend, hörte er neben sich eine bebende Stimme, welche wie die andern rief: »Spendet mir!« Er sah die zitternde Hand eines alten Mannes in elendem Reisekleide, und als die Hand nichts zu fangen vermochte, den matten Blick eines Entsagenden. Da fragte er über die Schranken: »Wer bist du, Alter?«

»Ein Elender, den der Hunger zwingt, während er sich nach der Heimat sehnt«, klang es leise zurück.

»Er gehört nicht zu uns«, schrien die Fahrenden neben ihm, feindselige Blicke auf den Fremden werfend, der sich in ihre Brüderschaft eindrängte.

In dem Klang der Stimme und dem gramdurchfurchten Angesicht war etwas so Verzweifeltes, daß dem Herrn das Herz weich wurde, er lenkte, seiner Ritterpflicht gedenkend, das Pferd zum Marschalk, griff in die Ledertasche und holte einen Goldgulden heraus. Als er sich wieder zu dem Fremden wandte, war dieser vor Erschöpfung an den Schranken zusammengebrochen. Da winkte er einem Knechte, dem Liegenden beizuspringen und warf ihm das Goldstück in den Schoß. Gierige Hände der Umstehenden griffen darnach, aber der Knappe eilte dem Manne zu Hilfe und dieser rief, die Hand hebend: »Möge der Himmelsherr dich bewahren, daß du selbst jemals in so bitterer Not für eine Gabe danken mußt, wie ich dir danke.« Die Fanfaren klangen, Ivo wandte sich ab, faßte nach dem Speer und hatte bald unter den Grüßen der Mühlhäuser und beim festlichen Abendtrunk in der Ratsstube den Jammer des fremden Bettlers vergessen.

 


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