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Neuntes Kapitel.
Die Entdeckung des silbernen Berges

An der Bettelwurfwand. – Im Silbertal. – Erinnerungen an das Waldhaus. – Ein Besuch bei den Sennen. – Endlich gefunden! – Träume eines Glücklichen. – Zwischen Lipp' und Kelchesrand. – In der Gewalt der Häscher. – Verhaftet.

 

Zur Stunde, da die Wasser im ersoffenen Triefestollen seine wenigen ersparten Batzen mit sich schwemmten, kauerte Jörg ahnungslos in einer Gufel der Bettelwurfwand, wohin er sich vor dem ausbrechenden Gewitter geflüchtet hatte. Er hatte gehofft, den Mondschein benützen zu können, um wenigstens noch im ersten Teile der Nacht recht tief in das Vomperloch eindringen zu können. Vielleicht war es ihm dann möglich, schon zu Mittag auf dem grünen Rücken zu stehen, der die neue Welt eröffnete. Dann blieb ihm fast ein ganzer Tag, um im Ursprunggebiet des Baches zu forschen, wo er den Galmei gefunden hatte.

Er war viel zu sehr mit seinen Dingen beschäftigt, als daß er auf die Gärung und die Ereignisse um ihn geachtet hätte. Wohl sagte auch er sich, daß der Angriff auf den Aufseher üble Folgen haben werde, aber da ihm die inneren Zusammenhänge verborgen waren und ihn niemand in das Vertrauen zog, ahnte er nicht den Ernst der Lage. Er hatte ein gutes Gewissen und nichts zu fürchten. Zwar hatte er sich an diesem Nachmittag auch etwas zu schulden kommen lassen, aber das hatte doch sicher niemand bemerkt: er war nämlich noch vor Feierabend dem Stollen entlaufen aus lauter Sehnsucht, bald zu den silbernen Bergen zu kommen, von denen er Tag und Nacht träumte.

Die Arbeit war getan, und schon, als er in der Mittagpause zum Stall kam in der Hoffnung auf das übliche Plauderstündchen, war niemand dagewesen als der Blaurock und der Trottel-Barthele, und von denen sprach der eine überhaupt selten, der Alte aber seufzte nur herum und kramte in seinen Habseligkeiten, weil er sich zum Auszug rüsten mußte.

Nachmittags war überhaupt keiner mehr zur Arbeit erschienen. Er wartete vergeblich und hatte eigentlich mit dem stillen Warten den halben Nachmittag verschlafen. Nach fünf war er zwar aufgeschreckt, denn da kam ein Mädel gelaufen und hatte hochrot vor Eifer nach dem Schwabenhans gefragt. Allerdings bei ihm vergeblich. Und da hatte er sich gesagt, daß in der letzten Arbeitsstunde doch nichts mehr zu beginnen sei, und da auch der Aufseher bei der Nachmittagsrunde nicht mehr erschienen war, so war er auch hinweggeschlichen. Zu kostbar war das Tageslicht, und die ersparte Stunde von heute kam ihm morgen gut zu statten.

Er wußte den Gedanken nicht hoch genug zu preisen, denn kaum daß er an dem Feuerplatz, wo er das erstemal die rätselhaften Spuren gefunden hatte, vorbei war, donnerte auch schon das Gewitter mit Gewalt los, und das erste heisere Krachen brach sich in den vielfach geborstenen Steinklüften. Mit Mühe hatte er noch seine Höhle erreicht, wo er schon früher einigen Mundvorrat und Werkzeug, eine Spitzhaue und eine Schaufel, verborgen hatte, und die immerhin bequem genug war, auch bei schlechtem Wetter eine Nacht darin zuzubringen.

Es war ein unheimlicher Abend, so wie der ganze Tag ein merkwürdiger und unangenehmer war. Er selbst fühlte sich schon gedrückt, bevor noch das Geraufe im Stollen war, und das Ausbleiben der Kameraden am Nachmittag wollte ihm gar nicht aus dem Sinn. Er war nicht abergläubisch und gab nichts auf Vorzeichen, sonst hätte er den heutigen Gang nicht gewagt. Die alte Bettlerin, die immer am Stolleneingang saß, weil sie als Wittib eines Knappen dort auf Gaben rechnen konnte, war die einzige gewesen, die ihn beim Weggehen bemerkt hatte; den anderen wußte er mit Geschick auszuweichen. Sie galt allgemein für verrückt mit ihrem ewigen Betgemurmel, das sie oft mit irren Reden und Ausrufen durchbrach. Nie hatte sie ihm Beachtung geschenkt; wie kam es also, daß sie ihn heute anrief? »Hast recht, lauf zu, Bürschel, in die Berg, in die Berg!« hatte sie geschrien. Dies fiel ihm jetzt ein, und es kam ihm verdächtig sinnvoll vor, wie er darüber nachdachte. Wußte denn die Alte etwas von seinen heimlichen Streifereien? Er nahm sich vor, sie im Auge zu behalten und gelegentlich einmal ein Gespräch mit ihr anzuknüpfen.

Es war ihm überhaupt eigen zumute. Das kam natürlich von dem Unwetter, das draußen tobte und vielleicht seine Pläne für morgen vereitelte. Aber die Jugend besiegte die unbehaglichen Gedanken, die wohlige Wärme unter seinem Mantel löste die Glieder – auf einmal erwachte er … da war es heller Tag, und zwischen weißen Wolkenballen lugte blauer Himmel durch.

Es war spät an der Zeit. Das ganze Tal dampfte noch vom nächtlichen Regen, an jeder Felsenspitze hing wie ein Wattebausch eine schwammige Wolke, und in den Schluchten qualmte und rauchte es, als wäre darin kochendes Wasser. Rasch machte er sich auf den wohlbekannten Weg, und noch hatte die Sonne nicht ihren höchsten Stand erreicht, stand er auch schon auf dem mit Blumen übersäten Plan, der sanft in ein Tal hinableitete, in »sein Silbertal«.

So lieblich und anmutend standen nun die Berge da im blauen Duft des Mittags. Rechts und links erhoben sich zackige Ketten, lange Reihen von gewaltigen Bergen, soweit das Auge reichte. Doch waren die linker Hand näher und zogen den Blick auf sich durch ein wunderliches Ding. Sie waren wie aus steinernen Brettern zusammengefügt, die alle nahezu senkrecht standen. Allerdings waren das Bretter von zehnmal, manche von hundertmal eines Mannes Höhe und mehr als mannesdick, und ein gewaltiger Baumeister mußte das gewesen sein, der es verstand, sie so aufzurichten und Berge aus ihnen zu zimmern. Manche waren herausgebrochen aus dem Gefüge; der starre Stein war zu lockerer, mergeliger Erde verwittert, und dann bot sich ein ganz besonders merkwürdiger Anblick, wenn der blaue Himmel durch den Berg schien und er an manchem Ort ganz aufgelöst war in gleichsinnig stehende »Felsbretter«. Die Entstehung derartiger » Felsbretter«, die gegenwärtig noch in der bezeichneten Gegend »bei den Poppen« und »im Geschnier« zu sehen sind, erklärt sich leicht daraus, daß Kalkabsätze eines einstigen Meeresbodens, in denen feste Kalkbänke mit mergeligen Ablagerungen wechseln, bei der Faltenbildung des Erdbodens, durch welche die Alpen entstanden, senkrecht aufgerichtet wurden. Unter dem Einfluß der Atmosphärilien verwitterten diese Schichten ungleichmäßig, die leicht zerstörbaren Mergel zerfielen rascher in Schutt, und die festen Kalkbänke blieben als parallel stehende Säulen und Bretter erhalten.

Doch nicht nur in der Ferne gab es Augenweide, auch zu Füßen des in diesen Herrlichkeiten staunend und andächtig dahingehenden Wanderers prangten Wunderdinge. Da waren die köstlichsten, wie Edelsteine leuchtenden Bergblumen, auf zartem, lichtgrünem Rasen ein hell rosarotes Ding wie eine winzige, stengellose Schlüsselblume. Sein alter Lehrer im Blockhaus, der auch ein großer Kräuterkenner war, hatte es Leinkraut genannt und ihn aufmerksam gemacht, daß diese Pflanze nur in großer Höhe wachse und dann immer zu hunderten in Polstern beisammen stehe wie ein Moos und die Felsen umkleide. Dort waren blaue Enziane, aus denen der Peppo seine Liquore zu bereiten wußte, und denen an dunklem und leuchtendem Blau keine Blume im weiten Erdenrund gleichkommt.

Ein überaus zierliches Gewächs war wie ein Gruß des fernen lieben Mädchens. Es sperrte ein weißes Mäulchen auf, auf dessen Unterlippe war ein gelber Fleck, und rosenrote Streifen liefen nach der kleinen Kehle. Augentrost nannte es Sibylle, wenn sie zusammen am Berg kletterten und seltene Blumen suchten, und sie versicherte ihm mit Ernst, die Urschel habe nur deshalb noch so gute Augen, weil sie sie immer wasche mit einer Essenz aus diesen Blumen.

Da stand eine starre, prächtige, tausendstachelige Distel, viel schöner als alle Blumen der Ebene. Mit fast rotem Gelb gleißte das Habichtskraut, und der Jochwind strich über den bunten Teppich der prächtigen Alpenmatte und wiegte die silbernen Schöpfchen des »wilden Mannes«, den er noch in diesem Lenz als weiße Blume – Anemone sagte zu ihr der gelehrte Lampadius auf Latein – so viel um das kleine Blockhaus gepflückt, um klein Bella zu erfreuen, die so gern das Haus mit Blumen schmückte.

Alles strömte auf diesem weiten, duftenden Plan Erinnerungen aus an vergangene glückliche Tage: die Blumen, das traute Blau der Enziane, das dunkelpurpurne Glühen der Alpenrosen, zwischen denen er nun zum Bach hinabstieg, das feine Aroma, das über dieser Halde des Glückes webte, alles stimmte ihn melancholisch und weich. Um zu ruhen, sank er auf das weiche Lager, und immer wieder irrte sein Blick nach Süden und suchte eine Berggestalt von liebgewohntem Gesicht …

Doch was war das? Glockenläuten brachte der Wind aus dem Tal. Ganz fern und zart ein melodisch schläfriges Klingen. Das waren keine Kirchenglocken, nein, Kuhschellen waren es. Da unten weideten Hirten, das Tal war bewohnt.

Das war ihm eigentlich unlieb. Er wußte schon, nicht allzufern von diesem Tal lag das altberühmte Salzbergwerk von Hall. Wo Menschen wohnen, haben sie Wege, wo Wege sind, wandern Fremde, vielleicht hatten die Haller Knappen schon das entdeckt, was er so emsig suchte.

Der Glockenklang, so träumerisch und süß er auch daherkam durch die reine Luft, rief ihn doch zurück aus dem Wunschland in die Wirklichkeit seiner Absichten. Er stand auf. Nach wenigen Minuten begann eine Steigspur, und nach kaum einer Stunde hatte ihn der Weg zu einem Weiler der Sennen geleitet, die neugierig dem aus unbekannter Wildnis auftauchenden Fremdling entgegengingen.

Das waren treuherzige Menschen. Der erste Blick verriet es, wenn sie auch, in Tierfelle gekleidet, mit verwildertem Bart und Haupthaar, mehr Wilden glichen, wie er sie einmal zu Augsburg konterfeit gesehen in einem Buch über das Neue Indien, in dem die Herren Welser ein Königreich erwarben.

Beim Sennen am Haller Anger

Sie bewillkommneten ihn freundlich und fanden es glaubhaft, daß er nur der Berge Schönheit halber heraufgestiegen sei aus dem wilden Vomperloch, in das sie niemals gingen, da dort kein Vieh weiden kann.

Sie waren von Scharnitz und der erste vorgeschobene Posten einer Hirtenrepublik, die den Sommer über in diesen einsamen Bergen seit undenklichen Zeiten hauste und sich mit dem hergestellten Käse und dem Vieh im Winter wieder in die Dörfer zurückzog.

Hier am »Lafatscher Hochleger«, wie sie den Ort nannten, waren ihrer nur zwei, der alte, schier neunzigjährige Schallhardt-Hans und sein Enkelkind, der aber auch schon ein rüstiger Mann war von einigen dreißig. In ihrem unendlichen Frieden wußten sie nichts von den Leiden und dem Getümmel dieser Welt, von Kriegsläuften und der Verfolgung Andersgläubiger. Für sie bestanden alle Ereignisse der Welt in den Gewittern und Regenwochen, die über ihr Tal hingingen, im Frühlingwerden und im Herbstglühen – für sie war es ein Staatsereignis, wenn im Jahr die Morgennebel kamen und der erste Frost und sie vom »Hochleger« sich auf den noch tiefer im Tale gelegenen »Niederleger« mit der Herde zurückzogen; sie kannten keine andern Übeltäter als etwa die Wölfe, die die Schafherde im Herbst beunruhigten, oder manch einen störrischen und bösen Stier, der ihnen zu schaffen gab, – und kein größeres Fest, als wenn an Sonn- und Feiertag, den sie daran erkannten, ihre Leute kamen. »Heimgarten gehen« nannten sie es und brachten auch Wein und Schmalznudeln mit. War das dann ein Schmausen! Und die abendlichen Täler konnten nicht genug Echo aufbieten für die Juchzer der Abziehenden und den Gegengruß der Zurückbleibenden.

Freundlich bot der alte Schallhardt dem fremden Knappen Sitz und Milch und Käse und holte Nachrichten aus der großen Welt ein. Ob er ins Salzbergwerk gehöre, das nur drei Stunden weit sei über dem Lafatscher Joch, und ob er zu Schwaz – von dem er dann erfuhr – nicht einen Knappen aus Scharnitz kenne, den Lenz, den Sohn vom Söldnerfranz, der vor Jahren dorthin ausgewandert sei. Den kannte nun zwar Jörg unter den vielen tausend Knappen nicht, wohl aber hatte auch er viele Fragen, und der Alte stand gerne Antwort und Rede, denn er war noch rüstig und redselig wie alle alten Menschen.

Das Joch, über das der Fremde gekommen sei, heiße man den Überschall hier im Land, und die Felsbretter seien wohl die Poppen oder auch das G'schnier gewest, und das sei hier der Speckkarspitz, der mit so fürchterlich glatten Wänden niedersetzt ins Tal, und der Berg da drüben der Lafatscher, und der hinten mit dem ganz senkrechten Absturz der Praxmarerkarspitz, da sei es aber bös in der hinteren Öd und auch gar nicht gut fürs Vieh. Der hohe Spitz aber ganz z'hinterst, das ist der Gleiersch, weil er immer zuerst und zuletzt glänzt bei Sonnenaufgang und Niedergang.

Über den eigentlichen Zweck seines Hierseins wagte Jörg nichts zu sagen. Eine unerklärliche Scheu hielt ihn zurück. Nur die eine Frage tat er: ob öfters Erzknappen kämen. Und das verneinte der Alte.

Zu lange saß er schon bei den freundlichen Sennen, er mußte an den Aufbruch denken. Und deshalb kam er auf den Bach zu sprechen, der ihn hergelockt hatte. Den nenne man den Lafatscherbach oder auch die Isar, und das werde ein guter Fluß schon bei Scharnitz, der ins Bayrische geht, bis weit, wo gar keine Berge sind, sagten die Hirten.

Er reichte die Hand und ging hinaus. Da schritt er am niedrigen Dach des mit Steinen beschwerten Stalles vorbei. Gewohnheitsgemäß sah er seit langem jeden Stein an. Es gab ihm einen Ruck, als ob sein Herz stehen bleiben wollte. Das war ja die schönste Zinkblende, der vielgesuchte Galmei, wie er in Schwaz nicht schöner mit dem Silber vergesellschaftet war.

Der Erzfund

Er brachte vor Aufregung kaum die Frage heraus, woher denn der schöne Stein stamme.

»Gel', da schaust,« lachte fröhlich der Alte. »Mei' Enkl hat ihn 'bracht vom Suntiger, weil er gar so schön ist. Dort is a ganzer Berg voll.« Und er wies rechter Hand auf einen mäßig hohen, bewaldeten Rücken, aus dem Felsen emporstiegen. Eine Stunde später saß Jörg auf dem Suntigerkamm und weinte und lachte zugleich. Seine Hand wühlte in Schätzen, die ganze Halde war mit Blöcken besät, in denen sein geübtes Auge den Galmei erkannte. Die Erzader biß hier geradezu aus. Zink und Kupfer sah er ohne weiteres in den Blenden und Fahlerzen, auf Silber ließ sich in dem in Kalk eingelagerten Schieferberg mit größter Sicherheit schließen. Galmei findet sich noch gegenwärtig in Massen am Abhange des Suntiger am Haller Anger, wo auch noch die Mundlöcher verlassener Stollen zu sehen sind als Zeichen dessen, daß hier tatsächlich Bergwerke betrieben wurden. Von hier aus war auch ein »Knappensteig« entlang der Nordwand des Bettelwurfs ausgebaut. Ein weiteres Zeugnis für das Silbervorkommen in der Bergumrahmung des Haller Angers ist der gegenwärtig verlassene, tiefe, versoffene Silberschacht, den das Volk noch jetzt » zum silbernen Hansl« nennt.

Er jauchzte und warf seinen Hut in die Luft. Also war das große Glück doch für ihn gekommen! Tausend Pläne machte er gleichzeitig – er sah sich als Grubenherrn, ein Drittel der Grube gehörte nach dem Bergrecht ihm, er war reich, nun würde er in Schwaz ein Schloß bauen wie Sigmundslust oder Tratzberg. Und jauchzend schrie er sein Glück über Berg und Tal, unbekümmert, ob er sich nicht bei den Sennen verrate.

Sofort kehrte er nach Schwaz zurück. Nach dem Stande der Sonne sah er, daß er sich ohnedies zu lange aufgehalten habe, und daß er wohl erst spät in der Nacht in Schwaz sein könne. Nun, das tat nicht viel, morgen vormittag war auch noch frei, da konnte man sich ausschlafen, und nachmittags schon wollte er sich erkundigen, wie und wo man den Fund anmelden müsse.

Schon legte die scheidende Sonne gelben und rötlichen Glanz auf die starren Felsenhäupter, als er wieder auf dem Überschall stand. Dort drüben lag er, sein Silberberg, und er dünkte ihn besonders feierlich und hervorgehoben im weiten Rund der sich still sonnenden Bergeshäupter. Er konnte nicht anders – wenn auch die Zeit drängte – er mußte verweilen und umhersehen an diesem Punkt. Wie war doch die Welt so schön! In ihm wallte und jubelte es so vor Glücksgefühl, daß er auch eine Wüste für ein Paradies gehalten hätte, wenn sie nur seinen Silberberg barg. Aber das Rundbild zu seinen Füßen war wahrlich keine Wüste.

Der heilige Frieden, der so gern an schönen Sommertagen über den Bergen ist, wenn die reifste Stunde des Tages kommt, die vor Sonnenuntergang, lagerte über dem Land. So durchsichtig und rein war der Himmel, von dem sich alle Wolken verzogen hatten, so klar war die Luft, daß auch die fernsten Gebirgsketten noch scharf geschnitten am Sehkreis standen. An den schrecklichen, starren Felswänden des Bettelwurfs rieselte gelbes, warmes Licht, und wo im Vormittagsduft eine glatte, graublaue Wand zu sein schien, da war jetzt der Berg gegliedert in hundert Rippen und Klüfte, durchzogen von Runsen, aufgelöst in ein plastisch malerisches Gefüge von Licht und Schatten, von höchstem Reiz. Im Vompertal unten lag kühles, violettes Schattenblau, aber da oben auf Hochkanzel und Hochnissel, diesen unglaublich kühnen Felstürmen und Wächtern des Tales, da brannte und loderte noch die Sonne, und sie sahen so feierlich und ernst in das tiefe Schweigen, daß der einzige Mensch im weiten Rund den Hut abnahm und sich scheu und andächtig fühlte wie in einer Kirche.

Dann aber drängte die Zeit. Die Schatten wurden immer länger; jetzt lag die Sonne nur noch auf den alleräußersten Zacken, und noch war nicht ein Drittel des Weges getan. Doch die Nacht focht ihn nicht an, er kannte das Vomperloch auch im Dunkeln, und wenn es auch stundenlang stets an jähen Abstürzen, mit dem Blick in schwindelnde Tiefe dahinging, er dachte an keine Gefahr, gar heute, an diesem größten Glückstag, der in seinem Leben die Wende für immer bedeutete, da dachte er am allerwenigsten an Unglück.

Fortwährend überschlug er sich, welchen Geldeswert wohl sein Berg darstellen könne, und wie er sich damit einrichten werde. Den Sennen werde er natürlich eine schöne runde Summe verehren, denn sie hatten ihn ja eigentlich, wenn auch unbeabsichtigt, auf sein Glück gebracht. Auch den alten Blaurock und den Trottel-Barthele würde er nicht vergessen. Er dachte an die erstaunten Gesichter seiner Grubengenossen, wenn er, der bisher so Unbeachtete und von niemandem einer großen Tat für fähig Gehaltene nun plötzlich als glücklicher Entdecker und reicher Mann vor ihnen stand. Natürlich werden sie alle in seiner Grube angestellt. Der Schwab wird Schichtmeister, da ist er der schweren Häuerarbeit, die er nicht verträgt, ledig; der Batzentoni wird Obersteiger. In der Schmelzhütte wird er selbst tätig sein, das sagte ihm zu. Von den Schmelzöfen sprangen seine Gedanken zu dem Manne, dem er alles verdankte: zu Lampadius. Wie konnte er nur diesen vergessen!

Der muß her, eigentlich müßte er Halbpart mit ihm machen. Und er malte es sich im Steigen und Wandern so recht farbig aus, wie er im Waldhaus ankommt. Niemand ahnt etwas. Die Hunde springen ihm bekannt entgegen. Da erblickt ihn vielleicht zuerst die Sibylle und erkennt nicht den reich gekleideten, stattlichen Reiter … Aber dann der Jubel! Dem alten Herrn werde er einen großen Schmelzofen einrichten, da könne er mit seinen Blenden experimentieren nach Herzenslust. Natürlich hier in Schwaz, denn das stand fest, der Herr Lampadius müsse herkommen … schon weil er da Sibylle jeden Tag sehen könne … Von dem Mädchen fiel ihm der Italiener ein. Auch für den fände sich ein Plätzchen beim Schmelzofen.

So sinnierte und fabulierte er bei sich und trug sein übervolles Herz hinaus in die Nacht und sah mehr in die Zukunft, als auf den Weg, bis der auf einmal verloren war. Er hatte sich vergangen. Er hatte wohl vergessen, an richtiger Stelle über den Bach zu setzen, und stand jetzt an seiner linken Seite. Rechts, dort hinaus zog sich der Wald zur Pfannenschmiede. Aber er konnte nicht mehr hinüber, denn schon war der Bach in die Vomperklamm eingetreten, und darin toste und lärmte er bis zum Austritt ins Inntal und gewährte nirgends mehr einen Punkt, wo man zu ihm hinabklettern konnte. Doch was verschlug das? Der Mond war inzwischen aufgegangen, und nachdem lange sein liebes, rundes Gesicht rot, dann goldgelb durch die Bäume gelugt, stand er nun in weißem Glanze hoch und ließ Bäche flüssigen Silbers über die Felsen rinnen. Funken waren geschleudert an jede dunkle Steinwand, an der ein Wasserfaden rann, ein Blitzen und Gleißen war tief unten in der mächtigen Klamm vom rinnenden Bach, in einem feinen Silberrauch stand der Wald, und die Bäume waren wie verwandelte Zaubergestalten. Die Berge hingen am tiefblauen Nachthimmel wie unkörperliche Schemen, ganz in Hauch und Duft verwandelt, in einem sanften, milchweißen Schimmer, daraus nur manchmal eine schräge, glatte Platte, an der das Mondlicht breit abfloß, grell aufleuchtete.

Da war gut wandern. Auch an dieser Seite war Wald, und der führte, das wußte er schon, hinab zur Melanser Alm und nach Vomperberg ohne sonderliche Beschwer. Der Weg war nur länger. Von der Melanser Hütte aus war auch ein Pfad vorhanden, und er fand ihn glücklich.

Fröhlich ging er dahin in der schönen Mondnacht und schaute nach dem Glücksgestirn, das ihm einst so freundlich geleuchtet, als er aus dem Waldhaus zog, und das ihn wirklich nicht verlassen hatte. Das Heu auf den zum zweitenmal gemähten Bergwiesen duftete schwer und süß, die Grillen zirpten, als er aus dem Walde trat, – da lösten sich aus dessen Dunkel zwei Schatten, Spieße blitzten im hellen Schein, und eine schwere Hand packte ihn am Arm.

»Woher des Wegs?« sagte barsch sein Angreifer. Er wollte sich zur Wehr setzen, da stürzten sich die Knechte über ihn, ein mächtiger Schlag betäubte ihn für den Augenblick, und schon war er gebunden und wehrlos gemacht von den drei Landsknechten, die hier auf Geheiß des Landrichters streiften.

»Da haben wir einen feinen Vogel,« riefen sie wohlgemut ob des ausgesetzten Fanggeldes dem Rottmeister zu, als sie den Häftling mit Püffen und Stößen nach Vomperberg brachten. Sie glaubten seinen Beteuerungen nicht, daß er als Knappe am freien Tag nur zur Freude in den Bergen geklettert sei. Sie wußten es besser: das war einer von den verfluchten aufrührerischen Sektierern, um derentwillen sie ausgesandt waren, und merkwürdigerweise der einzige, dessen sie habhaft wurden. Sie fragten ihn, wie er sich nenne. Er hatte es nicht zu verheimlichen, daß er der Jost vom Triefestollen sei. Lange studierten sie da in einem Zettel, den sie mitführten, dann aber schlugen sie ein jubelndes Lachen auf. Das war er ja, den sie im Triefestollen gegen sechs Uhr vergeblich gesucht, da stand es deutlich in der schnörkeligen Handschrift des alten Schreibers am Berggericht: »Ein tauferischer Erzführer im Triefestollen, so sich Jost nennet.« Und damit war sein Schicksal besiegelt.

Gefangen

Der Rottmeister drang in ihn, zu gestehen, wo die andern von der Versammlung seien. Vergeblich beteuerte Jörg, dem der schreckliche Verdacht, in den er geraten, nun langsam aufging, er sei in keiner Versammlung gewesen und sei überhaupt kein Wiedertäufer.

Der Scherge verlor endlich die Geduld. »Na wart, du halsstarriger Bock,« schrie er ihn an, »wirst schon kirre werden. Haben schon andere geplappert, wenn's der Meister Hansen reckt, daß die Glieder krachen!« Und die Streifrotte zog mit ihm heim ins Berggericht.

Kapelle in Schwaz

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