Georg Forster
Bemerkungen ... auf seiner Reise um die Welt ...
Georg Forster

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Fünfter Abschnitt.

Unterhalt; Mittel ihn zu erlangen: Fischerey, Jagd, wilde Früchte. – Wilde oder barbarische Verfassung kleiner Gesellschaften. – Ursprung des Menschenfressens. – Gang der Vorsehung zur Vervollkommung menschlicher Gesellschaften. –

Sed primum positum sit, nosmet ipsos commendatos esse nobis, primamque ex natura hanc habere appetitionem, ut conservemus nosmet ipsos.
CIC. de fin. bon. et mal. IV.

Die Hauptbeschäftigung aller Völker, welche die Polargegenden des Erdbodens bewohnen, ist die Anschaffung des Lebensunterhalts; auf diese tägliche, unabläßige Sorge beziehen sich alle ihre Erfindungen und Bemühungen; Kleidung, Wohnung, Sicherheit, Freyheit, Eigenthum, und jedes andere Bedürfniß muß jenem ersten nachstehen.

Vergleichen wir indeß die Bewohner des Südpols und Nordpols, die Feuerländer, Eskimo's und Grönlander unter einander, so finden wir diese nördlichen Völker jenen südlichen Amerikanern weit überlegen, ohnerachtet das Feuerland, in Betracht so mancher Naturprodukte, vor Labrador und Grönland, vieles voraus hat.

Die Grönländer und Eskimo's leben von Land- und Seethieren, deren sie sich eine ziemliche Menge zur Abwechselung verschaffen können. Sie gehen auf die Rennthierjagd, aus den Wallfisch- und Robbenfang; sie wissen Seevögel zu erlegen, und fangen auch Fische, besonders Lachse. Die armseligen Pesserähs (Feuerländer) hingegen, nähren sich hauptsächlich nur von Miesmuscheln und andern Schaalthieren, die sie vom Grunde des Meeres und von den Felsen unter dem Wasser, vermittelst eines knöchernen, an einem achteckigen langen Stocke befestigten, Hakens auffischen. Wir fanden auch, daß sie faules Robbensteisch fraßen, wovon sie uns, als etwas gar köstlichem, anboten. Indeß scheinen die Robben hier sehr selten zu seyn, oder wenigstens von einem Orte zum andern umher zu ziehen, und folglich diesen Haven nur zu gewissen Jahrszeiten zu besuchen, denn wir selbst haben auf den vielen Exkursionen, die wir mit unsren Böten über die ganze Christmeßbay anstellten, nirgends welche angetroffen. Ein Pesseräh trug das Fell eines GuanakoEine Art wilder Schaafkamele; im zahmen Zustande heißen sie Llamas, auch Llacmas. (Ljakmas) zur Kleidung; er war aber auch, unter einigen dreyßigen, der einzige so gekleidete. Aller Wahrscheinlichkeit nach giebt es keine Guanako's um Christmeßbay, indem man daselbst lauter öde, unfruchtbare Holmen, aber keine Waldungen und Grasweiden sieht, wo diese Thiere Schutz und Nahrung finden könnten. Im Ausgange Decembers, mithin im Sommer, waren auch noch die Gipfel der Berge mit ungeheuren Schneelasten bedeckt. Hieraus läßt sich mit einiger Wahrscheinlichkeit schließen, daß die Pesserähs, oder Einwohner, die wir hier vorfanden, zuweilen andre Gegenden besuchen, wo sie vielleicht Guanakos fangen können. Auf dem östlichen Theile des Fenerlandes, welcher aus einer großen zusammenhängenden Erdmasse, und nicht, wie der westliche, aus vielen kleinen Eilanden, besteht, haben wir, so wie andere Seefahrer, große Wälder von schönem Bauholz, und weitläuftige mit Gras bewachsene Ebenen angetroffen. Hier möchten sich also die Guanakos, wenn es deren überhaupt auf dem Feuerlande giebt, wahrscheinlich aufhalten.Die Holländer, die, in der sogenannten Nassauischen Flotte, auf dem Feuerlande anlegten, fanden eine Art Thiere, die sie Hirsche (deer) nannten; ich vermuthe, dies waren Guanakos. S. Recueil des Voyages, qui ont servi à l'Etablissement de la Comp. des Indes Orientales Vol. IV. und folglich unsere Pesserähs bisweilen, nach dieser östlichen Insel, oder gar auf das feste Land von Südamerika ziehen; ein Beweis mehr, daß die Seltenheit der Lebensmittel in dieser traurigen Gegend, sie in große Noth versetzt, ohne welche sie warlich nicht aus der Stelle zu bringen wären! Es giebt zwar auf dem Feuerlande eine Arbutus in großer Menge, dessen Beeren eßbar sind; allein ich wüßte nicht, daß die Einwohner von diesen, oder sonst von andern Producten aus dem Pflanzenreiche Gebrauch machten. Die Grönländer hingegen, sammlen mehrere Gattungen von Beeren ein, und speisen überdem eine Art des Tangs oder Seekrauts. Sie sind auch weit besser gekleidet als die Feuerländer, und besitzen einen Ueberfiuß von Robben und von Rennthierfellen, imgleichen Häute von verschiedenen Wasservögeln. Ihre Kleidung ist mit einiger Kunst verfertigt, und besonders gut gegen ihren rauhen Winter eingerichtet; sie tragen auch eine Art Unterkleid, welches von den Gedärmen gewisser Thiere und Fische gemacht wird: aus Fischgräten und Vogelknochen verfertigen sie Nadeln, spalten die Sehnen der Rennthiere und Wallfische zu einer Art Zwirn, und nähen ihre Kleidungsstücke mit so vieler Geschicklichkeit, daß auch europäische Kürschner ihre Kunst bewundern.

Ihre Wohnungen sind, nach Verschiedenheit der Jahrszeit, auch verschieden eingerichtet. Im Winter wohnen sie sehr warm, in bequemen steinernen Häusern, welche mit Balken und Dächern versehen sind, obgleich das Holz bey ihnen sehr selten, und sonst keines vorhanden ist, als was die See an ihren Küsten auswirft. Das Tageslicht kommt durch kleine Oefnungen in diese Häuser, oder eigentlich durch eine seltsame Art Fenster, die aus Robbeneingeweiden und Fischmagen verfertigt werden. Ihre Hütte ist inwendig mit Fellen behangen, oder eigentlich ausgefüttert; die besten Felle aber dienen, auf erhöheten Bettstellen, zum Lager. Auch die Thüre ist bequem und künstlich eingerichtet. Ihre Küche ist es nicht minder; sie kochen in einem steinernen Topf über eine Lampe von Tranöhl. Den Sommer hindurch wohnen sie in netten Gezelten, die von Stangen ordentlich erbaut und mit Fellen bedeckt sind. Im Eingange hängt eine durchsichtige Haut, die Wind und Regen abhält, aber das Licht hindurch läßt. Kurz: alles zeugt bey ihnen von Geschicklichkeit und Erfindungsgeist, von einer höhern Stufe der Glückseligkeit und des bequemen Genusses.

Wie elend wohnt dagegen der arme Pesseräh! Auf etliche Pfäle, oder auf kleine Bäume, die er mit Bast oder Riemen aneinander knüpft, wirft er einige Gebinde Strauchwerk, umschließt dies mit alten Robbenfellen, und läßt ein Sechstheil oder gar ein Fünftheil des ganzen Umfangs offen, wo er sein Feuer anmacht, ohne gegen die rauhe kalte Witterung geschützt zu seyn.

Auffallend war es mir, daß dieses blödsinnige Volk, den Vorrath des schönsten Bauholzes, der in dortigen Gegenden angetroffen wird, nicht besser benutzt, und bessere Häuser und Kähne daraus verfertigt. Man mögte vielleicht einwenden, sie wissen das Holz nicht zu zerschneiden und zu diesem Behuf zu verarbeiten, es fehlt ihnen an Werkzeugen u.s.f.; allein dies ist nicht ihr Fall; sie können allerdings das Holz bearbeiten, denn die Stangen, woran sie ihre knöchernen Muschelhaken befestigen, sind zehn bis zwölf Schuhe lang, ganz gerade, glatt und achteckigt. Eben so sehr muß man sich wundern, daß sie, bey einem Vorrath von Robben- Fuchs- und Guanakosfellen, an welche sie doch hin und wieder lederne Riemen genähet hatten, nie darauf verfallen sind, zu ihrer eignen Bequemlichkeit noch einen Schritt mehr zu thun, und die Felle dergestalt zur Kleidung zuzuschneiden und zusammenzunähen, daß sie dadurch gegen die Strenge der Witterung vollkommen geschützt würden. Nichts stellt uns ihren tiefen Verfall so lebhaft vor Augen, als diese mit Blödsinn vergesellschaftete Unbeholfenheit. Es ist wahr, eben diese Eigenschaften machen sie gleichgültig und unempfindlich gegen ihr Elend; allein schwerlich ist es bloße angeborne Indolenz und Gleichgültigkeit, die sie zu einer gemächlichern Lebensart unfähig macht; sondern man muß vielmehr aus allem obigen schließen, daß sie die unglücklichen Opfer der Rache oder des Uebermuths ihrer stärkern Nachbarn geworden, und von denselben hieher, in die unfreundlichste Gegend von Südamerika, vertrieben worden sind.

Die Europäer fanden indeß, bey der Entdeckung von Amerika, alle dortigen Völker im wilden Zustande, nur um eine Stufe über den blos thierischen Zustand hinaus. In kleinen Horden durchstreiften sie die Wälder dieses großen Welttheils, lebten hauptsächlich von Jagd und Fischfang, ohne Ackerbau, und waren schlecht gekleidet. Nur zwey Völker hatten eine Art von Gesittung erreicht, und diese wohnten innerhalb der Wendekreise; auch bezeugten ihre eignen historischen Denkmäler, daß ihr Fortschritt zur gesitteten Lebensart ein Werk später Zeiten, und wahrscheinlich von einigen wenigen fremden Familien befördert worden sey, welche das Schicksal, wider ihre Erwartung, auf diese wilde und feindselige Küste geworfen haben mogte.

Ist aber die Bevölkerung des ganzen Amerika so gering, der Zustand der dortigen Menschen überhaupt noch thierisch, und von aller Cultur entfernt, das Klima gegen die Pole hin rauh und unfreundlich und die Lebensmittel daselbst selten; - wie einleuchtend wird dann nicht der Satz, daß nur die äußerste Noth die Menschen gezwungen haben könne, aus wärmern und reichhaltigern Gegenden, in die entferntern öden Theile des festen Landes zu wandern! Je elender ihr jetziger Zustand ist, desto entfernter ist ihre Abkunft von den Einwohnern des wärmern Erdgürtels, die noch einige Erziehung genossen. Ihre Anzahl ist gering; denn sie können selbst nur Abkömmlinge einer unbeträchtlichen nomadischen Horde seyn, und der Mangel an natürlicher Wärme, die Härte ihrer Fibern, die Ausartung ihrer Säfte, lauter Folgen ihrer Lebensart und ihres Klima, tragen vieles zu ihrer Unfruchtbarkeit bey. MontesquieuEsprit des Loix, L.XXIII. Ch. 13. behauptete, daß die fischsressenden Völker die fruchtbarsten wären, und fand in den öligten Theilen der Fische, reichlicher als in anderen Lebensmitteln, jene Materie, welche die Natur zu neuen Zeugungen aufbewahrt. Allein diese sinnreiche Erfindung, die so mancher nachgeschrieben hat, ist weder in der Natur, noch in der Erfahrung gegründet.De Saintfoix Essais historiques sur Paris Tomme II. p181. In GrönlandCrantz, Geschichte von Grönland, im ersten Theil sowohl, als auch unter den Eskimos,Lieut.. Curtis in the Philos. Trans. Vol LXIV. part.2. pag.385 wo man doch hauptsächlich von Fischen, Robben und fetten animalischen Speisen lebt, kommen die Weiber selten öfter als drey bis viermal nieder; fünf oder sechs Geburten sind etwas ungewöhnliches. Bey den Pesserähs bemerkten wir in jeder Familie nur zwey bis drey Kinder, obgleich auch ihre Nahrung aus Miesmuscheln, Fischen und Robben besteht. Die Neuseeländer leben bekanntlich größtencheils von Fischen; allein, auch in ihren fruchtbarsten Familien trift man über drey bis vier Kinder nicht an. Es ist also nicht blos die Nahrung, die zur Volksvermehrung beyträgt, sondern es beruht solche noch auf andern Umständen.

Das Menschengeschlecht scheint nemlich nur in jenen Gegenden zu blühen, und mit einiger Kraft zur Gesittung zu reifen, woselbst es durch Erziehung ein System von nützlichen und lehrreichen Begriffen beybehalten hat, oder wenigstens von dieser allgemeinen Quelle noch nicht lange, noch nicht gänzlich, abgeschnitten worden ist. Von Kublaichans großem Heere, welches er zur Eroberung von Japan ausgerüstet hatte, und welches durch einen schrecklichen Sturm verschlagen ward, können vielleicht einige Schiffe bis nach den Küsten von Amerika gschleudert worden seyn. Vielleicht waren sie es, die den Grund der mexikanischen und peruanischen Reiche legten, welche um die Zeit, und später noch, entstanden sind. Außer den Mexikanern und Peruanern kam kein Volk später nach Amerika als die Grönländer und Eskimos in dessen nördlichste Gränzen. Die andern amerikanischen Völker nennen sie Fremdlinge, und sowol ihre Gesichtszüge als auch ihre kleine Statur, ihre Sprache, Kleidung und Sitten scheinen dies zu bekräftigen. Wahrscheinlich kamen sie aus einigen Inseln dorthin, welche zwischen Asien und Amerika so zahlreich sind, und, gleich einer Kette, diese großen Welttheile miteinander verbinden. Diese spätern Ankömmlinge sind aber auch gesitteter als ihre Nachbarn; alle ihre Einrichtungen verrathen mehr Kraft als bey den übrigen amerikanischen Wilden vorhanden ist. Was anders, als ihre noch neuliche Verbindung mit Asien, konnte diese Begriffe des geselligen Lebens, diese Kunstfertigkeiten, diese wohlgeordnete Verfassung bey ihnen so lebhaft erhalten? Ganz ein entgegengesetzter Gang des Schicksals machte die Pesserähs im Feuerlande zu den armseligen Geschöpfen, die sie sind. Entsprossen von wandernden amerikanischen Stämmen, die bereits vor langer Zeit ausgeartet waren, konnten sie von ihren Stamm-Eltern keine Begriffe des gesitteten Lebens, keine Winke der Erziehung erhalten, sondern verwilderten gleichsam von Tag zu Tage mehr. Dies gieng um so leichter an, da ihre ganze Anzahl, auf einem Lande welches wenigstens halb so groß als Irrland ist, schwerlich über 2000 Seelen beträgt.

Man kann mit vieler Wahrscheinlichkeit annehmen, daß die wenigen Mitglieder, aus welchen eine Gesellschaft wilder oder ungesitteter Menschen besteht, auch lauter nahe Blutsverwandte sind. Die Folgerung aber, welche der europäische Beobachter hieraus zieht, daß nämlich eben diese Verwandschaft das Band ihrer Gesellschaft seyn müsse, ist wohl etwas zu voreilig. In einem Lande, welches nicht Ueberfluß an Lebensmitteln hat, ist es dem Interesse wilder Völker nicht zuträglich, in großen Gesellschaften zu leben; sie können nicht beysammen subsistiren, und müssen sich in lauter einzelne Familien trennen, deren jede einen noch unbetretenen Bezirk aufsucht, um daselbst, so leicht als möglich, die Bedürfnisse der Natur zu befriedigen. Wo nur wenige Personen beysammen sind, da lehrt sie die Erfahrung, daß aus ihrer Vereinigung und gemeinschaftlicher Bemühung ein Vortheil für alle erwächst; daher sieht man Wilde mit ihren Weibern und Kindern, und wohl auch noch mit Schwestern und Brüdern in einer Familie beysammen wohnen, gegenseitiger Vortheil ist alsdenn das Band ihrer kleinen Gesellschaft. Verschwindet er mit der zunehmenden Vermehrung der Personen, so trennt sich von der alten eine neue Familie, und sucht eine andere Gegend zu ihrem Aufenthalt.

Wie leicht ist bey so bewandten Umständen die Ausartung und der gänzliche Verfall der Wilden ins thierische? An der Erfahrung und dem Rath ihrer Voreltern können sie keinen Antheil mehr haben; um etwas bisher ungewöhnliches zu versuchen, sind ihrer zu wenige, und um selbst zu erfinden, sind sie mit täglichen Sorgen zu sehr beschäftigt. Wächst die Anzahl der Familien dergestalt heran, daß sie einander im Wege sind, daß das Land ihnen nicht hinreichende Nahrung giebt; so müssen sie zu Gewaltthätigkeiten greifen, und einander umbringen oder vertreiben, um den Genuß der Jagd und des Fischfangs allein zu besitzen. Der unwahrscheinlichste Fall ist der, daß sie auf eine neue Gattung von Unterhalt sinnen und durch Fleiß etwa ersehen sollten, was ihnen, durch ihre vermehrte Anzahl, an Lebensmitteln abgeht. Diese Industrie widerspricht zu sehr der natürlichen, gedankenlosen Trägheit des Wilden, als daß er, ohne eine nähere Veranlassung, darauf verfallen sollte. Den Nachbar zu unterdrücken, auszurotten, sein Weib und Kind zu den schwersten und mühsamsten Arbeiten anzuhalten, scheint ihm ein kürzeres und zuverläßigeres Mittel.

Indessen wird vielleicht auf diese Art der Grund zur künftigen Gesittung gelegt. Es kommt darauf an, den verwilderten Menschen aus seinem Schlafe zu wecken, und seinen Geist in Thätigkeit zu versetzen. Hat er seinen Nachbar erschlagen, und sich durch diese Gewaltthätigteit ein bequemeres Leben verschaft, so hat er doch auch zugleich Empfindungen und Leidenschaften in sich rege gemacht, die er zuvor nicht kannte. Er ist nicht mehr der bloße Wilde, der nur kümmerlich den ganzen Tag hinbringt, um seinen nagenden Hunger zu stillen. Sein größerer Jagdbezirk liefert ihm diese Nahrung ohne Mühe, und läßt ihm Zeit, sich seiner großen Heldenthat zu freuen, mehr Muth, mehr Vertrauen zu sich selbst zu fassen; er fühlt eine Art des Stolzes der ihn über andre erhebt. Wird nicht diese neue Triebfeder ihn in Bewegung setzen, wenn neue Feinde ihm drohen, und sollte er durch sie nicht vermögen, was er in seinem erschlafften, trägen Zustande nicht vermochte? nicht auf neue Mittel sinnen, sich gegen sie, in seiner jetzigen neuen Lage zu erhalten, deren Süßigkeit er eben zu schmecken anfängt? Eine geringe Anstrengung versetzte ihn in diese glücklichere Lage, und ein wenig Anstrengung mehr, kann ihn darinn erhalten und befestigen. So erwacht er zu neuer Thätigkeit, und erhebt sich wieder von jener letzten Stufe der Ausartung. In ununterbrochenem Glück, so wie in immerwährendem Elend, erschlaffen die Geisteskräfte, oder äußern sich wenigstens nicht. Werden aber die Leidenschaften rege gemacht, so setzen sie alles in Bewegung und Feuer. Man denke, was für Würkungen sie bey Menschen hervorbringen müssen, deren Verstand ganz ungeübt ist, die keinen vernünftigen Grundsätzen Gehör geben, und kein Recht erkennen, als das Recht des Stärkeren. Will man einwenden, daß ein solches Feuer nicht lange anhalten kann, daß z.B. in dem vorerwähnten Falle, der Kampf zwischen den neuen Eroberern, und jenen andern Stämmen, die ihr Eigenthum hartnäckig vertheidigen wollen, bald entschieden wird, und alles stillet; so bleibt doch immer noch jener wesentliche vortheilhafte Eindruck, der sie zuerst zur Vertheidigung anfeuerte, und gegen ihre Unterdrücker wahrscheinlich eine gemeinschaftliche Verbindung stiften lehrte, in allen Gemüthern zurück. Sie empfinden die Vortheile der Einigkeit noch in der Folge, und endlich bricht für sie der schöne Morgen des geselligen Lebens an.

Der Wilde der, durch irgend einen Stoß, aus seinem blos thierischen Zustande geweckt wird, dessen Geist und dessen physische Kräfte zugleich in Bewegung gesetzt, ihn auf der Leiter der Wesen, um eine Stufe höher heben, ist nun zwar auf dem Wege etwas zu werden; allein seine wiedererlangte Thätigkeit, die keinen Zügel fühlt, reißt ihn jetzt nur so viel leichter hin, und läßt ihn Schandthaten begehn, wofür das Herz des gesitteten Menschen zurück bebt. Neuseeländer mit Feuerländern verglichen, sind hievon einleuchtende Beyspiele. In vielem Betracht ist die Lage der erstern viel leidlicher. Ihr ungleich sanfteres Klima erhärtet ihre Fasern nicht, wie bey den starrenden Pesserähs; und so wie ihr Blut sich freyer bewegt, und den ganzen Gliederbau mehr belebt, so werden sie auch mehrerer Empfindung fähig, und bereichern ihren Verstand mit einer größeren Menge von Begriffen. Die Bevölkerung ist ungleich beträchtlicher; Muth und Unerschrockenheit aber auch desto allgemeiner. Gemeinschaftliche Hülfleistung, Belehrung, Erziehung, sind Folgen der unter ihnen stattfindenden festeren Verbindung. Scharfsinnig genug, um gesundes Raisonnement zu fassen, und gelehrig genug, um sich alles, was zu ihrem Vortheile gereichen kann, zu Nutz zu machen, werden wechselseitige Zuneigungen ihnen zum Bedürfniß und größere Gesellschaften ein Mittel sich frey und unabhängig zu erhalten. Heftige Leidenschaften aber sind ihre einzigen Führer; diese würken bey ihnen zugleich Gutes und Böses. Daher Beyspiele von Freundschaft und Treue unter Barbaren, die gleichsam aus einem edlen Enthusiasmus entspringen, und bey verfeinerten Völkern bereits in Vergessenheit gerathen, oder nur noch bey Roman- und Fabeldichtern anzutreffen sind. In der That sind ihre Begriffe von Ehrlichkeit und öffentlicher Treue beynahe romantisch; aber die von Unabhängigkeit und Freyheit sind es nicht weniger, und veranlassen ein beständiges Mißtrauen. Die geringsten Kleinigkeiten werden Beleidigungen, und die Rache entbrennt gar bald, um auch blos eingebildete Uebel zu ahnden. Von Fremden wird vollends weniger als von ihres Gleichen erduldet. Ihre Begriffe von Unabhängigkeit sind schwankend und gehen oft in Zügellosigkeit über. Sie fühlen eine Art von Begeisterung, in der sie keines Schreckens fähig sind; allein ihre Tapferkeit erwartet nicht, sie sucht vielmehr Gelegenheit. Ohne Veranlassung, erregen sie in sich selbst einen rasenden Paroxysmus, stürzen sich sodann in die augenscheinlichste Gefahr, und streiten mit einer Standhaftigkeit, die Verachtung des Todes anzeigt. Im Siege sind sie grausam und rachgierig; ausschweifend in allen Affekten, treiben sie auch die Rache und Feindschaft bis ins unmenschliche, und verzehren die Opfer ihrer Tapferkeit. Gegen ihre Weiber sind sie harte Unterdrücker; sie gehn mit ihnen als mit Sklavinnen und verworfenen Lastthieren um. Wir haben mehrmalen gesehn, daß sie den Europäern den Genuß ihrer Töchter oder Verwandtinnen, ohne Einwilligung derselben, verkauften. Mit Geschöpfen, die man keinesweges als Gehülfinnen, sondern blos als Werkzeuge zur Befriedigung thierischer Lust, oder als Leibeigen zum Arbeiten geschaffen, ansieht, kann man nicht härter verfahren. Daß sie die Weiber aus diesem Gesichtspunkte ansehen,erhellet daraus noch unläugbarer,daß, wie wir oft gesehen haben, kleine Knaben ihre Mütter schlugen, indeß die Väter daneben standen, aber umgekehrt nicht gestatteten, daß jene diese züchtigen durften.

Diese barbarische Nation liebt gleichwol den Putz und Zierrathen, und schnitzt an den gewöhnlichsten Werkzeugen, wie an den Waffen, allerley Schnirkel und Spiralverzierungen, die bereits einigen Geschmack verrathen. Fabeln und romantische Erzählungen, Musik, Lieder, Tänze, sind ihr Zeitvertreib. Sie beginnen sogar ihre Gefechte mit kriegerischem Tanz und Gesang. Auch haben sie einige Religionsbegriffe, Nachrichten von allerley Göttern, und einige Ueberzeugung von der Fortdauer abgeschiedener Seelen; doch ist, so viel wir bemerken konnten, keine Art des Aberglaubens sehr unter ihnen eingerissen. Bey gewissen Gelegenheiten, zum Beyspiel: wenn Freundschaft errichtet, Frieden geschlossen, Krieg erklärt, oder Todte begraben werden sollen, bedienen sie sich gewisser, ihnen eigener, Feyerlichkeiten und Gebräuche. Die Todten werden bisweilen ins Meer versenkt.

Die Neuseeländer errichten weit beßre Wohnungen als die Feuerländer; sie sind durchgehends mit Gras gedeckt, inwendig mit Rohr gefüttert, und erhalten dadurch eine Art von Zierlichkeit. Oft umzäunen sie die Hütten noch mit einer Wand, welche auf eben die Art gemacht, als das Dach gedeckt ist, und den Wind besser abhält, oder das Feuer schützt, welches mehrentheils im Eingange der Hütte angezündet wird. Ihre Kähne sind ungleich stärker als jene auf dem Feuerlande, dabey artig verziert, und mit besserer Beobachtung des Ebenmaaßes gebaut. Dieser Bau sowohl, als auch die Geschicklichkeit womit die Ruder gebraucht werden, theilt diesen Fahrzeugen eine sehr schnelle Bewegung mit. Ihre Kleidung deckt nicht nur, was bedeckt seyn muß, sondern ist auch hinreichend, sie gegen die rauhere Witterung zu schützen; sie ist zierlich gewebt, mit Rändern von allerley Mustern, schwarz, braun und weiß gemischt, an den Zipfeln mit Stücken von Hundsfellen verziert, oder wohl gar, mit weißen und schwarzen Hundsfellen, in abwechselnden Feldern, ganz ausgeschlagen. Ueber dieses Kleid tragen sie einen rauhen Mantel, der aus den Fasern der Flachspflanze (Phorimum) wie eine Matte gemacht ist, aber von aussen wie ein Strohdach aussieht, weil die Enden gedachter Fasern alle frey herabhängen; dieser Mantel, den sie Keghia nennen, schützt sie vortreflich gegen den Wind, gegen Regen, und das Anspülen der Wellen. Hierinn haben sie also einen ansehnlichen Vorzug vor den Feusrländern, die, in einer weit strengern Kälte, von ihren Robben- und Guanakos-Fellen keinen rechten Gebrauch zu machen wissen.

Auf der nördlichen Insel von Neuseeland wird auch der Ackerbau mit so gutem Erfolg getrieben, daß es uns der fernern Mühe überhebt, durch den Vergleich der dortigen Einwohner mit den jämmerlichen Pesserähs zu erweisen, wie unendlich diese jenen nachstehen müssen. Das sanftere neuseeländische Klima, die größere Volksmenge, die wahrscheinlich nähere Verwandschaft mit solchen Hauptvölkern, die noch bessere Erziehungsgrundsätze besaßen, scheinen hier sich vereinigt zu haben, um den Neuseeländern einen höhern Platz anzuweisen. Die äußerste Südspitze der südlichen Insel von Neuseeland, ist vielleicht nicht besser bevölkert als das Feuerland, allein nicht nur ihr Klima ist in allem Betracht, erträglicher; sondern ihre Einwohner haben auch noch von ihren nördlicheren Vorfahren so manche Kenntnisse beybehalten, und unter sich fortgepflanzt, daß sie, ohngeachtet ihrer Zerstreuung und Absonderung, gleichwol weit über die Pesserähs hinwegsehen.

Nur ein Umstand, dessen ich schon vorhin erwähnte, scheint ihnen ungünstig zu seyn, und sie als Menschen tief hinabzuwürdigen; ich meyne die verhaßte und barbarische Gewohnheit, die im Kriege Erschlagenen zu fressen. Ein geschickter SchriftstellerD. Hawkesworth, in dessen Sammlung der neuesten engllschen Reisebeschr. Edition in Quart III. Bandes 2. Buch, und 9. Kapitel. hat neulich vorgegeben, daß Hunger und äußerste Noth die Neuseeländer zu dieser Grausamkeit getrieben habe; allein ich kann nicht umhin, von dieser Meynung gänzlich abzugehen, seitdem ich gefunden habe, daß die Neuseeländer an Lebensmitteln eben keine Noth leiden. Im Gegentheil sammlen sie, wenn die Jahrszeit günstig ist, allerley Vorrath ein: werden mehr Fische als sie verzehren können, gefangen, so trocknen sie solche sorgfältigst, und verwahren sie an sichern Orten. Die Weiber gehen oft ins Gebirge, welches mit FarrnkraUt überwachsen ist, graben die Wurzeln aus, trocknen sie, und sammlen davon einen Vorrach, der im Nothfall, wenn keine Fische oder andre Lebensmittel vorhanden sind, gute Dienste leistet. Wir fanden ihre Hütten mit einer großen Menge dieser Lebensmittel angefüllt, und trafen sie oft beschäftigt, die Fische und Farrnwurzeln zu bereiten. Herr Hauptmann Crozet, der Gesellschafter des unglücklichen Hauptmanns von Marion, erzählte uns ebenfalls: er habe in dem Hippah, oder der neuseeländischen Festung in der Inselbay Bay of islands einen erstaunlichen Vorrath von getrockneten Fischen, Farrnwurzeln und andern Wurzeln, in besondern blos dazu bestimmten Häusern vorgefunden. Es scheint daher höchst unwahrscheinlich, daß Leute, die so fleißig für die Zukunft zu sorgen wissen, und solche Magazine von Lebensmitteln anlegen, je aus Hungersnoth sollten menschliche Körper verzehrt haben. Hiezu kommt ihre eigene Versicherung, daß sie nur im Kriege erschlagene und erbeutete Körper, nie aber die eines natürlichen Todes verstobenen essen; denn letztere werden entweder in der See oder unter der Erde begraben. Wäre jener Gebrauch aus Mangel an Lebensmitteln entstanden, wie kommt es, daß die Neuseeländer nicht ihre eigene Todten speisen? Umsonst wirft man ein, daß der Hunger nur gegen die Leichname der Feinde wüthen, nicht aber das Gefühl der Menschlichkeit so sehr betäuben könne, daß auch die Verstorbenen aus einer und derselben Gesellschaft, den Ueberlebenden zur Speise dienen sollten. Der Hunger, dünkt mich, ist ein Feind von solchen spitzfündigen Distinktionen, zumal den Völkern, deren Erziehung keine zärtlichen Gefühle voraussetztDenn nichts ist unbändiger, als der zürnende Hunger,
Der, mit tyrannischer Wuth, an sich die Menschen erinnert.

Odyssee. Vll. 2,6.

So Vater Homer – Wenn man der Lebensgeschichte des Pierre Viaud Glauben beymessen darf, so wird man darinn sehen, wie weit die Wuth des Hungers den elenden Menschen treiben kann, und wie leicht alle feinere Empfindungen der Menschlichkeit vor seiner schrecklich-unüberwindlichen Gestalt entfliehen. Diese Lebensgeschlchte ist übrigens durch so viele ehrwürdige Zeugnisse bekräftigt, und von Personen, die dem Verfasser eben nicht Ursache zu schmeicheln hatten, für authentisch erklärt worden, daß die größte Wahrscheinlichkeit für ihre Aechtheit da ist.
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Ich habe aber auch hinreichende Gründe, anzunehwen, daß alle Bewohner der verschiedenen Inseln im Südmeere, selbst in dem glücklichsten fruchtbarsten Erdstriche, wo die Hauptnahrung in Früchten besteht, und die Bevölkerung so ansehnlich ist, nichts desto weniger, vor Zeiten, Menschenfresser gewesen sind. Die Einwohner der Insel Tanna gaben uns mehr als einmal zu verstehen, daß, wenn wir uns ohne ihre Bewilligung zu weit ins Land wagten, sie uns tödten, den Leib aufschneiden und fressen würden. Ja, als wir mit Fleiß diesen Theil ihrer Rede misverstanden, und ihn so auslegten, als ob sie uns etwas gutes zu essen vorsehen wollten; so überführten sie uns durch Zeichen, welche keiner Misdeutung fähig waren, daß sie von unsern Armen und Beinen mit ihren Zähnen das Fleisch herunterreißen würden.

In Mallikollo hatten wir ebenfalls Anzeigen, daß die Einwohner Menschenfresser sind. Die Taheitier pflegten uns oft von Inseln zu erzählen, wo Menschenfresser wohnten; z. B. von einer bergigten Insel Mannua, jenseits Tabuamanu, »deren Einwohner nur wenige Kähne besäßen, aber sehr wild und unbändig wären, wilde grimmige Augen hätten, und Menschen fräßen.« Zuletzt sagten sie uns, daß sie selbst (die Taheitier) ehedem Menschen gefressen hätten, und nannten daher ihre cannibalischen Vorfahren: Tahe-ai, d. i. Menschenfresser. Die Neuseeländer und Taheitier gehören übrigens zu einer und derselben Rasse von Menschen; woraus zu folgen scheint, daß das Menschenfressen ein gemeinschaftlicher Gebrauch aller mit einander verwandten Stämme gewesen ist. War aber dies der Fall bey Völkern, die zwischen den Wendekreisen einen Ueberfluß an Lebensmitteln besitzen, so wird daraus nur immer wahrscheinlicher, daß Hungersnoth, weder dort noch in Neuseeland, diese gräuliche Gewohnheit veranlasset haben könne.

Ein Blick auf die ganze Verfassung ihres gemeinen Wesens zeigt uns, daß der Grund dieser und aller andern Abscheulichkeiten, denen sie sich überlassen, in ihrer frühesten Erziehung liege. Die Freyheit, worin die Knaben heranwachsen, ohne von den Vätern im Zaum gehalten zu werden, wird zuletzt zu einer unbändigen Ausgelassenheit. Der unabhängige Geist der in diesen Jungen herrscht, muß, ihrem Bedünken nach, auf keinerley Weise gedämpft werden; er ist die Seele ihrer Gesellschaft. Daher darf die Mutter ihr Kind nicht schlagen, so boshaft und unlenksam es immer seyn mag. Bald erwächst aus dieser Zügellosigkeit ein jähzorniges Gemüth, welches keinen Widerstand erdulden, und kein Wort anhören will, sobald es, nach ihrer Art zu denken, übel ausgelegt werden kann. Die Leidenschaft erhitzt sie dergestalt, daß sie ungeduldig sind, bis sie Rache üben können, und die Einbildungskraft, die so wenig als ihre übrigen Kräfte Ziel und Maaß leidet, macht aus jeder Beleidigung ein Hauptverbrechen, welches nur mit dem Blut des Thäters wieder gut gemacht werden kann. Jetzt wissen sie sich selbst keine Schranken mehr zu setzen; sie ziehen zur Schlacht mit lautem, wildem Feldgeschrey; alle Gesichtszüge, alle Glieder am Leibe werden nach dem Takte verzuckt. Sie schwenken ihre Waffen, stampfen mit dem Fuß auf die Erde, und stöhnen fürchterlich alle zusammen. Hierauf geht das Kriegslied wieder an; der ganze Trupp ist voll Wuth und Raserey, und stürzt, wie von Furien angefeuert, ins Handgemenge. Die siegende Parthey macht alles ohne Gnade nieder, und in der Huth verschlingt sie nun die Leichname der ErschlagenenIn Sumatra essen die Battas Menschenfleisch; jedoch mehr in terrorem, als zur gewöhnlichen Speise. C. Miller, in den Philos. Transact. LXVIII. part. I. 168.. Es ist schwer den Rückweg zu finden, wenn man einmal über die Schranken der Menschlichkeit hinausgeht. Endlich wird diese übereilte That zur Gewohnheit, und bald darauf gehört es zu der Siegesfeyer des Ueberwinders, daß er von dem Ueberbleibsel seiner Feinde einen Schmaus halte. Das letztere ist in der That der neuseeländische Gesichtspunkt der Sache. Auch will ich nicht in Abrede seyn, daß nicht eine Nation, deren gewöhnliche Speise nur Fische und Hunde sind, zuletzt das Menschenfleisch wohlschmeckend finden sollte, zumal, da verschiedene Zeugnisse wirklich sehr vortheilhaft davon lautenEin Weib aus der Provinz Mattogrosso in Brasilien, erzählte dem Ritter Pinto, (hernachmaligen Portugiesischen Gesandten am Englischen Hofe) das Menschenfleisch, besonders von jungen Personen, sey sehr wohlschmeckend. In der letzten Hungersnoth in Deutschland, erschlug ein Hirte einen jungen Menschen, zuerst um seinen Hunger zu stillen, darnach aber mehrere andere, weil er Geschmack am Menschenfleische fand..

Daß Menschen ihres gleichen verzehren, ist freylich den gesitteten Völkern ein Greuel; denn sie sind schon längst demjenigen Zustande entwachsen, in welchem diese abscheuliche Gewohnheit allein statt finden kann. Indeß ist diese Stufe der Barbarey doch gleichsam die Vorbereitung zu einem menschlichern und glücklicheren Zustande. Ich habe es schon mehrmalen gesagt: der Wilde ist nur um einen Schritt vom Thiere verschieden; die Triebfeder seiner Handlungen ist blos die äußerste Noth: im übrigen ist er in sinn- und gedankenleere Trägheit versunken, wo alle seine Fähigkeiten und Kräfte schlummern. Aber kaum werden die Leidenschaften angeregt, und mit ins Spiel gezogen, so schwankt der Mensch von einem Extrem zum andern; alles ist excentrisch in seinen Handlungen; alles ein schneller Uebergang von einer Ausschweifung, einem Laster, einer Grausamkeit, zur andern. Die Natur der Dinge bringt es mit sich, daß dieser schwankende Zustand, diese heftigen Oscillationen, nicht von langer Dauer seyn können. Es kommt nur auf einen glücklichen Augenblick, einen Umstand an, der den Barbaren die Augen über das unnatürliche, und unpolitische ihrer Handlungen öffnet, so ist der Weg zu einer gesitteteren Lebensart gebahnt. Eine Reihe von Niederlagen darf nur einmal den Gedanken bey ihnen erwecken, daß ein Mitbürger am Leben, mehr werth ist, als ein gebratener Feind; so wird sie ihr eigenes Interesse größere Behutsamkeit lehren, sie werden den Zorn und die Rache unterdrücken, und, wenn auch in feindseliger Absicht, menschenfreundlichere Gesinnungen annehmen. Es giebt vielleicht noch einen Fall; nemlch, wenn eine Nation von Barbaren über die andere so sehr das Uebergewicht erhält, daß sie aus allen Schlachten siegreich zurückkehrt. Um ihrer gänzlichen Aufreibung vorzubeugen, dürfte zuletzt die gedemüthigte Parthey wohl um Frieden flehen; so hart auch die Bedingungen wären, die der Sieger ihnen vorschreiben könnte, so dringend würden die unaufhörlichen Verfolgungen, denen sie ausgesetzt wären, und der gänzliche Untergang, der ihrem Stamme drohte, ihnen doch zur Annahme rathen. Der Vortheil und Nutzen, den die stärkere Parthey von der Arbeit ihrer neuen Sklaven einerndten könnte, bewegte sie vielleicht, ihnen das Leben zu schenken, und solchergestalt die Einrichtung ihrer Gesellschaft um ein großes zu verbessern.

Doch dies, wird man sagen, sind bloße Einfälle. Ich muß also darthun, daß sie nicht ohne allen Grund sind. Capitain Cook fand auf der nördlichen Insel von Neuseeland, daß man, in einem Bezirke von mehr als neunzig Englischen Meilen, überall einen obersten Befehlshaber oder König, Namens Teiratu, anerkannteS. Cooks erste Reise, in Hawkesworths Sammlung.. Die unter seiner Oberherrschaft vereinigten Familien, mögen nun entweder von ihm und den seinigen unterjocht worden seyn, oder sich aus eignem Antrieb ihm auf gewisse Bedingungen unterworfen haben, um, als ein größrer Staatskörper, die Vortheile der Sicherheit zu genießen; so ist wenigstens, aus den eben erwähnten NachrichtenEbendaselbst. unläugbar, daß die Unterthanen des Teiratu bereits gewisse Gesetze anerkennen, daß sowol ihre Person, als auch ihr Eigenthum, mehr gesichert ist, daß daselbst die Gerechtigkeit unpartheyischer gehandhabt wird, mithin, daß die Neuseeländer, in den volkreichsten Gegenden ihrer Inseln, im Begriff stehen, von dem heftigen rohen Zustande menschenfressender Barbaren, zu einer glücklichern und ruhigern Lebensart überzugehen. Die Gewohnheit Menschen zu fressen, findet zwar noch unter Teiratu's Unterthanen statt, allein, da sie wegen ihrer innern Einrichtung unter einander schwerlich Krieg führen können, so scheint die Veranlassung zu dieser Gewohnheit blos in der Nachbarschaft anderer Stämme noch würksam zu seyn, übrigens aber wegzufallen.

Denique caetera animantia in suo genere probe degunt; congregari videmus et stare contra diffimilia: leonum seritas inter se non dimicat: serpentum mortus non petit serpentes: ne maris quidem belluae ac piscee, nisi in diversa genua saeviunt; at hercule! homini plurima ex homine sunt mala.

Plinii Hist. Nat. Lib. VII.

Bey Betrachtung dieser verschiedenen Stufen menschlicher Vervollkommnung, müssen wir zuletzt noch die Wege einer allweisen Vorsehung bewundern. Ueberall erreicht sie ihren Endzweck auf die einfachste Art, überall sorgt sie, mit mehr als Vatertreue, für das Glück des Menschengeschlechts! Von ihrer Hand gepflanzt, liegen in der menschlichen Seele, wunderbare Fähigkeiten und Kräfte. Es sey, daß eigne Schuld, oder sonst ein unvorhergesehenes Unglück, ein Völkchen zur untersten Stufe der Ausartung hinabschleudert, und eine Zeitlang darin seufzen läßt; so liegt doch schon der Keim zur künftigen Rettung in jeder Seele, und bürgt dafür, daß das Elend eines solchen Völkchens nicht lange dauren könne. Ein glücklicher Umstand entwickelt jene Kräfte, und sogleich strömt neues leben durch alle Mitglieder dieser kleinen Gesellschaft, verschafft ihnen Mittel aus ihrem Verfall wieder empor zu kommen, und eine bessere Stufe unter den vernünftigen Geschöpfen zu betreten. Auf diese Art kann auch der arme Feuerländer, durch öftern Umgang mit Europäern, durch einen Zufalls wie z. B. die Auffindung des Eisens, oder eines andern Metalls, durch die Entdeckung einer nützlichen Pflanze, durch eine neue bequemere Art, Fische, Vögel und Thiere zu fangen, früh oder spät, in seiner ganzen Art zu seyn, eine große Veränderung erfahren. Veränderte Art des Unterhalts, neue Kleidungsstücke, Waffen, Werkzeuge, neue Sitten und Gebräuche, müssen auf seine Denkart und Handlungen einen entscheidenden Einfluß haben, sein ganzes Gemüth umschmelzen, mit einem Worte, ihn retten, und aus der Dummheit und Trägheit, worin er jetzo stecket, gänzlich befreyen. Wenn neue Ideenverbindungen, neue Begriffe den Verstand erst begrüssen, wenn der Einbildungskraft ein Feld geöffnet wird, wenn Erzählungen geschehener Thaten, wenn Gesänge und Tänze anfangen zu ergötzen, dann erwacht Leidenschaft im Herzen, die große Quelle der Thätigkeit, und ergießt ihr prometheisches Feuer in alle Einrichtungen des gemeinen Wesens, Leidenschaft, die gemisbraucht und nicht in Schranken gehalten, schon oft die schrecklichsten Uebel über die menschliche Gesellschaft verhängte, wird also hier, in der Hand des allweisen Weltherschers, ein Werkzeug das Glück der Völker zu fördern, und sie allmälig zur sanften, stillen Tugend zu leiten. Wunderreicher Gang der Vorsehung! Staunend und anbetend im Staube vor dem Vater aller Seelen, hegt mein Herz den Wunsch, daß doch auch die Menschen, die noch jetzt in widernatürlichem Zustande leben, bald in eine glücklichere Lage kommen mögen, wo Menschlichkeit und brüderliche Liebe alle ihre Handlungen beseelen, und ihnen die Würde wieder schenken möge, die dem edelsten Werte des Schöpfers gebührt!

– Deus ille fuit –
Qui princeps vitae rationem invenit eam; quae
Nunc appelatur Sapientia: quippe per artem
Fluctibus e tantis vitam, tantisque tenebris,
In tam tranquillo, et tam clara luce locavit.
Lucret. Lib.V.


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