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XVIII.
Brüssel.

Bedauernswerthe Lage des brabantischen Volks. Aufwallung über den Brief des Generals van der Mersch. Geschichte seiner Entwaffnung. Schwankendes Betragen der Volkspartei. Aristokratische Verblendung gegen Leopold's Anerbietungen. Zustand der Wissenschaften in Brüssel. Königliche Bibliothek. Verfall der Manufacturen und des Handels. Simon's Wagenfabrik. Beschreibung des Lustschlosses Schooneberg. Allgemeine Liebe des Volks für den Herzog Albert.

Gewöhnlich bedauere ich nicht die unterjochten Völker; ihre Sklaverei sei auf ihrem eigenen Haupte! Gegen die Löwenkräfte des freien Menschen, der seine Freiheit über alles liebt, sind alle Höllenkünste der Tyrannei unwirksam. Der Uebermuth der römischen Eroberungssucht konnte ja nicht einmal das kleine Numantia Der Herausgeber hat hier Numantia an die Stelle des von Forster irrthümlich geschriebenen Saguntum gesetzt. Anmerkung d. Hg. bezwingen. Heldentod in den Flammen und unter den Schutthaufen ihrer einstürzenden Gebäude war der letzte und edelste Sieg dieser echten Republikaner!

Heute dauert mich gleichwol das Schicksal der Brabanter. Unter bessern Führern wären Menschen aus ihnen geworden; der Stoff liegt da in ihrem Wesen, roh, vom Gift einer allzu üppigen Cultur noch nicht durchdrungen, sondern nur das Opfer des unüberwindlichen Betrugs. Heute haben wir sie in einer Aufwallung von republikanischem Geiste gesehen, die gänzlich unvorbereitet und nur desto rührender war. Wir kamen von Schooneberg, dem Landhause der Generalgouverneurs, zurück, und in allen Straßen sahen wir ganze Scharen von Menschen in die Buchläden stürzen und mit unbeschreiblicher Ungeduld nach einem Blatte greifen, das eben jetzt die Presse verließ. Es war ein Brief des Generals van der Mersch an die Staaten von Flandern, worin er ihnen seine Ankunft in Brüssel meldet und auf die strengste Untersuchung seines Betragens dringt. Die Neugier des Publikums spannte um so mehr auf dieses Blatt, da seit einigen Tagen die wüthendsten anonymischen Affichen und Handbillets gegen den General ausgestreut werden, worin er ein Verräther des Vaterlandes genannt und absichtlich zum Gegenstand der allgemeinen Indignation aufgestellt wird. Die lebhafte Theilnahme an seinem Schicksal, die, so verschieden auch der Beweggrund sein mochte, durch alle Klassen der Einwohner zu gehen schien, hatte wenigstens mehr als Neugier zum Grunde und verrieth einen Funken des Freiheitsgefühls, wovon man sich in Despotien so gar keine Vorstellung machen kann. Es war ein erfreulicher Anblick, alles, Alt und Jung, Männer, Weiber, Kinder, Vornehme und Geringe hinzuströmen zu sehen, um die erste Silbe der Rechtfertigung eines Angeklagten zu lesen! Diese Bewegung dauerte mehrere Stunden; die Druckerei konnte nicht schnell genug die hinlängliche Anzahl Exemplare liefern; man riß einander den Brief aus der Hand; man stritt sich, wer das erste von dem neuankommenden Vorrathe besitzen sollte; man drang den Buchhändlern das Geld im voraus auf; man bot doppelte, zehnfache Zahlung und wartete, wie dies unter andern unser eigener Fall war, stundenlang auf einen Abdruck. So ging es fort bis spät in die Nacht.

Van der Mersch ist gestern Abend hier eingetroffen; dies ist der vollendende Schlag, welcher das Gebäude der Aristokratie in den Niederlanden befestigt. Die Armee in Namur war bisher noch immer eine Stütze der Volkspartei geblieben; mit den Waffen in der Hand hatte sie die Bittschrift der patriotischen Gesellschaft gebilligt. Sie war in ihrem Eifer noch weiter gegangen. Eine unbegreifliche Gleichgültigkeit der brabantischen Stände sowol als des mit ihnen einstimmigen, ebenfalls von van der Noot inspirirten Congresses hatte die Armee an allen Bedürfnissen, an Pferden und Geschütz, an Geld, an Lebensmitteln und Kleidungsstücken den äußersten Mangel leiden lassen; ein großer Theil der in Namur liegenden Truppen hatte weder Uniformen noch Schuhe. Vielleicht empfanden die vereinigten Provinzen schon jetzt die große Schwierigkeit, zu den Vertheidigungsanstalten, die ihre Lage erforderte, die nöthigen Summen herbeizuschaffen; vielleicht war auch die verdächtige Treue dieses Heeres die Ursache, daß die Stände säumten und zögerten, um es nicht wider sich selbst zu bewaffnen. Wahr ist es indessen, daß ein allgemeines Misvergnügen unter den Truppen zu Namur ausgebrochen war, daß der Mangel häufige Veranlassung zu den größten Unordnungen und zur Desertion gab, und daß van der Mersch, nachdem seine wiederholten Vorstellungen an den Congreß nichts gefruchtet, den Entschluß gefaßt hatte, seine Befehlshaberstelle niederzulegen. Bei diesen Umständen versammelten sich am 31. März alle Offiziere der dortigen Besatzung und äußerten einmüthig das Verlangen, daß van der Mersch den Oberbefehl der Armee behalten, der Herzog von Ursel wieder an die Spitze des Kriegsdepartements gesetzt werden und der Graf la Marck zum zweiten Befehlshaber ernannt werden möchte. Zugleich schrieben sie an alle Provinzen um ihre Mitwirkung zur Abschaffung der Misbräuche und Wiederherstellung der guten Ordnung. Diese Wünsche mit der am 1. April von dem General erhaltenen schriftlichen Zustimmung überschickten die Offiziere dem Congreß in einem Briefe, worin sie ohne Umschweif behaupten, das einzige Rettungsmittel für den kranken Staat darin gefunden zu haben, daß sie einigen Ehrgeizigen ihre über die ganze Nation usurpirte Macht zu entreißen beschlossen hätten. Um zu gleicher Zeit das Schreckbild einer Nationalversammlung zu entfernen, erschien am folgenden Tage eine Erklärung, welche die nach Namur geflüchteten Patrioten Vonk, Verlooy, Daubremez und Weemaels unterzeichnet hatten, worin sie nochmals versicherten, daß sie in der Bittschrift vom 15. März auf eine Versammlung dieser Art keineswegs angetragen hätten, sondern im Gegentheil auf die Verfassung der drei Stände festzuhalten gesonnen wären, und lediglich eine mehr befriedigende Repräsentation als die jetzige, nach dem Beispiel von Flandern, verlangten. Dieser Erklärung ertheilte die Armee am 3. April ihre Zustimmung. Sie war um so merkwürdiger, da das Project des Congresses, oder, wie er sich selbst nannte, der belgischen Generalstaaten, vom 31. März mit ihr gleichen Inhalt hatte, den einzigen Umstand ausgenommen, daß der Congreß behauptete: noch sei es zu früh, an eine verbesserte Repräsentation zu denken, indem auf die Vertheidigung gegen den auswärtigen Feind alle Kräfte und alle Sorgen gerichtet werden müßten; wenn aber der Zeitpunkt gekommen sein würde, wolle man selbst die Nation dazu auffordern, und mittlerweile wünsche man die Zustimmung und Garantie aller Provinzen zu diesem Entwurfe. Die Stände von Flandern säumten nicht, diesem Vorschlag ihren Beifall zu ertheilen, indem sie sich zugleich vorbehielten, in ihrer Provinz mit der bereits angefangenen Verbesserung der Constitution fortzufahren und sie zu vollenden, ohne die Aufforderung des Congresses abzuwarten. Diese Aeußerung war um so schicklicher, da es mit dem ganzen Vorschlage des Congresses nur darauf angesehen war, dem Volke Staub in die Augen zu werfen, und die Stände von Brabant nicht die geringste Rücksicht darauf nahmen, sondern fortfuhren, ihre vermeinten Ansprüche auf die Souveränetät dieser Provinz geltend zu machen.

Die Nachricht von den demokratischen Gesinnungen der Armee erschütterte nicht nur die Stände von Brabant, sondern auch die bisher so eifrigen Freunde des Generals van der Mersch, die Stände von Flandern. Sie forderten den Congreß auf, alle Kräfte anzustrengen, um die Gefahr abzuwenden, die von dorther dem Vaterlande drohte, und sie waren es auch, welche den Vorschlag thaten, den General nach Brüssel vor den Congreß fordern zu lassen, damit er von seiner Aufführung Rechenschaft gäbe. Im Weigerungsfalle wollten sie ihm die noch kürzlich bewilligte Zulage von 2000 Gulden zu seiner Besoldung entziehen. Die Provinzen hatten ihm ein jährliches Gehalt von 15000 Gulden nebst 10000 Gulden Tafelgeldern zugestanden. Von einer andern Seite erboten sich die beiden patriotischen Freunde, der Herzog von Ursel und der Graf de la Marck in einem Schreiben an den Congreß, sich nach Namur zu begeben und vermittels des Vertrauens, welches ihnen die Armee bezeigt habe, den Ausbruch des Unglücks zu verhüten. Da sie gleich bei ihrer Ankunft das vorhin erwähnte Project des Congresses vom 31. März der Armee bekannt machten, so gelang es ihnen, eine Erlärung unter dem 5. April von derselben und von dem General van der Mersch zu erhalten, worin sie ihre völlige Zufriedenheit mit dem Inhalt dieses Projects in Absicht auf die künftige Reform der Verfassung zu erkennen gaben. Allein van der Noot wußte ein zuverlässigeres Mittel, für die Erhaltung seiner Partei zu sorgen. Er ließ ein Corps von fünftausend Mann, welches bisher in Löwen gestanden hatte und den Ständen von Brabant ergeben war, unter Anführung des Generals von Schönfeld nach Namur marschiren. Van der Mersch, der von dieser Maßregel keine Nachricht aus Brüssel erhalten hatte, rückte mit seiner in drittehalbtausend Mann bestehenden Besatzung dem andern Corps entgegen. Bald erfuhr er indeß durch die an ihn geschickten Adjutanten, daß der Congreß nicht nur diese Truppen beordert habe, sondern daß sich auch deputirte Mitglieder des Congresses an ihrer Spitze befänden, vor denen er sich stellen müsse. Er begab sich sogleich zu ihnen, und da er inne ward, daß der ganze Anschlag hauptsächlich auf seine Person gemünzt war, so beschloß er auf der Stelle, vor dem Congreß in Brüssel zu erscheinen. So vermied er den Ausbruch eines Bürgerkriegs, in welchem Brüder gegen Brüder hätten fechten müssen. Der Herzog von Ursel und der Graf de la Marck haben nur wenige Stunden lang Arrest gehabt und sind wieder auf freien Fuß gestellt. Das ist die Geschichte jenes merkwürdigen Tags, die heute die ganze Stadt beschäftigt. Gestern und vorgestern waren die Nachrichten über dieses Ereigniß noch zu unbestimmt und widersprechend.

Ich kann es der demokratischen Partei nicht verdenken, daß sie hier noch einen Versuch wagte, sich wieder emporzuschwingen. In dem leidenschaftlichen Zustande, den der Parteigeist voraussetzt, den die Treulosigkeit der Gegner unterhält und den die getäuschte Hoffnung so leicht bis zur Wuth erhöht, wäre es unbillig, ganz überlegte, mit kalter Besonnenheit nach dem richtigen Maßstabe der Bürgerpflicht abgemessene Handlungen selbst von edlern und bessern Menschen zu erwarten. Im Gegentheil, je reiner und herzerhebender das Bewußtsein der Demokratenhäupter war; je inniger sie ihre moralische Ueberlegenheit über einen van der Noot und einen van Eupen fühlten, desto flammender mußte ihr Eifer sie begeistern, das bethörte Volk von Brabant aus den Händen solcher Anführer zu erretten. Dies vorausgesetzt, lassen sich auch gewisse Unregelmäßigkeiten leichter entschuldigen, die bei dieser Gelegenheit vorfielen, und deren Verhütung nicht allemal in der Gewalt der Gutmeinenden ist, die sich an die Spitze einer Partei stellen. Unstreitig wagte die Armee einen dreisten Schritt, als sie einige Mitglieder des Congresses, die mit Depeschen nach Namur gekommen waren, gefänglich einzog, ihre Briefe las und sie öffentlich im Druck erscheinen ließ, wenn es gleich die Absicht dieser Emissarien war, ihnen eine Eidesformel hinterlistigerweise aufzudringen, welche die Freiwilligen in Brüssel längst verworfen hatten. Van der Mersch selbst, im Vertrauen auf den Beistand seiner Truppen, sprach am 3. April aus einem Tone, der den Ständen von Brabant feindselig klingen mußte, und es ist noch die Frage, ob er nicht am 5. das Schwert zur Entscheidung gezogen haben würde, wenn nicht van der Noot's Emissarien den Augenblick seines Auszugs aus Namur benutzt hätten, um den Magistrat dieser Stadt umzustimmen und den Pöbel mit einer ansehnlichen Summe, die einige auf fünfzigtausend Gulden angeben, zu erkaufen. Daher fand der General, als er wieder in die Stadt ziehen wollte, die Thore gegen sich und seine Truppen verschlossen, und dieser Umstand, sagt man, bewog ihn zum gütlichen Vergleich. Ebenso wenig läßt es sich leugnen, daß die Reise des Herzogs von Ursel und seines Freundes, in einem Zeitpunkte, wo Vonk und seine Verbündeten sich wirklich schon zu Namur aufhielten, den Anschein hatte, daß es ihnen mehr darum zu thun war, die Gärung der dortigen Armee zu benutzen, als sie stillen zu helfen. Nehmen wir aber an, daß sie gegen die Usurpation der Stände die gute und gerechte Sache zu haben wähnten, wer könnte sie tadeln, wenn sie sich der Mittel bedienten, welche das Schicksal ihnen darbot, um sie geltend zu machen?

Weit schwerer, ich glaube sogar unmöglich wird es sein, sie in einer andern Rücksicht zu entschuldigen. Das Vorurtheil des Volks mußte ihnen ehrwürdig sein, wenn es unheilbar war, wenn sie voraussehen konnten, daß seine Anhänglichkeit an die Stände sich weder durch Gründe, noch durch Gewalt bezwingen ließ; in diesem Falle war folglich ihre Widersetzlichkeit zwecklos und ungerecht. Hatten sie hingegen die Möglichkeit in Händen, durch eine große Anstrengung die aristokratische Tyrannei zu stürzen, so bleibt ihnen ewig die Reue, aus Kleinmuth die Gelegenheit verfehlt zu haben, das Vaterland zum zweiten mal zu befreien. Alle absolute Bestimmungen sind Werke der Speculation und nicht von dieser Welt; hier hängt alles von Verhältnissen und Umständen ab; das Wahre und Gute entlehnt, wie Recht und Gerechtigkeit, seine Farbe von der Zeit und den Dingen. Die Beistimmung der Welt zu unsern Grundsätzen können wir daher nicht erzwingen; allein die Schuld ist an uns, wenn sie unserm Charakter keine Hochachtung zollt. Besser ist es, die Waffen für eine gute Sache nicht ergreifen, als wenn man sie einmal ergriffen hat, nicht lieber mit den Waffen in der Hand zu siegen oder zu sterben.

Wenn uns da noch Unvollkommenheiten betrüben, wo größere und edlere Menschheit uns anzieht, wie werden wir den Blick mit Widerwillen wegwenden von jenen Unglücklichen, deren sittliche Misgestalt kein Zug von guter Bedeutung mildert? Der glückliche Erfolg ihrer Unternehmungen kann aus ihrem Namen die Brandmale nicht tilgen, womit die Wahl der niedrigsten Mittel, Doppelzunge, Arglist, Bestechung, Verrath, Aufwiegelung und Misbrauch der Gottesfurcht des Pöbels, Plünderung und Mord der Bürger, sie gezeichnet hat. Gewiß, die Brabanter sind bedauernswerth, daß Menschen von dieser Gattung ihre Führer geworden sind und ihr ganzes Vertrauen besitzen! Sie waren es, die dem Volk einen so tödlichen Haß gegen die ganze Verwandtschaft seines ehemaligen Fürsten einflößten, daß Joseph's Tod und Leopold's strenge Misbilligung aller seiner Neuerungen noch keinen Eindruck auf die Herzen haben machen können, so empfänglich sonst die unverdorbene Natur des Menschen für sanftere Empfindungen zu sein pflegt, wenn der Tod des Beleidigers Genugthuung gibt und alle seine Schulden tilgt. Die großen Anerbietungen des Königs von Ungarn und Böhmen haben zwar hier in Brüssel und noch mehr in Flandern die Partei der sogenannten Royalisten verstärkt; allein die Masse des Volks hat von seinen Seelsorgern gelernt, den Namen Leopold mit Abscheu zu nennen und mit demselben, wie mit Joseph's Namen, den furchtbaren dunkeln Begriff der Irrgläubigkeit zu verbinden. Diese Schreckbilder mögen hinreichend sein, um den Ständen den Gehorsam der Brabanter zuzusichern; werden sie ihnen aber auch einst Kraft und Muth einflößen, Leopold's Krieger zurückzuschlagen? In der That, der Anblick der Freiwilligen, die wir hier täglich ausziehen sehen, und was wir von dem Zustande der Disciplin und der Taktik bei der Armee vernehmen können, läßt diese Vermuthung nicht aufkommen. Die einzige gegründete Hoffnung der Stände von Brabant und der übrigen Provinzen auf die Erhaltung ihrer Unabhängigkeit liegt in der Eifersucht der Mächte Europas gegen das Haus Oesterreich.

Auf eine oder die andere Art ist diesem zerrütteten Lande die Wiederkehr der Ruhe zu wünschen. Es ist betrübt, zu sehen, wie verscheucht und verwildert alles in wissenschaftlicher Hinsicht hier aussieht. Zwar hatte der fromme Eifer von jeher gesorgt, daß des Guten in diesem Fache nicht zu viel werden möchte. Allein unter dem Prinzen Karl hatten wenigstens die Erfahrungswissenschaften ihre ersten unverdächtigen Blüten gezeigt. Man hatte wol etwas von wunderbaren Bastarden zwischen Kaninchen und Hühnern gefabelt; indeß war doch die Menagerie vorhanden, wo dieses Monstrum, das im Grunde nur das bekannte japanische frisirte Huhn war, unter vielen andern Thieren vorgezeigt ward. Diese Menagerie, das Naturaliencabinet des Prinzen, seine Gemäldesammlung, sein physikalischer Apparat, seine Bibliothek, von dem allen ist kaum noch eine Spur geblieben. Wir besuchten eine sogenannte königliche Bibliothek unter Aufsicht des Abbé Chevalier, die höchstens in zwölftausend Bänden besteht. Die Eintheilung in Theologia, Humaniora, Jurisprudentia, Historia, Scientiae et Artes mag zur Beurtheilung der Ordnung und selbst des Inhalts dienen. In demselben Hause zeigt man auch ein öffentliches Naturaliencabinet in einem dunkeln, einäugigen Zimmer. Es besteht in etlichen Petrefacten und Krystalldrusen, einigen ausgestopften Schlangen und Vögeln, einigen Schubkasten voll Conchylien, Schmetterlingen und Mineralien ohne Ordnung und Auswahl; einem Scharlachrock mit Gold, den einst ein König getragen hat, und einen grönländischem Canot. Dies und einige physikalische Instrumente, die wir in des Abbé Mann Behausung fanden, sind die Reste der großen Sammlung, die Prinz Karl hier angelegt hatte. Die Akademie der Wissenschaften, bei welcher derselbe Abbé Mann der Secretär ist, verhält sich bei den jetzigen Zeitläufen ganz still, wie es Philosophen geziemt: allein sie war immer von friedliebender Natur und hat wenig Aufsehen in der Welt machen, am wenigsten durch ein zu schnell verbreitetes Licht der Vernunft den Glauben gefährden wollen. Herr Mann ist ein Mitglied der erloschenen Gesellschaft, um deren Wiederherstellung man sich in den belgischen Staaten schon so viele Mühe gegeben hat, und außer seinen physikalischen Arbeiten auch durch die Bekehrung des Lord Montague berühmt.

Von dem Verfall der hiesigen Manufacturen habe ich schon bei einer andern Gelegenheit etwas erwähnt. Die englischen und französischen Kamelote haben dem Absatz der hiesigen, die ehemals so berühmt waren, so starken Abbruch gethan, daß es jetzt keine großen Unternehmungen in dieser Gattung von Waaren mehr gibt. Die Quantität der Kamelote, die jährlich fabricirt werden, ist daher nicht mehr so beträchtlich wie ehedem. Von den nicht minder berühmten brüsseler gewirkten Tapeten existirten vor wenigen Jahren noch fünf Fabriken; jetzt ist die des Herrn van der Borght nur noch allein im Gange, und es arbeiten nur noch fünf Fabrikanten darin. Dennoch klagt man über die großen Vorräthe, die dem Eigenthümer auf den Händen bleiben. Die Arbeiter sitzen zwei und zwei an einem Stuhl, wie es bei der Basse-Lisse gewöhnlich ist. Die Tapeten waren schön gezeichnet und mit ungemeiner Präcision ausgeführt. Man zeigte ein vortreffliches Stück nach Teniers, ein anderes nach Lebrun Charles Lebrun aus Paris (1619-90), berühmter französischer Historienmaler. Anmerkung d. Hg. u. s. w. Die Elle von solchen Tapeten kostet zwei Karolin. Von den zwei großen Zuckerraffinerien der Herren Rowis und Danhot, die in ihrer Art gut eingerichtet sind, will ich nichts sagen; aber eine in Europa wahrscheinlich einzige Kutschenfabrik verdient, daß ich sie Dir näher beschreibe. Herr Simon, ihr Eigenthümer, hat gewöhnlich hundert bis hundertundzwanzig Arbeiter, die in weitläufigen, durch große Fenster schön erleuchteten Sälen sitzen und einander in die Hand arbeiten. Die Höhe des Saals erlaubte ihm, eine Galerie oben rundherum zu führen, auf welcher, so wie unten, die Arbeiter um ihre Tische sitzen. Die gegenwärtigen Unruhen haben indessen die Zahl der Arbeiter bis auf die Hälfte vermindert. Alles, was zu einer Kutsche gehört, das Eisenwerk, Leder, Holz, der Lack, die Vergoldung und Farbe, alles wird hier innerhalb des Bezirks dieser Einen Fabrik verfertigt. In den Sälen hangen Tafeln, auf welchen die Gesetze geschrieben stehen, denen sich jeder Handwerker, wenn er hier arbeiten will, unterwerfen muß. Es wird darin bestimmt, wann man sich einfinden, wie lange man arbeiten soll; auf das Ausbleiben, auf überlautes Plaudern bei der Arbeit u. s. w. stehen Geldstrafen; aber dem gesetzmäßigen Betragen wird dagegen auch eine Belohnung zutheil. Der Holzvorrath, den wir hier sahen, ward allein auf achtzigtausend Gulden geschätzt; er bestand unter anderm in einer großen Menge Ahorn aus der Schweiz und einer ansehnlichen Quantität Mahagoni, welches Herr Simon schon deswegen so stark verbraucht, weil er seinen guten Lack auf kein anderes Holz setzt. Die Fasern unsers Buchen- und Rüsterholzes werden unter dem Lack immer wieder sichtbar und machen ihn rissig. Die Schmiede hatte sechs Essen, wovon jetzt aber nur zwei noch brannten. Mit diesen Vorkehrungen verbindet der Eigenthümer die höchste Solidität und Eleganz, ja, was mehr als alles mit Bewunderung erfüllt, einen erfinderischen Scharfsinn, einen mechanischen Instinct möchte ich es nennen, entwickelt und vervollkommnet durch wirkliches Studium der Naturgesetze und der angewandten Mathematik, wodurch die Vertheilung der Lasten zu einem hohen Grade der Vollkommenheit getrieben und der enge Raum einer Kutsche auf eine fast unglaubliche Weise benutzt wird. Für einen Mann, der öfters lange Reisen machen muß, wüßte ich nichts Unentbehrlicheres als einen Reisewagen, wie ich ihn hier gesehen habe, worin man Tisch und Bett und alle ersinnlichen Bequemlichkeiten vereinigt hat. Wenn der arme Li-Bu Im Jahre 1783 litt der englische Schiffskapitän Wilson auf den Pelew-Inseln, einer Gruppe des Stillen Meeres, Schiffbruch. Die Fremden wurden vom König Abba Thule wohlwollend aufgenommen, welcher ihnen sogar seinen Sohn Li-Bu nach England mitgab. Derselbe nahm durch seine Liebenswürdigkeit und kindliche Natürlichkeit sehr für sich ein, starb aber bald. Anmerkung d. Hg. aus den Pelew-Inseln sich schon über eine londoner Miethskutsche ekstasiiren und sie ein Haus zum Fahren nennen konnte, was hätte er nicht beim Anblick dieses Wunderdinges gesagt! Es ist in der That ein angenehmes Schauspiel, den menschlichen Geist auch auf diese Art glücklich gegen Schwierigkeiten kämpfen und sie besiegen zu sehen! Herr Simon pflegt zwanzig bis dreißig Wagen vorräthig zu haben, und alle europäischen Höfe bestellen ihre Galawagen bei ihm. Sein Name stand auf der berüchtigten Proscriptionsliste vom 15. März; denn auch er hatte die Adresse an die Staaten unterzeichnet und war ein so eifriges Mitglied der patriotischen Gesellschaft, daß er bereits unter des Kaisers Regierung hatte die Flucht ergreifen müssen. Die Zerstörung seines Hauses und seiner Fabrik war ihm zugedacht; allein er machte die ernstlichsten Vertheidigungsanstalten und ließ in der Stadt bekannt werden, er habe Pulverminen gelegt und wolle auf den Fall eines Angriffs seine Feuerspritzen mit Scheidewasser laden. Diese schreckliche Drohung war hinreichend, van der Noot's Myrmidonen die Lust zum Plündern hier zu vertreiben. Gleichwol ist Herr Simon um seiner persönlichen Sicherheit willen, vor einigen Tagen, nach dem Beispiele anderer Demokraten, aus dem Lande gegangen.

Es kann nicht fehlen, daß nicht auch der Handel unter der gegenwärtigen Tyrannei der Stände und der gewaltsamen Anstrengung, wozu die Selbsterhaltung sie zwingt, wesentliche Einschränkungen leiden sollte. Die Entfernung eines Particuliers wie Eduard Walkiers, dessen Vermögen man auf dreißig Millionen Gulden schätzt, muß auf die Activität seiner Handelsgeschäfte, mithin auf die ganze Circulation in den Niederlanden, einen nachtheiligen Einfluß haben. Man rechnet, daß Walkiers, um die Revolution in Brüssel am 11. und 12. December vorigen Jahres zu bewirken und d'Alton's Truppen durch Bestechung zu entwaffnen, beinahe eine halbe Million verwendet haben soll. Nächst ihm sind die Herren Overmann und Schumaker die reichsten Kaufleute in Brüssel. Sie bewiesen dem Kaiser, daß sie ihm jährlich gegen funfzigtausend Gulden Abgaben zahlten und den inländischen Fuhrleuten beinahe sechzigtausend Gulden zu verdienen gäben. Romberg, der den Speditionshandel von Brüssel nach Löwen zu verlegen suchte, besteht noch ebenfalls als einer der vermögendsten niederländischen Bankiers. Unser Aufenthalt ist viel zu kurz gewesen, als daß er uns gestattet hätte, in diese mercantilischen Verhältnisse und ihre Verwickelung mit dem politischen Interesse einen tiefern und mehr ins Detail dringenden Blick zu thun. Morgen verlassen wir Brüssel; doch zuvor will ich Dir, so müde ich auch bin, von unserer heutigen Spazierfahrt ein paar Worte sagen.

Eine halbe Stunde vor der Stadt, an dem Kanal von Mecheln, liegt das Lustschloß Schooneberg, bei Laeken, welches wir heute in Augenschein nahmen. Vor acht Jahren erntete man auf dem Platz, den jetzt ein Palast und ein Park mit hohen Bäumen und geschmackvollen Tempeln zieren, noch den herrlichsten Weizen. Der Herzog Albert von Teschen und seine Gemahlin, die Gouvernantin der Niederlande, die Lieblingstochter der Kaiserin Maria Theresia, kauften gleich nach ihrer Ankunft das Landgut, welches diesen Platz occupirt, mit dem alten darauf befindlichen Schlosse, das ihnen zum Absteigequartier diente, so oft sie herauskamen, um den Bau zu dirigiren. Die ganze neue Anlage ist ein Werk des Herzogs, ein herrliches Denkmal seines Geschmacks, seines Kunstgefühls und seines ordnenden Geistes. Nach seinen eigenen Handzeichnungen ward das Schloß in allen seinen Theilen aufgeführt. Es ist ein schön proportionirtes Gebäude mit einer Cupole in der Mitte, die über einem prächtigen Peristyl von zwölf korinthischen Säulen steht. Dieser schöne Saal ist ganz von weißem Stein erbaut, mit Verzierungen nicht überladen, wohl aber reich geschmückt und von den entzückendsten Verhältnissen. Der Fußboden ist mit vielfarbigem Marmor ausgelegt und die Kamine von carrarischem Marmor mit Basreliefs nach den schönsten antiken Mustern meisterhaft verziert. Die Einrichtung und das Ameublement der übrigen Zimmer ist ebenso schön als prächtig und geschmackvoll; besonders sind die Spiegel aus den pariser Gobelins von ungeheuerer Größe. Was mir am meisten gefiel, war die edle, elegante Simplicität der kleinen Privatkapelle; sie ist ein Viereck mit einer halben Kuppel zur Nische, worin eine mit sehr viel Geist gearbeitete und sehr sorgfältig nach einem römischen Original vollendete Muse oder Göttin von carrarischem Marmor, mit Krone und Scepter zu ihren Füßen, unter dem Namen der heiligen Christina, die Hausgottheit vorstellt. Der Bildhauer Leroy in Namur ist der Urheber dieses schönen Kunstwerks. Ueber ihrem Haupte ist ein leuchtender Triangel im Plafond angebracht, und in der Mitte des Zimmers schwebt eine Taube an der Decke, schön gearbeitet und den übrigen reichen, palmyrenischen Verzierungen gar nicht heterogen. Man glaubt wirklich in einem Tempel des Alterthums zu sein, und die Illusion wird noch vollkommener werden, wenn erst statt des hölzernen angemalten Sarkophags, der den Altar vorstellt, einer von Porphyr dastehen wird. Die Stühle und Schirme in mehrern Zimmern hat die Erzherzogin selbst mit reicher Stickerei geschmückt. Nie sah ich eine glücklichere Anwendung der japanischen oder chinesischen Porzellantöpfe, die man gewöhnlich in fürstlichen Palästen antrifft, als hier. Eine große Urne war in herrlich vergoldetes Bronze gefaßt, das sich in ein antikes dreifüßiges Untergestell vom schönsten Geschmack endigte. Ueber derselben stand ein langes, cylindrisches Porzellangefäß, mit dem untern durch die Einfassung verbunden, welche sodann als ein prächtiger Leuchter mit vielen Armen emporstieg und in der Mitte sich in ein Bündel Thyrsusstäbe endigte.

Der Park hat schöne Partien und gab uns einen angenehmen Vorgeschmack des Vergnügens, welches wir in England, dem Vaterlande der wahren Gartenkunst, zu genießen hoffen. Ein gegrabener Kanal, der mit dem schiffbaren Kanal von Vilvoorden zusammenhängt, hat völlig das täuschende Ansehen eines sich schlängelnden Flusses. Die Cascade, die freilich nur vermittels einer Feuermaschine von der neuen Boulton'schen Erfindung Matthew Boulton (Forster schreibt unrichtig Bolton), geb. 1728 zu Birmingham, gest. 1809 zu Soho, war ursprünglich Arbeiter, vervollkommnete die von Watt erfundene Dampfmaschine, deren Erfindung ihm hier irrthümlich zugeschrieben wird, und begründete eine große Maschinenfabrik. Anmerkung d. Hg. spielt, ist kühn und wild, und steht mit einer ebenso schönen unterirdischen Felsengrotte in Verbindung. Der Cylinder der Feuermaschine hat 44 Zoll im Durchmesser, und wenn die Cascade anderthalb Stunden laufen soll, werden 60 Centner Steinkohlen verbrannt. Die botanischen Anlagen zeichnen sich durch Kostbarkeit, vollkommene Erreichung des Zweckes und Seltenheit der exotischen Pflanzen aus. Ein Botaniker würde davon urtheilen können, wenn ich ihm nur einige nennte, die ich in den Treibhäusern sah. Die Orangerie, die Blumenbeete, die Officen, die Menagerie, der chinesische Thurm, sind in ihrer Art zweckmäßig und schön. Der Thurm hat in elf Etagen 231 Stufen und ist über 120 Fuß hoch. Die Aussicht auf dem obersten Gipfel ist unermeßlich: wir sahen den Thurm von St.-Romuald in Mecheln, so trübe auch das Wetter war: wenn aber der Horizont heiter ist, sieht man Antwerpen.

Alles in dieser Anlage verräth nicht blos das Kunstgefühl und den Geschmack der erhabenen Besitzer, sondern auch ihre besondere Liebe für dieses Werk ihrer schönsten Stunden, wo sie ausruhten von der traurigen Geschäftigkeit eines politischen Verhältnisses, welches sie großentheils zu blinden Werkzeugen eines fremden und von ihren Herzen wie von ihrer Einsicht nicht immer gebilligten Willens herabwürdigte. So manche Eigenthümlichkeit in dem Detail der hiesigen Gärten führt ganz natürlich den Gedanken herbei, daß je mehrere von ihren Ideen sich hier realisirten, desto werther auch dieser ländliche Aufenthalt ihnen werden mußte, desto vollkommener und inniger der Genuß eines von den Fesseln der Etikette und der falschen Freundschaft entbundenen Lebens, das ihrem edlem Sinne angemessen war. Ich läugne daher nicht, daß es mich schmerzte, hier sowol als im Schlosse zu Brüssel die Dienerschaft der ehemaligen Generalgouverneurs in voller Arbeit anzutreffen, um alle Mobilien, mit Inbegriff der Tapeten, einzupacken und zufolge einer von den Ständen erhaltenen Erlaubniß außer Landes zu schicken. Der Lieblingswissenschaft der Erzherzogin, der Kräuterkunde, der sie hier mit so großer Freigebigkeit ihre Pflege hatte angedeihen lassen, sollte nun auch dieser Schutz entzogen werden; dergestalt, daß in kurzem keine Spur von dem schöpferischen Geiste übrig sein wird, auf dessen Geheiß diese Steinmassen sich im schönsten Ebenmaße der griechischen Baukunst erhoben und tausendfaches Leben aus allen Welttheilen in diesen Gärten blühte! Dies ist das Schicksal der allzu zarten Blume der Geistescultur; die Sorgfalt und Mühe von ganzen Menschenaltern, sie groß zu ziehen, zerstört ein Hauch der Unwissenheit! Wie viele Jahrhunderte würden wol hingehen müssen, ehe diese feisten Mönche von St.-Michel, von Tongerloo und Everbude, von Gembloux, Grimbergen, St.-Bernard, Vlierbeek und wie die dreizehn Abteien heißen, den echten Menschensinn wiedererlangten, daß es etwas mehr in der Welt zu thun gibt als den Leib zu pflegen und das Gebet der Lippen zu opfern? Ehe sie erkennen lernten, daß.... Nein! wozu sollt' ich die Danaidenarbeit fortsetzen, und berechnen, wann die Unmöglichkeit möglich werden kann? Wer den Genuß kennt, wo Gefühl und Verstand, durch täglichen Kampf und täglichen Sieg bereichert, einander unaufhörlich berichtigen, der darf nicht rechten mit dem Schicksal, welches oft die Völker mitten in ihrer Laufbahn aufhält und ihre Entwickelung zu höhern Zwecken des Daseins eigenmächtig verspätet. Die Menschheit scheint hier nicht reif zu sein zu dieser Entwickelung. Sie ist nicht unempfänglich für das Gute, allein ihr Wille wankt und ihr Geist ist gebunden. Ganz Brabant vergötterte den Herzog Albert; es war nur Eine Stimme über seine Tugend; mitten in den heftigsten Ausbrüchen des Aufruhrs blieb die Liebe des Volks ihm treu und äußerte sich im lauten Zuruf: Albert lebe! Aber nie dachte dieses Volk ohne eigene Energie den Gedanken, sich den Fürsten, den es liebte, statt der Tyrannen zu wählen, die seine Priester ihm gaben.



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