Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

XVII.
Brüssel.

Brabantische Broschüren. Vorgeschlagene Wiedereinsetzung der Jesuiten. Der Abbé Ghesquière. Charakterzüge der Brabanter. Einfluß der Revolution auf die Sitten. Phlegmatisches Temperament. Politik der Nachbarn. Kaiserliche Partei. Die patriotische Gesellschaft und ihre Bittschrift an die Stände. Erzwungene Gegenadresse Walkiers. Mordbrennerei in Brüssel von den Söldnern der Stände. Ihr Sieg über Walkiers. Aufhebung der patriotischen Gesellschaft.

In Paris, wo das Bedürfniß, mit dem Publikum zu sprechen, so allgemein und der leidige Autortrieb so unüberwindlich ist, wird nach Verhältniß der Größe des Orts kaum mehr geschrieben als während der jetzigen Periode in den Niederlanden. Die Pressen überschwemmen täglich die Stadt mit einer Ladung von Pamphlets und fliegenden Blättern, die man, solange das Revolutionsfieber währt, in allen öffentlichen Häusern begierig verschlingt; und obgleich die herrschende Partei nur solche Schriften duldet, die ihrer eigenen Sache das Wort reden, so werden dennoch unter der Hand von den Colporteurs auch die Aufsätze der sogenannten Vonkisten verbreitet. Seitdem wir uns in Brüssel aufhalten, ist kein Tag hingegangen, der nicht etwas Neues in dieser Art hervorgebracht hätte; allein unter dem ungeheuern Wuste von neuen politischen Controversschriften, den wir in den Buchläden ansehen müssen, gibt es auch nicht ein einziges Blatt, das den Stempel eines höhern, über das Gemeine und Alltägliche auch nur wenig erhabenen Geistes trüge. Plumpheit im Ausdruck, der gewöhnlich bis zu Schimpfwörtern hinuntersteigt, ein schiefer oder vollends eingeschränkter Blick, ein mattes, oberflächliches, einseitiges, abgenutztes Raisonnement, und auf der aristokratischen Seite noch zu diesem allem ein blinder Fanatismus, der seine Blöße schamlos zur Schau trägt: das ist die gemeinschaftliche Bezeichnung aller niederländischen Hefte des Tags. Der Stil dieser Schriften ist unter aller Kritik; ein Franzose würde in dem Schwall von Barbarismen kaum seine Sprache wiedererkennen. Ich wüßte nicht, was hier eine Ausnahme verdiente; gewiß nicht das Manifest der Stände von Hennegau, das immer noch vor andern gerühmt zu werden verdient; nicht Linguet's Vertheidigung der Aristokratie, die so schal und dürftig ist, wie der Gegenstand es mit sich bringt; nicht die unzähligen Adressen an das Volk und die Briefe der verschiedenen Demagogen; endlich auch nicht die Manifeste, Edicte und Staatsschriften des Congresses, der Stände und ihrer Minister.

Unter dem Neuen von dieser Art, das mir eben in die Hände fällt, ist aber eine sehr ernsthafte Vorstellung bemerkenswerth, wodurch man bei dem Congreß auf die Wiederherstellung des Jesuitenordens in den Niederlanden anträgt (» Mémoire à leurs hautes et souverains Puissances, Nosseigneurs les Etats-unis des Pays Bas Catholiques, sur le rétablissement des Jésuites 1790.« 8. 48 S.) Ihr Verfasser rügt die Illegalität der Proceduren bei der Aufhebung des Ordens, und erklärt das päpstliche Breve für nichtig und null, sowol was das göttliche als das natürliche, peinliche und geistliche Recht betrifft. Diesen Satz führt er sehr weitläufig und bündig aus; denn im Grunde ist wol nichts leichter als der Beweis, daß Macht und Gewalt in diesem Falle die Stelle des Rechts vertreten haben, wie wohlthätig auch immer die Folgen für die Fortschritte der Erkenntniß gewesen sind. Merkwürdig ist die Stelle, wo der Verfasser diesen Ausspruch von Pius VI. anführt: »indem man die Jesuiten zerstörte, hat man alles zerstört; diese umgestürzte Säule ist die Hauptstütze des Heiligen Stuhls gewesen« (S. 41). Wenn diese Aeußerung so gegründet wäre, als sie auffallend ist, so hat der Heilige Stuhl in der That schon lange sehr unsicher gestanden; denn dieser Orden, so viel Verdienst auch einzelne bessere Mitglieder desselben besaßen, war doch im Grunde wie alle übrigen Mönchsorden einzig und allein auf die Dummheit der Nationen berechnet, und sein Sturz selbst ist der überzeugendste Beweis von der Geringfügigkeit der in ihm vereinigten moralischen Kräfte, von dem Mangel an Geist und an Ausbildung im großen Haufen seiner Glieder. Nichts kann daher den traurigen Zustand der Gemüthskräfte in den Niederlanden anschaulicher und nachdrücklicher schildern, als dieses so lebhaft und dringend geäußerte Bedürfniß des jesuitischen Unterrichts. Man möchte hier wirklich mit einem biblischen Ausdruck ausrufen: »Wenn das Licht, das in euch ist, finster ist, wie groß wird denn die Finsterniß sein!«

Hier habe ich noch einen ähnlichen Fang gethan. Ein gewisser Abbé Ghesquière hat eben eine » Notion succincte de l'ancienne constitution des Provinces Belgiques« drucken lassen, die ich Dir doch bekannt machen muß. Er ist in der That einzig, dieser Abbé, denn er findet die Vorrechte der niederländischen Klerisei ganz klar im Tacitus aufgezeichnet. Tacitus sagt im siebenten Kapitel seines Aufsatzes über die Sitten der Deutschen, daß ihre Könige nicht unumschränkte Herrscher waren ( nec regibus infinita aut libera potestas). Also hatten die Belgier damals einen geistlichen, adelichen und dritten Stand, deren Repräsentanten die königliche Macht in Schranken hielten. Wer wollte die Bündigkeit dieses Schlusses antasten? Wer wollte noch in Zweifel ziehen, was ein gelehrtes Mitglied der seeländischen Akademie vermöge seiner seltenen Gewandtheit in der Auslegungskunst ergründet hat? Den Unglauben hat er indeß vorausgesehen und tritt mit einem zweiten Citat auf, hinter welchem er unüberwindlich ist. Nicht erst im Tacitus, im Julius Cäsar steht schon der Beweis, daß die Staaten von Brabant die rechtmäßigen Souveräne dieses Landes sind. »Der König der Eburonen, Ambiorix«, sagt der erhabene Ueberwinder des Pompejus, »hatte nicht mehr Antheil an den öffentlichen Entschlüssen und Unternehmungen, als die Menge des Volks.« ( Suaque ejusmodi esse imperia, ut non minus haberet in se juris multitudo, quam ipse in multitudinem.) Die Eburonen waren bekanntlich Belgier; die Belgier haben jetzt Bischöfe und Prälaten; also hatten die Eburonen einen Klerus, der zugleich erster Landstand war! Das ist klar wie die Sonne! Und wer es nicht glaubt, der sei Anathema zu Löwen und Douai und überall, wo man Beweise führt wie der fromme Bollandus.

Wenn es wahr wäre, daß die Bataven und Eburonen bereits vor Christi Geburt so christliche Zuchtmeister hatten, so müßte man aufhören, sich über ihren treuherzigen Glauben zu wundern, und vielmehr erstaunen, daß ihnen doch noch mancher Zug von Menschlichkeit geblieben ist. In Ernst, je mehr ich die Brabanter kennen lerne, desto mehr söhne ich mich auch mit ihrer indolenten Gutmüthigkeit aus. Was Gutes an ihnen ist, könnte man mit dem Dichter sagen, ist ihnen eigen; ihre Fehler und Mängel fallen ihren Erziehern zur Last. Das Volk ist bescheiden, gefällig, höflich und selbst dann, wenn es gereizt wird, in seinen leidenschaftlichen Ausbrüchen noch menschlich und schonend. Die Revolution hat diesen Charakter in vielfältigen Beispielen bewährt. Als die Generalgouverneurs flohen, der Minister und der Feldherr des Kaisers durch bewaffnete Bürger vertrieben wurden, blieben ihre Häuser unberührt; niemand versuchte, niemand drohte sie zu zerstören oder auch nur auszuplündern. So oft man es auch dahin zu bringen wußte, daß die niedrigsten Volksklassen in der furchtbaren Gestalt von Aufrührern erschienen und mit allgemeiner Zerstörung drohten, so selten sind gleichwol die Fälle, wo ihrer Wuth ein Mensch geopfert ward. In dem Aufruhr vom 16. März dieses Jahres erbrach der Pöbel fünf Häuser von der demokratischen Partei und plünderte sie; dies war das einzige Beispiel von Zügellosigkeit seit dem Anfang der belgischen Unruhen. Allein dies veranstaltete ein geringer Haufe von etwa dreihundert zusammengerafften Menschen aus den Hefen der Stadt; keinen von ihnen trieb ein lebhaftes Gefühl von vermeintlichem Unrecht dazu an, sondern listige Anführer hatten sie durch Bestechungen und Verheißungen bewogen, eine Plünderung zu unternehmen, wobei für sie sehr viel zu gewinnen und wenig oder nichts aufs Spiel zu setzen war. Dieser verworfene Haufe hätte dennoch die Wohnung des Kaufmanns Chapel gänzlich verschont, wenn nicht in dem Augenblick, da eine beredte Stimme sich zu seinem Vortheil hören ließ, an sein Verdienst um seine Mitbürger erinnerte und bereits Eindruck zu machen anfing, drei Franciscanermönche, die sich in der Mitte des Tumults befanden, die Umstehenden angefeuert hätten, den Mann, der ihre Partei nicht hielt, zu bestürmen. Ein Aeltester von einer der neun Gilden, Chapel's Nachbar, fiel jetzt über dessen Vertheidiger her, warf ihn zu Boden und ließ das Volk, nach seinem Beispiel, ihn zertreten.

Vor den Schreckbildern des gegenwärtigen Zeitpunktes verfärben sich allerdings die Sitten; sie bekommen einen Anstrich von Mistrauen, Zurückhaltung und Strenge. Die Unsicherheit der politischen und bürgerlichen Existenz bringt diese Erscheinungen da hervor, wo sonst die Ueppigkeit ihren Wohnsitz aufgeschlagen zu haben schien. Die Freuden der Tafel sind verschwunden, alle Arten von Pracht und Aufwand eingestellt; genau als ob man zu wichtigern Bedürfnissen Mittel aufsparen müßte oder durch eitles Gepränge die Augen des Volks jetzt nicht auf sich ziehen möchte. Nur Ein Artikel der hier im Schwange gehenden Ausschweifungen konnte keine Verminderung leiden, weil die einzige Subsistenz einer allzu zahlreichen Klasse von Unglücklichen darauf beruht. Auch die Folgen der gar zu ungleichen Vertheilung der Güter, Armuth und Bettelei, mußten in ihrer ganzen Widrigkeit sichtbar bleiben; die Zahl der Bettler steigt, wie die Zahl der Mädchen, die ihre Reize feilbieten, bis in die Tausende. Wahrscheinlich auch in Beziehung auf jene despotischen Naturtriebe, die sich durch eine politische Revolution nicht so leicht wie andere Gattungen des Luxus bannen lassen, ist die Zahl der Modehändlerinnen hier so außerordentlich groß; ich erinnere mich nicht, einen Ort gesehen zu haben, Paris nicht ausgenommen, wo die zum Verkauf und zur Verfertigung des Putzes dienenden Kramläden in allen Straßen so zahlreich wären. Das schöne Geschlecht in Brüssel verdient vielleicht auch den Vorwurf, daß es sich durch öffentliche Unruhen und Calamitäten in den wichtigen Angelegenheiten der Toilette und des Putzes nicht irremachen läßt. Allein ich fange jetzt an, unter der wohlhabenden Klasse einige hübsche Gesichtchen zu entdecken, denen man diese Schwachheit verzeiht; ich sehe einige schlankere Taillen, einige Blondinen von höherm Wuchs. Nur vermißt man den prometheischen Feuerfunken in ihrem Blick; diese schönen Automaten können nur sündigen und beten.

Phlegma und überall Phlegma! Ich behaupte sogar, daß sich dieses charakteristische Phlegma in den Spielen der Kinder auf den Straßen wahrnehmen läßt. Wenigstens ist es merkwürdig, daß wir bisher in allen brabantischen Städten, wo wir gewesen sind, ohne Ausnahme, die Mädchen von sieben bis dreizehn Jahren jeden Abend denselben Zeitvertreib vornehmen sahen: es war das bekannte Hüpfen über ein Seil, welches man sich im Kreise über den Kopf und unter den Füßen wegschwingt. Bald schwang jede ihr Seil für sich allein; bald waren es zwei, die ein längeres Seil um eine dritte bewegten. Diese lebhafte Bewegung ist vermuthlich eine Wirkung des Instincts, der für die Erhaltung eines Körpers wacht, in welchem sonst die Spontaneität fast gar nicht bemerklich ist. Eine weit allgemeinere Erfahrung lehrt, daß gerade die trägsten Kinder, wenn sie einmal in Bewegung sind, am längsten und heftigsten toben. Ich erinnere mich nicht, in Brabant einen Knaben bei diesem Spiele gesehen zu haben, und auch das ist eine Bestätigung meiner Hypothese.

Bei den Erwachsenen ist diese Langsamkeit des Temperaments nicht zweifelhaft, allein sie äußert sich am stärksten in Absicht auf den Gebrauch der Vernunft. Oft haben wir uns über die gleichgültige Ruhe gewundert, womit die Brabanter in die Zukunft sehen. Die Möglichkeit eines österreichischen Angriffs scheint ihnen verborgen zu sein, und fast durchgehends werfen sie jetzt den Gedanken von der Unentbehrlichkeit eines auswärtigen Beistandes sehr weit weg. Vorgestern, als ein Gerücht sich verbreitete, daß preußische Truppen von Lüttich nach Huy marschirten, in der scheinbaren Absicht, sich Luxemburg zu nähern, entstand eine allgemeine Misbilligung dieses Schrittes; so wenig Begriff hatte man von der Wichtigkeit einer Cooperation dieses mächtigen Nachbars mit ihnen gegen ihren ehemaligen Landesherrn. Von den politischen Gesprächen der hiesigen gesellschaftlichen Kreise läßt sich nach dem bisher Gesagten wenig mehr als Ungereimtheit erwarten. Die französische Dreistigkeit, über solche Gegenstände ein eigenes Urtheil zu fällen, zeigt wenigstens, auch wenn es ungehirnt genug klingen sollte, von einer gewissen eigenthümlichen Beweglichkeit der Geisteskräfte. Hier hingegen merkt man es jedem Wort und jeder Wendung an, daß diese Kräfte bisher brach gelegen haben. Könnte man die verschiedenen Urtheile jedesmal bis an ihre Quelle verfolgen, so würde sich's ausweisen, daß sie alle in drei oder vier Köpfen von der einen oder der andern Partei, ja, was noch merkwürdiger ist, zum Theil in fremden Köpfen entstanden sind. Die gewöhnliche Gewandtheit in Vertheidigung selbst angenommener Meinungen, die von einigem Nachdenken unzertrennlich ist, vermissen wir hier in einem kaum glaublichen Grade. Die Eingebungen sind so kenntlich, daß man den Hauch zu bemerken glaubt, mit dem sie aus einem Kopf in den andern übergingen. Die Verfechter der Stände, bei weitem die zahlreichste Partei, führen nur die alte Verfassung und die Joyeuse Entrée im Munde; sie sträuben sich heftig gegen die Freiheit und kennen kein größeres Uebel als eine Nationalversammlung. Umsonst versucht man es ihnen begreiflich zu machen, daß zwischen einer oligarchischen Tyrannei und einer französischen Demokratie noch ein drittes, eine verbesserte Repräsentation des Volks, möglich sei; sie denken nichts bei den Ausdrücken, auf welche sie geschworen haben, und desto gewissenhafter beharren sie darauf. Allein man glaube ja nicht, daß es der blinde Nachbeter in der andern Partei wenigere gibt. Neulich hörte ich einen eifrigen Demokraten sehr ernsthaft behaupten, die neuen belgischen Staaten könnten das aristokratische System nicht behalten, weil es schon in Holland angenommen sei. Also hätte sein Vaterland nach dieser Logik am Ende gar keine Regierungsform bekommen müssen, denn unter den angrenzenden Staaten gibt es auch schon Demokratien und Despotien! In dem heftigen Wortstreit, den man fast täglich an öffentlichen Orten hören kann, werfen die Parteien einander, und wie es scheint mit Recht, gänzlichen Mangel an Grundbegriffen vor; das heißt; aus Erfahrung kennen sie einander genau; doch damit ist dem Uebel nicht abgeholfen. Es ist indeß unleugbar ein gewisser Enthusiasmus vorhanden, der nur darum fremden Impulsionen folgt, weil er mit einer so ungewöhnlichen Leere der Phantasie und einer gänzlichen Unfähigkeit, sich nach eigener Einsicht zu bestimmen, verbunden ist.

Dieser Mangel an Spontaneität ist nirgends offenbarer als in dem entschiedenen Siege der Aristokraten über die demokratische Partei. Van der Noot, der auch in Brabant den Ruf eines mittelmäßigen Kopfes hat, war gleichwol schlau genug, gleich bei der Gründung der belgischen Unabhängigkeit diese Wendung vorauszusehen. Seine Talente machten ihn dort unentbehrlich, wo sie, wie er wußte, immer noch ohne Rivalität hervorleuchteten; allein sie hätten ihn nicht gerettet, wenn er es gewagt hätte, sich dem alles hinreißenden Strome des geistlichen Einflusses zu widersetzen. Um an der Spitze zu stehen und alles, wenn nicht dem Namen nach, doch in der That zu lenken, mußte er also zu dieser Fahne schwören. Der Großpönitentiar von Antwerpen, der so berüchtigte van Eupen, ein Bonze vom gemeinsten Schlage, dessen ganze Superiorität in niedriger Verschmitztheit und heimlichen Ränken besteht, ward sein Vertrauter und Gehülfe. Der schwache Cardinal war alles was man wollte in jedermanns, und blieb es folglich auch in ihren Händen. Die einzelne Stimme des Bischofs von Antwerpen, eines Prälaten, dem man Einsicht und Festigkeit des Charakters zuerkennt, verhallt ungehört im Fauxbourdon Faux-bourdon, pièce de musique dont toutes les parties se chantent note contre note. (»Dictionnaire de l'Académie«.) Ein Musikstück von verschiedenen Stimmen, die einander Note für Note begleiten. (Mozin) Es scheint ein Unisono-Gesang der katholischen Geistlichkeit zu sein. Anmerkung d. Hg. einer Majorität von Mönchen, die im Gefühl ihrer Talentlosigkeit alles der Anordnung ihrer Minister überlassen und nur dafür sorgen, daß ihr heiliges Interesse auf jedem Votum zu oberst schwimmt.

Bei allen Vortheilen, in deren Besitz die Partei der Stände sich behauptet hat, bietet indeß dieses unglückliche Land und vorzüglich die Hauptstadt dennoch das Schauspiel der innerlichen Zerrüttung dar. Das mannichfaltig verschiedene Interesse der Einwohner, die Verbitterung, die bei den Siegern vom Widerstand, bei den Besiegten vom Gefühl des erlittenen Unrechts herrührt; die Eifersucht, womit ein Nachbar den andern belauscht; die Hinterlist, wovon die Stände selbst das Beispiel geben; die Hoffnung endlich, welche den Bedrückten noch immer neuen Zunder gibt und sie auf eine glücklichere Zukunft vertröstet: dies alles wirkt zusammen, um den Niederländern die Früchte ihrer Anstrengung zu rauben und vielleicht in kurzem wieder den Schatten einer Unabhängigkeit zu entreißen, dessen Wesen sie noch nicht besitzen. So empörend auch die Anmaßung der brabantischen Stände scheinen mußte, die sich die gesetzgebende und die ausübende Macht zugleich zugeeignet haben, so unglücklich scheint der Zeitpunkt gewählt, die Rechtmäßigkeit ihrer Forderungen zu untersuchen oder die Verfassung neu zu organisiren. Innere Einigkeit und festes Zusammenstimmen zum gemeinschaftlichen Zwecke der Erhaltung konnte ganz allein das Zutrauen der auswärtigen Mächte gewinnen und die Anerkennung ihrer Unabhängigkeit beschleunigen. Trennung und Zwietracht können allein dem österreichischen Hofe den Weg zur Wiedereroberung der Niederlande bahnen. Nicht umsonst bemerkt man hier noch geheime Emissarien von verschiedenen mächtigen Höfen, statt der öffentlich accreditirten Gesandten, die mit den Generalgouverneurs fast zu gleicher Zeit verschwunden sind. Von einigen Mächten gehen sogar mehrere Personen mit verschiedenen und zum Theil entgegengesetzten Aufträgen herum; Kanzlisten, Kaufleute, Juden correspondiren auf verschiedenen Wegen mit demselben Minister, insofern er hier die aristokratische Partei, dort die Patrioten und noch an einem dritten Ort eine dritte Klasse von politischen Sektirern sondiren läßt. Die Vereinbarung der Moral mit der Politik der Cabinete, deren Möglichkeit ich nicht bezweifeln will, ist wenigstens bis jetzt noch immer Speculation geblieben, wenn man nicht etwa in dem hohen Grade Neuling ist, die öffentlichen Protestationen von Redlichkeit der Absichten, und die Lobsprüche, die mancher Hof, mancher Fürst, manches Departement sich selbst ertheilt, für baare Münze zu nehmen. Thöricht wäre es also, glauben zu wollen, daß irgendein europäisches Cabinet die Ausnahme machen und allein in einem Spiele, wo es darauf ankommt, nach der Regel zu gewinnen, eine zwecklose und ihm selbst nachtheilige Großmuth ausüben werde. Ich erhalte hier Winke und Aufklärungen, die es außer allem Zweifel setzen, daß sowol von einem auswärtigen Erbstatthalter des katholischen Belgien, als auch von einem unabhängigen belgischen Herzoge, aus der Mitte des niederländischen Adels, zu seiner Zeit sehr ernsthaft die Rede gewesen ist. Allein die Auftritte vom 15. bis 19. März, zusammengenommen mit dem, was eben jetzt bei der Armee in Namur vorgeht, müssen, für den gegenwärtigen Zeitpunkt wenigstens, den Eifer der Nachbarn, sich in die belgischen Angelegenheiten zu mischen, bis zur Gleichgültigkeit abkühlen.

Außer den Anhängern der Stände und der Geistlichkeit, außer den Freunden der Demokratie, die aber durch die vorgestern erfolgte Entwaffnung des Generals van der Mersch den empfindlichsten Stoß erlitten haben, gibt es hier noch eine starke kaiserliche Partei, wozu besonders die reichsten Bankiers und Handlungshäuser gehören. Bisher blieben sie hinter der Larve der Demokratie versteckt; allein jetzt ist es gar nicht unwahrscheinlich, daß selbst die eifrigsten Freunde der Volksfreiheit lieber mit den Royalisten die Wiederkehr des alten Systems zu befördern suchen, als unter dem eisernen Scepter der Stände länger geduldig leiden werden. Diese Gesinnung ist wenigstens bei allen Freunden der hohen Häuser Aremberg und Ursel offenbar; sie geben sich kaum noch die Mühe, sie zu verhehlen. Diese beiden Häupter des niederländischen Adels haben sich jederzeit standhaft gegen die Usurpation der Stände erklärt und die Volkspartei mit Enthusiasmus ergriffen; nie haben sie den Ständen den Huldigungseid, wozu man sie bereden wollte, abgelegt und der flüchtige Gedanke einiger Patrioten, dieser Familie den belgischen Fürstenhut zu ertheilen, so fern es auch von der Ausführung war, beruhte wenigstens auf einer wirklichen Anerkennung ihrer persönlichen sowol als ihrer angestammten Vorzüge.

Der Herzog von Ursel diente im kaiserlichen Heere vor Belgrad und Orsova. Als die Revolution ausbrach, suchte der Kaiser ihn durch die schmeichelhafteste Begegnung zu gewinnen, allein umsonst. Der Herzog schlug alle Gnadenbezeigungen aus, eilte nach Brüssel, entsagte allen seinen militärischen Verhältnissen und schickte seinen Kammerherrnschlüssel zurück. Die Stände übergaben ihm das Kriegsdepartement, indem sie ihm den Vorsitz darin ertheilten; sobald er aber merkte, daß ihre Minister es sich anmaßten, auch hier ohne sein Vorwissen Verfügungen zu treffen und ihn von aller eigenen Wirksamkeit auszuschließen – wovon die Ernennung des Generals von Schönfeld zum zweiten Befehlshaber der Armee das auffallendste Beispiel war –, resignirte er sogleich seinen Posten und erklärte sich bald hernach, wie sein Schwager, der Herzog von Aremberg, für die demokratische Partei. Am 8. März, bei der Ablegung des Eides, dessen Abfassung die Parteien heftig erbittert hatte, bis endlich eine von beiden Seiten gebilligte Formel angenommen ward, erwählten die Freiwilligen von Brüssel den Herzog von Ursel mit einstimmiger Acclamation zu ihrem Generalissimus, und zum Zeichen des Friedens umarmte ihn van der Noot auf öffentlichem Markte. Allein am 16., als der Herzog in die Versammlung der Stände ging und Vollmacht forderte, um die Ruhe in Brüssel wiederherzustellen, erhielt er die stolze Antwort, es würde schon ohne sein Zuthun geschehen; und als er vor etlichen Tagen mit dem Grafen Lamarck nach Namur reiste, um die Armee unter van der Mersch zu besänftigen, wurden beide in Verhaft genommen, sobald es dem General von Schönfeld gelungen war, sich Namurs zu bemeistern. Man ist noch ungewiß, ob er sie mit dem General van der Mersch hierher nach Brüssel schicken werde oder nicht.

Dies ist ein Beispiel der Eifersucht, die es den beiden Freunden van der Noot und van Eupen zur wichtigsten Angelegenheit macht, jeden größern Mann, es koste was es wolle, vom Ruder entfernt zu halten. Der Wettstreit mit der demokratischen Partei, in welchem sie die Oberhand behielten, gibt hiervon noch einen vollständigern Begriff und beweist zugleich, wie tief das Volk gesunken sein muß, dem bei einer allgemein bekannten Ruchlosigkeit in der Wahl der Mittel die Augen über das Betragen dieser herrschsüchtigen Menschen dennoch nicht aufgegangen sind. Die Unionsacte war kaum unterschrieben, die Unabhängigkeit der Provinzen kaum feierlich angekündigt worden, als der Ausschuß der Stände schon die Versammlungen der patriotischen Gesellschaft, der man den glücklichen Erfolg der Revolution fast einzig verdankte, unter dem Vorwande der Gehässigkeit und Gefahr geheimer Zusammenkünfte verbieten wollte. Allein damals trotzte die Gesellschaft auf ihre gute Sache: »Den Tag und die Stunde«, ließ man dem Comité zur Antwort sagen, »wird öffentliche Sitzung gehalten; alle ruhigen Bürger, alle Freunde des Vaterlandes dürfen zugegen sein und die Berathschlagungen mit anhören, die nur das allgemeine Wohl zum Ziele haben.« Der Vorwurf des Geheimnisses traf also nicht eine Gesellschaft, welche aus den Bankiers und reichen Kaufleuten, aus dem ganzen nicht repräsentirten Adel, aus den Bürgern mehrerer Städte, verschiedenen Mitgliedern des dritten Standes von Brüssel und den vornehmsten Advocaten dieser Stadt bestand.

Allerdings hatte die Aristokratie wol Ursache, gegen diese Gesellschaft die heftigsten Maßregeln zu ergreifen, wenn sie sich in ihrer angemaßten Oberherrschaft behaupten wollte. Den Patrioten genügte es nicht, den Kaiser vertrieben zu haben; sie wollten Freiheit in den Niederlanden, nicht die alte Tyrannei unter einem neuen Namen. In dieser Absicht entwarfen sie eine Bittschrift an die Stände, welche bald von zwölfhundert der angesehensten Männer in der Provinz unterzeichnet ward. Sie stellten ihnen darin die Nothwendigkeit vor, nach dem Beispiel der Stände von Flandern die Souveränetät des Volks feierlich anzuerkennen, die Finanzadministration zu verbessern und die Lasten des Volks zu erleichtern, das Commerz zu beleben, die Armee zu organisiren, die Preßfreiheit zu bewilligen und alle Stellen und Aemter nur ad interim, bis zur Versammlung der Nation, zu besetzen.

Nie hatten die Forderungen Joseph's II. dem Ansehen der Stände furchtbarer gedroht, als diese Bitten jetzt zu drohen schienen, denen Vonk in seinen » Considérations impartiales sur la position actuelle du Brabant« durch unumstößliche, mit Bescheidenheit und Mäßigung vorgetragene Gründe den größten Nachdruck verlieh. Der erste und fruchtbarste Gedanke, den van der Noot und seine Gehülfen diesem patriotischen Vorhaben entgegensetzten, war natürlicherweise der, daß man suchen müßte, den Eindruck jener billigen und vernünftigen Vorstellungen durch den Einfluß der Geistlichkeit auf die Gemüther zu verwischen, indem man jede Neuerung unter den jetzigen Umständen als gefährlich und feindselig gegen das Vaterland schildern ließe. Es ward sogleich ein Circularschreiben an alle Pfarrer im ganzen Lande erlassen, worin man ihnen anbefahl, eine Gegenadresse an die Stände, welche auf Bestrafung der Neuerer und Störer der öffentlichen Ruhe drang, in ihren Kirchspielen unterzeichnen zu lassen. Zwei brabantische Offiziere reisten mit dieser Adresse im ganzen Lande umher und bedienten sich allerlei unerlaubter Mittel und sogar der Gewalt, um Unterschriften zu erzwingen. Der Kanonikus du Vivier, Secretär des Cardinals, arbeitete mit einem frommen Eifer zu demselben Zweck; und solchergestalt brachte man in kurzer Zeit die Namen von 400000 Brabantern zusammen, welche diese Gegenadresse unterstützten.

Durch diese Spiegelfechterei ließ sich indeß die patriotische Gesellschaft nicht irremachen, vielmehr setzte sie ihre Versammlungen fort und bemühte sich, ihre republikanischen Grundsätze in ein helles Licht zu stellen. Die sechs Compagnien von Freiwilligen, welche zu den fünf sogenannten Sermens oder Bürgerinnungen von Brüssel gehörten und keineswegs die Oberherrschaft der Stände begünstigten, waren vielleicht den Aristokraten vor allen übrigen Einwohnern furchtbar, weil sie die Waffen trugen und die Sicherheit der Stadt ihnen allein anvertraut war. Sie durften nur wollen und die ganze oligarchische Tyrannei verschwand. Um sich ihrer zu versichern, ward ihnen am 6. Februar ein Eid deferirt, den sie den Ständen, als ihrem rechtmäßigen Landesherrn, leisten sollten. Eduard von Walkiers, ein reicher Bankier, der unter der vorigen Regierung den Titel eines Vicomte erhalten hatte, widersetzte sich dieser Zumuthung als Aeltester ( doyen) der Innung von St.-Sebastian und Chef der einen zu dieser Innung gehörigen Compagnie von Freiwilligen. Auch die übrigen Compagnien weigerten sich, diese Eidesformel anzunehmen, die ihre Absicht gar zu deutlich an der Stirne trug. Van der Noot sah sich also genöthigt, einen günstigem Zeitpunkt abzuwarten.

Mittlerweile kehrte der Herzog von Aremberg aus dem südlichen Frankreich in sein Vaterland zurück und nahm am 10. Februar von den sämmtlichen Freiwilligen, die auf dem großen Platze vor dem Rathhause versammelt waren, den Ehrennamen ihres Élu des élus (Erwählten der Erwählten) unter lauten Freudensbezeigungen des Volks an. Am folgenden Tage leistete er in dieser Eigenschaft den Bürgerinnungen einen Eid, aber nicht, wie man auch von ihm gefordert hatte, den Ständen, deren Rechtmäßigkeit er zu gleicher Zeit in Zweifel zog. Ohne der patriotischen Gesellschaft förmlich beizutreten, billigte er nebst seinem Bruder, dem Grafen de la Marck nicht nur alle ihre Schritte, sondern äußerte auch bei mehrern Gelegenheiten seine ausgezeichnete Hochachtung für verschiedene Mitglieder dieses demokratischen Bundes und namentlich für den Advocaten Vonk, den eifrigen Verfechter der Volksfreiheit.

Von diesem Augenblick an erhob die demokratische Partei das Haupt und schien sich mit großen Hoffnungen zu schmeicheln. Die patriotische Gesellschaft wählte Herrn Vonk zu ihrem Präsidenten; sie wählte einen Secretär, sie führte nach dem Beispiel ähnlicher Clubs in England und Frankreich eine gewisse Ordnung ein, nach welcher ihre Versammlungen gehalten wurden, sie entschied über die vorkommenden wichtigen politischen Fragen durch Mehrheit der Stimmen, und ließ die Generale van der Mersch, de Rosières und Kleinberg durch eine Deputation feierlich zum Beitritt einladen. Alles schien zu erkennen zu geben, daß sie sich für eine Copie der französischen Nationalversammlung und vielleicht sogar für das Vorbild einer niederländischen angesehen wissen wollte. Desto unglücklicher war es für sie, wenn ihre Absichten wirklich rein und auf das wahre Wohl des Vaterlandes gerichtet waren, daß ein unreifer Enthusiasmus in einigen Köpfen brauste, und am 25. Februar, an dem Tage, nachdem der General van der Mersch ganz unverhofft in Brüssel von der Armee eingetroffen war, einen Auflauf bewirkte, wobei es auf nichts Geringeres als eine Gegenrevolution angesehen schien. Ein dunkles Gerücht verbreitete sich am Abend des 21. durch die ganze Stadt, daß man eine neue Cocarde – die Cocarde der Freiheit wurde sie emphatisch genannt – in der Kirche zu St.-Gudula aufstecken wolle, und dabei sagte man sich die Absicht ins Ohr, die Stände müsse man vom Ruder des Staats entfernen. Am folgenden Morgen, strömte alles nach St.-Gudula, und Eduard Walkiers versammelte, auf allen Fall, seine Compagnie. Diesmal zitterten die neuen Minister für ihre politische Existenz. Die ehrwürdige Stimme des Priesters war nochmals ihre einzige Zuflucht; sie schickten dem Pfarrer der Hauptkirche diese schriftlich abgefaßte Erklärung: »Wir Unterzeichneten versichern, daß das Manifest des brabantischen Volks nach allen Stücken seines Inhalts befolgt werden soll; daß alles, was vorgeht, im Namen des Volks geschieht, in welchem die Souveränetät inwohnend ist und wogegen die Stände sich nie etwas haben anmaßen wollen.« Van der Noot und van Eupen hatten diesen Aufsatz eigenhändig unterschrieben und der Pfarrer las ihn von der Kanzel ab. Eine so unerwartete Nachgiebigkeit von seiten der Stände veränderte plötzlich die Stimmung des zusammengerotteten Volks, und beim Weggehen aus der Messe, anstatt die Aristokratie zu bestürmen, fielen einige fanatische Köpfe über einen demokratisch gesinnten Offizier her, den Walkiers aber mit seinen Freiwilligen sogleich aus ihren Händen riß. In der Kirche hatte hier und dort einer versucht, die neue Cocarde aufzustecken, und einige wurden in Verhaft genommen, bei denen man sie in der Tasche fand. Noch jetzt ist es daher gefährlich, sich mit einer andern als der echten brabantischen dreifarbigen Cocarde sehen zu lassen; und es ist uns selbst widerfahren, daß ein Freiwilliger uns höflich anredete, wir wären vermuthlich Fremde und wüßten nicht, daß das weiße Bändchen an unserer Cocarde verboten sei.

Niemand in Brüssel wollte etwas um diesen Auflauf gewußt haben; man setzte ihn auf Rechnung der Royalisten, denen man die Absicht beimaß, sie hätten dadurch alles in Verwirrung bringen wollen; als ob durch diese Verwirrung, zu einer Zeit, wo keine österreichischen Truppen sie benutzen konnten, etwas für die Sache des Kaisers wäre gewonnen worden? Den Ständen und ihren Ministern schien der Schlag von einer ganz andern Seite her zu kommen; allein ohne die deutlichsten Beweise war jetzt eine öffentliche Beschuldigung von dieser gehässigen Art nicht rathsam. Zudem stand ihnen Walkiers mit seinen Freiwilligen und seinem thätigen, unternehmenden Geist überall im Wege. Gern hätte man ihm diesen Auftritt vom 25. Februar schuldgegeben; es wurden sogar in dieser Absicht Briefe zwischen dem Kriegsdepartement und ihm gewechselt; allein diese Correspondenz schlug ganz zu seinem Vortheil aus, indem er den Winken und Anspielungen der Ministerialpartei den Ton eines beleidigten Mannes, der seiner guten Sache gewiß ist, mit allem Trotze dieses Bewußtseins entgegensetzte. Die eben bekannt gewordene nachdrucksvolle Remonstranz der demokratischen Partei an die Stände, worin man ihnen nochmals vorhält, daß die gesetzgebende und die vollziehende Macht ohne Gefahr für den Staat nicht länger in Einer Hand vereinigt bleiben dürfen, gestattete jetzt keine andern als indirecte Maßregeln gegen einen so mächtigen Feind. Man wußte den Stadtmagistrat dahin zu bewegen, daß er am 28. Februar die Compagnie von Walkiers aufhob, unter dem Vorwande, daß jeder Serment deren nur Eine haben könne; allein die Freiwilligen eilten am folgenden Morgen mit Ungestüm auf das Rathhaus, und auf ihre Vorstellung nahm der Magistrat seine Verordnung zurück. Walkiers, an dem die Reihe war, zog mit den Seinen auf die Wache und triumphirte im lauten Beifall des Volks.

Es war nunmehr nöthiger als jemals, die Freiwilligen beeidigen zu lassen. Man berathschlagte sich über die zu adoptirende Formel, und van der Noot bot die Hände zu einem Vergleich mit der patriotischen Societät. So wichtig schien diese Ceremonie in den Augen aller, daß man nicht Behutsamkeit genug anwenden zu können glaubte, um keine Zweideutigkeit übrigzulassen, hinter welche sich die eine oder die andere Partei flüchten könnte. Endlich, nachdem man mehr als Einen Vorschlag verworfen, nachdem van der Noot vergebens die versammelten Freiwilligen auf dem großen Platze haranguirt hatte, ward eine ganz kurze Formel in allgemeinen Ausdrücken adoptirt, die alles so unbestimmt ließ, wie beide Parteien es wünschen konnten, um bei einer scheinbaren Uebereinkunft sich zu überreden, man habe auf keinen Anspruch Verzicht gethan. Diese Feierlichkeit, wobei sich, wie ich Dir schon erzählt habe, der Herzog von Ursel und van der Noot zum Zeichen der Versöhnung beider Parteien umarmten, ward am 9. März vollzogen, und gleich darauf wies auch der hohe Rath oder Justizhof von Brabant die Bitte um Aufhebung der patriotischen Gesellschaft als unstatthaft zurück. Dagegen aber cassirte der Congreß, als Souverän der Niederlande, bereits am 13. März ein Regiment von besoldeten Truppen, welches den Einfall gehabt hatte, nach dem Beispiel der Freiwilligen, dem Volke den Eid der Treue schwören zu wollen.

Walkiers hatte indessen den Ehrgeiz der Minister und der Stände zu tief beleidigt, und sein hochfliegender Patriotismus war ihnen zu furchtbar geworden, als daß sie nicht vor allem seinen Sturz hätten beschließen sollen. Man griff ihn von der einzigen Seite an, wo er verletzbar blieb, das ist: man wirkte durch eine Ueberschwemmung von fliegenden Blättern und durch öffentlich ausgestreute Beschuldigungen auf die Leichtgläubigkeit des unwissenden und immer noch von Priestern beherrschten Volks. Es gelang den Emissarien der Geistlichkeit und der Aristokratie, den Samen des Mistrauens unter die Bürger von Brüssel und sogar unter die Freiwilligen auszustreuen; es gelang ihnen, sie zu trennen, indem man den Grund einer verabscheuungswürdigen Verschwörung aufdeckte, einer Verschwörung, wodurch eine geringe Anzahl von Ehrgeizigen, unter dem Vorwand, das Volk in seine Souveränetätsrechte einzusetzen, sich selbst der Regierung zu bemächtigen gedächten. Walkiers, sagte man, sei das Haupt des Complots; die Offiziere der Freiwilligen wären seine Verbündeten, und eine Nationalversammlung, die man berufen wolle, würde nur als Werkzeug ihrer Tyrannei, nach dem Beispiel der französischen, alle Rechte der Bürger umstoßen, die Altäre berauben und die heiligen Diener der Religion mishandeln.

Hatte denn, wirst Du fragen, das Volk von Brüssel in einer so langen Periode von politischer Gärung noch nicht gelernt, gegen Verleumdungen auf seiner Hut zu sein und seinen Verdacht aus reinern Quellen als den Broschüren des Tags zu schöpfen? Hatte es noch nicht Gelegenheit genug gehabt, den Charakter der verschiedenen Häupter der Parteien zu ergründen, und ein Urtheil über sie zu fällen, welches nicht von jedem Hauche verändert werden konnte? Unstreitig muß sich jedem Unparteiischen bei einer so plötzlichen Umstimmung der Gemüther der Gedanke lebhaft vergegenwärtigen, daß gerade die Wahrscheinlichkeit der Beschuldigung diese große Wirkung hervorgebracht habe. Auch ohne etwas von wirklich vorhandenen geheimen Absichten, von einem trüglichen dessous des cartes zu ahnen oder zu glauben, konnte gleichwol die Schilderung wahr und treffend sein, die man im voraus von einer niederländischen Nationalversammlung entwarf. Sie mußte, wenn sie Gutes bewirken wollte, die bisherige Verfassung vernichten und die Misbräuche ausrotten, welche der moralischen Freiheit, dieser einzig wahren Quelle der bürgerlichen, entgegenwirkten; sie wäre folglich dem Klerus und besonders der Ordensgeistlichkeit furchtbar geworden. Nach dem Zustande der Aufklärung in den belgischen Provinzen und nach der Seltenheit gründlicher Einsichten und großer Talente zu urtheilen, war endlich auch, ohne dem Patriotismus der Demokraten zu nahe zu treten, die Prophezeiung, daß die Nationalversammlung nur ein Instrument in den Händen weniger Demagogen werden könne, die unverdächtigste Lobrede aus des Feindes Mund auf das Verdienst und die Fähigkeiten eines Walkiers, eines Vonk und der übrigen Häupter der patriotischen Gesellschaft.

Unter den jetzigen Umständen war die ausgestreute Besorgniß, daß die Religion in Gefahr sei, gleichsam eine Losung für die Majorität der Bürger von Brüssel, die demokratische Partei zu verlassen und für die Erhaltung des einmal bestehenden Regierungssystems zu eifern. Kaum war van der Noot dieser Stimmung gewiß, so sprang die Mine, die er seinen Nebenbuhlern bereitet hatte. Es kam jetzt darauf an, welche Partei der andern zuvorkommen würde, und er hatte seine Maßregeln so gut berechnet, daß er sein Vorhaben ausführte, ehe die Armee die Bewegungen in Brüssel unterstützen konnte. Am 15. März überreichte die patriotische Gesellschaft den Ständen eine Bittschrift, worin sie zwar sehr bescheiden, jedoch mit Ernst auf eine neue Organisation der Verfassung antrug und den Ständen gleichwol, wegen ihres bekannten Widerwillens gegen eine Nationalversammlung, die Art der Zusammenberufung der Volksrepräsentanten gänzlich anheimstellte. Diese Bittschrift war kaum überreicht und gelesen, so verbreitete man im Publikum ein Verzeichniß der Störer der öffentlichen Ruhe, deren ganzes Verbrechen in der Unterzeichnung jenes Aufsatzes bestand, welchen man sich indeß wohl hütete, durch den Druck bekannt zu machen. Dagegen aber las man an den Kirchthüren überall einen Anschlagzettel, worin man das Volk aufforderte, sich am folgenden Morgen um neun Uhr zu versammeln, indem eine Verschwörung wider den Staat und die Religion im Werke sei. Aehnliche Zettel verurtheilten die Herzoge von Aremberg und Ursel, den Grafen la Marck, Eduard Walkiers, Vonk, Herries und Godin zum Laternenpfahl. Früh am 16. erschien der Pöbel und insbesondere die Bootsknechte, Träger und anderes Gesindel, welches sich in der Nähe des sogenannten Hafens aufhält und unter dem Namen capons du rivage bekannt ist, vor dem Rathhause, unter Anführung der beiden Ehrenmänner, die vor einiger Zeit so viele Unterschriften für die berüchtigte Gegenadresse eingetrieben hatten. Die Gildemeister standen auf den Stufen und schwenkten dem Haufen, der den Staaten und van der Noot ein Vivat über das andere brachte, mit Hüten und Schnupftüchern Beifall zu. Auf dieses Signal ging die Plünderung der Häuser an, welche man zuvor zu dem Ende gezeichnet hatte. Der Kaufmann Chapel kam mit eingeworfenen Fenstern und Thüren davon: hingegen fünf andere Häuser wurden nicht nur erbrochen und gänzlich verwüstet, sondern auch in einem der Besitzer tödlich verwundet. Walkiers mit seinen Freiwilligen gab verschiedentlich Feuer auf diese Banditen: allein die andern Compagnien, anstatt ihn zu unterstützten, drohten vielmehr, ihre Waffen gegen ihn zu kehren.

Am 17. erkaufte van der Noot die Ruhe der Stadt von den Plünderern mit einem Versprechen von dreitausend Gulden, die ihnen richtig ausgezahlt wurden; allein noch nicht zufrieden mit diesem Opfer und ihrer Instruction getreu, forderten sie den Kopf ihres Widersachers, Walkiers. Man lud ihn in der Dämmerung vor die versammelten Stände, stellte ihm vor, seine Compagnie habe den Haß des Volks auf sich gezogen, und bewog ihn durch diese bloße Vorstellung, sie abzudanken. Van der Noot geleitete ihn mitten durch den aufgebrachten Pöbel nach Hause. In derselben Nacht verließ er Brüssel, und mit seiner Abreise erlosch die letzte Hoffnung der Demokraten. Der hohe Rath von Brabant publicirte noch an demselben Tage das Aufhebungsdecret der patriotischen Gesellschaft, und ihre Häupter entflohen theils zur Armee in Namur, theils nach Lille im französischen Flandern. So gewaltsam dieses Mittel auch war, wodurch die Stände über die Freunde der Volksfreiheit den Sieg behielten, so hätte man es ihnen dennoch in einer solchen Krise verziehen, wenn nur auch ihre Regierung von nun an die wohlthätigen Wirkungen geäußert hätte, um derentwillen es sich verlohnte, dem Kaiser die Oberherrschaft zu entreißen. Allein von einer so übel organisirten Versammlung durfte man sich keinen edeln Gebrauch der Kräfte versprechen. Sie benutzte den ersten Augenblick, in welchem sie sich ohne Nebenbuhler fühlte, um vermittels tyrannischer Maßregeln die Möglichkeit eines abermaligen republikanischen Kampfes zu verhüten. Die Preßfreiheit, das Palladium freier Völker, ward unverzüglich abgeschafft; eine strenge Büchercensur wachte für die Erhaltung politischer und geistlicher Finsternisse, und das Verbot aller auswärtigen Zeitungen, welche demokratische Grundsätze begünstigten, krönte diese des 18. Jahrhunderts unwürdigen Verordnungen. Der Schleier des Geheimnisses deckt alle Berathschlagungen der gesetzgebenden Macht; feindseliger Haß verfolgt die Ueberreste der patriotischen Gesellschaft; aus Furcht vor strenger Ahndung werden die Namen Vonk, Walkiers, Ursel und la Marck an öffentlichen Orten nicht ausgesprochen, und der Enthusiasmus, der noch glüht und noch zuweilen ein paar hitzige Disputanten aneinanderbringt, wird allmählich erkalten und in jene todte Gleichgültigkeit gegen das gemeine Beste ausarten, welche überall herrschen muß, wo nicht von den Gesetzen, sondern von der Willkür und den Leidenschaften der Regenten das Leben und das Eigenthum des Bürgers abhängt.



 << zurück weiter >>