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V.
Düsseldorf.

Anblick von Köln. Pöbel und Geistlichkeit. Bettelei und Intoleranz. Pferdeknochen unter den Gebeinen in der Ursulakirche. Klimatischer Unterschied in der Religion. Kreuzigung Petri von Rubens. Neuangelegte Stadt bei Düsseldorf. Ueber die Regierungskunst und über Regentenkünste. Kloster la Trappe.

Das finstre, traurige Köln haben wir recht gern verlassen. Wie wenig stimmt das Innere dieser weitläufigen, aber halb entvölkerten Stadt mit dem vielversprechenden Anblick von der Flußseite überein! Unter allen Städten am Rhein liegt keine so üppig hingegossen, so mit unzähligen Thürmen prangend da. Man nennt sowol dieser Thürme als überhaupt der Gotteshäuser und Altäre eine so ungeheuere Zahl, daß sie meinen Glauben übersteigt. Gleichwol ist neben so vielen kein Plätzchen mehr übrig, wo die Christen, die den Papst nicht anerkennen, ihre Andacht frei verrichten dürften. Der Magistrat, der den Protestanten bereits die freie Religionsübung innerhalb der Ringmauern bewilligt hatte, mußte seine Erlaubniß kürzlich wieder zurücknehmen, weil der Aberglaube des Pöbels mit Aufruhr, Mord und Brand drohte. Dieser Pöbel, der beinahe die Hälfte der Einwohner, also einen Haufen von zwanzigtausend Menschen ausmacht, hat eine Energie, die nur einer bessern Lenkung bedürfte, um Köln wieder in einiges Ansehen zu bringen. Traurig ist es freilich, wenn man auf einer Strecke von beinahe dreißig deutschen Meilen so manche zum Handel ungleich vortheilhafter als Frankfurt gelegene Stadt erblickt, und es sich nun nicht länger verbergen kann, daß mehr oder weniger ebendieselben Ursachen überall dem allgemeinen Wohlstande kräftigst entgegengewirkt haben, der sich nur in Frankfurt entwickeln konnte.

In Köln sollen viele reiche Familien wohnen; allein das befriedigt mich nicht, solange ich auf allen Straßen nur Scharen von zerlumpten Bettlern herumschleichen sehe. So oft ich hingegen nach Frankfurt komme, weide ich mich mit herzlichem Genuß am Anblick des gemeinen Mannes, der fast durchgehends geschäftig, reinlich und anständig gekleidet ist. Der Fleißige, der seine Kräfte rechtschaffen anstrengt, um hernach seines Erwerbes froh zu werden, ihn mit den Seinigen zu theilen, regelmäßig mit ihnen einfache gute Kost zu genießen und mit ganzem Rock zu erscheinen – dieser Arbeitsame ist unstreitig sittlicher, gesunder und glücklicher als der Müßiggänger; er ist ein Mensch, wo dieser nur ein Thier und zwar mit menschlichen Anlagen ein desto gefährlicheres Thier ist. Bekanntlich geht die Unsittlichkeit der Bettler in Köln so weit, daß sie den Müßiggang systematisch treiben und ihre Plätze an den Kirchthüren erblich hinterlassen oder zum Heirathsgut ihrer Töchter schlagen. In der Osterwoche ist es gewöhnlich, daß die Armen, die sich schämen, öffentlich zu betteln, in schwarze Kittel vermummt und mit einem Flor über dem Gesicht auf die Straße gehen, niederknien, den Rosenkranz beten und die Vorübergehenden um Almosen anrufen. Man nennt diese Leute hier mit einem eigenen Namen »Kappengecken«, und ihr widerlicher Aufzug ist so auffallend, daß die halbnackten Straßenkinder ihre zerrissenen Hemdchen sich über den Kopf schlagen, um ihnen diese Mummerei nachzumachen.

Wer begreift nicht, daß die zahlreiche Bande von sitten- und gewissenlosen Bettlern, die auf Kosten der arbeitenden Klasse leben, hier den Ton angeben muß? Allein da sie träge, unwissend und abergläubisch ist, wird sie ein Werkzeug in der Hand ihrer theils kurzsichtigen, sinnlichen, theils ränkevollen, herrschbegierigen Führer. Die Geistlichen aller Orden, die hier auf allen Wegen wimmeln und deren ungeheuere Menge auf einen Reisenden immer einen unangenehmen Eindruck macht, könnten zur Moralität dieser rohen, ungezügelten Menge auf das heilsamste wirken, könnten sie zum Fleiß, zur Ordnung anführen und ihnen billige Gesinnungen gegen ihre andersdenkenden Mitbürger, ein Gefühl von Ehre und Schande, von Eigenthum und Recht einimpfen. Dies und noch weit mehr könnten, sollten sie thun, da sich ihr Stand nur durch diese Verwendung für das gemeine Beste zur Existenz legitimiren kann. Allein sie thun es nicht und – sind! Die Bettlerrotten sind ihre Miliz, die sie am Seil des schwärzesten Aberglaubens führen, durch kärglich gespendete Lebensmittel in Sold erhalten und gegen den Magistrat aufwiegeln, sobald er ihren Absichten zuwiderhandelt. Es ist wol niemand so unwissend, daß er noch fragen könnte, wer den Pöbel gereizt habe, sich der Erbauung eines protestantischen Gotteshauses zu widersetzen?

Soeben sind auch von der kölnischen Klerisei an ihren Kurfürsten Vorstellungen ergangen, worin er im Namen der echten rechten Lehre aufgefordert wird, dem Professor der Philosophie in Bonn den Gebrauch des Feder'schen Johann Georg Heinrich Feder, geb. 1740 bei Baireuth, gest. 1821 in Hannover, seinerzeit hochgeachteter Professor der Philosophie zu Göttingen: »Praktische Philosophie« (1770); »Ueber den menschlichen Willen« (1779) u. a. Anmerkung d. Hg. Handbuchs bei seinen Vorlesungen zu untersagen. Unter andern Argumenten heißt es in ihrer Schrift, daß Feder von den Protestanten selbst für heterodox gehalten werde: eine Behauptung, die im protestantischen Deutschland unerhört ist, da es schon im Wesen des Protestantismus liegt, daß darin die verabscheuungswürdigen Unterschiede von Orthodoxie und Heterodoxie gar nicht stattfinden können. Wie es scheint, erlaubt man sich also in Köln den Grundsatz, daß gegen den Feind alle Vortheile gelten; und in einer Sache, wo es keinen haltbaren Grund gibt, in der Sache geistlicher Verfolgungssucht, ist freilich das schlechteste Argument so viel werth wie jedes andere, sobald man es nur geltend machen kann. Der Gewissenhafte, der sich bemüht, der strengen Wahrheit und der Vernunft treu zu bleiben, kommt gegen einen Widersacher nicht auf, welcher wissentlich zu täuschen und zu übertäuben sucht und zu seinem Zwecke alle Mittel für erlaubt hält.

Die Zeiten, sagt man, sind vorbei, da der Scholastiker fragen durfte, was Aristoteles von diesem oder jenem Geheimnisse der katholischen Lehre, zum Beispiel von der Jungfrauschaft der Mutter Gottes, gehalten habe. Ich hingegen behaupte, daß diese Zeiten nie ganz aufhören können, solange es kein Mittel gibt, den Menschen Ehrfurcht gegen das Edelste, was ihrer Natur zum Grunde liegt, gegen ihre eigene Vernunft einzuflößen. Wo diese Ehrfurcht fehlt, da wird man sich immerfort Ungereimtheiten erlauben, da wird man, sobald politische Verhältnisse es gestatten, intolerant sein und die Gewissen mit Zwang beherrschen wollen. Wenn nicht diese verkehrte Herrschbegierde die Triebfeder der widersprechendsten Aeußerungen wäre, so müßte man sich ja wundern, wie es nur möglich ist, daß irgendeiner Geistlichkeit nicht alle philosophischen Lehrbücher höchst gleichgültig sein sollten. Die Philosophie muß sich schlechterdings nur auf das Begreifliche, auf das Erweisliche einschränken; da hingegen die Theologie unbegreifliche Mysterien lehrt, welche nicht demonstrirt, sondern geglaubt werden müssen, vermittels eines Glaubens, der die unbedingte Gabe der Gottheit ist. Soll man nun doch das Unbegreifliche demonstriren, das heißt begreiflich machen? Einen plattern Widerspruch gibt es nicht.

Wie mag es aber wol kommen, daß man heutigentags zu solchen Widersprüchen seine Zuflucht nimmt? Soviel ich sehe, liegt eben darin ein auffallender Beweis der Schwäche, deren sich die Herren bewußt sein müssen. Wenn man versinken will, hascht man begierig auch nach dem Strohhalm, der doch niemand retten kann. Ehedem verfuhren sowol die weltlichen als die kirchlichen Despoten ganz anders. Sie ließen es ihre geringste Sorge sein, die Vernunft mit ihren Aussprüchen in Harmonie zu bringen, brauchten Gewalt, wo sie ihnen in die Hände fiel, und erstickten dann die Keime des Denkens. Aber hier und dort ist ihnen ein Samenkörnchen entgangen und zu einem schönen Baume aufgesproßt, unter dessen Schatten sich die Völker schon sammeln. Mit Schrecken und Abscheu bebt man bereits vor jedem zurück, der unsere freie Willkür, es sei worin es wolle, beschränken möchte, und am allermeisten vor dem, der ein Interesse hat, etwas Unbegreifliches als positive Wahrheit anerkannt zu wissen. Ein Mensch kann dem andern nicht gebieten, was er thun soll, als insofern dieser es für gut findet, sich befehlen zu lassen; wie viel widerrechtlicher also, wenn jemand gebieten will, was man glauben soll, und denen, die das Gebotene nicht glauben können oder nicht glauben wollen, die Rechte schmälert, die ein Mensch dem andern nicht nehmen darf, die ein Bürger dem andern garantirt! In dieser Lage der Sachen ist es so befremdend nicht, daß man jetzt einen letzten Versuch macht, ob man nicht noch die angehenden Denker selbst durch ein Gewebe von betrüglichen Schlüssen hintergehen und einfangen könne. Allein die Vernunft rächt sich an denen, die sie so lange verachteten und verfolgten; und wenn jemand mit der Demonstrationsmethode, die im vorigen Jahrhundert noch gut genug war, jetzt auftritt, so nimmt es sich ungefähr so aus wie ein Kind, das einen Erwachsenen mit eben dem Popanz schrecken will, vor welchem seine Spielkameraden liefen.

Das sicherste Zeichen eines zerrütteten, schlecht eingerichteten, kranken Staats hat man immer daran, wenn er eine große Menge Müßiggänger nährt. Der Fleißige, der die Früchte seines Schweißes mit diesen Raubbienen theilen muß, kann sich endlich des Gedankens nicht erwehren, daß man die unbilligste Forderung an ihn thut, indem man seiner Redlichkeit die Strafe auferlegt, die eigentlich strafwürdigen Faulenzer zu füttern. Die natürliche, unvermeidliche Folge dieser Reflexion ist, wenn man sich zu schwach fühlt, dem Uebel abzuhelfen, eine tödliche Gleichgültigkeit gegen das gemeine Beste, gegen die Verfassung selbst. Welcher Staat kann public spirit von seinen Bürgern erwarten, wenn er sie mishandelt? Es ist gleichviel, ob ein Despot oder eine Horde von Bettlern die Freiheit des arbeitsamen, tugendhaften Bürgers vernichtet, diese Ungerechtigkeit muß der Staat allemal büßen. Aus gleichgültigen, kalten Mitgliedern des Ganzen werden die Hintangesetzten und Gedrückten bald auch zu moralisch schlechtern Menschen. Das Beispiel steckt an, und gegen die Uebermacht gewissenloser Müßiggänger scheinen Betrug und List und Ränke ihnen bald die erlaubteste und sicherste Gegenwehr. Was die Bettler auf der einen Seite rauben, das müssen Betrogene auf der andern Seite wieder ersetzen. Auf diese Art schleicht unvermerkt das Gift der Sittenlosigkeit durch alle Stände und verderbt endlich die ganze Masse. Die Vernunft wird entbehrlich, wo die Begriffe von Recht und Billigkeit dem Eigennutze weichen müssen; alles versinkt in jene sinnliche Abspannung, die das Laster unvermeidlich macht und bei den nachfolgenden Krämpfen des Gewissens dem lauernden Aberglauben gewonnenes Spiel gibt.

Nirgends erscheint der Aberglaube in einer schauderhaftern Gestalt als in Köln. Jemand, der aus unserm aufgeklärten Mainz dahin kommt, hat in der That einen peinigenden Anblick an der mechanischen Andacht, womit so viele tausend Menschen den Müßiggang zu heiligen glauben, und an der blinden Abgötterei, die der Pöbel hier wirklich mit Reliquien treibt, welche den echten Religionsverehrern unter den Katholiken selbst ein Aergerniß geben. Wenn die Legende von den elftausend Jungfrauen auch so wahr wäre, wie sie schwer zu glauben ist, so bliebe doch der Anblick ihrer Knochen in der Ursulakirche darum nicht minder scheußlich und empörend. Allein daß man die Stirne hat, dieses zusammen erraffte Gemisch von Menschen- und Pferdeknochen, welches vermuthlich einmal ein Schlachtfeld deckte, für ein Heiligthum auszugeben, und daß die Kölner sich auf diese Heiligkeit todtschlagen lassen oder, was noch schlimmer ist, den kühnen Zweifler selbst leicht ohne Umstände todtschlagen könnten, das zeugt von der dicken Finsterniß, welche hier in Religionssachen herrscht. Es wäre wol einer gründlichen Nachforschung werth, ob es sich bestimmen lasse, welche Ursachen in verschiedenen Ländern dieselbe Religion so umbilden, daß sie in ihren Wirkungen auf den Charakter der Einwohner sich nicht mehr gleichbleibt. Warum herrscht z. B. in Köln ein schwarzgallichter Fanatismus in der Andacht, in Rom hingegen Leichtsinn und heitere Freude? Sind es die niederländischen Nebel und die lauen gestirnten Nächte Italiens, welche diesen Unterschied bemerkbar machen? Oder steckt es schon von undenklichen Zeiten her im italienischen und im deutschen Blute, daß jenes den Zauber der erhöhten Sinnlichkeit über alle Gegenstände verbreitet, dieses aber selbst eine Religion, welche so lebhaft auf die Sinne wirkt, finster und menschenfeindlich machen kann? Ich gestehe, daß ich viel auf die Einwirkung eines milden Himmelsstrichs halte, und so auffallend der Unterschied zwischen dem niedrigen Bettler in Köln und dem edlem Lazzarone in Neapel ist, rechne ich ihn doch größtentheils auf die klimatische Verschiedenheit ihres Aufenthalts. In Italien entwickelt schon allein das Klima den gesunden Menschenverstand; wer dort faulenzt, der ist, nach Mrs. Piozzi's Esther Lynch Piozzi (1739-1821), englische Schriftstellerin: »Beobachtungen auf einer Reise durch Frankreich, Italien und Deutschland« (1789). Anmerkung d. Hg. Bemerkung, nur nicht hungrig. Sobald ihn hungert, greift er zur Arbeit, weil sein Verstand ihn dieses Mittel als untrüglich einsehen läßt. Hingegen versuch' es jemand, dem Pöbel in Köln von Arbeit zu sprechen!

Wir besahen in der St.-Peterskirche zu Köln die berühmte Kreuzigung Petri von Rubens. Wenn ich nichts anderes von diesem Meister gesehen hätte, so würde mich dieses Stück nicht in Versuchung führen, allzu vortheilhaft von ihm zu urtheilen. Die ganze Figur des Apostels ist sehr verzeichnet und eine richtige Zeichnung konnte doch bei einem so ekelhaften, das Gefühl so sehr beleidigenden Gegenstande noch das einzige Verdienst bleiben. Der Heilige wird hier ans Kreuz genagelt, und – nun denke Dir die Abscheulichkeit! Forster übersieht hier, daß nach der Ueberlieferung der römischen Kirche Petrus auf sein eigenes Verlangen verkehrt ans Kreuz geschlagen wurde. Anmerkung d. Hg. – damit seine Henker bequemer zu den Füßen kommen können, steht das Kreuz mit dem Kopf zu unterst; die Leiden des Gemarterten sind folglich um so viel fürchterlicher. Hilf Himmel, welch ein ästhetisches Gefühl hat so mancher gepriesene Künstler gehabt! Sind das Gegenstände, die eine Abbildung verdienen? Gegenstände, die ich in der Natur nicht sehen möchte! Doch wir sind jetzt in der Nähe der schönen Galerie; morgen will ich Dich von der Kunst unterhalten.

Welch ein himmelweiter Unterschied zwischen Köln und diesem netten, reinlichen, wohlhabenden Düsseldorf! Eine wohlgebaute Stadt, schöne massive Häuser, gerade und helle Straßen, thätige wohlgekleidete Einwohner; wie erheitert das nicht dem Reisenden das Herz! Vor zwei Jahren ließ der Kurfürst einen Theil der Festungswerke demoliren und erlaubte seinen Unterthanen, auf dem Platze zu bauen. Jetzt steht schon eine ganze neue Stadt von mehrern langen, nach der Schnur gezogenen Straßen da; man wetteifert miteinander, wer sein Haus am schönsten, am bequemsten bauen soll; die angelegten Kapitalien belaufen sich auf sehr beträchtliche Summen, und in wenigen Jahren wird Düsseldorf noch einmal so groß, als es war, und um vieles prächtiger sein. Wer doch das Geheimniß einer guten Staatsverwaltung wüßte, damit er sagen könnte, wie sich in den Herzogthümern Jülich und Berg so große Reichthümer häuften, wie die Bevölkerung daselbst so stark und der Wohlstand der Einwohner gleichwol so allgemein ward, daß die kleinern Städtchen nicht minder wohlhabend sind als die Hauptstadt; daß der Anbau auf dem platten Lande denselben Geist der guten Wirthschaft, denselben Fleiß zeigt wie die Fabriken; daß man hier so leicht den Weg zu einer glücklichen Existenz finden lernte, der anderwärts so schwer zu treffen scheint! Ich fange an zu glauben, dieses Geheimniß sei einfacher als man denkt; es ist das Ei des Columbus, und wenn man es weiß, kann man sich kaum bereden, daß nicht mehr dahinter war, ja man ärgert sich wol, daß man nicht von selbst darauf fiel. Die ganze Kunst besteht darin, daß der Regent sich der verderblichen Spiegelfechterei, die man gewöhnlich, obwol mit Unrecht, regieren nennt, zu rechter Zeit zu enthalten wisse und sein Volk mit den gepriesenen Regentenkünsten verschone, worauf sich mancher so viel zugute thut und womit er sich das Ansehen der einzigen Seele in der großen Staatsmaschine gibt. Es gehört ein entschiedenes Maß von gutem Willen und ein etwas seltener, selbst bei guten Menschen, wenn sie Macht in Händen haben, ungewöhnlicher Grad von Selbstverleugnung dazu, um nicht zur Unzeit wirken zu wollen und sich lediglich darauf einzuschränken, die Hindernisse aus dem Wege zu räumen, welche der freien, willkürlichen, unbedingten Thätigkeit eines jeden Bürgers im Staate entgegenstehen. Die Einsicht des Regenten sei noch so vortrefflich, sobald er es nach derselben versucht, die Menschen auf einem Wege, den sie selbst sich nicht wählten, vor sich hinzutreiben, sobald erfährt er auch, daß die eigenen Lebenskräfte in seiner Staatsmaschine stocken oder schlafen und die Wirkung schlechterdings nicht hervorbringen, die erfolgt sein würde, wenn er nicht den verwandten Geist in jedem seiner Brüder verkannt und zu einer ungeziemenden Knechtschaft verurtheilt hätte. Es ist wahr, die Summe des Guten, das in der Welt geschieht, ist immer unter unserer Erwartung; aber sicherlich ist sie da die kleinste, wo man sich vorsetzt, eine größere zu erzwingen. Durch das Uebermaß alles Positiven versündigen sich die Regierungsformen an dem Menschengeschlechte. Durch die ins Unendliche vervielfältigten Gesetze und landesherrlichen Verordnungen, so gut es oft damit gemeint sein mag, und durch jene von Schmeichlern und Parasiten so gepriesene Kleingeisterei der Fürsten, die mit unermüdeter Sorgfalt in eines jeden Bürgers Topf gucken, oder gar sich um seine Privatmeinungen und Gedanken bekümmern, richten die Regenten allmählich, ohne es selbst zu wollen, ihre Staaten zu Grunde, indem sie die freie Betriebsamkeit des Bürgers hemmen, mit welcher zugleich die Entwickelung aller Geistesfähigkeiten aufhört.

Eine Viertelstunde von hier besuchten wir ein Mönchskloster Das hier von Forster geschilderte Trappistenkloster ist das nunmehr in eine Erziehungsanstalt für verwahrloste Kinder u. s. w. umgestaltete Kloster Düsselthal. Anmerkung d. Hg.. Es gibt nur wenig ähnliche Klöster in der Welt; denn die Mönche folgen der strengen Regel der in Frankreich so berühmten Abtei La Trappe. Zu unserer Verwunderung fing der erste, den wir erblickten, sogleich an, mit uns zu sprechen, und erzählte uns, das Gelübde des Stillschweigens sei gänzlich aufgehoben. Dem guten Mann schien aber das Sprechen, dessen er solange entwöhnt gewesen war, nicht leicht zu werden. Ehedem hielt man mit einer unglaublichen Strenge auf dieses Verbot. Ein Offizier, der einst einen dieser Mönche nach dem Wege fragte und keine Antwort auf wiederholtes Anfragen erhielt, hätte den armen Büßer beinahe mit Schlägen ums Leben gebracht, ohne einen Laut aus ihm hervorzubringen. In Frankreich brannte das ganze Kloster ab und keiner von den Brüdern brach das heilige Stillschweigen. Die Aufhebung desselben ist nur ein Vorläufer der gänzlichen Aufhebung des Ordens selbst. Schon lange konnte er keine Novizen mehr bekommen; man scheute die allzu strenge Regel. Mit dem Aussterben dieser Mönche wird indeß dem Staate kein großer Gewinn zufallen, da sie soeben ihre Kapitalien zu Erbauung einer neuen Kirche und eines neuen Klostergebäudes verwendet haben. Ungeachtet sie kein Fleisch essen, werden sie doch bei ihrer stillen, unthätigen Lebensweise, welche die Kräfte des Geistes fast gänzlich schlummern läßt, recht alt und sind fast durchgehends wohlbeleibt. Unser Führer war über achtzig Jahre alt und sah wenigstens zwanzig Jahre jünger aus. Auf seinem übrigens sehr gutmüthigen Gesicht war die Leere des Gedächtnisses, die Armuth des Ideenvorraths unverkennbar. Was ist nun besser, einige Runzeln mehr und einen durch Uebung gebildeten, durch Erfahrung und Thätigkeit bereicherten Geist zu Grabe zu nehmen, oder sorglos, ohne Leidenschaften, ohne Geistesgenuß, in stiller Andacht hinzubrüten und zuletzt ganz sanft in seinem Fette zu ersticken? Wähle sich ein jeder, was ihm frommt; ich weiß, daß diese Existenz und dieses Ende keinen Reiz für den haben, der schon das bessere Los der Menschen kannte:

Zu leiden, zu weinen,
Zu genießen und zu freuen sich.



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