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Georg Forster.

Unter den deutschen Schriftstellern des 18. Jahrhunderts nimmt Georg Forster, Cook's Reisegenosse auf dessen zweiter Weltfahrt, der geistvolle Verfasser der »Ansichten vom Niederrhein«, der Abgesandte der linksrheinischen Republik an den französischen Nationalconvent, eine der bedeutsamsten Stellungen ein. »Gib mir, wo ich stehe, und ich will die Erde bewegen!« sprach Archimedes, der gefeierte Mathematiker des Alterthums; auch Forster besaß die geistige Bedeutung, wenn nicht die Erde, doch Deutschland in Bewegung zu setzen, hätte er jemals die Stelle gefunden, wo er feststehen und zur vollen Entfaltung seiner Kraft gelangen konnte. Daß es nicht geschah, daran war theils sein eigenes Wesen schuld, sein durch die Wandlungen einer in Mühen und Aufregung verlebten Jugend hervorgerufenes unstetes Streben in die Weite, theils und weit mehr noch die Elendigkeit der politischen Verhältnisse, welche dem freien Geiste des merkwürdigen Mannes keinen freudigen Wirkungskreis bereiteten, ihn in schriftstellerischer Tagelöhnerei verkümmern ließen; und als er endlich im staatsmännischen Wirken einen vollen reichen Lebensgehalt zu finden meinte, da riß ihn die Haltlosigkeit nicht sowol seines Wesens als seiner ganzen Zeit in irre Bahnen hinaus voll Thorheit, Leidenschaftlichkeit und Trübsal. Er krankte und starb an den Leiden seiner Zeit.

Wie kommt es, daß gerade in der durch und durch politischen Gegenwart Forster, der vielgepriesene und vielgeschmähte, so mannichfach Gegenstand eingehender Charakterschilderung, wissenschaftlicher Forschung geworden ist? Forster vermittelt wie kein anderer Schriftsteller das 18. Jahrhundert mit dem 19., das Zeitalter ausschließlich schöngeistiger und wissenschaftlicher Strebungen mit dem Zeitalter staatlicher und gesellschaftlicher Kämpfe. Er war ein politischer Mann im vollen Sinne des Worts. Während die Zeitgenossen an den großen Streitfragen der französischen Staatsumwälzung sich zagend vorüberdrückten, oder sich nach rasch aufflackernder Begeisterung zürnend von dem gewaltigsten geistigen Kampfe der neuern Zeit abwandten, blickte Forster in das Chaos streitender Kräfte mit dem klaren Auge des Naturforschers, welcher in dem wilden Kampfe ums Dasein ein gesetzmäßiges Wachsthum erkennt, mit dem ruhigen Scharfsinn des Philosophen, für den ein Zufall und eine Willkür nicht vorhanden sind. Sein Briefwechsel, seine »Ansichten vom Niederrhein« sind voll dieses Prophetenthums, und er war auch darin ein Prophet, daß er im Vaterlande nichts galt. Unsere Zeit sieht die Saat der französischen Staatsumwälzung reifen, sie hat das Verständniß für Forster's politische Ansichten gewonnen, und wenn sie seine Irrthümer nicht zu verzeihen vermag, kann sie dieselben doch erklären und entschuldigen.

 

Georg Forster war ursprünglich britischer Abkunft; seine Vorfahren waren Gutsbesitzer in Yorkshire im nördlichen England. Ein Georg Forster, ein getreuer Anhänger des entthronten und enthaupteten Königs Karl I., siedelte in der Mitte des 17. Jahrhunderts nach dem polnischen Preußen über, wie überhaupt Danzig, Königsberg u. s. w. damals viele solcher Flüchtlinge aufnahmen; auch Kant, der Weltweise von Königsberg, entstammte einer um jene Zeit in Preußen eingewanderten schottischen Familie.

Johann Reinhold Forster, unsers Georg Vater, geboren 1729 zu Dirschau an der Weichsel, war gegen seinen Wunsch zum Studium der Theologie genöthigt worden und erhielt die Predigerstelle in dem Dorfe Hochzeit bei Danzig. Er war mit einem so merkwürdigen Sprachtalent begabt, daß er sich nicht weniger als siebzehn verschiedene Sprachen aneignete; nebstdem beschäftigte er sich eifrig mit naturwissenschaftlichen Studien. Unruhigen leidenschaftlichen Sinnes, mit fünfundzwanzig Jahren verheirathet und an ein Amt gekettet, fand er in dem stillen Pfarrhause zu Hochzeit kein Behagen, zumal die Einkünfte der Stelle den Bedürfnissen des ziemlich rasch mit sieben Kindern gesegneten Haushalts nicht sonderlich entsprechen mochten. Als daher der russische Geschäftsträger bei der damaligen Republik Danzig ihm 1765 den Vorschlag machte, im Auftrage der kaiserlichen Regierung die neuangelegten deutschen Colonien an der Wolga zu bereisen, über dieselben zu berichten und ein Gesetzbuch für sie auszuarbeiten, nahm er den Auftrag an, welcher Befreiung aus drängender Enge verhieß, und behielt sich nur vor, seinen ältesten Sohn Georg mitnehmen zu dürfen.

Dieser, geboren am 27. Nov. 1754 zu Hochzeit, hatte des Vaters Unterricht genossen und war zeitig von ihm zu derselben Vielseitigkeit des Strebens gebildet worden, theilte aber auch durch frühe Gewöhnung jenes unruhige Bedürfniß nach mannichfacher Anregung, welches nicht zu behaglichem Genuß des Lebens und gleichmäßiger Entwickelung gelangen läßt. So durchreiste jetzt der zehnjährige Knabe mit dem Vater das südliche Rußland bis zur Wolga und dem Kaspischen See, verbrachte mit ihm einen Winter zu Petersburg und besuchte daselbst die Schule. Johann Reinhold Forster verlangte für seinen Bericht von der russischen Regierung mehr als die festgesetzten tausend Rubel und verfolgte, wie es scheint, seine Ansprüche so barsch und ungeschickt, daß er schließlich ohne alle Belohnung entlassen ward. Er fand bei der Heimkehr die Predigerstelle zu Hochzeit anderweit besetzt und wußte keinen bessern Rath, als mit seinem ältesten Sohne nach England zu gehen, wo er als Lehrer und Schriftsteller einen ihm besser zusagenden Wirkungskreis zu finden hoffte. Es wurde ihm auch im Jahre 1766 ein Lehramt der Naturgeschichte am Collegium zu Warrington übertragen; Georg sollte in ein Handelsgeschäft zu London eintreten, kam aber wegen Krankheit bald wieder zurück zur Familie, welche der Vater unterdeß nach Warrington hatte nachkommen lassen. Durch Theilnahme an der Uebersetzung wissenschaftlicher Werke ins Englische und durch Unterrichtgeben sah sich der Knabe in einem Alter, welches gewöhnlich nur zum Lernen berufen ist, bereits in das Joch straffer Arbeit eingespannt. Was eine fröhliche sorgenlose Jugend heißt, hat er wol nie kennen gelernt, und dieser frühen Reife und Ueberreizung seines Geistes müssen wir ohne Zweifel manche Falte zuschreiben, welche lebenslang in seiner Seele haftete, manche Lichtseite in seinem Geistesgang wie manchen wunderlichen Sprung in seinem Empfinden und Handeln. In einem halben Dutzend Sprachen mußte er schon als Knabe zum Broterwerb schreiben; aber diese harte Schule lehrte ihn Selbständigkeit, übte seine Kraft, obwol der Mangel einer Heimat und einer sichern, befriedigten Thätigkeit in seinem sonst so offenen harmlosen Gemüthe zugleich jenes unstete rasch auffliegende Wesen nährte, welches er mit dem väterlichen Blute geerbt hatte.

Indeß eine Nachjugend war unserm Georg vom Geschick als Entschädigung beschieden, eine Nachjugend reich an Beschwerden und Entbehrungen, aber auch an den mannichfachsten großartigsten Eindrücken. Seit einigen Jahren weilte die Familie von Mangel und Sorgen bedrängt zu London; da ward im Juni 1772 dem Vater der Antrag gestellt, Kapitän Cook, den berühmten Durchforscher der Südsee, auf seiner zweiten Weltfahrt zu begleiten und später an der Beschreibung dieser Reise mitzuarbeiten. Rasch nahm er das willkommene Anerbieten an und stellte nur, wie vor einigen Jahren an die russische Regierung, die Bedingung, daß es ihm freistehe, seinen ältesten Sohn Georg auf die Reise mitzunehmen. Ein Theil des Gehalts ward der zurückbleibenden Familie zu dürftigem Unterhalt angewiesen, und am 13. Juli 1772 schaukelten bereits Vater und Sohn auf den Wogen des Atlantischen Meeres.

Cook hatte den Auftrag, die südliche Hälfte des Stillen Oceans zu durchforschen, in welcher man damals irrthümlich ein großes Festland vermuthete. Er führte zwei Schiffe; auf dem größern, der von Cook selbst befehligten »Resolution«, befanden sich auch die beiden Forster. Die Einzelheiten der Weltreise dürfen wir hier übergehen. Drei Sommer der südlichen Erdhälfte benutzte Cook, um vom Vorgebirge der guten Hoffnung aus ostwärts den Rand des südlichen Eismeers zu umsegeln und so weit nach dem Pole vorzudringen, als das Treibeis es gestattete. Die grauenhafte Einöde des Eismeers mit ihren Stürmen und Entbehrungen war monatelang die einzige Umgebung; zweimal dazwischen während der Dauer des antarktischen Winters verweilte das Schiff zur Stärkung der von Krankheit und schlechter Nahrung entkräfteten Mannschaft auf Neuseeland, auf den tropischen Inseln des Stillen Meeres, dem paradiesischen Tahiti, den Gesellschafts- und Freundschaftsinseln mit ihrer harmlosen liebenswürdigen Bevölkerung, ihrem wundervollen Pflanzenwuchs, ihrem anmuthigen Genußleben. Das waren Bilder des Glücks und der Schönheit, die nie aus Georg Forster's Gedächtniß schwanden und die er in seinem Reisewerke mit der Begeisterung einer reinen und leichtauffassenden Jugend geschildert hat. Leider aber brachte er von der Reise als Nachwirkung der schlimmen Schiffskrankheit, des Skorbuts, jene bösartige Verderbniß der Säfte mit, welche ihn lebenslang in verschiedener Gestalt mit Krankheit heimsuchte und zu seinem frühen Tode beitrug.

Erst nach vollen drei Jahren kehrte die »Resolution« im Sommer 1775 nach England zurück, und Johann Reinhold Forster begann alsbald die Abfassung seines Reiseberichts. Sei es, daß die Arbeit den Wünschen des Ministers Sandwich nicht entsprach, sei es, daß der eigensinnige Mann unbillige Forderungen machte, genug, nach verschiedenen Versuchen ward ihm der Auftrag entzogen. Georg war keine Verpflichtungen eingegangen; er hatte an des Vaters Erfahrungen und Forschungen theilgenommen und bearbeitete alsbald, dessen Aufzeichnungen und die seinen benutzend, eine Reisebeschreibung, die 1777 zuerst englisch, 1779 deutsch erschien und den Ruf des jungen Mannes glänzend begründete. Hat das Buch bisweilen im Herbeiziehen von Dichterstellen und philosophischen Betrachtungen etwas Gezwungenes, so fesselt es dagegen durch die lebendige Schilderung der Völker und herrlichen Insellandschaften der Südsee, durch die warme Menschenfreundlichkeit, womit der junge Schriftsteller den glücklichen Zustand dieser damals noch nicht durch die fremde Cultur beleckten Oceanier mit der übertünchten Roheit Europas vergleicht, durch das Geschick, frisch und anmuthig zu schreiben, ohne doch oberflächlich zu werden.

Vater Forster verfiel in London bald wieder quälenden Nahrungssorgen, umsomehr als er sich in der Hoffnung auf eine reichliche Belohnung von der englischen Regierung getäuscht sah; er gerieth in Schulden, schließlich ins Schuldgefängniß. Die schwere Pflicht der Sorge für die zahlreiche Familie lag nun auf Georg als dem ältesten Sohne. Um die aus der Südsee mitgebrachten Seltenheiten zu verwerthen, sowie um für den Vater Geldhülfe und womöglich eine Stelle zu suchen, reiste Georg im Herbst 1778 nach Deutschland. Mit rührender Sorgfalt war er für den hochfahrenden eigensinnigen Mann bemüht, und es gelang ihm, namentlich durch die Spenden der Freimaurerlogen, den Vater aus dem Schuldgefängniß zu befreien; auch erwirkte er ihm eine Professur der Naturgeschichte zu Halle, welche derselbe bis zu seinem Tode 1798 bekleidete. Er selbst, der weitgereiste, weltgewandte junge Gelehrte, als Reisegenosse Cook's wie ein Meerwunder angestaunt, fand bei dieser Gelegenheit eine Stelle als Professor der Naturgeschichte an dem sogenannten Carolinum, einer höhern Lehranstalt, zu Kassel. Im Frühling 1779 trat er sein Amt an.

Kassel war damals eine der leichtlebigsten Hauptstädte von Deutschland. Landgraf Friedrich II. von Hessen geberdete sich mit Wohlgefallen als Gönner von Kunst und Wissenschaft, soweit die Regierungssorgen es ihm gestatteten, welche damals hauptsächlich im Verkauf seiner unglücklichen Unterthanen in englische Kriegsdienste bestanden. Forster hatte wenig Amtsarbeit und einen für jene Zeit leidlichen Gehalt; Johannes Müller, der nachmals so gefeierte Geschichtschreiber der Schweiz, und der berühmte Anatom Sömmerring weilten gleichzeitig in Kassel und boten anregenden Verkehr; Göttingen mit seinen Bücherschätzen und gelehrten Größen jeder Wissenschaft war nahe und leicht erreicht; die anmuthige Gegend lud zu mannichfachen Ausflügen ein – und doch fühlte sich Forster nicht heimisch. Ihn bedrückte lebenslang jene Unfähigkeit zum »geistigen Nestmachen«, um einen treffenden Ausdruck Jean Paul's zu gebrauchen, welches der Weise von Baireuth freilich unübertrefflich verstand. Als Naturforscher und Erdbeschreiber bedurfte er zu seinen Studien kostbarer umfassender Werke, deren Ankauf seine beschränkten Mittel über Gebühr angriff. Nahm er in Reisen und Bücherkaufen darauf keine Rücksicht, so gerieth er in Schulden, die ihm als eine lebenslängliche Krankheit das Dasein verbitterten und die freie Entschließung beschränkten. Von Jugend auf nicht gewöhnt an ein stetiges behagliches Wirken, jahrelang fast abenteuerlich auf- und abgeschleudert, gesättigt mit den gewaltigen Anschauungen einer in jener Zeit des Stillsitzens in Deutschland unerhörten Weltfahrt, wurzelte Forster sich eigentlich nie und nirgends ein, hauste er überall nur wie der Vogel auf dem Ast, alsbald durstig nach neuen Eindrücken und doch durch keinen Wechsel auf die Dauer befriedigt. Als ihm daher Ausgang 1783 die Stelle eines Professors der Naturgeschichte an der neubegründeten polnischen Hochschule zu Wilna angeboten ward, griff er rasch genug zu, mit jener Lebhaftigkeit des Sanguinikers, welcher das Unbekannte stets rosig sieht, freilich um gemeiniglich nur desto leidigere Enttäuschung zu finden. Nach fünfjährigem Aufenthalt schied er im Frühling 1784 von Kassel. Zu Göttingen, auf der Durchreise, verlobte er sich mit Therese, der Tochter des gefeierten Alterthumsforschers Heyne. Auf weitem Umwege über Prag und Wien reiste er dem Polenlande zu, von welchem er erwartete, was er bisher in England und Deutschland nicht gefunden, ein sorgenloses befriedigtes Dasein, einen gesegneten Wirkungskreis.

Von Forster's Erscheinung in jener ersten Zeit ihrer Bekanntschaft gibt Therese folgende Schilderung: »Seine Persönlichkeit vermehrte das Interesse, das er als Weltumsegler einflößte; nicht weil er hübsch war – seine ursprünglich regelmäßigen Züge waren durch die Kinderblattern eingeschrumpft und mit Narben bedeckt; der heftige Skorbut, den er auf seiner Seereise erlitten und von dem die Masse seiner Säfte auf immer angesteckt war, hatte das Weiße seiner Augen gefärbt und seine Zähne gänzlich verdorben; aber sobald er durch das Gespräch belebt ward, erhielten seine Züge den mannigfachsten Ausdruck, und kaum sah ich je ein Gesicht, das durch Geist und Empfindung einer größern Verschönerung und eben auch des Gegentheils fähig gewesen wäre. Ein Ausdruck von Bescheidenheit und Sicherheit zugleich gab ihm den Anstand der besten Gesellschaft, sodaß er in dem geistvollsten Cirkel gefiel und im vornehmsten an seinem Platze war. Unaufgeregt sprach er nicht, aber sobald er von einer Idee erwärmt war, drückte er sich, nicht im Deutschen allein, sondern auch im Englischen und Französischen, mit so viel Leichtigkeit und in so klarem Zusammenhange aus, daß seine Unbehülflichkeit, auf dem Lehrstuhle zu sprechen, gar nicht zu erklären ist. Sein Betragen im engen Familienkreis war immer so fein und gesittet, wie in der Gesellschaft. Nie hörten die Seinen ein rauhes Wort von ihm, nie vernachlässigte er seine Kleidung, seine Zimmer, noch versäumte er die Aufmerksamkeit eines Mannes von feinem Ton gegen weibliche Bekannte. Bei diesem höchst gebildeten Betragen bezeigte er die gütevollste Theilnahme an fremden Schicksalen, er wurde leicht heimisch im engern Kreise und machte keine Art von gesellschaftlichen Ansprüchen. Dafür hatte er aber auch das Glück einer Art unschöner Männer, daß ihm die Frauen auf halbem Weg entgegenkamen, was ihm bei seinem sehr weichen Herzen den Genuß einer gesteigerten Freundschaft gewährte.«

Wie konnte nun Polen einer so fein organisirten, geistiger Anregung so bedürftigen Natur genügen, wie diejenige Forster's war! Schon der erste Eindruck verhieß nichts Gutes; der »Verfall, die Unfläterei im moralischen und physischen Verstand, die Halbwildheit und Halbcultur des Volks, die Ansicht des sandigen mit schwarzen Wäldern überall bedeckten Landes« – wir gebrauchen hier Forster's eigene Worte – preßten ihm in einer einsamen Stunde Thränen aus; und diese Stimmung konnte bei näherer Bekanntschaft mit Land und Volk nicht wol besser werden. Die Universität eine ehemalige Jesuitenschule; die Professoren unbedeutende Köpfe, »armselige Schächer«, wie er selbst bekennt, eine zusammengewürfelte Gesellschaft von Polen, Italienern, Franzosen, außer ihm selbst nur Ein Deutscher, ein Arzt aus Wien; alle wissenschaftlichen Einrichtungen in kläglichem Zustand, die Büchersammlung ärmlich, der Pflanzengarten ein Fleck, kaum groß genug, um Kohl zu pflanzen; die Zuhörer ein Gemisch von Mönchen und halbwüchsigen unwissenden Jungen; dazu die Nothwendigkeit, lateinisch vorzutragen, der Mangel an jedem buchhändlerischen Verkehr mit Deutschland, die Vergnügungssucht und prunkvolle Leere der Hohen, die Gemeinheit und hündische Kriecherei der Niedern, die Verkommenheit des ganzen Volks! Was half es unserm Freunde, daß er als Professor alle Rechte des polnischen Adels genoß, Güter kaufen und besitzen konnte, daß seine zu hoffenden Kinder geborene polnische Edelleute waren, daß er mit dem König, mit den höchsten geistlichen und weltlichen Würdenträgern speiste, mit Gräfinnen zwanglos verkehrte in einem Lande, »wo die Gräfinnen sich zum Fenster hinaus kämmen, Ritter des Stanislausordens sich in des Fürstbischofs Abendgesellschaft die Nase mit den Fingern schneuzen«! Forster fand »polnische Wirthschaft« im vollen Sinne des Worts; vergebens holte er seine Therese als Frau nach Wilna, er konnte sich nicht eingewöhnen. Dabei reichten nach der dortigen Lebensweise und bei der ausdauernden Unwirthschaftlichkeit des geistreichen Ehepaares die Einkünfte nicht einmal für die Bedürfnisse des jungen Haushalts aus, und Forster dachte ernstlich daran, um im Lande der Sarmaten nur leben zu können, zur Heilkunde überzugehen; er selbst erkrankte wiederholt. Und dabei fesselte ihn an das unwirthliche Land eine Kette, die ihn lebenslang unfrei hielt. Um seine Schulden in Kassel zu bezahlen, hatte er vor seinem Eintritt in Wilna über tausend Dukaten als Vorschuß empfangen und sich dafür auf acht Jahre gebunden, während welcher Zeit das Geld nach und nach vom Gehalte abgezogen werden sollte. Wollte er früher scheiden, wie hätte er jenen Vorschuß zurückerstatten können?

Seltsam genug sollte Forster durch russisches Gold aus der polnischen Knechtschaft befreit werden. Die Kaiserin Katharina II. beabsichtigte damals eine große Entdeckungsfahrt nach der Südsee, welche ein Kapitän Mulowsky mit fünf Schiffen im Frühjahr 1788 antreten sollte. Forster ward aufgefordert, als Naturforscher daran theilzunehmen. Mit dem ganzen Feuereifer seines Wesens ergriff er einen Plan, welcher seinem fieberischen Reisedrang Befriedigung versprach und ihn zugleich aus dem trostlosen Polen hinwegführte. Für ihn selbst und Therese, welche mit dem Töchterchen einstweilen bei Vater Heyne zu Göttingen verweilen konnte, sagte die russische Regierung einen anständigen Gehalt zu, und, was die nächste Hauptsache war, sie löste den bedrängten Naturforscher mit 2500 holländischen Dukaten von der Verbindlichkeit gegen Polen. Seelenvergnügt fuhr Forster nach Göttingen heim. Allerdings zerschlug sich die beabsichtigte Weltfahrt noch in demselben Herbst 1787 wegen des damals zwischen Rußland und der Türkei ausbrechenden Krieges; aber von Wilna sah sich doch Forster losgemacht und konnte in Göttingen unbekümmert abwarten, wann sein weiter Ruf ihm eine neue Stellung verschaffen würde.

Und diese ließ nicht lange auf sich warten. Johannes Müller, Forster's Freund von Kassel her, war unterdeß Universitätsbibliothekar zu Mainz und jüngst kurfürstlicher Cabinetsrath geworden. Forster machte einen Besuch in Mainz, gefiel dem Kurfürsten wohl und ward zum Bibliothekar ernannt, mit der Erlaubniß, den Sommer noch in Göttingen zu verweilen und sich für sein künftiges Amt vorzubereiten. Im Herbst 1788 siedelte er über nach dem goldenen Mainz. Die prachtvolle Lage der Stadt an der Völkerstraße des Rheinstroms muß auch den entzücken, der nicht aus Lithauen zurückkehrt; da Freund Sömmerring gleichfalls zu Mainz hauste – mit dem unzugänglichen Müller hatte Forster fast nur schriftlichen Verkehr und zwar seltsamerweise in französischer Sprache –, fehlte es nicht an Gelegenheit zu wissenschaftlichem Austausch; die Amtsgeschäfte waren wenigstens anfangs gering, denn viele Bücher harrten, im Staub verschiedener Klosterspeicher vergraben, noch der zukünftigen Ordnung; so hatte Forster Zeit genug zu wissenschaftlicher Arbeit und schriftstellerischer Betriebsamkeit. Aber auch hier fehlte dem Lichte nicht der Schatten; sein Geist verlangte nachhaltigere, mannichfachere Anregung, die alten leidigen Geldsorgen stellten sich ein, und dazu kam, daß er im Hause nicht jenes stille Behagen fand, welches doch das beste Gegenmittel gegen die kleinen Leiden des Lebens ist. Mochte Forster's eigene nervöse Unruhe es verschulden, oder Theresens mehr leidenschaftlich erregtes als weiblich hingebendes Wesen, mochte beides gemeinsam wirken: die Gatten verstanden sich nicht, und in diesem Misbehagen mußte der Schreibtisch der beste Tröster sein.

Es drängte Forster hinaus. Die französische Staatsumwälzung war losgebrochen, mit ihr eine Bewegung der Geister, welche auch in Forsters allezeit mehr auf das thatkräftige Wirken im Menschenleben als auf gelehrte oder speculative Beschaulichkeit hingerichtete Seele breite Wellen warf. Er bedurfte einer Reise, um neue Anschauungen zu gewinnen, und das Ziel sollte England sein, für welches er trotz mancher trüben Erfahrung eine leicht erklärliche Vorliebe in sich trug. An fernern Gründen fehlte es nicht, um das kostspielige Unternehmen auch finanziell vortheilhaft erscheinen zu lassen. Forster hoffte, in London vielleicht die beanspruchte Reiseentschädigung oder doch einen bescheidenen Jahrgehalt zu erlangen, sowie einen Verleger für das große Werk über die Südseepflanzen zu finden, zu dessen Herausgabe er in Deutschland bisher vergebens alle Anstrengung gemacht hatte; zu einer mit Sömmerring beabsichtigten vergleichenden Naturgeschichte des Menschen und Affen dachte er in den großen naturwissenschaftlichen Sammlungen von England und Holland reichen Stoff zu gewinnen, und von seinem Reisebericht durfte er auch buchhändlerischen Erfolg erwarten.

Forster's classisches Werk, die hier folgenden »Ansichten vom Niederrhein«, sind die Frucht dieser dreimonatlichen Reise, die unser Freund, auf der Höhe des Mannesalters und der geistigen Reife stehend, in den Frühlingsmonaten des Jahres 1790 unternahm. Sein Reisegenosse war der zwanzigjährige Alexander v. Humboldt. Ein vielgebildeter, schon damals unendlich reichhaltiger Geist, war Humboldt nicht blos ein werther Reisegesellschafter, sondern es ist auch nicht zu bezweifeln, daß der Verkehr mit dem geistreichen jungen Manne dem ältern Freunde Gelegenheit bot, über manches sich klar zu werden, was später in den »Ansichten« seinen schönen lichtvollen Ausdruck fand; hin und wieder, wie in den Bemerkungen über die geologische Bildung des Rheinthals, blickt der künftige Verfasser des »Kosmos« sehr merklich durch die Zeilen. Ueber Köln, Düsseldorf, Aachen, Lüttich, Brüssel, Antwerpen, den Haag, Amsterdam folgen wir den beiden Reisenden bis zur Ueberfahrt nach England, wo der von Forster ausgearbeitete erste Theil des Werks abbricht. Ueber den Aufenthalt in England und die Rückreise durch Frankreich besitzen wir nur die bald ganz kurzen, bald mehr oder minder ausgeführten Aufzeichnungen, welche erst nach dem Tode des Verfassers herausgegeben wurden, an künstlerischer Durchbildung dem ersten Theile nachstehend, an lebendiger Unmittelbarkeit ihm zum Theil überlegen und darum nicht minder anziehend; ja Gervinus nennt dieses letzte Drittel der Reiseschilderungen das Schönste von allem. »Wir überraschen hier«, spricht er, »den Schriftsteller in seinem Hauskleide und finden ihn liebenswürdiger, weil er ungezwungen ist, weil er die Eleganz abgelegt hat, ohne von seinem natürlichen Adel das geringste einzubüßen«: ein Urtheil, welches übrigens unserer Ansicht nach auf manche bedeutungslose oder in ganz unverarbeiteter Gestalt aufbewahrte Stelle wol von Gervinus selbst nicht angewandt werden dürfte. Mit der landläufigen Touristensalbaderei älterer und neuerer Zeit ist das Buch freilich nicht entfernt zu vergleichen; es läßt sich nicht vor dem Mittagsschlaf auf dem Sopha genießen, es fordert straffe geistige Arbeit; es ist anziehend, aber es ist schwer, weil der Schriftsteller die Gelegenheit ergreift, auf den mannichfaltigsten Gebieten sich zu ergehen, nicht mit leichter Oberflächlichkeit, sondern mit der Gediegenheit eines reichen, vielseitigen, eigenartig denkenden Geistes. Forster's Lebens- und Geistesgang war derart, daß er für das Verschiedenartigste Theilnahme und Verständniß besaß. Manche Ansicht, die er ausspricht, ist einseitig, wie die Verurtheilung der niederländischen Malerei; manche veraltet, wie die Bemerkungen über den rheinischen Basalt, über die vermeintliche Wechselbeziehung zwischen Steinkohlenlagern und Weinbau; manche Schilderung steht zu unserer Zeit in schroffem Gegensatz, wie beispielsweise die des Köln und Aachen von 1790; aber wir finden sie nur um so ansprechender. Die umfassend dargestellten belgischen Vorgänge jener Zeit erscheinen uns jetzt kleinfügig und haben vor den gewaltigen Ereignissen der Folgezeit ihre Bedeutsamkeit verloren; aber darum bleibt Forster's Bericht nicht minder ein Meisterstück klarer, vom verständigsten Geiste getragener Entwickelung, und Gervinus steht nicht an, ihm den Werth einer Quellenschrift zuzuweisen. Es gibt kaum ein Gebiet, das Forster nicht im Vorübergehen berührte, wenn dieses leichte Wort von einer keineswegs gelehrten, aber stets tiefdurchdachten Erörterung gebraucht werden darf. Ebenso liebenswürdig wie geistreich spricht sich Forster's Freund, der bekannte Humorist Lichtenberg, über die »Ansichten« aus: »Ich habe einmal in einem Feenmärchen eine sehr angenehme Vorstellung gelesen: der Held nämlich reist, und unter der Erde reist ihm beständig ein Schatz nach, wohin er auch geht. Bedarf er etwas, so pocht er nur leise an die Erde, so steht der Schatz still und öffnet sich ihm. Sie sind mir, bester Freund, auf Ihrer Tour hundertmal so vorgekommen wie jener Glückliche in der Feenwelt; auch da, wo Ihr Stab den Boden nicht anschlug, sah ich immer den Schatz Ihnen folgen. Wer Ihre Worte zu wägen weiß, kann es auch unmöglich übersehen. Die Gabe, jeder Bemerkung durch ein einziges Wort Individualität zu geben, wodurch man sogleich erinnert wird, daß Sie die Bemerkung nicht blos sprechen, sondern machen, habe ich nicht leicht bei einem Schriftsteller in solchem Grade angetroffen.« Die naturwissenschaftlichen Eigenthümlichkeiten des Rheinthals, sein Weinbau und seine vulkanischen Bildungen, die landwirthschaftliche Erscheinung der durchreisten Landstriche, Lebensweise und Wohlstand des Volks, Fabrikthätigkeit, bürgerliche Verfassung, Sammlungen jeder Art, künstlerische, religiöse und volkswirthschaftliche Fragen bespricht Forster mit jener ihm eigenthümlichen Liebhaberei, nicht am Einzelnen zu haften, sondern zum Allgemeinen überzugehen, einer Eigenthümlichkeit, welche die »Reise um die Welt« bereits im Keime zeigte. Diese Darstellungsweise, welche durch das stete Ausgehen von einer philosophischen Grundansicht dem Ganzen die Wirkung des Gedankenreichen und Schweren gibt, ist nicht etwa gesucht, denn sie lag in Forster's Wesen; aber sie ist, um sein eigenes Wort zu gebrauchen, bisweilen etwas gespannt, oder nach Gervinus' Ausdruck angestrengt oder vornehm. Besonders eingehend betrachtet er die Kunstwerke, und seine Auseinandersetzungen über den kölner Dom, die erste volle Würdigung des wundersamen Bauwerkes, seine Schilderung der düsseldorfer Bildersammlung gehören, mag man auch nicht allezeit mit den leitenden Grundsätzen der Beurtheilung einverstanden sein, zu den geistvollsten Kunstschriften, die wir besitzen. Der mächtige Kampf der Geister, welcher damals durch Joseph II. auf religiösem Gebiete, durch die Französische Revolution im gesammten Staatsleben Europas ausgebrochen war, führt ihn naturgemäß wiederholt auf politische Fragen, und es ist ein Vergnügen zu sehen, wie der klarblickende Mann durchaus freisinnig, aber maßvoll über die Gewaltherrschaft von oben oder von unten gleich entschieden den Stab bricht. Gerade daß Forster aus dem Einzelnen allezeit das Allgemeine hervorzuheben weiß und den gewöhnlichen Ballast der Reisebeschreibungen ganz über Bord wirft, gibt neben der Frische und dem Glanze der Darstellung dem Werke seine dauernde Jugend und Bedeutung.

 

Wir nähern uns nun dem letzten Zeitraume in Forster's Leben, dem seiner Parteinahme für die französische Staatsumwälzung. Dieselbe ist damals schon sehr verschiedenartig beurtheilt worden; es geschah gleicherweise seitdem und geschieht noch jetzt. Ueber Forster den Forscher und Schriftsteller haben sich die Urtheile längst festgestellt: um Forster den Politiker wogt der Streit der Parteien; die wohlmeinende Schönfärberei, mit welcher der Liberalismus der vierziger Jahre Forster's Verhalten als berechtigt vertheidigte, die bausbackige Lobpreisung der radicalen Demokratie, und die schroffe Verdammung der neuesten Schriften über ihn stehen einander unvereinbar gegenüber. Vielleicht ist es möglich, eine Vermittelung zu finden.

Die französische Staatsumwälzung, deren Schaumspritzen Forster in den Niederlanden beobachtet, hatte rasche Fortschritte gemacht. Von seinem Ministerium gedrängt, erklärte der unglückliche Ludwig XVI. im Frühjahr 1792 der deutschen Coalition den Krieg; ein preußisch-österreichisches Heer drang im Sommer nach der Champagne vor, um wenige Wochen danach durch Hunger und Krankheiten furchtbar zerrüttet an den Rhein zurückzukehren; ihnen folgten auf der Ferse die Franzosen. Während zu Paris der morsche Königsthron zusammenbrach und der Nationalconvent die Leitung der französischen Republik übernahm, drang General Custine nach dem Oberrhein vor und bedrohte die wichtige Reichsfestung Mainz. In wirrer Flucht eilten der Kurfürst und sein Hofadel von dannen; die Stadt war mit Geschütz und Pulver reichlich versehen, auch gegen einen Handstreich hinreichend befestigt; die Besatzung war zwar nicht zahlreich, aber die Bürgerschaft zeigte den besten Willen zu ihrer Unterstützung; die Oberoffiziere dagegen waren Feiglinge und Schwachköpfe: so ward Mainz, das Bollwerk des Rheinstroms, am 21. October schimpflich dem Reichsfeind übergeben, nachdem derselbe zwei Tage vor der Stadt gelegen und kaum einige Kugeln mit ihr gewechselt hatte.

Forster blieb. Warum auch nicht? Soll er abenteuernd mit dem Kurfürsten und seinem Adel ausziehen? Er hatte weder die Lust noch die Mittel dazu. Soll er ausharren, versuchend, ob die Hochschule sich halte, er selbst bei der Sicherung des gemeinen Besten helfen könne? »Was denken Sie wol«, schreibt er an seinen Schwiegervater, »daß in einer solchen Lage zu thun sei? Mein Haus und Ameublement, d. h. was ich in der Welt habe, zu verlassen und aufs gerathewohl mit Frau und Kind umherzuirren, bis es uns an Mitteln zu unserer Erhaltung fehlt, oder hier zu bleiben, die Universität aufrecht zu erhalten suchen, sich der Bürgerschaft anzunehmen, sie auf vernünftigem, gemäßigtem Wege so zu führen, daß ihnen bei dem Frieden die Wiedervereinigung mit dem deutschen Reiche, wenn sie nothwendig sein sollte, nicht nachtheilig wird, und bei dieser Laufbahn zu wagen, was zu wagen ist?« Aber in solcher Stunde der Entscheidung muß gerade der geistig Bedeutende Partei ergreifen. Wegen seiner Kenntniß der französischen Sprache wie wegen seines wissenschaftlichen Rufs und seiner bekannten Freisinnigkeit ward Forster zum Sprecher der Hochschule gewählt, welche Custine um Sicherstellung ihrer Einkünfte bat. Behufs Verwaltung des eroberten Gebiets setzte der General einen Administrationsrath nieder und verlieh Forster, welchen er als einen begabten Kopf kennen gelernt, eine Stelle darin. Forster nahm sie an. Zur Stubengelehrsamkeit nur durch seinen Lebensgang hingeführt, dem Lehramt und dem Schreiberwesen, welche ihm Brot schaffen mußten, im Herzen abgeneigt, besaß er, vielleicht mehr aus dem Bedürfniß der Aufregung als aus wirklicher Befähigung, einen Drang zu thätigem Wirken, dem er bis dahin in keiner Weise hatte genügen können. Der Gedanke der Nationalität, welcher heutzutage die Welt umgestaltet, war damals kaum in seinen schwächsten Anfängen vorhanden; Weltbürgerthum, Humanität, Freiheit waren die Stichworte der erleuchteten Geister des philosophischen Jahrhunderts, sie mußten es umso mehr sein bei Forster, welcher, geboren auf polnischem Grunde, seine Jugend in Rußland und England, seine Jünglingsjahre auf Cook's Schiff in der Südsee verbracht hatte; als Professor in Kassel konnte er für Deutschland kein sonderlich warmes Herz fassen, sowenig als in dem aus Freigeisterei, Pfafferei und Genußleben gemischten Mainz; dazwischen hatte er vier Jahre in Wilna gehaust. Die letzten mainzer Vorgänge, die klägliche Hülflosigkeit des Heiligen römischen Reichs gegenüber einigen tausend Franzosen, die grenzenlose Erbärmlichkeit alles dessen, was er sah und erlebte, konnten ihm, dem Schwärmer für geistige und politische Freiheit, ihm, der dem englischen Begriff Gemeingeist erst den deutschen Ausdruck schuf, keine Begeisterung für das todkranke Deutschland einflößen, für einen Begriff, der eigentlich erst aus den Leichenfeldern der Befreiungskriege aufgewachsen ist und noch zur Stunde seine volle staatliche Gestaltung nicht gefunden hat.

Also Mittellosigkeit und die Furcht, feig zu erscheinen, hielten Forster in Mainz fest; das Bedürfnis, thätig zu wirken in einer Zeit, welche für Reiseberichte und Südseepflanzen keine Theilnahme hatte, der Drang, seinen Mitbürgern und der Hochschule nützlich zu sein, führten ihn zur Mithülfe bei der Neugestaltung der Verhältnisse; als politischer Mann theilte er die Begeisterung für die Freiheit der französischen Republik, die seine leichtentzündliche Phantasie in ganz anderer idealer Gestalt träumte, als sie in Wirklichkeit war; die philosophische Schwärmerei des damaligen Weltbürgerthums ließ ihn schließlich ganz und gar vergessen, daß er nicht blos Mensch, sondern auch Deutscher sei. Mit klarer Ueberlegung und ehrlicher Ueberzeugung war er eingetreten in die Bahn; er selbst schreibt ganz richtig: »Mein Unglück ist das Werk meiner Grundsätze, nicht meiner Leidenschaften«; aber er irrt, wenn er meint, es sei so geblieben; bald riß im Drange der weltgeschichtlichen Entscheidung die unruhige Hast seines allezeit aufgeregten Wesens ihn zu Worten und Thaten hin, die wir bei ihm und unter jenen Zeitumständen als eine schwere Verirrung beklagen dürfen, wenn sie heutzutage geschähen, ein Verbrechen, einen Vaterlandsverrath nennen müßten.

Nur zögernd trat Forster in den neugebildeten mainzer Club, ward zweiter Vorsitzender desselben; bald aber war er einer der eifrigsten Sprecher, verkündigte ohne Rückhalt die Lehre von der Rheingrenze, schrieb in Flugblättern und Zeitungen täglich hitziger für die neufränkische Freiheit. Als Mitglied der Verwaltung bewies er eine zu jener Zeit seltene Uneigennützigkeit und Selbständigkeit: des französischen Commissars Merlin Schimpfwort über Forster, er sei ein stolzer Lump, rechnen wir Forster zur besondern Ehre an. Aber daß er die Zwangsmaßregeln gegen diejenigen guthieß und unterstützte, welche bei der vom Convent angeordneten allgemeinen Abstimmung gegen den Anschluß an Frankreich wirkten, daß er gegen die Grafen Leiningen zu Grünstadt mit offener Gewalt vorging, daß er als hervorragendes Mitglied oder, wie er wol selbst meinte, als Seele des neugewählten mainzer Convents, ausgezeichnet durch seinen Namen und Geist, seine Schreibfertigkeit und glühende Theilnahme, den Beschluß entwarf, durch welchen der zu Mainz versammelte »rheinisch-deutsche Nationalconvent« am 18. März 1793 erklärte, der ganze Landstrich von Landau bis Bingen solle von jetzt an einen freien, unabhängigen, unzertrennlichen Staat ausmachen, aller Zusammenhang mit dem deutschen Kaiser und Reich aufgehoben, die bisherigen linksrheinischen Fürsten, falls sie ihre Ansprüche behaupteten, mit ihren Unterhändlern und Helfershelfern der Todesstrafe verfallen sein: das wird allezeit ein Fleck auf dem strahlenden Namen Georg Forster's bleiben. Er verfaßte ferner und verfocht den Beschluß vom 21. März 1793, demzufolge das rheinisch-deutsche freie Volk die Einverleibung in die fränkische Republik wolle; er selbst ward mit zwei andern zum Ueberbringer dieser Schmachurkunde an den pariser Nationalconvent gewählt und entwarf, nicht in seiner klaren frühern Schreibweise, sondern in den großprahlerischen aufgeblasenen Redensarten der Neufranken, die Urkunde, durch welche das linke Rheinufer sich der pariser Blutregierung in die Arme warf. Am 25. März trat er die verhängnißvolle Reise nach Paris an, um den deutschen Boden nie wieder zu betreten. Ueber alle Helfershelfer der Franzosen war bereits im Spätjahr 1792 die Reichsacht ausgesprochen; seitdem Anfang April das preußische Heer Mainz einschloß, war die Brücke hinter dem Geächteten und Verbannten völlig abgebrochen.

Forster's letzte öffentliche Kundgebung geschah am 30. März, an welchem Tage er im französischen Nationalconvent jenes unwürdige Schriftstück vortrug; sofort beschloß die Versammlung die Einverleibung des linken Rheinufers in die Frankenrepublik. Forster selbst hatte eigentlich in Paris nichts mehr zu thun; indeß, da er nicht nach Mainz zurückkonnte, mußte er mit einem kärglichen Tagegeld ausharren und hatte dabei Gelegenheit, in dem stets wüstern Treiben der Parteien jene Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit kennen zu lernen, welchen er, der philosophische Idealist, Amt und Vaterland, Freunde und Familie geopfert hatte; er sah mit bitterm Schmerz und sittlichem Ekel, wie grenzenlos er sich getäuscht. Seine Bücher und Papiere waren in der belagerten Stadt zurückgeblieben; so verbrachte er denn, mit wenigen Bekannten verkehrend, von quälenden Sorgen und Zweifeln umgetrieben, mit Entbehrung und häuslichem Misbehagen kämpfend, ohne Lebenszweck und erquickliche Arbeit, müßige Monate in Paris. Der Briefwechsel mit Therese, welche sich schon seit December nebst den beiden Töchterchen und L. F. Huber, Forster's mainzer Hausfreunde und ihrem nachmaligen zweiten Gatten, nach der Schweiz begeben hatte, war seine einzige Freude; die Briefe der übrigen Freunde blieben seit seiner verhängnißvollen Wendung auf die Seite der Franzosen völlig aus. Im Sommer 1793 gab ihm der Convent, wol wegen seiner Sprachkenntniß, den Auftrag, an der französisch-niederländischen Grenze mit den Engländern über die Auswechselung der Gefangenen zu verhandeln; er verweilte einige Monate in langweiliger Unthätigkeit zu Cambrai und Arras, ohne irgendetwas zu erreichen. Die Briefe aus jener Zeit sprechen bisweilen eine herzzerreißende Schwermuth des unglücklichen Mannes aus. Im Spätherbst traf er noch einmal mit der Gattin und Huber verstohlen in dem schweizerischen Grenzdorfe Travers zusammen; zum letzten mal sah er die Kinder, an denen sein ganzes Herz hing; sie und die Gattin wußte er durch des Freundes Sorge geschützt vor einer hülflosen Zukunft; so fuhr er Ende November schweren Herzens wieder zurück in seine pariser Einsamkeit.

Wir nahen dem Ende. Im December erkältete sich Forster heftig und erkrankte an einer Brustentzündung. Eine fliegende Gicht suchte ihn mit Schlaflosigkeit und heftigen Schmerzen heim; dazu kam Eingang Januar ein fürchterlicher skorbutischer Speichelfluß; er selbst fühlte sich sehr und schmerzlich krank, glaubte indeß nicht an Gefahr. Aber die Gicht stieg ihm in die Brust, und am 21. Nivose (10. Januar) 1794 endigte ein Schlaganfall seine Leiden; er war eben in sein vierzigstes Jahr getreten. Die letzten Worte des Sterbenden galten seinen Kindern.

 

So fand Georg Forster ein unbekanntes Grab in seinem neuen Vaterlande, dem er alles, was er an Glück und Hoffnungen besaß, geopfert hatte. Die verschiedenartigsten Stimmen erhoben sich bei seinem Hinscheiden. Sein eigener Vater, der plumpe Polterer, erklärte noch kurz zuvor öffentlich, es sollte ihn freuen, den Sohn am Galgen zu sehen; der Schwiegervater Heyne dagegen schrieb: »Forster's Tod rührt mich schmerzlicher, als ich sagen kann. Ich kann mich gar nicht fassen, nicht sammeln. Ich liebte den Mann unaussprechlich; er war mir mehr als ein Kind.« Während Schiller in zwei scharfen Xenien noch nach Jahren den Todten brandmarkte, schrieb Goethe die mildversöhnenden Worte: »So hat der arme Forster denn doch auch seinen Irrthum mit dem Leben büßen müssen, wenn er schon einem gewaltsamen Tode entging. Ich habe ihn herzlich bedauert.« Goethes menschlicher Sinn hat das schönste, würdigste Wort für den Grabstein des unglücklichen Mannes gefunden. Die Nachwelt erkennt seine schweren Verirrungen an; aber sie weiß auch, daß dieselben aus einem edeln begeisterten Herzen flossen, aus einer geistvollen trefflichen Seele, welcher aber in stürmischer Zeit die sichere Stütze der Vaterlandsliebe fehlte; und daß sie fehlte, erklärt sich aus Forsters Lebensgang, aus der Erbärmlichkeit der damaligen deutschen Zustände überhaupt. Kann man ihm, dem Vielgereisten, der elf Jahre etwa in Deutschland verbrachte, die Lockerheit seines nationalen Bewußtseins so hart anrechnen; ihm, dem Kinde einer Zeit, die überhaupt von der Bedeutung und dem Rechte der Nationalität kaum einen Begriff hatte, die sich eines gestaltlosen Weltbürgerthums rühmte, einer Zeit, in welcher der straffe Lessing sagte, daß er von der Liebe des Vaterlandes keinen Begriff habe, die ihm aufs höchste eine heroische Schwachheit scheine? Und nun wird Forster, der Naturforscher, der Weltfahrer, der Halbengländer, aus dem stillen Studirzimmer plötzlich in den Wirbel der wildesten Entscheidung gerissen, er, der nicht zu Haus ist in seinem Hause, nicht befriedigt in seinem Wirkungskreise. Der deutsche Stubengelehrte hätte sich an sein Schreibpult gesetzt und weiter getagelöhnert an der Uebersetzung englischer Reisen; daß Forster in einem fast ausschließlich schöngeistigen Strebungen hingegebenen Jahrhundert ein politischer Mann war, verwickelte ihn in den furchtbaren Zwiespalt der Zeit. Er sendet die Frau hinweg, die ihn nicht liebt; er tritt als Sprecher vor Custine; er übernimmt ein Amt. Er, der als Knabe englischen Gemeingeist in sich aufgenommen, dessen Wahlspruch war: »Frei sein heißt Mensch sein!« – Forster wirft sich mit der verzweifelnden Hast eines Haus- und Heimatlosen, wie Uebertäubung seiner Oede suchend, in das von den Franzosen ihm übertragene Amt, erhitzt sich und schreitet im Taumel des Fanatismus bis zur letzten Grenze, zur Uebergabe deutschen Bodens an den Reichsfeind, von dem er die Freiheit erwartet. Wahrlich, er ist gewaltthätig gewesen, er hat Unverzeihliches gesprochen und geschrieben und sich schwer versündigt an Deutschland, das trotz alledem sein Vaterland war, aber doch sollen wir ihn lieber mit Goethe bedauern, als mit seinem Vater verdammen. Was er auch gethan haben mag, er hat es sicherlich mit ehrlicher Ueberzeugung gethan; denn Forster war bei allen seinen Schwächen eine wackere sittliche Natur; er war schwach, verblendet, verrannt; aber wenn wir billig sein wollen, müssen wir einen guten Theil seiner moralischen Verantwortung auf die Uebel seiner Zeit werfen.

Gervinus äußert in seiner geistvollen lebensgeschichtlichen Einleitung zu Georg Forster's Werken: »In den gesammelten Schriften Forster's ist auch unter dem Geringfügigsten das lautere Gold mit Händen zu greifen. Aus jedem, auch dem kleinsten dieser Fragmente redet ein Geist von ungewöhnlicher Stärke, der in einer Anstrengung hält, welcher die Masse der Leser nicht gewachsen ist, der sich auch bei kleinen Anlässen zu großen Gesichtspunkten erhebt, der immer die gesammten Kräfte des Geistes in Anspruch nimmt, den Mann der Anschauung zur Abstraction nöthigt, und wieder den, dem nur die Speculation geläufig ist, auf das unermeßliche Gebiet der Thatsachen und Erfahrungen zurückruft.« Inwiefern dieser Ausspruch für Forster's Hauptwerk, die »Ansichten vom Niederrhein«, Geltung hat, ist bereits erwähnt; er gilt gleichermaßen für die kleinern Aufsätze geographischen und geschichtlichen, natur- und kunstwissenschaftlichen Inhalts, welche mehrere Bände seiner gesammelten Werke füllen. Wir möchten jenes Wort auch vor allen Dingen hinbeziehen auf dasjenige, was nach dem erwähnten Werke uns das Bedeutendste in Forster's Nachlaß erscheint, auf seine »Briefe«. Wenig Briefsammlungen aus der an solchen Denkmalen eines hochgesteigerten geistigen Lebens überreichen Zeit unserer zweiten Literaturblüte zeigen uns in gleichem Maße das Bild einer allezeit angeregten, geist- und lebensprühenden, allseitigen Antheil nehmenden Persönlichkeit. Die Veröffentlichung eines Briefwechsels ist sonst gemeiniglich kein Gefalle, welcher dem bedeutenden Schriftsteller geschieht; er zeigt uns den Mann, welcher der Welt bisher nur die reifen Früchte seines Denkens und Empfindens bot, unter den wechselnden Anregungen des Tags, oft leidenschaftlich, oft vorschnell urtheilend, und dies um so mehr, wenn er, wie solches Forster war, von leichtbeweglichem Temperament ist. Die kleinen Irrthümer und Schwächen, denen auch der Beste nicht entgeht, stehen da in monumentaler Starrheit und trüben allzu leicht das Urtheil der Nachwelt. Auch unser Georg Forster hat unter diesem Misgeschick gelitten; aber derselbe Briefwechsel zeigt auch die Klarheit und Frische seines Denkens, seine Liebenswürdigkeit, seine im Wesen grundgute Natur im schönsten Lichte; er zeigt uns zugleich, wie furchtbar dieser edle Geist büßen mußte für die Irrthümer, zu denen er vom tollen Wirbel der Zeit sich hinreißen ließ. Erkennen wir ehrlich diese Irrthümer eines bedeutenden und von den besten Zeitgenossen hochgeachteten Mannes an, um desto herzlicher uns seiner schönen und edeln Seiten erfreuen zu können.

Wilhelm Buchner.

Ansichten
vom Niederrhein, von Brabant, Flandern, Holland,
England und Frankreich.
Erste Abtheilung.
Ansichten vom Niederrhein, von Brabant, Flandern und Holland.


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