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VII.
Düsseldorf.

Fernere Erinnerungen aus der Galerie Rubens. Albrecht Dürer. Gerard Douw. Teniers. Schalken. Gasparo (Dughet). Snyders. Van der Werff. Crayer. Van Dyck.

Ich hatte Dir gestern noch viel zu sagen von diesen Schätzen der Kunst, die ich anzuschauen nicht ermüde; aber die Bemerkungen über das Jüngste Gericht von Rubens versetzten mich allmählich in die Stimmung, die er seinem Weltrichter gegeben hat, und in diesem kritischen Humor möchte ich Rafael selbst nicht für Tadel stehen. Heute ist der Morgen so heiter, die Frühlingssonne scheint so allbelebend, die Luft ist so rein bei ihrer Kühle, daß man froh ist, zu leben, und dem verschiedenartigsten Leben Dasein und Genuß des Daseins gönnt. Friede sei mit allem, was da ist, Friede mit jedem Geiste, sein Wirken und Gebilde sei dem meinen so fremd wie es wolle! Ich fühle mich verjüngt aus den Armen des Schlafs erstanden; alles in der Natur lacht mich an; alles ist unzertrennlich von allem; der blaue Bogen über mir, die hellleuchtende Sonne, und Berg und Flur, Fels und Wald, Pflanzen und Thiere, der Mensch und seine Kunst: alles ist Theil eines großen, nicht zu umfassenden Ganzen!

Millionen Menschen empfingen den Funken der Vernunft und fachten ihn an zur größern oder kleinern Flamme; Millionen empfanden, dachten und wirkten, jeder auf seine ihm eigene Weise; die Früchte ihres Fleißes, ihres Nachdenkens, ihres bildenden Triebes erfüllen die Erde, und dennoch sind die Verhältnisse der Dinge untereinander nicht erschöpft und keine Macht bestimmt ihnen Grenze oder Zahl. Wir stehen da und schöpfen aus dem unermeßlichen Meere die mannichfaltigen Gestalten. Je mehr wir aufnehmen können, desto schöner und reicher ordnet sich in uns, wie im Spiegel, das Bild des göttlichen All. Von Einem Lichte wird alles umflossen, alles schimmert meinem Auge entgegen, alles drängt mir sein Dasein auf; eine Welt von unendlich kleinen Stäubchen sogar tanzt sichtbarlich in diesem Sonnenstrahl, der zwischen den Vorhängen hindurch auf mein Papier gleitet, und behauptet ihren Platz in meinen Sehnerven wie in meinem Gedächtnisse. Willkommen, willkommen mir, heiliges Licht der Sonne, das allem, was da ist, gleiches Recht ertheilt! Wie ganz anders geordnet sind die Empfindungen und Gedanken des sonnenhellen Morgens als die gestrigen beim nächtlichen Lampenschein, der ein grelles Licht auf eine Stelle warf und ringsumher die Finsterniß herrschen ließ!

Was von Eindrücken der Anblick der hiesigen Gemäldegalerie in meinem Gemüthe zurückgelassen hat, wollen wir jetzt in dieser Klarheit beschauen; viel werden wir bewundern, manches tadeln und einiges lieben müssen. Auch hier aber, wie im ganzen Leben, können wir uns nicht alles aneignen; es ist eine Oekonomie der Zeit und des Gedächtnisses nöthig, um nur das Wesentliche, uns Angemessene aufzufassen; glücklich, wenn die Wahl so ausfällt, daß die Bilder, die wir in uns aufbewahren, Abdrücke interessanter Geisteskräfte sind und manche andere entbehrlich machen.

Rubens kann in seiner Darstellung des Jüngsten Gerichts vielfältig gefehlt haben, ohne deshalb den Ruhm eines großen Künstlers einzubüßen. Seine Werke füllen hier einen ganzen ihm allein gewidmeten Saal; sie bestehen in mehr als vierzig großen und kleinen Gemälden. Ein kleines Stück, welches die Niederlage der Amazonen am Thermodon vorstellt, gab dem Kurfürsten Johann Wilhelm Kurfürst von der Pfalz, geb. zu Düsseldorf 1658, trat 1690 die Regierung an, war ein großer Freund der Künste, Begründer der düsseldorfer Galerie und starb zu Düsseldorf kinderlos 1716. Anmerkung d. Hg. die Veranlassung, seine große Sammlung von Gemälden anzulegen. Rubens ist hier in seinem Elemente. Die besiegten Kämpferinnen stürzen sammt ihren Rossen von der Brücke in den Fluß; in mancherlei Stellungen, hingeschleudert, schwimmend, fallend, sich sträubend, erblickt man den weiblichen Körper von der wilden Phantasie des Künstlers ergriffen. So unwahrscheinlich es immer ist, daß Weiberwuth zu diesem Grade gestiegen sei, so schön ist doch der Stoff für den Maler, der dieses Feuer in sich fühlte, die Extreme der Leidenschaft und die heftigste Handlung darzustellen. Von den beiden darüberhangenden Skizzen, der Bekehrung des Apostels Paulus und der Vernichtung der Heerscharen Sennacherib's, möchte ich das nicht so unbedingt behaupten.

Bewundernswürdig war und bleibt Rubens im Porträt. Er faßte so wahr und so glücklich zugleich! Nur ist es mir räthselhaft, daß ein Künstler, der so tief in andere Wesen sich hineinschmiegen und ihr Innerstes sozusagen herausholen konnte, in seine eigenen Schöpfungen nicht mehr hinübertrug. Unter so vielen hundert Köpfen, die er in seinem Leben nach der Natur gemalt haben mag, hätten sich doch wol die Urbilder zu allen Charakteren seiner historischen Gemälde mit Hülfe einiger Idealisirung leicht gefunden; und solche der Natur nach gebildete Formen hätten auf jeden Fall seine unbestimmten, von Individualität entblößten Gesichter weit übertroffen. Hier ist das Bildniß eines Mönchs; der graue Rock scheint nur eine Verkleidung zu sein, so wenig paßt er zu dem gebildeten Geiste, der aus diesen Zügen hervorstrahlt. So ein Gesicht, mit diesem Ausdruck des eingeernteten Ideenreichthums, mit dieser Milde, welche nur Erfahrung und Weltkenntniß geben, mit dieser Ruhe, die aus einer richtigen Schätzung der Dinge und ihres unaufhaltsamen Laufs entspringt: wahrlich, das würde man unter tausend Mönchsgestalten ohne Mühe wiedererkennen. Wie der hagere Mann einst den Erdball in der Hand wägte, damit spielte und doch zuletzt wol inne ward, der Ball sei mehr als Spielzeug, wenn er's nur ergründen könne, so wägt er jetzt den Menschenschädel, ihm und aller Menschenweisheit nicht minder unbegreiflich! Es ist kein Traum, den ich da träume; dieser Franciscaner-General, so wie Rubens ihn malte, war zu seiner Zeit im Cabinet allmächtig. Maria von Medici, bereits in guten Jahren, ist hier noch schön, aber so stolz, so tief verschlossen, so gewandt in allen Künsten der Verwirrung! Ich weile jedoch lieber bei dem eigenen Bildnisse des Malers und seiner ersten Gattin. Es ist eine überströmende Geistesfülle in seinem Kopf, und sein ganzes Wesen, sein Anstand, seine Kleidung verrathen die höchste Eleganz. Wenn Rubens so ausgesehen hat – und dieses Bild trägt alle Kennzeichen an sich, daß es treu dem Leben nachgebildet worden ist –, so war der Mensch an ihm bei weitem das Edelste, Größte und Beste; keins seiner Werke gibt einen halb so erhabenen Begriff von ihm als diese Nachahmung seiner eigenen Züge. Der schöne, kraftvolle Mann sitzt da in der Blüte des männlichen Alters. Die tiefliegenden Augen sprühen Feuer hervor unter dem Schatten der dunkeln Augenbrauen; auf seiner Stirne liest man den Reichthum und ich möchte fast sagen auch das Ungezähmte seiner Phantasie. Seine Seele ist auf einer Bilderjagd außer dem Bezirke des Gemäldes begriffen. Das hübsche Weib ruht zu seinen Füßen, ihre Rechte in seiner Rechten, und diese Hände sind von vorzüglicher Schönheit. Wahr und treu ist auch ihr Kopf; allein die ungebildete Frau konnte den größern Menschen nicht fassen, der zugleich Künstler und Staatsmann war, bald an Philipp's III. Hofe, bald als sein Abgeordneter bei Karl I. von England seine Rollen spielte, den Mann, der nach den Mitteln seines Zeitalters vortrefflich erzogen war, die Feder beinahe so gut wie den Pinsel führte, um dessen Freundschaft Fürsten warben und den Wolfgang Wilhelm Herzog von Pfalz-Neuburg, geb. 1578, gest. 1653. Er war der Großvater von Johann Wilhelm. Anmerkung d. Hg., Herzog von Neuburg, in seinem eigenen Wagen rettete, als man ihm in Madrid nach dem Leben stand.

Was mag er wol ersinnen in dieser traulichen Verschränkung, auf dem ländlichen Sitz am Gemäuer, wo sich das üppige Geißblatt mit duftenden Blüten emporschlängelt und über seinem Haupte leichte Schatten webt? Etwa jenes liebliche Gedicht, wo sieben Amoretten sich hineinflechten in einen Kranz von Blumen und Früchten? Mit welcher Fülle, mit welcher Kraft sind diese Formen aus der Anschauung gegriffen! Welches Leben regt sich in ihren Gliedern! Wie gaukeln die gesunden Buben so froh im vollen Treiben ihrer neuerprobten Muskelkraft! Des schönsten Genusses Kinder, als Zeit und Sinne schwanden; Dasein ihre ganze Bestimmung, Zweck und Mittel zugleich; und auch ihnen gelten Zeit und Zukunft noch nichts! Hierher den Blick, ihr Weisen, und sagt uns, ob es eine andere Wonne gebe als, das schöne Leben zu sehen und zu fühlen: es ist!

Die reine, treue Darstellung des Lebendigen und Natürlichen würde diese gefällige Wirkung auf die Empfindung des Zuschauers nie verfehlen, wenn es nicht in der Natur selbst Gegenstände gäbe, deren erster und mächtigster Eindruck unsern Selbsterhaltungstrieb aufregt und Abneigung, Widerwillen, Abscheu oder Furcht und Schrecken zu Wege bringt. Der Anblick alles Misgestalteten, Unzweckmäßigen, Schädlichen in der Natur, des Gewaltthätigen und Zerstörenden, des körperlichen Schmerzes, heftiger Krämpfe, ekelhafter Zerfleischungen, kranker oder auch leidenschaftlicher Entstellung, dies alles erschüttert zuerst unser Nervensystem mit dem Gefühle der eigenen Verletzbarkeit, welches zur Erhaltung eines endlichen Daseins wirken muß. Ist es daher nicht sonderbar, daß so viele Künstler, und unter diesen manche der berühmtesten, gerade diese Gegenstände zur Nachahmung wählten, um durch sie recht kräftig erschüttern zu können? Rubens selbst scheint sich in solchen Darstellungen mehr als in allen andern zu gefallen. Von jenen wilden Compositionen, wo Teufel und verworfene Menschen sich winden und kämpfen und knirschend den Engeln unterliegen, soll hier nicht mehr die Rede sein. Es gibt noch andere Bilder in diesem Saale von einem ähnlichen Effect. Bald ist es ein trunkener Silen, umringt von einer bacchantischen Gruppe, deren verschiedene Grade der Trunkenheit sich allzu natürlich in faunischer Wollust oder in einer noch ekelhaftern Herabwürdigung äußern. Eine greuliche Faunin liegt im Vordergrunde hingestürzt über ihren beiden bocksfüßigen Säuglingen, die zappelnd an den Brüsten, ich hätte bald gesagt den Eutern, ihrer im Uebermaß der Völlerei entschlafenen Mutter hangen. Bald ist es ein sterbender Seneca, blutend, alt und schwach, die Todtenblässe im Gesicht und auf den Lippen. Hier eine Latona in den Sümpfen Lyciens, noch in bittender Stellung, indeß ihr gegenüber die störrigen, feindseligen Wilden, die ihr einen Trunk Wassers versagten, im vlämischen Bauerncostüm, aber mit Froschgesichtern schon halb verwandelt dastehen, gräßliche Caricaturen! Wie konnte nur ein Mann wie Rubens das Bild des Ekelhaftesten in der Natur, eines betrunkenen Weibes, in seiner Phantasie dulden, geschweige denn mit Wohlgefallen darüber brüten, mit Kunst und Kenntniß der Natur es ausmalen und nichts dabei fühlen als nur die Stärke seiner Darstellungsgabe? Hätte nicht der Maler, der es wußte, was Schönheit ist, bei jenen Froschmenschen vor einem Misbrauche seines Talents zurückbeben sollen, wodurch er sich zur plattesten Farce erniedrigte? Der Seneca wäre vielleicht am ersten zu entschuldigen, weil er genau die Stellung der alten Statue hat und alte Kunst sonst tadelfrei zu sein pflegt. Allein nicht alle Werke des römischen Meißels sind musterhaft, nicht alle der Nachahmung werth; bei vielen vermißt man den reinen, keuschen Geschmack der griechischen Kunst, und endlich ist das Widrige im Marmor weit weniger als in dem farbigen Gemälde widrig; der Pinsel drückt eben die Todtenfarbe und die Erschöpfung des Verblutens in ihrer ganzen Abscheulichkeit aus. Allerdings gelingt es auch den Künstlern, durch diese Schilderung des Grobsinnlichen auf die gröbern Organe des großen Haufens zu wirken, dessen lauten Beifall und gaffende Bewunderung davonzutragen; und nur, daß dieser Beifall, diese Bewunderung ihnen genügt, gerade darin liegt der ganze Jammer. Es ist leichter, gemeine Natur zu copiren, als Seelenkräfte in der Materie sichtbar zu machen; leichter, durch groteske Züge dem Pöbel zu gefallen, als nach dem musterhaften Doryphorus oder Speerträger war eine als Meisterwerk und Musterbild schöner Verhältnisse gefeierte Jünglingsstatue, ein Werk des Polyklet von Argos. Anmerkung d. Hg. den Kenner zu befriedigen; leichter endlich, zu erschüttern und sogar zu rühren, als den Forderungen des gebildeten Geistes, den die grobgezeichneten dramatischen Larven anekeln und der nach den zarten Schattirungen und Verschmelzungen der Charaktere des gesellschaftlichen Lebens verlangt, völlig Genüge zu leisten. Unsere Theaterdichter wissen dies so gut wie die Künstler, und eben darum spielt man die Stücke der höchsten dramatischen Kunst vor leeren Häusern, indeß die kläglichsten Erzeugnisse des Plattsinns, ein »Walltron,« Der »Graf von Walltron oder Subordination« ist ein klägliches soldatisches Rührstück von Heinrich Ferdinand Möller, geb. 1745 zu Obersdorf in Schlesien, Schauspieldirector, gest. zu Fehrbellin 1798. Joseph Kehrein, in seiner »Dramatischen Poesie der Deutschen« (1840), nennt ihn einen »Dichter roher Spectakelstücke«. Anmerkung d. Hg. eine »Lanassa« Karl Martin Plümike, geb. 1749 zu Wollin, gest. 1805 (?) als Regierungsrath in Dessau, schrieb u. a. »Lanassa«, Trauerspiel in fünf Acten (1783), nach der » Veuve du Malabar« von Lemierre, kläglich genug, aber doch minder platt als der Möller'sche »Walltron«. Es ist derselbe Stoff, welchen Spohr's »Jessonda« musikalisch behandelt. Anmerkung d. Hg. und andere ihres Gelichters, wenn sie nur das Alltägliche anschaulich machen, den allgemeinsten Beifall nie verfehlen.

In der Himmelfahrt der Jungfrau, in der Geburt Christi, in der Ausgießung des Heiligen Geistes, in dem Märtyrerthum des heiligen Laurentius und selbst im Nymphenraub der Zwillingsbrüder Kastor und Pollux, lauter großen, kraftvollen Werken von Rubens' Hand, die ich hier um mich her erblicke, sind indessen so viele künstlerische Verdienste vereinigt, daß man sich willig finden läßt, auch über den wesentlichen Mangel einer feinern Vorstellungsart hinauszugehen und sich mit dem Künstler in seinen niedrigern Gesichtspunkt zu versetzen. Unter allen diesen Werken scheint mir dasjenige, wo die Apostel am Pfingsttage mit neuen Kräften erfüllt werden, in Absicht auf die Schönheit der Köpfe vorzüglich bemerkenswerth. Es ist zwar auch hier der gewöhnliche Fehler auffallend, daß die Ergießung des Heiligen Geistes weit mehr durch die von Licht umflossene Taube, die einzeln herabfallenden Flämmchen und das Erstaunen der Heiligen selbst über diese Erscheinungen, als durch eine wirklich auf ihren Zügen sichtbare Begeisterung und Verstärkung des geistigen Kraftmaßes angedeutet wird; allein diesen Verstoß abgerechnet, der vielleicht um so verzeihlicher ist, je weniger man sich zu Rubens' Zeit über Gegenstände der Religion das Nachdenken erlaubte und je mehr der Künstler damals an die crassen Vorstellungen der Priester jenes finstern Zeitalters gebunden war, diesen Verstoß abgerechnet, bleibt dem Stücke wenigstens das Interesse, welches man an schöngebildeten Menschen nimmt. Wem es genügt an einem hübschen vlämischen Weibe statt der Madonna, an gesunden bausbäckigen Knaben an der Stelle der Engel, der wird seine Forderungen durch den schönen Körper des Märtyrers auf dem Roste noch mehr befriedigt finden. Könnte man nur die Größe der Gegenstände vergessen, oder noch besser, könnte man diese Gegenstände nur mit Hintansetzung aller eigenen Vorstellung davon so fühlen, wie Rubens sie in seiner Phantasie entstehen sah, dann wirkten vielleicht seine Bilder beides, auf den Geschmack und auf das Herz, anstatt daß sie mir jetzt bei einem andern Maßstabe und edlern Formen nur Travestirungen des Heroischen und Göttlichen scheinen.

Indeß lieber diese gemeine, schwerfällige Phantasie, als jene des Luca Giordano geb. 1632 zu Neapel, gest. daselbst 1705, genannt Fa presto (Mach' geschwind), ein sehr fruchtbarer aber oberflächlicher Maler der manieristischen Schule. Anmerkung d. Hg. und des Annibale Carracci geb. 1560 zu Bologna, gest. zu Rom 1609, mit seinen Vettern Ludwig und Augustin Carracci Haupt der bolognesischen Malerschule. Anmerkung d. Hg., die sich in der Darstellung eines so gräßlichen Auftritts wie der bethlehemitische Kindermord gefallen können; und wiederum lieber noch diesen Kindermord vom Meister Annibal, als jenes ungleich greulichere Gemetzel der Christen in Persien unter dem König Sapor! Was ist ein großer Künstlername, wenn solch ein buntscheckiges, steifes, elend gruppirtes, ohne Perspective, ohne Haltung, in harten Umrissen mühsam hingedrechseltes Werk nichts anderes für sich hat als Albrecht Dürer's geb. 1471 zu Nürnberg, gest. daselbst 1528, der gefeiertste Meister unter den ältern deutschen Malern. Anmerkung d. Hg. Ruhm? Empfindungsloser kann man nicht malen; und wenn es wahr ist, daß die beiden schwarzgekleideten Figuren in der Mitte des Gemäldes, die als müßige Zuschauer den verabscheuungswürdigsten Scenen der Menschenqual ruhig zusehen, Porträts des Künstlers und seines besten Freundes sind, so möchte man auch hinzusetzen: empfindungsloser kann man nicht sein. Ließe sich doch nur die Echtheit dieses unedeln und zugleich so sehr misrathenen Kunstwerks mit einiger Wahrscheinlichkeit bezweifeln.

Unedel im höchsten Grade, aber auch trotz aller Niedrigkeit des Gegenstandes an Wahrheit, Charakteristik und Ideenreichthum zum Meisterwerk gediehen ist daneben der berühmte Marktschreier von Gerard Douw oder Dow, geb. 1613 zu Leyden, gest. 1680, Rembrandt's Schüler, unerreicht in der Sorgfalt, womit er seine meist kleinen Gemälde ausführte. Anmerkung d. Hg.. Gewisse Seelen sind zum Auffassen gewisser Gegenstände geschaffen oder organisirt: diese spiegeln sie so rein und klar wieder von sich, daß man sieht, sie wurden gleichsam Ein Wesen mit ihnen, da sie hingegen für Eindrücke aus einer andern Klasse schlechterdings nicht empfänglich scheinen, von andern Objecten gar nicht berührt werden können. Hogarth William Hogarth, geb. 1697 zu London, gest. 1764, besonders berühmt geworden durch seine Gemälde und Kupferstiche, welche Charakterbilder zur englischen Sittengeschichte der Zeit darstellen. Lichtenberg hat dieselben geistreich und witzig erläutert. Anmerkung d. Hg., der Meister in der physiognomischen Bezeichnungskunst, der bewunderte Caricaturenschöpfer, konnte keine schöne Figur entwerfen; Gerard Douw, der hier die geringern Volksklassen nach ihren verschiedenen Geschlechtern, Gewerben und Leidenschaften ganz mit sich selbst identificirt zu haben scheint, der unendlichen Scharfblick beweist, wo es auf die Sonderung der Wirkungen desselben Gegenstandes auf verschiedene Gemüther aus diesen Volksklassen ankommt, hätte für das Ideal einer griechischen Heldennatur keinen Sinn gehabt. Diese geistigern Wesen gehen durch die grobe Seele hindurch und lassen keine Spur von ihrer Berührung zurück. Zart und mit vulkanischer Feuerkunst gewebt muß das Netz sein, in welchem sich Mars und Venus fangen und den versammelten Göttern zeigen lassen. Sollen wir nun zürnen, daß nicht alle solche Tausendkünstler sind, oder lieber jedem Geiste seine Art und Weise zu wirken und zu schaffen gönnen, da es nun einmal nicht möglich ist, daß Rafael's und Tizian's und Guido's Seelen in den belgischen Schlamm hinabsteigen können? Zwar hätte Gerard Douw seinen Marktschreier wol ebenso interessant machen können, ohne jene Details anzubringen, welche die Thierheit des Menschen in ihrer härtesten Abhängigkeit von den unreinsten Bedürfnissen ins Gedächtniß rufen; allein wer trennt uns das voneinander? Wer mag selbst dem pfiffigsten und kunstreichsten Teufel den unwiderstehlichen Hang benehmen, unter die Säue zu fahren?

Der leichte, glatte, launige Teniers David Teniers, Vater und Sohn, jener geb. zu Antwerpen 1582, dieser, der bedeutendere, geb. daselbst 1610, beide bekannt durch treffliche Genrebilder aus dem niederländischen Volksleben. Anmerkung d. Hg. ist ebenso niedrigkomisch; doch gefällt er mir besser. Es ist ungleich mehr Wahrheit und Treue, die sich bis auf die feinsten Zäserchen erstreckt, die kein Pünktchen unbezeichnet läßt, es ist vollkommenere Täuschung des Colorits, es ist unermüdeter Fleiß in Gerard Douw's Arbeit, die bei ekelhaften Gegenständen desto widriger wirken muß, je geduldiger und treffender sie die Natur in ihrer ganzen Scheußlichkeit copirt. Teniers' flüchtiger Pinsel hascht nur die wesentlichsten Züge, setzt Zeichen an die Stelle des Wirklichen, bringt mit dem wenigsten Aufwand von Zeit und von Farbe den Effekt heraus und überläßt es dann der Einbildungskraft des Zuschauers, die Details sich selbst auszumalen. Wer also nicht gerade an dem Schmuzigsten seiner ganzen niedrigkomischen Compositionen besonderes Wohlgefallen hat, wird dieses übergehen; da es hingegen in Douw's Gemälde so in die Augen springt, daß man ihm unmöglich entrinnen kann. Hat man indeß nur eins von Teniers' Bauerngelagen gesehen, so kennt man sie alle; sie sind nur in dem geringem oder vollkommenern Grade der Ausführung verschieden.

Dasselbe gilt auch von Schalken's Gottfried Schalken geb. 1643 zu Dordrecht, gest. 1706 im Haag, war Douw's Schüler ausgezeichnet in Genrebildern mit Kerzenbeleuchtung. Anmerkung d. Hg. berühmtem Effect des Lichts in den nächtlichen Scenen. Die hier vorhandenen Stücke von seiner Hand, ein Ecce homo, die klugen und die thörichten Jungfrauen, eine Magdalene, und eine weibliche Figur mit einem Lichte, welches ihr ein muthwilliger Junge ausblasen will, sind alle nicht mit den Spielern zu vergleichen, die man in Kassel von demselben Meister in der erlesenen Galerie des Landgrafen bewundert. Die Jungfrauen mit ihren Lampen hat er jedoch vorzüglich gut behandelt, und man sieht, daß Schalken in dem engen Kreise, den er sich gewählt, in der That sehr gut zu Hause war, daß er mit dem Lichte und seiner Wirkung spielen konnte und durch fortgesetztes Studium einen hohen Grad der Vollkommenheit in dieser Gattung von Darstellungen erlangt hatte. Nur muß man auch außer diesem Einen Vorzuge sonst nichts bei ihm suchen.

Soll ich mich jetzt von den niedrigsten Stufen der Menschen bildenden Kunst zu den Thier- und Landschaftsmalern wenden? Ich halte mich nicht gern bei ihnen auf, wo höhere Gegenstände mich an sich reißen. Freilich ist der Gasparo Kaspar Dughet, genannt Poussin, geb. 1613 zu Rom, gest. daselbst 1675, berühmter französischer Landschaftsmaler. Anmerkung d. Hg. schön; es herrscht eine dunkle, hohe, mächtige Phantasie durch dieses wilde Thal und seine einfache Größe: schade nur, daß man in dieser Einsamkeit, wo der Blick auf den Trümmern alter Gebäude und Paläste am fernen Gebirge ruht, durch eine schale historische Gruppe unterbrochen wird, und ebenso schade, daß das Bild schon so schwarz geworden ist. Auch dieser ungeheuere Eber von Snyders Franz Snyders aus Antwerpen, 1579-1657, Rubens' Schüler und Helfer, berühmter Thiermaler. Forster schreibt unrichtig Snyers. Anmerkung d. Hg. ist wunderbar gerüstet mit zermalmender Kraft und fürchterlichem Grimm; er verdiente, der Eber von Kalydon zu heißen. Ebenso gewaltig in ihrer Art, ebenso rein der Natur nachgebildet sind die muthig angreifenden und die von dem gräßlichen Zahn des Ebers niedergemähten, zappelnden und heulenden Hunde. Die Figuren der Jäger, kühn wie die Thiere, aber mit Zinnober unnatürlich colorirt, sind von Rubens. Was Fyt, de Voß und Weenix Johann Fyt, geb. zu Antwerpen 1609, gest. daselbst 1661, trefflicher Thiermaler; ebenso » De Vos«, wol Paulus, welcher im 17. Jahrhundert lebte, geb. 1600 zu Aelst. – » Johann Baptist Weenix«, geb. 1623 zu Amsterdam, gest. 1660, malte mit besonderer Vollendung lebendes und todtes Wild u. s. w. Anmerkung d. Hg. von Thierstücken malten, kommt diesem nicht bei, so viel Verdienstliches auch ihre Arbeiten und insbesondere die des erstern haben.

Laß mich hinwegeilen über die geleckten Bilderchen des Ritters van der Werff Adrian van der Werff, geb. bei Rotterdam 1659, gest. 1722, pfälzischer Hofmaler zu Düsseldorf, ein seinerzeit hochgefeierter Maler, dessen Eleganz aber bis zur Gelecktheit geht.. Ihre zarte, geschliffene Vollendung, ihre kunstreich geworfenen Gewänder können uns nicht schadlos halten für ihre Kälte und Gleichförmigkeit, für die manierirte, unrichtige Zeichnung und das dem Elfenbein ähnliche Fleisch. Das beste unter einundzwanzig kleinen Stücken ist die Erscheinung Christi im Knabenalter unter den im Tempel versammelten Aeltesten. Der Knabe ist schön und geistreich, und diese Eigenschaften vereinigt sind mehr als hinreichend, ihn interessant zu machen. Von der großen, langbeinigen Magdalena des Herrn Ritters läßt sich trotz allen mühseligen Künsteleien so viel Gutes nicht sagen. Ehe ich meine Feder hinlege, nur noch ein paar Worte von Craeyer Gaspard de Craeyer, geb. 1585 zu Antwerpen, gest. zu Gent 1669, wo er lebte, Historienmaler von Bedeutung. Anmerkung d. Hg. und van Dyck Anton van Dyck, geb. 1599 zu Antwerpen, gest. 1641 zu London, Rubens' größter Schüler, ausgezeichnet als Historien- und besonders als Porträtmaler. Anmerkung d. Hg.. Craeyer's größtes Werk, doch will ich eben nicht sagen sein Meisterwerk, ist das Altarblatt aus der Augustinerkirche zu Brüssel, welches der Kurfürst von den Mönchen für dreißigtausend Gulden und eine Copie kaufte. Als Dichtung betrachtet, hat es nicht den mindesten Werth. Es ist ein Thron der Mutter Gottes, die zu oberst, mit dem Jesuskinde auf dem Arm, dasitzt und von Heiligen umringt ist, die zum Theil neben ihr, zum Theil tief unten auf den Stufen stehen oder knien. Ganz zu unterst im Vordergrunde kniet der Maler nebst seinem Bruder und, wie die Ueberlieferung ferner lautet, seiner Schwester und seinem Neffen. Er kehrt das breite, wohlgenährte, selbstgefällige Gesicht nach dem Zuschauer hin, anstatt recht andächtig zu beten, und zeigt uns mit der Hand, daß dies alles seine Arbeit sei. Es ist wahr, die Heiligen selbst geben ein böses Beispiel; sie stehen zum Theil ganz müßig da, oder sie plaudern miteinander; die wenigsten bezeigen der Gottheit oben ihre Andacht. Auch scheint es nicht, als ob sie eigentlich zu irgendeinem andern Zwecke versammelt sind, als weil etwa der Maler oder die Augustinermönche zu Brüssel sie gern einmal beisammen sehen wollten; und bei dem gänzlichen Mangel an Einheit und Zusammenhang ist es noch die Frage, ob Crayer an etwas von der Art gedacht hat. Damit man die Heiligen auch kennen möge, hält jeder etwas in der Hand: Johannes das Sinnbild des Glaubens, den Kelch mit der Schlange, Jakobus den Pilgerstab, die oben kniende Apollonia eine Kneipzange, Sanct Stephan einen Stein, Laurentius seinen Rost, Andreas sein Kreuz u. s. f. Der heilige Augustin paradirt im Vordergrunde im prächtigsten Bischofsornat, mit dem Krummstab in der Hand. So weit ist alles unter der Kritik. Allein einzeln betrachtet sind die Köpfe und die Figuren meisterhaft gearbeitet. In allem, was von Rubens in dieser Sammlung hängt, finde ich nirgends eine so richtige Akademie als Crayer's bis zum Gürtel entkleideten Andreas. Dem heiligen Lorenz hat er einen sehr schönen, jugendlichen Kopf zugetheilt; Augustin aber, ich weiß nicht, ob mit oder ohne Absicht des Künstlers, ist ein echter Pfaffe. Das Colorit sowol als die Stellung und Organisirung der Gruppen und die Behandlungsart sind eines Wetteiferers von Rubens vollkommen würdig, so schwerfällig auch das Ganze immer bleibt.

Van Dyck's Arbeiten in dieser Galerie sind zahlreich und von mancherlei Art. Seine Porträts stehen mit denen seines Lehrers Rubens ganz in gleichem Range; manche sind unübertrefflich und trotzen der Kunst und dem Pinsel selbst eines Venetianers. Seine Phantasie erhebt zwar nicht so kühn den Fittich, aber sie ist züchtiger und erlesener als die seines Lehrers; seine Farben sind bescheidener und besser verschmelzt und grenzen näher an italienische Wärme. Susanna im Bade ist jedoch ein widriges Gesicht, das nicht einmal dieses Verdienst der Farbe aufzuweisen hat. Die berühmte Grablegung ist zwar herrlich colorirt, aber in der Zeichnung verunglückt; zudem gehört es zu den schwersten Aufgaben der Kunst, gerade dieser Scene ein eigenthümliches, nicht durch die Nebenidee der Religion hineingetragenes Interesse zu geben. Das kleine Bild, wo Christus mit dem von ihm geheilten Gichtbrüchigen spricht, hat eine fast tizianische Wahrheit, der man aber wegen des äußerst unedeln Christuskopfes nicht froh werden kann. Ebenso ärgerlich find' ich es, daß der travestirte Jupiter, der als Satyr die schlafende Antiope überrascht, so ganz im Satyr verloren, so ganz gemeiner Satyr ist und nur, weil sein Adler sich blicken läßt, als Donnergott anerkannt werden muß. Die Nymphe hat zwar eine frische Farbe; aber so wunderschön ist sie eben nicht, daß sie eine Jupitersverwandlung verdiente. Eine Madonna mit dem Christkinde und dem kleinen Johannes hat alle Vorzüge der Farbe und des Fleisches, wiewol dem Bilde noch die letzte Hand des Künstlers zu fehlen scheint; es umschwebt sie sogar etwas weniges von der Anmuth, die auf diesem Boden nicht gewachsen, sondern jenseit der Alpen her entlehnt ist. Allein das Schönste, was ich hier von van Dyck's Arbeit bemerke, ist sein lieblicher Sebastian, in dessen Kopfe man eine idealisirte Aehnlichkeit mit dem Künstler selbst nicht verkennen wird. Der Augenblick dieser Composition ist gut gewählt. Eben bindet man ihn fest an den Baum, wo ihn die Pfeile seiner Widersacher treffen sollen; mithin ist keine widrige Empfindung früher rege, die den Eindruck stören könnte, welchen der schöne, blühende Jüngling auf den Zuschauer macht. Die Nebenfiguren sind ihm gehörig untergeordnet, und die weißere Farbe seines zarten Leibes dient dazu, ihn noch mehr von ihnen auszuzeichnen. Die Ausführung ist des Entwurfes werth, und meines Erachtens hat die flamändische Schule hier nichts Vollkommeneres in Farbenmischung aufzuweisen. Ein bescheidener Siegesgedanke scheint durch die Gelassenheit, die auf dem Gesichte des Märtyrers ruht, hindurchzustrahlen, und dem Zuschauer bleibt nur der Wunsch noch übrig, daß der erste Pfeil gerade durch das Herz treffe, damit keine langwierigen Qualen ihn stören mögen in seinem vorempfindenden Entzücken.

Der köstlichen Werke von italienischer Kunst, die in großer Anzahl diese reiche Sammlung zieren, habe ich noch mit keiner Silbe erwähnt, doch Du begreifst, daß es mir in diesem Augenblick nicht möglich ist.



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