Theodor Fontane
Ein Sommer in London
Theodor Fontane

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Die Manufaktur in der Kunst

England ist das Land der Manufaktur. Ich gedenke nicht, Bäume in den Wald zu tragen, und das hundertmal Bewiesene noch einmal zu beweisen. Zweck dieser Zeilen ist es, auf eine ganz besondere Manufaktur, auf jene bis zu erstaunlicher Höhe getriebene Nachahmekunst hinzuweisen, die von einem oft eben so genialen wie betrügerischen Substituieren lebt, und Fach daraus macht, die Begriffe von Echt und Unecht, von Sein und Scheinen, nach Kräften zu verwirren. Ich spreche dabei nicht von jener untergeordneten Nachahmekunst, die sich darauf beschränkt, Wein aus Wasser, Havannablätter aus Kohlabfällen und chinesische Tusche aus dem Rauchfang dessen zu bereiten, der sie nachher verbraucht. Nein, worauf ich heute die Aufmerksamkeit des Lesers hinlenken möchte, ist die Manufaktur, die Nachahmekunst in der Kunst selbst.

Byrons Don Juan ist unvollendet. Was liegt für einen Manufakturisten in der Kunst näher, als bei passender Gelegenheit die Versicherung: er sei vollendet, Märchen werden ersonnen und durch Schrift und Rede geflissentlich verbreitet, warum der edle Lord mit der Veröffentlichung gerade dieser genialsten und formvollendetsten Gesänge gezögert habe, und endlich, wenn es geglückt ist, die Aufmerksamkeit des Publikums aufs höchste zu spannen, ja sogar eine liebenswürdige Minorität mit vollem Glauben an die Echtheit des Fabrikats vorweg zu erfüllen, so erscheint es endlich mit geschicktester Nachahmung alles dessen, was überhaupt nachzuahmen ist, und gleichviel ob schließlich der Betrug entdeckt wird oder nicht, die Manufaktur hat ihren Zweck erreicht – Gewinn.

Shelley, der Beschimpfte, durch die öffentliche Meinung vom Vaterland Verbannte, war nichtsdestoweniger vor Jahr und Tag (wer verziehe nicht den Toten!) in der Mode; man las Queen Mab und heimlich sogar die Cenci. Shelleys Freundschaft mit Byron war bekannt; es wäre unnatürlich gewesen, wenn sich kein Manufakturist für eine intime Shelley-Byron-Korrespondenz gefunden hätte. Eines Tages erscheint die Anzeige: »Briefwechsel (Originale) zwischen Percy Bysshe Shelley und Lord Byron.« Es ist kein Zweifel. Handschrift, Siegel, Postzeichen, alles trägt den Stempel der Echtheit; die Personen befanden sich, wirklich und nachweislich, um die angegebene Zeit an den angegebenen Orten; Autographensammler, Schreibverständige und Buchhändler, alle sind zustimmender Meinung; und endlich der Inhalt selbst löst jedes letzte Bedenken: dieser Rückhaltslosigkeit, dieses Feuereifers gegen überkommene Sitte und Satzung waren nur zwei Köpfe fähig: Shelley und Byron. Zufällig gerät die Shelley-Korrespondenz in die Hände eines älteren Herrn, der die literarischen Fehden seiner Jugend und die leidenschaftliche Hingebung, mit der er einst zur Seite jener Vorkämpfer stand, in ländlicher Zurückgezogenheit und im stillen Glück des Familienlebens halb vergessen hat; er liest und – findet sich selbst; es sind seine Worte, äußerlich und innerlich – alles Betrug, Manufaktur!

Das ergiebigste Feld indes bleibt doch immer die Malerei. Es gibt geradezu Fabriken, die sich mit der Anfertigung von Murillos, Rubens und Tizians beschäftigen. Was England beherrscht, und zwar mehr als sein Parlament, das ist die Mode. Die »Fashion« fordert jetzt alte Bilder, gleichviel ob gut oder schlecht, nur alt, nachweislich alt, und versteht sich von einem Maler von Ruf. Da wachsen denn die Van Dycks, de Crayers, Snyders und Rembrandts aus der Erde, und wundert sich der Käufer, in leiser Ahnung eines Betruges, über den verhältnismäßig niedrigen Preis (das böse Gewissen läßt die höchsten Forderungen denn doch nicht zu), so heißt es: »ein glückliches Ohngefähr, die Unkenntnis des Vorbesitzers, setzen uns in den Stand usw.« Ich hörte noch gestern von einem Galerie-Inhaber sprechen, der seine wirklich schöne Sammlung zehnmal verkauft und schließlich doch noch die Originale besessen habe.

Mir liegt ein Buch Theophile Gautiers vor: »Ein Zickzack durch England«; das Buch ist nicht eben neu, aber seine Wahrheiten gelten heut wie damals. Die unglaubliche Anzahl von Murillos, Raffaels und Tizians, denen er auf englischen Galerien begegnete, machte ihn stutzig; er forschte nach und spricht als Resultat seine unumstößliche Überzeugung aus, daß Dreivierteile jener englischen Sachen, die mit einem großen Namen prunken, nichts sind als Kunstprodukte in einem anderen Sinne: schlechte Bilder, mit einem halben Dutzend angeblakter Firnis-Schichten und einem – Goldrahmen, der nichts zu wünschen übrigläßt. Die Besitzer sind übrigens in ihrem Glauben nicht weniger glücklich und erfreuen sich an einer eingebildeten Schönheit, die sie mit Hilfe einer guten Phantasie bis zur Höhe der Sixtinischen Madonna steigern können, fast mehr noch als an einer Wirklichkeit, die eben nicht mehr bietet, als sie hat.

Aber neben dieser groben Art des Betruges existiert auch eine wirkliche Nachahme kunst. Betrug bleibt freilich Betrug; aber ebenso gewiß, wie das Genie eines Cartouche zu allen Zeiten zu interessieren wußte, ebenso unmöglich ist es, ein bestimmtes Maß von Bewunderung jener Geschicklichkeit zu versagen, mit der diese Manufaktur gehandhabt wird. Die englische Literatur weist zwei berühmte Namen auf, die große Poeten, aber noch größere Manufakturisten waren: Chatterton und Macpherson; und das imitative Talent einzelner moderner Maler will kaum minder bewundernswert erscheinen: Sie kennen und beherrschen ihren Gegenstand vollkommen: Stil, Farbe und Eigentümlichkeiten, charakteristische Fehler und Vorzüge der Meisterwerke, alles ist ihnen gegenwärtig, und es bleibt oftmals zu bedauern, daß ein Talent diese doppelt traurige Fährte traben muß, das imstande gewesen wäre, seinen eigenen Weg zu gehen.

Ihr beleidigten Künstlergeister aber zürnt nicht länger! Was läge jenseits der Schöpferkraft englischer Manufaktur? Indien, China und Ägypten werden von hier aus mit ihrem »Götter-Bedarf« versehen. Ein Reisender brachte von den Pyramiden einen ägyptischen Gott mit nach Hause und übersandte ihn als Merkwürdigkeit einem befreundeten Fayence-Fabrikanten. Der Freund dankte herzlich für so viel Aufmerksamkeit, fügte aber hinzu, daß ihm die »Ware« selbst nichts Neues sei, da gerade seine Fabrik die Götterlieferung für den ägyptischen Markt habe. – Nichts ist so hoch oder niedrig, daß es nicht zum Gegenstande englischer Spekulation werden könnte, und die Manufaktur in der Kunst ist noch nicht die schlimmste.


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