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Wir versuchen nun, nachdem wir in vorstehendem die Lebensgeschichte Hans Albrechts erzählt haben, eine Schilderung seiner äußeren Erscheinung und seines Charakters.

Hans Albrecht von Barfus war von großem, kräftigem Körperbau, über sechs Fuß hoch und durchaus militärisch in Haltung und Auftreten. Selbst stattlich, legte er auch Gewicht auf Stattlichkeit, und lange bevor König Friedrich Wilhelm I. seine Riesengarde ins Leben rief, verriet Hans Albrecht eine entschiedene Neigung, hünenhafte Leute, besonders Offiziere, in den preußischen Dienst zu ziehen. Es waren dies die ersten Anfänge der später so notorisch gewordenen »blauen Kinder« von Potsdam. Und so mag es denn auch mehr als Zufall sein, daß das einzige größere Bildnis, das von unserem Hans Albrecht existiert, vom »Soldatenkönige« selber gemalt wurde. Dieses Bild stammt etwa aus dem Jahre 1737, und da um diese Zeit unser Feldmarschall längst verstorben war, so hat es nichts Unwahrscheinliches, daß der König es, nach einem Stich oder einer Zeichnung, eigens in Huldigung gegen denjenigen ausführte, in dem die Idee der »großen Blauen« zuerst gedämmert und gelegentlich Gestalt gewonnen hatte.

Fassen wir den Charakter unseres Feldmarschalls ins Auge, so finden wir: er war tapfer, soldatisch, spezifisch deutsch, antifranzösisch (auch hierin ein Vorläufer Friedrich Wilhelms I.), habsüchtig, aber unbestechlich, rechthaberisch, aber nicht ungerecht, in Intriguen verwickelt, aber nicht eigentlich intrigant.

Wir betrachten ihn zuerst in seinen soldatischen, dann in seinen hofmännischen Qualitäten. Als Soldat – ohne ihn überschätzen zu wollen – erhob er sich, trotzdem er immer der Mann blieb, der von der Pike auf gedient hatte, weit über die Klasse derer, die, auf den Befehl eines Vorgesetzten hin, ihre Truppe prompt ins Feuer zu führen verstehen. Hätte seine militärische Laufbahn mit der Erstürmung Ofens abgeschlossen, so würd er einfach einer jener »braven Soldaten« gewesen sein, wie deren unsere Kriegsgeschichte so viele aufzuweisen hat; sein zweimaliges und jedesmal entscheidendes Eingreifen in die Schlacht bei Szlankamen aber zeigt ihn uns allerdings als einen Soldaten von höherer Beanlagung. Beide Male handelte er selbständig und folgte nur seiner persönlichen Erkenntnis dessen, was der gegebene Moment erheischte. Sein Blick und sein Charakter bewährten sich dabei gleichmäßig. Er erkannte, was not tat, und hatte den Mut, das als richtig Erkannte auf eigne Verantwortung hin auszuführen. Dieser Blick und dieser Mut gehören schon zu den selteneren Gaben.

Was ihm andererseits fehlte, das erkennen wir am besten, wenn wir sein militärisches Auftreten mit dem seines Nebenbuhlers Schöning vergleichen. Schöning, wiewohl es ihm versagt blieb, in wirklich großen Verhältnissen zu wirken, geht dennoch, sooft er auftritt, jedesmal über das Alltägliche hinaus. Nicht zufrieden damit, den Moment zu begreifen, begreift er die Situation überhaupt. Es genügt ihm nicht, ein Nächstliegendes zu tun oder zu berechnen, sondern die Rücksicht auf das Ganze bestimmt seine Haltung. Am lehrreichsten nach dieser Seite hin ist sein Auftreten vor Ofen. Kaum auf den Höhen erschienen, kaum begrüßt von dem großen Christenheere, das in weitem Halbkreise die Festung umlagerte, rückte Schöning klingenden Spieles vor, und jede Deckung oder Vorsichtsmaßregel verschmähend, brachte er sich auf einen Schlag in Linie mit der Belagerungsarmee. Der ungedeckte Vormarsch kostete Opfer, und das ganze Manöver, glänzend, wie es war, fand nichtsdestoweniger lebhaften Tadel. Sogar bei den Brandenburgern selbst, von denen es als Rodomontade bezeichnet wurde. Dennoch hatte Schöning recht. Immer das Ganze ins Auge fassend, sagte er sich, daß er der allgemeinen Sache, mindestens aber der Sache seines Kurfürsten, durch etwas Eklatantes am besten diene. Und seine Berechnung traf im vollsten Maße zu. Den Türken sowohl wie den Verbündeten hatte dieser Aufmarsch imponiert, und lange bevor Buda über war, hatten die Brandenburger bei Freund und Feind einen moralischen Sieg errungen. Das war Schöningsch. Solcher Berechnungen und Einfälle wäre Barfus unfähig gewesen. Er gehörte zu den Schachspielern, die in jedem Moment einen guten Zug, vielleicht den besten zu tun verstehen, aber der Gabe weitsichtiger Vorausberechnung ebensosehr wie jeder genialischen Kombination entbehren.

Tapfer, wie Hans Albrecht war, besaß er auch in hohem Maße jenen liebenswürdigen, am häufigsten bei bewährten alten Soldaten vorkommenden Zug, schwache Momente nachsichtig zu beurteilen. Nur die Leute hinterm warmen Ofen dringen auf beständiges Heldentum. Einstmals beklagte sich der Graf Christoph Dohna über die Feigheit eines Offiziers, der ihn während des Gefechts kläglich im Stich gelassen habe. Barfus trat an Dohna heran und sagte: »Hören Sie, Graf, man muß Mitleid mit seinem Nächsten haben und ihm nicht alles Üble antun, was man ihm mit Gerechtigkeit antun könnte. Es gibt schlechte Viertelstunden im Leben. Vielleicht wird dieser Offizier ein andermal sich besser zeigen. Ich werde mit ihm allein reden.« Barfus tat es, und wenige Tage später fiel der Offizier an der Spitze einer Angriffskolonne.

Ein sehr hervorstechender Zug seines Charakters war das Antifranzösische. Seine vielbesprochene »Perückensteuer« war nicht bloß eine Finanzmaßregel, sie war auch gegen das »fremde Unwesen« überhaupt gerichtet. Der Umstand, daß er des Französischen nicht mächtig war, mocht ihn in seiner Abneigung gegen die »Welschen« bestärken. Es kamen in der Tat verdrießliche Szenen vor. Seine Gegner bei Hofe gefielen sich darin, in seiner Gegenwart französisch zu sprechen oder wohl gar bei seinem Erscheinen die bis dahin deutsch geführte Konversation mit einer französischen zu vertauschen. Den begreiflichen Ärger darüber ließ er hinterher die Sprache selbst entgelten.

Von Habsucht besaß er, wie fast alle Personen, die den Hof König Friedrichs I. bildeten, ein reichlich zugemessen Teil; doch scheint er sich, trotz alles Hanges nach Besitz, der Korruption jener Zeit entzogen und seine gut deutsche Natur in Unbestechlichkeit gezeigt zu haben. Er genoß auch dieses Rufes. Im Jahre 1699 beschwerte sich der holländische Großpensionär Heinsius über eine ganze Reihe unbegreiflicher Handelsmaßregeln, die alle vom Feldmarschall Barfus (der damals alles war, auch Finanzminister) ausgegangen seien, und ließ den Verdacht durchblicken, daß Barfus im Solde Frankreichs stehe. Der Großpensionär erhielt indessen von kompetenter Seite den Bescheid, daß General Barfus überhaupt unbestechlich, »jedenfalls aber zu antifranzösisch sei, um sich jemals durch Frankreich bestechen zu lassen«.

Und sowenig bestechlich er war, sowenig intrigant war er. Er diente nur den Intriguen anderer, war vielleicht die Hauptkarte, ohne welche das Intriguenspiel nie und nimmer gewonnen werden konnte, aber wie hoch immer der Wert seiner Karte veranschlagt werden mochte, er war nicht der Spieler selbst. Klügere benutzten ihn und gönnten ihm die goldenen Früchte, die ihm für seine Mitwirkung in den Schoß fielen.

Er war nicht intrigant, aber wir wurden irregehen, wenn wir ihm aus dem Fehlen dieser Eigenschaft irgendein besonderes Verdienst machen oder ihn gar mit der hohen Tugend der Selbstsuchtslosigkeit ausstatten wollten. Er gehörte jener Klasse von Charakteren an, denen man in Norddeutschland und besonders in den Marken häufig begegnet: Personen, die zu wirklicher oder scheinbarer Offenheit eine große Verschlagenheit gesellen und soldatische Derbheit, ja rücksichtsloseste Schroffheit mit einem scharfen Erkennen des eigenen Vorteils glücklich vereinen. Er war voll jener scharfen Lebensklugheit, die den Habsüchtigen eigen zu sein pflegt, und besaß in hohem Maße die Kunst (ganz wie bei Szlankamen), einen glücklich gegebenen Moment zu benutzen. Aber er besaß nicht die Kunst, einen solchen Moment durch eine klug geschürzte Verwickelung herbeizuführen. Und das ist es, was den Unterschied zwischen praktischer Lebensklugheit und Intrigue bedingt. Der »Praktiker« nutzt die Situation, der Intrigant macht sie. Jener wird meist realere, dieser meist idealere Zwecke verfolgen. Der Intrigant wird in der Regel gefährlicher, der »Praktiker« in der Regel selbstsüchtiger sein.

Die Hofgeschichte jener Tage bietet zwei Beispiele, die diesen Unterschied recht klar ins Auge stellen. Als der Streit zwischen Schöning und Barfus auf seiner Höhe stand und Schönings Hochmut und Rechthaberei den »richtigen Moment« für Barfus vorbereitet hatte, verstand es dieser, ebendiesen richtigen Moment zu benutzen. Und zwar einfach dadurch, daß er der in seinen Beschwerdeschriften immer anmaßlicher werdenden Sprache Schönings einen Ton der Devotion gegenüberstellte. Dieser Ton der Devotion gegen den Kurfürsten und seine Regierung hatte nichts von einer Intrigue an sich, war vielmehr nur das einfache Resultat des Schlusses: »Wo Anmaßung verletzt hat, wird Devotion doppelt willkommen sein.« Und der Erfolg bewies, daß dieser Schluß ein richtiger gewesen war.

So weit reichten die Gaben unseres Barfus. Als es sich aber sechs Jahre später darum handelte, den allmächtigen Eberhard Danckelmann, den Günstling des Kurfürsten, aus der Gunst seines Herrn zu entfernen, war es nicht genug, eine sich bietende Situation zu benutzen, sondern es kam vielmehr darauf an, mittelst einer Reihenfolge kleiner, ineinandergreifender Szenen erst eine Situation zu schaffen. Dazu war Graf Christoph Dohna der Mann. Er begann folgendes Meisterspiel. Er wußte sich eine Medaille zu verschaffen, die Danckelmann kurz vorher zu Ruhm und Verherrlichung seiner Familie hatte schlagen lassen. Gewölk hing über Berlin; durch das Gewölk hindurch aber leuchtete das Siebengestirn Eberhard Danckelmanns und seiner sechs Brüder. Inschrift: »Intaminatis fulget honoribus.« Christoph Dohna, der die Vorliebe des Kurfürsten für Münzen und Medaillen kannte, wußt es derartig einzurichten, daß sich im Vorzimmer ein Streit um ebendiese Medaille entspann. Als der Kurfürst heraustrat, um nach der Ursache des Lärms zu forschen, erzählte ihm Dohna, in erkünstelter Verlegenheit, daß es sich um eine Medaille handle. »Ich wünsche sie zu sehen.« – »Eure Kurfürstliche Durchlaucht werden die Medaille kennen.« Und damit überreichte sie Dohna. Der Kurfürst betrachtete die sieben Sterne, biß sich, eifersüchtig, wie er war, auf die Lippen und reichte sie sichtlich verstimmt zurück. An dieser Szene ging Danckelmann zugrunde. Ist es wahr, daß dieser letztere von der Medaille nichts wußte, dieselbe vielmehr hinter seinem Rücken, auf Anstiften seiner Gegner, geprägt wurde, so haben wir es hier mit einer ziemlich unwählerisch eingefädelten, aber von Anfang bis Ende klug durchgeführten Intrigue zu tun, die zwar, wie schon erzählt, in ihrem glücklichen Ausgang alle Ehren auf unsern Feldmarschall ausschüttete, aber von dem Glückskinde selbst weder jemals geplant noch durchgespielt hätte werden können.

Wenn wir zum Schlusse Hans Albrecht von Barfus mit den hervorragenderen jener brandenburgisch-preußischen Kriegsleute vergleichen, die seitdem gefolgt sind, so zeigt er mit keinem eine größere Verwandtschaft als mit dem »alten Yorck«. Dieselbe Tapferkeit, dieselbe soldatische Schroffheit, dieselbe Strenge im Dienst und gegen sich selbst. Haß gegen französische Sitte, Gleichgültigkeit gegen die Frauen und Verachtung gegen Ausschweifung gesellen sich als weitere übereinstimmende Züge hinzu. Ebenso sind ihre Feldherrngaben nahe verwandt: kalte Ruhe, klares Erkennen der Fehler bei Freund und Feind, glückliche Benutzung des Moments. Was sie aber vor allem miteinander gemein haben, das ist die hohe Meinung von sich selbst und, infolge dieser eigenen, wie immer auch berechtigten Wertschätzung, eine krankhafte Reizbarkeit gegen alles das, was neben oder wohl gar über ihnen stand. Yorck, in seinem Verhältnis zu Bülow und später zu Gneisenau, erinnert mehr als einmal an »Schöning und Barfus«.

Wenn wir Yorck nichtsdestoweniger in einem helleren Lichte sehen, so hat das seinen Grund zu nicht unwesentlichem Teile darin, daß wir die »Konvention von Tauroggen« dankbarer in Erinnerung tragen als den Tag von Szlankamen. Soll aber auch auf die sittliche Superiorität Yorcks hingewiesen werden, so dürfen wir, ohne dieselbe bestreiten zu wollen, doch der Tatsache nicht vergessen, daß es 1813 leichter war als hundert Jahre früher, »selbstsuchtslos im Dienst einer Idee zu stehen«. Die Charaktere waren weniger verschieden, als die Zeiten es waren.

Mit Hans Albrecht von Barfus starb der letzte jener fünf brandenburgischen Feldherrn, die noch die jungen Tage des Großen Kurfürsten gesehen und die ersten Siege Brandenburgs unter seinen Fahnen erfochten hatten: Sparr, Derfflinger, Görtzke, Schöning, Barfus. Die Derfflinger sind ausgestorben. Glieder der vier andern Familien leben noch, aber von dem alten Besitz ist wenig oder nichts mehr in ihren Händen. Auf den alten Barfus-Gütern ist der Name des Geschlechts so gut wie vergessen, und nur »Schloß Kossenblatt an der Spree« erzählt noch von seinem Erbauer, dem Feldmarschall.

Diesem Schloß in der Öde wenden wir uns im folgenden Kapitel zu.


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