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Prädikow

Vor Taue noch und Tage
Zog aus er heut mit Hund und Horn,
Daß er den Hirsch erjage.
Alte Ballade

Um den großen und sagenreichen »Blumenthal-Wald« herum, der das Plateau des Barnim von West nach Ost durchzieht, gruppiert sich eine ganze Anzahl schöner und reicher Güter, die bis in die Zeiten des Dreißigjährigen Krieges hinein das Besitztum vier alter märkischer Familien waren: der Sparrs, der Pfuels, der Krummensees und der Barfuse.

Die letztren, die Barfuse, sind es, die uns in diesem Kapitel ausschließlich beschäftigen sollen. Sie kommen zuerst 1280 in den Marken vor. In ihre Vorgeschichte steigen wir aber nicht zurück und leisten namentlich darauf Verzicht, den alten Streit wegen »Barfus« mit einem s und »Barfuß« mit einem ß an dieser Stelle entscheiden zu wollen. Die Genealogen schreiben »Barfuß«, einfach auf das Wappen der Familie deutend, das drei unverkennbare Barfüße zeigt; die Familie selbst aber verwirft die Ableitung von einem niedersächsischen Geschlecht der Baarfoote, Barfuße oder Nudipes und schreibt sich Barfus, ihren Ursprung auf das altrömische Patriziergeschlecht der Parvus zurückführend, das mit bei der Gründung der Colonia Agrippina war und durch endlose Generationen hin den noch existierenden Parvusenhof in Köln innehatte.

Gleichviel ob Barfuß oder Barfus, für unsere Zwecke genügt es, daß die Barfuse, wie wir in Huldigung gegen die Familie, aber ohne direkte Parteiergreifung schreiben wollen, schon ausgangs des dreizehnten Jahrhunderts auf dem Oberbarnim sässig waren und bald darauf bereits dieselben Güter erworben hatten, die später den Kern ihres ausgebreiteten Besitzes bildeten: Kunersdorf, Batzlow, Prädikow und Möglin.

Prädikow galt als das eigentliche Familiengut, und damals unmittelbar am Rande des »Blumenthal-Waldes« gelegen, war es besonders wertvoll durch seine Forstbestände, die sich nach Westen hin bis weit in den genannten Wald hinein erstreckten. Diesen reichen Forstbeständen verdanken wir es auch, daß wir die Barfuse bereits um 1590 in der Spezialgeschichte unseres Landes auftreten sehen, indem es ebendieser Prädikowsche Anteil am Blumenthat-Walde war, der unter Johann Georg und Joachim Friedrich zu einem vieljährigen Streite zwischen den beiden eben genannten Kurfürsten und den Barfusen führte. Dem ganzen Ereignis – ohne schließlich in einer Schlacht von Otterbourne oder einem Percy-und-Douglas-Kampf zu kulminieren – stand nichtsdestoweniger von Anfang an ein gewisses romantisches Element zur Seite, und um dieses Stückleins Romantik willen (eine seltene Blume hierlandes) mag es gestattet sein, einen Augenblick bei der Erzählung des Herganges zu verweilen.

Kurfürst Johann Georg liebte die Jagd wie alle Hohenzollern vor und nach ihm, Friedrich den Großen ausgenommen, der das Jagdvergnügen einfach als eine Barbarei bezeichnete. Die Kurfürsten jagten damals in den schönen Forsten um Berlin herum, in den weiten Waldrevieren von Potsdam und Spandau, von Köpenick und Fürstenwalde, und besaßen in der am Werbellin-See gelegenen »Grimnitz« einen der schönsten Jagdgründe des Landes. Aber, voll wachsender Passion, mit jeder Grenze unzufrieden, ging ihr beständiges Streben dahin, ihre Territorien auszudehnen und immer neuen Wald in den großen Jagdgrund hineinzuziehen.

Eine seiner Jagden führte den Kurfürsten 1590 in den »Blumenthal«, und die Schönheit dieses Waldes verfehlte nicht ihres Eindrucks auf ihn. Der fruchtbare Boden, der allem, was hier wuchs, eine besondere Üppigkeit lieh, die hohen Eichen, das frische Niederholz, das Terrain selbst, in buntem Wechsel von Tal und Hügel und klaren Seen in Tiefen und Schluchten – all das erfreute das Jägerherz Georgs, und eh eine Woche um war, wandte er sich an die Barfuse, die damals auf Prädikow saßen, und bat um die Erlaubnis, in ihrem Walde jagen zu dürfen. Die Barfuse, vier Brüder: Richard, Nikolaus, Valentin und Kaspar, willfahrten gern dem kurfürstlichen Ansinnen, ohne Ahnung, daß aus ihrer Willfährigkeit alsbald das dauernde Recht der »Vorjagd« gefolgert werden würde. Und dennoch geschah es. Ohne weitere Nachsuchung, gestützt auf das plötzlich erklärte Recht »landesherrlicher Vorjagd«, brach im Sommer 1602 das Jagdgefolge Joachim Friedrichs, des Nachfolgers Johann Georgs, »mit Hund und Horn« in die Prädikowschen Waldungen ein, und das Geklaff von über 200 Rüden lärmte durch den Forst. Ehe der Tag um war, war das hohe Wild zu Tode gehetzt und der junge Wildstand vernichtet. Soweit die Romantik. Die vier Brüder aber, statt ihren Clan zu den Waffen zu rufen, wurden klagbar beim Obergericht, und als nach fünfzig oder hundert Jahren der Instanzenzug zu Ende war, war längst kein Barfus mehr auf Hohen- und Nieder-Prädikow.

Die Barfuse wurden klagbar. Aber wir würden sehr irren, wenn wir aus diesem Abstehen vom Kampf gegen die damals schon fest gegründete hohenzollernsche Gewalt etwa den Schluß ziehen wollten, die vier Barfuse auf Prädikow wären sehr friedliche Leute gewesen. Sie waren just das Gegenteil davon, was aus folgendem erhellen mag.

Von den vier Brüdern waren drei, die beiden ältesten und der jüngste, auf ihren »Höfen« in Prädikow geblieben, während der dritte Bruder, Valentin, in die Dienste des Pommernherzogs getreten und dessen Oberjägermeister geworden war.

Es war um 1610, also acht Jahre nach der Jagd im »Blumenthal«, als Valentin Barfus auf Besuch nach Prädikow kam. Es verstand sich von selbst, daß er von seinen Brüdern der Reihe nach bewirtet wurde. Der älteste, Richard, der auf dem »roten Hause« in Nieder-Prädikow saß, hatte natürlich den Vorrang, und eine tüchtige Zechkumpanei wurde nach Sitte jener Zeit geladen. Man trank, man jubelte, man tobte, und, unglaublich zu sagen, man tanzte auch; denn woher nahm man die Damen? So kam Mitternacht heran. Um Mitternacht aber legten die Spielleute müd und matt ihre Fiedeln nieder und sagten: »Wir können nicht mehr!« Da sprang Nikolaus, der zweite der Brüder, mitten unter sie und schrie, während er mit der Faust drohte: »Weiter, weiter, und wenn der Teufel selber aufspielen sollte!« Da erschien der böse Feind auf dem Ofen, mit der Sackpfeife unterm Arm, grinste den Nikolaus an und spielte auf. Da fürchteten sie sich und ließen den Pfarrer holen, und als er kam, begannen sie zu beten und beteten, bis der Sackpfeifer wieder verschwunden war. Eine ähnliche Sage, darin der Teufel nicht als Spielmann, sondern als Tänzer auftritt, findet sich im Eiderstedtschen (Schleswig). Es war eine große Hochzeit auf Hoyersworth und unter den Gästen auch eine hübsche Dirne, die flinkste Tänzerin weit herum. Auch an jenem Abend tanzte sie schon seit Stunden unaufhörlich und sagte zuletzt übermütig: » Und wenn der Teufel selbst käme, ich tanzte mit ihm.« Kaum waren ihr diese Worte entfahren, so trat der Angerufene in den Saal, schritt auf das Mädchen zu und forderte sie zum Tanz. Und wie ein Wirbelwind drehten sich die beiden. Sie tanzten zuletzt nur noch allein, und die übrigen Gäste sahen dem rasenden Tanze voll Erstaunen zu. Endlich schwieg auch die Musik, aber das Paar tanzte noch immerfort, bis der Dirne plötzlich das Blut aus dem Munde stürzte und sie tot zusammenbrach. Sofort war der Tänzer verschwunden. Doch die Blutflecken waren nicht zu vertilgen, und das Mädchen fand keine Ruh. Um Mitternacht schlüpft sie von ihrem Grabe her in den Tanzsaal, und die höllische Musik bricht los, und sie dreht sich wieder im sausenden Walzer.

Aber der Teufel war doch im Hause gewesen, und Unfrieden ließ er zurück. Fehde brach aus zwischen den Brüdern. Die beiden älteren standen sich im Zweikampf gegenüber, und auf dem Grasplatz am Teich, hundert Schritt hinter dem roten Hause, fiel Richard, der älteste, von der Hand des zweiten Bruders, ebenjenes Nikolaus, der an dem geschilderten Zechabend den unheimlichen Sackpfeifer herbeigerufen hatte.

Unfriede kam ins Haus und mit ihm jedes Unglück. Der Dreißigjährige Krieg legte die Felder wüst, und fünfzig Jahre später war alles in andern Händen. List und Gewalt hatte den Barfusen ihr altes Erbe genommen.

In Prädikow ist wenig oder nichts mehr, was an jene Zeiten erinnerte. Noch unterscheidet man ein Ober- und Unterdorf, noch weiß man, wo das »rote Haus« gestanden und wo der älteste Bruder, auf den Tod getroffen, zusammensank. Aber sonst schweigt an dieser Stelle alles, mit Ausnahme der alten Ulmenallee, die die Barfuse gepflanzt, und der alten Kirche, die sie gebaut haben.

Diese Kirche gehört jenen einfach malerischen Feldsteinbauten an, denen man, aus dem vierzehnten und fünfzehnten Jahrhundert her, so häufig in unsern Marken begegnet. Ein Christuskopf auf dem Schweißtuch der heiligen Veronika stammt vielleicht noch aus jener Zeit der »vier Brüder«, aber niemand weiß es zu sagen. Im Jahr 1821 war noch ein Barfussches Wappenfenster da. Protestantisches »Lichtbedürfnis« hat indessen längst das bunte Glas beseitigt und eine »helle Scheibe« an die Stelle der bunten gesetzt. Nichts mehr mahnt an die Barfuse hier als der Estrich über ihrer Gruft, der, immer tiefer einsinkend, zugleich von den unten stehenden drei Särgen erzählt: von dem Sarge Valentins, »der beim Pommernherzog das Zechen gelernt«, von Richard, der hinter dem »roten Hause« zusammensank, und von Nikolaus, der den Teufel-Spielmann rief, um ihm dann schließlich zu verfallen.

Von den Prädikowschen Barfusen aber wenden wir uns nunmehr einem berühmteren Zweige der Familie zu: den Barfusen von Möglin. Unter ihnen vor allem dem berühmtesten des Geschlechts überhaupt, dem Feldmarschall und Türkenbesieger Hans Albrecht von Barfus.


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