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3. Das Schloß

Dies weiße Häuschen find ich zum Entzücken,
Die Wand ist sauber bis hinauf zum Dache,
Und heitre Fenster sind es, die es schmücken.
B. von Lepel

Freienwalde hatte von alters her ein »Schloß«, erst ein Uchtenhagensches, dann ein kurfürstliches, zuletzt ein königliches.

Das Schloß, das die Uchtenhagens innehatten und in das sie wahrscheinlich einzogen, nachdem ihre Burg auf dem Schloßberge (siehe das entsprechende Kapitel) zerstört worden war, lag unmittelbar hinter der Freienwalder Kirche und blickte auf die Oder hinaus, die damals bis dicht an die Stadt herantrat. Eine Abbildung in Philipp von der Hagens »Beschreibung der Stadt Freienwalde« stellt höchstwahrscheinlich dies alte Uchtenhagensche Schloß dar. Woher er dies Bild genommen, darüber gibt er nicht Aufschluß. Es ist ein einfaches, beinah fensterloses Gebäude mit einem gotischen Erkerturm als einzigem Schmuck.

Das kurfürstliche Schloß, in unscheinbaren Resten noch erhalten, erhob sich an derselben Stelle, wo vorher, durch zwei Jahrhunderte hin, das eben beschriebene Stadtschloß der alten Uchtenhagen gestanden hatte. Der Große Kurfürst ließ es 1687 zu »künftigem bequemen Aufenthalte daselbst« erbauen. Näheres über diesen Bau aber: wann er beendigt wurde, wer daselbst residierte, hab ich nicht in Erfahrung bringen können. Die Nachrichten, die man am Orte selber einzieht, widersprechen einander, und ein Befragen der reichen »Freienwalder Literatur« fördert uns, das Günstigste zu sagen, um nicht viel. Nur soviel scheint gewiß, daß der ursprünglich als Jagd- oder Sommerschloß intendierte Bau weder vom Großen Kurfürsten noch von seinem Nachfolger, König Friedrich I., bewohnt, vielmehr sehr bald nach seiner Fertigstellung als königliches Amts-, später dann als städtisches Schul- und Rathaus benutzt worden ist.

Das königliche Schloß Freienwalde liegt nicht innerhalb der Stadt, sondern unmittelbar vor derselben, auf dem Wege zum Brunnen hinaus, fast am Fuße des ehemaligen Apothekerberges. Dieser Berg heißt jetzt der » Schloßgartenberg« und ist nicht mit dem »Schloßberg« zu verwechseln, der, halben Weges zwischen Freienwalde und Falkenberg gelegen, die Ruinen der alten Uchtenhagen-Burg auf seiner Kuppe trägt. »Die Gemahlin Friedrich Wilhelms II.«, so versichert Dr. Heidecker in seiner Beschreibung der Stadt Freienwalde, »fand die Lage dieses Berges so reizend, daß sie von 1790 an alljährlich mehrere Wochen während der Badezeit in Freienwalde zubrachte und das Haus des Oberförsters Wiprecht, das zu diesem Zweck erweitert und eingerichtet worden war, bewohnte. Sie ließ zugleich neben der Oberförsterwohnung eine geschmackvolle Sommerwohnung bauen, die aus einem Saale, vier Cabinets und einer Küche bestand – den jetzigen Pavillon

Dieser Pavillon genügte bis 1795, und erst als zwei Jahre später, nach dem inzwischen erfolgten Tode des Königs, die nunmehr verwitwete Königin ihren Lieblingssitz Freienwalde zu ihrem Witwensitze erhob, entstand das gegenwärtige »königliche Schloß«. Wahrscheinlich um 1800.

Die Frage drängt sich auf: Wie verflossen ihr hier die Tage ihrer Witwenzeit? Still, und deshalb nicht eingetragen in die Blätter der Geschichte. Aber einzelnes lebt doch in schriftlicher oder mündlicher Überlieferung fort, das uns einigermaßen in den Stand setzt, uns ein Bild dieser stillen Tage zu entwerfen. Die königliche Frau, ausharrend in ihrer Liebe für die Stadt, der sie seit Jahren ihre besondere Gunst geschenkt hatte, fuhr mit regem Eifer fort, sich die Verschönerung Freienwaldes angelegen sein zu lassen und besonders die Landschaft durch Zugänglichmachung ihrer schönsten Punkte zu erschließen. Zu einem solchen Erschließen« war auch in Freienwalde, wie überall im Lande, noch vollauf Gelegenheit gegeben. Denn der Sinn für die »schöne Landschaft« ist wie die Landschaftsmalerei von sehr modernem Datum. Namentlich in der Mark. Die eigentliche märkische Bevölkerung hat noch jetzt diesen Sinn beinah gar nicht, wovon sich jeder überzeugen kann, der an hübsch gelegenen Orten einer Vergnügungspartie märkischer Stadt- und Dorfbewohner beiwohnt. Sie sind ganz bei ihrem Vergnügen, aber gar nicht bei der »Landschaft«, der sie in der Regel den Rücken zukehren. Der Berliner »Sommerwohner« ist nicht deshalb so bescheiden in seinen Ansprüchen, weil ihm die märkische Natur nichts bietet, sondern weil es ihm schließlich gar nicht darauf ankommt, ob die Sache so oder so ist. Überall entstanden Partien und Promenaden, Eremitagen und Tempel. Abhänge wurden bepflanzt, dichte Waldpartien gelichtet und gerodet. Sie kaufte den »Poetenberg«, bepflanzte ihn mit Kastanien, mit Pappeln und Akazien und errichtete, wie uns überliefert wird, ein Haus im japanischen Geschmack, das den Namen »Otahaiti« erhielt. Man nahm es damals nicht so genau.

Wir könnten noch von vielen Verschönerungen dieser Art erzählen, deren Verdienstlichkeit es wenig Abbruch tut, daß das Maß ihrer Schönheit oft ein höchst bescheidenes oder zweifelhaftes war; wir ziehen es jedoch vor, uns nunmehr jenen Besuchs- und Familientagen von Schloß Freienwalde zuzuwenden, wo die »Kinder« von Berlin herüberkamen: der König, die Königin und mit ihnen die drei ältesten Enkel: Fritz, Charlotte und Wilhelm. Vieles im Schloß erinnert noch an jene Tage stillen Glücks, und besonders ist es »Kronprinz Fritz«, dessen Spuren sich verfolgen lassen. Es scheint fast, daß er oft längere Zeit bei der Großmutter zum Besuche war; er drechselte, spielte und kletterte im Park umher, und allerhand Anekdoten kursieren noch von alten, viel verfolgten Hofdamen, die, besonders an Winterabenden, auf dem Heimweg vom Schloß durch schattenhaftes Hinundherhuschen, durch Geraschel in den Zweigen und später am Abend durch Kratzen an der Haustür oder durch leises, gespenstisches Klingeln in ihrer Einsamkeit erschreckt wurden. Das interessanteste Überbleibsel aus jener Zeit aber ist ein Leierkasten, der damals dem Kronprinzen zum Geschenk gemacht wurde und dessen Hauptstück die Papageno-Arie war: »Ein Mädchen oder Weibchen wünscht Papageno sich.«

1805 starb die Königinwitwe, und das Schloß zu Freienwalde stand auf lange hin leer. Erst in den dreißiger Jahren hören wir wieder von bestimmten Besuchern. Prinzeß Luise Radziwill brachte hier die Sommermonate von 1836 zu; sie sehnte sich nach Stille, nach Ruhe, und sie fand sie hier.

Seit jener Zeit vergingen wohl nur wenige Sommer, wo das Schloß am Schloßgartenberg nicht auf längere oder kürzere Wochen seine Besucher gehabt hätte; aber eine Residenz, der Sitz eines Hofhalts, ist es seit den Tagen der Königinwitwe nicht wieder gewesen.

Wir treten nun an das Schloß selbst heran. Es hat mehr den Charakter eines stattlichen, geschmackvoll aufgeführten Privathauses als den eines Schlosses. Unter Laub und Blumen gelegen, aus denen, überall unterbrochen, die gelben Wände hervorleuchten, macht das Ganze einen durchaus heitern Eindruck, und doch heißt es auch von diesen Mauern: »Sie haben Leides viel gesehn.« Stilles Leid, aber um so tiefer vielleicht, je stiller es getragen wurde.

Von dem Innern des Schlosses gilt dasselbe, was von seiner äußern Erscheinung gilt: geräumige Zimmer sind da, aber weder breite Treppen noch lange Korridore, weder Hallen noch Säle. Ein Bau für eine Königin witwe, die sich selber leben will, nicht für eine Königin, die anderen leben muß. Ausschmückung und Herrichtung erweisen sich als die üblichen; nur statt des etwas nüchternen Stils der Außenseite begegnen wir einzelnen Anklängen an die viel verurteilte und doch so behagliche Rokokozeit. Chinesische Zimmer und Paradiesvogelzimmer wechseln untereinander ab, dazwischen Rosenstrauchtapeten und buntbedruckte Kattune. In den Zimmern zerstreut stehen alte Erinnerungsstücke, oft mehr absonderlich als schön und mehr bemerkenswert um der Personen willen, denen sie zugehörten, als um ihrer selbst willen. An solchen eigentümlichen Wertstücken sind die Schlösser der Hohenzollern reich, und wie in manchem andern, so gibt sich auch hierin eine Eigentümlichkeit ihres Hauses zu erkennen. Sie haben nämlich nicht das Bedürfnis, sich ausschließlich mit hoher, besternter Kunst zu umgeben, sondern gestatten mit Bereitwilligkeit, ja mit Vorliebe fast, auch dem Niedriggebornen in der Kunst, dem mit schüchterner Hand geschehenen Versuche, den Zutritt in ihr Haus. Wer die Zimmer kennt, die Friedrich Wilhelm III. zu bewohnen pflegte, wird diese Bemerkung am ehesten verstehn. Es spricht sich beides in dieser Erscheinung aus – ein Mangel und ein Vorzug. Die Hohenzollern waren nicht immer ästhetisch-feinfühlig, aber sie waren jederzeit human.

Zu diesen Betrachtungen gibt auch Schloß Freienwalde genügende Veranlassung. Da sind komplizierte »Strohnähtische« mit eingeflochtenen Namenszügen, da sind Stühle mit hochzuschraubenden Lehnen, da sind endlich Tische, aus deren Platten sich, durch Druck und Zug, Stehleitern vor dem erstaunten Auge aufrichten. Lauter Dinge, vor denen der eigentliche Kunstsinn erschrickt während ein freundlicher Sinn sie gelten läßt und sich am Streben freut. Aber, gut oder nicht, es sind nicht diese Schöpfungen, bei denen wir zu verweilen hätten. Wir treten lieber aus dem Paradiesvogelzimmer auf den Korridor hinaus und steigen einige Stufen treppab, um nach jenem besten Erinnerungsstück des Hauses zu suchen, das vor siebzig Jahren oder mehr der Jubel eines heiteren Prinzen und der Schrecken alter Hofdamen war. Wir meinen natürlich die Drehorgel. Da steht sie verstaubt im Keller. Wir legen die Kurbel an, die sich unter einem Ballen Flachs und Hede findet, und beginnen zu drehen. Aber die Harmonie ist hin. Die heiteren Töne springen nicht mehr elastisch vom Lager auf; lahm, gebrochen, verstimmt ziehen sie langsam durch die Luft und hallen düster und unheimlich von der Kellerwand zurück.

 

Schloß Freienwalde ist unbewohnt jetzt. Von Zeit zu Zeit hat es freilich noch seine Gäste, aber Laune und Zufall gefallen sich darin, die sommerliche Villa vor allem zu einem winterlichen Jagdschloß zu machen. Im Dezember, bei grauem Himmel, wenn Weg und Steg unter fußhohem Schnee liegen, dann wird es lebendig hier. Aber nur auf Stunden.

Dann, um Mitternacht, mit Peitschenknall und Schellengeläut, jagen Schlitten durch die Straßen der tief stillen Stadt, den Berg hinauf, den Park hindurch, bis vor das verschneite Schloß. Fackeln und Windlichter werfen ihren Schein auf die aussteigenden Gäste – hohe, heitere Gestalten, die den Schnee von ihren Pelzen schütteln. Sie treten auf wie solche, die hier zu Hause sind. Diener mit Taschen und Jagdgerät, mit Büchsensäcken von rotem Juchtenleder fliegen treppauf, alle Fenster werden hell, hinter den herabgelassenen Rouleaux bewegen sich einzelne Schatten, dann wieder wird es stiller, und nur von Zimmer zu Zimmer knarrt noch der Ton, womit der müde Fuß aus dem Stiefel fährt. Noch ein kurzer Befehl, eine »gute Nacht«, und alle Lichter löschen aus.

Eh der Tag graut, ist das Schloß wieder leer. Nur halbverwehte Schlittengeleise und lange Streifen, die die Spitze der Parforcepeitsche durch den Schnee zog, zeigen noch den Weg, den die Gäste auf ihrer Weiterfahrt genommen.

Und das Schloß liegt stiller da wie zuvor.

Alles, was kam und ging, war wie ein Traum.


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