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Alexander von der Marwitz

Du hoffst umsonst vom Meere,
Vom Weltgetümmel Ruh;
Selbst Lorbeer, Ruhm und Ehre
Heilt keine Wunden zu.
Waiblinger
Blühend blieb mir im Gedächtnis
Diese schlanke Heldenblume;
Nie vergeß ich dieses schöne
Träumerische Jünglingsantlitz.
H. Heine

Alexander von der Marwitz war der jüngere Bruder des Generallieutenants Ludwig von der Marwitz, dessen Leben und Charakter ich im vorhergehenden Kapitel zu schildern versucht habe. Der Anfang dieses Jahrhunderts war eine Epoche der Dioskuren, der glänzenden Brüderpaare: die beiden Humboldt, die beiden Schlegel, die beiden Tieck, die beiden Bülow – zu ihnen gesellten sich die beiden Marwitz. Beide Brüder waren von verwandter Naturanlage, von gleichem Temperament; beider Herz war groß und hatte jenen hohen Vollschlag, der die Freiheit bedeutet.

Sie hatten eine verwandte Naturanlage, so sagt ich, aber sie waren doch verschieden. Wie ein Adler war der ältere Bruder. Himmel und Einsamkeit um sich her, sah er auf die irdischen Dinge wie auf etwas Fremdes herab, wie auf das Treiben eines Lagers, das morgen abgebrochen wird; Ziel und Heimat lagen ihm über der Welt, nicht auf ihr. Anders der jüngere Bruder. Einem gezähmten Falken glich er, und früh an die Menschenwelt gewöhnt, blieb er in Zwiespalt, wo seine Heimat sei: ob hinter Gitterstäben, wo die schöne Hand der Herrin ihm Spielzeug und Schmeichelworte reichte, oder dort oben, wo die lichten Wolken im blauen Äther ziehn. Sooft er in den Lüften war, zog ihn die süße Gewohnheit zur Erde zurück, sooft er auf der Erde war, zog ihn die eingeborene Natur nach oben. Als er auf dem Punkte stand, die Gegensätze zu versöhnen und in Freiheit zu dienen, traf ihn der Tod. So starb er, »ein Hoffnungsvoller, ein Vielgeliebter«, wie die kriegsgeschichtlichen Tagebücher jener Zeit ihn nennen.

Alexander von der Marwitz ward am 4. Oktober 1787 in Berlin geboren. Nach einer andern Angabe in Friedersdorf. Seine erste Erziehung erhielt er im elterlichen Hause, teils in Berlin, teils auf dem Familiengut. Seinen Vater verlor er früh (1793), und sein zehn Jahre älterer Bruder, Friedrich August Ludwig, wurde, wenn nicht dem Namen nach, so doch in Wirklichkeit, sein Vormund. Das stete Wechseln im Aufenthalt zwischen Berlin und Friedersdorf erwies sich nicht als günstig für die Erziehung des jüngeren Bruders, und so wurde derselbe im Sommer 1794 zum Hofprediger Arens in Küstrin in Pension gegeben. Arens, wohlunterrichtet, streng und gewissenhaft in seiner Methode, legte den Grund zu dem späteren ausgezeichneten Wissen seines Zöglings. Kaum vierzehn Jahre alt, verließ dieser die Küstriner Schule, nahm in einer noch aufbewahrten, durch Gedankenreife überraschenden Rede von Lehrern und Schülern Abschied und ging nach Berlin, wo er noch dritthalb Jahre lang das damals unter Gedikes Leitung stehende, höchst ausgezeichnete Gymnasium »Zum Grauen Kloster« besuchte. Er traf hier gute Gesellschaft. Unter seinen Mitschülern befanden sich zunächst die Söhne von Büsching, Biester, Adelung und Koepke, ferner der älteste Sohn des damaligen Obersten von Scharnhorst (welcher letztere kurze Zeit vorher in preußische Dienste getreten war) und endlich der Sohn der Frau von Staël-Holstein Es heißt über ihren Sohn im Schulprogramm (1804) des Grauen Klosters: »Staël-Holstein aus Paris empfahl sich die kurze Zeit daß er die erste Klasse des Gymnasiums besuchte, durch ein gesittetes Betragen und einen lobenswerten Fleiß. Der unerwartete Tod seines Großvaters, des ehemaligen Finanzministers Necker, veranlaßte seine Mutter zur eiligen Abreise in die Schweiz, der er folgte.« – Diesem Schulprogramm entnehme ich auch eine Notiz über die Dichtungen, die Michaelis 1804 und 1806 bei Gelegenheit der öffentlichen Prüfung von den Schülern der Oberklassen deklamiert wurden. Es waren: 1. Monolog des Brutus aus der Voltaireschen Tragödie »Cäsar«; 2. »Elegie an Rosalie«, von Tiedge; 3. »Der Führer«, ein Gedicht von Luise Brachmann; 4. »Arion«, von A. W. von Schlegel; 5. »Kassandra«, von Schiller; 6. »Der Taucher«, von Schiller; 7. »Die Macht des Gesanges«, von Schiller; 8. »Hero und Leander«, von Schiller; 9. »Schillers Tod«, eine Elegie. , die, 1803 nach Deutschland gekommen, ihren Wohnsitz in Berlin genommen hatte. Sprachliche und historische Studien waren es, denen sich Marwitz schon damals mit ganzer Seele hingab. Johann von Müllers »Schweizergeschichte« machte einen solchen Eindruck auf ihn, daß er, kaum sechzehn Jahr alt den berühmten Historiker aufsuchte, um ihm seinen Dank und seine Bewunderung auszudrücken.

Dieser Schritt, unscheinbar auf den ersten Blick, gab ihm doch Gelegenheit, die Selbständigkeit seiner Denk- und Handelweise zu zeigen, die ihn später so sehr auszeichnete. Sein älterer Bruder mißbilligte diese Bekanntschaft, wie aus der ziemlich unzweideutigen Beschreibung hervorgeht, die uns derselbe von der Person Johann von Müllers hinterlassen hat. »Johann von Müller«, so schreibt er, »war ein kleines, grundhäßliches Kerlchen mit einem Spitzbauch und kleinen Beinchen, einem dicken Kopf, immer glühend von vielem Fressen und Saufen, mit Glotzaugen, die weit aus dem Kopf herausstanden und beständig rot unterlaufen waren« etc. Aber so gern bereit der jüngere Bruder war, diesen ablehnenden Geschmack des älteren gelten zu lassen, so wenig war er doch andererseits geneigt, sich den Antipathien desselben unterzuordnen.

Neben der Selbständigkeit seines Charakters trat hierin zugleich auch jener andere Zug seiner Natur hervor, der ihn, in Freud und Leid, unter den wechselndsten Schicksalen und Stimmungen beherrschte: der Zug und Hang nach dem Geistreichen. Dieser Hang nahm, bevor die letzten Jahre seines Lebens eine Klärung und größere Reife schufen, fast die Form einer Krankheit an. Alles verschwand daneben.

Um dies in ganzem Umfange zu verstehen, ist es nötig, sich in die Genialitätsbestrebungen, in die geistige Genußsucht jener Zeit zurückzuversetzen. Der bekannte Ausspruch Friedrichs des Großen, »daß er der Beschäftigung mit guten Büchern und gescheiten Leuten die genußreichsten, wo nicht die einzig genußreichen Stunden seines Lebens verdanke«, schien plötzlich die Anschauung aller feinen Köpfe geworden zu sein; sie lebten wie im Theater und horchten auf die besten Stellen. Die Personen waren nicht mehr Personen, sondern Akteurs; alles kam auf die Unterhaltung, die Belehrung an, die sie gewährten. Der Witz, die geistreiche Sentenz, der Strom des Wissens, der Zauber der Rede lösten sich wie selbständige Kunstwerke vom Sprecher los, und in derselben Weise, wie es uns, angesichts eines schönen Landschaftsbildes, nicht im geringsten kümmert, wer es gemalt hat, ob ein Vornehmer oder Geringer, ob eine saubere oder eine unsaubere Hand, so wog damals der Glanz geistiger Gaben alles auf. Ein Höcker, physisch oder moralisch, war gleichgültig, wenn es nur ein Äsop war, der ihn trug. Ein brennender Durst erfüllte die Geister, und wer diesen Durst stillte, der war willkommen. Es hätte für Vorurteil, für kleinlich und altfränkisch gegolten, moralische Bedenken zu unterhalten. Erst der Kriegssturm reinigte wieder die Atmosphäre.

Die Gestalt des Prinzen Louis Ferdinand wird immer jene Zeit hoher Vorzüge und glänzender Verirrungen wie auf einen Schlag charakterisieren. Alexander von der Marwitz war ihm ähnlich. Der Unterschied zwischen beiden war nur der, daß die Genußsucht des Prinzen seinen Charakter schließlich beeinflußte und schädigte, während Marwitz, in wunderbarer Weise, eine getrennte Wirtschaft, eine doppelte Ökonomie zu führen verstand. Das Bedürfnis geistiger Nahrung war allerdings so groß in ihm, daß er, wie sein älterer Bruder von ihm erzählt, ohne geistige Gesellschaft nicht leben konnte und selbst zum Studieren und Arbeiten durch entsprechenden Umgang angeregt werden mußte. Er schreckte dabei vor »alten Schläuchen« nicht zurück, wenn es nur eben ein alter, feuriger Wein war, den sie boten. Aber alles dies blieb bei ihm lediglich Sache der Zerstreuung, des Studiums, des Kennenlernenwollens. Die geistigen Anregungen, sobald sie eines gesunden Kernes entbehrten, waren ihm wie der Genuß eines berauschenden Getränkes, aber auch nicht mehr. Sie gewannen nicht Einfluß auf seine Überzeugungen, am allerwenigsten auf seine Haltung und Führung. Das Gemeine blieb machtlos über ihn, und so ging er durchs Leben wie gefeit durch den Adel seiner Gesinnung.

Zu diesen Bemerkungen, die darauf aus sind, die Gesamterscheinung Alexanders von der Marwitz ins Auge zu fassen, glaubte ich gleich anfangs schreiten zu dürfen, und der Name Johann von Müllers bot die beste Gelegenheit dazu. Ebendieser war die vollendete Vereinigung von geistiger Kraft und Charakterschwäche, von hohem Erkennen und niederem Handeln. Marwitz übersah in Milde, was ihm nicht paßte, und bewunderte, was ihm der Bewunderung wert erschien. Auch die Antipathien des älteren Bruders, wie bereits hervorgehoben, störten ihn hierin nicht.

Um Ostern 1804 verließ er das Graue Kloster und bezog die Universität Frankfurt, um daselbst die Rechte zu studieren. In dem bereits zitierten Schulprogramm des genannten Jahres heißt es: »Alexander von der Marwitz bildete bei uns seine glücklichen Naturanlagen mit rühmlichem Fleiße aus und empfahl sich durch ein feines und anspruchloses Betragen. Er hat in den meisten Fächern des Unterrichts, besonders in der alten Literatur, glückliche und ausgezeichnete Fortschritte gemacht.« Er blieb nur ein Jahr in Frankfurt, dessen Stern sich damals bereits im Niedergange befand. Halle lockte ihn, und in Halle vor allem der Name Wolfs. Johann von Müller schrieb an den letzteren: »Diesen Gruß bringt Ihnen Alexander von der Marwitz. Ich brauche ihn nicht zu empfehlen, weil Sie selbst bald sehen werden, wieviel in ihm ist.«

Mit immer wachsendem Eifer ging er hier an das Studium der Alten; daneben beschäftigten ihn Geschichte und Philosophie, und wie er zwei Jahre zuvor unter den Schülern des Grauen Klosters der tonangebende gewesen war, so arbeitete er sich auch hier zu gleichem Ansehen durch. Die Kommilitonen weder meidend noch suchend, immer er selbst, ernst ohne Hochmut, freundlich ohne Vertraulichkeit, so beherrschte er sie, gleich angesehen an Wissen wie an Charakter. Diese Herrschaft war das natürliche und deshalb unvermeidliche Resultat seiner Überlegenheit; dennoch beklagte sein älterer Bruder in späteren Jahren diese frühen und unbedingten Erfolge, die zuletzt ein Hochgefühl des eigenen Wertes großzogen, das schwindlig machte.

In Halle war Marwitz anderthalb Jahre. Kurz vor der Jenaer Schlacht verließ er die Universität und begab sich nach Friedersdorf, um in Abwesenheit des älteren Bruders, der, wie wir wissen, als Adjutant des Prinzen Hohenlohe wieder in die Armee getreten war, die Verwaltung des Guts zu übernehmen. Mit der Kraft und raschen Umsicht, die ihm überall, damals wie später, zu Gebote stand, auch wo es die praktische Seite des Lebens galt, griff er in die Wirtschaftsführung ein, und ohne jemals vorher sich um landwirtschaftliche Dinge im geringsten gekümmert zu haben, übersah er die Verhältnisse sofort und setzte später den heimkehrenden Bruder durch die Ordnung, die dieser vorfand, in Erstaunen. Seine Wirtschaftsführung während eines vollen Jahres war eine musterhafte gewesen, nur sein überaus reizbares Temperament hatte im Winter 1806 auf 1807 die Verwaltung des Guts und, mehr denn das, sein eigenes Leben in Gefahr gebracht. Wir lernen hier eine neue Seite seines Charakters kennen. Die Beschäftigung mit den Wissenschaften, weit entfernt davon, ihm »die Blässe des Gedankens anzukränkeln« oder das innere Feuer, das nach Taten dürstete, zu dämpfen, hatte seine ganze, leidenschaftlich angelegte Natur nur noch glühender und leidenschaftlicher gemacht. Gegen Überlegenheit des Geistes und Charakters, wo er sie fand, verhielt er sich wie ein junger Königstiger, der ruhig wird in der Nähe des Löwen. Aber freilich, er fand diese Überlegenheit selten.

Sein auflodernder Zorn war es, der ihn, während seiner Gutsverwaltung, zu einer raschen Tat hingerissen hatte, die den Stempel der Ungerechtigkeit breit an der Stirne trug. Eine durch Nachbarn ihm zugefügte Unbill hatte er in einer Weise zu rächen gesucht, die von den damals die Landesobrigkeit bildenden Franzosen als ein Mißbrauch der Gewalt gestraft werden mußte. Er wurde nachts durch französische Gensdarmen vom Gute fortgeholt und in Fesseln nach Küstrin abgeführt. Man hielt ihn schon für verloren; doch wurde die Sache durch vielfach tätige Verwendungen schließlich auf gütlichem Wege beigelegt. Die Details über diesen Vorgang fehlen.

Ende Oktober 1807 traf der ältere Bruder wieder in Friedersdorf ein. Der Tilsiter Friede hatte zur Entwaffnung so vieler Regimenter geführt und natürlich auch zur Entlassung jenes Truppenteils, der unter dem Namen des »Marwitzschen Freicorps« in Preußen und Pommern gebildet worden war. Der jüngere Bruder verließ nun das Gut wieder und ging nach Memel, wo sich damals der preußische Hof befand. Empfehlungsbriefe führten ihn bei dem Minister Stein ein, Niebuhr schenkte ihm Aufmerksamkeit und Interesse, und sein überaus gewinnendes Wesen, das ihn überall, wo er sich sympathisch berührt und geistig heimisch fühlte, die Herzen wie durch einen Zauber erobern ließ, bewährte sich auch hier. Äußerliche Mittel unterstützten seine Erfolge. Er war groß und schlank, mit feinem jugendlichen Gesicht und die schönen dunkeln Augen voll Leben und Ausdruck. Wie auf Schule und Universität, so herrschte er alsbald auch hier, wo die Männer des »Tugendbundes« ihn in ihre Mitte zogen. Er belächelte vieles, was er geschehen sah, der gemeinschaftliche Franzosenhaß aber und noch mehr vielleicht der Umstand, daß es gescheite Leute waren, mit denen er eine Stunde geistvoll plaudern und Anregung zu neuen Studien mit heimnehmen konnte, ließ ihn die Kluft absichtlich übersehen, die zwischen ihm und ihnen lag.


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