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2. Die Atheisten

 

»Die einzige Entschuldigung Gottes ist, dass er nicht existiert.«

Stendhal.

 

Das vorige Kapitel hat gezeigt, dass der Nicht-Gottgläubige eine ebenso unangreifbare Position hat wie der Gottgläubige, während der Gottesläugner sich insofern im Irrtum befindet, als er übersieht, dass für den, der an Gott glaubt, Gott eben existiert.

Wenn ich nun im folgenden einige gewichtige apologetische Stimmen aus verschiedenen Jahrhunderten zusammenstelle, die den Atheismus und die Atheisten (unter welchem Namen ich die Nicht-Gottgläubigen wie die Gottesläugner und Antitheisten begreife) zum Gegenstande haben, Stimmen von ernsten wissenschaftlichen Männern und lauteren Wahrheitskämpfern, so tue ich es nicht, um die Atheisten zu rechtfertigen: denn eine bessere Rechtfertigung als die oben gewonnene gibt es nicht, sondern um dazu beizutragen, dass die von der Kirche suggerierte Anschauung von ihnen bei den ehrlichen und vernünftigen Menschen weiche, und tue es ferner, um zu zeigen, dass grössere Wahrscheinlichkeit besteht, unter den Nicht-Gottgläubigen ehrliche, gerechte und von Menschenliebe erfüllte Leute zu treffen, als unter den Orthodoxen.

Als Einleitung diene das nur zu wahre Wort Ludwig Feuerbachs:

»Stets war die Liebe, die Wahrheit, die Humanität, – der Geist der Universalität auf Seiten des wissenschaftlichen, der Hass, die Lüge, die Intrige, die Verketzerungssucht – der Geist der Partikularität auf Seiten des orthodoxen Mannes. Kein Wunder. Die Wissenschaft befreit den Geist, die Theologie beschränkt ihn; die Wissenschaft erweitert Sinn und Herz, die Theologie beengt und beklemmt sie.«. Feuerbach: Pierre Bayle, Ansbach 1836, S. 21.

Lord Bacon of Verulam (1561-1626):

»Wenn wir uns Rechenschaft von unsern Vorstellungen in betreff der Gottheit ablegen wollen, so werden wir einräumen müssen, dass die Menschen mit dem Worte ›Gott‹ niemals etwas anderes zu bezeichnen vermochten, als die verborgenste, entfernteste, unbekannteste Ursache der Wirkungen, welche wir wahrnehmen; sie bedienen sich nur dieses Wortes, wenn das Getriebe natürlicher und bekannter Ursachen aufhört, ihnen sichtbar zu sein; sobald sie den Faden der Dinge verlieren, oder sobald ihr Verstand die Kette derselben nicht mehr verfolgen kann, zerhauen sie den Knoten der Schwierigkeit und endigen ihre Untersuchung damit, dass sie Gott die letzte Ursache nennen, d. h. diejenige, welche über allen Ursachen steht, die ihnen bekannt sind. Solchergestalt bezeichnen sie nur mit einem dunklen Namen eine unbekannte Ursache, vor welcher ihre Trägheit oder die Grenze ihres Wissens sie haltzumachen zwingt. Allemal, wenn man uns sagt, dass Gott der Urheber irgend einer Erscheinung sei, bedeutet solches nur, dass wir nicht wissen, wie solch eine Erscheinung vermittelst der uns bekannten natürlichen Kräfte oder Ursachen hervorgebracht werden kann. So kommt es, dass die grosse Mehrzahl der Menschen, deren Los Unwissenheit ist, der Gottheit nicht bloss die ihnen auffallenden ungewöhnlichen Wirkungen, sondern selbst die einfachsten Ereignisse zuschreibt, deren Ursachen allen, welche Gelegenheit hatten, darüber nachzudenken, sehr leicht erkennbar sind. Mit einem Worte: der Mensch hat immer die unbekannten Ursachen derjenigen überraschenden Wirkungen verehrt, welche zu entwirren seine Unwissenheit ihn hinderte. Auf den Trümmern der Natur haben die Menschen zuerst den imaginären Koloss der Gottheit errichtet.« Bacon: Système de la Nature, London 1781, aus Shelley, ausgew. Dichtungen, deutsch von Strodtmann, 1866, I. S. 113 f. Anmerkungen zur Königin Mab. – Shelley, 1792-1822 hatte Anfang 1811 der Universität Oxford einen Essay über die Notwendigkeit des Atheismus überreicht und war infolgedessen samt seinem Freunde Thomas Jefferson Hogg am 25. März 1811 relegiert werden. Dieser Essay ist in den Anmerkungen zu »Königin Mab« verarbeitet worden.

»Wenn die Unkenntnis der Natur die Götter gebar, so ist die Kenntnis der Natur geeignet, sie zu vernichten ... Ein wohlunterrichteter Mensch hört auf, abergläubisch zu sein.« Bacon: Moral Essays, aus Shelley-Strodtmann, S. 113.

»Der Atheismus lässt dem Menschen die Vernunft, die Philosophie, die angeborene Frömmigkeit, die Gesetze, den guten Ruf und alles, was dazu dienen kann, ihn zur Tugend anzuhalten; allein der Aberglaube vernichtet alles dieses und schwingt sich zum Tyrannen über den Menschen auf; deshalb stört der Atheismus niemals die Lenkung der Staaten, sondern er schärft den Blick des Menschen, da letzterer nichts jenseits der Grenzen des jetzigen Lebens sieht.« Bacon: Moral Essays, aus Shelley-Strodtmann, S. 113.

Pierre Bayle (1647-1706):

»Die Erfahrung lehrt, dass auch die, welche einen Himmel und eine Hölle glauben, zu Verbrechen aller Art fähig sind und es ist daher evident, dass die Neigung zum Bösen nicht daher kommt, dass man nicht weiss, dass ein Gott ist, und dass sie nicht durch die Erkenntnis eines strafenden und belohnenden Gottes gebessert wird, offenbar, dass die Neigung zum Bösen in einer Seele, die keine Erkenntnis von Gott hat, nicht stärker ist, als in einer Seele, die Gott kennt. (§ 145.) Wir können es sogar als ein Prinzip aufstellen, dass 1. die Menschen im höchsten Grade sittenlos und doch vollkommen von der Wahrheit einer Religion, selbst der christlichen Religion überzeugt sein können; 2. dass die Erkenntnisse der Seele nicht die Ursache unserer Handlungen sind; 3. dass, allgemein gesprochen, der Glaube einer Religion nicht den Wandel eines Menschen regelt und bestimmt, ausser dass er höchstens dazu geeignet ist, in seinem Herzen Zorn gegen Andersdenkende, Furcht, wenn er sich von Gefahr bedroht glaubt, und andere ähnliche Leidenschaften hervorzubringen.« (§ 143.) Vergl. hierzu auch Holbach: Le Bon-Sens § 175 ff. u. 178 f.

»Bildet euch also nicht ein, dass Leute ohne Religion schlechter handeln würden, als ihr Christen mit eurer Religion; denn die Neigung zum Mitleid, zur Nüchternheit, zur Milde usw. kommt, wie gesagt, nicht daher, dass man weiss: es ist ein Gott, sondern von einer gewissen Verfassung des Temperaments, welche durch die Erziehung, durch das persönliche Interesse, durch das Verlangen nach Lob, durch den Vernunftinstinkt und andere ähnliche Motive, die ebensogut in Atheisten, als in den übrigen Menschen sich vorfinden, befestigt wurde. (§ 146.) Weltliche Prinzipien allein regieren die gemeine Welt – Furcht vor der weltlichen Gerechtigkeit, vor allem Furcht vor Schande. Les loix humaines font la vertu d'une infinité des personnes.« (§ 162.)

»Eine Gesellschaft von Atheisten würde die bürgerlichen und moralischen Tugenden ebensogut als die übrigen Gesellschaften realisieren, wenn sie nur die Verbrechen strenge bestrafte und die Vorstellungen der Ehre und Schande an gewisse Dinge knüpfte, denn dadurch, dass die Glieder der Gesellschaft nichts wüssten von einem ersten Wesen als einem Erhalter und Schöpfer der Welt, würden nicht die Gefühle für Ehre und Schande, für Lohn und Strafe und alle sonstigen Leidenschaften, welche die übrigen Menschen bewegen, ausgerottet, auch nicht alle Erkenntnisse der Vernunft vertilgt. Man würde daher auch unter ihnen Leute antreffen, die redlich wären im Verkehr, hilfreich gegen Arme, Feinde der Ungerechtigkeit, treu gegen ihre Freunde, grossmütig gegen ihre Beleidiger, fähig, den Wollüsten des Leibes zu entsagen, gutmütig gegen jedermann ... Die Begriffe der Ehre und Schicklichkeit, welche unter den Christen herrschen und je nach verschiedenen Zeiten und Völkern verschieden sind, kommen keineswegs aus ihrer Religion.« (§ 172.) Bayle: Pensées diverses écrites à un Docteur de Sorbonne, à l'occasion de la Comète qui parut au mois de Décembre MDCLXXX; aus: Feuerbach: Pierre Bayle, S. 46-49.

»Keineswegs,« fasst Feuerbach zusammen, »ist also das Wohl einer Gesellschaft, eines Staates schlechtweg unverträglich mit dem Atheismus. Im Gegenteil, es war nur zu oft die Religion, welche den Menschen Motive zu verbrecherischen Handlungen eingab, welche der Atheist nicht in sich finden konnte.« Ebenda, S. 53.

»Der unreinste Sinn kann sich hinter die Religion verstecken: die schmutzigsten, verächtlichsten Gesinnungen, die niedrigsten Persönlichkeiten, die schlechtesten Weltzustände vertragen sich wohl mit der Religion, aber nicht mit der Idee der SittlichkeitEbenda, S. 83.

»Nur die Ethik,« fügt Feuerbach hinzu, »– freilich nicht eine bornierte Moral, die die Pflicht in ihrer trivialsten Bedeutung erfasst, die sich nicht stützt auf die unendliche Idee des Guten ... – ist darum die wahre Religion; sie ist der Geist der Religion, der offen ausgesprochene, der sich selbstgewisse, der sich nicht durch Phantasiebilder täuschende und hintergehende, in dunkle Embleme und konfuse Vorstellungen verbergende Geist, das reine, einfache, gerade Wort der Wahrheit, fern von aller orientalischen Bilderpracht. Nur die Ethik erzeugt, wie die Geschichte beweist, offene, freie, redliche, widerspruchslose, natürliche, wahrhafte, echt-religiöse Charaktere. Friedrich II. war ein religiöser Fürst. Die Staatsreligion, die Religion des Regenten ist allein die heilige Idee der Gerechtigkeit. Ein gerechter Fürst ist per se ein frommer Fürst; denn er subordiniert sich demütigst der heiligen Idee und Pflicht der Gerechtigkeit, und die Gerechtigkeit ist nichts andres, als die der Vernunft konforme, die allgemeine Liebe, die Liebe aber zur Menschheit die einzig wahre Gottesliebe, wie dies die Weisen aller Zeiten gewusst und gesagt haben.«

Ludwig Feuerbach (1804-1872):

Alles, »was im Sinne der übermenschlichen Spekulation und Religion nur die Bedeutung des Abgeleiteten, des Subjektiven oder Menschlichen, des Mittels, des Organs hat, das hat im Sinne der Wahrheit die Bedeutung des Ursprünglichen, des Göttlichen, des Wesens, des Gegenstandes selbst. Ist z. B. das Gefühl das wesentliche Organ der Religion, so drückt das Wesen Gottes nichts anderes aus, als das Wesen des Gefühls ...

Das Gefühl ist atheistisch im Sinne des orthodoxen Glaubens, als welcher die Religion an einen äusseren Gegenstand anknüpft; es leugnet einen gegenständlichen Gott – es ist sich selbst Gott. Die Verneinung des Gefühls nur ist auf dem Standpunkt des Gefühls die Verneinung Gottes. Du bist nur zu feige oder zu beschränkt, um mit Worten einzugestehen, was dein Gefühl im stillen bejaht. Gebunden an äussere Rücksichten, unfähig, die Seelengrösse des Gefühls zu begreifen, erschrickst du vor dem religiösen Atheismus deines Herzens und zerstörst in diesem Schrecken die Einheit deines Gefühls mit sich selbst, indem du dir ein vom Gefühl unterschiedenes, gegenständliches Wesen vorspiegelst, und dich so notwendig wieder zurückwirfst in die alten Fragen und Zweifel: ob ein Gott ist oder nicht? – Fragen und Zweifel, die doch da verschwunden, ja unmöglich sind, wo das Gefühl als das Wesen der Religion bestimmt wird. Das Gefühl ist deine innigste und doch zugleich eine von dir unterschiedene, unabhängige Macht, es ist in dir über dir: es ist dein eigenstes Wesen, das dich aber als und wie ein anderes Wesen ergreift, kurz dein Gott – wie willst du also von diesem Wesen in dir noch ein anderes gegenständliches Wesen unterscheiden? wie über dein Gefühl hinaus?« »Das Wesen des Christentums«, 4. Aufl. 1883, S. 44 f.

»Nicht die Eigenschaft der Gottheit, sondern die Göttlichkeit oder Gottheit der Eigenschaft ist das erste wahre göttliche Wesen. Also das, was der Theologie und Philosophie bisher für Gott, für das Absolute, Wesenhafte galt, das ist nicht Gott; das aber, was ihr nicht für Gott galt, das gerade ist Gott – d. i. die Eigenschaft, die Qualität, die Bestimmtheit, die Wirklichkeit überhaupt. Ein wahrer Atheist, d. h. ein Atheist im gewöhnlichen Sinne, ist daher auch nur der, welchem die Prädikate des göttlichen Wesens, wie z. B. die Liebe, die Weisheit, die Gerechtigkeit Nichts sind, aber nicht der, welchem nur das Subjekt dieser Prädikate Nichts ist.« »Das Wesen des Christentums«, 4. Aufl. 1883, S. 60.

»Es ist eine der gewöhnlichsten Lamentationen der religiösen und gelehrten Heuler über den Atheismus, dass er ein wesentliches Bedürfnis des Menschen zerstöre oder verkenne, nämlich das Bedürfnis desselben, etwas über sich Seiendes anzunehmen und zu verehren, dass er eben deswegen den Menschen zu einem egoistischen und hochmütigen Wesen mache. Allein der Atheismus hebt nicht, indem er das theologische Ueber dem Menschen aufhebt, damit auch das moralische und natürliche Ueber auf. Das moralische Ueber ist das Ideal, das sich jeder Mensch setzen muss, um etwas Tüchtiges zu werden; aber dieses Ideal ist und muss sein ein menschliches Ideal und Ziel. Das natürliche Ueber ist die Natur selbst, sind insbesondere die himmlischen Mächte, von denen unsere Existenz, unsere Erde abhängt; ist ja die Erde selbst nur ein Glied derselben und das, was sie ist, nur innerhalb der Stellung, die sie in unserem Sonnensystem einnimmt. Selbst das religiöse überirdische und übermenschliche Wesen verdankt seinen Ursprung nur dem sinnlichen, optischen Ueber-uns-sein des Himmels und der Himmelskörper.« »Vorlesungen über das Wesen der Religion«, Leipzig 1851, S. 136 f.

»Der Mensch geht von dem ihm Nächsten, dem Gegenwärtigen aus und schliesst von da auf das Entferntere, das tut der Atheist, das der Theist. Der Unterschied zwischen dem Atheismus oder Naturalismus, überhaupt der Lehre, welche die Natur aus sich oder einem Naturprinzip begreift, und dem Theismus oder der Lehre, welche die Natur aus einem heterogenen, fremdartigen, von der Natur unterschiedenen Wesen ableitet, ist nur der, dass der Theist vom Menschen ausgeht und von da zur Natur übergeht, auf sie schliesst, der Atheist oder Naturalist von der Natur ausgeht und erst von ihr aus auf den Menschen kommt. Der Atheist geht einen natürlichen, der Theist einen unnatürlichen Gang. Der Atheist setzt der Kunst die Natur voraus, der Theist aber die Kunst der Natur; er lässt die Natur aus der Kunst Gottes, oder, was eins ist, aus der göttlichen Kunst entspringen; der Atheist lässt das Ende erst auf den Anfang folgen; er macht das der Natur nach Frühere zum Erstem, der Theist aber macht das Ende zum Anfang, das Späteste zum Ersten, kurz er macht nicht das natürliche unbewusst wirkende Wesen der Natur zum ersten Wesen, sondern das bewusste, menschliche, künstlerische Wesen, er begeht daher die Verkehrtheit, statt aus dem Unbewussten das Bewusste, aus dem Bewusstsein das Unbewusste entstehen zu lassen ... Der Theist schliesst nämlich ... daraus, dass er die Natur, die Welt wie ein Wohnhaus, eine Uhr oder sonst ein mechanisches Kunstwerk ansieht, auf einen Werk- und Kunstmeister als ihren Urheber. Er macht also die Kunst zum Original der Natur; die menschlichen Werke sind es, nach denen er die Naturwerke denkt; daher eben der Schluss, dass die hervorbringende Ursache derselben ein persönliches Wesen, wie der Mensch, ein Macher, ein Schöpfer sei.« Vorlesungen über das Wesen d. R., S. 192 f.

»Der Hauptgrund, warum der Mensch die Welt aus Gott, aus einem Geiste ableitet, ist, weil er sich nicht aus der Welt oder Natur seinen Geist erklären kann. Woher ist denn der Geist? rufen die Theisten den Atheisten entgegen: Geist kann ja nur aus Geist kommen. Die Schwierigkeit der Ableitung des Geistes aus der Natur kommt jedoch nur daher, dass man sich auf der einen Seite von der Natur eine zu despektierliche, auf der andern vom Geiste eine zu hohe vornehme Vorstellung macht. Wenn man den Geist zu einem Gott macht, so kann er natürlich nur göttlichen Ursprungs sein. Ja, die Behauptung, dass der Geist nicht aus der Natur abgeleitet werden könne, ist schon die indirekte Behauptung, dass der Geist ein nicht natürliches, ein ausser- und überweltliches, göttliches Wesen ist. In der Tat ist auch der Geist, wie ihn die Theisten fassen, nicht aus der Natur erklärbar, denn dieser Geist ist ein sehr spätes Produkt, und zwar ein Produkt der menschlichen Phantasie und Abstraktion und daher so wenig ableitbar, wenigstens unmittelbar ableitbar aus der Natur, als ein Leutnant, ein Professor, ein Regierungsrat unmittelbar aus der Natur erklärbar ist, wenn es gleich der Mensch ist. Wenn man aber aus dem Geiste nicht mehr Wesens macht, als sich gehört, wenn man ihn nicht zu einem abstrakten, von Menschen abgesonderten Wesen macht, so wird man seine Entstehung aus der Natur nicht unbegreiflich finden. Der Geist entwickelt sich ja mit dem Leibe, mit den Sinnen, mit dem Menschen überhaupt; er ist gebunden an die Sinne, an den Kopf, an körperliche Organe überhaupt; soll etwa das körperliche Organ, der Kopf, d. h. die Tätigkeit des Hirns aus einem Wesen von einer ganz anderen Gattung, als die Natur ist, aus einem Denk- und Phantasiewesen, aus einem Gott abgeleitet werden? Welche Halbheit, welcher Zwiespalt, welche Verkehrtheit! Woher der Schädel, woher das Hirn, daher ist auch der Geist; woher das Organ, daher auch die Verrichtung desselben; denn wie sollte sich beides voneinander trennen lassen? Wenn also das Hirn, wenn der Schädel aus der Natur, ein Produkt derselben ist, so ist es auch der Geist.« Vorlesungen über das Wesen d. R., S. 196 f.

»Wenn der Atheismus nichts weiter wäre, als eine Verneinung, ein blosses Leugnen ohne Inhalt, so taugte er nicht für das Volk, d. h. nicht für den Menschen, nicht für das öffentliche Leben; aber nur, weil er selbst nichts taugte. Allein der Atheismus, wenigstens der wahre, der nicht lichtscheue, ist zugleich Bejahung, der Atheismus verneint nur das vom Menschen abgezogene Wesen, welches eben Gott ist und heisst, um das wirkliche Wesen des Menschen an die Stelle desselben als das wahre zu setzen. Der Theismus, der Gottesglaube dagegen ist verneinend, er verneint die Natur, die Welt und Menschheit: vor Gott ist die Welt und der Mensch Nichts, Gott ist und war, ehe Welt und Menschen waren; er kann ohne sie sein, er ist das Nichts der Welt und des Menschen; Gott kann die Welt, so glaubt der strenge Gottesgläubige wenigstens, jeden Augenblick zu Nichts machen; für den wahren Theisten gibt es keine Macht und Schönheit der Natur, keine Tugend des Menschen; alles nimmt der gottesgläubige Mensch dem Menschen und der Natur, nur um damit seinen Gott zu schmücken und zu verherrlichen ... Der Theismus opfert ... das wirkliche Leben und Wesen der Dinge und Menschen einem blossen Gedanken- und Phantasiewesen auf. Der Atheismus dagegen opfert das Gedanken- und Phantasiewesen dem wirklichen Leben und Wesen auf. Der Atheismus ist daher positiv, bejahend; er gibt der Natur und Menschheit die Bedeutung, die Würde wieder, die ihr der Theismus genommen; er belebt die Natur und Menschheit, welchen der Theismus die besten Kräfte ausgesogen. Gott ist eifersüchtig auf die Natur, auf den Menschen ... er allein will verehrt, geliebt, bedient sein; er allein will Etwas, alles andere soll Nichts sein, d. h. der Theismus ist neidisch auf den Menschen und die Welt; er gönnt ihnen nichts Gutes. Aber Neid, Missgunst, Eifersucht sind zerstörende, verneinende Eigenschaften. Der Atheismus aber ist liberal, freigebig, freisinnig; er gönnt jedem Wesen seinen Willen und sein Talent; er erfreut sich von Herzen an der Schönheit der Natur und an der Tugend des Menschen. Aber die Freude, die Liebe zerstreuen nicht, sondern beleben, bejahen. Aber ebenso wie mit dem Atheismus, ist es mit der von ihm unzertrennlichen Aufhebung des Jenseits. Wenn diese Aufhebung nichts weiter als eine leere, inhalt- und erfolglose Verneinung wäre, so wäre es besser oder doch gleichgültig, ob man es stehen oder fallen liesse. Allein die Verneinung des Jenseits hat die Bejahung des Diesseits zur Folge; die Aufhebung eines besseren Lebens im Himmel die Forderung in sich: es soll, es muss besser werden auf der Erde; sie verwandelt die bessere Zukunft aus dem Gegenstand eines müssigen, tatlosen Glaubens in einen Gegenstand der Pflicht, der menschlichen Selbsttätigkeit.« Vorlesungen über das Wesen d. R., S. 366 f.

»Die Religion für sich selbst lässt, wenn sie nicht durch die Vernunft erleuchtet wird, den Menschen in Finsternis, ja ... die Religion stürzt, wenn sie, statt der Vernunft zu gehorchen, die Vernunft beherrschen will, die Menschheit in die barbarischsten, greuelvollsten, irrigsten, grundverderblichsten Lehren; denn das Dogma vom Gewissenszwang hebt alle Begriffe, alle Gesetze der Ethik und Gerechtigkeit auf, rechtfertigt jedes Verbrechen, wie Bayle trefflich nachweist. Erkennen wir, dass gerade die Ungläubigen, die Freigeister, kurz, diejenigen, welche die unterdrückte Macht der Vernunft wieder zu heben suchten, es waren, welche der Menschheit die Unterschiede zwischen Recht und Unrecht, zwischen Wahrheit und Lüge, zwischen Gut und Schlecht wieder offenbarten! Erkennen wir, dass es kein Heil für die Menschheit ausser der Vernunft gibt! Der Glaube mag den Menschen beseeligen, beruhigen; aber soviel ist gewiss: er bildet, er erleuchtet nicht den Menschen, er löscht vielmehr das Licht im Menschen aus, um angeblich ein anderes, übernatürliches Licht an seine Stelle zu setzen. Aber es gibt nur Ein Licht – das Licht der Natur, das in den Tiefen der Natur der Dinge gegründete Licht, das allein auch das göttliche Licht ist, die Lichter in Plural sind gemachte Lichter – wer dieses eine Licht verlässt, begibt sich in die Finsternis. Feuerbach: Bayle, S. 164. Mais [sagt Leibnitz Opera omnia, T. II, pag. 168.] c'est un malheur des hommes de se dégoûter enfin de la raison même et de s'ennuyer de la lumière. Les chimères commencent à revenir et plaisent, parce qu'elles ont quelque chose de merveilleux

»Die gläubigen Theologen und Philosophen haben zwar allen ihren Verstand aufgeboten, um die augenfälligen Widersprüche der Wirklichkeit mit der religiösen Einbildung einer göttlichen Vorsehung auszugleichen; aber es verträgt sich weit mehr mit einem wahrheitliebenden Herzen, weit mehr selbst mit der Ehre Gottes oder eines Gottes, sein Dasein geradezu zu leugnen, als durch die schändlichen und albernen Kniffe und Pfiffe, welche die gläubigen Theologen und Philosophen zur Rechtfertigung der göttlichen Vorsehung ausgeheckt haben, sein Dasein kümmerlich zu fristen. Es ist besser ehrenvoll zu fallen, als ehrlos zu bestehen. Der Atheist lässt aber Gott ehrenvoll fallen, der Theist, der Rationalist dagegen ehrlos, à tout prix bestehen!«

Ferdinand Heigl (1839-1903):

»Die moralischen Zustände in der gebildeten Welt, über deren Glaubenslosigkeit so viel geklagt wird, sind besser geworden als sie früher waren und übertreffen weitaus den sittlichen Zustand der unaufgeklärten Massen. Ja, wir behaupten sogar, eine wahre Tugend ist nur da, wo das Gute selbstlos, ohne Aussicht auf eine Belohnung und noch dazu auf eine ewige geschieht, – unsere Religionen machen im Grunde gemein, die Tugend, die ihre Anhänger ausüben, ist eine egoistische, wucherische, – denn sie sind gut, um mit der kurzen Spanne Zeit, die sie es sind, mit dem geringen Aufwande der Wohltaten, die sie spenden, der sog. Nächstenliebe, die sie üben, eine ewige Seligkeit, ein nie endendes Leben voller Jubel und ewiger Kirchweih einzutauschen.

Das Gute ist nur da selbstlos geübt, wo weder Furcht noch Hoffnung besteht, und so wird der Atheismus, welcher, um allgemein zu werden, höchste Bildung, weil höchste Erkenntnis voraussetzt, auch der Ausgangspunkt der höchsten, der reinsten Moral sein.« Spaziergänge eines Atheisten, 8. Aufl. (1907), S. 34.

Paul Heinrich Dietrich von Holbach (1723 bis 1789):

»Die Religion (der Kirche, der Theologen) hat zu allen Zeiten nichts getan als den Geist des Menschen mit Finsternis zu erfüllen und ihn in der Unwissenheit über seine wahren Verhältnisse, seine wahren Pflichten, seine wahren Interessen zu erhalten. Nur indem wir ihre Nebel und ihre Phantome beseitigen, werden wir die Quellen der Wahrheit, der Vernunft, der Moral und die wirklichen Motive, die uns zur Tugend führen müssen, entdecken. Die Religion führt uns sowohl über die Ursachen unserer Leiden wie über die natürlichen Heilmittel, die wir dagegen anwenden können, hinters Licht: weit entfernt sie zu heilen, kann sie dieselben nur verschlimmern, vervielfältigen und hartnäckiger machen. Sagen wir also mit einem berühmten Modernen [Lord Bolingbroke, in seinen nachgelassenen Werken]: ›die Theologie ist die Büchse der Pandora, und wenn es unmöglich ist, sie zu schliessen, ist es zum mindesten nützlich, darauf hinzuweisen, dass diese Büchse in offenem Zustande so verhängnisvoll ist‹.« Le Bon-Sens ou Idées naturelles opposées aux Idées surnaturelles, à Londres 1772; § 206.

Heinrich Lhotzky, einer der edelsten Gottgläubigen und Gottsucher unserer Tage, sagt über Gott und Atheismus: Leben, ein Blatt für denkende Menschen, von Heinr. Lhotzky, V, 1, S. 9 f.

»Eines ist jedenfalls klar und wird von Bekennern und Leugnern gleichmässig zugestanden, dass niemand Gott je gesehen hat. Ferner sollte allmählich überall anerkannt werden, dass es keinen zwingenden Beweis für Gott gibt. Demnach sollte eigentlich jeder, der sich eine Vorstellung von Gott macht, so tief er kann davon schweigen. Ist Gott selbst unbeweisbar, so erst recht jede Vorstellung über Gott. Sie kann nicht mehr sein als das Sondereigentum eines jeden, ja man kann mit vollem Rechte sagen, dass sie sicher falsch ist.

Wir Menschen können alles nur nach unsern Sinneseindrücken beurteilen. Also vermögen wir uns keinesfalls eine Vorstellung von einem Wesen zu machen, das jenseits aller Sinnesmöglichkeiten steht, das nie jemand sah, nie jemand sehen kann und das in seiner Wesenheit von allem Bekannten in jeder Beziehung abweichen muss.

Das ist ja die Ursache: warum es überhaupt einen Atheismus gibt. Er ist im Wesen Gottes selbst begründet und ist mit den gewöhnlichen Denkmitteln der Menschen völlig unwiderleglich. Der echte Atheismus ruht auf grundehrlicher Wahrheitsliebe und verzichtet auf Grund aller Erkenntnismöglichkeiten, die dem Menschen in seinem jetzigen Zustande gegeben sind, auf jede Aussage über ein Wesen, das jenseits dieses Seins vorhanden sein könnte. Da sich ihm ausserdem die Welt als lückenloses Ganzes darstellt, so weiss er schlechthin das Wesen Gott nicht unterzubringen und zieht daraus den durch die Sinne gegebenen Schluss, dass Gott nicht vorhanden sei.«

Zum Schluss noch eine ergänzende Bemerkung:

Der kirchlich-fromme konservative »Reichsbote« schrieb anlässlich der Gründung des Keplerbundes, eines Kindes reaktionärer Väter:

»Der neugegründete Keplerbund wird in ganz Deutschland mit lebhafter Freude begrüsst. Derselbe will in allen Schichten unseres Volkes Naturerkenntnis fördern, und zwar im Gegensatz zu der heute so gewissenlos betriebenen Ausbeutung der Naturwissenschaft von atheistisch-monistischer Seite.« Vergl. »Das freie Wort«, 7. Jahrg. Nr. 19 (1908) S. 754.

Hierzu ist zu sagen: wenn der Atheismus die Naturwissenschaft in seinem Sinne »ausbeutet«, so ist das sein gutes Recht, um so mehr als er mit ehrlichen Mitteln arbeitet und damit nur einer Ueberzeugung nicht aber dem eigenen Vorteil dient. Er hat weder die Möglichkeit, fette Pfründen, noch Ehrenämter noch Staatsstellen »Der Grund für die Erscheinung, dass man durch seine offene Stellungnahme als Atheist oder Dissident sich bei unseren Staatsbehörden schadet, ist der, dass es eben ohne Gott kein Gottesgnadentum gibt, dass der, der in religiöser Hinsicht an dem Hergebrachten rüttelt, auch nicht konservativ in anderen ist und dass man ohnehin das Volk am liebsten in dem Dämmer der alten Zeit sieht«, sagt Heigl (S. 85). zu fischen und weiss das sehr wohl. Sein Zweck ist nur, den blauen Dunst der übermächtigen Kirchenleute zu zerstreuen und die Menschen zur inneren Freiheit und Wahrhaftigkeit zu erziehen. Diejenigen, die nicht wünschen, dass die innere Freiheit und Wahrhaftigkeit Verbreitung finde und die in dem Volke nur ein Werkzeug für ihre Ambitionen erblicken, mögen dieses Vorgehen immerhin für gewissenlos erklären, sie dürfen aber nicht hoffen, dass ihre Interpretation des Begriffes »Gewissen« in der Welt der Unbefangenen und Ehrlichen akzeptiert werde. Im übrigen beutet der Atheismus oder Monismus die Naturwissenschaft nicht in seinem Sinne aus, er ist vielmehr eine notwendige Folge der Naturerkenntnis und betrachtet und benutzt mit Recht ihre neueren Ergebnisse als Bestätigung der früher auf demselben Wege gewonnenen Ueberzeugungen.

»Wie glücklich, wie reich, wie mächtig, wie geehrt,« sagt Feuerbach, »sind nicht noch heute die Gottgläubigen, wenn sie es gleich nur noch mit dem Munde sind! Wie wahr ist der Ausspruch des Apostels, dass die Frömmigkeit die Verheissung dieser und der künftigen Welt hat! O wie erbärmlich steht neben diesem eminenten Segen der Frömmigkeit die Tugend des Atheismus da! O welch ein Tor ist doch der Atheist! Wie wenig versteht er sich auf sein Heil, d. h. auf seinen irdischen und himmlischen Profit!« Gottheit, Freiheit und Unsterblichkeit vom Standpunkte der Anthropologie, II. Aufl. Leipzig 1890. S. 238 f.

Der Atheist kämpft mit offenem Visier gegen den Wahn, der die Natur verleumdet und den Zusammenhang des Menschen mit ihr zerreisst und ihn zu einer Beute der Angst macht. Er kämpft mit der Ueberzeugung und Gesinnung im Herzen, die sich in folgenden Worten Nietzsches ausspricht: »Nachdem Buddha tot war, zeigte man noch Jahrhunderte lang seinen Schatten in einer Höhle – einen ungeheuren schauerlichen Schatten. Gott ist tot: aber so wie die Art der Menschen ist, wird es vielleicht noch Jahrtausende Höhlen geben, in denen man seinen Schatten zeigt. – Und wir – wir müssen auch noch seinen Schatten besiegen!« Werke (Kl. 8° Ausgabe), Erste Abtlg. Bd. V (»Die fröhliche Wissenschaft«) S. 147.

Das heisst aber allein um innern Lohn gegen eine Welt kämpfen.


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