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In tierkundlichem Sinne sind auch die Aktinien oder Seeanemonen nichts anderes als Polypen (Abb. 16), unterscheiden sich aber von den Korallpolypen dadurch, daß sie kein festes Stützgerüst ausscheiden, keine Tierstöcke bilden, sondern sich als Einzelwesen durchs Leben schlagen, nicht achtstrahlig, sondern sechsstrahlig gebaut und nicht zeitlebens auf ihrer Unterlage festgewachsen, sondern einer, wenn auch sehr beschränkten Ortsveränderung fähig sind, wozu dann noch einige Abweichungen im inneren Leibesbau kommen. Es gibt aber auch ein vermittelndes Übergangsglied zwischen beiden Gruppen, nämlich die Korkpolypen, die mit einer Art ( Alcyonium digitatum) auch in der deutschen Nordsee vertreten sind, während sie in der Ostsee völlig fehlen. Diese Tiere bilden nur mäßig große, gelbrötlich gefärbte stocke von höchstens 20 cm Höhe, und ihr Stützgerüst ist nicht, wie bei den Korallen, steinhart, sondern vielmehr von ledriger, korkartiger Beschaffenheit, dabei mit dicken, abgerundeten Ästen unregelmäßig verzweigt, so daß das ganze Gebilde einer menschlichen Hand mit ausgebreiteten Fingern einigermaßen ähnlich sieht und deshalb auch von den holländischen Fischern »doode Manshand« genannt wird.

Abb. 17. Seeanemonen und Seenelken. Unten links sitzt eine Seeanemone auf dem Muschelgehäuse eines Einsiedlerkrebses.

Reizt man einen der schneeweißen Einzelpolypen, so ziehen gleichzeitig auch alle seine Mitpolypen sich ängstlich zurück – ein Beweis dafür, daß der ganze Stock ein gemeinsames Empfindungsvermögen besitzen muß. Er hat gewöhnlich ein verschwollenes und glasiges Aussehen, so prall ist er mit Wasser angefüllt. Die zugehörigen Flimmerlarven haben die Form eines Damenmedaillons. – Die Aktinien selbst, die sich aus nur zwei Keimblättern aufbauen, also auf der Stufe der Haeckelschen Becherlarve ( Gastrula) stehen geblieben sind, stellen eine längliche Röhre mit rundlichem Querschnitt dar, wobei wir Zwerge von nur 1 cm und Riesen von ½ m Höhe finden können. Die Mundöffnung befindet sich auf der Mitte der Oberseite, muß aber zugleich auch noch als Auswurfs- und Geburtsöffnung dienen, denn ein durchlaufender Verdauungskanal ist bei diesen Tieren noch nicht zur Ausbildung gelangt. Wohl aber führt vom Munde ein kurzes Fallrohr, das der Speiseröhre höherer Tiere entspricht, in den weiten Magensack, und es ist eigentlich erstaunlich, daß dieser ohne alle Hilfsorgane selbst so hartschalige Beutetiere wie Fische, Krebse, Muscheln und Schnecken zu verdauen vermag und nur ihre Knochengerüste oder die völlig entleerten Panzer, Schalen und Gehäuse wieder ausgeworfen werden. Nach unten läuft der Seerosenkörper in eine Art Fußplatte aus, mit der sich das Tier auf seiner Unterlage festheftet, aber auch langsam fließende Kriechbewegungen zu vollführen vermag. Von der lederartigen Leibeswand aus springen sechs (oder das Mehrfache davon) radiale Scheidewände in das Innere vor, das dadurch wie eine Mohnkapsel in eine Anzahl von Kammern geteilt wird. Diese Scheidewände reichen in ihrer oberen Hälfte bis zum Schlundrohr, während sie in ihrer unteren Hälfte wie Kulissen frei in die Leibeshöhle hineinragen. Ganz oben und außerhalb des sackartigen Körpers setzen sie sich als hohle Arme fort und umgeben so in Gestalt zusammenziehbarer Tentakeln kranzförmig die quer ovale Mundöffnung. Sie sind es, die im Dienste der Ernährung stehen und die Empfindung vermitteln. Eigentliche Nerven fehlen dagegen oder sind doch nur angedeutet, worum manche hysterische Seele diese stillen Pflanzentiere fast beneiden könnte. Sie haben weder Augen noch Ohren, wozu auch? Das Licht fühlen sie, entfalten und entschleiern bei klarem Himmel ihre ganze geruhsame Schönheit, schrumpfen aber und ziehen den zarten Blumenleib zu einem formlosen Klumpen zusammen, wenn das sie belebende Licht fehlt.

Bekommt eine Seeanemone Lust, aus irgendwelchen Gründen ihren Platz zu wechseln, was freilich nicht oft der Fall ist, so dehnt sie ihre rundliche Fußscheibe in der beabsichtigten Kriechrichtung zu einem Oval aus und schiebt sich nun mit fast unmerklicher Langsamkeit vorwärts. Schneller kommt sie vom Fleck, wenn sie sich nach Art der Spannerraupen bewegt, wie dies schon Réaumur beobachtet hat. Dabei biegt sie sich seitwärts, reckt sich lang aus, befestigt ihre Fangarme auf dem Boden, löst dafür die Fußscheibe ab, zieht den Leibesschlauch nach, heftet sich wieder mit der Fußscheibe vorübergehend an und wiederholt nun beständig diesen Vorgang, bis sie ihr Ziel erreicht hat. Mit Vorliebe siedeln sich die Aktinien in der Zone zwischen Ebbe und Flut an, ja vielen Arten scheint es geradezu Lebensbedürfnis zu sein, zeitweise trocken gelegt und dann wieder von der Salzflut überspült zu werden, wo sie aber in kälteren Breiten leben, wird es mit Anbruch der rauhen Jahreszeit schließlich doch gar zu ungemütlich für sie, und sie machen sich deshalb von ihrer Unterlage los und lassen sich weiter ins Meer hineinspülen, wo sie dann in größeren Tiefen behaglichere Temperaturverhältnisse vorfinden. Viele Seeanemonen wissen die Nachteile der seßhaften Lebensweise dadurch einigermaßen auszugleichen, daß sie sich auf einem vom Einsiedlerkrebs bewohnten Wellhorngehäuse ansiedeln und sich nun von dem munteren Krebs vergnüglich herumkutschieren lassen – einer der bekanntesten Fälle von Symbiose. Beide Partner kommen dabei gut auf ihre Rechnung: die Aktinie erhält reichlichere Nahrungszufuhr, zumal von den Resten der Mahlzeit des Krebses auch noch mancher gute Bissen für sie abfällt, während andererseits der Krebs bei feindlichen Angriffen in der Seeanemone mit ihren Nesselbatterien einen wertvollen Verbündeten hat.

So wehrlos, wie man zunächst glauben möchte, sind nämlich die Aktinien keineswegs, besitzen vielmehr eine ebenso eigenartige wie wirksame Waffe. Es sind das die sog. Nesselkapseln(Abb. 18), die die Wirkung von Giftpfeil und Lasso vereinigen und namentlich an den Armen in so großer Zahl angebracht sind, daß an eine Erschöpfung dieses gefährlichen Kampfmittels auch bei stärkster Inanspruchnahme gar nicht zu denken ist. Besitzt doch die rote Seerose der Nordsee z. B. in einem Fangarm mittlerer Größe nach Marshall mehr als 4 Millionen Nesselkapseln und in allen ihren Fangarmen zusammen mehr als 500 Millionen. In einem Fangarm der prachtvollen samtgrünen Seerose vollends wurden über 43 Millionen Nesselkapseln festgestellt, und da das Tier 150 Fangarme besitzt, verfügt es über den ungeheuren Vorrat von 6450 Millionen Nesselkapseln!

Abb. 18. Nesselkapseln.


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