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Wer jemals in Neapel oder sonst irgendeiner italienischen Hafenstadt eine der kleinen einheimischen Weinstuben besucht hat, der wird dort nicht nur schäumenden Asti getrunken und köstliche Austern dazu geschlürft haben, sondern er wird, schon aus bloßer Neugier, auch die »Frutti di mare« versucht haben, also ein Gemengsel aus allerlei Seegetier, Verlockendes mit Abstoßendem bunt gemischt. Die meisten Deutschen lassen es wohl bei dem einmaligen Versuch bewenden, aber ich muß gestehen, daß ich mich häufig an diesem eigenartigen Gericht gelabt und mich ganz daran gewöhnt habe. Nicht das Schlechteste daran waren die Arme kleiner Tintenfische (Abb. 4), die etwa wie Kälbermark schmeckten. Dem eigentlichen Fleisch des Tintenfischkörpers freilich habe auch ich nicht viel Geschmack abgewinnen können, es erinnert an recht zähes und flachsiges Kuhfleisch. Die daraus gekochte, meist schwärzlich gefärbte Suppe mundet aber nicht übel, etwa wie fade Kalbsbrühe. Auch die Tintenfische sowie ihre sämtlichen Verwandten aus der Klasse der Kopffüßer oder Cephalopoden sind als beliebtes Volksnahrungsmittel eine regelmäßige Erscheinung auf den italienischen Fischmärkten, und in noch höherem Grade soll dies in Japan der Fall sein, wo man die Tiere für den Dauergebrauch sogar trocknet oder einpökelt. Nur die kleineren Arten gelten als gut eßbar, während man die großen eigentlich nur deshalb verfolgt, weil sie durch ihre Räubereien erheblichen Schaden an den Langustenbeständen anrichten und deshalb von den Behörden Geldpreise für ihre Erlegung bezahlt werden, die übrigens bei den Fischern keineswegs für gefahrlos gilt. Der Fang im großen geschieht mit Zug- oder Schleppnetzen und liefert in herbstlichen Vollmondnächten die besten Erträge; der im kleinen ist ein gern geübter Sport, indem man ein gefangenes Tintenfischweibchen an einer Angelschnur wieder ins Wasser läßt, worauf sich bald ein Männchen darauf stürzen und sich ansaugen wird, so daß man es samt seiner Schönen herausziehen und das gleiche Spiel mit demselben Weibchen noch vielmals mit Erfolg wiederholen kann. Auch in Körben, Reusen und Töpfen lassen sich die Tintenfische leicht fangen, weil sie sich gern in solche Schlupfwinkel verkriechen.

Kaum irgendeine andere Tiergruppe des Meeres hat von jeher eine so unwiderstehliche Anziehungskraft auf mich ausgeübt wie die der Kopffüßer. Es sind aber auch zu eigenartige Geschöpfe mit ihren Katzenaugen und ihren schlangenarmen, mit ihrer Wildheit und Wehrhaftigkeit, mit ihrer Klugheit, ihrer Riesenstärke und ihrem schier unheimlichen Wesen. Der Körper besteht aus zwei deutlich getrennten Teilen, nämlich dem schlappen, wanstigen, sack- oder beutelförmigen Leib, der die Kiemen und Verdauungsorgane einschließt, und dem großen, dicken, fast walroßartig anmutenden Kopf, der durch die riesigen Glotzaugen einen eigenartigen Ausdruck erhält und eine Anzahl von Armen trägt, die mit Saugnäpfen besetzt sind und sowohl dem Beutefang wie der Fortbewegung dienen. Je nach der Kiemenzahl unterscheidet man Zwei- und Vierkiemer. Jenen gehört die große Mehrzahl der heute lebenden Arten an, diese beherrschten einst in ungeheurer Zahl die Meere der Jura- und Kreidezeit und sind uns als Ammonshörner massenhaft in versteinertem Zustande erhalten geblieben, während von den heutigen Formen nur noch die Angehörigen der Gattung Nautilus dazu zählen. Sie bewohnen eine vielkammerige Schale, die Ähnlichkeit mit einem Schneckengehäuse hat, und besitzen eine große Anzahl kurzer, zurückziehbarer Arme. Die Zweikiemer dagegen bringen es nicht zu einer den nackten Leib bergenden Wohnschale, sondern nur zur Ausscheidung eines zwischen Haut und Muskulatur liegenden schulpartigen Gebildes, des sog. Sepiaknochens ( Os sepiae), der keineswegs gleichmäßig ausgebildet ist.

Abb. 4. Tintenfisch.

Beim Volpo fehlt er ganz, beim Kalmar ist er nur ein langer Knorpelstreifen, bei der Gattung Sepia am vollkommensten ausgeprägt. Dieser von der Manteltasche ausgeschiedene und dem Tier einen festeren Rückhalt verleihende Schulp ist von zahlreichen Hohlräumen durchzogen, gewissermaßen schwammig, und deshalb auffallend leicht, auf der Außenfläche hart, gelblich und glänzend, innen weiß, locker und kalkig. Früher spielten die Sepienschalen, die jeder Apotheker führen mußte, in der Arzneikunde eine gewisse Rolle, heute dienen sie nur noch den Goldarbeitern in gepulvertem Zustande als Poliermittel, oder sie werden als ein nur allzu wirksamer Bestandteil manchen Zahnpulvern zugesetzt. Die Bewohner der friesischen Inseln sammeln hier und da die an den Strand gespülten Sepienschalen, um ihr Pulver kranken Schafen einzugeben, manche Hühnerzüchter glauben, daß ihr Genuß dem Eierlegen des Geflügels förderlich sei, und auch viele Vogelliebhaber stecken ihren Lieblingen Stückchen Sepienschale zwischen die Käfiggitter zum Beknabbern, weil das die, Gesundheit der Gefiederten namentlich zur Mauserzeit stärken soll, was allerdings von manchen bestritten wird.

Die Zweikiemer zerfallen nach der Anzahl ihrer Arme in die achtarmigen Octopoda, und in die zehnarmigen Decacera (der Name Decapoda ist schon bei den Krebsen vergeben). Während bei jenen die acht sehr beweglichen Arme von gleicher Länge sind, sind bei diesen acht ziemlich kurz, die beiden anderen aber, die in eine bewegliche Tasche zurückgezogen und im Bedarfsfalle wie ein Lasso weit vorgeschleudert werden können, stark verlängert. Sie sind auch nicht ihrer ganzen Ausdehnung nach mit den gefährlichen Saugnäpfen besetzt, sondern nur an ihrem lappenartig verbreiterten Ende, mit dem die Beutetiere erfaßt und herangezogen werden. Während die plumperen Achtarmer sich hauptsächlich kriechend bewegen, sind die im allgemeinen schlanker gebauten Zehnarmer die besseren und flinkeren Schwimmer. Eine je seßhaftere Lebensweise ein Tintenfisch führt, desto länger und fleischiger pflegen seine Arme zu sein. Gewöhnlich sitzen die sehr verschiedenartig, aber meist in Doppelreihen angeordneten Saugnäpfe wie Beeren auf einem Stielchen; sie bestehen aus einem äußeren, durch eine Knorpeleinlage gefestigten Ring und einem mittleren muskulösen Stempel. Will sich das Tier z. B. an einem Felsen festsaugen, so drückt es den Stempel so weit als möglich nach außen und legt den Rand des Saugnapfes luftdicht ans Gestein. Läßt es nun die Muskeln wieder erschlaffen, so kehrt der Stempel in seine ursprüngliche Lage zurück und zwischen Tier und Stein entsteht ein luftdünner Raum, so daß nun infolge des mächtigen äußeren Wasserdrucks die Saugnäpfe wie Schröpfköpfe wirken, und zwar so kräftig, daß es erhebliche Mühe kostet, einen solchen Tintenfisch von seiner Unterlage loszulösen, wobei oft eher der Arm zerreißt. Mit Hilfe der sich abwechselnd ansaugenden und wieder loslösenden Saugnäpfe kann der Kopffüßer auch entenwatschelnd gehen, wobei der Kopf mit der Mundöffnung nach unten herabhängt. Er läuft also buchstäblich auf dem Kopfe. Alle Arme sind an ihrer Ansatzstelle durch eine gemeinsame Spannhaut verbunden, und zwischen dieser versteckt sitzt die Mundöffnung, die durch zwei harte, papageienartige Kiefer gebildet wird. Muschelschalen und Krebspanzer werden von diesen fürchterlichen Kiefern geknackt wie taube Nüsse. Hinter den Kiefern befinden sich zwei breite und hohe Muskelplatten, die mit Reihen horniger Zähne bewaffnet sind und etwa der »Zunge« (radula) der Schnecken entsprechen. Auffallend groß sind die starren und glänzenden, in unheimlichem Feuer funkelnden Raubtieraugen, die den Kopffüßern bei den holländischen und friesischen Fischern den Namen »Seekatzen« verschafft haben. Diese ein leises Grauen erregenden Augen sind anatomisch so hoch entwickelt, daß sie nur mit denen der Wirbeltiere verglichen werden können. Bisweilen (bei Nautilus) sind sie vorn offen, so daß das Wasser durch das Sehloch eintreten und die Linse unmittelbar umspülen kann, eine Bildung, wie sie sonst im ganzen Tierreiche nicht wieder vorkommt. Die Geruchsorgane liegen in kleinen Taschen über dem Auge, und auch Nervenbildungen für Gehör und Gleichgewichtssinn sind vorhanden. Manche Arten besitzen sogar Organe zur Wahrnehmung von Wärmestrahlen, also gewissermaßen ein natürliches Thermometer, das sie jederzeit über die Temperaturbeschaffenheit der verschiedenen Wasserschichten unterrichtet, und die die Tiefsee bevölkernden Arten verfügen auch über ein gewisses Leuchtvermögen, da sie Hunderte kleiner Laternchen auf ihrem Leibe mit sich herumtragen. Ich halte in Übereinstimmung mit vielen Naturforschern die Tintenfische nicht nur in körperlicher, sondern auch in geistiger Beziehung für die Höchststehenden aller wirbellosen Tiere. Sie sind nicht nur die stärksten und kräftigsten, sondern auch die klügsten; ihnen gebührt in Wirklichkeit der Ehrenplatz, den man in einseitiger Überschätzung der Entwicklungsgeschichte den stumpfsinnigen Manteltieren eingeräumt hat. Dafür spricht schon der Umstand, daß eine mächtige Nervenmasse in einer knorpeligen Kapsel als eine Art Gehirn angesammelt ist, dem allerdings zwei andere große Ganglien noch fast ebenbürtig zur Seite stehen. Die sicher berechneten Bewegungen der Kopffüßer lassen selbst beim Laien gar keinen Gedanken an die täppischen Schnecken oder gar an die stumpfsinnigen Muscheln aufkommen, sondern er spricht unwillkürlich von Tinten fischen, zwar naturgeschichtlich unrichtig, aber doch recht bezeichnend, denn jedenfalls erinnert das ganze Gehaben dieser Tiere entschieden mehr an Fische als an irgendwelche Weichtiere. Sie übertreffen sicherlich viele Wirbeltiere weitaus an Intelligenz. Lernen doch in Gefangenschaft gehaltene Tintenfische die Person ihres Wärters kennen und von anderen Menschen unterscheiden.

An den Seiten des Rumpfes befinden sich mehr oder minder entwickelte häutige Flossenbildungen, die aber beim Schwimmen nur eine untergeordnete, mehr unterstützende Rolle spielen. Während die beiden Mantelhälften auf der Rückseite verschmolzen sind und hier den flachen Schulp einschließen, bilden sie auf der Bauchseite eine vorn offene Mantelhöhle, aus der der sog. Trichter wie ein Schornstein herausragt. Er entspricht nach der Auffassung Leuckarts eigentlich dem durchbohrten Fuß, hat aber ganz andere Aufgaben zu erfüllen. Beim Atmen nimmt das Tier mit der geöffneten Mantelhöhle Wasser auf, läßt es zu den zart gefiederten Kiemen treten und stößt es schließlich durch den Trichter wieder aus, der zugleich auch die Auswurfstoffe des kurz vor dem Körperende umgebogenen Darmes und der Nieren entfernt.

Neben dem Trichter mündet der Ausführungsgang des merkwürdigen Tintenbeutels. Dieser ist von flaschenförmiger Gestalt und enthält einen sehr wirksamen braunschwarzen Farbstoff, die sog. Sepia, die schon im Altertum zum Schreiben gebraucht wurde und noch heute als Malfarbe verwendet wird, sie kommt roh mitsamt dem eingetrockneten Tintenbeutel in den Großhandel. Durch Kochen mit verdünnter Salzsäure werden dann die häutigen Teile abgelöst, die filtrierte Flüssigkeit eingedämpft, nochmals mit heißem Wasser ausgewaschen und abermals getrocknet. Der Tintenfisch selbst benutzt seine Tinte dazu, sich aus der Tinte zu machen, nämlich zur Verdunkelung des Wassers bei drohender Gefahr. Rückt ihm ein übermächtiger Gegner auf den Leib, so spritzt der Tintenfisch hastig einen Strahl seiner Tinte aus, trübt dadurch weithin das Wasser und entkommt oft genug unter dem Schutze dieser künstlichen Wolke. Man hat berechnet, daß zehn Tropfen dieser Tintenflüssigkeit genügen, um ein Liter Wasser vollkommen undurchsichtig zu machen. Cuvier gebrauchte die Sepia der Tintenfische, die er zu wissenschaftlichen Untersuchungen zergliederte, gleich dazu, die zugehörigen Zeichnungen zu machen. Er wurde aber weit übertrumpft von dem berühmten englischen Paläontologen Buckland, der die Abbildungen zu seinem großen Werk über versteinerte Tintenfische noch mit deren Farbstoff ausführte, und von Hermann v. Meyer, der dasselbe bei den Tintenfischen des Solnhofer Schiefers tat. Der Farbstoff, der sich bei versteinerten Tintenbeuteln als eine schwarze, bröckelige, matt glänzende Masse erhalten hat, behält also seine Wirksamkeit unglaublich lange.

Die Natur hat den Tintenfischen eine Fülle trefflicher Schutz- und Trutzwaffen verliehen, und hierzu kommt als weiteres wertvolles Hilfsmittel im Kampfe ums Dasein noch ihr großartiges Farbwechsel- und Farbanpassungs vermögen, mit dem sie selbst das berühmte Chamäleon beschämen. Offenbar haben sie den Farbwechsel ganz in ihrer Gewalt, denn auf sandfarbigem Untergrunde werden sie sofort sandgelb, auf felsigem dunkelgrau usw. Aber auch jede Gemütserregung, Beutegier, Neid, Zorn, Furcht, Liebesleidenschaft offenbart sich sofort im wechselnden, blitzschnellen Farbenspiel. Es ist, als ob jemand den Inhalt eines Farbenkastens über den nackten, matt gelbgrau schillernden Tierleib ausgegossen habe. Alle Abtönungen des Regenbogens leuchten auf und verschwinden ebenso schnell wieder; Wolken und Streifen, Flecke und Zeichnungen verschiedensten Umfangs, verschiedenster Stärke und verschiedenster Tinten huschen in unendlicher Abwechslung über die Haut. Bald glüht zartes Rot, bald himmlisches Blau, bald sattes Braun, bald tiefer Purpur, bald giftiges Grün, bald leuchtendes Gelb, bald tiefes Schwarz auf milchweißem Grunde oder es kommen gar Goldflecke zum Vorschein, alles dies so verwirrend rasch und bunt, daß der Pinsel eines Malers den wundersamen Vorgang nicht wiedergeben könnte, zumal auch noch ein schillerndes Irisieren der Haut damit verbunden ist und gleichzeitig auf dieser Warzen, Runzeln und Tuberkeln auftreten. Bis zu zehn verschiedene Farben sind schon an dem gleichen Tiere innerhalb kürzester Frist festgestellt worden. Das Schauspiel erklärt sich durch die leichte Reizbarkeit und außerordentliche Ausdehnungsfähigkeit der in der Haut der ziemlich nervös veranlagten Tintenfische eingelagerten großen Farbstoffzellen (Chromatophoren), die sich blitzschnell auf das 60fache ihres Umfangs ausdehnen und ebenso rasch wieder zusammenziehen können, so daß der Farbenwechsel fast augenblicklich eintritt. Schneidet man indes die das Farbspiel vermittelnden Nerven auf der einen Seite durch, so wird die betreffende Körperseite farblos weißlich, während auf der anderen, wo der Nerv unbeschädigt blieb, nach wie vor die verschiedensten Abtönungen auftreten. Das prachtvolle Irisieren wird von W. Th. Meyer auf besondere Flitterzellen zurückgeführt, die als feine Blättchen dicht übereinander unter den Farbstoffzellen liegen und mit ihrem Inhalte an feinen Flittern oder Körnchen (Iridosomen) bei auffallendem Lichte die erwähnte Wirkung hervorbringen.

Alle Tintenfische sind überwiegend Nachttiere, sehr rauf- und kampflustig, grimmige Räuber, die oft aus reiner Mordlust töten, ihre Opfer in Felsklüften belauern und sich auch an sehr wehrhafte Geschöpfe wagen, mit denen es dann manchen harten Strauß absetzt. Ein geradezu aufregendes Schauspiel ist z.B. der Kampf eines Zehnarmes mit einem Hummer. Wie Schlangen kriechen die beiden Langarme des Kopffüßers auf den Krebs zu; der packt den einen mit seiner fürchterlichen Schere und quetscht ihn mit ungeheurer Gewalt zu einem flachen Bande zusammen, aber das scheint den Tintenfisch wenig anzufechten, als ob er gar kein Gefühl im Leibe hätte; sein anderer Greifarm schleudert sich gegen den Feind, saugt sich an ihm fest und zieht ihn langsam, aber unwiderstehlich näher heran in den Bereich der acht kürzeren Arme, die sich dann mit unheimlicher Kraft an dem Sträubenden festheften. Ist der Hummer erst einmal in dieser fürchterlichen Umarmung, dann ist er auch rettungslos verloren. Das räuberische Weichtier weiß seinen Weg unter das Brustschild des Gepanzerten zu finden, dem nun all sein Harnisch- und Schienenwerk nichts mehr nutzt. Gierig zermalmt der scharfrandige Papageienschnabel die wehrlose Beute. Das Nahrungsbedürfnis ist sehr groß; Jäger beobachtete, wie ein frisch gefangener kleiner Volpo ( Octopus vulgaris) in einer knappen halben Stunde vier fingerlange Fischchen verzehrte. Er erzählt auch, welch Gefühl des Grauens ihn beschlich, als er diesem Volpo, dessen Fangarme nur 25 cm lang waren, einmal seine Hand überließ, diese sofort von Hunderten von Schröpfköpfen gepackt wurde und vollkommen wehrlos den Bissen des Tieres preisgegeben war. Danach ist es wohl zu verstehen, wenn die italienischen Fischer vor großen Kraken eine fast abergläubische Furcht empfinden. Neben Krebsen und Fischen bilden Schnecken und Muscheln die Hauptnahrung dieser gewalttätigen Meeresräuber. Haufen von entleerten Muschel- und Schneckenschalen, zerbissenen Krebspanzern und entfleischten Fischgräten bezeichnen die Opferstätte, ja der Mörder türmt solche »Kjökkermöddinger« nebst erstaunlich großen und schweren Steinen, die er mit seinen kräftigen Saugarmen heranholt, oft zu einem förmlichen Ringwall um sich herum auf, unter dessen Schutze er um so sicherer und aussichtsreicher auf neue Beute lauern kann. Gern hält sich der Wegelagerer auch in Uferhöhlen oder in den versunkenen Gewölben altrömischer Landhäuser auf und klebt hier, kaum sichtbar, an Fels und Gemäuer, sein Leib scheint dann gar kein Tierleib zu sein, sondern eine «Gallerte, eine unbestimmte aufgequollene Masse. Und doch ist es ein Tierkörper, denn durch den grauweißen, mit Buckeln und Beulen besetzten Leibessack sieht man Eingeweide durchschimmern. Und erst die Augen: weit vorquellende, große, gelbe, gräßliche Raubtieraugen, die einen gefräßigen, mordgierigen, kalt grausamen Blick haben! Eine Languste nähert sich. Langsam hebt der Krake den ersten Fangarm, dann den zweiten, den dritten bis achten. Die Fänge werden lang und länger, spitz und spitzer, bewegen sich wie die Beine einer unwahrscheinlichen Riesenspinne. Zugleich dehnt sich das Ding, das den Körper vorstellt. Es schwillt auf, treibt Stacheln, ändert in raschem Wechsel die Farben. Die schrecklichen Augen treten noch weiter aus ihren Höhlen und funkeln vor Gier und unersättlichem Hunger. Es kriecht, schiebt sich einher, rückwärts wie ein Krebs, plötzlich – blitzschnell wendet es sich ... ein Ruck wie ein Lasso wird die Schlinge der Fangarme nach dem Opfer geworfen; sie saugen sich fest – würgen – morden.

Glücklicherweise haben auch die Kopffüßer zahlreiche Feinde. Delphine, Thunfische, Kabeljaus, Boniten und vor allem die Pottwale stellen ihnen eifrig nach. Bei Untersuchung dieser Verhältnisse hat Joubin auch den Ursprung der grauen Ambra, eines hochgeschätzten Riechmittels, aufgeklärt. Die Ambra schwimmt frei auf südlichen Meeren, wird aber auch in den Eingeweiden der Pottwale gefunden, die sich hauptsächlich von Tintenfischen ernähren und dabei den Moschuspulpen ( Eledone moschata) bevorzugen, der durch unzählige Hautdrüsen einen Stoff mit starkem Moschusgeruch absondert. Frißt nun ein Pottfisch solche Moschuspulpen, dann erleiden diese in dem großen chemischen Laboratorium, das Magen und Darm eines solchen Riesentieres darstellen, eine Reihe noch unbekannter Veränderungen und Umwandlungen, deren Endergebnis eben die Ambra ist, die man also auch als eine Art Darm- oder Gallenstein des Pottwales auffassen könnte. Als menschliche Nahrung sind die scheuen Moschuspulpen, die nur eine Reihe von Saugnäpfen an jedem Arme haben, ihres starken Geruchs wegen weniger geschätzt und werden nur von den niedersten Volksklassen verzehrt. Größer und stattlicher als sie ist der in Felsklüften hausende Krake oder Volpo ( Octopus vulgaris) des Mittelmeers, den die Beobachter übereinstimmend für den Gescheitesten aller Kopffüßer erklären. So sah Jäger, wie ein frisch gefangener Volpo bei seinen Fluchtversuchen sich auf den Rand des Gefäßes schwang, aber nicht weiter ging, sondern freiwillig in seinen Behälter zurückkehrte, als er auf der anderen Seite kein Wasser sah, obwohl gerade Oktopus es auch eine Weile auf dem Trockenen aushalten kann und sich hier ganz geschickt bewegt. Manche Tintenfische bekunden auch eine unverkennbare Wanderlust. So verlassen zwei pelagische Arten alljährlich das Süd- bzw. Nordpolarmeer und reisen in ungeheuren Scharen nach den Küsten von Chile bzw. Neufundland.

Die Fortpflanzungsgeschichte der Tintenfische bietet auch mancherlei Merkwürdigkeiten. Das Männchen zeigt sich als ein äußerst stürmischer Liebeswerber, bekundet aber dafür auch große Anhänglichkeit an sein Weibchen. Schon Aristoteles – nebenbei gesagt bis heute der einzige Forscher, der die Begattung selbst gesehen hat – schreibt, und Plinius und andere haben es ihm nachgeschrieben, daß das Männchen seinem Weibchen bei Gefahr mutig zu Hilfe komme, während das Weibchen im gleichen Falle nur auf die eigene Sicherheit bedacht sei. Die Männchen sind leicht daran zu erkennen, daß einer ihrer Arme verkürzt, aber am Ende spatelförmig verbreitert und seiner ganzen Länge nach von einer Rinne durchzogen ist. Diesen Arm führt der männliche Oktopus in die Mantelhöhle des Weibchens ein und befestigt mit ihm ein von einer eiweißartigen Hülle umgebenes Samenpaket auf einer Papille, die die Mündung des Eileiters darstellt. Infolge der Quellung durch das Meerwasser platzt nun das Paket mit großer Gewalt in der weiblichen Mantelhöhle und ergießt seinen Inhalt von Samenfäden in den Eileiter, wo die Befruchtung der Eier stattfindet. Die großen, von einer schwarzbraunen Hornschicht umhüllten Eier werden traubenweise an Steinen, Korallen oder Algen abgelegt. Sepia dagegen legt die harten, zitronenförmigen Eier immer einzeln und klebt sie mit einem ringförmigen Gürtel an. Die ausschlüpfenden Jungen zeigen gleich von der ersten Stunde an ihre Meisterschaft im Farbenwechseln und Tintenspritzen. In ganz wunderbarer Weise ist nun aber diese Art der Fortpflanzung beim Papiernautilus ( Argonauta argo) (Abb. 5) abgeändert.

Abb. 5. Papiernautilus.

Auf dem Wasserspiegel treibend und unter Wasser schwimmend.

Schon der Unterschied der Geschlechter ist hier viel größer. Während das Weibchen in einer zierlichen, papierdünnen, elastischen, spiralig gewundenen, aber einkammerigen Schale steckt, ohne doch mit ihr verwachsen zu sein, ist das viel kleinere, achtarmige Männchen völlig nackt. Schon im Jahre 1825 fand der treffliche neapolitanische Tierforscher delle Chiaje beim weiblichen Papiernautilus ein wurmartiges Wesen mit Saugnapf, das er für einen Schmarotzer hielt. Cuvier konnte diese Entdeckung bestätigen, glaubte gleichfalls an einen Eingeweidewurm und nannte das Ding Hectocotylus. Erst ein Vierteljahrhundert später entdeckten deutsche Gelehrte in Messina das Männchen des Papiernautilus und fanden, daß dessen Geschlechtsarm, der eine besondere Tasche zur Aufnahme des Samenpakets besitzt, dem Hectocotylus vollkommen gleiche (Abb. 6). Weitere Forschungen ergaben dann, daß dieser Begattungsarm zeitig den Samen vom Hoden empfängt (aber wie?) und sich dann vom männlichen Körper lostrennt, um frei herumzuschwimmen, bis er ein Weibchen findet, in dessen Mantelhöhle eindringt und hier noch mehrere Tage lebt, mit dem Befruchten der Eier beschäftigt. Bisweilen findet man sogar mehrere (bis vier) solcher Arme in einem Weibchen. Da in dem männlichen Arm nach Hesse-Doflein bisher keine höhere Ausbildung des Nervensystems nachgewiesen werden konnte, ist es bisher ganz rätselhaft, was ihn eigentlich auf seiner Wanderung leitet.


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