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Die Korallenfischerei kennt glücklicherweise einen derartig kurzsichtigen Raubbau nicht; wohl wird jede neu entdeckte Korallenbank zunächst einmal gründlich hergenommen, aber dann läßt man sie zehn Jahre lang völlig in Ruhe, damit sie sich wieder auswachsen und die erlittenen Schäden ersetzen kann. Es handelt sich bei dieser Fischerei ausschließlich um die schön rot gefärbte Edelkoralle ( Corallium rubrum), die gleich dem Badeschwamm hauptsächlich in den wärmeren Teilen des Mittelmeers heimisch ist, aber auch im Roten Meer vorkommt und im Atlantik bis zu den Kapverden geht. Die zahlreichsten und ausgedehntesten Korallenbänke finden sich an den Küsten von Algier und Tunis, aber die schönsten und wertvollsten Stücke liefert die Meerenge von Messina, während die Korallenfischerei im Mittelalter fast ausschließlich von südfranzösischen Fischern betrieben wurde, ist sie in neuerer Zeit mehr und mehr in italienische Hände übergegangen. Namentlich im Golf von Neapel ist dieser Erwerbszweig sehr verbreitet, und es laufen von hier alljährlich mehrere Hundert Barken und Kutter zu diesem Zwecke aus, die mit etwa 4000 Fischern bemannt sind und 60- bis 70 000 kg Edelkorallen zutage fördern, deren Rohwert 4-½ Millionen Franken beträgt, nach der Verarbeitung aber mehr als 20 Millionen. Die zu den Rindenkorallen gehörige Edelkoralle lebt gesellig in 80-200 m Meerestiefe auf felsigem Grunde, an den diese Tierstöcke fest angeheftet sind, die reich verzweigten Bäumchen ähneln und eine Länge von 30 cm erreichen. Habhaft wird man ihrer dadurch, daß man ein schweres, aus zwei großen und fest vernieteten Balken gebildetes Holzkreuz vom Schiffsheck aus an einem langen Tau oder einer Stahltrosse über den Meeresgrund hinschleppen läßt; es ist mit allerlei altem Netzwerk, verknoteten Stricken u. dgl. umwickelt, und wenn es so über den Meeresboden dahin holpert, bleiben die abgebrochenen Korallenstämmchen darin hängen, bis schließlich die ganze Bescherung an Bord gezogen wird. Natürlich kommt es oft vor, daß das schwerfällige und ungelenke Balkenkreuz sich in den Felsklüften festklemmt, und es bedarf dann harter und langwieriger Arbeit, um es wieder loszubekommen. So ist auch die Korallenfischerei ein äußerst mühseliges und sehr vom Zufall abhängiges Gewerbe, und nicht umsonst sagt ein italienisches Sprichwort, daß man erst Dieb, Räuber und Sträfling gewesen sein müsse, ehe man sich dazu entschließen könne, Korallenfischer zu werden. Nur die erstaunliche Anspruchslosigkeit des Süditalieners vermag dabei ihr Auskommen zu finden, und wenn ein besonders ergiebiger Fang einmal so viel liefert, daß es für einige Wochen Dolce far niente ausreicht, fühlen sich diese beneidenswerten Menschen als die Glücklichsten aller Sterblichen. Der wert der rohen Koralle ist je nach Güte, Farbenabtönung und Modelaune sehr verschieden. Die dicken und gewöhnlich von Bohrschwämmen Bohrmuscheln, Röhrenwürmern u. dgl. durchlöcherten und zerfressenen Wurzelteile bringen nur 5–10 Franken das Kilo, gute Durchschnittsware etwa 50-100 Franken, und für ausgesucht schöne Stücke in der geschätzten zart fleischroten Färbung zahlt man gern 500 Franken und mehr für ein Kilo. Die bedeutendsten Stapel- und Verarbeitungsplätze für Korallen sind Genua, Livorno, Marseille und Paris, in allererster Reihe aber Neapel, wo viele Menschen durch das Schleifen, Durchbohren und Einfassen dieser schönen Meeresgabe ihren Lebensunterhalt finden. Die frischen Korallen werden zunächst durch scharfes Bürsten in Süßwasser von ihrer gleichfalls rot gefärbten Oberhaut und den darin sitzenden Korallentierchen, den Polypen, befreit, dann abgefeilt, mit Schmirgel und Öl geschliffen und schließlich mit Stahl poliert; die Korallenperlen werden auf der Drehbank geformt und durchbohrt, Zeichnungen und Figuren mit dem Grabstichel ausgearbeitet.

Ähnlich wie beim Badeschwamm ist es nur das Stützgerüst eines aus niedrigen Lebewesen zusammengesetzten Tierstockes, um das es sich bei der Korallenfischerei handelt. Bringt man einen frisch dem Meere entnommenen Korallenzweig vorsichtig in ein Gefäß mit Seewasser, so wird man nicht nur bemerken, daß er von der weicheren Oberschicht umschlossen ist wie ein Baumstamm von seiner Rinde, sondern nach einiger Zeit wird man auch sehen, wie an zahlreichen Stellen der Oberfläche die Korallpolypen selbst zum Vorschein kommen und sich entfalten wie schneeweiße, achtstrahlige Sternblümchen (Abb. 13). Es sind echte Hohltiere, die zwar schon auf einer wesentlich höheren Stufe stehen als die Schwämme, aber doch im Gegensatz zu den Stachelhäutern nach keinen fest umgrenzten Verdauungskanal haben, sondern nur einen zentralen Hohlraum, in den die von nesselbewehrten Armen umkränzte Mundöffnung hineinführt. Bei der geringsten Störung ziehen sich die Polypen ängstlich wieder in die Oberhautschicht zurück, bleibt aber alles ruhig, so vollführt ihr zarter Leib wogende Bewegungen und die kleinen Ärmchen tasten gierig nach Muschelembryonen und anderem winzigen Getier. Da sämtliche Polypen des Stockes durch ein die Rinde durchziehendes Kanalsystem miteinander in Verbindung stehen, kommen die von jedem Einzeltier aufgenommenen Nährstoffe dem Gesamtorganismus zugute. Sonderbar genug ist ja ein solches Leben, bei dem eins für das andere frißt und atmet, alle Nahrung der Gemeinschaft überantwortet und alle Baustoffe des Körpers von ihr bezogen werden, gerade wie die Blätter eines Raumes für den ganzen Stamm atmen und ihre Baustoffe aus der Wurzel erhalten. Obwohl die Edelkoralle schon im klassischen Altertum bekannt und als Schmuckstück geschätzt war, ist ihre Naturgeschichte doch eigentlich erst in neuester Zeit genauer erforscht worden, hauptsächlich durch Lacaze-Duthiers, der von der französischen Regierung den Auftrag erhalten hatte, Ansiedlungsversuche mit Korallen an der südfranzösischen Küste zu machen.

Abb. 13. Korallenpolyp.

Früher hielt man natürlich auch diese Gebilde für Pflanzen, die nur im Seewasser weich sein, aber beim Herausnehmen plötzlich zu Stein erstarren sollten, und als 1727 der französische Arzt Peysonnel erstmalig ihre tierische Natur behauptete, wurde er von den Zunftgelehrten seines eigenen Vaterlandes weidlich ausgelacht und konnte seine grundlegende Arbeit erst 20 Jahre später in England veröffentlichen. Durch Lacaze-Duthiers sind wir dann namentlich über die merkwürdige Fortpflanzungsgeschichte der Korallentiere aufgeklärt worden, die hinsichtlich der Trennung der Geschlechter auf einer sonderbaren Übergangsstufe stehen. Es gibt nämlich Korallenstöcke, an denen nur männliche, und andere, an denen nur weibliche Polypen sitzen; drittens aber auch solche, an denen sich sowohl männliche wie weibliche Einzeltiere vorfinden, und viertens solche, bei denen sämtliche Einzelpolypen zwittrig gebaut sind. Jedenfalls geschieht die Befruchtung der Eier immer im Inneren des mütterlichen Körpers, und hier erfolgt auch das Ausschlüpfen der Embryonen, die dann als sehr bewegliche und stark bewimperte, birn- oder madenförmige, mit bloßem Auge gerade noch sichtbare Embryonen durch die Mundöffnung der Mutter ins Freie gelangen und eine gewisse Zeitspanne hindurch herumschwärmen. Schließlich setzen sie sich fest, sacken dabei zu einem scheibenförmigen Häufchen zusammen und nehmen die typische Polypengestalt mit Hohlraum, Mundöffnung und Tentakelkranz an. Bald läßt sich in den Leibeswänden die Ausscheidung roter Kalknadeln nachweisen, aber wie dann dieser Prozeß weiter verläuft und schließlich zur Bildung des marmorharten und politurfähigen Achsenskeletts führt, ist in seinen Einzelheiten noch nicht genügend aufgeklärt. Milne Edwards konnte wenigstens feststellen, daß die Kalkausscheidung zunächst an der Sohle des Tieres einsetzt, wo sich ein kuppelförmig gewölbter Hügel von Korallenstoff bildet, dem der weiche Tierleib mit ausgehöhlter Ansatzfläche wie eine Mütze aufsitzt. Dann muß wohl ein baumartiges Dickenwachstum eintreten, denn Querschnitte durch Korallenstämmchen zeigen einen ringförmig geschichteten Bau, wobei die Oberhaut der Baumrinde entspricht. In ihr findet man stets Kalkkörperchen von der Form dorniger Spindeln eingelagert, aus deren Zusammenwachsen die harte Korallenmasse entsteht. Durch mikroskopische Untersuchung dünn geschliffener Querschnitte sind daher auch Verfälschungen, wie sie im Korallenhandel immer wieder versucht werden, leicht festzustellen. Die verzweigten Korallenbäumchen entstehen dann aus dem ursprünglich einfachen Stammansatz durch jene seltsamen Vermehrungsarten, die man in der Wissenschaft als Teilung und Sprossung bezeichnet. Bei der Teilung spaltet sich ein Organismus in zwei oder mehr Teile, deren jeder wieder zu einem vollständigen Tiere sich auswächst. Bei den Korallen ist nun aber dieser wundersame Vorgang dahin abgeändert, daß die Spaltung nicht bis zur Basis hinabreicht, beide Teilstücke vielmehr unten den Zusammenhang beibehalten, also gewissermaßen Baumstämme mit gemeinsamer Wurzel bilden, die an dieser zusammengewachsen sind. Die Verzweigung der Stämmchen wird dann durch die uns von den Pflanzen her vertraute Knospung bewirkt. Dabei bleibt der erzeugende Organismus unversehrt, stellt aber durch einseitiges Wachstum an bestimmten Körperstellen neue Organismen her, die sich entweder loslösen oder, wie bei den Korallen, dauernd den Zusammenhang mit dem Muttertier bewahren. So setzt sich der Korallenstock schließlich aus Hunderten kleiner Einzeltierchen zusammen, deren unterste Geschlechter schon abgestorben sind, während ihre Nachkommen ihre zarten Fangarme wie Pinselchen aus den roten Korallenzweigen hervorstrecken. Zu beachten ist noch, daß die Bäumchen der Edelkoralle nie in die Höhe wachsen, sondern daß sie immer an überhängenden Felsklippen derart befestigt sind, daß sie nur nach unten wachsen können – ein fataler Umstand, der nicht wenig dazu beiträgt, die Korallenfischerei zu einem so mühseligen und ermüdenden Gewerbe zu machen.

Bei der pflanzenartigen Wuchs- und Vermehrungsart der Korallen ist es nicht zu verwundern, wenn sie auch alle Erscheinungsformen der Pflanzenwelt annehmen und nicht nur wie die Edelkoralle als Bäumchen, sondern oft auch als Sträucher, Flechten, Moose oder Kakteen auftreten, auch als Kuppeln, Vasen, Bienenkörbe usw. Immer aber sind diese zierlichen Gebilde, die man gelegentlich gern als Zierat auf den Schreibtisch oder auf das Kaminsims oder vor den Wandspiegel stellt, nur das kalkige Stützgerüst der daraus entfernten Tiere, eben der Korallenpolypen. Wo diese besonders günstige Daseinsbedingungen finden, da bilden sich ungeheure Siedlungen, türmen Tausende von Stöcken auf- und nebeneinander und bilden so schließlich die berühmten Korallenriffe und -bänke, wie wir sie sehr schön schon im Roten Meere antreffen, in geradezu fabelhafter Vollendung und Ausdehnung aber in den tropisch warmen Meeren innerhalb eines breiten Gürtels zu beiden Seiten des Äquators. Alle Forscher, denen es vergönnt war, solche tropischen Korallenbänke zu besuchen, äußern sich über deren märchenhafte Schönheit mit geradezu entzückten Worten. Es muß auch in der Tat einen wundersamen Anblick gewähren, wenn man im leichten Boote langsam über solche Korallenbänke hinweg gleitet und im klaren, sonnenbeschienenen Wasser die feinsten Einzelheiten dieser farbenreichen Zaubergärten genau zu erkennen vermag. All die zahlreichen Korallengattungen sind hier in schier sinnverwirrender Fülle und Pracht vertreten: die zahllosen Pilzkorallen, die blutroten Orgelkorallen, die reich gewundenen Hirnkorallen (Abb. 14), die vielfach verästelten Steinkorallen. Aber hier sind es nicht tote Skelette, sondern allenthalten sprießt und greift aus ihnen die Unmenge zartester Fangarme, die in unaufhörlichem Gewoge verblassen und wieder aufleuchten – wahrlich ein Märchenwald von berückender Pracht, freilich ein stummer, denn kein Vogelgesang durchtönt, keine Tierstimme belebt ihn. Tot und eintönig ist er trotzdem durchaus nicht, denn allenthalben durchrennen eilfertige Krabben sein Stammgewirr, schießen metallisch aufblitzende Fische von den bizarrsten Farben und Formen hin und her, wälzen bunt getigerte Schnecken träge ihr Gehäuse, huschen glashelle Krebstierchen gespenstisch vorüber, strecken farbenprangende Röhrenwürmer ihre zierlichen Pinselschrauben empor, richten violettschwarze Seeigel ihre nadelscharfen Stacheln gegen jeden Störenfried, entfalten wundervolle Blumentiere ihre bezaubernde Schönheit, segeln durchsichtige Quallen unter rhythmischen Leibeszuckungen lautlos vorüber. So still es in einem solchen Korallenwalde auch ist, so unerbittlich tobt doch gerade hier der würgende Kampf ums Dasein. Alles sucht zu morden und zu fressen, flieht oder wehrt sich gegen das Gefressenwerden. Gegen diesen unerbittlich-grausamen Kampf aller gegen alle ist der auf dem Festlande nur ein harmloses Kinderspiel. Daß all das buntscheckige Getier der Korallenbänke mit sehr wirksamen Verteidigungswaffen ausgerüstet ist, merkt man nur zu rasch am eigenen Leibe, wenn man sich durch die Schönheit des Bildes verleiten läßt, entkleidet in die Flut zu steigen, um das anziehende Schauspiel noch näher zu betrachten, von allen Seiten wird man da von unsichtbaren Gegnern gezwickt und gezwackt, gestochen und geschnitten, verbrannt und geätzt, so daß man trotz allen Forschereifers von Herzen froh ist, schleunigst wieder ins sichere Boot zu kommen.

Abb. 14. Hirnkoralle.

Welch gewaltigen Umfang solche Korallenriffe annehmen können, die schon manchem gutem Schiff jähen Untergang gebracht haben, geht daraus hervor, daß das Riff von Neukaledonien 700 km Länge hat, ein australisches sogar 1600 km! Allein im Malediven-Archipel befinden sich über 1000 von Korallen gebildete Insel-Atolle, und die Gesamtfläche, die sie im Stillen Ozean bedecken, beträgt Tausende von Quadratmeilen. Dabei ist ihr Wachstum ein verhältnismäßig rasches. Ist doch z.B. die Torresstraße seit ihrer Entdeckung durch Ausbreitung der Korallenbauten in ihrem Fahrwasser so bedeutend beschränkt worden, daß man in nicht mehr ferner Zukunft mit dem Gedanken sich wird vertraut machen müssen, sie für den Schiffsverkehr zu sperren. Die die Riffe und Atolle aufbauenden Korallenarten sind bis auf verschwindende Ausnahmen Kinder des Lichts und der Wärme, vermögen daher kaum unter 100 m Meerestiefe zu leben und bewerkstelligen ihre, erste Ansiedlung gewöhnlich in noch viel geringerer Meerestiefe. Trotzdem kennen wir aber zahlreiche Riffe und Atolle, deren Grundfesten weit tiefer liegen, in Ausnahmefällen bis zu 2000 m. Wie ist das zu erklären? Doch wohl kaum anders als durch Darwins Annahme, daß sich der Meeresboden an solchen Stellen im Laufe der Jahrtausende allmählich, aber beständig gesenkt hat. Die unteren Geschlechterfolgen der Polypen starben dabei ab, aber die Nachkommen bauten auf den steinhart zusammengekitteten Resten unermüdlich weiter, um in der für ihr Gedeihen günstigsten Wasserschicht zu bleiben. So entstanden in milliardenfacher Kleinarbeit der winzigen und doch so mächtigen Polypen die gewaltigen Riesenmauern, die ganze Länder umgürten, Berge auftürmen, heute noch neue Inseln emporsteigen lassen. Seit Darwins geistvollen Erklärungsversuchen hat sich die Wissenschaft eingehend mit der Entstehungsgeschichte der Koralleneilande beschäftigt, und namentlich die Engländer haben eigens zu diesem Zweck ganze Expeditionen in die Südsee geschickt, aber in der Hauptsache wurden doch Darwins Anschauungen bestätigt, wenn auch hinsichtlich der Einzelheiten selbstverständlich mancherlei neue und abweichende Auffassungen zutage getreten sind. Darwin unterscheidet Saumriffe, die das Ufer als fester Saum einfassen, Dammriffe, die durch einen Kanal vom Ufer getrennt, ihm also wie ein Wall vorgelagert sind, und Lagunenriffe oder Atolle, die mitten im Weltmeer als niedrige, ringförmige Inseln aus der Flut emporragen (Abb. 15). Der Baustoff der Polypen ist ausschließlich der kohlensaure Kalk, den sie in gelöster Form dem Meere entnehmen und in fester Form wieder ausscheiden. Das so entstehende Kalkgerüst schiebt den Polypenleib gewissermaßen vor sich her, und so kommt es, daß an den Zweigen eines Korallenstocks oft noch Tausende von Tieren weiter bauen, wenn die unteren Teile längst abgestorben sind. So wird unter Ausgleich etwaiger Meeressenkungen kühn Stockwerk auf Stockwerk gesetzt, und die Enkel arbeiten unablässig auf den Leichen ihrer Ahnen weiter, bis schließlich die Wasseroberfläche fast erreicht ist, in welcher Höhe die Korallentiere am allerbesten und üppigsten gedeihen, namentlich auf der Brandungsseite. Losgerissene und mehr oder minder zu Sand vermahlene Korallentrümmer füllen im Verein mit den kalkigen Ausscheidungen der Fische und allen möglichen anderen Abfallstoffen alle Risse und Spalten und kitten das Ganze immer fester zusammen. Schon wölben sich einzelne Kuppeln so hoch, daß sie bei Ebbe sichtbar werden. Auf der Oberfläche siedeln sich Kalkalgen an, die die Entblößung zur Ebbezeit vertragen. Angetriebener Pflanzensame bleibt hängen und beginnt zu keimen, bald auch die zähe Kokosnuß, und nach und nach bedeckt sich der ganze Wall mit einer lustigen Pflanzenwelt. In die Verwandtschaft der Korallen gehören auch die Seefedern ( Pennatulidae), die gleichfalls als achtstrahlige Polypen ( Octactinia) aufzufassen sind. Sie sind aber nicht auf dem Grunde festgewachsen, sondern stecken nur lose im Meeressande mit einem besonderen, hantelartig angeschwollenen Stiel, während an der Oberhälfte des kalkigen oder hornigen Stützgerüstes die Einzelpolypen auf beiden Seiten zierlich wie Fiederblättchen verteilt sind, so daß das Aussehen des ganzen Gebildes tatsächlich an eine Feder erinnert. Kölliker, der Spezialist dieser schwierigen Gruppe, hat nun die überraschende Entdeckung gemacht, daß die Polypen keineswegs gleichmäßig ausgebildet sind, sondern daß es neben den regelmäßigen Geschlechtspolypen auch noch kleinere, kümmerliche Individuen gibt, die weder Geschlechtswerkzeuge noch Tastarme besitzen und deren ganze Tätigkeit sich daher wahrscheinlich auf die Aufnahme und das Wiederausstoßen von Atemwasser beschränkt. Merkwürdig ist weiter das starke Leuchtvermögen dieser Tiere, wirft man den ganzen Stock in Süßwasser, so sprüht er an allen Ecken und Kanten grüngoldene Funken aus. Überhaupt erfolgt das Leuchten nur auf gewaltsame Reizung hin, als welche allerdings schon ein kräftiges Anklopfen an die Scheibe des Aquariums genügt. Die Geschwindigkeit dieser Lichtströme beträgt etwa 20 Sekunden für das Meter, während beispielsweise ein Nervenreiz beim Frosche sich 600-mal schneller fortpflanzt. Dies legt die Vermutung nahe, daß es sich hier überhaupt nicht um eine Übertragung durch Nervenfasern handelt, zumal solche bei den Seefedern noch gar nicht aufgefunden werden konnten, sondern wahrscheinlich um eine Art Molekularerregung, die von Zelle zu Zelle überspringt. Nach den sorgfältigen Untersuchungen Panceris ist der Sitz des Leuchtvermögens nicht in der schleimigen Oberfläche der Polypen zu suchen, wie man früher glaubte, sondern in 8 bandförmigen Gebilden, die die Mundöffnung umgeben und sich nach der Leibeshöhlung hin erstrecken. Sie sind sehr leicht verletzlich und mit Fettkügelchen angefüllt, deren langsame Verbrennung (Oxydation) beim Herausgepreßtwerden offenbar das Leuchten verursacht, während die gewöhnlichen Seefedern in mäßigen Tiefen (so im Golfe von Neapel) wohnen, sind die Angehörigen der stattlichen, bis 1 – ¾ m Länge erreichenden Gattung Umbellula ausgesprochene Tiefseetiere, die im Indischen Ozean schon aus 4500 m Meerestiefe hervorgeholt wurden.

Nicht nur Sterne hat das Meer, sondern auch Blumen, wundervolle Blumen, die es an Mannigfaltigkeit der Form wie an Schönheit und Zartheit der Farben getrost mit denen des Festlandes aufnehmen können, nur daß ihnen deren süßer Wohlgeruch fehlt. Sie bilden ganze Gärten von zauberhafter Pracht, verwandeln nackte Felsen in leuchtende Blumenbeete, bedecken den kahlen Meeresboden mit buntgestickten Teppichen, wahrlich, ein solches Blumenparadies im Ozean muß zu den lieblichsten Wundern der schaffensfrohen Salzflut gerechnet werden, selbst die nüchterne Wissenschaft nennt mit einem Anfluge dichterischer Begeisterung diese Geschöpfe und unsere deutsche Sprache weiß Seerosen, Seenelken, Seeanemonen usw. zu unterscheiden.

Abb. 15. Koralleninsel (Atoll). Blumentiere ( Anthoza) (Abb. 17)

Alle Farben des Regenbogens sind bei ihnen vertreten, und eine ist immer noch prächtiger als die andere. Eine der allerhäufigsten Arten, die Pferdeaktinie ( Actinia equina) ist zugleich eine der anmutigsten, und wo sie zahlreicher auftritt, da erscheint der Meeresboden wie übersät mit schneeweißen Maßliebchen. Weiß der Himmel, wie Vater Linné darauf verfallen ist, dem lieblichen Geschöpf einen so unschönen Namen anzuhängen, viel hübscher und bezeichnender heißt es bei Ellis Mesembryanthemum = Mittagsblume. Das ganze Tier macht einen so wollüstigen Eindruck, daß Gustav Jäger es treffend mit einer schmeichlerischen Katze vergleichen konnte. Die Farben sind aber nicht nur artlich, sondern auch individuell recht verschieden, so ist Actinia dianthus in der Ostsee braun, in der Nordsee aber häufig weiß, und die prächtige Actinia parasitica tritt sowohl in einer hellgelben als in einer purpurbraunen, gelb und rot gefleckten Form auf. Hughins hat genaue Untersuchungen über den Einfluß des Lichtes auf die Färbung der Seeanemonen angestellt und dabei nachgewiesen, daß sie bei stärkerer Beleuchtung ausbleichen, daß aber die lebhafteren Tinten zurückkehren, wenn man sie mit einem dunklen Glase bedeckt.

Abb. 16. Seerose.


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