Wilhelm Fischer
Das Licht im Elendhause
Wilhelm Fischer

 << zurück 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

IX.

Dietmer weilte nun im Elendhause und diente als Knecht. Er trug Holz und Wasser herbei und that ungeheißen jede Arbeit, die nötig war. Auch im grauenvollen Siechensaale stand er in 193 seinem schweren Amte willig und unverdrossen und half Diemut, wo er konnte. Er sah, wie die Elenden den Blick der Maid wie einen Himmelsstrahl empfingen und von ihren Händen gepflegt wurden, und wie sie die Hoffnungslosen mit mildem Zuspruch kräftigte, so daß sie ihren ganzen Trost auf Gott stellten. Der unbarmherzige Tod hielt seine schreckliche Ernte überreichlich, und Dietmers Herz mußte sich festigen inmitten des höchsten menschlichen Jammers, um nicht gebrochen zu werden. Die einst Gottes Geschöpfen glichen, krümmten sich nun entsetzlich entstellt auf ihren Schmerzenslagern, bis sie der harte Tod auf das Angesicht schlug. Doch da er den Spuren Diemuts folgte, war es ihm, als müsse ihm jedes Unheil fern bleiben. Denn so lange sie an dem Lager eines Elenden weilte, schwieg der Jammer, und in die grauenvolle Nacht der Erde fiel ein Strahl der himmlischen Barmherzigkeit aus ihren Augen in die Seele des Siechen und tröstete ihn.

So lebte Dietmer wie am Rande des Grabes und sah dem schrecklichen Tod stündlich ins 194 Angesicht; aber an seiner Seite stand auch die lichte Gestalt der Maid, die sein Sinnen empor hob über alle Bedrängnis der entsetzlichen Düsternis, in der er lebte. Kam er aus dem Hause, was selten geschah, so wichen ihm die Leute scheu aus. Einst begegnete er seinem Bruder, der mit seinem ihm inzwischen angetrauten Weibe, der schönen Mechthild, schritt; auch sie wandten ihre Blicke von ihm ab, und er ging stumm an ihnen vorbei. Dies schuf ihm geringes Herzleid, da er im Dienst des großen Leides stand, worin er alle Eitelkeit ablegen mußte, um als fester Mann zu bestehen. Denn die Stätte, wo er weilte, war ein Klagehaus bei Tag und Nacht, und mochte sein Herz mit den Elenden jammern, so mußte sein Leib stark bleiben, um nicht zu unterliegen.

Und doch geschah es bald, daß dieser Leib unter der schweren Last zusammenbrach, da er gleichsam mit trug am riesenmäßigen Elend der Welt. Eines Morgens konnte er sich nicht von seinem Lager in der Kammer des Schüttkastens erheben; sein Kopf war schwer geworden, seine 195 Stirne brannte, es hämmerte darin, und die Glieder waren bleiern. Das schuf der Maid Diemut große Sorge. Sie klagte, daß sie ihn in das Haus aufgenommen, wo er unterliegen mußte, und nun Schuld habe an seinem Geschicke. Ihre Sorge um ihn war groß, da sie doch genug mit dem Leide der Elenden belastet war.

Dietmer lag in seiner dürftigen Kammer im Schüttkasten, wo einst in besseren Tagen das Getreide aufgespeichert war und der nun leer stand. Diemut kam so oft sie Zeit hatte, setzte sich an sein Lager und pflegte den Kranken, so gut sie konnte. Sie legte ihm ihre Hand auf die heiße Stirn, und das war ihm Linderung mehr als alles andere. Aber er lag in Fieberhitze und wußte nicht, wer vor seinem Lager weilte. Er sah die Gestalt, aber sie dünkte ihm wie ein Bote zu sein, der aus weiter Ferne gekommen war, um ihm Trost zu bringen. Diemut blickte ängstlich auf den bewußtlosen Mann, den Schauer und Fieberhitze abwechselnd durchjagten. Durch die geöffnete Thüre des hölzernen Verschlages, welcher die Kammer bildete, irrten ihre 196 Augen wie um Hilfe suchend hinaus in den weiten dämmernden Raum des Schüttkastens. Dort war an der Giebelwand in der Höhe ein rundes Fensterlein, und die Wintersonne sendete ihre matt goldenen Strahlen herein in das öde Gelaß, und diese zitterten durch die Dunkelheit wie geheimnisvolles Leben im Reiche des Todes. Es war ihr tröstlich, daß das Licht der Sonne die Stätte heimsuchte, wo sie am Lager des Kranken weilte. Auch Dietmer sah mit offenen Augen die Strahlen durch die Dunkelheit heranzittern, und er sprach leise verloren: der Bote, der vor mir steht, ist mit goldenen Lilien bekränzt, wie schön!

Da sagte sie um der Hoffnung willen, die sie zu Gott trug:

»Sei getrost, Dietmer, du wirst nicht sterben. Mein Herz lebt in der Zuversicht, daß du dich wieder von diesem Lager erheben wirst.«

Sie merkte auch, daß er nicht die grausen Zeichen der Pest an seinem Leibe hatte und daß seine Stärke nur vom Fieber gebrochen ward. Sie hoffte denn alle Tage hindurch in ihrem 197 Gebete zu Gott, daß er sich wieder unter ihrer Pflege aufringen werde, und unterwand sich dessen mit Sorge und That.

Er begann auch allmählich wieder zu genesen und das klare Licht des Geistes wieder zu gewinnen, das in der Fieberhitze verschwunden war. Als er einst die Augen aufschlug, erkannte er Diemut, und sein Herz ward freudig, als er sie sah. Nun wünschte er bald zu erstarken, um ihr wieder im grauenvollen Dienste helfen zu können. Aber damit hatte es noch gute Zeit, da ihm die Gewalt über seinen Leib fehlte und er sich nicht erheben konnte. Sie verwehrte es ihm auch mit mildem Zuspruch und bat ihn geduldig auszuharren, bis die Krankheit gänzlich von ihm gewichen sei. Inzwischen war es ihm tröstlich, ihrer Rede zu lauschen, wenn sie kam; und war diese auch ernst und traurig, wie es in der trüben Zeit nicht anders sein konnte, so leuchtete doch das Licht ihres wundersam starken Herzens daraus hervor, das ihn erhellte.

Einst fragte er nach einem der Siechen, den er, bevor er selbst darnieder lag, eifrig gepflegt 198 hatte und der aus fremden Landen gekommen war. Er hieß Rothbert und schien von guter Herkunft zu sein. Diesen hatte Dietmer mit tiefem Mitleid umfaßt, weil er in seinem entsetzlichen Zustande die Klage vermied, so wie er es vermochte und mit festem Mute trug, was das erbarmungslose Schicksal über ihn verhängt hatte. Diemut neigte traurig die Stirn und erwiderte, daß diesen gestern der Tod erlöst habe, und daß die Stadtknechte bereits seinen Leichnam fortgeschafft hätten. Das jammerte Dietmer; doch sie tröstete ihn und erzählte ihm, daß sein Tod weniger schrecklich gewesen sei als sein armes Leben.

»Höre, wie er starb. Vorerst seufzte er im Schmerze, wie nie zuvor, und klagte es, daß sein Leib, der nach Gottes Ebenbilde geschaffen sei, ein Greuel vor seinen eigenen Augen geworden und daß die Welt voll Jammers sei, in der solches geschehe. Das schnitt mir ins Herz. Vorher klagte er niemals, nun übermannte ihn die letzte Qual. Er lag dann regungslos mit geschlossenen Lidern, und ich meinte, daß er 199 ausgerungen habe. Aber er schlug die Augen wieder auf, die waren starr, und er blickte wie in weite Ferne. Und seine Lippen flüsterten etwas, und seine schwache Stimme klang selig. Ich beugte mich zu ihm herab, lauschte und entnahm, daß er meinte, sich irgendwo im fernen Welschland zu befinden. Eine schöne himmlische Frau führte ihn die Stufen zu einer marmornen Kirche hinan, und er sprach von weißen Säulen, durch die das blaue Meer schimmerte. Was kam ihm vor den Sinn, der viel in fremden Landen gefahren ist? Doch höre nun weiter. – Aus dem Meere sah er glänzende Gestalten auftauchen und heranwallen – er sprach so seltsam – die erfreuten ihn überaus. Er hörte auch süße Klänge, wie sie zogen, vom Wasser sich erheben zu ihrem Geleite. Dies sagte er. Dann mußte es geschehen, daß ihn jene himmlische Frau mit ihrer Hand berührte, denn er flüsterte freudig: der häßliche Rock voll Eiterbeulen ist von mir gefallen, und mein Leib ist wieder rein und weiß wie der eines Kindes. O Dank dir, himmlische Frau, sei gepriesen! Nun kann ich mit den 200 andern im Jubelreigen singen, wir ziehen ein in das Reich des Friedens. – Und dann noch zuletzt: O selige Kindheit! ich bin wieder wie du, mein lichter Engel! – Diese Worte kamen aber nur wie ein Hauch von seinen Lippen, denn es ging alsbald ein Zucken durch seinen armen Leib, und er hatte ausgelitten.«

So erzählte sie von dem Elenden, der Rothbert hieß, und Dietmer konnte das Herbe, das darin lag, mit der Zuversicht verwinden, daß jener leidlos gestorben sei. Bei sich dachte er aber: das war ein schöner Traum im Tode, weil er Diemut vor seinem Lager stehen sah. Er sprach es jedoch nicht aus, denn sie hätte es ihm verwiesen.

Allmählich begann er wieder zu erstarken und erhob sich wie zuvor zu seinem Amte im Dienste der Elenden.

Doch geschah es, daß der Tod nicht nur durch die Thüre des Elendhauses frei ein- und ausging, sondern durch alle Gassen der Stadt zu schreiten begann, unsichtbar bei Tag und Nacht; aber das Verderben, das er mit seinem Gefolge, der 201 Pestwolke, über die Stadt entsandte, ward schrecklich offenbar. Die Glocken klangen von früh bis spät klagend, und Bittgänge zogen um die Kirche mit Bußgesang und Seufzern. Aber vergeblich streckten die Menschen flehend ihre Hände zum Himmel empor: der Tod hielt seine Ernte, und die Gräber füllten sich. Es war die grause Pestzeit auch über die schöne Stadt an der Mur herein gebrochen, die bisher davon verschont blieb; und das Verderben, das sie glaubten im Elendhause eingehegt zu haben, schwebte über alle Mauern und geschlossenen Thore unaufhaltsam in die Stadt. Die ward ein einzig großes Elendhaus, erfüllt von Angst und Finsternis.

Da dachten die heimgesuchten Bürger an die Maid, die das Licht im Elendhause hieß, und bald bat die eine Sippe, in der ein Kranker lag, bald die andere, daß sie kommen möchte, um mit ihrer Pflege zu helfen. Und Diemut widersagte der Bitte nicht und kam. Ihr Nahen dünkte allen heilvoll zu sein, die von dem entsetzlichen Feinde heimgesucht waren, und sie blickten zuversichtlich zu ihr empor, die ihnen mit Pflege 202 liebreich diente. Da sie nun ferne weilte, war für Dietmer die schwere Zeit erst recht angebrochen in dem jammervollen Hause, das ihn umhegte. Denn es blieb die Dunkelheit zurück, als Diemut nicht mehr dort schritt. So oft sie es jedoch thun konnte, kehrte sie zurück in das Haus, von wo sie ausgegangen, und der Trost erschien wieder allen, den Elenden und auch Dietmer. Das waren Zeiten ihrer Anwesenheit, die kurzen Tage glichen neben langen Nächten ihres Fernseins. Doch bald kam es, daß das Elendhaus gänzlich in Dunkelheit lag. Denn, wie berichtet wurde, war auch Kaiser Friedrich, der Friedsame, vor der Seuche aus seiner Stadt Wien hinweg gezogen und saß in der Burg zu Graz. Als nun das Übel auch über die Mur hereingebrochen war, und die Pestwolke über allen Insassen der Stadt schwebte, da blieb auch die Burg nicht verschont. Des Kaisers Lieblingstochter, Namens Alexa, mußte sich legen, und große Bekümmernis ergriff den Vater. Da hörte er von Diemut berichten, daß unter ihren Händen manche der Siechen noch errettet wurden, und er 203 sandte nach ihr und entbot sie in die Burg. Sie folgte dem Rufe und weilte nun Tag und Nacht am Lager der kranken Tochter des Kaisers. Sie konnte nicht mehr in das Elendhaus gehen, wie zuvor, das war ihr verwehrt. So lag dieses gänzlich in Dunkelheit, und Dietmer weilte darin. Das war die schwerste Zeit, die er erlebte; aber weil er sich seinem Dienste angelobt hatte, so hielt er auch aus. Sein Leben war nun erst qualvoll geworden inmitten der Leiden anderer. Der Klang der Trauerglocken, der über die Stadt tönte, war die tägliche Speise seiner Seele. Sein Herz war das Elendhaus geworden, darin das Licht fehlte und das dem Grabe glich.


Da aber nun das böse Verhängnis in der Stadt genug übel gehaust hatte und nach Gottes Strafe auch immer Gottes Gnade einher wandelt, so begann die Seuche zu schwinden und zog wie ein schweres Hagelwetter von dannen, das viel 204 Halme auf dem Felde auf immer niederstreckt. Aber wie die übrigen Gebeugten sich allmählich wieder im Sonnenlichte aufrichten, so begannen die Insassen der Stadt wieder aufzuatmen und sich des Lebens zu freuen. Auch des Kaisers Tochter blieb auf ihrem Siechenlager vom Tode verschont, und das Leben erstarkte wieder im Leibe des jungen Kindes. Dessen war der Vater froh, der die Krone trug über weite Lande und nahe daran war wie der Ärmsten einer, dem Tode Zoll zu zahlen von seinem Hause. Er pries Diemut um ihres Dienstes willen vor dem Krankenlager der Tochter, da sie Tag und Nacht bereit stand, mit dem bösen Engel zu kämpfen um das Haupt der kaiserlichen Maid. Ihr mildes Antlitz und das klar tönende Wort aus ihrem Munde hatten der Kranken Trost gespendet, so wie ihre Hände Pflege gaben. Segenreich schien dem Kaiser ihre Gegenwart zu sein am Lager der Tochter, und er pries sie darob.

Der schwere Winter war auch vergangen, die Frühlingssonne schien über das Land, und sanfte 205 Lüfte wehten. Die trauervolle Erde und die Herzen der Menschen tauten wieder auf, da der entsetzliche Feind hinweg gezogen war. Auch die kaiserliche Maid erstand vom Siechenlager und begann wieder aufzublühen. Sie mochte Diemut nicht missen, und diese mußte ihre Gesellin sein in der freudigen Zeit der anhebenden Genesung, wie sie vorher Pflegerin in der Trübsal der schweren Tage war. Der Kaiser aber sprach zu ihr:

»Wünsche dir, Diemut, was ich dir gewähren kann, und du sollst es haben. Mich verlangt es, deinem Dienste mit That zu lohnen.«

Und sie antwortete:

»Wie soll ich Lohn begehren! Hat ja mein Dienst mich selbst vom ungeheuren Leide befreit! Denn ich hätte mir selbst nicht helfen können, wenn ich den andern nicht geholfen hätte. Das ist Lohnes genug, und Gott verhüte es, daß ich etwas anderes wünsche!«

Der Kaiser verwunderte sich über diese Rede, doch sie blieb dabei.

Da sprach er:

206 »Gott hat dir in dein Herz die Weisheit gegeben, womit sich jeder Mann getrösten könnte. Aber ich will dennoch meinem Rechte nicht entsagen, dir zu danken, du liebe Magd!«

Er verwunderte sich auch darüber, daß Diemut nicht mehr ernst und traurig war wie in der schweren Zeit, wo sie im Amt des Leides stand, sondern wieder kindlich ward, wie es ihren Jahren geziemte. Seine Tochter gewann eine Gesellin an ihr, die ihr zu jeder Stunde des Tages guten Mut gab. Als ob ein dunkler Schleier von Diemut gefallen wäre, so kam ihr früheres Wesen wieder zum Vorschein. Ihr selbst schien es, als ob sie aus einem entsetzlichen Traume erwacht wäre und sich wieder unter den Strahlen der alles bescheinenden Sonne befände. Sie sagte, als sie darob befragt wurde:

»Ich weiß es nicht, wie ich das alles überwunden habe. Mit dem riesenhaften Elend wuchs mein Leid eben so groß und mit dem Leide meine Kraft; nun da beides vorbei ist, das Elend und das Leid, so ist meine Kraft wieder geworden wie zuvor, die einer armen Maid.«

207 Und als man alles lobte, was sie gethan, sagte sie:

»Dess' überhebt sich mein Herz nicht, denn ich that nur, was ich mußte. Ich habe damit mein eigenes Leben bewahrt, denn ich läge nun tot, wenn ich es nicht gethan hätte. Das weiß ich. Was ist also daran viel zu rühmen? Thut doch jeder, wie er muß!«

Und sie ward mit hellen Augen ein Kind wie zuvor, das jeder lieb gewann, der sah, wie hold und freundlich sie ihr Wesen mit der Kaiserstochter trieb, ihr in allem diente, wessen sie bedurfte, so daß diese an ihr hing und nicht von ihr lassen wollte. Auch bemerkten alle in der Burg, wie schön sie von Gestalt und Antlitz war, und der Kaiser dachte: das ist's, damit will ich ihr danken: ich will ihr einen guten Mann geben, der ihr Gemahl sei, wenn sie auch von niedriger Herkunft ist; denn sie hat es um mich verdient. Und jedem guten Manne gebe ich ein köstliches Eheweib an ihr, dafür er mich zeitlebens preisen mag.

Inzwischen war der Frühling mit 208 Sonnenglanz und Maienblüten über die Stadt heraufgezogen, und der Anger vor dem Burgthore lag wie ein grüner Teppich mit vielfarbigen Blumen durchwirkt. Alle, die unter dem grauenvollen Verhängnisse gelitten und es überstanden hatten, freuten sich der schönen Zeit wie Gefangene, die in Todesbanden gelegen hatten und wieder an das glorreiche Licht der Sonne kamen. Friedlich unter der Erde ruhten die Toten, erlöst von ihrer Qual; und in den Lebenden begann das Trauergeläute allmählich ferner zu verklingen und das Herz wieder wohlgemut zu schlagen. Feld und Garten, Wald und Anger sproßten und blühten, Fink, Lerche und Amsel huben ihren Jubelgesang an. Und aus dem Leide, das begraben wurde, erstand die Freude auf. So wollte auch der Kaiser das Maienfest mit Freude begehen und ließ auf dem grünen Anger vor dem Burgthore sein Zelt herrlich aufschlagen. Das war von Purpur, mit Gold durchwirkt, und sein Banner mit dem Reichsaar wehte darüber. Die an seinem Hoflager waren, edle Herren und Frauen, gaben ihm reiches Geleit, als er, die Tochter an der 2^09 Hand führend, aus der Burg durch das Thor ins Freie schritt. Ihm voran gingen die städtischen Pfeifer und Zinkenisten, die süßes Getöne der Maienlandschaft darbrachten.

Ein Platz zu ritterlichen Spielen war umhegt, und die Insassen der Stadt standen vor den Schranken und gewannen nahe dem Zelte Raum, um das kostbare Schaugepränge vor Augen zu haben. Es ward nach den schrecklichen Tagen das Maienfest eine herrlichere Feier als je zuvor, und der Himmel blickte hold und freundlich auf die Menschen herab, die sich wieder im Leben zusammenfanden. Die Kaisertochter sandte ihre Frauen auf den Anger, um Blumen zu einem Maienkranze zu pflücken. Diese wandelten mit Scherzen und Kosen dahin und schmückten, in reichfarbige Gewandung gehüllt, den grünen Rasen nicht minder als die weißen, roten, violetten und goldenen Blumen, die ihm entnickten. Der Kaiser saß in seinem Zelte auf einem Thronsessel und sprach zu seiner Tochter:

»Wo ist deine Gesellin Diemut? Ich sehe 210 sie nicht. Warum ist sie nicht mit den anderen Frauen zum Maienfeste gekommen?«

Und die Tochter antwortete:

»Habe ich sie doch zuerst mit Worten, dann mit aufgehobenen Händen darum gebeten! Aber sie wollte nicht. Ihr zieme es nicht im kaiserlichen Gefolge zum Feste zu gehen, denn sie sei ein armes Mädchen von dunkler Herkunft. So sagte sie, und ich kann der Maienlust nimmer froh werden, weil sie nicht da ist an meiner Seite.«

Der Kaiser schüttelte das Haupt:

»Sie hat solches an dir gethan, daß sie verdient gehöhet und gehehret zu sein, und hält sich nun zu gering, in deinem Gefolge zu schreiten, Tochter? Nein, da steht es nicht wohl darum, und der Sache ist nicht genug geschehen. Sie soll kommen!«

Und er entsandte eine Edelfrau in die Burg und hieß Diemut kommen; das sei sein Gebot. So mochte sie sich nicht weigern und kam. Die Bürger der Stadt blickten verwundert, als sie sich in ihrem schlichten Gewande inmitten der 211 reichgekleideten Frauen zu des Kaisers Tochter setzen mußte. Sie fragten sich: Ist das nicht Diemut, zu der Frau Lene die Muhme ist? Dieselbe, die im Elendhause war? Und andere sagten hämisch: Seht, das ist mir eine feine Klugheit, die Lob und Ehre bringt, im Elendhause weilen!

Diemut aber saß still und freundlich in der Nähe der Kaisertochter. Die Frauen kehrten vom Anger zurück und hatten einen reichen Maienkranz gewunden, den sie ihrer Herrin übergaben. Alle Edlen des Hoflagers waren ritterlich versammelt, und auch viele Herren und Dienstedle des steirischen Landes hatten sich zum Feste eingefunden. Da hub der Kaiser an zu reden:

»Tochter, diesen Kranz sollst du dem Würdigsten reichen, der sich unter unsern ehrenfesten Herren im ritterlichen Spiele bewähren mag. Das ist uns Sitte.«

Somit nahm das Turnier seinen Gang und, als es sein Ende erreicht hatte, schmückte die kaiserliche Maid den Sieger mit dem Kranze. 212 Der Kaiser hatte inzwischen ein anderes Kränzlein winden und die Dienstedlen zu einem zweiten ritterlichen Spiele laden lassen. Dann sprach er, auf den Maienkranz weisend:

»Ich will zu diesem Lohn dem Sieger noch einen andern kostbaren Dank hinzufügen. Seht! da sitzt die Gesellin meiner Tochter, eine Maid, deren Stand ich erhöhen will, so daß sie jedem guten Manne edel gilt. Auf ihr liegt sichtbarlich Gottes Gnade, und meine Huld will sich der seinigen, unseres himmlischen Herrn, unterordnen, indem ich ihr überaus wohlgeneigt bin. Denn sie hat es um mich verdient, wie ihr alle wißt. Ich setze euch nun als Kampfpreis die Hand der guten Maid. Welcher unbeweibte Mann um sie ringen will und siegreich wird, dem giebt meine Tochter den zweiten Maienkranz des Festes, und ich selbst gebe ihm als Maienblüte die Maid Diemut, auf daß er sie aus meinem Hause als sein herrliches Eheweib heimführe; denn ich bin ihr wie ein Vater wohlgeneigt.«

Es geschah nun, daß viele, deren Blicke an Diemuts lieblicher Gestalt hafteten, sich freudig 213 bereit erklärten, um die Maid zu kämpfen, die ihnen noch begehrenswerter schien, weil sie des Kaisers Gnade umglänzte.

Die Bürger der Stadt, die vor den Schranken und dem Zelte standen, verwunderten sich höchlich über das, was sie hörten, und sie gaben ihr Erstaunen in mannigfachen Ausrufen zu erkennen. Unter ihnen stand einer, von dem sie sich scheu fern hielten, als trüge er ein Malzeichen an der Stirne, das sie aus seiner Nähe bannte. Sein Antlitz war bleich und gramvoll, seine Kleidung nicht festlich wie die der andern, sondern verwahrlost. So stand er in dem leeren Umkreis, der sich um ihn gebildet hatte, vor den anderen sichtbar und blickte traurig auf die glänzende kaiserliche Gesellschaft hinüber. Es war, als ob der tiefe Schatten des verschwundenen Elends noch von ihm ausginge und in den sonnigen Tag hineinfiele. Auch Diemut bemerkte ihn, und als sie ihn erkannte, ward ihr Antlitz bewegt. Der Kaiser jedoch hatte seine Rede beendet, und sie mußte ihm antworten. Sie trat vor ihn hin und sprach:

214 »Mein gnädiger Herr! Ihr wollt mich über meinen Stand erheben, und ich danke Eurer Güte herzlich. Gott weiß es, daß mir die Sehnsucht fern ist, etwas anderes zu begehren als das Heil aller Menschen und meinen eigenen Frieden. Auch hab' ich noch nicht daran gedacht, mein Magdtum mit dem Stande eines ehelichen Weibes zu vertauschen. Aber weil mir Eure Gnade den Gemahl und Lebensgefährten geben will, so gestattet mir, Euch den Mann zu zeigen, mit dem mich Gott, der Eheschöpfer, zusammenfügen mag, wenn er will, jedoch mit keinem andern.«

Und sie ging hinaus auf den freien Raum, wo jener gramvolle Geselle stand, gemieden von den andern, faßte seine Hand und führte ihn vor den Kaiser:

»Dieser ist's, mein gnädiger Herr, der mir gefolgt ist und unter den Schatten des Elendhauses eingegangen ist, um gleich mir dem Tode zu dienen. Da er mir im Tode treu war, so will ich ihm auch im Leben treu sein. Uns hat das ungeheure Leid verbunden, und deshalb habe ich kein Glück, was nicht das seine wäre. Seid 215 Ihr mir gnädig, so muß auch er an Eurer Gnade teil haben.«

Und sie erzählte, wie Dietmer Haus und Heim um ihretwillen verlassen hatte und ihr gefolgt war. Da mochte sich des Kaisers Miene, die sich früher verfinstert, wieder aufhellen, als die Maid mit bewegter Stimme und reinem Antlitz von dem Bunde sprach, der sie im Dienste des Elends mit dem gramvollen Gesellen, der Dietmer hieß, verknüpfte. Und in seines, Dietmers Herzen, erwachte die Seligkeit zum Lichte mit herrlichem Rauschen und Klingen, und seine Wangen färbten sich wieder nach langer Zeit höher. Doch stand er beschämt ob seiner verwahrlosten Kleidung und senkte den Blick zu Boden. Der Kaiser bemerkte, daß es ein wohlgestalteter Geselle war, dem nur sein verkümmertes Wesen Abbruch that. Er rief sonach einen Kämmerer und hieß ihn den Gesellen mit sich nehmen in die Burg. Dort solle er seiner Sorge tragen, daß sein Leib wieder gepflegt und in ein ehrbares Gewand gehüllt werde. Der Kämmerer that, wie ihm geheißen ward.

215 Inzwischen begann das zweite Ritterspiel, und der Kaiser setzte dem Sieger anstatt der Maid die goldene Kette zum Kampfpreise, die er selbst trug. Der Kämmerer kam dann mit Dietmer zurück, der allen, die ihn vorher gesehen, wie umgewandelt erschien. Denn er ging wie ein stattlicher Mann aus der Burg hervor in vornehm bürgerlichem Gewande und mit edlem Antlitze. Da rief der Herold im Kampfspiele Frieden und gebot Schweigen. Der Kaiser aber sprach.

»Seht, das ist Dietmer, ein Mann, zu dem ich gute Zuversicht habe, daß er sein Leben in Ehrbarkeit führen und vollführen wird und seines Handwerkes recht und fleißig wahrnehmen wird; denn er ist ein Faßbinder seines Zeichens, wie mir Diemut mitteilte.«

Und er hieß den Gesellen Dietmer zu sich kommen, ergriff die Scheide seines kaiserlichen Schwertes mit beiden Händen und berührte Dietmer, der auf die Knie sank, auf Schulter und Stirne damit, indem er sprach:

»Damit mache ich dich bürgerlich gut und ehrlich vor jedem Manne und spreche dich los 217 und ledig von jedem Unglimpf, auf daß du in deinem Gewerke als Meister ehrsam sitzen darfst. Und gebe dir diese gute Maid zu deinem Eheweibe, auf daß euch des Priesters Hand vor dem heiligen Altare zusammenfüge. Dies ist mein Wille, und sollst du des Kaisers Bindermeister heißen und meinen Keller in der Burg zu Graz besorgen, so lang' du lebst.«

So geschah es auch.

Der Kaiser wollte selbst als Hochzeitsgast mit seiner Tochter zugegen sein; aber als die Zeit der Vermählung heran kam, riefen ihn die Geschäfte des Reichs nach seiner Stadt Wien zurück, wo inzwischen die verheerende Seuche auch erloschen war. Da nahm die Tochter mit liebreicher Umarmung von Diemut Abschied und begabte sie mit einem feinen Brautkleide. Das anzunehmen, konnte Diemut nicht verweigern. Also verließ das kaiserliche Hoflager die Stadt Graz. Aber Dietmer und Diemut wurden eines Sinnes, ohne daß beide darüber zu Worte gekommen waren, denn ihre Herzen verstanden sich. Dietmer kehrte in sein Vaterhaus zurück, das 218 verödet stand. Hier hatte die böse Zeit, wie überall, übel gehaust und seine Mutter hinweggerafft. Auch seinen Bruder hatte die Geißel des schrecklichen Todes getroffen und dessen schöne Frau Mechthild; auch Vetter Klaus war ihr, wie so viele andere, erlegen. Nur Muhme Lene hatte sich aufrecht erhalten und blickte streng wie immer; aber eine tiefe Kummerfalte hatte sich auf ihrer Stirn zwischen den Brauen gebildet. Und Wetzel ging noch auf seinen Beinen einher. Er hatte dem bösen Feinde Stand gehalten, denn er wollte sich nicht früher hinlegen, sagte er, bis er nicht Diemut abgebeten hätte, daß er sie damals verleugnet.

Diemut kehrte in das Binderhaus gerne zurück, denn Muhme Lene hatte sie gebeten, zu kommen. Sie wollte an ihr Mutterstelle vertreten wie vormals, denn sie hätte nun keine Tochter mehr außer Diemut. Dies meinte sie aufrichtig, obgleich sie herbe war wie zuvor. Als nun Wetzel das erste Mal nach langer Trennung vor Diemut hintrat, sprach er mit Thränen in den Augen:

219 »Das ist meine größte Klage, was ich an dir gethan habe, Diemut, daß ich dich verleugnet habe. Der Tod ist zu allen Fenstern hereingekommen; aber ich habe immer nach dir ausgeschaut, denn du warst mein Leben, herzliebes Kind. So bin ich heil geblieben, um dich noch einmal zu sehen: dieser Wille hat mich erhalten. O ich verdien' es als ein Spottliedlein durch die Gassen der Stadt getragen zu werden, weil mir der Futtertrog mehr galt als das Kind, das ich aufwachsen gesehen, mein Diemutlein. Nun vergieb mir, weil ich traurigen Herzens bin und durch dich wieder fröhlich sein möchte. Und Gott segne Dietmer um des guten Willens wegen, den du zu diesem Manne trägst, der es verdient hat, dein Ehewirt zu heißen. Mir aber vergieb es, Diemutlein, weil du lieb bist, und sodann sag' oder singe man, was man wolle, ich bin wieder der alte Wetzel, ein aufrechter Geselle.«

Sie vergab ihm gerne, und die Freude kehrte wieder in sein Herz ein. Er stand Dietmer mit gutem Rate bei, als dieser sein Meisterstück gänzlich fertig brachte: ein stattliches Faß, das ohne 220 Reifen so fest gefügt war, daß es keinen Tropfen zwischen den Dauben durchsickern ließ. Und es war diesmal mit edlem Eisenthürer gefüllt, der sich als Hochzeitstrunk bewähren sollte. So ward Dietmer in die Zunft der Binder aufgenommen und saß dort als ehrlicher Meister.

Aber die Hochzeit wurde am Laurentiustage mit aller bürgerlichen Pracht ausgerüstet. Muhme Lene kleidete Diemut an und schmückte sie mit dem Brautkranze. Sie that es mit herbem Antlitz, weil sie kein anderes besaß; aber sie blickte so freundlich als sie konnte auf die bräutliche Maid. Da sie dabei an die eigene Tochter denken mußte, die in ihren jungen Jahren hinweggerafft wurde, so kam ihr eine Thräne in das strenge Auge. Diemut bemerkte dies, fiel ihr weinend um den Hals und gelobte ihr stetig eine treue Tochter zu sein und nie ihres Dankes gegen sie zu vergessen. Nun mochte auch Muhme Lene den Thränen freien Lauf lassen, und sie weinten beide um Mechthild, die gestorben war, und um den Vetter Klaus, der diesen Tag nicht mehr erleben sollte.

221 Als der Hochzeitszug in die Ägydikirche schritt, war die ganze Stadt auf den Beinen, um das seltene Paar zu sehen. Es schien allen, daß in dem alten Graz niemals ein bürgerlicher Hochzeitszug prächtiger geschritten wäre, als dieser, und daß in der Kirche nie eine Braut lieblicher vor den Altar getreten, um einem guten Manne angetraut zu werden, als diese. Aus der Kirche kehrten sie dann wieder unter fröhlichen Klängen in das Binderhaus zurück, wo Muhme Lene das Hochzeitsmahl reichlich gerüstet hatte. Sie, die Brautmutter, holte auch ihre eigene kostbare Goldhaube aus der Truhe hervor, die sie an ihrem Hochzeitstage getragen hatte, und schmückte Diemut damit. Alle lobten sie darum, und auch Wetzel sagte: das soll ihr nicht als Missethat gelten!

Als sie beim Mahle saßen, kam ein Bote des Kaisers, der brachte einen Gnadenbrief, in welchem Dietmer zum Bindermeister des kaiserlichen Kellers ernannt wurde. Der Brief war schön auf Pergament geschrieben, an dem das große Siegel an einer Schnur hing, und war in 222 kostbaren grünen Sammet gebunden, auf dem der kaiserliche Aar in Goldstickerei herrlich glänzte. Alle blickten bewundernd darauf und priesen Diemut, um deren willen der Kaiser seine Gnade dem ehrenfesten Manne Dietmer geschenkt hatte. Diemut aber antwortete auf alles Lob bescheiden in ihrer Weise. Dietmer saß ihr zur Seite und schwieg, außer wenn er den Gästen zu Dank reden mußte. Vor seinem Blicke erhob sich das dunkle Elendhaus, darinnen er in Not und Jammer geweilt hatte, und es dünkte ihm wie ein böser Traum zu sein, der in die Nacht versunken war. Nun war die Welt hell und strahlend geworden, und von ihr, die an seiner Seite saß, von ihrem Auge und ihrer Stirne ging das Leuchten aus, das sein Herz und seine Welt durchglänzte. Und wieder schien es ihm zuweilen, daß er nun, wo er inmitten des Jubels saß, nur glückselig träume.

Als das Fest zu Ende ging und er sein junges Weib unter Geleite der Bläser und Pfeifer in sein Vaterhaus heimführte und in der Brautkammer mit ihr allein war, sagte er:

223 »Diemut, mein Weib! Du hast mir schon verziehen, aber ich muß mir noch einmal Vergebung von dir erbitten. Weißt du noch? als dir vor langer Zeit ein gemaltes Blättchen verloren ging, so war ich es, der es nahm. Ich habe es seitdem immer mit mir getragen. Ich mußte etwas von dir mein eigen nennen, ich konnte nicht anders. Nun aber, da ich dich selbst besitze, gebe ich es dir zurück.«

Und er nestelte sein Wams auf, da trug er an einer Schnur in einer elfenbeinernen Kapsel das Bildchen, das Diemut einst von Wetzel erhalten hatte, und das ihr aus ihrem Stübchen im alten Fasse hinter der Daubenmauer unter dem Wachholderbaum verloren ging. Dietmer gab es ihr und fragte:

»Willst du mir vergeben, Diemut, und mir hold sein?«

,.Ja, ich will dir vergeben, Dietmer, und dir vom Herzen hold sein.«

 


 


 << zurück