Wilhelm Fischer
Das Licht im Elendhause
Wilhelm Fischer

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I.

Der Bindermeister Klaus Herlinger zu Graz an der Mur war ein wohlgemuter Mann; denn das ehrsame Gewerke, dem er diente, nämlich die Kunst Fässer zu binden und bauen, blühte unter seinen Händen reichlich und gab dem Hause und Herde sattsam Gedeihen. Er besaß eine einzige Tochter, Mechthild geheißen, die galt als schöne und züchtige Maid bei allen, die sie an Sonntagen zur Kirche wandeln oder an Wochentagen daheim schaffen sahen an der Seite der scharf blickenden Mutter. Friede und Eintracht herrschten unter dem Dache des stattlichen Binderhauses, denn der gutmütigste von allen war Meister Klaus selber. 108 Gegen Knechte und Mägde konnte er streng nach Maß und Recht schalten und im Anwesen heischen, was die Pflicht gebot, doch in der Stube liebte er den trauten Frieden. Dieser ward jedoch gestört, als er sein Schwesterkind zu sich nahm, ein Mägdlein, das noch in der zartesten Jugend stand, aber einen festen Willen zeigte, die andern zu plagen.

Es hieß Diemut und mochte wenig gern Gehorsam lernen gegen Vetter und Muhme, am wenigsten aber gegen die Base, die schöne Mechthild. Da gab es Gewölke und Sturm in der trauten Stube und doch auch wieder Sonnenschein für Meister Klaus, wenn das Mägdlein seine gute Zeit hatte. Dann konnte es auch lieb sein, denn es war von seiner Gestalt, und die großen dunklen Augen leuchteten aus dem schmalen Gesichtchen wie träumend in die Welt hinaus. Es war ein verwaistes Kindlein, das keinen besaß, der sich seiner annahm, wenn es nicht Meister Klaus gethan hätte. Es hatte seine Mutter nie gekannt, da diese aus dem Leben schied, bevor das Mägdlein sie mit vernünftigem Auge anschauen und ihr 109 Bild im Gedächtnis verwahren konnte. Aber es dachte an sie oft und wo es ein bemaltes Blatt sah, worauf ein Weib mit schöner Stirne stand, da sagte sie: das ist meine Mutter und keine andere. Und nächstens war es wieder eine andere, bis ihr einmal der alte Geselle des Hauses, der Wetzel hieß, ein Blättchen schenkte, worauf die heilige Katharina in den lieblichen Farben eines grünen Kleides und roten Mantels mit holdseligem Antlitze abgebildet war. Da es um diese Zeit schon die nutzbringende Kunst des Buchstabierens erlernt hatte, so konnte es den Namen seiner Mutter, die eben Katharina hieß, zu den Füßen der schönen Frau in zierlichen Schriftzeichen lesen, und da mochte es ihr künftig niemand mehr ausreden, daß dies nicht ihre Mutter sei. So blieb es auch.

Das bemalte Blättchen hielt Diemut hoch in Ehren. Das gab sie nicht aus den Händen, sondern trug es stets bei sich, sorgsam umhüllt von einem Stückchen Seidenstoffes, auf daß es keinen Schaden erleide. Wenn sie es aber dem Sonnenlichte enthüllte und davor saß, schlug sie 110 die Händchen zusammen und rief: Ah, wie schön! Einmal fragte sie den alten Wetzel, ob die andern Frauen im Himmel auch so schön seien wie ihre Mutter und setzte aber gleich aus eigener Weisheit hinzu: »Nein, das sind sie nicht«.

Und der gute Geselle erwiderte darauf: »Ei, das sollst du nicht sagen, Diemutlein! Bist du denn auf Erden schöner als alle andern Mägdlein?«

Er wartete, wie sie sich aus dieser Schlinge ziehen werde; sie aber antwortete alsbald:

»Das gilt nicht auf Erden, was im Himmel gilt, höre du, Wetzel. Das ist ja hoch, hoch und so weit oben. Und die ihr Kindlein am liebsten hat, die ist die schönste. Das thut meine Mutter. Ist sie dann nicht die schönste?«

Darauf konnte der Geselle nichts erwidern.

»Wie hat sie dich lieb, Diemutlein?« fragte er lächelnd.

»Wie? stark und weit. Vom Himmel bis zur Erde hat sie mich lieb. Das ist ein starker Weg.«

»Ja, das ist's. Und was schafft sie dir gutes, Diemutlein?«

111 »Alles. Daß die Sonne scheint und der Himmel blau ist, das schafft sie alles.«

»Ei wie! Hat sie der liebe Herrgott dazu eingesetzt, um die Sonne scheinen zu lassen? Wie kommt denn das?«

»Das kommt nicht; das ist da, weil sie es thut. Sonst wäre es nicht schön, hinauf zu schauen, wie es da blau ist und glänzt. Das thut sie, ich weiß es, weil ich immer an sie denke und an nichts anders. Wer sollte es dann thun, wenn ich von niemand anderem etwas weiß als von ihr? Da hat es der liebe Gott ihr aufgetragen, den Himmel schön zu machen, weil sie mir damit Freude macht, und – kannst du es wissen? – vielleicht auch ihm selber. Höre du, Wetzel, das kannst du nicht besser wissen als ich, denn du hast keine Mutter, dazu bist du schon zu alt.«

Da lächelte der Geselle wehmütig und streichelte dem Kinde die lichtbraunen Locken: »Da hast du recht, Diemutlein;« und also endigte ihr Gespräch.

Indessen geschah es, daß sie ihren Schatz, 112 den sie so eifrig bewahrte, dennoch verlor, nämlich das bemalte Blättchen. Das kam nicht ganz von ungefähr. Denn das Mägdlein hatte zur Sommerszeit sein Wesen im Hofe in einem abgelegenen Winkel, der durch eine aufgeschichtete Mauer von Dauben und Faßholz schier unzugänglich geworden war. Aber sie fand doch einen Schlupfweg in das umhegte Land, und dort gefiel es ihr gar wohl in der Einsamkeit des grünen Rasens unter einem dichtbelaubten Maßholder. Der wuchs hart an der Stadtmauer, die den Hof des Binderhauses von dieser Seite begrenzte. Unter dem Baume stand ein großes Faß, das schon altersschwach und baufällig geworden war und um das sich niemand mehr kümmerte. Es hatte einige Rippen im Lebenskampfe eingebüßt; das gab eine schmale Öffnung, wie eine Thüre, und durch diese schlüpfte Diemut hinein in das Innere des Häuschens: als solches erschien es ihr. Drinnen gab es überall Spalten und kleine Gucklöcher, durch die das Sonnenlicht golden hereinblinkte in den dämmerigen Raum, so daß es gar wohlig drin zu hausen war. Auch die großen 113 und kleinen Käfer, die hereinschwirrten und krochen, bekamen goldenen Schimmer auf den grünlichen Flügeldecken, oder der stahlblaue Panzer leuchtete ihnen gar heimlich; und die Grashalme, die draußen vor den Scharten sich zunickten, schimmerten auch im Sonnenstrahl köstlicher als anderswo. Oben war eine Öffnung im Fasse, durch die man hoch hinauf durch das Laub des Baumes in tausend blau glänzende Scheibchen sah; das waren die vielen Fenster des Himmelspalastes, aus welchem Diemuts Mutter auf ihr Kind herabsah. Dann sang allemal ein fremder Vogel auf dem Baume, und es dünkte ihr, daß der wundersames Gefieder hätte, grün und golden und rot, wie die Farben ihres bemalten Blättchens, obgleich sie ihn kaum sah. Aber sein Lied war ihr das schönste, was sie jemals gehört hatte, schöner noch, als wenn vom Schloßberg herab das Kriegsvolk Trompeten und Pfeifen zur Maienzeit ins Land hinausblies. Da hörte sie auch ein prächtiges Klingen aus der Höhe herabkommen, aber sie sah niemand und glaubte zuerst, es wären das die Engel, die im Himmel musizierten, 114 bis ihr Wetzel sagte, es sei dies keine Schar von Engeln, wohl aber derbes Kriegsvolk in bunter Tracht, dem keiner ohne Not in den Weg träte.

Im Innern des Fasses hatte sie sich ein Bänkchen zurecht gerichtet und ein winziges Tischlein, das ihr Wetzel geschnitzt hatte, und da saß sie darin unter ihrem Hausrat wie in einem verzauberten Stübchen. Sie hatte nicht weit durchs Stadtthor auf den Anger zu gehen, von dort holte sie sich früh am Morgen Blumen und schmückte ihr Tischchen wie einen Altar, darauf sie als heiliges Bild ihr bemaltes Blättchen stellte und die schöne Frau andächtig betrachtete, die ihre Mutter war, wie sie meinte. So saß sie oft davor mit gefalteten Händchen und dachte dies und jenes, der Vogel sang zu ihren Häupten, von ferne scholl gedämpft das Getriebe des Handwerks, die abgemessenen Schläge des Hammers auf das Eisen, wenn der Geselle um ein neues Faß im Kreise ging und den Reifen eintrieb.

Ihr Altarbildchen ließ sie allmählich auch nachts dort, denn sie glaubte es gut geborgen, und da geschah es, daß sie eines Tages das 115 Stübchen leer fand: der Schatz, das bemalte Blättchen, war entschwunden. In ihrer Kindesseele erhub sich darob großes Leid. Sie dachte, ein böser Wicht habe es ihr gestohlen, irgend ein Hauskobold. Doch wo ihn fassen? Das Binderhaus war groß und das Männchen klein. Sie betete andächtig zu Gott, daß er dem bösen Schalk gebiete, es ihr wiederzubringen. Aber das geschah nicht, und sie dünkte sich thöricht, weil sie nicht so beten konnte, daß es Gott erhörte. Und ihr Leid blieb sich gleich. Da half ihr auch nicht Vetter Klaus, als sie es ihm sagte, denn er rief: »Ei ja! Wer weiß, wo Wind und Wetter es haben, dein bemaltes Blättchen! Sprich nur immer leise vor dich hin: liebes Herz gieb mir Ruh, und du wirst bald wieder lachen, wenn die Sonne auf die Dächer scheint, das ist morgen.«

Und Muhme Lene, die sprach mit scharfem Blick wider das Mägdlein:

»Narrenspossen hat sie alleweil im Sinn und nichts, was nutzbringt. Rennen nach dem Wind, oder hocken und schauen, wie die Mücken tanzen, 116 das kann sie, aber das hat noch keinem Menschen gutes eingebracht. Nun thut sie wieder, als wenn sie Essig geschluckt hätte, weil sie ein bemaltes Blättchen verloren hat. Aber hörst du mir nicht bald auf zu greinen, so schicke ich dich dorthin, wo der Pfeffer wächst, und die Weide soll dir den Weg dahin weisen. Sie hat Junge bekommen, feine Sprößlinge, die mit einem guten roten Faden zusammengebunden, dir Zucht lehren werden. Also trolle dich und laß den Abend loben, was der Tag dir feines gebracht hat, nämlich den Frieden, – wenn du willst.«

Und Maid Mechthild bewegte zierlich das blonde Köpfchen und sprach: »Ja, ja, sie ist zu wild und dann wieder wie ein Stock, der sich nicht rühren will.«

Erst als Diemut dem alten Gesellen Wetzel ihr Leid klagte, da kam sie vor die rechte Thür. Der sprach zu ihr: »Das Herz seufzt mir im Leibe, daß ich dich bekümmert seh, Diemutlein: Willst du immer traurig sein?«

»Ja, das will ich,« sagte sie.

»Ei! das sollst du nicht. Vielmehr sollst du 117 guten Mutes sein. Denn sieh, ich werde dir dein Blättchen wieder schaffen.«

»Kannst du das, so will ich guten Mutes sein. Aber höre du, Wetzel: hat dich unser Herrgott lieber als mich, weil du das kannst?«

»Nein; ein Mägdlein, wie du, das immer an ihn denkt, das hat er lieber als mich rauhen Gesellen, der nur sinnt, wie er den Reifen mit dem Lenkbeil aufs Faß treibe. Aber dess' sei ohne Sorge, ich schaffe dir dein Bildchen wieder.«

Es dachte aber der gute Geselle bei sich, daß dies leicht sei. Denn er hatte das Blättchen vor der schönen Wallfahrtskirche Mariatrost gekauft, wo sie auf dem Platze vor der Pforte viel dergleichen in Buden feil boten, und er sagte sich: »Morgen ist Sonntag, da will ich mich ganz ergötzlich durch den grünen Wald nach Mariatrost ergehen und kaufe ihr ein gleiches Bildchen wieder wie das vorige, nämlich die heil. Katharina, gebe es ihr, und des Kindes Herzlein hat sein Genügen daran, wie vorher. Nichts leichter als das.«

Er that so, und Montag am Feierabend 118 erzählte er ihr vorerst von seiner Reise nach der Kirche am Berge, und sie hörte ihm eifrig zu; wie er durch den Kogelwald gegangen sei, lag dort bei Wenisbuch ein großer Teich, da waren grüne Männer am Ufer zu sehen, die riefen immerzu: arg! arg! und sie meinten, das sei arg, daß Diemutlein ihr Bildchen verloren hatte. Als er jedoch näher kam, da waren es Frösche, die plumpsten ins Wasser. Vorher hätte er geschworen, daß es Männer in grünen Jankern wären, so deutlich riefen sie ihr arg! arg! Aber es giebt manches Wunderliche in der Welt, und so kam er durch eine Gegend mit Höfen, die heißt Himmelreich, zur Kirche. Als er die Treppe hinan stieg, lag viel bresthaftes Volk auf den Stufen und reckte ihm die Hände entgegen. So viel er nur konnte, mochte er dann austeilen. Als er aber vor die Kirchenpforte kam, wandte er sich zurück, und da hat er sie, Diemutlein, gesehen.

»Wie mag das sein?« fragte sie aufmerksam.

»Das mag sein, wie es will. Zuerst sah ich von Graz nur den Schloßberg mit seinen 119 festen Türmen und Zinnen und darüber weit weg viele Berge: ein jeder stand mit blauem Mantel und goldenem Krönlein. Das sind gar hohe Herren. Aber am Schloßberg vorbei hab' ich linker Hand ein Haus gesehen, es war so klein von wegen der Ferne, und darin einen Hof mit Bäumen und Fässern, die waren noch kleiner, zumal die Fässer. Und im Hofe ging ein Mägdlein, das war am allerkleinsten, und das warst du, Diemutlein. Denn der steinerne Engel vor der Kirchthüre wies gerade mit dem Zeigefinger dorthin, als mochte er sagen: Sieh, dort ist sie. Willst du das glauben, Diemutlein mein Demantlein?«

»Ja, ich will.«

»Dann ist's recht,« sagte er. »Und nun sei getrost. Dein Bildchen ist wieder gefunden. In der Kirche hab' ich es erfahren, wo es aufgehoben liegt; das durft' ich aber keiner Seele verraten, auch dir darf ich es nicht. Da hast du es wieder. Hab' ich es nun wohl um dich verdient, daß du mir einen schönen Dank sagst, Diemutlein, ha?«

120 Damit zog er ein bemaltes Blättchen behutsam aus der Tasche und gab es ihr.

Zweifelnd und doch mit aufleuchtenden Augen nahm sie es in die Hand und betrachtete es aufmerksam. Dann sagte sie unmutig:

»Das ist es nicht. Das ist nicht meine Mutter. Du hast dich anlügen lassen, Wetzel.«

»Wie?« rief der Geselle bestürzt. »Das wäre nicht deine Mutter? Du kannst ja lesen. Steht nicht darunter geschrieben: die heil. Katharina. Ist es nicht genau dasselbe Gesicht wie das vorige? Sieh es nur an. Wie sollte das nicht dein Bildchen sein?«

»Nein, das ist es nicht,« rief sie mit geröteter Wange, »das meine war ein anderes.«

»Nun bin ich in der Welt weit umher gewandert mit Gunst und Ungunst und bin ein grauer Geselle geworden, der niemals mehr Meister werden wird, aber so etwas hab' ich mein Lebtag noch nicht gesehen. Ist ein Haar auf diesem Blättchen anders, als auf dem, was du früher in Händen hattest, so will ich der einfältigste Mensch im ganzen Steirerland heißen.«

121 »Das magst du immer, Wetzel, wenn du willst,« erwiderte sie zornmütig, »denn das ist meine Mutter nicht. Da hast du es wieder, ich brauche es nicht.«

Und da er sich mit hohen Beteuerungen sträubte, es wieder anzunehmen, ließ sie das Blättchen vor ihm auf die Erde fallen und lief unmutig davon. Er hob es auf, und seine Freude daran war verdorben. Er dachte sich, nun wird es Wind und Wetter geben; denn Diemutlein wird nun arg spielen, und die Meisterin wird es ihr mit dem Haussegen vertreiben, der auf der Weide wächst. Sie ist eine scharfe Wirtin, und ihr Leib ist länger als ihre Geduld.

Muhme Lene that aber noch mehr als dies. Als ihr das Mägdlein allzu eifrig den Tag ungut machte, wurde sie selbst wie die böse Zeit, und hielt hochnotpeinliches Gericht. Es gab ein schreckliches Verließ im Hause, eine Kammer mit altem Gerümpel, die so finster war, daß sie die Hölle genannt wurde. Kein Menschenkind hielt es lange darin aus, meinte man, sondern es kam mit Heulen und Zähneklappern zur 122 Besinnung. Als einst ihr eigenes Töchterlein Mechthild in zarten Jahren ob eines großen Vergehens hinein verwiesen wurde, erhub sie alsbald ein tödliches Geschrei und mußte rasch wieder erlöst werden. Das geschah nun dem Diemutlein: Nachdem die Sprößlinge der Weide ihre Schuldigkeit gethan hatten, wurde sie in die Hölle gesteckt, verhielt sich aber zu aller Verwunderung lautlos darin. Als Muhme Lene nach einer starken Weile die Pforte öffnete, um nachzusehen, was aus ihr geworden, saß sie heil und hübsch auf dem Boden und blickte in einen Sonnenstrahl, der durch eine Ritze des dicht verschlossenen Ladens herein fiel, und antwortete auf die Frage, ob sie sich fürchte? mit frischem Nein, sie fürchte sich nicht. Da schüttelte Muhme Lene das strenge Haupt und weissagte dem Mägdlein nichts Gutes, das selbst in der Hölle den Eigenwillen nicht fahren ließe und lautlos bliebe, wo sie wehklagen sollte, dafür aber in der guten Stube zetere, wo sie sich friedlich halten sollte. Als Wetzel sie befragte, wie es ihr in der Hölle ergangen sei, antwortete sie:

123 »Zuerst war es finster und ich fürchtete mich. Dann kam aber ein Sonnenstrahl herein, und wie ich den sah, ward es immer schöner, wie eine goldene Straße. Die führte hinauf in den Himmel bis zu einer Thür, die war auch schön und wie von Gold. Die ward aufgethan, und weißt du, Wetzel? auf der Schwelle stand meine Mutter, die war noch schöner und sagte zu mir: Fürcht' dich nicht, Diemutlein, denn ich bin bei dir, und auch was dir genommen ward, dein Bildchen, sollst du wieder bekommen. Da hab' ich mich nicht gefürchtet und bin guten Muts gewesen mehr als früher und bin es noch jetzt. So ist es mir gegangen. Denke darüber nach, Wetzel, wie das schön gewesen ist, wenn du kannst.«

»Du bist ein Sonntagskind, Diemutlein,« antwortete der Geselle gutmütig, »und was du sagst, wird wohl alles richtig sein.«

Das friedlich lächelnde Kind erfreute ihm das Herz, und er sprach:

»Nun, Diemutlein, weil deine Mutter es dir versprochen hat, werden wir das Bildchen wieder 124 finden. Zeig' mir den Platz, wo du es hingelegt hast. Willst du?«

»Komm,« sagte sie, »ich will dir den Platz zeigen.«

Sie nahm ihn bei der Hand und führte ihn dahin. Da sah er eine Mauer von Dauben und Faßholz, durch welche an einer Stelle ein Spalt ging, durch den Diemutlein leicht hindurch schlüpfte. Aber Wetzel stand ratlos davor und sprach: »Ich bin doch sonst ein Storchbein, aber doch kein Wiesel, um dadurch zu streichen.«

Das Kind rief ihm von der andern Seite zu: »Komm!« Da besann er sich nicht lange und wußte Rat. Er schaffte eilig eine Leiter herbei, die im Hofe zum Heuboden hinan lehnte, die mußte ihm als Sturmleiter dienen, die Zinnen der Mauer zu erklimmen. Oben saß er nieder und zog sie herauß um sie auf der andern Seite wieder hinab zu lassen: so gewann er den Boden des heimlichen Landes unter dem Maßholderbaum, wo Diemuts Häuschen, das verwitterte Faß, stand. Er machte große Augen, als er hinein guckte und den zierlichen Hausrat sah.

125 »Höre du, Diemutlein,« sagte er, »so ähnlich, wie hier hab' ich es einstens im Kogelwald gesehen. Ich schritt des Nachts und guckte durch das Astloch einer alten Eiche in ein Elfenstübchen. Da war es heimlich genug, das Stübchen war winzig, und das Elfchen saß am Ofen und spann, aber auf der Bank daneben lag das Hausväterchen, spuckte von Zeit zu Zeit und hatte gute Weile. Glaubst du das?«

»Ja, ich glaub' es.«

»Ei, das sollst du nicht! Denn die Elfen sind heidnisch, und seitdem die Kirche zu Mariatrost gebaut wurde, sind alle aus dem Kogelwalde verbannt und dürfen nicht hausen, soweit die Glocken tönen. Wie sollte ich sie denn gesehen haben! Aber meine Ahne hat sie noch gesehen, und das ist so gut, als wenn ich es selbst gethan hätte. Du aber bist ein wunderliches Mägdlein. Hier hat dein Bildchen auf dem Tischlein gelegen, und von hier ist es verschwunden?«

»Ja.«

»Dann ist auf deinen Burgplatz jemand hereingekommen, denn sieh, da ist die Stadtmauer aus 126 Stein und da die Daubenmauer aus Holz. Sonst giebt es keinen Zugang als dein Schlupfpförtchen, und ich trage dies in meinem Sinne, daß es ein gar biegsames Geschöpf gewesen ist, um dir dadurch zu folgen. Wer ist im Hause der schmächtigste außer dem grauen Kater? Wer? kein anderer als mein Knecht, der Lehrjunge Dietmer. Darauf lasse ich mir meinen ehrlichen Namen segnen; er war hier. – Hat er dir sonst schon übeln Willen gezeigt, Diemutlein?«

»Nein. Ich hab' ihn einmal Weißkopf genannt, weil er Haare hat wie Flachs, und da ist er verdrießlich gewesen.«

»Das mag sein: er ist da herein gekommen, und wenn dem so ist, so ist es einer, der seine Bosheit rechtschaffen üben kann. Ich will aber allen Fleiß daran legen, Diemutlein, um dich deiner tiefen Sorge zu entheben und dem Marder seinen Raub abzujagen. Dazu will ich ihn ganz sänftlich befragen.«

Dies geschah dann später in der Weise, daß er ihn anredete: »Dietmer, verruchter Reifenmörder und Holzverderber, was hast du gethan?« 127 und seine Beschuldigung vorbrachte. Der Junge erwiderte jedoch, daß er von der ganzen Sache nichts wisse und stand bei seinem Leugnen noch obendrein in stolzen Schuhen, wie Wetzel sagte. So konnte er wider ihn nichts ausrichten. Auch stammte Dietmer aus einem guten Bürgerhause und war nicht auf glattem Wege vor den Kopf zu stoßen. Seine Mutter hieß die Frau Elspet Geyracher und wohnte in der benachbarten Gasse. Sie hatte beträchtliches Gut von ihrem verstorbenen Eheherrn überkommen, der auch ein Meister in der edlen Böttcherkunst gewesen, und ihr ältester Sohn, Namens Lamprecht, saß jetzt im Gewerke als Meister über Haus und Hof. Den jüngern Sohn Dietmer hatte Frau Elspet dem Meister Klaus in die Lehre gegeben. So mußte denn Wetzel von seinem kühnen Angriffe wider Dietmer abstehen; um so mehr, da dieser am Ende seiner Lehrzeit stand und bald von seiner Dienstbarkeit sollte freigesprochen werden. Mochte nun Wetzel immer meinen, was er mochte, anhaben konnte er dem jungen Dietmer nichts, und auch Diemutlein mußte sich ihres Verlustes getrösten, so gut sie konnte.

128 Aber als der hohe Tag herankam, wo Dietmer vor der Lade in der Zunftstube freigesprochen wurde, und Wetzel seines Amtes als Altgeselle waltete, da ließ er ihn in allen Ehren noch ein wenig seine Übermacht fühlen. Denn als er ihm bei den üblichen Fragen in den Schopf fuhr, wie es Recht und Sitte heischen, da gab es etwas mehr des Zausens, als gerade nötig war. Und als nach vollbrachter Handlung der neugeprägte Geselle aus dem Münzstock, nämlich der Zunftstube, auf die Gasse hinauslief und nach Brauch und Herkommen Feuer! schrie, weil es ihm drinnen zu heiß geworden war, da standen zwei wohlgefüllte Eimer bereit, die über sein blondes Haupt ausgegossen wurden, so daß er von der Gesellentaufe allzureichlich triefte und den andern viel Gelächters schuf.



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