Wilhelm Fischer
Das Licht im Elendhause
Wilhelm Fischer

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III.

Eines Morgens, da schon der Reif lag und das Jahr kalt geworden war, kam Dietmer zu früher Stunde vor seines Meisters Haus und dachte, sie schlafen alle noch. Aber unten aus dem Geschosse, wo die Werkstätte lag, hörte er bald Hammerschläge tönen, die den Reifen auf das Faß trieben. Er horchte und vernahm nicht den Klang von Wetzels Schlägel; den kannte er wohl und dachte, wo mag er sein? Das Thor war offen, und er trat in den Hof. Als er umher blickte, fand er, daß die kleine Thür in der Mauer geöffnet war, die hinaus an den Strom führte. Dort stand auch Wetzel in der Thüröffnung mit gespreizten Beinen und mit gesenktem Kopfe, auf daß er nicht an die niedere 136 Wölbung stoße, und als Dietmer nahte, hörte er seine Schritte nicht, denn er sprach mit jemandem, der draußen war. Dietmer stellte sich auf die Fußspitzen, blickte über seine Schulter hinweg und sah hinaus. Die Mur strömte eilend im Morgengrauen dahin und war noch lichtlos. Jenseits standen von Gösting bis Straßgang die Berge und hatten noch ihre Nebelkleider um sich, die sie erst beim Strahl der aufgehenden Sonne allmählich ablegen sollten. Aber nahe an der Mauer sah er auf den Pfählen eine kleine hölzerne Brücke, von der noch einige Stufen zum Wasser führten, und auf der untersten Stufe stand eine feine Gestalt und hatte einen Korb mit Wäsche neben sich, die sie mit eifrigen Händen in den Wellen schwemmte und dann auf einem kleinen Schemel bleuete. Die Magd am Strom trug armseliges Gewand und ein Tüchlein auf dem Kopfe, das auch den Nacken verhüllte, von welchem aber doch ein schmales Stück durch den grauen Morgen schimmerte, wenn sie sich zur Flut hinab neigte. Da sie sich zuweilen zurück wandte, um Wetzel zu antworten, sah er ihr Antlitz, das 137 schwach gerötet von der Morgenkälte und von zwei großen dunklen Augen kindlich bestrahlt war. Auch ihre kleinen rüstigen Hände waren von der Kälte des Wassers rot geworden. Der Strom und die Luft, alles war noch grau; aber von ihrer Gestalt mit dem weißen Tüchlein auf dem Kopfe ging etwas Lichtes aus, das die kleine Brücke an der alten Stadtmauer erhellte.

Da sie sich also umwandte, sah sie Dietmers Gesicht über Wetzels Schulter herüber blicken und rief:

»Wer steht hinter dir?«

Wetzel kehrte sich rasch um und sprach:

»Es ist Dietmer, der junge Geselle, der Filz auf den Sohlen hat, weil man ihn nicht kommen hört. Giebst du uns einen guten Morgen, so soll dir mit eben so viel gelohnt werden. Willst du?«

»Ich will,« sagte Dietmer, und da ihm Wetzel Raum machte, trat er hinaus auf das Brücklein und fragte:

»Was schaffst du, Diemut, am frühen Tage? Ist dir's wohl?«

138 »Siehst du nicht,« antwortete sie, »das Wasser fließt zu Thal, das nimmt allen Unmut mit sich. Also ist mir's wohl.«

»Wem sagst du das?«

»Das soll dir gesagt sein, Dietmer, denn du kannst nicht lachen.«

»Und du?«

»Ich schaffe rüstig. Wenn die Sonne aufgeht, lacht die Mur. Da mag ich nicht weinen. Ich schwemme Wäsche, wenn ich es dir sagen soll.«

»Das ist harte Arbeit zur Stunde, wo noch Mechthild in den Federn liegt.«

»Was ich gerne thue, ist nicht hart. Was weißt du!«

»Das mag sein, Diemut; aber Muhme Lene hält dich hart mit solchem Tagewerk.«

»Das sag' ich auch,« fiel jetzt Wetzel ein. »Und sie möchte, daß Diemutlein den schweren Korb mit Wäsche im Hause aus und ein trage. Da bin ich aber dawider und mag es nicht leiden, weil Diemut zu zart ist für solche Last. Die trage ich langer Geselle leichtlich aus und ein und habe es mit Bitten bei Diemut dahin gebracht, 139 daß ich mich dieses Dienstes unterwinden darf. Meister Klaus weiß es und verbirgt es seiner Hauswirtin, die einen harten Sinn hat. Nein, sie thut nicht recht an dir, Diemut, und was ich mir denke ist mein, und niemand wird es mir am Spieße hinweg tragen.«

Darauf erwiderte sie ernst:

»Höre du, Wetzel, so steht es nicht um meine Sache. Muhme Lene ist streng; doch ich bin ein armes verwaistes Mädchen, und das ist meine einzige Freundschaft und Sippe hier im Hause, wo ich getrost leben kann. Bürdet sie mir die Last auf, so thut sie es nicht aus bösem Willen; denn sie weiß, daß aus rechtschaffenem Tagewerk niemandem ein Schaden erwachsen wird. Leiste ich ihr die Dienste einer Magd, so darf ich doch Sonntags ihr zur Seite in gutem Kleide zur Kirche gehen, wie ihre eigene Tochter Mechthild. So hält sie es mit mir und ich bin es zufrieden, dem Hause zu dienen, das mein Heim ist. Ich bin zuweilen noch ungebändigt, so daß Muhme Lene ihre Not mit mir hat und mir den Tag übel gesegnet mit all der herben Rede, die in 140 ihrer Macht liegt. Aber ich will mich alleweil ihrer Zucht fügen und Gott darum loben, so lange ich zu seiner Ehre im Sonnenlichte schreiten kann. Das soll geschehen, so lange ich den Mut im Herzen trage und die Hände rühren kann. Jetzt weißt du es, Wetzel, und willst du es um mich verdienen, so nimm den Korb und trag' ihn hinein, denn ich bin hier fertig.«

Wetzel that, wie sie ihm geheißen, lüpfte den Korb mit beiden Armen auf seinen Kopf und ging damit ins Haus. Diemut nahm ihr Wäschgeräte, den Bleuel und Schemel in beide Hände und folgte ihm. Dietmer ging zuletzt und verschloß die Stromthür der Mauer. Wetzel hatte gerade noch Zeit, den Korb in den Hausflur einzustellen; denn inzwischen war Muhme Lene aufgestanden und rief in übler Laune der Maid, die vom Wasser kam: »Was zögerst du? Noch ist kein Feuer in der Küche angemacht zur Morgensuppe. Sieh zum Werk! du übernimmst dich deiner zarten Füße gewiß nicht, wenn du geschwinder gehst.«

Und Diemut that nach ihrem Geheiße, während 141 Wetzel behende in die Werkstatt schlüpfte. Dietmer ging heim und dachte manches, schwieg aber, wie es zumeist seine Art war. Muhme Lene pflegte von ihm zu sagen: »Jedes Wort kostet bei Dietmer einen guten Heller.«



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