Wilhelm Fischer
Das Licht im Elendhause
Wilhelm Fischer

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VIII.

Da es dunkle Herbstnacht war und der Regen draußen strömte, saß Diemut in einer Kammer des Elendhauses. Ihre einzige Gefährtin war eine alte gebrechliche Magd, die Gilge hieß, und seit lange den Siechen diente. Sie konnte das Hans nicht mehr verlassen, weil sie ihre lahmen Beine nur notdürftig trugen. Sie bat Gottes Segen auf Diemuts Haupt herab, die zu ihrem Beistand gekommen war, und sprach weinerlich zu ihr:

183 »Ich habe niemals arges an dir verspürt, seit dich meine Augen erblickt haben. In dir ist Weisheit und Zucht mehr als in mir mein ganzes Leben lang war, und ich bin schon, ach! wie alt geworden. Du hast den hellen Tag verlassen in deiner zarten Jugend und bist in diese Grabkammer herabgestiegen, um den Elenden zu helfen. Das lohne dir der barmherzige Gott! Ich habe mich meines Lebens nie gefreut, auch als ich um der Freude willen that, was ich nicht hätte thun sollen. Das ist längst vorbei, und ich habe gebüßt. Nun ist es aber ein köstlich Ding in meinen Augen geworden, deine Geduld zu sehen und wie du standhaft bist, den Elenden Hilfe und Trost zu bringen. Hier ist es schrecklich zu hausen, aber dein Antlitz ist klar geblieben, wie am Tage, da du kamst. Ich weiß nicht, was dich hierher getrieben hat. Deine Hände sind nie müßig, aber deine Lippen meist geschlossen. Willst du es mir nicht einmal erzählen?«

Diemut schwieg eine Weile; dann sagte sie:

»Ich will es dir erzählen. – Einst war ich im Kogelwalde, darin blühte Gottes Friede. Die 184 Welt dünkte mir so hold zu sein, als wäre sie immer von einem Himmel umgeben, dessen Licht auf die Erde fiel und alle Menschen beseligte. Davon sangen auch alle kleinen Vögel, und ich lauschte ihnen mit frohem Mute und dankte Gott mit ihnen. Darauf kam ich aus dem Kogelwalde zur Kirchthüre von Mariatrost und sah einem siechen Menschen ins Angesicht, das lebte, aber es war ein schrecklicheres Bild als der leibhaftige Tod. – Da ward mir der Erdengarten verfinstert, die Sonne feindlich, und Entsetzen schritt vor mir her, dem ich folgen mußte, wie meinem Schatten. Meine Tage waren von Jammer und Not erfüllt, meine Nächte von Thränen. Großer Gott! hast du dies erschaffen, den grünen Wald, darin sang es wie zu einem heilig schönen Feste, wo alle deine Geschöpfe zu Freude geladen waren, und ist dies nur Täuschung und Trug! Denn daneben lag ein gräßlicher Gast in Jammer und Elend, das niemand heilt, und ein Mensch, den du nach deinem Ebenbilde geschaffen hast, großer Gott! O, mit wie entstelltem Antlitze! Damals schauderte mir davor. Mir war die Welt fremd 185 und feindlich geworden und drohte mir bei Tag und Nacht so, daß ich mich fürchtete, wahnsinnig zu werden. Aber es kam die Zeit der Seuche über die Stadt. Da ging ich mit meinem Herzen zu Rate, das gab mir ein: willst du dich von dem Elend der Welt befreien, so mußt du ihm dienen und es mildern, so weit es in deiner Macht steht. Und ich flüchtete vor dem Wahnwitz, der mich verfolgte, hierher in das Elendhaus und bin hier bewahrt vor ihm. Denn Ruhe und Friede sind wieder mein, und ich habe mich an den grausigen Anblick der Elenden gewöhnt, weil ich ihnen diene und ihr Leiden mildere, so sehr ich kann. Also war es mit mir.«

Die Alte schüttelte den Kopf und erwiderte weinerlich:

»Was du erzählst, Meisterin, ist immer etwas; aber daß du hier bist, das ist mehr und ist mir genug. Horch, draußen heult der Sturm und der Regen strömt. Es ist eine böse Herbstnacht, und du bist da. Das ist gut.«

Da geschah es, daß die Glocke am Thor ertönte zum Zeichen, daß jemand Einlaß begehre, 186 und Gilge meinte, daß die Stadtknechte wieder einen Elenden brächten. Sie bat Diemut, sie zur Pforte gehen zu lassen, da sie es wohl vermöchte, Diemut aber mit dem Werke beschäftigt sei, das sie in Händen hielt, nämlich Hemden für die Siechen zu nähen. Das grobe Hauslinnen dazu hatten ihr die Klosterfrauen gespendet. Also schlurfte Gilge hinaus, und Diemut blieb in dem öden Gemache allein. Sie saß in der tiefen Fensternische und blickte in die dunkle Nacht hinaus, aus der bis jetzt der Regen geströmt hatte. Doch fuhr ein scharfer Wind einher, der die Wolken zerriß, und dann ward das traurige Licht des Mondes sichtbar, der dahin zu eilen schien. In seinem schwachen Glimmer waren zwischen zwei Giebeln wie in weiter Höhe der Friedhof von St. Katharina sichtbar. Die Grabsteine hoben sich weißlich vom Dunkel der Wetternacht ab und die Kreuze blinkten in der gramvollen Öde. Klagende Stimmen schollen, die der Wind brachte, und das Elend schwebte in der Luft mit ausgebreiteten Fittichen und hauchte Trauer aus über die ganze Stadt. Die fühlte 187 Diemut im tiefsten Herzen und seufzte schwer auf.

Die Thüre öffnete sich wieder, Gilge kam zurück, und ein Mann folgte ihr, der blieb auf der Schwelle stehen. Diemut blickte auf, das Gemach war spärlich von dem Öllämpchen erhellt, und sie fragte:

»Wer ist's, der da gekommen ist?«

Und Gilge:

»Er nannte seinen Namen nicht; er will mit dir sprechen, Meisterin.«

Da erhob sich Diemut von ihrem Sitze, sie trat jenem entgegen und fragte:

»Wer bist du, Mensch, der du in das Elendhaus gekommen bist?«

Und jener näherte sich ihr und sprach:

»Sieh mich an. Kennst du mich nicht, Diemut?«

Da rief sie entsetzt:

»Dietmer! Was willst du hier?«

»Ich will in dem Hause dienen, wo du weilst.«

»Du willst dem Tode dienen?«

188 »Du lebst, Diemut, und dienst dem Tode. Ich will ein Knecht Gottes sein und dir nachfolgen. Nimm mich auf im Elendhause. Ich habe lange mein Haupt dem Wind und Wetter ausgesetzt, ehe ich hierher kam, aber nun steht mein Wille darin, daß ich es thue, und ich bin gekommen. Da du das Licht im Elendhause bist, will ich hier im Reiche des Todes im Lichte leben. Ich habe allen meinen Fleiß und meines Herzens Begehr daran gelegt, daß ich den Spuren deiner Füße folge. Drum weise mich nicht zurück. Laß mich an deiner Barmherzigkeit teil haben, und mir wird wohl sein hier, im Elendhause, wie sonst nirgends anderswo.«

»Dietmer! Dietmer!« rief sie, »durch Gottes Barmherzigkeit gedeihe ich hier in der Pestluft und walte meines Amtes, den Siechen mit Pflege zu helfen und ihnen Trost zu reichen. Aber du bist hierher gekommen mit thörichtem Vorhaben, ohne zu bedenken, ob dir die Sonne noch am drittnächsten Tage scheinen wird. Was hast du gethan? Vielleicht ist es schon zu spät und du hast dir den bösen Keim geholt. Geh hinweg, 189 Dietmer, geh von hinnen! Willst du hier verderben?«

Doch er antwortete ruhig:

»Ob es zu spät ist oder nicht, weiß ich nicht. Aber meines Bleibens ist hier und nirgends sonst in der Welt. Da du hier in Gottes Dienste stehst, so will ich mein Leben in deiner Welt führen, die nicht grauenvoll sein kann; denn sie ist durch dich eine Gotteswelt. Bist du in all der Stärke deines Herzens doch eine schwache Maid, und dieses Weib an deiner Seite ist alt und gebrechlich. Ich aber bin ein kräftiger Mann und will alle schweren Arbeiten im Hause verrichten, wie ein guter Knecht. Giebt es doch keine gedeihliche Wirtschaft, wo nicht Manneshilfe benötigt wird. Furcht habe ich nicht. Ich sage mich von allen anderen Menschen frei, ledig und los, um in der Haft des Todes zu bleiben, bis du erlöst wirst, und Gott uns wieder Heil geben und alles wohl schicken wird. Ist das aber nicht sein Wille, so bin ich auch darin stark, und du darfst meinen Dienst nicht zurückweisen, weil du selbst ja dein Leben für 190 nichts achtest um des Werkes willen, was du thust.«

»Dietmer, Dietmer, horch! Was hörst du von dort?«

Sie wies nach der Thüre aus schwerem Eichenholz, die geschlossen war und in den innern Raum führte.

»Hörst du nicht das Seufzen, Klagen und Stöhnen, das entsetzlich herüber tönt? Wird es nicht auch dich ergreifen, daß du selber klagen wirst: warum bin ich hierher gekommen in das Elendhaus, in das Haus des Todes? Blickst du auf mich? – Weil ich schwach bin, hat mich Gott stark gemacht, mein Amt zu versehen, und übernehme mich meiner Kraft nicht. Du aber wirst unterliegen, weil du dich stark dazu dünkst. Dietmer, höre! ich habe große Zuversicht zu dir seit dem heutigen Tage und ich habe dich kennen gelernt; aber eben deshalb geschieht mir Leid um deinetwillen, und ich fordere dich auf, geh von hinnen, dein Auge kann es nicht ertragen, wenn du siehst, was ich täglich sehe!«

»Meine Augen werden es ertragen, Diemut, 191 weil ich dir nachfolge. Ich weiß es, dort drinnen ist die Nacht des Todes; aber wenn ich dich anblicke, bin ich stark genug, um mein Leben zu bewahren im Dienste derer, denen du hilfst.«

Sie rang die Hände. Dann rief sie:

»So folge mir und sieh mit deinen eigenen Augen!«

Sie öffnete die Thüre, ging hinein, und er folgte ihr. Die Thüre schloß sich hinter beiden.

Gilge blieb allein im öden Gemach. Draußen sangen die Stimmen des Windes ihr Trauerlied über die gramvolle Welt, und die Alte horchte seufzend; doch es waren ihr gewohnte Töne.

Nach einer Weile öffnete sich die Thüre wieder, und beide traten herein. Dietmers Antlitz war bleich wie Kalk geworden, und seinen Zügen hatte sich das Bild eines ungeheuren Leides eingeprägt.

»Dietmer, blick auf!« sagte sie sanft: »Willst du noch hier bleiben?«

Er erhob den Blick und sah auf die Maid, die vor ihm stand mit verklärter Stirn. Und es überkam ihn ein Hauch von ihr, so daß eine 192 übergroße Milde in sein Herz drang, seine Augen füllten sich mit Thränen, er streckte die Hände aus und sprach:

»Du bist gut und freundlich, Diemut, sei es auch gegen mich. Nimm mich auf! Denn ich habe mich dir erst recht angelobt, weil ich dich hier gesehen habe.«

Nun hub auch Gilge an zu reden:

»Weise ihn nicht zurück, Meisterin, denn wir können seinen Dienst wohl gebrauchen. Er mag im Schüttkasten hausen, in dem Kämmerlein, wo unser alter Knecht Blawel schlief, bevor ihn uns die böse Zeit von hinnen nahm; da mag auch er liegen.«

Diemut widersprach nicht länger.



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