Wilhelm Fischer
Das Licht im Elendhause
Wilhelm Fischer

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V.

Als der Winter vergangen war und die warme Sonne wieder schien, hatte auch Muhme Lene Grund, aufs neue zu schelten. Denn Diemuts Gehaben ward sonderbar. Sie ging mit Unlust zur Arbeit und saß lieber unthätig, wobei sie an Gott weiß was dachte. Wetzel fragte sie, ob sie krank sei, und ihm gab sie zur Antwort, daß ihr angst und wehe sei. Das Essen schmecke ihr nicht und der Schlaf fliehe sie. Sie müsse wohl krank sein. Und Wetzel sprach: »Diemutlein, du machst mir eitel Herzeleid, wenn es so mit dir steht. Wohlauf, lege nur allen Fleiß daran, daß du wieder gesund wirst und laß das Licht der Sonne dich erfreuen, weil alles wieder grünt und blüht. Das sei dir gesagt.«

Wie der Sommer wuchs und die Tage heißer wurden, stand es jedoch nicht besser mit ihr, und Muhme Lene, die nichts davon wissen wollte, daß sie krank sei, schüttete ihren Unmut über die faule Dirne aus, wie sie nun bei ihr hieß. Da geschah es, daß Diemut eines Tages entschwunden 151 war, und niemand wußte, wohin sie gegangen sei. Das schuf viel Unruhe und Ärger im Hause. Den Ärger hatte Muhme Lene, und sie sparte auch nichts an ihrem Atem, um sich Luft zu machen. Es wehte aus ihrem Munde wie Sturm, sprühte wie Feuer und tönte alles nicht zu Diemuts Lobe. Sie schalt die Sippe und hielt nur inne um ihres Eheherrn willen, der auch aus keinem anderen Stamme wuchs als die Mutter Diemuts. Aber Wetzel ging nicht müßig, er hielt fleißiglich Umfrage und erfuhr, daß man die Maid am frühen Morgen durch das Murthor hatte schreiten sehen; und es schien ihm nun, daß sie nach Bayerdorf auf den Acker gegangen sei. Da der nächste Tag ein Sonntag war, machte er sich auf, um sie zu suchen, und Dietmer gab ihm das Geleite. So kamen sie zu zweien hinaus auf den Acker, wo eine Magd als Meierin in der Hütte hauste, und sie hörten von ihr, daß Diemut wohl gestern in der Hütte zugesprochen, aber nicht lange verweilt hätte und wieder ihres Weges gegangen wäre, wohin? wisse sie nicht. Da meinte Wetzel, daß sie nicht länger dort 152 verziehen sollten, sondern »wenn du willst, Dietmer,« sagte er, »gehen wir weiter suchen,« und der war damit einverstanden. Als sie wieder ins Freie kamen, sah Wetzel zwei Federn im Grase liegen. Er hob eine davon auf und Dietmer die andere. Sie bliesen die Federn in die Luft: Wetzels seine schwebte gegen Norden, und Dietmers seine flog gegen Süden. Also trennten sie sich; der alte Geselle ging gegen Gösting und Dietmer aber gegen Straßgang, die Maid zu suchen. Als er nahe kam, sah er auf der Weide einen Knaben, der Gänse hütete. Er fragte ihn, ob er nicht eine Maid aus der Stadt gesehen, die des Weges gegangen wäre? Wohl, er hatte gestern abends eine gesehen, und die sei sauber gewesen aber auch traurig und den Weg hinauf gegen die Mantscha gegangen. Dietmer dankte ihm die Auskunft und schritt in der angegebenen Richtung weiter. Er kam in den Wald der Mantscha, wo grünes dämmeriges Licht war und die Vöglein sangen; dann kam er auf eine Waldwiese, wo in der Ferne ein Bächlein murmelte. Die Sonne blitzte auf den nassen Gräsern und vergoldete die 153 schlanken Lilien, die dort wuchsen, und er dachte sich: hier ist es schön! Da sah er Diemut aus dem Walde heraustreten, nicht mehr krank, sondern mit klarem Antlitz, und der Sonnenschein zog ihr zu Häupten im Gezweige der Tannen mit und zitterte auf ihrem bloßen Haar, denn sie hatte das Tüchlein von der Stirne herabgenommen ob der Tageswärme und hielt es in der Hand.

Sie trat auf die Wiese heraus, und Dietmer ging ihr entgegen und sprach:

»Wir trugen Leid um dich, weil du ferne warst. Nun bist du gefunden, Diemut. Was geschah dir?«

Sie antwortete: »Ich war krank und mußte in die Weite, um einen Quell zu suchen, der im Tobel des Waldes liegt. Dort tauchte ich in tiefer Nacht in die Flut, die lind und heilkräftig ist und gewann die Gesundheit wieder.«

»Und wer zeigte dir den Weg dahin, Diemut?«

»Sonne und Mond zeigten mir den Weg, und ich habe ihn gefunden. Blumen wachsen an seinem Rande, er liegt in einer einsamen Schlucht, 154 und der Mond stand über seinem Wasser. Rings herum ist tiefer Wald, darinnen es rauscht, wie wenn viele Stimmen zusammen singen, leise und dann wieder laut. Nun bin ich wieder gesund und ziehe heim.«

Da bückte sich Dietmer, brach eine von den Lilien, die dort wuchsen und reichte sie ihr. Sie nahm sie und fragte:

»Was soll dies?«

»Ich möchte dir immer mit Herz und Hand hilfreich sein, Diemut.«

Sie blickte ihn fragend an, und er schwieg. Da dachte sie an das Märchen, das er erzählt hatte und sprach:

»Laß uns weiter gehen.«

Sie schritten dann wieder hinab aufs Feld und sprachen wenig mit einander. Nur einmal sagte Dietmer:

»Ich habe ein Unrecht gegen dich begangen, Diemut.«

»Ich weiß nichts davon,« erwiderte sie.

»Willst du es mir vergeben, ohne daß du es weißt, Diemut?«

155 »Ja, das will ich, so es Gott will.«

»Er will, weil du vor ihm treu und hold bist,« sagte Dietmer.

»Dann bin auch ich es zufrieden.« Sie schritten dann schweigend mit einander, bis sie auf den Acker in Bayerdorf kamen. Dort fand sich auch Wetzel zu ihnen, der vergeblich nach Norden gegangen und wieder umgekehrt war. Er begrüßte die Maid freudiglich und erfuhr alles, wie es sich zugetragen hatte: daß Diemut in die Weite gegangen war, um ihre Gesundheit zu suchen, die sie auch gefunden hatte. So kehrten sie wohlgemut in die Stadt zurück. Am Thore sagte Wetzel, daß er voraus gehen wolle, um Muhme Lene alles mitzuteilen, auf daß sie der Maid nicht zu herben Empfang bereite. Sie murrte zwar noch, als Diemut ins Haus kam, aber sie konnte nichts dawider haben, daß diese, wie Wetzel sagte, gleich wie ein krankes Reh ihre Gesundheit in einem warmen Waldquell gesucht und gefunden hatte. Diemut sollte jedoch beileibe nicht darauf pochen, daß ihr der Empfang diesmal noch geraten sei, sondern fein 156 sittiglich hausen und heimen unter dem Dache, das ihr der gütige Himmel geschenkt, sonst könnte die Freundschaft einen argen Riß bekommen. Mit dem Brote dieser Ermahnung speiste die Muhme noch kräftiglich ihr Niftel, und Diemut ließ es sich schmecken, so gut sie konnte, denn sie war wieder geduldig geworden wie zuvor.



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