Egid Filek
Vom Glück der armen Teufel
Egid Filek

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Die silberne Medaille.

Warum sie ihn eigentlich genommen hatten, ausgerechnet ihn, Franz Nevotny, den armen kleinen Amtsdiener des großen reichen Bankhauses, war ihm unbegreiflich. Stand es denn so schlimm um das teure Vaterland? Er hatte kurzsichtige Augen, einen Kropf und einen krummen Katzenbuckel, aber sie schleppten ihn doch unter das Maß, und da stand er in seiner zitternden Nacktheit, sah einen langen grünen Tisch vor sich, starrte geblendet in blitzende Augengläser, roch Jodoformduft und hörte eine Donnerstimme brüllen: »Tauglich!« Und dann packte ihn jemand beim Kragen, nein, am Halse, ein Sicherheitswachmann stand da, er mußte etwas schwören, dann trat er in einen Kreis von schreienden, zechenden Burschen, rings um ihn war ein Johlen und Singen, er aber begriff von alledem nur, daß er jetzt Soldat war und mit mußte durch Dick und Dünn.

Dann wurde er abgerichtet. Gewehrgriffe. Gefechtsübungen, rechtsum, linksum, Marsch-Eins. Salutieren. Das bekam ihm gut; seine blassen Wangen wurden rot, der Katzenbuckel schien zu verschwinden, und als er es durch Fleiß und gewissenhaftes Exerzieren bis zum Korporal gebracht, war er beinahe mit seinem Schicksal ausgesöhnt. Gesellschaft hatte er genug. Rechts und links von ihm marschierten Männer von Reichtum und gesellschaftlicher Stellung. die nun nichts mehr vor ihm voraus hatten, weil vor den Mündungen der feindlichen Kanonen alle Menschen gleich sind. Auch das tat ihm wohl. Schmerzlich und traurig war nur das eine: daß er fremden, 62 unbekannten Menschen, die ihm nie etwas zuleide getan hatten, Wunden, Schmerzen und Tod bringen sollte; er, dessen ganzes Leben bisher nur ein beständiges Dienen, Dulden und Ducken gewesen war.

Und eines Tages standen sie alle draußen auf dem Schlachtfeld. Eine unermeßliche Ebene, in der Ferne mit dem Horizont zusammenfließend, grau der Himmel, grau die ziehenden Wolken, grau und todesbang die Herzen. In der Ferne ratterten Maschinengewehre, brüllten Kanonen, stiegen Rauchwolken von brennenden Häusern auf. Aber erst am nächsten Tage erhielten sie die Feuertaufe. Sie rückten gegen ein Nest mit unaussprechlichem Namen vor, das ein paar Bataillone alter Landsturmleute verteidigten. Die Russen schossen miserabel. Das Regiment näherte sich im Sturmschritt den ersten Häusern des Dorfes; alle brüllten Hurra, um ihre Angst zu überschreien, es gab ein höllisches Schießen und Knattern, aber keine Verwundeten; der kleine Nevotny zog den Kopf zwischen die Schultern und faßte sein Gewehr recht fest. Plötzlich zogen sie drüben die weiße Fahne auf. Einer der letzten Schüsse traf den dicken Antony, so ziemlich den dümmsten Kerl des Regiments, in den linken Fuß. Es war ein harmloses Fleischloch. Er quiekte auf wie ein gestochenes Ferkel und hinkte hinter die Schußlinie. Der Regimentsarzt verband ihn sorgfältig und packte ihn in einen Wagen und das Regiment war stolz auf den ersten Verwundeten. Der dicke Antony hockte droben wie ein Triumphator, winkte gnädig mit der Hand und freute sich unbändig auf die paar Wochen Faulenzerei in der Heimat.

Freilich, was dann später kam, war weniger ergötzlich. Endlose Märsche durch Kot und Schlamm, kalte Nächte im feuchten Schützengraben. Durst und Hunger; Tote rechts und Schwerverwundete links, und jeden Abend ein heißes 63 Dankgebet zu dem Gott, an den man im Frieden nicht glaubt, daß man noch das Leben hat, das arme elende Leben.

»Was kriechen Sie denn immer so hinter die Deckung?« schrie der Oberleutnant im Schützengraben. »Sie feuern ja in die Luft! Mir scheint, Sie kneifen? Was einem bestimmt ist, das geschieht, egal, ob einer Angst hat oder nicht. Zielen und ordentlich schießen, Kerl, sonst . . .« Er fuhr mit der Hand nach der Revolvertasche. . . .

Das tat weh: der Vorwurf der Feigheit. Den hatte er nicht verdient. Er tat doch, was er nur konnte, war es denn seine Schuld, daß die wahnsinnig aufgeregten Nerven dem Willen nicht gehorchen wollten? Das lag im Blut. Er war das letzte Glied einer langen, langen Generation von armseligen, geknechteten Menschen und der Oberleutnant ein reicher Gutsbesitzerssohn mit einer von Mensurhieben zerfetzten Wange, der schießen, reiten, fechten konnte von frühester Jugend an.

An einem nebligen Novemberabend war eine große Aufregung bei der Truppe. Die Offiziere steckten die Köpfe zusammen und flüsterten. Reiter sprengten hin und her, der Oberleutnant fluchte. »Freiwillige vor! Eine Meldung an den Obersten Winarsky. Es geht durch gefährliches Terrain.«

Der Blick des Offiziers flog im Kreise herum und haftete eine Sekunde lang spöttisch auf dem Gesichte des kleinen Korporals, Das gab ihm einen Stich. Und obwohl ihm die Knie zitterten und das Herz wie ein Hammer gegen die Rippen schlug, trat er einen Schritt vor und sagte mit seltsam scharfer Stimme:

»Ich will die Meldung übernehmen.«

Der Oberleutnant stutzte. »Sie?«

»Ja, zu Befehl, ich!«

Es lag eine Welt von Bitterkeit in dem einen Wort. 64

Der Oberleutnant erklärte mit der Karte in der Hand den Weg und gab ihm seine Instruktionen. Starke feindliche Macht bedrohte den linken Flügel. Sie mußte sofort mit Artillerie angegriffen werden, wenn ein Unglück verhütet werden sollte.

»Nehmen Sie sich drei Mann mit. Und hinterm Wald achtgeben, dort streifen feindliche Patrouillen. Vorwärts, marsch.«

Sie schritten in die Nacht hinein. Der Oberleutnant stand kopfschüttelnd da und sah ihnen nach.

Der Nevotny wird zum Helden. Nein, was dieser Krieg für Wunder wirkt!

Der Korporal gab seine Befehle: ein Mann sollte hinter ihm gehen, die beiden anderen links und rechts als Seitendeckung in dreißig Schritt Distanz. Und vorsichtig, ohne das geringste Geräusch. . . .

Langsam, oft mit ausgebreiteten Armen um sich herumtastend, um nicht an einen Baumstamm zu stoßen, schlichen sie durch die doppelte Finsternis der Nacht und des Waldes. Nur vorwärts, immer in derselben Richtung, so mußten sie auf einen Feldweg kommen. Dann konnte man Trab anschlagen. Eile tat not.

Ein dürrer Ast krachte unter seinem Fuß. Verdammt! Er stand und horchte. Alles still! Nur irgendwo in weiter, weiter Ferne ein Hämmern, der Herzschlag der Nacht. Oder schlägt sein eigenes Blut in dumpfen Stößen gegen die brennende Schläfe?

Vorwärts! Vorwärts!

Der Fuß versinkt im weichen Moosboden. Von den Kameraden hört und sieht er nichts. Aber vorne, wo der Wald lichter wird, schimmert etwas Hellbraunes. Der Feldweg, der aus dem schützenden Dunkel hinaus auf die große 65 Ackerfläche führt. Sie liegt mit ihren langen Furchen da wie ein schwarzes, im Wellenschlag erstarrtes Meer. Hinter diesen Furchen lauert vielleicht der Tod. Aber er will vorwärts, will ihnen zeigen, daß er kein Feigling ist.

Nichts rührt sich um ihn. Vielleicht streifen die feindlichen Posten ganz wo anders. Er beschließt zu laufen. Die Hand an die Brust gepreßt, wo die Tasche mit dem wichtigen Papier ruht, eilt er dahin, schnell, immer schneller.

Plötzlich taucht unweit von ihm eine Gestalt auf. Greller Lichtschein zerreißt das Dunkel, ein Schuß die Stille der Nacht. Und unbewußt tut er, was er die letzten Wochen die Kameraden hat tun sehen: er wirft sich zu Boden, sucht Schutz und Deckung zwischen den feuchten Schollen der Erde, wie ein Kind sich an die Brust der Mutter wirft. Und der Wind, der über ihn hinstreicht, der Erdgeruch, der so seltsam anheimelt, die flüsternden Grashalme, alles raunt ihm zu: bleib' liegen, hier bist du geborgen, niemand weiß von dir, niemand kann dir etwas zuleide tun.

Nein, nein, es geht nicht, er muß weiterlaufen, die Meldung überbringen, das Leben von tausend Kameraden retten. Auf!

Er springt empor. Ein zweiter, dritter und vierter Schatten wachsen in seiner Nähe aus dem Boden. Blitz und Knall, Knall und Blitz. Irgend etwas wirft ihm die Mütze vom Kopf. Er fühlt einen heftigen Schlag gegen sein Bein, als hätte ihn eine unsichtbare Faust geboxt. Dann trifft ihn etwas in die Schulter. Er spürt schon nichts mehr; er läuft und läuft, von wahnsinniger Todesangst gepeitscht, die stärker ist als jeder körperliche Schmerz. Und er weiß nicht mehr, ob dieses Laufen die höchste Feigheit oder der größte Heldenmut ist. Er springt über Furchen, stolpert am Feldrain, stürzt nieder, rafft sich wieder auf und rennt, rennt. rennt. Kugeln pfeifen an seinem Kopf vorbei, er hört und sieht nichts. Ein dumpfes 66 Empfinden sagt ihm, daß es der Sinn seines ganzen Daseins ist, zu laufen, zu flüchten, sein armseliges bißchen Leben zu retten vor Hunger, Armut, Entbehrung, vor der Not des Daseins, die auch im tiefsten Frieden hinter ihm herdroht furchtbarer als die Gewehrläufe, die sich jetzt auf ihn richten, weit sie ihn durch Jahre verfolgt, durch viele, viele Jahre. . . .

Und nun kann er nicht weiter! Er sinkt in die Knie; dunkle Gestalten drängen sich um ihn, der Lichtblitz einer elektrischen Taschenlampe sticht ihm ins Auge wie eine scharfe Nadel, da merkt er erst, daß er unter Freunden ist. Und mit der letzten Kraft seiner Muskeln reißt er das Papier mit der Meldung heraus und hält es dem Offizier hin.

Es ist der Oberst selbst. Einen Blick wirft er auf das Papier und ruft den Adjutanten:

»Telephonieren Sie das sofort an den Divisionär. Höchste Zeit, sonst ist das halbe Regiment beim Teufel.« Dann dreht er sich zu dem blutenden Soldaten um: »Verfluchter Kerl!« Das ist sein höchstes Lob. »Hat Kurasch. Weiß er, daß eine ganze Kompagnie auf ihn geschossen hat?«

Er weiß gar nichts. Bewußtlos liegt er auf dem Boden. Und der Oberst schreibt in sein Notizbuch: Franz Nevotny, Infanterieregiment 80, 5. Kompagnie, vorzuschlagen für die silberne Tapferkeitsmedaille wegen hervorragenden Mutes vor dem Feinde. . . . 67



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