Egid Filek
Vom Glück der armen Teufel
Egid Filek

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»Dummer Bub.«

Nein, es ist kein Traum, keine Sinnestäuschung; sie stehen wirklich da, die lieben Worte, flüchtig hingekritzelt auf das feine Papier, mit langen, schmalen, steilen Buchstaben ohne Schattenstriche.

Leise, kaum merklich, steigt ein süßer Duft aus den Zeilen, aber heimlicher noch und süßer duftet das Wort in mein Herz.

So ist es nun doch geschehen, was ich so gefürchtet und so ersehnt habe; und ich habe ihr doch gesagt, wie es um mich steht, daß sie mir lieb und teuer ist wie meine vergangene Jugend, daß aber zwischen ihr und mir die Wellen von mehr als zwanzig Lebensjahren fluten. Habe sie innig und ernst gebeten, ihr Herz genau zu prüfen, ehe sie das kostbare Gut an den Mann verschwendet, dem der erste Reif die Schläfen bedeckt. Und sie hat das schöne, flechtengekrönte Haupt tief auf die Brust gesenkt und mir leise zugesagt, worum ich bat. Und nun hat sie dieses Wort gefunden, unter all den tausenden unserer Sprache gerade dieses eine Wort!

Es gibt Dinge, die tief in unserer Seele begraben liegen wie die verwunschene Glocke im See. Monate und Jahre können vergehen, ohne daß ein klarer Gedanke an ihr Dasein rührt. Aber wenn Zeit und Stunde kommt, fängt die Glocke in der Seelentiefe plötzlich zu klingen an. Und schauernd erkennen wir, daß sie das Lied singt, das uns heimlich geleitet von der Wiege bis zum Grabe, das in ewiger Jugendschönheit nichts weiß vom Altern und Sterben – jenes Heimatlied, auf dessen Schwingen die befreite Seele in die Ewigkeit schwebt in der ernsten Stunde der Verwandlung. 56

Und plötzlich weiß ich, was jenes Wort für mich bedeutet, so unscheinbar und belanglos und doch erfüllt von einem heimlichen, tiefen Sinn. Aus den Märchentagen der Kindheit klingt es herüber; an der Schwelle des Jünglingsalters stand es und sah mich an aus großen tiefen Augen; die erste Mannheit hat es in mir aufgeweckt und mich gelehrt, daß leben kämpfen heißt.

Wann hab' ich es zuerst gehört, das Wort, das liebe Wort. . . .

Ferne Zeiten der Kindheit dämmern vor mir auf. Ich liege im Bett zwischen Schlaf und Wachen, mitten in der Nacht, mit einem kalten Umschlag auf dem Kopf. Gestern abend hat der Doktor erklärt, ich hätte starkes Fieber. Das hat mich weiter nicht aufgeregt – ich war so müde, so gleichgültig gegen alles. Aber jetzt in der Nacht, jetzt fürchte ich mich. Ich weiß eigentlich nicht, wovor – aber ich fürchte mich. Alle Dinge um mich herum sind so dunkel, feindselig und drohend. Die Hängelampe sieht wie ein böser Raubvogel aus, der sich auf mich stürzen will. Der Ofen in der Ecke ist ein grauenvolles Gespenst. Ich presse die Zähne zusammen und schließe die Augen zu – fest, ganz fest. Und dennoch sehe ich, wie das Dunkel auf mich zukommt und die Arme nach mir ausstreckt; und jetzt zerreißt der letzte, dünne Faden der Selbstbeherrschung – ich schreie vor Entsetzen auf, fahre im Fieberwahn aus den Kissen empor. Aber das Dunkel ist weich und warm und hat eine sanfte Stimme – die Stimme meiner Mutter. Und es streichelt meine glühende Stirn und sagt:

»Ich bin's – so fürchte dich doch nicht so, du dummer, dummer Bub. . . .«

Das Wort rollt über mich wie eine laue, köstliche Welle – ich sinke zurück, matt, todesmatt, aber glücklich und beruhigt. 57 Nun kann ich schlafen, tief und fest schlafen; und am andern Morgen sagt der Arzt: »Ich glaube, die Krise ist überstanden.«

»Mutter, was ist das, die Krise?«

»Das verstehst du noch nicht, Kind.« Sie küßt mich und ihre Augen stehen voll Tränen.

O, wie oft bin ich in späteren Lebensjahren schlaflos gelegen und habe vor den dunklen Gewalten des Lebens gebangt – aber die Arme, die mich damals umschlangen, liegen im Grab und der Mund ist verstummt auf ewig.

Zehn, zwölf Jahre sind vergangen.

Ich sitze als halbwüchsiger junger Mensch vor meinem Xenophon, aus dem ich griechische Verbalformen herausziehen soll. Wie ich diesen grammatischen Plunder hasse, auf den der Professor soviel Gewicht legt. Zum erstenmal breitet meine Phantasie ihre Flügel aus, flattert mit dem mutigen Heer der Zehntausend durch die brennenden Wüsten von Iran, durch Palmenwälder, zu den schwarzen Felsen des Pontus, wo sich die Heimkehrenden auf den Boden warfen und weinend das heilige Meer begrüßten. Eine Geschichte will ich schreiben aus jener fernen, grauen Zeit, von einem Lande, das ich nie gesehen, von Menschen mit titanischen Leidenschaften, von Krieg und Schlacht und Mord – ich, der Sechzehnjährige, der noch gar nichts erlebt hat. Und mit glühenden Wangen arbeite ich an einer schwungvollen Periode: »Mit ihren letzten Strahlen vergoldete die Sonne die Fluten des persischen Meerbusens, wo die Perlen in der Tiefe schimmern und Palmenzweige die stille, tiefblaue Wasserfläche küssen . . .« So geht es fort, eine halbe Seite lang. Da greift eine Hand über meine Schulter und zieht mir das Blatt unter der Feder weg. Der Vater. Er liest und schüttelt den Kopf. Ich sitze da wie mit Wasser begossen. Mutter ist ins Zimmer getreten. Der Vater liest ihr die ganze gewaltige Periode vor. 58 Dann schweigen beide ein paar Sekunden lang. So still ist's im Zimmer, daß man das Summen der Fliegen an der Fensterscheibe hört. Dann räuspert sich der Vater und sagt: »Laß doch solchen Unsinn. Schreib lieber deine griechischen Vokabeln, du dummer Bub.« Und Mutter lächelt in sich hinein.

Nichts auf der Welt ist so voll Eitelkeit und Empfindelei wie ein werdender Künstlermensch. Ich war damals bitterböse auf den Vater. Seine Rede war die eines beschränkten Pedanten und das Lächeln der Mutter leiser Spott. Und als ich wieder allein mit meinem Xenophon war, fielen heiße Tränen ohnmächtigen Zornes auf den Rückzug der Zehntausend und das schmutzige Präparationsheft.

Viel, viel später erst hab' ich erkannt, was das grobe Wort bedeuten sollte und das feine Lächeln, das Schweigen und Räuspern; wieviel heimlicher Stolz und wortlose Anerkennung darin lag, und wieviel Angst um meine Zukunft und traurige Erkenntnis, wie wenig die Arbeit des Schaffenden gilt in dieser Welt patentierter Mittelmäßigkeiten, gesatzter Ordnung und satter Spießer . . .

Und ich weiß noch mehr. Ja, auch du hast den harten Kampf um ein Künstlerideal gekämpft, Vater. Ein großer Schauspieler wolltest du werden und als kleiner Beamter bist du gestorben. Heute würde ich dich verstehen. Aber du schläfst schon lange bei Mutter jenen tiefen Schlaf, aus dem man niemanden mehr wecken kann.

Und wieder nach Jahren habe ich das Wort zum drittenmal gehört. Es war in der Aula der Universität, als mein Feind an mich herantrat, um mich anzurempeln – der Feind, der eine rote Couleurmütze trug, während ich die blaue hatte – der Feind, den jeder Heranwachsende so dringend nötig braucht, um seine eigenen Kräfte an ihm zu messen. Unsere Verbindung lag in Fehde mit den Frankonen. Warum? Ich 59 weiß es längst nicht mehr. Couleurpolitik. Herausfordernd trat er ganz nahe an mich, stieß den schwarzen Couleurstock auf die Steinfließen und fixierte mich höhnisch. Die Kommilitonen standen erwartungsvoll herum. Niemand wußte später, wer die Feindseligkeiten begonnen hatte. Während die Worte hin- und herflogen, dachte ich beständig an die Phrase unseres Geschichtshandbuches: »Einem gereizten Notenwechsel folgte der Ausbruch des Krieges.«

»Ich finde Ihr Benehmen sonderbar, mein Herr.«

»Wie? Sonderbar?«

Der Würfel war gefallen.

»Sie sind ein dummer Junge.«

»Ich werde meine Konsequenzen ziehen.«

Man rückte mit steifer Geste die Mützen und entfernte sich stockklirrend.

Die Mensur war ein kleines Ereignis. Wir führten beide gute Klingen. Endlich zog ich ihm eine Hackenquart herunter und er hieb mir mit einer kräftigen Prim die Kopfhaut durch. Es war meine erste Mensur. . . .

Ach, wie lächerlich erscheint mir das alles heute, nach zwanzig Jahren und doch, es war schön! Das hart verbissene Stillstehen, während die Hiebe krachen und Funken aus dem Stahl spritzen – das verhaltene Lauern auf die Blöße des Gegners – die große, tiefe Ruhe, wenn einmal der erste »Blutige« gefallen ist und man es ganz warm und weich über die Stirn herabfließen fühlt. Ein Stahlbad des Willens, eine Probe auf Manneskraft und Mut.

Und ich sitze noch immer regungslos da und halte den Brief in der Hand, der die Geister des Vergangenen beschworen hat. 60

Ich weiß. daß sie mein Schicksal sein wird, weil sie das Kind in mir weckt, das in jedem Manne schlummert; des Weibes Liebe ist des Mannes Schicksal.

Noch einmal werde ich alles Bittere und Süße, alle Lust und alles Leid erleben, das von Ewigkeit her mit jenem Neigen von Herzen zu Herzen verknüpft ist.

Noch einmal – und wohl zum letztenmal.

Das alles künden mir jene dünnen, schlanken Buchstaben auf dem feinen Papier, jenes Schicksalswort, zwischen den Zeilen herausleuchtend wie ein rotes Fanal:

»Du lieber, dummer Bub. . . .« 61



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