Egid Filek
Vom Glück der armen Teufel
Egid Filek

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Das Blumenfenster.

Das große Doppelfenster der Familie Umvogel im Erdgeschoß, schräg gegenüber dem Greißlerladen, war ein richtig gehender Blumenkalender.

Im März sah man hinter blitzblanken Scheiben haarige Küchenschellen, blaue Leberblümchen, Märzveigerln und süße kleine Schneeglöckchen; im April schwefelgelbe Primeln und im Sommer rotweiß gefleckte Fuchsien und flammrote Pelargonien; im Herbst Astern und Reseda und im Winter die weißen Sterne der Christwurz. Und als das Bleibende im Wechsel reckte ein graugrüner Schlangenkaktus dünne, stachelbewehrte Fangarme die Fensterrahmen hinauf und hoch droben am Querbalken schaukelte eine kleine runde Ampel aus Korbgeflecht, von der Sommer und Winter der Judenbart in langen Blätterranken herabflatterte wie ein grüner Wasserfall.

An der blühenden Buntheit hatte die ganze Vorstadtgasse ihre heimliche Lust. Am meisten aber freute sich der Herr Zeithammel darüber, der täglich um die Dämmerstunde daran vorbeiging, wenn er aus seinem Bureau heimkam; denn er stand in den Jahren, wo alle heimlichen Illusionen unseres Lebens noch einmal aufblühen wie Veilchen im Herbst. Und es gab in dem Umvogelnest außer einer völlig belanglosen Mama drei Mädel, die Trude, die Käthe und die Paula, alle recht hübsch und gut gewachsen und im Alter von neunzehn bis fünfundzwanzig; sie pflegten ihre Blumen mit Liebe, Verständnis und Koketterie, weil bunte Frühlingsblüten und grünes Rankenwerk ein reizender Rahmen für blonde, braune 26 und schwarze Mädchenköpfe sind. Es lief noch ein viertes Dirnlein im Haus herum, mit wassergebürstetem Haar und einem kurzen. steifen Schulmädchenzopf mit himmelblauer Masche, aber das zählte zehn Jahre, hieß die Antschi und kam nicht in Betracht.

Man konnte nicht sagen, daß Herr Zeithammel in eines der drei Umvogelmädchen richtig verliebt war. Aber er gehörte zu jenen Menschen, die sehr langsam altern, weil sie nie so recht jung gewesen sind, niemals ihr Leben genossen haben in vollen, tiefbeglückenden Zügen, hemmungslos und ohne Gedanken an die Zukunft. Da bleibt auf dem Grunde des Bechers ein Rest von unerfüllter Sehnsucht.

Und einmal, als der liebe Gott einen seiner blausamtensten Frühlingstage in die Welt geschickt hatte, nahm diese Sehnsucht bestimmte Gestalt an; denn hinter den österlich geputzten Fensterscheiben stand die schlanke, neunzehnjährige Trude und begoß ihre Primeln und Leberblümchen. Da wußte Herr Zeithammel mit einemmal, was er eigentlich wollte: einen richtigen, herzwarmen Kuß von der blonden Trude, Zeichen und Symbol noch immer heimlich glühender Lebensfreude; nicht mehr und nicht weniger, aber immerhin genug für einen Illusionisten, dem ein Kuß doch ganz was anderes bedeutet als einem trockenen Alltagspatron.

Aber die blonde Trude war keine Illusionistin, sondern ein resches, praktisches Durchschnittsmädel, und es fiel ihr gar nicht ein, sich mit einem Mann einzulassen, der seinem Alter nach ihr Vater hätte sein können; für sie war er nichts als ein alter Junggeselle, über den ihre neunzehn Jahre die Achseln zuckten. Und ein armes Bürgermädel muß zum Heiraten schauen, das predigte die Mama alle Tage, und ihre Schwester Paula war längst mit einem Bankbeamten verlobt und hinter Trudchen lief seit einiger Zeit ein junger Student 27 her, mit dem sie schon dreimal im Kino und zweimal auf dem Sportplatz gewesen war, wo er zum Fußballmatch trainierte; gegen einen solchen Rivalen konnte Herr Zeithammel nicht aufkommen. Mädchenherz und Blumenfenster blieben verschlossen und abweisend.

Die Sonne zog ihre Bahn am Himmel höher und höher; der Sommer kam, das Fenster stand jeden Nachmittag und Abend weit offen, damit die warme Luft recht ins Zimmer strömen konnte, und auf der kleinen Blumenbühne wechselten Dekoration und Gestalten. Gelbe, schlanke Vasen füllten sich mit den blauen Blüten des Wiesensalbeis, in dunkelblauen Schüsseln leuchteten buttergelb die Ranunkeln; die brachte die Käthe von ihren Ausflügen heim, die braune Käthe mit den fröhlichen Augen, die von ganz anderer Art war als ihre jüngere Schwester und weder am Kino noch am Fußballsport Gefallen fand, dafür aber Herrn Zeithammel erlaubte, sie ab und zu auf einsamer Wanderung zu begleiten, weil sie ein wenig furchtsam war. Und es gab manche Rast am duftenden Wiesenrain, umschwärmt von Hummeln, Bienen, Schmetterlingen, im Gezirpe der Heimchen und Heuschrecken; manchen empfindsamen Sonnenuntergang und einmal sogar einen späten Mondscheinheimweg, Arm in Arm. Herr Zeithammel war sehr glücklich und weil er sich nicht traute, der Käthe selbst etwas zu schenken, so kaufte er am nächsten Morgen wenigstens für die kleine Antschi eine große Schachtel Pralinés. Da wurde das schmale Gesichtchen rot vor Freude und die blaue Masche an dem steifen Schulmädelzopf schlug mit den Flügeln wie ein Schmetterling, als die Kleine jauchzend mit ihrer Beute heimlief. Aber im Mondschein wie auf der hochzeitsfrohen Wiese blieb Herr Zeithammel immer der gewissenhafte anständige Mensch und Beamte voll Pflichtgefühl und Verantwortlichkeit einem jungen Mädchen 28 gegenüber, sehnte sich schwer nach einem Kuß und bekam ihn nicht, weil er sich ihn nicht nahm. Und als einst ein paar dumme Bekannte den Alternden hänselten, der trotz seines grauen Schläfenhaars noch mit jungen Mädchen spazieren ging, da packte ihn die Angst vor der Lächerlichkeit und er wich der braunen Käthe aus – solange, bis sie sich zu Wiesen- und Mondscheinspaziergängen einen anderen, weniger umständlichen Freund gefunden hatte.

Da beschloß nun Herr Zeithammel in vollem Ernst, sein Herz endgiltig zur Ruhe zu legen; aber unser Herz gleicht einem dummen Kind, das man abends ins Bett steckt mit dem Befehl, einzuschlafen – es weint und sträubt sich und will nicht versinken in die Bewußtlosigkeit, und mit bleischweren Lidern guckt es immer wieder nach der Lampe, deren warmes Licht alle die kleinen Dinge seiner liebgewordenen Umwelt verklärt.

Das Blumenfenster lag gegen Osten und bot in der schläfrigen Bruthitze des Spätsommers angenehme Kühle; dort saß nun oft zur Dämmerstunde das dritte Umvogelmädchen, die Paula, mit einer Handarbeit und beschäftigte ihre Finger und Gedanken. Sie war ein stilles, besinnliches Ding mit einem reifen Herzen, über das schon der bittere Frost schwerer Enttäuschung hingegangen war, und schien sich von der Ehe, in die sie nun flüchten wollte, mehr die Ruhe als das Glück zu erhoffen. Aber tief in ihrer Seele glomm noch immer die alte Frauensehnsucht nach dem großen Erlebnis; und so verstand sie sich bald mit dem einsamen Glückssucher, der täglich vorüberging und einen scheuen Blick in das Zimmer warf, als müsse hier doch noch ein letzter Traum zur Wahrheit werden. Sie las gern und viel; er brachte ihr seine Lieblingsbücher und in schöngeistigem Geplauder entstand eine harmlose Fensterfreundschaft, um so harmloser, weil meist die Antschi dabei 29 stand, der Schwester Garn aufzuwickeln oder andere kleine Handreichung zu tun, die Herr Zeithammel gelegentlich mit Süßigkeiten belohnte. Aber einmal, in einer jener blauen Abendstunden. wo die Geister des scheidenden Sommers noch in der Luft weben, wollte ihm die Paula eine Stelle in ihrem Buch zeigen, die ihr gefallen hatte, und er beugte sich zu ihr hinab, so tief, daß ihr duftender Atem seine Stirne streifte wie linder Windhauch. und zwei Augenpaare sich ansehen mußten, nahe, ganz nahe, so daß eine Welle von Blut die Wangen des Mädchens färbte und des Mannes Herzschlag zu stocken begann . . . . da ging die Zimmertüre und Paulas Verlobter trat ein. Es begann, nach einem kurzen Augenblick Schweigen, ein freundliches Gespräch der beiden Herren, die sich von flüchtiger Begegnung auf der Straße kannten; aber tags darauf reiste das Brautpaar ab und einige Wochen später wurde Herrn Zeithammel aus einer Sommerfrische Südtirols eine Vermählungsanzeige ins Bureau gesendet.

Als er an jenem Abend heimging, stand er in tiefen Gedanken vor dem Blumenfenster still. Altweibersommer zog durch die Luft und da und dort fiel ein müdes Blatt auf den Boden; er aber blickte zwischen rot-gelb flammenden Brombeerranken, Vasen voll bunter Astern, stacheligen Kaktusschlangen und weiß-grün flatternden Blätterzöpfen in ein leeres, dunkles Zimmer; ihm war, als sehe er in einsame Tiefen seines eigenen Herzens und leise Traurigkeit beschlich ihn.

Da geschah etwas Unerwartetes.

Die kleine Antschi, die sich in einer Ecke versteckt hatte, als sie draußen Tritte vernahm, stand plötzlich im Rahmen des Fensters; und mit einemmal fühlte Herr Zeithammel zwei gertenschlanke, kühle Kinderarme an seinem Hals, ein dünner, heißer Mund preßte sich auf seine Wange, eine leise Stimme hauchte in sein Ohr: »Du lieber guter alter Onkel!« 30

Es war der letzte Kuß von Mädchenlippen, den das Schicksal für Herrn Zeithammel aufgespart hatte; es war ein Kinderkuß und doch voll keuscher Süße, begleitet von einem kindischen Wort, das ihm wehe tat; und doch war ihm zumute, als hätte sich dieses Wort aus jenen dunklen Tiefen des Herzens losgelöst, wo die ewigen, unbewußten Gefühle ruhen, deren stille Glut unsere Seele durchwärmt, wenn die roten Flammen der Leidenschaft längst verlodert sind. 31



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