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Achtzehntes Kapitel

Die christliche Bedeutung des freien Zälibats und Mönchtums

Der Begriff der Gattung und mit ihm die Bedeutung des Gattungslebens war mit dem Christentum verschwunden. Der früher ausgesprochne Satz, daß das Christentum das Prinzip der Bildung nicht in sich enthält, erhält dadurch eine neue Bestätigung. Wo der Mensch den Unterschied zwischen der Gattung und dem Individuum aufhebt, und diese Einheit als sein höchstes Wesen, als Gott setzt, wo ihm also die Idee der Menschheit nur als die Idee der Gottheit Gegenstand ist, da ist das Bedürfnis der Bildung verschwunden; der Mensch hat alles in sich, alles in seinem Gotte, folglich kein Bedürfnis, sich zu ergänzen durch den andern, den Repräsentanten der Gattung, durch die Anschauung der Welt überhaupt – ein Bedürfnis, auf welchem allein der Bildungstrieb beruht. Allein für sich erreicht der Mensch seinen Zweck – er erreicht ihn in Gott, Gott ist selbst dieses erreichte Ziel, dieser verwirklichte höchste Zweck der Menschheit; aber Gott ist jedem Individuum allein für sich gegenwärtig. Gott nur ist das Bedürfnis des Christen – den andern, die Menschengattung, die Welt bedarf er nicht notwendig dazu; das innere Bedürfnis des andern fehlt. Gott vertritt mir eben die Gattung, den andern; ja in der Abkehr von der Welt, in der Absonderung werde ich erst recht gottesbedürftig, empfinde ich erst recht lebendig die Gegenwart Gottes, empfinde ich erst, was Gott ist, und was er mir sein soll. Wohl ist dem Religiösen auch Gemeinschaft, gemeinschaftliche Erbauung Bedürfnis, aber das Bedürfnis des andern ist an sich selbst doch immer etwas höchst Untergeordnetes. Das Seelenheil ist die Grundidee, die Hauptsache des Christentums, aber dieses Heil liegt nur in Gott, nur in der Konzentration auf ihn. Die Tätigkeit für andere ist eine geforderte, ist Bedingung des Heils, aber der Grund des Heils ist Gott, die unmittelbare Beziehung auf Gott. Und selbst die Tätigkeit für andere hat nur eine religiöse Bedeutung, hat nur die Beziehung auf Gott zum Grund und Zweck – ist im Wesen nur eine Tätigkeit für Gott – Verherrlichung seines Namens, Ausbreitung seines Ruhmes. Aber Gott ist die absolute Subjektivität, die von der Welt abgeschiedene, überweltliche, von der Materie befreite, von dem Gattungsleben und damit von dem Geschlechtsunterschied abgesonderte Subjektivität. – Die Scheidung von der Welt, von der Materie, von dem Gattungsleben ist daher das wesentliche Ziel des Christen. » Das Leben für Gott ist nicht dies natürliche Leben, welches der Verweslichkeit unterworfen ist... Sollten wir denn nicht seufzen nach den zukünftigen Dingen und diesen zeitlichen allen feind sein?... Darum sollten wir dies Leben und diese Welt getrost verachten und von Herzen seufzen und Verlangen haben zu der künftigen Ehre und Herrlichkeit des ewigen Lebens.« Luther (I. Th., S. 466, 467). Und dieses Ziel verwirklichte sich auf sinnliche Weise im Mönchsleben.

Es ist Selbstbetrug, das Mönchtum nur aus dem Orient ableiten zu wollen. Wenigstens muß man, wenn diese Ableitung gelten soll, dann auch so gerecht sein und die dem Mönchtum entgegengesetzte Tendenz der Christenheit nicht aus dem Christentum, sondern aus dem Geiste, aus der Natur des Okzidents überhaupt ableiten. Aber wie erklärt sich dann die Begeisterung des Abendlandes für das Mönchsleben? Das Mönchtum muß vielmehr geradezu aus dem Christentum selbst abgeleitet werden: es war eine notwendige Folge von dem Glauben an den Himmel, welchen das Christentum der Menschheit verhieß. Wo das himmlische Leben eine Wahrheit, da ist das irdische Leben eine Lüge – wo alles die Phantasie, die Wirklichkeit nichts. Wer ein ewiges himmlisches Leben glaubt, für den verliert dieses Leben seinen Wert. Oder vielmehr es hat schon seinen Wert verloren: der Glaube an das himmlische Leben ist eben der Glaube an die Nichtigkeit und Wertlosigkeit dieses Lebens. Das Jenseits kann ich mir nicht vorstellen, ohne mich nach ihm zu sehnen, ohne mit einem Blicke des Mitleids oder der Verachtung auf dieses erbärmliche Leben herabzuschauen. Das himmlische Leben kann kein Gegenstand, kein Gesetz des Glaubens sein, ohne zugleich ein Gesetz der Moral zu sein: es muß meine Handlungen bestimmen, »Dahin ist der Geist zu richten, wohin er einst gehen wird.« (Meditat. sacrae Joh. Gerhardi, Med. 46.) wenn anders mein Leben mit meinem Glauben übereinstimmen soll: ich darf mich nicht hängen an die vergänglichen Dinge dieser Erde. Ich darf nicht, aber ich mag auch nicht, denn was sind alle Dinge hienieden gegen die Herrlichkeit des himmlischen Lebens? »Wer das Himmlische begehrt, dem schmeckt nicht das Irdische. Wer nach dem Ewigen verlangt, dem ist das Vergängliche zum Ekel.« Bernhardus (Epist. Ex persona Heliae monachi ad parentes). Die alten Christen feierten daher nicht wie die modernen den Geburtstag, sondern den Todestag. (Siehe die Anmerk. zu Min. Felix e rec. Gronovii Lugd. Bat. 1719, p. 332.) »Darum sollte man lieber einem Christenmenschen raten, daß sie die Krankheit mit Geduld tragen, ja auch begehren, daß der Tod komme, je eher, je lieber. Denn wie S. Cyprianus spricht, ist nichts Nützlicheres einem Christen, denn bald sterben. Aber wir hören lieber den Heiden Juvenalem, der da spricht: Orandum est ut sit mens sana in corpore sano.« Luther (Th. IV, S. 15).

Allerdings hängt die Qualität jenes Lebens von der Qualität, der moralischen Beschaffenheit dieses Lebens ab, aber die Moralität ist selbst bestimmt durch den Glauben an das ewige Leben. Und diese dem überirdischen Leben entsprechende Moralität ist nur die Abkehr von dieser Welt, die Verneinung dieses Lebens. Die sinnliche Bewährung dieser geistigen Abkehr aber ist das klösterliche Leben. Alles muß sich zuletzt äußerlich, sinnlich darstellen. »Der ist vollkommen, der geistig und leiblich von der Welt geschieden ist.« De modo bene vivendi ad Sororem S. VII. (Unter den unechten Schriften Bernhards.) Das klösterliche, überhaupt asketische Leben ist das himmlische Leben, wie es sich hienieden bewährt und bewähren kann. Wenn meine Seele dem Himmel angehört, warum soll ich, ja wie kann ich mit dem Leibe der Erde angehören? Die Seele belebt den Leib. Wenn aber die Seele im Himmel ist, so ist der Leib verlassen, tot – abgestorben also das Verbindungsorgan zwischen der Welt und der Seele. Der Tod, die Scheidung der Seele vom Leibe, wenigstens von diesem groben materiellen, sündhaften Leibe, ist der Eingang zum Himmel. Wenn aber der Tod die Bedingung der Seligkeit und moralischen Vollkommenheit ist, so ist notwendig die Abtötung, die Mortifikation das einzige Gesetz der Moral. Der moralische Tod ist die notwendige Vorausnahme des natürlichen Todes – die notwendige; denn es wäre die höchste Immoralität, dem sinnlichen Tod, der kein moralischer, sondern natürlicher, dem Menschen mit dem Tiere gemeiner Akt ist, den Erwerb des Himmels zu überlassen. Der Tod muß daher zu einem moralischen Akt, einem Akt der Selbsttätigkeit erhoben werden. » Ich sterbe täglich«, sagt der Apostel, und diesen Spruch machte der heilige Antonius, der Gründer des Mönchtums, S. indes hierüber Hieronymus de vita Pauli primi Eremitae. zum Thema seines Lebens.

Aber das Christentum, entgegnet man, hat nur eine geistige Freiheit gewollt. Jawohl; aber was ist die geistige Freiheit, die nicht in die Tat übergeht, die sich nicht sinnlich bewährt? Oder glaubst du, es kommt nur auf dich, auf deinen Willen, deine Gesinnung an, ob du frei von etwas bist? O dann bist du gewaltig in der Irre, und hast nie einen wahren Befreiungsakt erlebt. Solange du in einem Stande, einem Fache, einem Verhältnis bist, so lange wirst du von ihm unwillkürlich bestimmt. Dein Wille, deine Gesinnung befreit dich nur von den bewußten, aber nicht von den heimlichen, den unbewußten Schranken und Eindrücken, die in der Natur der Sache liegen. Darum ist es uns unheimlich, unsre Brust beklemmt, solange wir uns nicht räumlich, sinnlich scheiden von dem, womit wir innerlich gebrochen haben. Die sinnliche Freiheit ist allein die Wahrheit der geistigen Freiheit. Ein Mensch, der an den irdischen Schätzen das geistige Interesse wirklich verloren, der wirft sie auch bald zum Fenster hinaus, um vollkommen sein Herz zu entledigen. Was ich nicht mehr mit der Gesinnung habe, das ist mir zur Last, wenn ich es dennoch habe, denn ich habe es im Widerspruch mit meiner Gesinnung. Also weg damit! Was die Gesinnung entlassen, das halte auch die Hand nicht mehr fest. Nur die Gesinnung ist die Schwerkraft des Händedrucks; nur die Gesinnung heiligt den Besitz. Wer sein Weib so haben soll, als habe er es nicht, der tut besser, wenn er sich gar kein Weib nimmt. Haben, als habe man nicht, heißt haben ohne die Gesinnung des Habens, heißt in Wahrheit nicht haben. Und wer daher sagt: man solle ein Ding haben so, als habe man es nicht, der sagt nur auf eine feine, schonende Weise: man soll es gar nicht haben. Was ich aus dem Herzen fahren lasse, das ist nicht mehr mein, das ist vogelfrei. Der heilige Antonius faßte den Entschluß, der Welt zu entsagen, als er einst den Spruch hörte: »Willst du vollkommen sein, so gehe hin, verkaufe, was du hast und gib es den Armen, so wirst du einen Schatz im Himmel haben, und komm und folge mir nach.« Der heilige Antonius gab die allein wahre Auslegung dieses Ausspruchs. Er ging hin und verkaufte seine Reichtümer und gab sie den Armen. Nur so bewährte er seine geistige Freiheit von den Schätzen dieser Welt. Natürlich hatte das Christentum nur solche Kraft, als, wie Hieronymus an die Demetrias schreibt, das Blut unsers Herrn noch warm und der Glaube noch in frischer Glut war. Siehe über diesen Gegenstand auch G. Arnold, Von der ersten Christen Genügsamkeit und Verschmähung alles Eigennutzes. (1. c. B. IV, c. 12, § 7-16

Solche Freiheit, solche Wahrheit widerspricht nun freilich dem heutigen Christentum, welchem zufolge der Herr nur eine geistige Freiheit gewollt, d. h. eine Freiheit, die durchaus keine Opfer, keine Energie erheischt, eine illusorische Freiheit, eine Freiheit der Selbsttäuschungdie Freiheit von den irdischen Gütern, welche im Besitze und Genusse dieser Güter liegt. Deswegen sagte ja auch der Herr: »mein Joch ist sanft und leicht.« Wie barbarisch, wie unsinnig wäre das Christentum, wenn es den Menschen zumutete, die Schätze dieser Welt aufzuopfern! Dann paßte ja das Christentum gar nicht für diese Welt. Aber das sei ferne! Das Christentum ist höchst praktisch und weltklug; es überläßt die Freiheit von den Schätzen und Lüsten dieser Welt dem natürlichen Tode – die Selbsttötung der Mönche ist unchristlicher Selbstmord – aber der Selbsttätigkeit den Erwerb und Genuß der irdischen Schätze. Die echten Christen zweifeln zwar nicht an der Wahrheit des himmlischen Lebens, Gott bewahre! darin stimmen sie noch heute mit den alten Mönchen überein; aber sie erwarten dasselbe geduldig, ergeben in den Willen Gottes, d. h. in den Willen der Selbstsucht, der wohlbehaglichen Genußsucht dieser Welt. Wie anders die alten Christen! »Es ist schwer, ja unmöglich, zugleich die gegenwärtigen und künftigen Güter zu genießen.« Hieronymus (Epist. Juliano). »Du bist gar zu delikat, mein Bruder, wenn du dich hier mit der Welt freuen und hernach mit Christus herrschen willst.« Derselbe (Epist. ad Heliodorum). »Ihr wollt Gott und Kreatur alles miteinander haben und das ist unmöglich. Lust Gottes und Lust der Kreaturen mag nicht beieinander stehen.« Tauler (Ed. c., p. 334). Aber freilich sie waren abstrakte Christen. Und jetzt leben wir im Zeitalter der Versöhnung! Jawohl! Doch ich wende mich mit Ekel und Verachtung weg von dem modernen Christentum, wo die Braut Christi bereitwillig selbst der Polygamie huldigt, wenigstens der sukzessiven Polygamie, die sich aber nicht wesentlich in den Augen des wahren Christen von der gleichzeitigen unterscheidet, aber doch zugleich – o schändliche Heuchelei! – auf die ewige, allverbindende, unwidersprechliche, heilige Wahrheit des Wortes Gottes schwört, und kehre zurück mit heiliger Scheu zur verkannten Wahrheit der keuschen Klosterzelle, wo noch nicht die dem Himmel angetraute Seele mit einem fremden, irdischen Leibe buhlte!

Das unweltliche, übernatürliche Leben ist wesentlich auch eheloses Leben. Das Zälibat – freilich nicht als Gesetz – liegt gleichfalls also im innersten Wesen des Christentums. Hinlänglich ist dies schon in der übernatürlichen Herkunft des Heilands ausgesprochen. In diesem Glauben heiligten die Christen die unbefleckte Jungfräulichkeit als das heilbringende Prinzip, als das Prinzip der neuen, der christlichen Welt. Komme man nicht mit solchen Stellen der Bibel wie etwa: Mehret euch, oder: Was Gott zusammengefügt, soll der Mensch nicht scheiden, um damit die Ehe zu sanktionieren! Die erste Stelle bezieht sich, wie schon Tertullian und Hieronymus bemerkten, nur auf die menschenleere, nicht aber bereits erfüllte Erde, nur auf den Anfang, nicht aber auf das mit der unmittelbaren Erscheinung Gottes auf Erden eingetretne Ende der Welt. Und auch die zweite bezieht sich nur auf die Ehe als ein Institut des Alten Testaments. Juden stellten die Frage: ob es auch recht sei, daß sich ein Mensch scheide von seinem Weibe: die zweckmäßigste Abfertigung dieser Frage war obige Antwort. Wer einmal eine Ehe schließt, der soll sie auch heilig halten. Schon der Blick nach einer andern ist Ehebruch. Die Ehe ist an und für sich schon eine Indulgenz gegen die Schwachheit oder vielmehr die Energie der Sinnlichkeit, ein Übel, das daher soviel als möglich beschränkt werden muß. Die Unauflöslichkeit der Ehe ist ein Nimbus, ein Heiligenschein, welcher gerade das Gegenteil von dem ausspricht, was die vom Scheine geblendeten und verwirrten Köpfe dahinter suchen. Die Ehe ist an sich, d. h. im Sinne des vollendeten Christentums eine Sünde »Nicht vollkommen sein wollen heißt: sündigen.« Hieronymus (Epist. ad Heliodorum de laude Vitae solit.). Ich bemerke zugleich, daß ich die hier exponierte Bibelstelle über die Ehe in dem Sinne auslege, in welchem sie die Geschichte des Christentums exponiert hat. oder doch eine Schwachheit, die dir nur unter der Bedingung erlaubt und verziehen wird, daß du dich auf ein einziges – bedenke es wohl! –, ein einziges Weib für immer beschränkst. Kurz, die Ehe ist nur im Alten, aber nicht mehr im Neuen Testament geheiligt: das N. T. kennt ein höheres, ein übernatürliches Prinzip, das Geheimnis der unbefleckten Jungfräulichkeit. »Der Ehestand ist nichts Neues oder Ungewöhnliches, und ist auch von Heiden nach dem Urteile der Vernunft für gut angesehen und gelobet worden.« Luther (Th. II, p. 337 a). »Wer es fassen mag, der fasse es.« » Die Kinder dieser Welt freien und lassen sich freien, welche aber würdig sein werden, jene Welt zu erlangen in der Auferstehung von den Toten, die werden weder freien, noch sich freien lassen. Denn sie können hinfort nicht sterben, denn sie sind den Engeln gleich und Gottes Kinder, dieweil sie Kinder sind der Auferstehung.« Im Himmel freien sie also nicht; vom Himmel ist das Prinzip der Geschlechtsliebe als ein irdisches, weltliches ausgeschlossen. Aber das himmlische Leben ist das wahre, das vollendete, ewige Leben des Christen. Warum soll also ich, der ich für den Himmel bestimmt bin, ein Band knüpfen, das in meiner wahren Bestimmung aufgelöst ist? Warum soll ich, der ich an sich, der Möglichkeit nach ein himmlisches Wesen bin, nicht hier schon diese Möglichkeit verwirklichen? »Die in das Paradies aufgenommen werden wollen, müssen davon ablassen, wovon das Paradies frei ist.« Tertullian (De exhort. cast. c. 13). »Der Zälibat ist die Nachahmung der Engel.« Jo. Damascenus (Orthod. fidei lib. IV. c. 25). Ja die Ehe ist schon aus meinem Sinne meinem Herzen verbannt, indem sie aus dem Himmel, dem wesentlichen Gegenstand meines Glaubens, Hoffens und Lebens verstoßen ist. Wie kann in meinem vom Himmel erfüllten Herzen noch ein irdisches Weib Platz haben? Wie kann ich mein Herz zwischen Gott und dem Menschen teilen? »Die Unverheiratete beschäftigt sich nur mit Gott und hat nur einen Gedanken; die Verheiratete aber lebt zum Teil mit Gott, zum Teil mit dem Mann.« Clemens Alex. (Paedag. lib. II. c. 10). »Wer ein einsames Leben erwählt, denkt nur an göttliche Dinge.« Theodoret (Haerctic. Fabul. lib. V. 24). Die Liebe des Christen zu Gott ist nicht eine abstrakte oder allgemeine Liebe, wie die Liebe zur Wahrheit, zur Gerechtigkeit, zur Wissenschaft; sie ist die Liebe zu einem subjektiven, persönlichen Gott, also selbst eine subjektive, persönliche Liebe. Eine wesentliche Eigenschaft dieser Liebe ist es, daß sie eine ausschließliche, eifersüchtige Liebe ist, denn ihr Gegenstand ist ein persönliches und zugleich das höchste Wesen, dem kein andres gleichkommt. »Halte dich zu Jesus (aber Jesus Christus ist der Gott des Christen) im Leben und im Tode; verlaß dich auf seine Treue: er allein kann dir helfen, wenn dich alles verläßt. Dein Geliebter hat die Eigenschaft, daß er keinen andern neben sich dulden will: er allein will dein Herz haben, allein in deiner Seele wie ein König auf seinem Throne herrschen.« »Was kann dir die Welt ohne Jesus nützen? Ohne Christus sein, ist Höllenpein; mit Christus sein, himmlische Süßigkeit.« »Ohne Freund kannst du nicht leben; aber wenn dir nicht Christi Freundschaft über alles geht, so wirst du über Maßen traurig und trostlos sein.« »Liebe alle um Jesu willen, aber Jesus um seinetwillen. Jesus Christus allein ist der Liebenswerte.« »Mein Gott, meine Liebe (mein Herz): ganz bist du mein und ganz bin ich dein.« »Die Liebe ... hofft und vertraut immer auf Gott, auch wenn ihr Gott nicht gnädig ist (oder bitter schmeckt non sapit); denn ohne Schmerz lebt man nicht in der Liebe...« »Um des Geliebten willen muß der Liebende alles, auch das Harte und Bittere gern sich gefallen lassen.« »Mein Gott und mein alles... In deiner Gegenwart ist mir alles süß, in deiner Abwesenheit alles widerlich ... Ohne dich kann mir nichts gefallen.« »O wann wird endlich jene selige, jene ersehnte Stunde kommen, daß du mich ganz mit deiner Gegenwart erfüllst und mir alles in allem bist! Solange mir dies nicht vergönnt ist, ist meine Freude nur Stückwerk.« »Wo war es mir je wohl ohne dich? oder wann in deiner Gegenwart schlimm? Ich will lieber arm sein um deinetwillen, als reich ohne dich. Ich will lieber mit dir auf der Erde ein Pilger, als ohne dich Besitzer des Himmels sein. Wo du bist, ist der Himmel; Tod und Hölle, wo du nicht bist. Nur nach dir sehne ich mich.« »Du kannst nicht Gott dienen und zugleich am Vergänglichen deine Freude haben: du mußt dich entfernen von allen Bekannten und Freunden und von allem zeitlichen Troste deinen Geist absondern. Die Gläubigen Christi sollen sich nach der Ermahnung des heiligen Apostels Petrus nur als Pilger und Fremdlinge dieser Welt ansehen.« Thomas a Kempis (de imit. üb. II. c. 7, c. 8, lib. III. c. 5, c. 34, c. 53, c. 59). »O wie selig ist die Jungfrau, in deren Brust außer der Liebe Christi keine andere Liebe wohnt!« Hieronymus (Demetriadi, virgini Deo consecratae). Aber freilich, das ist wieder eine sehr abstrakte Liebe, die im Zeitalter der Versöhnung, wo Christus und Belial ein Herz und eine Seele sind, nicht mehr schmeckt. O wie bitter ist die Wahrheit! Die Liebe zu Gott als einem persönlichen Wesen ist also eine eigentliche, förmliche, persönliche, ausschließliche Liebe. Wie kann ich also Gott, sage Gott, und zugleich ein sterbliches Weib lieben? Setze ich dadurch nicht Gott auf gleichen Fuß mit dem Weib? Nein! einer Seele, die Gott wahrhaft liebt, ist die Liebe zum Weibe eine Unmöglichkeit – ein Ehebruch. »Wer ein Weib hat, sagt der Apostel Paulus, denket, was des Weibes ist, wer keines hat, denkt nur, was des Herrn ist. Der Verheiratete denkt daran, daß er dem Weibe gefalle, der Unverheiratete daran, daß er Gott gefalle.«

Der wahre Christ hat, wie kein Bedürfnis der Bildung, weil diese ein dem Gemüte widerliches, weltliches Prinzip ist, so auch kein Bedürfnis der (natürlichen) Liebe. Gott ersetzt ihm den Mangel, das Bedürfnis der Bildung, Gott desgleichen den Mangel, das Bedürfnis der Liebe, des Weibes, der Familie. Der Christ identifiziert unmittelbar mit dem Individuum die Gattung: er streift daher den Geschlechtsunterschied als einen lästigen, zufälligen Anhang von sich ab. »Unterschieden ist das Weib und die Jungfrau. Siehe, wie selig die ist, welche selbst den Namen ihres Geschlechts verloren hat. Die Jungfrau heißt nicht mehr Weib.« Hieronymus (Adv. Helvidium de perpet. virg., p. 14, T. II. Erasmus). Mann und Weib zusammen machen erst den wirklichen Menschen aus, Mann und Weib zusammen ist die Existenz der Gattung – denn ihre Verbindung ist die Quelle der Vielheit, die Quelle anderer Menschen. Der Mensch daher, der seine Mannheit nicht verneint, der sich fühlt als Mann und dieses Gefühl als ein natur- und gesetzmäßiges Gefühl anerkennt, der weiß und fühlt sich als ein Teilwesen, welches eines andern Teilwesens zur Hervorbringung des Ganzen, der wahren Menschheit bedarf. Der Christ dagegen erfaßt sich in seiner überschwenglichen, übernatürlichen Subjektivität als ein für sich selbst vollkommnes Wesen. Aber dieser Anschauung war der Geschlechtstrieb entgegen; er stand mit seinem Ideal, seinem höchsten Wesen in Widerspruch; der Christ mußte daher diesen Trieb unterdrücken.

Wohl empfand auch der Christ das Bedürfnis der Geschlechterliebe, aber nur als ein seiner himmlischen Bestimmung widersprechendes, nur natürliches – natürlich in dem gemeinen, verächtlichen Sinne, den dieses Wort im Christentum hat –, nicht als ein moralisches, inniges Bedürfnis, nicht als ein, um mich so auszudrücken, metaphysisches, d. i. wesentliches Bedürfnis, welches der Mensch eben nur da empfinden kann, wo er den Geschlechtsunterschied nicht von sich absondert, sondern vielmehr zu seinem innern Wesen rechnet. Heilig ist darum nicht die Ehe im Christentume – wenigstens nur scheinbar, illusorisch –, denn das natürliche Prinzip der Ehe, die Geschlechterliebe – mag auch die bürgerliche Ehe unzählige Mal diesem Prinzipe widersprechen – ist im Christentum ein unheiliges, vom Himmel ausgeschlossenes.

Dies läßt sich auch so ausdrücken: die Ehe hat im Christentum nur eine moralische, aber keine religiöse Bedeutung, kein religiöses Prinzip und Vorbild. Anders bei den Griechen, wo z. B. »Zeus und Here das große Urbild jeder Ehe« ( Creuzer Symb.), bei den alten Parsen, wo die Zeugung als »die Vermehrung des Menschengeschlechts, die Verminderung des Arhimanischen Reichs«, also eine religiöse Pflicht und Handlung ist (Zend-Avesta), bei den Indern, wo der Sohn der wiedergehorne Vater ist.

So der Frau ihr Gemahl nahet, wird er wiedergeboren selbst
Von der, die Mutter durch ihn wird.
( Fr. Schlegel)

Bei den Indern darf kein Wiedergeborner in den Stand eines Sanyassi, das ist eines in Gott versunkenen Einsiedlers, treten, wenn er nicht vorher drei Schulden bezahlt, unter andern die, daß er rechtlicherweise einen Sohn gezeugt hat. Bei den Christen dagegen, wenigstens den katholischen, war es ein wahres religiöses Freudenfest, wenn Verlobte oder schon Verheiratete – vorausgesetzt, daß es mit beiderseitiger Einwilligung geschah – den ehelichen Stand aufgaben, der religiösen Liebe die eheliche Liebe aufopferten.

Was aber der Mensch von seinem Himmel ausschließt, das schließt er von seinem wahren Wesen aus. Der Himmel ist sein Schatzkästchen. Glaube nicht dem, was er auf der Erde etabliert, was er hier erlaubt und sanktioniert: hier muß er sich akkommodieren; hier kommt ihm manches in die Quere, was nicht in sein System paßt; hier weicht er deinem Blick aus, denn er befindet sich unter fremden Wesen, die ihn schüchtern machen. Aber belausche ihn, wo er sein Inkognito abwirft und sich in seiner wahren Würde, seinem himmlischen Staate zeigt. Im Himmel spricht er, wie er denkt; dort vernimmst du seine wahre Meinung. Wo sein Himmel, ist sein Herz – der Himmel ist sein offnes Herz. Der Himmel ist nichts, als der Begriff des Wahren, Guten, Gültigen, dessen, was sein soll; die Erde nichts als der Begriff des Unwahren, Ungültigen, dessen, was nicht sein soll. Der Christ schließt vom Himmel das Gattungsleben aus: dort hört die Gattung auf, dort gibt es nur reine, geschlechtlose Individuen, »Geister«, dort herrscht die absolute Subjektivität – also schließt der Christ von seinem wahren Leben das Gattungsleben aus; er verneint das Prinzip der Ehe als ein sündiges, ein verwerfliches; denn das sündlose, das wahre Leben ist das himmlische. Insofern das religiöse Bewußtsein alles zuletzt wieder setzt, was es anfangs aufhebt, das jenseitige Leben daher zuletzt nichts andres ist als das wiederhergestellte diesseitige Leben, so muß konsequent auch das Geschlecht wiederhergestellt werden. »Sie werden den Engeln ähnlich sein, also nicht aufhören, Menschen zu sein, so daß der Apostel Apostel und die Maria Maria ist.« Hieronymus (Ad Theodoram viduam). Aber wie der jenseitige Körper ein unkörperlicher, scheinbarer Körper, so ist notwendig das dortige Geschlecht ein geschlechtloses, nur scheinbares Geschlecht.


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