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Erster Teil

Das Wahre, d. i. anthropologische Wesen der Religion

Drittes Kapitel

Gott als Wesen des Verstandes

Die Religion ist die Entzweiung des Menschen mit sich selbst: er setzt sich Gott als ein ihm entgegengesetztes Wesen gegenüber. Gott ist nicht, was der Mensch ist – der Mensch nicht, was Gott ist. Gott ist das unendliche, der Mensch das endliche Wesen; Gott vollkommen, der Mensch unvollkommen; Gott ewig, der Mensch zeitlich; Gott allmächtig, der Mensch ohnmächtig; Gott heilig, der Mensch sündhaft. Gott und Mensch sind Extreme: Gott das schlechthin Positive, der Inbegriff aller Realitäten, der Mensch das schlechtweg Negative, der Inbegriff aller Nichtigkeiten.

Aber der Mensch vergegenständlicht in der Religion sein eignes geheimes Wesen. Es muß also nachgewiesen werden, daß dieser Gegensatz, dieser Zwiespalt von Gott und Mensch, womit die Religion anhebt, ein Zwiespalt des Menschen mit seinem eignen Wesen ist.

Die innere Notwendigkeit dieses Beweises ergibt sich schon daraus, daß, wenn wirklich das göttliche Wesen, welches Gegenstand der Religion ist, ein andres wäre als das Wesen des Menschen, eine Entzweiung, ein Zwiespalt gar nicht stattfinden könnte. Ist Gott wirklich ein andres Wesen, was kümmert mich seine Vollkommenheit? Entzweiung findet nur statt zwischen Wesen, welche miteinander zerfallen sind, aber eins sein sollen, eins sein können, und folglich im Wesen, in Wahrheit eins sind. Es muß also schon aus diesem allgemeinen Grunde das Wesen, mit welchem sich der Mensch entzweit fühlt, ein ihm eingebornes Wesen sein, aber zugleich ein Wesen von anderer Beschaffenheit, als das Wesen oder die Kraft, welche ihm das Gefühl, das Bewußtsein der Versöhnung, der Einheit mit Gott, oder, was eins ist, mit sich selbst gibt.

Dieses Wesen ist nichts andres als die Intelligenz – die Vernunft oder der Verstand. Gott als Extrem des Menschen, als nicht menschliches, d.i. persönlich menschliches Wesen gedacht – ist das vergegenständlichte Wesen des Verstandes. Das reine, vollkommne, mangellose göttliche Wesen ist das Selbstbewußtsein des Verstandes, das Bewußtsein des Verstandes von seiner eignen Vollkommenheit. Der Verstand weiß nichts von den Leiden des Herzens; er hat keine Begierden, keine Leidenschaften, keine Bedürfnisse und eben darum keine Mängel und Schwächen, wie das Herz. Reine Verstandesmenschen, Menschen, die uns das Wesen des Verstandes, wenn auch nur in einseitiger, aber eben deswegen charakteristischer Bestimmtheit versinnbildlichen und personifizieren, sind enthoben den Gemütsqualen, den Passionen, den Exzessen der Gefühlsmenschen; sie sind für keinen endlichen, d i. bestimmten Gegenstand leidenschaftlich eingenommen; sie »verpfänden« sich nicht; sie sind frei. »Nichts bedürfen und durch diese Bedürfnislosigkeit den unsterblichen Göttern gleichen«, »nicht sich den Dingen, sondern die Dinge sich unterwerfen«, »alles ist eitel« – diese und ähnliche Aussprüche sind Mottos abstrakter Verstandesmenschen. Der Verstand ist das neutrale, gleichgültige, unbestechliche, unverblendete Wesen in uns – das reine, affektlose Licht der Intelligenz. Er ist das kategorische, rücksichtslose Bewußtsein der Sache als Sache, weil er selbst objektiver Natur – das Bewußtsein des Widerspruchslosen, weil er selbst die widerspruchslose Einheit, die Quelle der logischen Identität – das Bewußtsein des Gesetzes, der Notwendigkeit, der Regel, des Maßes, weil er selbst die Tätigkeit des Gesetzes, die Notwendigkeit der Natur der Dinge als Selbsttätigkeit, die Regel der Regeln, das absolute Maß, das Maß der Maße ist. Nur durch den Verstand kann der Mensch im Widerspruch mit seinen teuersten menschlichen, d.i. persönlichen Gefühlen urteilen und handeln, wenn es also der Verstandesgott, das Gesetz, die Notwendigkeit, das Recht gebietet. Der Vater, welcher seinen eignen Sohn, weil er ihn für schuldig erkennt, als Richter zum Tode verurteilt, vermag dies nur als Verstandes-, nicht als Gefühlsmensch. Der Verstand zeigt uns die Fehler und Schwächen selbst unsrer Geliebten – selbst unsre eignen. Er versetzt uns deswegen so oft in peinliche Kollision mit uns selbst, mit unserm Herzen. Wir wollen nicht dem Verstande Recht lassen: wir wollen nicht aus Schonung, aus Nachsicht das wahre, aber harte, aber rücksichtslose Urteil des Verstandes vollstrecken. Der Verstand ist das eigentliche Gattungsvermögen; das Herz vertritt die besonderen Angelegenheiten, die Individuen, der Verstand die allgemeinen Angelegenheiten; er ist die übermenschliche, das heißt: die über- und unpersönliche Kraft oder Wesenheit im Menschen. Nur durch den Verstand und in dem Verstande hat der Mensch die Kraft, von sich selbst, d.h. von seinem subjektiven, persönlichen Wesen zu abstrahieren, sich zu erheben zu allgemeinen Begriffen und Verhältnissen, den Gegenstand zu unterscheiden von den Eindrücken, die er auf das Gemüt macht, ihn an und für sich selbst, ihn ohne Beziehung auf den Menschen zu betrachten. Die Philosophie, die Mathematik, die Astronomie, die Physik, kurz die Wissenschaft überhaupt ist der tatsächliche Beweis, weil das Produkt, dieser in Wahrheit unendlichen und göttlichen Tätigkeit. Dem Verstande widersprechen daher auch die religiösen Anthropomorphismen; er spricht sie Gott ab, verneint sie. Aber dieser anthropomorphismenfreie, rücksichtslose, affektlose Gott ist eben nichts andres, als das eigne gegenständliche Wesen des Verstandes.

Gott als Gott, d.h. als nicht endliches, nicht menschliches, nicht materiell bestimmtes, nicht sinnliches Wesen ist nur Gegenstand des Denkens. Er ist das unsinnliche, gestaltlose, unfaßbare, bildlose – das abstrakte, negative Wesen; er wird nur durch Abstraktion und Negation (via negationis) erkannt, d.i. Gegenstand. Warum? weil er nichts ist, als das gegenständliche Wesen der Denkkraft, überhaupt der Kraft oder Tätigkeit, man nenne sie nun, wie man wolle, wodurch sich der Mensch der Vernunft, des Geistes, der Intelligenz bewußt wird. Der Mensch kann keinen andern Geist, d.h. – denn der Begriff des Geistes ist lediglich der Begriff des Denkens, der Erkenntnis, des Verstandes, jeder andre Geist ein Gespenst der Phantasie – keine andre Intelligenz glauben, ahnden, vorstellen, denken als die Intelligenz, die ihn erleuchtet, die sich in ihm betätigt. Er kann nichts weiter, als die Intelligenz absondern von den Schranken seiner Individualität. Der »unendliche Geist« im Unterschiede vom endlichen ist daher nichts andres, als die von den Schranken der Individualität und Leiblichkeit – denn Individualität und Leiblichkeit sind untrennbar – abgesonderte Intelligenz – die Intelligenz, für sich selbst gesetzt oder gedacht. Gott, sagten die Scholastiker, die Kirchenväter und lange vor ihnen schon die heidnischen Philosophen, Gott ist immaterielles Wesen, Intelligenz, Geist, reiner Verstand. Von Gott als Gott kann man sich kein Bild machen; aber kannst du dir von dem Verstande, von der Intelligenz ein Bild machen? Hat sie eine Gestalt? Ist ihre Tätigkeit nicht die unfaßbarste, die undarstellbarste? Gott ist unbegreiflich; aber kennst du das Wesen der Intelligenz? Hast du die geheimnisvolle Operation des Denkens, das geheime Wesen des Selbstbewußtseins erforscht? Ist nicht das Selbstbewußtsein das Rätsel der Rätsel? Haben nicht schon die alten Mystiker, Scholastiker und Kirchenväter die Unfaßlichkeit und Undarstellbarkeit des göttlichen Wesens mit der Unfaßlichkeit und Undarstellbarkeit des menschlichen Geistes erläutert, verglichen? nicht also in Wahrheit das Wesen Gottes mit dem Wesen des Menschen identifiziert? In seiner Schrift contra Academicos, die Augustin gewissermaßen noch als Heide geschrieben, sagt er (lib. III. c. 12), daß im Geist oder in der Vernunft das höchste Gut des Menschen bestehe. Dagegen in seinen Libr. retractationum, die A. als distinguierender christlicher Theologe geschrieben, rezensiert er (lib. I. c. 1) diese Äußerung also: »Richtiger hätte ich gesagt: in Gott; denn der Geist genießt, um selig zu sein, Gott als sein höchstes Gut.« Ist denn damit aber ein Unterschied gesetzt? Ist nicht da mein Wesen erst, wo mein höchstes Gut? Gott als Gott – als ein nur denkbares, nur der Vernunft gegenständliches Wesen – ist also nichts andres, als die sich gegenständliche Vernunft. Was der Verstand oder die Vernunft ist? Das sagt dir nur Gott. Alles muß sich aussprechen, offenbaren, vergegenständlichen, bejahen. Gott ist die als das höchste Wesen sich aussprechende, sich bejahende Vernunft. Für die Einbildung ist die Vernunft die oder eine Offenbarung Gottes; für die Vernunft aber ist Gott die Offenbarung der Vernunft; indem was die Vernunft ist, was sie vermag, erst in Gott Gegenstand ist. Gott, heißt es hier, ist ein Bedürfnis des Denkens, ein notwendiger Gedanke – der höchste Grad der Denkkraft. »Die Vernunft kann nicht bei den sinnlichen Dingen und Wesen stehenbleiben«; erst, wenn sie bis auf das höchste, erste, notwendige, nur der Vernunft gegenständliche Wesen zurückgeht, ist sie befriedigt. Warum? weil sie erst bei diesem Wesen bei sich selbst ist, weil erst im Gedanken des höchsten Wesens das höchste Wesen der Vernunft gesetzt, die höchste Stufe des Denk- und Abstraktionsvermögens erreicht ist, und wir überhaupt so lange eine Lücke, eine Leere, einen Mangel in uns fühlen, folglich unglücklich und unzufrieden sind, solange wir nicht an den letzten Grad eines Vermögens kommen, an das, quo nihil majus cogitari potest, nicht die uns angeborne Fähigkeit zu dieser oder jener Kunst, dieser oder jener Wissenschaft bis zur höchsten Fertigkeit bringen. Denn nur die höchste Fertigkeit der Kunst ist erst Kunst, nur der höchste Grad des Denkens erst Denken, Vernunft. Nur wo du Gott denkst, denkst du, rigoros gesprochen; denn erst Gott ist die verwirklichte, die erfüllte, die erschöpfte Denkkraft. Erst indem du Gott denkst, denkst du also die Vernunft, wie sie in Wahrheit ist, ob du dir gleich wieder dieses Wesen als ein von der Vernunft unterschiednes vermittelst der Einbildungskraft vorstellst, weil du als ein sinnliches Wesen gewohnt bist, stets den Gegenstand der Anschauung, den wirklichen Gegenstand von der Vorstellung desselben zu unterscheiden, und nun vermittelst der Einbildungskraft diese Gewohnheit auch auf das Vernunftwesen überträgst, und dadurch der Vernunftexistenz, dem Gedachtsein die sinnliche Existenz, von der du doch abstrahiert hast, verkehrterweise wieder unterschiebst.

Gott als metaphysisches Wesen ist die in sich selbst befriedigte Intelligenz, oder vielmehr umgekehrt: die in sich selbst befriedigte, die sich als absolutes Wesen denkende Intelligenz ist Gott als metaphysisches Wesen. Alle metaphysischen Bestimmungen Gottes sind daher nur wirkliche Bestimmungen, wenn sie als Denkbestimmungen, als Bestimmungen der Intelligenz, des Verstandes erkannt werden.

Der Verstand ist das »originäre, primitive« Wesen. Der Verstand leitet alle Dinge von Gott, als der ersten Ursache ab, er findet ohne eine verständige Ursache die Welt dem sinn- und zwecklosen Zufall preisgegeben; d. h.: er findet nur in sich, nur in seinem Wesen den Grund und Zweck der Welt, ihr Dasein nur klar und begreiflich, wenn er es aus der Quelle aller klaren und deutlichen Begriffe, d. h. aus sich selbst erklärt. Nur das mit Absicht, nach Zwecken, d. i. mit Verstand wirkende Wesen ist dem Verstande D. h., wie sich von selbst versteht, dem Verstande, wie er hier betrachtet wird, dem von der Sinnlichkeit abgesonderten, der Natur entfremdeten, theistischen Verstande. das unmittelbar durch sich selbst klare und gewisse, durch sich selbst begründete, wahre Wesen. Was daher selbst für sich keine Absichten hat, das muß den Grund seines Daseins in der Absicht eines andern und zwar verständigen Wesens haben. Und so setzt denn der Verstand sein Wesen als das ursächliche, erste, vorweltliche Wesen – d. h. er macht sich als das dem Range nach erste, der Zeit nach aber letzte Wesen der Natur zu dem auch der Zeit nach ersten Wesen.

Der Verstand ist sich das Kriterium aller Realität, aller Wirklichkeit. Was verstandlos ist, was sich widerspricht, ist Nichts; was der Vernunft widerspricht, widerspricht Gott. So widerspricht es z. B. der Vernunft, mit dem Begriffe der höchsten Realität die Schranken der Zeitlichkeit und Örtlichkeit zu verknüpfen, also verneint sie diese von Gott als widersprechend seinem Wesen. Die Vernunft kann nur an einen mit ihrem Wesen übereinstimmenden Gott glauben, an einen Gott, der nicht unter ihrer eignen Würde ist, der vielmehr nur ihr eignes Wesen darstellt – d. h., die Vernunft glaubt nur an sich, an die Realität, die Wahrheit ihres eignen Wesens. Die Vernunft macht nicht sich von Gott, sondern Gott von sich abhängig. Selbst im Zeitalter des wundergläubigen Autoritätsglaubens machte sich wenigstens formell der Verstand zum Kriterium der Gottheit. Gott ist Alles und kann Alles, so hieß es, vermöge seiner unendlichen Allmacht; aber gleichwohl ist er Nichts und kann er Nichts tun, was sich, d. h. der Vernunft widerspricht. Unvernünftiges kann auch die Allmacht nicht tun. Über der Macht der Allmacht steht also die höhere Macht der Vernunft; über dem Wesen Gottes das Wesen des Verstandes, als das Kriterium des von Gott zu Bejahenden und Verneinenden, des Positiven und Negativen. Kannst du einen Gott glauben, der ein unvernünftiges und leidenschaftliches Wesen ist? Nimmermehr; aber warum nicht? Weil es deinem Verstande widerspricht, leidenschaftliches und unvernünftiges Wesen als göttliches Wesen anzunehmen. Was bejahst du, was vergegenständlichst du also in Gott? Deinen eignen Verstand. Gott ist dein höchster Begriff und Verstand, dein höchstes Denkvermögen. Gott ist der »Inbegriff aller Realitäten«, d. h. der Inbegriff aller Verstandeswahrheiten. Was ich im Verstande als wesenhaft erkenne, setze ich in Gott als seiend: Gott ist, was der Verstand als das Höchste denkt. Was ich aber als wesenhaft erkenne, darin offenbart sich das Wesen meines Verstandes, darin zeigt sich die Kraft meines Denkvermögens.

Der Verstand ist also das Ens realissimum, das allerrealste Wesen der alten Ontotheologie. »Im Grunde können wir uns«, sagt die Ontotheologie, »Gott nicht anders denken, als wenn wir alles Reale, was wir bei uns selbst antreffen, ohne alle Schranken ihm beilegen.« Kant, Vorles. über d. philos. Religionsl., Leipzig 1817, p. 39. Unsre positiven, wesenhaften Eigenschaften, unsre Realitäten sind also die Realitäten Gottes, aber in uns sind sie mit, in Gott ohne Schranken. Aber wer zieht denn von den Realitäten die Schranken ab, wer tut sie weg? der Verstand. Was ist demnach das ohne alle Schranken gedachte Wesen anders, als das Wesen des alle Schranken weglassenden, wegdenkenden Verstandes? Wie du Gott denkst, so denkst du selbst – das Maß deines Gottes ist das Maß deines Verstandes. Denkst du Gott beschränkt, so ist dein Verstand beschränkt; denkst du Gott unbeschränkt, so ist auch dein Verstand nicht beschränkt. Denkst du dir z. B. Gott als ein körperliches Wesen, so ist die Körperlichkeit die Grenze, die Schranke deines Verstandes, du kannst dir nichts denken ohne Körper; sprichst du dagegen Gott die Körperlichkeit ab, so bekräftigst und betätigst du damit die Freiheit deines Verstandes von der Schranke der Körperlichkeit. In dem unbeschränkten Wesen versinnlichst du nur deinen unbeschränkten Verstand. Und indem du daher dieses uneingeschränkte Wesen für das allerwesenhafteste, höchste Wesen erklärst, sagst du in Wahrheit nichts weiter als: der Verstand ist das Etre suprême, das höchste Wesen.

Der Verstand ist ferner das selbständige und unabhängige Wesen. Abhängig und unselbständig ist, was keinen Verstand hat. Ein Mensch ohne Verstand ist auch ein Mensch ohne Willen. Wer keinen Verstand hat, läßt sich verführen, verblenden, von andern als Mittel gebrauchen. Wie sollte der im Willen eine Selbstzwecktätigkeit haben, der im Verstande ein Mittel anderer ist? Nur wer denkt, ist frei und selbständig. Nur durch seinen Verstand setzt der Mensch die Wesen außer und unter sich zu bloßen Mitteln seiner Existenz herab. Selbständig und unabhängig ist überhaupt nur, was sich selbst Zweck, sich selbst Gegenstand ist. Was Zweck und Gegenstand seiner selbst ist, das ist eben damit – insofern als es sich selbst Gegenstand – nicht mehr ein Mittel und Gegenstand für ein andres Wesen. Verstandeslosigkeit ist mit einem Worte Sein für Andres, Objekt, Verstand Sein für sich, Subjekt. Was aber nicht mehr für andres, sondern für sich selbst ist, das verwirft alle Abhängigkeit von einem andern Wesen. Wir hängen allerdings von den Wesen außer uns selbst im Momente des Denkens ab; aber insofern als wir denken, in der Verstandestätigkeit als solcher hängen wir von keinem andern Wesen ab. Dies gilt selbst vom Denkakt als physiologischem Akt, denn die Hirntätigkeit ist, ob sie gleich den Respirationsakt und andere Prozesse voraussetzt, eine eigne, selbständige Tätigkeit. Die Denktätigkeit ist Selbsttätigkeit. »Wenn ich denke«, sagt Kant in der eben angeführten Schrift, »so bin ich mir bewußt, daß mein Ich in mir denkt und nicht etwa ein anderes Ding. Ich schließe also, daß dieses Denken in mir nicht einem andern Dinge außer mir inhäriert, sondern mir selbst, folglich auch, daß ich Substanz bin, d.h., daß ich für mich selbst existiere, ohne Prädikat eines andern Dings zu sein.« Ob wir gleich immer der Luft bedürfen, so machen wir doch zugleich als Physiker die Luft aus einem Gegenstande des Bedürfnisses zu einem Gegenstand der bedürfnislosen Tätigkeit des Denkens, d.h. zu einem bloßen Ding für uns. Im Atmen bin ich das Objekt der Luft, die Luft das Subjekt; indem ich aber die Luft zum Gegenstande des Denkens, der Untersuchung, der Analyse mache, kehre ich dieses Verhältnis um, mache ich mich zum Subjekt, die Luft zum Objekt von mir. Abhängig ist aber nur, was Gegenstand eines andern Wesens ist. So ist die Pflanze abhängig von Luft und Licht, d.h. sie ist ein Gegenstand für Luft und Licht, nicht für sich. Freilich ist auch wieder Luft und Licht ein Gegenstand für die Pflanze. Das physische Leben ist überhaupt nichts andres, als dieser ewige Wechsel von Subjekt und Objekt, Zweck und Mittel sein. Wir verzehren die Luft und werden von ihr verzehrt; wir genießen und werden genossen. Nur der Verstand ist das Wesen, welches alle Dinge genießt, ohne von ihnen genossen zu werden – das nur sich selbst genießende, sich selbst genügende Wesen – das absolute Subjekt –, das Wesen, welches nicht mehr zum Gegenstand eines andern Wesens herabgesetzt werden kann, weil es alle Gegenstände zu Objekten, zu Prädikaten von sich selbst macht, welches alle Dinge in sich faßt, weil es selbst kein Ding, weil es frei von allen Dingen ist.

Die Einheit des Verstandes ist die Einheit Gottes. Dem Verstande ist das Bewußtsein seiner Einheit und Universalität wesentlich, er ist selbst nichts andres, als das Bewußtsein seiner als der absoluten Einheit, d.h.: was dem Verstande für verstandesgemäß gilt, das ist ihm ein absolutes, allgemein gültiges Gesetz; es ist ihm unmöglich zu denken, daß das, was sich widerspricht, was falsch, unsinnig ist, irgendwo wahr, und umgekehrt das, was wahr, was vernünftig, irgendwo falsch und unvernünftig sei. »Es kann intelligente Wesen geben, die mir nicht gleichen, und doch bin ich gewiß, daß es keine intelligenten Wesen gibt, die andre Gesetze und Wahrheit erkennen als ich, denn jeder Geist sieht notwendig ein, daß zwei mal zwei vier macht und daß man seinen Freund seinem Hunde vorziehen muß.« Malebranche. Ebenso sagt der Astronom Chr. Hugenius in seinem schon oben angeführten Cosmotheoros: »Sollte woanders eine von der unsrigen verschiedne Vernunft existieren? und auf dem Jupiter und Mars für ungerecht und verrucht gelten, was bei uns für gerecht und löblich gilt? Wahrlich das ist nicht wahrscheinlich und auch gar nicht möglich.« Von einem wesentlich andern Verstand, als dem im Menschen sich betätigenden Verstand habe ich auch nicht die entfernteste Vorstellung, die entfernteste Ahnung. Vielmehr ist jeder vermeintlich andere Verstand, den ich setze, nur eine Bejahung meines eignen Verstandes, d.h. eine Idee von mir, eine Vorstellung, die innerhalb mein Denkvermögen fällt, also meinen Verstand ausdrückt. Was ich denke, das tue ich selbst – natürlich nur bei rein intellektuellen Dingen –, was ich als verbunden denke, verbinde ich, was ich denke als getrennt, unterscheide ich, was ich denke als aufgehoben, als negiert, das negiere ich selbst. Denke ich mir also z.B. einen Verstand, in welchem die Anschauung oder Wirklichkeit des Gegenstandes unmittelbar mit dem Gedanken desselben verbunden ist, so verbinde ich sie wirklich; mein Verstand oder meine Einbildungskraft ist selbst das Verbindungsvermögen dieser Unterschiede oder Gegensätze. Wie wäre es denn möglich, daß du sie dir verbunden vorstelltest – sei diese Vorstellung nun deutlich oder konfus –, wenn du sie nicht in dir selbst verbändest? Wie aber auch nur immer der Verstand bestimmt werde, welchen ein bestimmtes menschliches Individuum im Unterschiede von dem seinigen annimmt – dieser andere Verstand ist nur der im Menschen überhaupt sich betätigende Verstand, der von den Schranken dieses bestimmten, zeitlichen Individuums abgesondert gedachte Verstand. Einheit liegt im Begriffe des Verstandes. Die Unmöglichkeit für den Verstand, sich zwei höchste Wesen, zwei unendliche Substanzen, zwei Götter zu denken, ist die Unmöglichkeit für den Verstand, sich selbst zu widersprechen, sein eignes Wesen zu verleugnen, sich selbst verteilt und vervielfältigt zu denken.

Der Verstand ist das unendliche Wesen. Unendlichkeit ist unmittelbar mit der Einheit; Endlichkeit mit der Mehrheit gesetzt. Endlichkeit – im metaphysischen Sinne – beruht auf dem Unterschied der Existenz vom Wesen, der Individualität von der Gattung; Unendlichkeit auf der Einheit von Existenz und Wesen. Endlich ist darum, was mit andern Individuen derselben Gattung verglichen werden kann; unendlich, was nur sich selbst gleich ist, nichts seinesgleichen hat, folglich nicht als Individuum unter einer Gattung steht, sondern ununterscheidbar in einem Gattung und Individuum, Wesen und Existenz ist. Aber so ist der Verstand; er hat sein Wesen in sich selbst, folglich nichts neben und außer sich, was ihm an die Seite gestellt werden könnte; er ist unvergleichbar, weil er selbst die Quelle aller Vergleichungen; unermeßlich, weil er das Maß aller Maße ist, wir alles nur durch den Verstand messen; er kann unter kein höheres Wesen, keine Gattung geordnet werden, weil er selbst das oberste Prinzip aller Unterordnungen ist, alle Dinge und Wesen sich selbst unterordnet. Die Definitionen der spekulativen Philosophen und Theologen von Gott als dem Wesen, bei welchem sich nicht Existenz und Wesen unterscheiden lassen, welches alle Eigenschaften, die es hat, selbst ist, so daß Prädikat und Subjekt in ihm identisch sind, alle diese Bestimmungen sind also auch nur vom Wesen des Verstandes abgezogne Begriffe.

Der Verstand oder die Vernunft ist endlich das notwendige Wesen. Die Vernunft ist, weil nur die Existenz der Vernunft Vernunft ist; weil, wenn keine Vernunft, kein Bewußtsein wäre, Alles Nichts, das Sein gleich Nichtsein wäre. Bewußtsein erst begründet den Unterschied von Sein und Nichtsein. Erst im Bewußtsein offenbart sich der Wert des Seins, der Wert der Natur. Warum ist überhaupt etwas, warum die Welt? aus dem einfachen Grunde, weil, wenn nicht Etwas existierte, das Nichts existierte, wenn nicht die Vernunft, nur Unvernunft wäre – also darum ist die Welt, weil es ein Unsinn ist, daß die Welt nicht ist. In dem Unsinn ihres Nichtseins findest du den wahren Sinn ihres Seins, in der Grundlosigkeit der Annahme, sie sei nicht, den Grund, warum sie ist. Nichts, Nichtsein ist zwecklos, sinnlos, verstandlos. Sein nur hat Zweck, hat Grund und Sinn; Sein ist, weil nur Sein Vernunft und Wahrheit ist; Sein ist das absolute Bedürfnis, die absolute Notwendigkeit. Was ist der Grund des sich fühlenden Seins, des Lebens? Das Bedürfnis des Lebens. Aber wem ist es Bedürfnis? Dem, was nicht lebt. Nicht ein sehendes Wesen hat das Auge gemacht; wenn es schon sieht, wozu macht es das Auge? Nein! nur das nicht sehende Wesen bedarf des Auges. Wir sind alle ohne Wissen und Willen in die Welt gekommen – aber nur dazu gekommen, daß Wissen und Willen sei. Woher ist also die Welt? Aus Not ist sie, aus Bedürfnis, aus Notwendigkeit, aber nicht aus einer Notwendigkeit, die in einem andern, von ihr unterschiedenen Wesen liegt – was ein reiner Widerspruch ist –, sondern aus eigenster, innerster Notwendigkeit, aus Notwendigkeit der Notwendigkeit, weil ohne Welt keine Notwendigkeit, ohne Notwendigkeit keine Vernunft, kein Verstand ist. Das Nichts, aus dem die Welt gekommen, ist das Nichts ohne die Welt. Allerdings ist also die Negativität, wie die spekulativen Philosophen sich ausdrücken, das Nichts der Grund der Welt – aber ein sich selbst aufhebendes Nichts –, d. h., das Nichts, welches per impossibile existierte, wenn keine Welt wäre. Allerdings entspringt die Welt aus einem Mangel, aus Penia, aber es ist falsche Spekulation, diese Penia zu einem ontologischen Wesen zu machen – dieser Mangel ist lediglich der Mangel, der im angenommenen Nichtsein der Welt liegt. Also ist die Welt nur aus sich selbst und durch sich selbst notwendig. Aber die Notwendigkeit der Welt ist die Notwendigkeit der Vernunft. Die Vernunft als der Inbegriff aller Realitäten – denn was sind alle Herrlichkeiten der Welt ohne das Licht, was ist aber das äußere Licht ohne das innere Licht? – die Vernunft ist das unentbehrlichste Wesen – das tiefste und wesentlichste Bedürfnis. Erst die Vernunft ist das Selbstbewußtsein des Seins, das selbstbewußte Sein; erst in der Vernunft offenbart sich der Zweck, der Sinn des Seins. Die Vernunft ist das sich als Selbstzweck gegenständliche Sein – der Endzweck der Dinge. Was sich selbst Gegenstand, das ist das höchste, das letzte Wesen, was seiner selbst mächtig, das ist allmächtig.


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