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Sechzehntes Kapitel

Das Geheimnis des christlichen Christus oder des persönlichen Gottes

Die Grunddogmen des Christentums sind erfüllte Herzenswünsche – das Wesen des Christentums ist das Wesen des Gemüts. Es ist gemütlicher, zu leiden, als zu handeln, gemütlicher, durch einen andern erlöst und befreit zu werden, als sich selbst zu befreien, gemütlicher, von einer Person, als von der Kraft der Selbsttätigkeit sein Heil abhängig zu machen, gemütlicher, zu lieben, als zu streben, gemütlicher, sich von Gott geliebt zu wissen, als sich selbst zu lieben mit der einfachen, natürlichen Selbstliebe, die allen Wesen eingeboren, gemütlicher, sich in den liebestrahlenden Augen eines andern persönlichen Wesens zu bespiegeln, als in den Hohlspiegel des eignen Selbsts oder in die kalte Tiefe des stillen Ozeans der Natur zu schauen, gemütlicher überhaupt, sich von seinem eignen Gemüte als von einem andern, aber doch im Grunde demselbigen Wesen bestimmen zu lassen, als sich selbst durch die Vernunft zu bestimmen. Das Gemüt ist überhaupt der Casus obliquus des Ich, das Ich im Akkusativ. Das Fichtesche Ich ist gemütlos, weil der Akkusativ dem Nominativ gleich ist, weil es ein Indeclinabile. Aber das Gemüt ist das von sich selbst bestimmte, und zwar das von sich, als wie von einem andern Wesen bestimmte Ich – das leidende Ich. Das Gemüt verwandelt das Aktiv im Menschen in ein Passiv und das Passiv in ein Aktiv: das Denkende ist dem Gemüte das Gedachte, das Gedachte das Denkende. Das Gemüt ist träumerischer Natur; darum weiß es auch nichts Seligeres, nichts Tieferes, als den Traum. Aber was ist der Traum? Die Umkehrung des wachen Bewußtseins. Im Traume ist das Handelnde das Leidende, das Leidende das Handelnde; im Traume nehme ich meine Selbstbestimmungen als Bestimmungen von außen, die Gemütsbewegungen als Ereignisse, meine Vorstellungen und Empfindungen als Wesen außer mir wahr, leide ich, was ich außerdem tue. Der Traum bricht die Strahlen des Lichts doppelt – daher sein unbeschreiblicher Reiz. Es ist dasselbe Ich, dasselbe Wesen im Traume, wie im Wachen; der Unterschied ist nur, daß im Wachen das Ich sich selbst bestimmt, im Traume von sich selbst, als wie von einem andern Wesen bestimmt wird. Ich denke mich – ist gemütlos, rationalistisch; ich bin gedacht von Gott und denke mich nur als gedacht von Gott – ist gemütvoll, ist religiös. Das Gemüt ist der Traum mit offnen Augen; die Religion der Traum des wachen Bewußtseins; der Traum der Schlüssel zu den Geheimnissen der Religion.

Das höchste Gesetz des Gemüts ist die unmittelbare Einheit des Willens und der Tat, des Wunsches und der Wirklichkeit. Dieses Gesetz erfüllt der Erlöser. Wie das äußerliche Wunder im Gegensatz zur natürlichen Tätigkeit die physischen Bedürfnisse und Wünsche des Menschen unmittelbar verwirklicht; so befriedigt der Erlöser, der Versöhner, der Gottmensch im Gegensatz zur moralischen Selbsttätigkeit des natürlichen oder rationalistischen Menschen unmittelbar die innern moralischen Bedürfnisse und Wünsche, indem er den Menschen der Vermittlungstätigkeit seinerseits überhebt. Was du wünschest, ist bereits ein Vollbrachtes. Du willst dir die Seligkeit erwerben, verdienen. Die Moral ist die Bedingung, das Mittel der Seligkeit. Aber du kannst es nicht – d. h. in Wahrheit: Du brauchst es nicht. Es ist schon geschehen, was du erst machen willst. Du hast dich nur leidend zu verhalten, du brauchst nur zu glauben, nur zu genießen. Du willst dir Gott geneigt machen, seinen Zorn beschwichtigen, Frieden haben vor deinem Gewissen. Aber dieser Friede existiert schon; dieser Friede ist der Mittler, der Gottmensch – er ist dein beschwichtigtes Gewissen, er die Erfüllung des Gesetzes und damit die Erfüllung deines eignen Wunsches und Strebens.

Darum ist aber auch jetzt nicht mehr das Gesetz, sondern der Erfüller des Gesetzes das Muster, die Richtschnur, das Gesetz deines Lebens. Wer das Gesetz erfüllt, hebt das Gesetz als solches auf. Das Gesetz hat nur Autorität, nur Gültigkeit der Gesetzwidrigkeit gegenüber. Wer aber das Gesetz vollkommen erfüllt, der sagt zum Gesetz: was du willst, das will ich von selbst, und was du nur befiehlst, bekräftige ich durch die Tat; mein Leben ist das wahre, das lebendige Gesetz. Der Erfüller des Gesetzes tritt daher notwendig an die Stelle des Gesetzes, und zwar als ein neues Gesetz, ein Gesetz, dessen Joch sanft und milde ist. Denn statt des nur kommandierenden Gesetzes stellt er sich selbst als Beispiel, als einen Gegenstand der Liebe, der Bewunderung und Nacheiferung hin und wird dadurch zum Erlöser von der Sünde. Das Gesetz gibt mir nicht die Kraft, das Gesetz zu erfüllen; nein! es ist barbarisch; es befiehlt nur, ohne sich darum zu bekümmern, ob ich es auch erfüllen kann und wie ich es erfüllen soll; es überläßt mich rat- und hülflos nur mir selbst. Aber wer mir mit seinem Beispiel voranleuchtet, der greift mir unter die Arme, der teilt mir seine eigne Kraft mit. Das Gesetz leistet keinen Widerstand der Sünde, aber Wunder wirkt das Beispiel. Das Gesetz ist tot; aber das Beispiel belebt, begeistert, reißt den Menschen unwillkürlich mit sich fort. Das Gesetz spricht nur zum Verstande und setzt sich direkt den Trieben entgegen; das Beispiel dagegen schmiegt sich an einen mächtigen, sinnlichen Trieb – an den unwillkürlichen Nachahmungstrieb an. Das Beispiel wirkt auf Gemüt und Phantasie. Kurz, das Beispiel hat magische, d.h. sinnliche Kräfte; denn die magische, d.i. unwillkürliche Anziehungskraft ist eine wesentliche Eigenschaft, wie der Materie überhaupt, so der Sinnlichkeit insbesondre. Die Alten sagten, wenn die Tugend sich sehen lassen könnte oder würde, so würde sie durch ihre Schönheit alle für sich gewinnen und begeistern. Die Christen waren so glücklich, auch diesen Wunsch erfüllt zu sehen. Die Heiden hatten ein ungeschriebenes, die Juden ein geschriebenes Gesetz, die Christen ein Exempel, ein Vorbild, ein sichtbares, persönlich lebendiges Gesetz, ein Fleisch gewordnes, ein menschliches Gesetz. Daher die Freudigkeit namentlich der ersten Christen – daher der Ruhm des Christentums, daß nur es allein die Kraft habe und gebe, der Sünde zu widerstehen. Und dieser Ruhm soll ihm, hier wenigstens, nicht abgestritten werden. Nur ist zu bemerken, daß die Kraft des Tugendexempels nicht sowohl die Macht der Tugend, als vielmehr die Macht des Beispiels überhaupt ist, gleichwie die Macht der religiösen Musik nicht die Macht der Religion, sondern die Macht der Musik ist, Interessant ist in dieser Beziehung das Selbstbekenntnis Augustins. (Confess. lib. X. c. 33.) daß daher das Tugendbild wohl tugendhafte Handlungen, aber deswegen noch nicht tugendhafte Gesinnungen und Beweggründe zur Folge hat. Aber dieser einfache und wahre Sinn von der erlösenden und versöhnenden Macht des Beispiels im Unterschiede von der Macht des Gesetzes, auf welchen wir den Gegensatz von Gesetz und Christus zurückführten, drückt keineswegs die volle religiöse Bedeutung der christlichen Erlösung und Versöhnung aus. In dieser dreht sich vielmehr alles um die persönliche Kraft jenes wunderbaren Mittelwesens, welches weder Gott, noch Mensch allein, sondern ein Mensch ist, der zugleich Gott, und ein Gott, der zugleich Mensch ist, und welches daher nur im Zusammenhang mit der Bedeutung des Wunders begriffen werden kann. In dieser ist der wunderbare Erlöser nichts andres, als der erfüllte Wunsch des Gemüts, frei zu sein von den Gesetzen der Moral, d. h. von den Bedingungen, an welche die Tugend auf dem natürlichen Weg gebunden ist, der erfüllte Wunsch, von den moralischen Übeln augenblicklich, unmittelbar, mit einem Zauberschlage, d. h. auf absolut subjektive, gemütliche Weise erlöst zu werden. »Gottes Wort«, sagt z. B. Luther, »richtet alle Dinge schleunig aus, bringet die Vergebung der Sünde und gibt dir das ewige Leben, und kostet nicht mehr, denn daß du das Wort hörest und wenn du es gehört hast, gläubest. Gläubest du es, so hast du es ohne alle Mühe, Kost, Verzug und BeschwerungT. XVI. p. 490 Aber das Anhören des Wortes Gottes, dessen Folge der Glaube ist, das ist selbst eine »Gabe Gottes«. Also ist der Glaube nichts andres als ein psychologisches Wunder, ein Wunderwerk Gottes im Menschen, wie Luther gleichfalls selber sagt. Aber frei von der Sünde oder vielmehr dem Schuldbewußtsein wird der Mensch nur durch den Glauben – die Moral ist abhängig vom Glauben, die Tugenden der Heiden sind nur glänzende Laster –, also moralisch frei und gut nur durch das Wunder.

Daß die Wunderkraft eins ist mit dem Begriffe des Mittelwesens, ist historisch selbst schon dadurch erwiesen, daß die Wunder des alten Testaments, die Gesetzgebung, die Vorsehung, kurz alle die Bestimmungen, welche das Wesen der Religion ausmachen, schon im spätern Judentum in die göttliche Weisheit, in den Logos verlegt wurden. Dieser Logos schwebt aber bei Philo noch in der Luft zwischen Himmel und Erde, bald als ein nur Gedachtes, bald als ein Wirkliches, d. h., Philo schwankt zwischen der Philosophie und Religion, zwischen dem metaphysischen, abstrakten und dem eigentlich religiösen, wirklichen Gott. Erst im Christentum befestigte und beleibte sich dieser Logos, wurde er aus einem Gedankenwesen ein wirkliches Wesen, d.h., die Religion konzentrierte sich jetzt ausschließlich auf das Wesen, das Objekt, welches ihre wesentliche Natur begründet. Der Logos ist das personifizierte Wesen der Religion. Wenn daher Gott als das Wesen des Gemüts bestimmt wurde, so hat dies erst im Logos seine volle Wahrheit.

Gott als Gott ist noch das verschlossene, verborgne Gemüt; das aufgeschlossene, offne, sich gegenständliche Gemüt oder Herz ist erst Christus. Erst in Christus ist das Gemüt vollkommen seiner selbst gewiß und versichert, außer allem Zweifel über die Wahrhaftigkeit und Göttlichkeit seines eignen Wesens; denn Christus schlägt nichts dem Gemüte ab; er erfüllt alle seine Bitten. In Gott verschweigt noch das Gemüt, was ihm auf dem Herzen liegt; es seufzt nur; aber in Christus spricht es sich vollkommen aus; hier behält es nichts mehr für sich zurück. Der Seufzer ist der noch ängstliche Wunsch; er drückt sich mehr durch die Klage aus, daß das nicht ist, was er wünscht, als daß er offen, bestimmt heraussagt, was er will; im Seufzer zweifelt noch das Gemüt an der Rechtskräftigkeit seiner Wünsche. Aber in Christus ist alle Seelenangst verschwunden; er ist der in Siegesgesang über seine Erfüllung übergegangne Seufzer, die frohlockende Gewißheit des Gemüts von der Wahrheit und Wirklichkeit seiner in Gott verborgnen Wünsche, der tatsächliche Sieg über den Tod, über alle Gewalt der Welt und Natur, die nicht mehr nur gehoffte, die bereits vollbrachte Auferstehung; er ist das Herz, das aller drückenden Schranken, aller Leiden frei und ledig ist, das selige Gemüt – die sichtbare Gottheit.

»Weil uns Gott seinen Sohn gegeben, so hat er uns alles mit ihm geben, es heiße Teufel, Sünde, Tod, Hölle, Himmel, Gerechtigkeit, Leben; alles, alles muß es unser sein, weil der Sohn, als ein Geschenk, unser ist, in welchem alles miteinander istLuther (T. XV. p. 311). »Das beste Stück an der Auferstehung ist schon geschehen; Christus, das Haupt der ganzen Christenheit, ist durch den Tod hindurch und von den Toten auferstanden. Zudem ist das fürnehmste Stück an mir, meine Seele, auch hindurch durch den Tod und mit Christo im himmlischen Wesen. Was kann mir denn das Grab und der Tod schaden.« (T. XVI. p. 235.) »Ein Christenmensch hat gleiche Gewalt mit Christo, ist eine Gemeine und sitzet mit ihm in gesamten Lehn.« (T. XIII. p. 648.) »Wer sich nun an Christum hängt und hält, der hat soviel als er.« (T. XVI. p. 574.)

Gott zu sehen, dies ist der höchste Wunsch, der höchste Triumph des Herzens. Christus ist dieser erfüllte Wunsch, dieser Triumph. Gott nur gedacht, nur als Denkwesen, d. i. Gott als Gott ist immer nur ein entferntes Wesen, das Verhältnis zu ihm ein abstraktes, gleich dem Freundschaftsverhältnis, in welchem wir zu einem räumlich entfernten, persönlich uns unbekannten Menschen stehen. So sehr auch seine Werke, die Beweise von Liebe, die er uns gibt, uns sein Wesen vergegenwärtigen, es bleibt doch stets eine unausgefüllte Lücke, das Herz unbefriedigt; wir sehnen uns darnach, ihn zu sehen. Solange uns ein Wesen nicht von Angesicht zu Angesicht bekannt ist, sind wir doch immer noch im Zweifel, ob es wohl ist und so ist, wie wir es vorstellen; erst im Sehen liegt die letzte Zuversicht, die vollständige Beruhigung. Christus ist der persönlich bekannte Gott, Christus daher die selige Gewißheit, daß Gott ist und so ist, wie es das Gemüt will und bedarf, daß er ist. Gott als Gegenstand des Gebets ist wohl schon ein menschliches Wesen, indem er an menschlichem Elend teilnimmt, menschliche Wünsche erhört, aber er ist doch noch nicht als wirklicher Mensch dem religiösen Bewußtsein Gegenstand. Erst in Christus ist daher der letzte Wunsch der Religion verwirklicht, das Geheimnis des religiösen Gemütes aufgelöst – aufgelöst aber in der der Religion eigentümlichen Bildersprache – denn, was Gott im Wesen ist, das ist in Christus zur Erscheinung gekommen. Insofern kann man die christliche Religion mit vollem Rechte die absolute, die vollkommne nennen. Daß Gott, der an sich nichts andres als das Wesen des Menschen ist, auch als solches verwirklicht werde, als Mensch dem Bewußtsein Gegenstand sei, das ist das Ziel der Religion. Und dieses erreichte die christliche Religion in der Menschwerdung Gottes, die keineswegs ein vorübergehender Akt ist, denn Christus bleibt auch noch nach seiner Himmelfahrt Mensch, Mensch von Herzen und Mensch von Gestalt, nur daß jetzt sein Leib nicht mehr ein irdischer, dem Leiden unterworfner Körper ist.

Die Menschwerdungen Gottes bei den Orientalen, wie namentlich den Indern, haben keine so intensive Bedeutung, als die christliche. Eben weil sie oft geschehen, werden sie gleichgültig, verlieren sie ihren Wert. Die Menschheit Gottes ist seine Persönlichkeit; Gott ist ein persönliches Wesen, heißt: Gott ist ein menschliches Wesen, Gott ist Mensch. Die Persönlichkeit ist ein Gedanke, der nur als wirklicher Mensch Wahrheit hat. Hieraus erhellt die Unwahrhaftigkeit und Eitelkeit der modernen Spekulation über die Persönlichkeit Gottes. Schämt ihr euch nicht eines persönlichen Gottes, so schämt euch auch nicht eines fleischlichen Gottes. Eine abstrakte farblose Persönlichkeit, eine Persönlichkeit ohne Fleisch und Blut ist ein hohles Gespenst. Der Sinn, der den Menschwerdungen Gottes zugrunde liegt, ist daher unendlich besser erreicht durch eine Menschwerdung, eine Persönlichkeit. Wo Gott in mehreren Personen nacheinander erscheint, da sind diese Persönlichkeiten verschwindende. Aber es handelt sich eben um eine bleibende Persönlichkeit, eine ausschließende Persönlichkeit. Wo viele Inkarnationen vorkommen, da ist Raum gegeben für noch unzählig viele andere; die Phantasie ist nicht beschränkt; da treten auch die bereits wirklichen in die Kategorie der nur möglichen oder vorstellbaren, in die Kategorie von Phantasien oder von bloßen Erscheinungen. Wo aber ausschließlich eine Persönlichkeit als die Inkarnation der Gottheit geglaubt und angeschaut wird, da imponiert diese sogleich mit der Macht einer historischen Persönlichkeit; die Phantasie ist abgetan, die Freiheit, noch andere sich vorzustellen, aufgegeben. Diese eine Persönlichkeit nötigt mir den Glauben an ihre Wirklichkeit auf. Der Charakter der wirklichen Persönlichkeit ist eben die Ausschließlichkeit – das Leibnizsche Prinzipium des Unterschieds, daß nichts Existierendes dem andern vollkommen gleich ist. Der Ton, der Nachdruck, mit dem die Eine Persönlichkeit ausgesprochen wird, macht einen solchen Eindruck auf das Gemüt, daß sie unmittelbar als eine wirkliche sich darstellt, aus einem Gegenstand der Phantasie zu einem Gegenstand der gemeinen historischen Anschauung wird.

Die Sehnsucht ist die Notwendigkeit des Gemüts; und das Gemüt sehnt sich nach einem persönlichen Gott. Aber diese Sehnsucht nach der Persönlichkeit Gottes ist nur eine wahre, ernste, tiefe, wenn sie die Sehnsucht nach einer Persönlichkeit ist, wenn sie sich mit einer begnügt. Mit der Mehrheit der Personen schwindet die Wahrheit des Bedürfnisses, wird die Persönlichkeit zu einem Luxusartikel der Phantasie. Was aber mit der Gewalt der Notwendigkeit, das wirkt mit der Gewalt der Wirklichkeit auf den Menschen. Was namentlich dem Gemüt ein notwendiges, das ist ihm unmittelbar auch ein wirkliches Wesen. Die Sehnsucht sagt: es muß ein persönlicher Gott sein, d. h. er kann nicht nicht sein, das befriedigte Gemüt: er ist. Die Bürgschaft seiner Existenz liegt für das Gemüt in der Notwendigkeit seiner Existenz – die Notwendigkeit der Befriedigung in der Gewalt des Bedürfnisses. Die Not kennt kein Gesetz außer sich; die Not bricht Eisen. Das Gemüt kennt aber keine andere Notwendigkeit, als die Gemütsnotwendigkeit, die Sehnsucht: es verabscheut die Notwendigkeit der Natur, die Notwendigkeit der Vernunft. Notwendig ist also dem Gemüte ein subjektiver, gemütlicher, persönlicher Gott; aber notwendig nur eine Persönlichkeit, und diese eine notwendig eine historische, wirkliche Persönlichkeit. Nur in der Einheit der Persönlichkeit befriedigt, sammelt sich das Gemüt; die Mehrheit zerstreut.

Wie aber die Wahrheit der Persönlichkeit die Einheit, die Wahrheit der Einheit die Wirklichkeit, so ist die Wahrheit der wirklichen Persönlichkeit – das Blut. Der letzte, von dem Verfasser des vierten Evangeliums mit besonderm Nachdruck hervorgehobne Beweis, daß die sichtbare Person Gottes kein Phantasma, keine Illusion, sondern wirklicher Mensch gewesen, ist, daß Blut aus seiner Seite am Kreuze geflossen. Wo der persönliche Gott eine wahre Herzensnot ist, da muß er selbst Not leiden. Nur in seinem Leiden liegt die Gewißheit seiner Wirklichkeit; nur darauf der wesentliche Ein- und Nachdruck der Inkarnation. Gott sehen genügt dem Gemüte nicht; die Augen geben noch keine hinlängliche Bürgschaft. Die Wahrheit der Gesichtsvorstellung bekräftigt nur das Gefühl. Aber wie subjektiv das Gefühl, so ist auch objektiv die Fühlbarkeit, Antastbarkeit, Leidensfähigkeit das letzte Wahrzeichen der Wirklichkeit – das Leiden Christi daher die höchste Zuversicht, der höchste Selbstgenuß, der höchste Trost des Gemütes; denn nur im Blute Christi ist der Durst nach einem persönlichen, d. i. menschlichen, teilnehmenden, empfindenden Gotte gestillt.

»Darum wir es für einen schädlichen Irrtum halten, da Christo nach seiner Menschheit solche (nämlich göttliche) Majestät entzogen, dadurch den Christen ihr höchster Trost genommen, den sie in ... Verheißung von der Gegenwärtigkeit und Beiwohnung ihres Haupts, Königs und Hohenpriesters haben, der ihnen versprochen hat, daß nicht allein seine bloße Gottheit, welche gegen uns arme Sünder wie ein verzehrendes Feuer gegen dürre Stoppeln ist, sondern Er, Er, der Mensch, der mit ihnen geredet hat, der alle Trübsal in seiner angenommenen menschlichen Gestalt versucht hat, der dahero auch mit uns, als mit Menschen und seinen Brüdern ein Mitleiden haben kann, der wolle bei uns sein in allen unsern Nöten, auch nach der Natur, nach welcher er unser Bruder ist und wir Fleisch von seinem Fleische sind Konkordienb. Erklär. Art. 8.

Oberflächlich ist es, wenn man gesagt, das Christentum sei nicht die Religion von einem persönlichen Gott, sondern von drei Persönlichkeiten. Diese drei Persönlichkeiten haben allerdings in der Dogmatik Existenz; aber auch hier ist die Persönlichkeit des heiligen Geistes nur ein willkürlicher Machtspruch, welcher durch die unpersönlichen Bestimmungen, wie z.B. die, daß der heil. Geist die Gabe, das donum des Vaters und Sohnes sei, widerlegt wird. Schon Faustus Socinus hat dies aufs trefflichste gezeigt. S. dessen Defens. Animadv. in Assert. Theol. Coli. Posnan. de trino et uno Deo Irenopoli. 1656, c. 11. Schon der Ausgang des heil. Geistes stellt seiner Persönlichkeit ein ungünstiges Prognostikon, denn nur durch die Zeugung, nicht aber durch das unbestimmte Aus- und Hervorgehen oder durch das Hauchen, die Spiratio, wird ein persönliches Wesen hervorgebracht. Und selbst der Vater, als Repräsentant des rigorosen Begriffes der Gottheit, ist nur der Einbildung und Behauptung nach, aber nicht seinen Bestimmungen nach ein persönliches Wesen: er ist ein abstrakter Begriff, ein nur gedachtes Wesen. Die plastische Persönlichkeit ist nur Christus. Zur Persönlichkeit gehört Gestalt; die Gestalt ist die Wirklichkeit der Persönlichkeit. Christus allein ist der persönliche Gott – er der wahre, wirkliche Gott der Christen, was nicht oft genug wiederholt werden kann. Man lese in dieser Beziehung besonders die Schriften der christlichen Orthodoxen gegen die Heterodoxen, z.B. gegen die Socinianer. Neuere Theologen erklären bekanntlich auch die kirchliche Gottheit Christi für unbiblisch; aber gleichwohl ist diese unleugbar das charakteristische Prinzip des Christentums, und wenn sie auch nicht so in der Bibel schon steht, wie in der Dogmatik, dennoch eine notwendige Konsequenz der Bibel. Was kann ein Wesen, welches die leibhafte Fülle der Gottheit, welches allwissend (Joh. 16, 30) und allmächtig ist (Tote erweckt, Wunder wirkt), welches allen Dingen und Wesen der Zeit und dem Range nach vorangeht, welches das Leben in sich selbst hat (wenn auch als gegeben) gleichwie der Vater das Leben in sich hat, was kann dieses Wesen, konsequent gefolgert, anders als Gott sein? »Christus ist dem Willen nach mit dem Vater eins«; aber Willenseinheit setzt Wesenseinheit voraus. »Christus ist der Abgesandte, der Stellvertreter Gottes«; aber Gott kann sich nur durch ein göttliches Wesen vertreten lassen. Nur den, in welchem ich gleiche oder doch ähnliche Eigenschaften, wie in mir finde, kann ich zu meinem Stellvertreter oder Gesandten wählen, sonst blamiere ich mich selbst. In ihm allein konzentriert sich die christliche Religion, das Wesen der Religion überhaupt. Nur er entspricht der Sehnsucht nach einem persönlichen Gott; nur er ist eine dem Wesen des Gemüts entsprechende Existenz; nur auf ihn häufen sich alle Freuden der Phantasie und alle Leiden des Gemüts; nur in ihm erschöpft sich das Gemüt und erschöpft sich die Phantasie. Christus ist die Einheit von Gemüt und Phantasie.

Dadurch unterscheidet sich das Christentum von andern Religionen, daß in diesen Herz und Phantasie auseinandergehen, im Christentum aber zusammenfallen. Die Phantasie schweift hier nicht sich selbst überlassen herum; sie folgt dem Zuge des Herzens; sie schreibt einen Kreis, dessen Mittelpunkt das Gemüt ist. Die Phantasie ist hier beschränkt durch Herzensbedürfnisse, erfüllt nur die Wünsche des Gemüts, bezieht sich nur auf das eine, was not ist; kurz, sie hat, wenigstens im ganzen, eine praktische, gesammelte, keine ausschweifende, nur poetische Tendenz. Die Wunder des Christentums, empfangen im Schoße des notleidenden, bedürftigen Gemüts, keine Produkte nur der freien, willkürlichen Selbsttätigkeit, versetzen uns unmittelbar auf den Boden des gemeinen, wirklichen Lebens; sie wirken auf den Gemütsmenschen mit unwiderstehlicher Gewalt, weil sie die Notwendigkeit des Gemüts für sich haben. Kurz, die Macht der Phantasie ist hier zugleich die Macht des Herzens, die Phantasie nur das siegreiche, triumphierende Herz. Bei den Orientalen, bei den Griechen schwelgte die Phantasie, unbekümmert um die Not des Herzens, im Genusse irdischer Pracht und Herrlichkeit; im Christentume stieg sie aus dem Palaste der Götter herab in die Wohnung der Armut, wo nur die Notwendigkeit des Bedürfnisses waltet, demütigte sie sich unter die Herrschaft des Herzens. Aber je mehr sie sich äußerlich beschränkte, um so mehr gewann sie an Kraft. An der Not des Herzens scheiterte der Mutwille der olympischen Götter; aber allmächtig wirkt die Phantasie im Bunde mit dem Herzen. Und dieser Bund der Freiheit der Phantasie mit der Notwendigkeit des Herzens ist Christus. Alle Dinge sind Christo Untertan; er ist der Herr der Welt, der mit ihr macht, was er nur will; aber diese über die Natur unbeschränkt gebietende Macht ist selbst wieder Untertan der Macht des Herzens: Christus gebietet der tobenden Natur Stillschweigen, aber nur um zu erhören die Seufzer der Notleidenden.


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