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Viertes Kapitel

Gott als moralisches Wesen oder Gesetz

Gott als Gott – das unendliche, allgemeine, anthropomorphismenlose Wesen des Verstandes hat für die Religion nicht mehr Bedeutung, als für eine besondere Wissenschaft ein allgemeiner Grundsatz, womit sie anfängt; es ist nur der oberste, letzte Anhalts- und Anknüpfungspunkt, gleichsam der mathematische Punkt der Religion. Das Bewußtsein der menschlichen Beschränktheit und Nichtigkeit, welches sich mit dem Bewußtsein dieses Wesens verbindet, ist keineswegs ein religiöses Bewußtsein; es bezeichnet vielmehr den Skeptiker, den Materialisten, den Naturalisten, den Pantheisten. Der Glaube an Gott – wenigstens den Gott der Religion – geht nur da verloren, wo, wie im Skeptizismus, Pantheismus, Materialismus, der Glaube an den Menschen, wenigstens den Menschen, wie er in der Religion gilt, verloren wird. Sowenig es daher der Religion Ernst ist und sein kann mit der Nichtigkeit des Menschen, Die Vorstellung oder der Ausdruck von der Nichtigkeit des Menschen vor Gott innerhalb der Religion ist der Zorn Gottes; denn wie die Liebe Gottes die Bejahung, so ist sein Zorn die Verneinung des Menschen. Aber eben mit diesem Zorne ist es nicht Ernst. »Gott ... nicht recht zornig ist. Es ist sein rechter Ernst nicht, wenn man gleich meinet, er zürne und strafe.« Luther, Sämmtl. Schriften und Werke, Leipzig 1729, Th. VIII, S. 208. Diese Ausgabe ist es, nach welcher immer nur mit Angabe des »Theils« zitiert wird. sowenig ist es ihr Ernst mit jenem abstrakten Wesen, womit sich das Bewußtsein dieser Nichtigkeit verbindet. Ernst ist es der Religion nur mit den Bestimmungen, welche dem Menschen den Menschen vergegenständlichen. Den Menschen verneinen, heißt: die Religion verneinen.

Es liegt wohl im Interesse der Religion, daß das ihr gegenständliche Wesen ein andres sei als der Mensch; aber es liegt ebenso, ja noch mehr in ihrem Interesse, daß dieses andre Wesen zugleich ein menschliches sei. Daß es ein andres sei, dies betrifft nur die Existenz, daß es aber ein menschliches sei, die innere Wesenheit desselben. Wenn es ein andres dem Wesen nach wäre, was könnte auch dem Menschen an seinem Sein oder Nichtsein gelegen sein? Wie könnte er an der Existenz desselben so inniges Interesse nehmen, wenn nicht sein eignes Wesen dabei beteiligt wäre?

Ein Beispiel. »Wenn ich das glaube«, heißt es im Konkordienbuch, »daß allein die menschliche Natur für mich gelitten hat, so ist mir der Christus ein schlechter Heiland, so bedarf er wohl selbst eines Heilands.« Es wird also über den Menschen hinausgegangen, ein andres, vom Menschen unterschiednes Wesen aus Heilsbedürfnis verlangt. Aber sowie dieses andre Wesen gesetzt ist, so entsteht auch sogleich das Verlangen des Menschen nach sich selbst, nach seinem Wesen, so wird auch sogleich der Mensch wieder gesetzt. »Hie ist Gott, der nicht Mensch ist und noch nie Mensch worden. Mir aber des Gottes nicht... Es sollt' mir ein schlechter Christus bleiben, der... allein ein bloßer abgesonderter Gott und göttliche Person... ohne Menschheit. Nein, Gesell, wo du mir Gott hinsetzest, da mußt du mir die Menschheit mit hinsetzen

Der Mensch will in der Religion sich befriedigen; die Religion ist sein höchstes Gut. Aber wie könnte er in Gott Trost und Frieden finden, wenn Gott ein wesentlich andres Wesen wäre? Wie kann ich den Frieden eines Wesens teilen, wenn ich nicht seines Wesens bin? Wenn sein Wesen ein andres, so ist auch sein Friede ein wesentlich andrer, kein Friede für mich. Wie kann ich also seines Friedens teilhaftig werden, wenn ich nicht seines Wesens teilhaftig werden kann, wie aber seines Wesens teilhaftig werden, wenn ich wirklich andern Wesens bin? Friede empfindet alles, was lebt, nur in seinem eignen Element, nur in seinem eignen Wesen. Empfindet also der Mensch Frieden in Gott, so empfindet er ihn nur, weil Gott erst sein wahres Wesen, weil er hier erst bei sich selbst ist, weil alles, worin er bisher Frieden suchte und was er bisher für sein Wesen nahm, ein andres, fremdes Wesen war. Und soll und will daher der Mensch in Gott sich befriedigen, so muß er sich in Gott finden. »Es wird niemand die Gottheit schmecken, denn wie sie will geschmecket sein, nämlich, daß sie in der Menschheit Christi betrachtet werde, und wenn du nicht also die Gottheit findest, so wirst du nimmermehr Ruhe haben.« Luther, T. III, p. 589. »Ein jeglich Ding ruhet in der Stätte, aus der es geboren ist. Die Stätte, aus der ich geboren bin, das ist die Gottheit. Die Gottheit ist mein Vaterland. Habe ich einen Vater in der Gottheit? Ja, ich habe nicht allein einen Vater da, sondern ich habe mich selber da; ehe daß ich an mir selber ward, da war ich in der Gottheit geboren.« Predigten etzlicher Lehrer vor und zu Tauleri Zeiten, Hamburg 1621, p. 81.

Ein Gott, welcher nur das Wesen des Verstandes ausdrückt, befriedigt darum nicht die Religion, ist nicht der Gott der Religion. Der Verstand interessiert sich nicht nur für den Menschen, sondern auch für die Wesen außer dem Menschen, für die Natur. Der Verstandesmensch vergißt sogar über der Natur sich selbst. Die Christen verspotteten die heidnischen Philosophen, weil sie statt an sich, an ihr Heil, nur an die Dinge außer ihnen gedacht hätten. Der Christ denkt nur an sich. Der Verstand betrachtet mit demselben Enthusiasmus den Floh, die Laus, als das Ebenbild Gottes, den Menschen. Der Verstand ist die » absolute Indifferenz und Identität« aller Dinge und Wesen. Nicht dem Christentum, nicht der Religionsbegeisterung – dem Verstandesenthusiasmus nur verdanken wir das Dasein einer Botanik, einer Mineralogie, einer Zoologie, einer Physik und Astronomie. Kurz der Verstand ist ein universales, pantheistisches Wesen, die Liebe zum Universum; aber die charakteristische Bestimmung der Religion, insbesondere der christlichen, ist, daß sie ein durchaus anthropotheistisches Wesen, die ausschließliche Liebe des Menschen zu sich selbst, die ausschließliche Selbstbejahung des menschlichen und zwar subjektiv menschlichen Wesens ist; denn allerdings bejaht auch der Verstand das Wesen des Menschen, aber das objektive, das auf den Gegenstand um des Gegenstandes willen sich beziehende Wesen, dessen Darstellung eben die Wissenschaft ist. Es muß daher noch etwas ganz andres, als das Wesen des Verstandes, dem Menschen in der Religion Gegenstand werden, wenn er sich in ihr befriedigen will und soll, und dieses Etwas wird und muß den eigentlichen Kern der Religion enthalten.

Die in der Religion, zumal der christlichen, vor allen andern hervortretende Verstandes- oder Vernunftbestimmung Gottes ist die der moralischen Vollkommenheit. Gott als moralisch vollkommnes Wesen ist aber nichts andres, als die realisierte Idee, das personifizierte Gesetz der Moralität, Selbst Kant sagt schon in seinen bereits mehrmals angeführten, noch unter Friedrich II. gehaltnen Vorlesungen über philosoph. Religionslehre S. 135: » Gott ist gleichsam das moralische Gesetz selbst, aber personifiziert gedacht das als absolutes Wesen gesetzte moralische Wesen des Menschen – des Menschen eignes Wesen; denn der moralische Gott stellt die Forderung an den Menschen, zu sein, wie Er selbst ist: » Heilig ist Gott, ihr sollt heilig sein, wie Gott« – des Menschen eignes Gewissen, denn wie könnte er sonst vor dem göttlichen Wesen erzittern, vor ihm sich anklagen, wie es zum Richter seiner innersten Gedanken und Gesinnungen machen?

Aber das Bewußtsein des moralisch vollkommnen Wesens als das Bewußtsein eines abstrakten, von allen Anthropopatismen abgesonderten Wesens läßt uns kalt und leer, weil wir den Abstand, die Lücke zwischen uns und diesem Wesen fühlen – es ist ein herzloses Bewußtsein, denn es ist das Bewußtsein unsrer persönlichen Nichtigkeit, und zwar der allerempfindlichsten, der moralischen Nichtigkeit. Das Bewußtsein der göttlichen Allmacht und Ewigkeit im Gegensatze zu meiner Beschränktheit in Raum und Zeit tut mir nicht wehe; denn die Allmacht gebietet mir nicht, selbst allmächtig, die Ewigkeit nicht, selbst ewig zu sein. Aber der moralischen Vollkommenheit kann ich mir nicht bewußt werden, ohne derselben zugleich als eines Gesetzes für mich bewußt zu werden. Die moralische Vollkommenheit hängt, wenigstens für das moralische Bewußtsein, nicht von der Natur, sondern allein vom Willen ab, sie ist eine Willensvollkommenheit, der vollkommne Wille. Den vollkommnen Willen, den Willen, der eins mit dem Gesetze, der selbst Gesetz ist, kann ich nicht denken, ohne ihn zugleich als Willensobjekt, d. h. als Sollen für mich zu denken. Kurz, die Vorstellung des moralisch vollkommnen Wesens ist keine nur theoretische, friedliche, sondern zugleich praktische, zur Handlung, zur Nachahmung auffordernde, mich in Spannung, in Zwiespalt mit mir selbst versetzende Vorstellung; denn indem sie mir zuruft, was ich sein soll, sagt sie mir zugleich ohne alle Schmeichelei ins Gesicht, was ich nicht bin. »Was nun unserm Eigendünkel in unserm eigenen Urteil Abbruch tut, das demütigt. Also demütigt das moralische Gesetz unvermeidlich jeden Menschen, indem dieser mit demselben den sinnlichen Hang seiner Natur vergleicht.« Kant, Kritik der prakt. Vernunft, 4. Aufl., p. 132. Und dieser Zwiespalt ist in der Religion um so qualvoller, um so schrecklicher, als sie des Menschen eignes Wesen ihm als ein andres Wesen entgegensetzt und noch dazu als ein persönliches Wesen, als ein Wesen, welches die Sünder von seiner Gnade, der Quelle alles Heils und Glücks, ausschließt, haßt, verflucht.

Wodurch erlöst sich nun aber der Mensch von diesem Zwiespalt zwischen sich und dem vollkommnen Wesen, von der Pein des Sündenbewußtseins, von der Qual des Nichtigkeitsgefühles? Wodurch stumpft er der Sünde ihren tödlichen Stachel ab? Nur dadurch, daß er sich des Herzens, der Liebe als der höchsten, als der absoluten Macht und Wahrheit bewußt wird, daß er das göttliche Wesen nicht nur als Gesetz, als moralisches Wesen, als Verstandeswesen, sondern vielmehr als ein liebendes, herzliches, selbst subjektiv menschliches Wesen anschaut.

Der Verstand urteilt nur nach der Strenge des Gesetzes; das Herz akkommodiert sich, ist billig, nachsichtig, rücksichtsvoll, ανδοωπον. Dem Gesetze, das nur die moralische Vollkommenheit uns vorhält, genügt keiner; aber darum genügt auch das Gesetz nicht dem Menschen, dem Herzen. Das Gesetz verdammt; das Herz erbarmt sich auch des Sünders. Das Gesetz bejaht mich nur als abstraktes, das Herz als wirkliches Wesen. Das Herz gibt mir das Bewußtsein, daß ich Mensch, das Gesetz nur das Bewußtsein, daß ich Sünder, daß ich nichtig bin. »Wir alle haben gesündigt... Mit dem Gesetz begannen die Vatermörder.« Seneca. »Das Gesetz bringet uns um.« Luther (Th. XVI, S. 320). Das Gesetz unterwirft sich den Menschen, die Liebe macht ihn frei.

Die Liebe ist das Band, das Vermittlungsprinzip zwischen dem Vollkommnen und Unvollkommnen, dem sündlosen und sündhaften Wesen, dem Allgemeinen und Individuellen, dem Gesetz und dem Herzen, dem Göttlichen und Menschlichen. Die Liebe ist Gott selbst und außer ihr ist kein Gott. Die Liebe macht den Menschen zu Gott und Gott zum Menschen. Die Liebe stärket das Schwache und schwächt das Starke, erniedrigt das Hohe und erhöhet das Niedrige, idealisiert die Materie und materialisiert den Geist. Die Liebe ist die wahre Einheit Gott und Mensch, von Geist und Natur. In der Liebe ist die gemeine Natur Geist und der vornehme Geist Natur. Lieben heißt vom Geiste aus: den Geist, von der Materie aus: die Materie aufheben. Liebe ist Materialismus; immaterielle Liebe ist ein Unding. In der Sehnsucht der Liebe nach dem entfernten Gegenstand bekräftigt der abstrakte Idealist wider Willen die Wahrheit der Sinnlichkeit. Aber zugleich ist die Liebe der Idealismus der Natur; Liebe ist Geist, Esprit. Nur die Liebe macht die Nachtigall zur Sängerin; nur die Liebe schmückt die Befruchtungswerkzeuge der Pflanze mit einer Blumenkrone. Und welche Wunder tut nicht die Liebe selbst in unserm gemeinen bürgerlichen Leben! Was der Glaube, die Konfession, der Wahn trennt, das verbindet die Liebe. Selbst unsre hohe Noblesse identifiziert humoristisch genug die Liebe mit dem bürgerlichen Pöbel. Was die alten Mystiker von Gott sagten, daß er sei das höchste und doch das gemeinste Wesen, das gilt in Wahrheit von der Liebe, und zwar nicht einer erträumten, imaginären Liebe, nein! von der wirklichen Liebe, von der Liebe, die Fleisch und Blut hat.

Ja nur von der Liebe, die Fleisch und Blut hat, denn nur diese kann die Sünden erlassen, welche Fleisch und Blut begangen. Ein nur moralisches Wesen kann nicht vergeben, was gegen das Gesetz der Moralität ist. Was das Gesetz negiert, wird selbst vom Gesetze negiert. Der moralische Richter, welcher nicht menschliches Blut in sein Urteil einfließen läßt, verurteilt unnachsichtlich, unerbittlich den Sünder. Indem daher Gott als ein sündenvergebendes Wesen angeschaut wird, so wird er gesetzt zwar nicht als ein unmoralisches, aber als ein nicht, ein mehr als moralisches, kurz, als ein menschliches Wesen. Die Aufhebung der Sünde ist die Aufhebung der abstrakten moralischen Gerechtigkeit – die Bejahung der Liebe, der Barmherzigkeit, der Sinnlichkeit. Nicht abstrakte, nein! nur sinnliche Wesen sind barmherzig. Die Barmherzigkeit ist das Rechtsgefühl der Sinnlichkeit. Darum vergibt Gott nicht in sich als abstraktem Verstandesgott, sondern in sich als Menschen, im Fleischgewordnen, im sinnlichen Gott die Sünden der Menschen. Gott als Mensch sündigt zwar nicht, aber er kennt doch, er nimmt doch auf sich die Leiden, die Bedürfnisse, die Not der Sinnlichkeit. Das Blut Christi reinigt uns in den Augen Gottes von unsern Sünden, ja nur sein menschliches Blut macht Gott barmherzig, stillt seinen Zorn; d.h.: unsre Sünden sind uns vergeben, weil wir keine abstrakten Wesen, sondern Wesen von Fleisch und Blut sind. »Dieser mein Gott und Herr hat meine Natur, Fleisch und Blut an sich genommen, wie ich habe, und alles versucht und gelitten gleich wie ich, doch ohne Sünde; darum kann er Mitleiden haben mit meiner Schwachheit. Hebr. 5.« Luther (Th. XVI, S. 533). »Wie tiefer wir Christum dringen können ins Fleisch, je besser ist es.« (Ebend., S. 565.) »Gott selbst, wenn man außer Christo mit ihm will handeln, ist er ein schrecklicher Gott, da man keinen Trost, sondern eitel Zorn und Ungnade an findet.« (Th. XV, S. 298.)


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