Heinrich Federer
Der Fürchtemacher
Heinrich Federer

 << zurück 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

7.

An einem warmen Septembertag, als das Vieh eben in straffer und blanker Fülle von den Voralpen gestiegen war, sah man Heinrich Bürgler mit zwei Knechten einen stattlichen Zug Ochsen und Rinder zum Land hinaus gen Italien treiben. Die Sachsler traten vor die Türen, nicht weil einer der Treiber ihr Sigristensohn Gert Mösli war, sondern um den noch immer wohlbemerkten Landammann achtungsvoll zu grüßen und sich von Aug zu überzeugen, ob er denn wirklich so dünn in den Hosen stecke und nur noch mit den Backenknochen lache. Er grub den Kahlkopf in die Achseln und schien im dicksten Lismer noch zu frieren. Die Dörfler wünschten ihm einen guten Tag so leis und sorglich wie einem Kranken, der den Abend nicht mehr sieht. Schad um ihn, klatschte es nach, den lustigen, guten Ratsherrn! Aber da hilft nichts mehr. Der Amstalden hat ihn am Bein und zieht ihn in den Boden.

Bürgler, zeitlebens ein Quecksilber, stürzte sich nach dem Zusammenbruch seiner Bauernpolitik und da er einmal keine runden, reifen Käse mehr zuwege brachte, drunten im Mailändischen in mancherlei Geschäfte und Zwischenhändel, die nicht immer gut rochen, um in so großer äußerer Unruhe die noch viel größere innere zu beschweigen. Neben einem famosen Kuhhandel auf der Piazza del Bestiame betrieb er sozusagen einen feineren zwischen Lodovico Moro, den Borromäern in Como und den Sittener Domherren. Das bunte Intrigieren unter welscher Sonne und Pfiffigkeit heiterte ihn auf. Aber als es winterte im ungeheizten Mailand, saß er gern wieder daheim auf der Ofenstiege und hörte dem Krachen der Scheiter zu und ließ sich von seiner Tochter Regine, einem wahren Holdrio von Mädchen oder besser Buben, bald dies bald jenes Süpplein reichen, ohne daß ihm eines mundete. Sie schmetterte die Türen auf und zu, ritt das Stiegengeländer hinunter, schüttelte den Schnee von den Bäumen sich und andern in den Hals, pfiff wie ein Roßknecht und rannte siebenmal in der Stunde zum Vater: er solle mit ihr einen Hopser durch die Stube schleifen, das helfe über alle Mixturen.

Mit fallendem Schnee überfiel ihn die Gicht heftiger als je und nistete sich diesmal im ganzen Körper ein. Oft wenn er sich unter ihren Zangen wie auf einem Marterbrett wand, fragte er bebend, ob Amstalden bei der peinlichen Frag im Reußturm wohl so schwer gelitten. Er ließ das Bett immer wieder anders rücken, zügelte bald ans Fenster gegen den Brünig, bald an jenes gegen den Sarnersee und Pilatus, bald wieder gegenüber dem schroffen Giswylerstock und fühlte sich jedesmal eine Viertelstunde lang leichter, dann aber doppelt bedrückt. Einst, da die Knechte im Holz arbeiteten und seine Regine weiß Gott mit welchem Wind marschierte, dünkte er sich besonders arm und einsam. Da trat ihm wie von ungefähr der sterbende Leutnant Götschi im Murtener Ried vor die Seele und mehr noch der plump danebenstehende Gert Mösli, dem alle Muskeln vor Helflust zitterten und der doch nicht zuzugreifen wußte. Über den Gotthard war er jüngst treulich mitgekommen, ohne daß Bürgler viel Notiz von ihm genommen hätte. Jetzt aber wollte ihm das schöne, graue, mitleidvolle Auge jenes Menschen, der wie ein stummer und lahmer Engel, aber doch wie ein Engel dastand, nicht mehr aus dem Kopf. Und in so wunderlicher Laune erbat er sich denn wirklich diesen Gert zum Handknecht, da er doch immer dem Vater daheim die unrechten Glocken läute und die unrechten Kerzen anzünde und auch ganz ungerechte Ohrfeigen einstecken müsse.

Denn er war im Grunde nicht dumm noch böse, das sah man schon am ersten Tag, dieser kindesäugige, tief ins Gesicht behaarte Bursche mit den dicken Lippen und der schweren, aber so klangvollen Zunge. So wenig Lärm er machte, das ganze Haus bekam durch ihn einen andern Klang und eine andere Farbe. Denn mit ihm kam zum erstenmal Herz in die Wohnung hinein. Bisher hatte es da nur Kopf und Hände und Füßezappeln gegeben. Die rauhe Regine war nach kurzem auf Leben und Tod in den krausen Ungeschlacht verschossen. Der machte sich aber gar nichts daraus und schien die graue Katze lieber vom Herd auf seine Knie zu nehmen und unter dem Hals zu krauen, bis sie zufrieden spulte, als der reichen Landammannstochter das Händchen anzunehmen, wenn sie es zwetschenblau vor Frost hinhielt und bettelte: »Du hast immer so warme Hosensäcke, bitt' schön, steck' mir die Hand hinein!«

Vielleicht aus dem Hosensack dieses Vierschröters ging nach und nach die Wärme durchs Haus und über Tisch und Bett auch ins Herz des Landammanns Bürgler.

Der 24. Wintermond rückte zum siebtenmal seit jenem ersten roten Datum heran. Bürgler fürchtete ihn. Dann war ihm in keinem Schuh und auf keinem Sessel wohl. Am Vorabend voll Schnee und Nebel, da ihm besonders unpaß zumute war, fragte er plötzlich zum Tisch hinüber, wo Gert Kartoffeln schnetzelte, was der Knecht wohl täte, um sich einen großen Kummer vom Hals zu schaffen.

Der bärtige Bursche rutschte hin und her auf der Fensterbank, gähnte mit dreißig prachtvollen Zähnen und sagte endlich im tiefsten Baß: »Pfeifen!«

Wider Willen mußte Bürgler lachen: »So billig geht das bei einem Knecht vielleicht. Bei einem Landammann sicher nicht! Ich hab' zu Martini die Sagimatt verkauft und mit dem Erlös eine Kaplanei im Großteil gestiftet, damit die durch Ried und Halden verstreuten müden Hirtenleut dort auch ihrerseits einen Hirten nah haben, wenn sie etwa bockbeinig und ungerad gewesen oder auf dreckigen Wegen geirrt sind. . . . Nützt halt doch nichts!«

»Pfeifen, lieber pfeifen!«

»Pfeif, Trottel, wenn du bei fünfzig Jahren schon mit leeren Kinnladen wackelst. Aber recht hast, die Stiftung, wegen der mich alle sieben Pfarrer und der Bischof von Konstanz gesegnet haben, schafft mir keine Unze helleres Blut. Und kein Weihwasser und kein Rosenkranz! Auch nicht der Vinzenz Vonah, dem ich schon zweimal die Wallfahrt nach Einsiedeln gezahlt hab'. Nichts hilft, schwarz seh' ich's kommen und schwarz geht es hinter mir. . . . Was machen, Herr Jesses, was machen?«

»Dem Dokter . . .«

»Der Medikus für das? Für so was. Und ein Luzerner ist er dazu. So tu doch 's Maul auf, wenn du mir raten willst!«

»Dem . . . Dokter . . . pfeifen . . .«, stückelte der große Kerl mühsam hervor. »Dem Dokter im Ranft . . .«

Heinrich Bürgler knickte bei diesem Namen zusammen. »Zum Bruder Klaus? Warum pfeifen . . . du Esel . . .?«

»Vater«, tadelte Regine, die wie in einem flinken Zauber gelernt hatte, nun stundenlang ruhig neben Gert zu sitzen und geduldig Stich für Stich die groben Kittel der Knechte zu flicken, »Vater, nehmt das zurück! Unser Gert ist gescheit, viel, viel gescheiter als wir, das weiß ich.«

»Du Dumme!« schimpfte Gert böse zum Mädchen. »Was hast denn immer gegen mich?«

»Erklär jetzt dem Vater«, bat sie nun viel scheuer.

Der Knecht klob verlegen am Ohrläppchen, hustete und zerrte dann fetzenweise und doch wie in tiefem Singen hervor: »Der Bruder wird lästig heimgesucht, wisset . . . von allerlei Volk . . . auch wunderfixigem. . . . Oft muß ich von Sachseln herauf den Weg zeigen . . . da plappern sie viel und fragen . . . und bald hab' ich los, wess' Art sie sind. . . . So, ja so . . . hat mir halt der Bruder Klaus befohlen, wenn es nur Leut voll Kuriosität sind . . . oben am Waldli, wo der Hag aufhört . . . ferm zu pfeifen. . . . Dann hat er noch Zeit, in die Föhren zu rennen. . . . Ein Pfiff heißt: Lauf . . . 's sind glotzig Leut! . . . Zwei Pfiff' sagt: Weiß nit recht, ist's eben oder uneben Volk. . . . Aber drei Pfiff': Bleib, Dokter . . . haben dich nötig . . .«

Gert schnaufte schwer. Zündelrot waren seine Ohren.

»Wie oft willst du mir also pfeifen?« fragte Bürgler argwöhnisch.

»Dreimal!« sagten Gert und Regine in einem Klang. Betroffen sahen sie sich an. Daß sie oft das gleiche dachten, wußten sie. Aber hervorgesprudelt das gleiche im selben Atem und Wort, das war neu und von Bedeutung. Regine freute sich unbändig.

»Pfeif siebenmal, mich doktert er doch nicht mehr ins Blei.«

»'s gibt kein Gebresten, dem er nicht Meister wird, auch Eures nicht«, plumpsackte der Bursche gewaltig hervor. Jedes Wort klotzte wie ein Stein durch die Stube.

Heinrich Bürgler kniff die Augen in einen schmalen Schlitz, wie immer, wenn er Widriges überdachte. Ihm summte und zappelte es im Gehirn von hundert und hundert Nein. Gar nicht helfen konnte der Doktor im Ranft. Für sein Leben gab es nur eine Arznei. Die würde er ihm verschreiben, aber just die schmeckt so mordsbitter, daß er am ersten Löffel verdürbe.

Regine stupste den Kamerad unter dem Tisch so lange, bis Gert verstand und mit seiner wohltuenden, tiefklingenden Langsamkeit weiterspann: »Gegen Eure Gicht kann er vielleicht nicht viel . . . aber für das unterm Latz . . .« Er stockte und schlug an die Brust: »Ihr, Bürgler . . . soll ich pfeifen . . .?«

»So schweig doch, Laffe, bis ich frage!« Der Landammann, fahl und zerfallen in seinen Decken, sann weiter: Es gibt keine Arznei, als vor die Eidgenossen treten und beichten: Ich, Heini Bürgler, bin ein Letzkopf und hab' den Dampf in mir gehabt, die Bauern über die Herren zu setzen. Da hab' ich denn unsauber im Volk gewühlt, hab' die Entlebucher schlau aus Band und Ordnung locken wollen . . . hab' den geköpften Vetter auf dem Gewissen und den Meineid auf der Sagimatt. Das ist das Schlimmste. Da, Luzerner, kettet mich ins Schiff wie einen tollen Hund und rudert zum Wasserturm und foltert und köpfet den Sünder! . . . Tot mach' ich mein' Ehr', so machet geschwind auch noch tot mein Übriges und Unnützes! . . . Ha, wie werden die am Rhyn und Sonnenberg und Hasfurter lachen! . . .

Nochmals knuffte Regine den Blöderich in die Seite, und der orgelte so holperig und doch so feierlich seine Weisheit fertig:

»'s ist doch kein so groß Stück, zu sagen: Meine Schuld! . . . Wer hat keine? Wollen wir pfeifen, Bürgler?«

»Hab Ruh, Kerl«, schrie der Kranke wie im Krampf, »hab in Gottes Namen Ruh!« . . . Wahrlich, versuchte er sich zu trösten, so groß mein Fall ist, das kann ich sagen, ich sündigte für andere. Daß die Bauern freier, daß Obwalden mächtiger würde . . . Heini, nur für das? . . . Wollte ich etwa nichts für mich? Wollte ich etwa gar kleiner werden, daß andere wüchsen? . . . Etwa nicht der reichste und mächtigste Bauer im Land werden, ein König in Holzschuhen? . . . nach dem Herrentöter selber Herr! . . . Ei, wie sauber! . . . Und gemerkt hab' ich das Schiefe daran, wie eine Katze ihre Unart weiß. Drum ging ich so heimlich zu Werk, immer leis und mit geschlitztem Aug', immer mit halbem Ja und halbem Nein, mit Umweg und Hintertürlein. . . . Wäre das Ziel gut gewesen, nun ja! Aber wie viel Geschmier und Fuchsigkeit unterwegs! . . . Ist aber das Ziel auch noch verlogen – Herr, du mein Trost! . . .

»Pfeifen, Heinrich Bürgler, pfeifen!« Und der Krauskopf schob lachend zwei Finger in den Mund und ließ ein, zwei, drei Pfiffe entfahren, daß die Katze gebuckelt unter den Ofen entfloh, der Hund aber zur Türe sprang, heillos bellte und gleichsam begehrte, daß man sie zu etwas Großem öffne.

Wie ein Adlerpfiff hoch in den Alpen plötzlich ins Gehock der Dohlen blitzt, daß die schwarzen, dunkelmausigen Vögel nach allen Winden zerstieben, so wirkte Gerts Signal in der dumpfen Winterstube ein wahres Wunder. Die letzten Bedenken zerrissen. Bürgler löste die krummen Finger aus den Kissen, wischte den Schweiß von der Stirne und sagte einfach: »Also fahren wir morgen früh zu Bruder Klausen. Spann die Else an den Schlitten! Sie zieht langsam und schonlich, wie ich's brauche.«

Man trug ihn zu Bett. Er redete die ganze Nacht mit seinen Gedanken wie in einer Landsgemeinde und schlief erst gen Morgen ordentlich ein. Als ginge es zur Hinrichtung, so elend sah er aus, da ihn der stämmige Gert in die Decken des Holzschlittens steckte und den Schirm darüberzog. Peter Amstalden hatte exakt am selben Morgen vor sieben Jahren rote Backen und den unverwüstlichen Geruch von Entlebucherkäse und Entlebucherhumor aufs Schafott getragen. Doch Bürgler hatte nur einen Lindentee getrunken, fror und schauderte und focht aufs neue mit seinem Gewissen. Wo ein Seitenweg aus der Straße floh, rief er feige: »Gert, bieg ab, 's ist besser!« . . . Aber Gert knallte und pfiff lustig in den Morgen hinein, und weiter glitt das Gefährte.

Es ging an der Sagimatt vorbei. Den Landammann kam ein Schwindel an. Wuchs da noch Gras auf dem Meineidsplatz? . . . Gottlob, alles war von weißem, duftigem Schnee bedeckt. Läg' ich doch auch so säuberlich darunter! . . .

»Gert«, raffte er sich einmal auf, »was dünkt dich das Schlimmere: in Stulp und Samt oder im Zwilch auf andern herumstolzieren?« . . . Gert hielt den Schlitten an, sonst konnte er nicht richtig überlegen. »'s ist eineweg der gleiche Dreck!« platzte er heraus. »Hü, Else!«

Verschüchtert schwieg Bürgler. Endlich fragte er ein Zweites: »Und das, wie eine Katze so nach und nach zur Gewalt schleichen oder mit einem Satz wie eine Herrendogge dreinbeißen . . . was meinst?«

Gert hielt nochmals an, zerrte am Ohr und sagte unwirsch: »Sollen einander meinethalb fressen!«

»Sie tun's auch«, lächelte Bürgler bitter.

An der Schenke des Leo Anderhalden zu Eiwyl, eines alten Bekannten, der dem Landammann freilich noch einen Martinizins schuldete, mußte man ein wenig rasten. Bürgler fühlte sich mordsschlecht vom Gerüttel und versuchte einen Löffel Milchsuppe. Dabei hörte er doch in all sein Elend hinein, wie ein hochgestiefelter Händler unter der Scheune neben einem schönen viermonatigen Kalb im verhaßten Luzerner Dialekt feilschte und drohte: »Dreißig Pfund, Gevatter, und keinen Angster mehr!«

Mit seiner alten geschäftlichen Fuchsigkeit durchsah Bürgler sogleich den Fall. Er streichelte behaglich und im Innersten durchwärmt das herbeigelockte Tier mit dem hübschen Unschuldsfleck zwischen dem weichen Gehörn und bot kaum hörbar: »Zweiunddreißig, Leo, zweiunddreißig!«

Der Luzerner fuhr auf. »Dreiunddreißig denn also! zum letzten!«

»Vierunddreißig«, lispelte Heinrich Bürgler.

»Seid Ihr bei Sinnen?«

»Glaub' wohl!«

»Fünfunddreißig«, schlug der Makler verzweifelt vor.

Nun hat's die Höhe, rechnete Bürgler. Aber das Tier soll nicht in die Luzerner Metzget: »Vier Gulden.«

»Abgemacht!«

Der Schlitten wackelte weiter im immer untiefern und flotschigen Schnee. Gert mußte den Schirm wieder herunterklappen. Bürgler warf den Kopf hintenüber und stierte in den weißlichen Winterhimmel. Bei aller Sterbensschwäche tat es ihm doch sauwohl, daß er Luzern noch eins hatte übers Ohr hauen können. Und wenn er bald mit Bruder Klaus betet und der ihm fürsteht, so daß er vor aller Welt bekennen darf, was seine schwarze Schuld ist, und dann aber, daß die gesamte biderbe Eidgenossenschaft auch lauter sieht, was der Herren Junker ebenso schwarze Schuld ist, am Amstalden und an tausend kleinen unbekannten Amstalden und an allen, die Brüder sein möchten und nicht dürfen . . . ha, haut er da dem Luzerner nicht noch einmal und am schwungvollsten übers Ohr?

Halb schlafend zählt er die rundlichen, weißen Schneewolken am Berghimmel. Wie langsam kutschiert man! »Flinker, Gert, flinker!«

Der meint den Theodor Götschi zu hören. Jetzt gilt's. Aber er kann nicht pressieren. Der Else war das eine Hufeisen etwas locker.

Dem Bürgler wird angst. Da ist der Schwarze im Spiel. Der Gaul hinkt immer langsamer. »Pfeif, Gert, um Ehr' und Seligkeit, pfeif!«

Wie gern tut er's. Es schnellt auf und hallt lustig über das tote Gelände, und wahrhaft, die Else klappert munterer davon. Da stutzt sie auf einmal und bockt vor dem Ettisrieder Bach. Die Bretter der Brücke sind vor Nässe faul und hangen bedenklich ins Bett hinunter. Die ganze Fuhre kann da wie auch schon in die Tiefe krachen. Man verlöre einen halben Tag und vielleicht seine paar Knochen dabei.

Landammann Bürgler graust es. Alles andere hat er gefürchtet, nur den Teufel nicht. Jetzt fürchtet er nichts mehr als den Teufel. »Der Unsaubere ist's«, schreit er, »der ewige Leidwerker und Fürchtemacher. Pfeif, Gert, und hinüber auf Tod und Leben, oder wir sind zu spät!«

Das war ein Pfiff. Nie hat man solchen Schall gehört. Von allen Bergen klang es zurück, und rasch und leicht wie die Sohle eines Engels schwebte der Schlitten des Sterbenden über den Abgrund.

Man näherte sich Sachseln. Ab und zu gingen jetzt unbekannte Leute am Schlitten vorbei, winkten, wollten das Pferd anhalten, plaudern. Aber Gert pfiff, daß sie mit verhaltenen Ohren davonstürzten. Doch vor dem Dorf, wen sah da Bürgler mit Stab und Holzsandalen auf ihn zustreben? War das nicht der Eremit und lächelte und kanzelte ihn liebenswürdig ab: »Genug, Vetter, ich weiß, was du willst! Aber schau, du bist übel krank. Das Fieber hat dich zum Narren gemacht. Sünder sind wir alle, du nicht mehr als ich und meinesgleichen. Geh heim und werd' gesund! Dann komm wieder, und alles löst sich wie ein Spaß . . . Hör!« . . .

Dem Bürgler sträubte es das wenige Haar. Er riß Gert am Ärmel, zeigte ins Weiße der Straße hinaus und röchelte: »Peitsch . . . das Luder . . . pfeifen . . . pfeifen . . .«

Jetzt rannte der Schlitten unter Knallen und Pfeifen das Dorf hinauf. Das musizierte wie von tausend Adlern, jubelte an den Sachslerbergen empor und in den Ranft hinunter und füllte die Klause des Bruders. Während man dann am Gasthof zum Kreuz eine Leiche mit gerümpfter Stirne und zum Pfeifen gespitzten Lippen, aber einer schlauen, triumphierenden Verklärtheit ums Auge aus dem Schlitten lud, und während Gert zum Turm sprang und die Totenglocke läuten wollte, aber sich versah und das Taufglöcklein zog, bis der alte Sigrist daherhumpelte und ihm eine letzte Ohrfeige salzte, währenddem nahm der Bruder Klaus das Messer vor und vermochte mit drei, vier Hieben die Kröte fix und fertig zu schnitzen, indem er ihr obendrein noch ein wertloses Rattenschwänzchen zugab. Dann lugte der Schalk zum Fenster in den lautlosen Schneewald hinaus und spaßte: »Herre Fürchtemacher, seid einmal so gut und sehet nach, ob dies Konterfei da stimmt! Wenn ja, so helft mir mal ein Fröhliches zusammenlachen, wie's seinerzeit, als Ihr noch Hasen und Füchse jagtet, ausbedungen war.« Aber es knackte kein Zweig, bis um Vesper der Sigristensohn in die Zelle rumpelte und sagte: »Der Landammann Bürgler ist selig verstorben . . . und seine Regin', das verflixte Meitli . . . chch . . . chch . . . soll ich sie heiraten . . . sagt . . . wo ich doch nicht einmal die rechten Kerzen anzünd' . . .?«

»So üb' dich noch ein wenig«, ermunterte Bruder Klaus lustig. »Dann heirat unerschrocken! Und für die alte Kerze, die heut erloschen ist, zündet ein paar junge, heiße für unser liebes Ländlein an, daß es immer hell und warm genug hat! Knie nieder, ich will dich segnen.«


 << zurück