Heinrich Federer
Der Fürchtemacher
Heinrich Federer

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6.

Die Tagsatzung zu Schwyz sollte beginnen. Als Landammann Bürgler, der Gesandte Obwaldens, mit dünnen Backen und merkwürdig zappelig an den Luzerner Kollegen vorbei zu seinem Sessel eilte, spuckten sie ihm vor die Schuhe, zogen die Hüte an und gingen hinaus. Mit einem Landesschuft tagten sie nicht unter einem Dache.

Bern, Zürich, Glarus und Zug erhoben sich kühl und maßen den Obwaldner mit unwilligen Augen. »Habt ihr denn keinen Passenderen?« fragte Hans Waldmann schlankweg. Irgendwoher schwirrte ein »Feigling!« an Bürglers Ohr. Dennoch wollte er sich durchaus auf den breiten, von Ehren und Behaglichkeit warmen Tagherrenstuhl niederlassen. Gott! da lag ein Totenkopf auf dem Polster und vom Schädel grinste die Aufschrift: »Grüß Gott, Vetter!«

Bürgler verzog sein verblichenes Gesicht zu einem Lächeln und sagte: »Das ist ein Witz vom Jost Pfeffer, aber so dürr wie der Schädel. . . .« Er trug den Totenkopf auf den Luzernersitz. »Da ist dein Posten. . . . Da schrei, lieber Peter!« rief er. Das half. Für heute triumphierte er nochmals.

Dennoch war ihm fortan in diesen Sälen nicht mehr geheuer. Regelmäßig protestierte Luzern und ging hinaus. Wiewohl man ihn schicklicherweise ansprach und beriet und stimmen ließ, fühlte er doch, daß er nur geduldet sei, und wem er die Hand bot, berührte sie kaum mit zwei Fingern. So heiß, wie er sich einst in diese Räte gesehnt hatte, wünschte er sich jetzt mit Anstand hinaus.

Es begegnete ihm nun häufig, daß er nachts um die eins oder zwei schon nicht mehr schlafen konnte. Dann ging er leis am Tochterbett vorbei in die Stube und schaute in den nahen Bergsee von Lungern, der ihn mit schwarzen unbewegten Augen anstaunte, und faselte zuletzt: »Peter, laß mich endlich in Ruh! Zum Fürchten bringst mich doch nicht!«

Es stand ein Apfelbaum vor dem Fenster. Am selben Morgen, da es ums Schafott Amstaldens so heftig geflockt hatte, knickte ihm ein Schneewirbel die Krone ab. So schien der Baum nun ein ins Ungeheuerliche gewachsener Amstalden, der ihm Tag und Nacht in die Stube dräute. Er hätte ihn gerne gefällt. Aber ein seltsamer Aberglaube sagte ihm, wenn er den Rumpf da mit der Axt nur leis berühre, würden die unheimlichen Dinge ihm noch viel härter auf den Nacken sitzen.

»Willst du den Kopf wieder haben?« fieberte er in die Stille hinaus. »Warst doch immer ein kopfloser Bursche. Da war nichts zu verlieren. . . .« Aber dieser Kopflose folgte mit einer gefährlichen Gescheitheit hinter ihm her, wo er stand und ging.

Indessen schwoll bei der Ruhe vor äußern Feinden der Streit zwischen den Städten und Ländern immer höher an. Bereits putzte man das Burgunderblut von den Schwertern, um das eidgenössische zu vergießen. Der Brudermord, mehr noch, der Selbstmord der Schweiz stand bevor. Bürgler schürte den Haß der Bauern. Von ihm lebte er und erhielt sich in Würde und Kraft. Er lief durch alle Dörfer der Urschweiz und predigte laut und leise, es gäbe kein Heil, bis die Bauernfaust die seidenen Stadthosen und den seidenen Stadtstolz in Fetzen gerissen hätte. Gerne malte er sich dann aus, wie er mit den siegreichen Giswylern oder Sachslern in Luzern einzöge, die Richter Amstaldens in den gleichen Wasserturm würfe, und wo der arme Peter verblutete, ihm eine Säule oder eine Trostkapelle stiftete und so vor der ganzen Welt gerechtfertigt erschiene. Wie ein Fuchs schuf er im unebenen Boden der Eidgenossenschaft Gänge und Fallen und merkte vor Überschlauheit nicht, daß ein viel größerer Fuchs ihm allerorts fleißig Gegenminen und Gegenfallen grub. Sooft nämlich Bürgler Schwert sagte, sagte Bruder Klaus Kuß; sooft jener Krieg schrie, sang dieser Friede ins Land; für einen Boten Bürglers, der mit Gift und Galle hausierte, gingen zwei Boten vom Ranft und teilten die Milch der Liebe aus. Von Luzern zur Einsiedelei eilte oft eine erregte Post, aber ebensooft kam sie gelassen und fromm zurück. Endlich zu Stans am winterlichen Thomastag 1481, als die Schädel der Eidgenossen noch einmal grob genug aufeinandergestoßen waren, so daß es ein wahres Nüsseknacken gab und der Ratschreiber Schilling die schöne, zweihundertjährige Schweizerfrucht bereits mit Schale und Kern vernichtet sah, wehte wie etwas Himmlisches der Gruß und Spruch Bruder Klausens in die zerfahrene Stube und zeigte unfehlbar, wie die harte und doch so süße Schweizernuß ebensogut flußab die Städte hinunter wie in den blauen Schatten der Urirotstöcke hinauswachsen könne; daß man ihr überall Erde und Sonne lassen müsse, sie nicht in gar zu geizige Schnitztröge für wenige Brüder verriegeln, aber auch nicht zu weit über ihr eidgenössisches Geviert hinaus zu Markte tragen dürfe. Ob solcher Einsiedlersprache fing es im alten Saale an wie Nußbaum zu rauschen und zu duften und das hartentwöhnte Wort Bruoder und Fründ wie Nußkern auf Bauernlippe und Junkerlippe zu schmecken. Man sah sich in die Augen bis auf den ersten Grund. Ach ja, gleicher Ursprung, gleicher Granit, gleiche Muttermilch, gleiches Hirtenblut! Als man schied, zum zweiten und ewigen Male Brüder, da schien es, als läge schon die Weihnacht auf allen Gesichtern, und solcher Glanz herrschte die verschneiten Berge nach dem Ranft hinauf, als hätte das Christkind schon an jeder Tanne ein paar Kerzen angezündet.

Indem nun durchs ganze Land die Glocken läuteten, begann Bruder Klaus munter am Krötentier weiterzuschaben. Wieder gelang ein Stück, fast bis zum Schwanz. Dann versagte der Stahl. »Wir können warten«, sagte Bruder von Flüe gelassen, raffte die Kutte hoch und ging zu Bruder Ulrich den Berg hinüber, daß er ihm den Schleifstein leihe und dabei von seinen Pilgerfahrten nach Rom und Compostell etwas Erbauliches in die Seele plaudere.


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