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17.

Sie wendete den Kopf und sah mich an, lange. Ich merkte, wie sie erschrak, wie sie schnell atmete, sich zu sammeln versuchte.

»Erwin«, sagte sie dann mit stockender Stimme, »Erwin! Wie siehst du aus!? Wo kommst du her in diesem Zustand? Wo bist du so lange gewesen? Ach, Erwin, Erwin, wie ich mich geängstigt habe um dich! Daß wir uns so wiedersehen müssen! Erwin, denke daran, daß wir uns einmal liebgehabt haben! Zerstöre doch nicht alles! Komm wieder zu mir. Ich will dir helfen, so gut ich kann. Ich will so geduldig sein, nie wieder werde ich mich mit dir streiten ...«

Sie hatte immer schneller geredet, atemlos hielt sie inne und sah mich flehend an.

Mich aber bewegten ganz andere Gefühle. Mit Zorn, mit Haß, mit Abneigung sah ich auf diese gepflegte, vom Schlaf gerötete Frau in ihrem seidenen blauen Schlafrock, ich, der aussah, als hätte ich mich in der Gosse gewälzt, ich, der stank wie ein Wiedehopf. Ich glaube, es muß die Mahnung an unsere Liebe von ehemals gewesen sein, die mich in eine so sinnlose Wut versetzte. Ihre Worte, statt mich zu rühren, hatten mir nur den Abstand gegen das längst versunkene Damals fühlbar gemacht. Wir waren gleichgestellt, und da stand sie und hatte alles, und hier war ich, ein Kandidat des Nichts.

Zornig stolperte ich auf Magda los, ich fiel dabei beinahe über einen silbernen Auffüll-Löffel, sah mich wütend nach ihm um, tat einen Schritt zurück und zertrat ihn. Magda schrie leise auf. Ich aber eilte auf sie zu, hob meine Fäuste gegen sie und schrie: »Ja, das möchtest du, daß ich zu dir zurückkomme! Und was wird dann? Was wird dann?!«

Ich schüttelte die Fäuste nahe vor ihrem Gesicht.

»Dann bringst du mich ins Bett und siehst schön zu, daß ich schlafe, und wenn ich erst schlafe, dann läßt du die Ärzte kommen und läßt mich wegbringen, für Lebenszeit in eine Trinkerheilstätte, und dann lachst du dir ins Fäustchen und tust mit meinem Eigentum, was du willst. – Ja, das möchtest du.«

Ich starrte sie an, auch ich jetzt atemlos. Und Magda sah mich wieder an. Sie war jetzt sehr blaß geworden, aber ich sah wohl, daß sie trotz meines wilden Gebarens und Drohens keine Angst vor mir hatte. Plötzlich schlug meine Stimmung um; meine Erregung war gewichen, und kalt und ruhig sagte ich:

»Ich will dir sagen, was du bist. Ein ganz gemeines Aas bist du, ins Gesicht sage ich dir das.«

Sie zuckte nicht, sah mich nur an. – »Eine Verräterin bist du, unsere ganze Ehe hast du verraten, als du die Ärzte hinter mir herschicktest. Ins Gesicht müßte ich dir speien, pfui Deibel!«

Wieder sah sie mich an. Dann sagte sie rasch:

»Ja, ich habe die Ärzte hinter dir dreingeschickt, aber nicht um dich zu verraten, sondern um dich zu retten – wenn das noch möglich ist. Wenn du noch einen Funken Vernunft hättest, Erwin, müßtest du das einsehen. Du müßtest verstehen, daß du so nicht einen Monat weiterleben kannst, vielleicht nicht eine Woche mehr ...«

Ich unterbrach sie. Ich lachte höhnisch.

»Nicht einen Monat mehr? Keine Woche? Noch Jahre kann ich so leben, ich halte alles aus, und gerade dir zum Trotz werde ich so weiterleben, gerade dir zum Trotz.«

Ich beugte mich ganz nahe zu ihr.

»Soll ich dir sagen, was ich tun werde, wenn ich das nächste Mal ganz betrunken bin? Dann werde ich vor dein Fenster ziehen, und ich werde es vor allen Leuten ausschreien, daß du eine Verräterin bist, ein gieriges Aas, gierig nach meinem Geld, gierig nach meinem Verrecken ...«

»Ja«, sagte sie böse, »das glaube ich wohl, daß du dazu imstande bist. Dann aber wirst du nicht nur in eine Heilanstalt, sondern sogar in ein Gefängnis kommen – und ich weiß nicht«, sagte auch sie jetzt sehr höhnisch, »ob dir das nicht sehr gut wäre.«

»Was?« schrie ich, und meine Wut war jetzt auf dem Höhepunkt, »jetzt willst du mich auch noch ins Gefängnis bringen?! Warte, das sollst du nicht noch einmal sagen! Ich will dir zeigen ...« Ich faßte nach ihr, ich sah rot. Ich wollte nach ihrem Halse greifen, aber sie widersetzte sich kräftig. Sie war wirklich fast so stark wie ich, und in meinem jetzigen Zustand war sie vielleicht sogar erheblich stärker. Wir rangen miteinander, es war ein süßes Gefühl, diesen einst so geliebten Leib nun feindlich, aber doch so nahe zu spüren, jetzt die Brust, einen sich gegen mich stemmenden Schenkel. Der Gedanke schoß mir durch den Kopf:

›Wenn du sie jetzt plötzlich küssen, wenn du ihr Liebesbeteuerungen ins Ohr flüstern würdest! Ob du sie herumbekämst?‹ Ich flüsterte ihr ins Ohr:

»Nächste Nacht komme ich und bringe dich um. Ganz leise komme ich ...«

Laut rief Magda: »Nein, nein, es ist gut, Else, ich werde schon allein mit ihm fertig! Rufen Sie Doktor Mansfeld an und die Polizeiwache, ich halte ihn hier schon!«

Ich drehte mich überrascht um. Wirklich, da stand Else, vom Geräusch unseres Kampfes herbeigelockt, bildhübsch anzusehen; und jetzt verschwand sie in der Diele zum Telephon. Mit einem Ruck riß ich mich frei.

»Mich bekommst du noch lange nicht, Magda!«

Ich gab ihr einen Stoß, daß sie rücklings hinfiel.

Laufend raffte ich die noch verstreuten Silbersachen auf, auch den zerbrochenen Auffüll-Löffel, und rannte auf die Diele. Ich warf alles in den Koffer und mühte mich ab, den Deckel zu schließen. Schon war Magda wieder da.

»Die Sachen schleppst du nicht weg! Mein Silber bleibt hier, das versäufst du nicht auch noch!«

Einen Meter ab telephonierte Else eifrig. Ich hörte den Satz: »Er will seine Frau ermorden!«

›Gott, du Kind!‹ dachte ich.

Wir beide rissen am Koffer. Dann ließ ich ihn überraschend los, und wieder taumelte Magda zur Erde. Ich riß den Koffer aus ihrer Hand, schlug ein- oder zweimal nach ihr, rannte auf den Vorplatz, faßte meine Schuhe und lief in Strümpfen auf die Straße. Einen Augenblick stutzte ich ...

»Geben Sie mir den Koffer, Herr!« sagte die einschmeichelnde sanfte Stimme Lobedanz'. »Ich laufe immer schon vor. Los, da kommen die Frauen!« Ganz mechanisch gab ich Lobedanz den Koffer, er lief los, und ich rannte hinter ihm drein, in die Nacht hinaus, auf Strümpfen ...


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