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15.

In dieser ersten Woche, die ich bei Lobedanz zubrachte, gingen meine beiden Ringe, meine goldene Uhr und meine Aktentasche in seinen Besitz über. Ich bin fest davon überzeugt, daß der Pfandleiher nur eine vorgeschobene Person und daß der eigentliche Erwerber meiner Goldsachen der ›sehr arme Mann‹ Lobedanz selbst war. Was ich dafür bekam, war lächerlich wenig. Vielleicht zwölf bis vierzehn Flaschen Schnaps, die Flasche zu vier Mark gerechnet (übrigens holte er auch immer mindere Qualitäten) und dann und wann ein wenig Essen. Denn ich aß fast gar nichts mehr. Sah ich mich jetzt gelegentlich im Spiegel an, so betrachtete ich mit grausamer Wollust mein Gesicht, das, von alten Bartstoppeln bedeckt, gedunsen und doch abgezehrt, ja, wie ausgebrannt aussah. ›So zerstört man sich selbst‹, sagte ich mir dann frohlockend. Und gleich dachte ich weiter an Magda und wie sie erschrecken würde, wenn sie mich in diesem Zustand sähe, und wie ich es ihr dann ins Gesicht schleudern würde, daß sie, sie allein die schmähliche Ursache dieser Veränderung sei!

Gesundheitlich ging es mir sehr wechselnd in diesen Tagen. An die geplante Entwöhnung dachte ich natürlich mit keinem Gedanken mehr, ich trank, soviel ich in meinen Magen bekommen konnte. Meistens streikte er, und ich hatte viel Mühe, mein Quantum in mich hineinzubekommen; zu anderen Zeiten war er aus rätselhaften Gründen willig genug, zu schlucken und zu behalten, was er bekam. Dann hatte ich gute Stunden. Dann saß ich am Fenster, die Flasche immer dicht bei mir, ich sang leise vor mich hin, alte Volks- und Wanderlieder, und sah dabei hinaus auf die Stadt unter mir, bis zu dem Haus hin, das fern im bläulichen Dunste lag und das das meine war. Dann dachte ich daran, was Magda jetzt wohl tun würde; und in diesen Stunden war ich fest davon überzeugt, daß ich sie liebte wie eh und je, und daß sie es war, die unsere Liebe verraten hatte. Dann malte ich mir aus, wie ich eines Tages gesund und fröhlich heimkehren würde: Irgendwie war ich auf geheimnisvolle, aber sehr rechtliche Weise in den Besitz von viel Geld gelangt, und ich machte alle glücklich, und alle bewunderten mich, und wenn sie nicht gestorben sind, so leben sie heute noch.

Aus solchen kindischen Träumen erweckte mich Lobedanz rauh genug. Er eröffnete mir, daß es weder Schnaps noch Quartier bei ihm mehr gäbe, wenn ich nicht sofort Geld herbeischaffte ... Wir gerieten in ein endloses Gezanke, von seiner Seite immer höflich, leise, einschmeichelnd, von der meinen grob, mit jähzornigem Aufflammen und dann fast wieder in Tränen schwimmend. Aber es half mir gar nichts, daß ich ihm immer wieder vorwarf, zu welchen Wucherpreisen er meine Goldsachen an sich gebracht, wie wenig, fast nichts, er dafür geliefert; er verschanzte sich hinter den Pfandleiher, der eben nicht mehr geben wollte, schwor Stein und Bein, daß er noch nicht einen Pfennig an mir verdient habe, und blieb unerbittlich dabei, daß ich Geld schaffen oder ziehen müßte. Ja, schon jetzt machte er dunkle Andeutungen, daß sich die Polizei vielleicht sehr für Personen wie mich interessieren würde, und daß eigentlich solch Wohnen ohne jede Anmeldung gar nicht zulässig sei und ihn in Gefahr bringe. Auf dieses drohende Geschwätz gab ich damals noch gar nichts. Aber gewiß war es mir, daß ich Geld schaffen mußte, der sanfte Lobedanz war hart wie ein Kieselstein.

Das einzige, was ich von ihm erreichte, war, daß er mir noch eine Flasche Korn ›in Vorschuß‹ besorgte, damit ich für meine nächtliche Expedition auch ›frisch‹ sei. Ich hatte gerade einen meiner ›guten‹ Tage, das heißt einen Tag, an dem mein Körper dem Alkohol gut gesinnt war; das war noch ein Glück. An einem anderen Tage hätte ich eine solche Wanderung unmöglich unternehmen können. Daß der Weg zur Bank mir versperrt war, wußte ich: Dort hatte man bestimmt schon längst mein Verschwinden angezeigt und die Weisung gegeben, bei einem etwaigen Auftauchen von mir nichts ohne vorherige Benachrichtigung zu zahlen. Ich mußte also in mein eigenes Haus einbrechen. Der Gedanke, dabei Magda zu begegnen, war mir heute, da mir eine solche Begegnung ziemlich sicher war, nicht so angenehm wie vor einer Woche, da ich von ihr nur geträumt hatte. Aber es mußte sein. Ich schob die Kornflasche in meine Hosentasche – der sanfte Lobedanz hatte mir hartnäckig die leihweise Hergabe meiner Aktentasche verweigert – und machte mich auf den Weg. Es war kurz nach Mitternacht. Lobedanz ließ mich aus dem Haus und flüsterte mir zu, daß es sehr dunkel sei. Ich sollte mich besonders auf der Brücke über den Fluß in acht nehmen.

»Ich warte auf Sie, Herr«, flüsterte er. »Es kann noch so spät werden. Ich halte eine Flasche für Sie bereit. Und dann, Herr«, er flüsterte immer leiser, »dann, Herr, wenn Sie noch etwas Schmuck oder auch Silber haben – ich habe jetzt einen Händler an der Hand, der sehr anständige Preise zahlt, nicht so wie dieser Scheißkerl – bringen Sie, was Sie kriegen können, ich werde schon gut für Sie sorgen.«

›So fängt man Gimpel‹, dachte ich im Gehen und war dabei doch Gimpel genug, dem geschickten Lobedanz meine Anerkennung nicht zu versagen, weil er als Preis für meine Rückkunft eine Flasche Korn bereithielt. Freilich hatte ich ganz andere Pläne, von denen er nichts ahnte.

Das Gehen wurde mir viel leichter, als ich gedacht hatte, ich empfand auch kaum ein Bedürfnis zu trinken. Ich war wohl ziemlich aufgeregt. Gut erinnere ich mich, daß ich mich den ganzen langen Weg ängstlich bemühte, nicht an das Bevorstehende zu denken. Ich sagte mir alle Gedichte, die ich aus meiner Schulzeit noch auswendig wußte, immer wieder her und ertappte mich doch dabei, daß ich zwischen zwei Versen mit Magda sprach oder überlegte, welchen Handkoffer ich als den zweckmäßigsten wählen sollte.

Schließlich, nach fast dreiviertelstündigem Marsch, war ich vor der Gartenpforte meiner Villa angelangt. Vor kurzem hatte es von den drei Kirchtürmen der Stadt ein Uhr geschlagen. Ich zog die Pforte leise hinter mir zu und ging, unter Vermeidung der bekiesten Wege, über das Gras um mein Haus herum. Es lag alles still und dunkel. Lange stand ich unter Magdas Schlafzimmerfenster und meinte, ihren ruhigen Atem zu hören; es war aber nur mein eigenes Herz, das unruhig und laut in der eigenen Brust pochte. Als ich darüber nachdachte, daß ich hier bei meinem eigenen Haus, fünf Meter von meiner eigenen Frau als ein mittelloser Fremdling in der Nacht stand, seit einer Woche nicht mehr gewaschen und rasiert, da überkam mich ein solches Mitleid mit mir selbst, daß ich in bittere Tränen ausbrach. Ich weinte lange und schmerzlich, am liebsten wäre ich zu Magda ins Zimmer gedrungen und hätte mich von ihr trösten lassen. Schließlich erwies sich aber auch hier der Schnaps als der beste Tröster; ich trank lange und sehr viel. Mein Schmerz beruhigte sich. Ich kämpfte eine Neigung, erst eine Weile zu schlafen, nieder und ging zurück an die Vorderseite des Hauses.


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