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16.

Ich stehe in Strümpfen auf der Diele meines Hauses, die Schuhe habe ich schon im Vorplatz gelassen. Es ist noch dunkel, aber nun tastet meine Hand nach dem Schalter, ein leises Knacken, und es wird hell. Ja, hier bin ich wieder bei mir zu Hause, hier gehöre ich her, in diese Ordnung und Sauberkeit! Mit einer fast andächtigen Scheu betrachte ich diese kleine schmucke Diele mit dem resedafarbenen Teppich, von dem längst die häßlichen Spuren jener düsteren Nacht getilgt sind; ich sehe den Kleiderständer an, an dem ordentlich auf Bügeln nebeneinander Magdas grüne Kostümjacke und ein bläulicher Sommermantel hängen – und nun schleiche ich mich zum Spiegel, zu dem großen, langen Spiegel, in dem man sich von oben bis unten sehen kann, und ich betrachte mich von oben bis unten. Und ein fürchterlicher Schrecken packt mich, wie ich mich da stehen sehe in meinen ausgebeulten, beschmutzten Kleidern, mit dem grauschwarzen Halskragen, dem stoppligen fahlen Gesicht, den rotgeränderten Augen.

›Das ist aus mir geworden!‹ schreit es in mir, und mein erster Impuls ist es, hinüberzustürzen zu Magda, vor ihr auf die Knie zu fallen und sie anzuflehen: ›Rette mich! Rette mich vor mir selbst! Birg mich an deinem Herzen!‹ Aber diese Regung verfliegt; ich lächle mein Spiegelbild listigverschlagen an.

›Das möchte sie‹, denke ich. ›Und dann ab mit dem Mann in eine Trinkerheilanstalt und rein in Geschäft und Vermögen!‹

Listig sein. Immer listig sein. Und ich rücke mir eilig einen Stuhl an den großen Kleiderschrank in der Diele, ich lange hinauf und hole mir einen Handkoffer herunter, den besten Handkoffer, den wir besitzen, einen vollrindledernen; eigentlich gehört er sogar Magda, ich habe ihn ihr einmal zum Geburtstag geschenkt. Aber darauf kommt es jetzt nicht an, außerdem – gehört nicht Eheleuten alles gemeinsam? In der nächsten Viertelstunde entfalte ich eine fieberhafte Tätigkeit, ich packe meinen Mantel ein, zwei Anzüge, Wäsche. Aus dem Badezimmer hole ich mein Toilettenzeug. Magda wird sich morgen früh wundern! Aus dem Schuhschrank hole ich zwei Paar Schuhe, Hausschuhe – ich richte alles wie zu einer großen Reise. Und jetzt ist mir wirklich so, als würde ich eine große Reise antreten, vielleicht, vielleicht ist Elinor diesmal zugänglicher. Nun bin ich mit all diesen Dingen fertig, und ehe ich jetzt an das Schwerste gehe, setze ich mich einen Augenblick auf die Diele, trinke und ruhe mich aus. Ich merke doch sehr, wie schwach ich in den letzten Wochen geworden bin, dies bißchen Packen hat mich über Gebühr angestrengt, mein Herz flattert, ich bin von Schweiß bedeckt.

Dann mache ich mich wieder ans Werk. Bis jetzt ist alles ausgezeichnet gegangen, ich habe kein Geräusch gemacht, das einen normalen Schläfer erwecken könnte, nichts fiel mir aus den Händen. Aber, wie gesagt, das Schwerste steht mir noch bevor. Ich ziehe die Schieblade unter dem Spiegel auf, und siehe, da liegt wirklich die elektrische Taschenlampe! Ich knipse, und siehe, sie brennt tatsächlich! Es geht doch nichts über einen gutgeordneten Haushalt – heil dir, Magda! Ich knipse alles Licht aus und schleiche mit der Taschenlampe in unser Wohnzimmer. Es liegt direkt neben dem Schlafzimmer und ist von ihm nur durch eine zweiflüglige, mit bunten Glasscheiben verzierte Tür getrennt, durch die jeder Lichtschein und jedes Geräusch dringen. Im Dunkeln taste ich mich zum Schreibtisch hin, in dessen Mittelfach in einer kleinen Geldkassette unser Bargeld liegt. Im allgemeinen ist dort nur das für den Haushalt notwendige Geld, also nur wenig; haben wir abends aber noch Einnahmen im Geschäft gehabt, die zur Bank zu bringen es zu spät war, so nahmen wir das Geld mit hierher. Ich war doch sehr gespannt, wieviel ich finden würde. Es gelang mir, das Fach ohne jedes Geräusch zu öffnen und die Kassette herauszuholen; ich brauchte nicht einmal die Taschenlampe anzuknipsen. Ebenso fand ich im völlig Dunklen das neben der Kassette hegende Scheckbuch. Ich schob es in die Tasche und trug die Kassette behutsam Schritt für Schritt in die Diele, setzte sie erst ab, schloß die Tür und knipste das Licht an. Es klingt seltsam, aber ich habe so etwas wie ein Gebet verrichtet, ehe ich die Kassette aufschloß. Ich betete zu dem so lange vergessenen lieben Gott, er möge es doch bewirken, daß recht viel Geld in der Kasse sei. Viel Geld, um dieses Leben zwischen Trunkenheit und Übelkeit noch lange fortzusetzen, noch viel mehr Geld, um Elinor, la reine d'alcool, zu verführen, mit mir auf Reisen zu gehen. Mit keinem Gedanken beschäftigte mich die Lage, in die ich mein eigenes Geschäft durch solch eine Entnahme bringen würde. Ja, ich glaube, wenn ich daran gedacht hätte, ich hätte um so mehr frohlockt, je größer der Schaden für meinen eigenen Betrieb geworden wäre. Ich hatte also mein Gebet verrichtet und öffnete die Kassette. Ich hob das obere Fach ab, in dem nur Hartgeld lag, und sah gierig nach den Scheinen. Meine Enttäuschung war grenzenlos. Nur ganz wenige Scheine lagen da; als ich sie durchzählte, waren es nicht viel mehr als fünfzig Mark. Ich sehe mich noch da stehen, die wenigen Scheine in der Hand, ein eisiges Gefühl im Herzen.

›Dies ist das Ende‹, dachte ich, ›das reicht weder für Elinor noch für Lobedanz. In zwei, drei Tagen ist dies Geld zu Ende, und dann gibt es nur ergeben, zu Kreuze kriechen, die Kaltwasser-Heilanstalt, die endgültige Aufgabe aller Hoffnungen.‹

So stand ich da, den Tod im Herzen, lange, lange ...

Dann kam wieder Leben in mich. Ich sah wieder Lobedanz' gelbliches Gesicht vor mir mit dem dunklen Vollbart; ich hörte seine sanfte Stimme etwas von Schmuck und Silber flüstern ... Schmuck kam nicht in Frage. Das bißchen Schmuck, das Magda besaß, war kaum etwas wert, außerdem bewahrte sie ihn im Toilettentisch des Schlafzimmers auf.

Aber Silber – ja, Silber hatten wir. Schönes, schweres, altes Tafelsilber, ein Gelegenheitskauf auf einer Auktion. Im Koffer war noch Platz genug ... Ich trank schnell und viel, ich trank die ganze Flasche auf einmal leer. Es war noch gut ein Drittel in ihr gewesen. Einen Augenblick überschwemmte die plötzliche starke Alkoholzufuhr meinen Körper wie mit einer roten Woge, ich schloß die Augen, ich zitterte. Würde ich brechen müssen? Aber der Anfall ging vorüber, ich hatte mich wieder in der Gewalt. Rasch ging ich ins Speisezimmer und knipste dort den Kronleuchter an. Die eben noch so ängstlich gewahrte Vorsicht brauchte ich nun nicht mehr. Ich schloß das Büfett auf und nahm das Silber, das dutzendweise in Flanellfutteralen steckte (wir brauchen es nur bei festlichen Gelegenheiten) heraus. Ich häufte es erst neben mir auf, dann trug ich es fort, große Löffel, Messer und Gabeln, die kleinen Bestecke, die Fischbestecke ... ich stopfte alles in den Koffer, wie es kam. Nun fehlten nur noch die silbernen Auffüll-Löffel, das Salat- und das Tranchierbesteck, die lose in einer besonderen Schieblade lagen. Ich nahm sie eilig heraus; plötzlich hetzte mich etwas, ich mußte fort aus diesem Haus! Ein Löffel fiel klirrend zu Boden, ich fluchte laut, griff nach ihm und ließ einen zweiten Löffel fallen.

Ungeduldig riß ich an der Schieblade, um sie ganz herauszuziehen und das Einzelsilber in ihr zum Koffer zu tragen. Die Schieblade gab überraschend schnell nach und fiel polternd auf das Silbergeschirr, das hell ertönte. Ich raffte alles zusammen, wie ich es fassen konnte, jetzt ohne Rücksicht auf den Lärm, den ich machte, und eilte damit zum Koffer. Im Gehen fielen zwei, drei Löffel. Ich warf das Mitgebrachte obenauf in den Koffer und lief zurück, das Verlorene zu holen. Ich blieb wie angewurzelt stehen und starrte auf Magda, die mitten im Speisezimmer vor ihrem aufgerissenen Büfett stand!


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