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Drittes Kapitel.

Fridolins seltsames Abenteuer mit der Leitkuh Rosa und sein erstes Bekanntwerden mit einigen Ditzens.

 

Der Dachs Fridolin trabte mit mißmutig gesenkter Rute durch den Wald. Schwer ist es doch, seinen Geburtsort und die liebgewordene Heimstatt aufzugeben. Fridolin war überzeugter denn je, daß diese Welt sehr schlecht eingerichtet ist und daß er ein Recht hatte, mit ihr unzufrieden und übellaunisch zu sein. Er war so verdrießlich, daß ihn sogar sein eigner Schwanz ärgerte. Sehr gut hatte er die kunstvoll geschwungene Rute des Fuchses Isolein bemerkt, und während er jetzt durch den Wald dahinschlich, haderte er mit dem Schöpfer aller Dinge, daß er den Dachsen nur solch borstiges, schwärzlich-gräulich-rötliches Schwänzlein verliehen hatte, den stinkenden, unverschämten Füchsen aber solch stolze, anmutige, brandrote Rute.

»Wie kommt unser Schöpfer«, sprach er bei sich und schnappte dabei nach einem Frosch, der sich aber seinem Verfolger durch einen künstlichen Kopfsprung in ein Moorloch entzog, was die Laune Fridolins nicht verbesserte. »Wie kommt unser Schöpfer«, sprach also der Dachs zu sich selbst, »denn dazu, solchen nichtswürdigen Halunken und Banditen eine so schöne Rute zu verleihen? Wird denn die Schlechtigkeit auf dieser Welt belohnt und die Tugend bestraft? Habe ich nicht immer still und fromm für mich hingelebt, bin fleißig meiner Nahrungssuche nachgegangen, habe meine Wohnung hübsch saubergehalten und im übrigen mein Leben, wie sich das gehört, verschlafen? Und nun kommt so ein heimatloser Herumtreiber daher, jagt mich aus meiner Behausung und wird dafür noch mit einem brandroten Schweif, schnellen Läufen und grün leuchtenden Lichtern belohnt?! Wenn unser Schöpfer nur einen Funken von Gerechtigkeitsgefühl in seinem Kopfe hätte, so würde er mich mit allen diesen Vorzügen des Fuchses geschmückt, diesem schamlosen Frechling aber meinen schleichenden Gang und mein unscheinbares Fell verliehen haben! Aber ach! Es gibt keine Gerechtigkeit auf dieser Welt, und ein armer Dachs muß viel leiden, ehe er eine ruhige Heimstatt findet, in der ihn keiner belästigt.

So sprach Fridolin zu sich bei seinem Auszuge aus dem Hullerbuschwalde. Er übersah dabei vollkommen, daß er, wenn ihm der Schöpfer aller Tiere wirklich den schnellen Lauf, das rote Kleid und die grünen Augen des Fuchses gegeben hätte, daß er dann eben ein Fuchs und kein Dachs gewesen wäre, ein Fuchs, mit allen dem Fridolin so verhaßten Eigenschaften dieses Tieres. Fridolin wollte in Fuchsgestalt wie ein Dachs leben. So etwas aber ist nicht möglich auf dieser Welt.

Weiter aber vergaß Fridolin vollkommen, daß er gar nicht so sittsam und fromm und ohne jemandem ein Leid zu tun gelebt hatte, wie er sich einbildete. Nicht nur hatte er seine eigene Mutter aus ihrer Wohnstatt verjagt, sondern er hatte auch bei seiner Nahrungssuche Tausenden von Würmern, Käfern, Fröschen das Leben genommen, manchen jungen, aus dem Nest gefallenen Vogel trotz der jämmerlichen Bitten der Eltern verspeist und viele Wespen-, Hummel- und Bienennester des so notwendigen Winterhonigs beraubt. Kurz, Fridolin hatte anderen Leiden bereitet, um selbst leben zu können – nach einem ewig alten Gesetz allen Lebens. Er mußte so tun, denn der Trieb dazu lag in ihm von Geburt an; er hatte aber kein Recht, den Fuchs zu beschimpfen, wenn der nach seinem Triebe handelte. Und gar den Schöpfer und die Einrichtungen der ganzen Welt zu schelten, war vollends töricht, denn nur weil die Welt und jedes Tier auf ihr so war, wie es war, war der Dachs ein Dachs geworden, also ein nach Frieden und Einsamkeit sich sehnendes Tier, und etwas anderes wollte er ja in Wahrheit auch gar nicht sein.

Während der Dachs vor sich hin sprach, war er aus dem Hullerbusch hinausgekommen und trottete nun über das freie Feld. Er näherte sich dem Gemüsegarten des Gutes, und weil er sich vor Aufregung und Ärger ganz hohl im Bauche fühlte, beschloß er, diesem Garten einen Besuch abzustatten. Der Wind strich gerade von Fridolin zu Asta hinüber und wehte der gelbschwarzen Schäferhündin den Dachsgeruch schön in die Nase. Die Hündin tobte wie wild an der Kette, Fridolin aber ließ sich in dieser Nacht nicht durch ihr Gebell stören. Wie man so sagt, war dem Dachse alles egal, vor allen Dingen wollte er fressen. Der sichelförmige Mond sah vergnügt blinzelnd auf den verlassenen Hof, die tobende Hündin und den futternden Dachs hinab.

Dieses Mal aber schmeckte Fridolin sein Nachtessen gar nicht. Er fand die Mohrrüben holzig, die Erbsen bitter und saftlos. Einigen Trost gewährten ihm ein paar Schnecken, die er in den längst abgeernteten Erdbeeren aufstöberte, aber der Blumenkohl wieder war schon blau geworden – nicht einmal ihren Garten konnten diese weißen Zweibeine, die Menschen, in Ordnung halten. Man mußte sich nur wundern, wozu solche Geschöpfe überhaupt auf der Welt waren?

Am Hofe vorbei wanderte Fridolin weiter, immer vom Hullerbusch fort. Zufällig hatte er dieselbe Straße gewählt, die der Fuchs Isolein auf seinem Einmarsch in den Buchenwald gegangen war. Freilich war Isolein sehr viel schneller vorangekommen als der schwerfällige Dachs, der auch noch in jedem Graben stöberte und alle Steine umdrehte, ob er nicht etwas Freßbares fand. Diese Nacht aber war ihm nicht günstig, sein Magen blieb in einem Knurren.

Dafür fand er bei einem Hafer eine große Pfütze, in der er ein erfrischendes Schlammbad nahm, das machte ihn wieder ein wenig munterer. Da der Wind kühler zu wehen, der Tau zu fallen anfing, auch die Mondsichel immer bleicher wurde, der Morgen also nahte, fand es Fridolin an der Zeit, sich nach einem Quartier für den Tag umzusehen.

Er wandte sich links ab vom Wege, strich erst durch Utnehmers Hafer und kam dann auf ein trockenes und wüstes Land, auf dem nur altes Gras, ausgebranntes Moos, Ginster und riesige Feldsteine nebst uralten Wacholderbüschen standen und lagen. Hier war erst recht nichts für den Dachs zu finden, keine Nahrung, kein Obdach; unwillig schimpfend über das immer miserabler werdende Land wanderte er weiter, bis er an einen derben Koppelzaun kam, zwischen dessen Schleeten er aber leicht hindurchschlüpfen konnte.

Hier war er wiederum auf einem Südhang zum Zanßensee hinab. Aber nicht mit schönen, weit reichenden Buchenbäumen war dieser Hang bestanden, sondern nur mit einem Wildwuchs aus Brom- und Himbeeren, aus wilden Rosen, aus Holunderbüschen und aus vielen, vielen hochgewachsenen Haselbüschen. In früheren Zeiten hatte es auf diesem Hang von Kaninchen gewimmelt; jetzt waren ihre unzähligen Bauten verlassen und verfallen, kein einziges Kaninchen war von dem einstmals mächtigen Volke übergeblieben. Zwei bitterböse Winter und die Flinte des Jagdaufsehers Friesicke hatte auch die letzten ausgerottet.

Doch fand der Dachs in ihren Bauten die Möglichkeit zu einem Unterschlupf; da der Morgen schon nahe war, erweiterte er eilig eine Röhre, daß sie ihm Raum zum Schlafen bot. Schnell schob er sich rückwärts hinein, mit der rüsselförmigen Nase dem Tage zugewandt lag er im engen Rohr. Noch schob er einige Erde vor und über sich, daß kein Licht seine Augen stören konnte, und schon war Fridolin, völlig ermattet von den ungewohnten Anstrengungen dieses Tages, eingeschlafen.

Aber auch jetzt sollte er nicht vom Glück begünstigt werden, und nicht ungestört sollte er schlafen dürfen. Er war nämlich an einen Platz geraten, den die Leute im nahen Dorf Schmied Rechlins Koppel nennen. Müde und mißmutig hatte der Dachs sich nicht die Zeit genommen, die Umgebung abzusuchen, sonst hätten ihn die überall reichlich herumliegenden Kuhfladen darüber belehren müssen, daß er nicht der einzige Bewohner dieses Hanges war. Tatsächlich fristeten auf ihm tagsüber noch drei Kühe und zwei Haupt Jungvieh ein kärgliches Leben und suchten, immer wieder von neuer Hoffnung belebt, zwischen Haseln und Dornen nach ein paar Hähnchen, mit denen sie ihre mageren und hungrigen Bäuche füllen könnten.

Auch an diesem Morgen wurden die Kühe auf die erbärmliche Koppel gejagt, die Stangen am Eingang wurden vorgelegt, und nun mochten sie sehen, wie sie mit dem langen Tag und ihrem Hunger fertig wurden. Zuerst gingen sie einmal ins Wasser und soffen sich voll, und das war wirklich auch fast das einzige, was es hier reichlich gab: Wasser, und dann freilich noch im Übermaße gute, frische Luft.

Weil sie nun einmal im Wasser standen, und weil sie sehr trübe über die Aussichten dachten, auch nur ein Maulvoll über Nacht frisch gewachsenes Gras zu finden, blieben sie erst einmal eine ganze Zeit im Wasser stehen. Träge klatschten sie manchmal mit ihren schmutzigen Schwänzen nach den Fliegen und sahen betrübt vor sich hin, während kleine Barsche und Rotaugen vergnügt zwischen ihren Beinen umherschossen.

Darüber verging wohl eine ganze Stunde, und diese Stunde verschlief Fridolin wirklich höchst angenehm. Er träumte, er schlafe in seinem alten Bau, habe einen seidigen Fuchsschwanz und elegante Läufe, der böse Fuchs Isolein aber sei in den Zanßen-See gefallen und kläglich ersoffen. Fridolin nieste einmal kräftig – ein Erdkrümchen von der Bedeckung war in seine Nase geraten – und schlief weiter.

Nach Ablauf dieser Stunde hob die älteste Kuh, die Leitkuh Rosa, den Kopf – leise bimmelte die Glocke an ihrem Halse –, sie warf einen trübblauen Blick auf den Hang und entschloß sich, das Fußbad zu verlassen. Langsam entschritt sie dem Wasser, langsam folgten ihr die andern vier. Die Leitkuh Rosa schüttelte das Wasser von sich und fing an, den steilen Hang zu erklettern, wobei sie sich vorsichtig zwischen den Dornbüschen hindurchwand, ab und zu ein Maulvoll des dürren Mißwuchses versuchend, wobei sie anklagend die blauen Augen zum Himmel erhob. Jämmerlich bimmelte dann das Glöcklein. Das andere Rindvieh verstreute sich über den Hang, oben, unten wie in der Mitte ging es auf die Futtersuche, überall bimmelte es höchst kläglich.

In Rosas Schädel war die Erinnerung an eine schluchtartige Senke ziemlich am Ende der Koppel erwacht. Diese fast buschfreie, sehr steile Senke wies eine dichte, kurze Grasnarbe auf, die, hundertfach betreten und abgebissen, vielleicht doch über Nacht ein ganz klein bißchen nachgewachsen war. Nachdem Rosa also den oberen Koppelzaun erreicht hatte, zwängte sie sich fast eilig zwischen den Büschen hindurch, um jene Senke als erste zu erreichen.

Dabei geschah es ihr in blindem Eifer, daß sie in den vom Dachs Fridolin aufgegrabenen Erdhaufen trat. Die Leitkuh Rosa verstauchte sich dabei den Fuß, der Dachs Fridolin wurde durch einen derben Stoß auf den Kopf aus seinem Schlummer gerissen. Erschrocken fuhr er aus dem ihn so schlecht schützenden Bau und wies für alle Fälle, auf den Boden gekauert, einer etwaigen Gefahr die Zähne, wobei er ein drohendes Fauchen ausstieß.

Die Kuh Rosa dachte, vorläufig viel zu erschrocken, noch gar nicht an ihren verknacksten Fuß. Sie starrte völlig verblüfft auf das kleine wütende Tier, das da so unvermutet aus der Erde hervorgekommen war. So verhielten die beiden eine ganze Weile einander gegenüber, sich anstarrend. Allmählich wurde das Fauchen Fridolins leiser, und die Lefzen legten sich wieder über das entblößte Gebiß, als der ungeheure, schwarz-weiß gefleckte Berg so gar keine Anstalten machte, feindlich zu werden. Rosa aber schüttelte wehmütig ihr Haupt – kläglich wimmerte das Glöcklein –, sie wollte das vierte Bein aufsetzen, und ein stechender Schmerz hinderte sie daran. Es war selbstverständlich, daß Rosa, deren Geistesgaben nie sehr entwickelt waren, diesen Schmerz mit dem kleinen gräulichen Wesen mit dem weißen Gesicht in Verbindung brachte. Wißbegierig streckte Rosa die Nase vor und schnüffelte nach dem nie gesehenen Tier ...

Der Dachs Fridolin, der seinerseits glaubte, nun sollte er von dem Berg aufgefressen werden, fuhr zu und biß sich in Rosas schwarzer feuchter Schnauze fest ...

Einen solchen Schreck hatte Rosa noch nie in ihrem Leben bekommen! Sie hob den Schwanz und – unanständige Töne von sich gebend – raste sie hangabwärts, hangaufwärts, den Hang entlang, ins Wasser, wieder aus dem Wasser, hinauf, hinauf –! Rosa durchbrach in ihrer irren Angst die Schleete des Koppelzauns und raste in wildem Galopp über den Hauptmannsberg fort, dem Dorfe zu, wo vertraute Leute ihr wohl Hilfe brächten – und der vor Angst ebenfalls ganz dumm gewordene Fridolin hing noch immer verbissen an ihrem Maule –!

Es arbeiteten Leute mit ihren Gespannen auf den Feldern, sie sahen Rosa, die Leitkuh des Schmiedes Rechlin, in wilder Jagd dem Dorfe zustürmen, mit erhobenem Schwanz – kläglich bimmelte das Glöcklein –, und von Rosas Kopf hing ein Tier!

»Ein Marder!« riefen die einen, ließen ihre Pferde stehen und liefen der wild gewordenen Kuh nach.

»Ein Wolf!« schrien die andern, ergriffen Peitsche oder Mistforke und stürmten ebenfalls hinterdrein.

Einige leichtfertige Menschen aber fingen bei diesem ungewohnten Bilde zu lachen an. Sie lachten immer mehr, als sie diese wilde Jagd sahen. Nun tauchten, über die Kuppe des Hauptmannsberges kommend, auch die andern vier Haupt des Rechlinschen Rindviehs auf, die erstaunt ihrer bewährten Leiterin folgten. Als sie Rosa schon nahe dem Dorfeingang sahen, verfielen sie in einen schlanken Trab; die leichtfertigen Leute aber hielten sich die Bäuche und setzten sich vor Lachen auf die Erde.

Jeder weiß es, daß beim Dorfeingang, besonders zur rechten Seite des Weges, wenn man vom Hullerbusch kommt, viele große Feldsteine liegen: Rosa, in Angst und Schmerz auf nichts mehr achtend, stieß gegen einen solchen Fels, sie fiel hin und muhte jämmerlich ...

Kaum hatte der Dachs die liebe Erde berührt, war es, als wenn wieder Besinnung in ihm zurückgekehrt sei. Er ließ das Maul Rosas los, in das er sich so fest verbissen hatte und fuhr erst einmal in die dort stehenden Schlehen, mitten zwischen ein Volk Hühner, das empört gackernd das Weite suchte. Da der Dachs nun aber die Schritte und Schreie der herbeistürmenden Männer hörte und sein wieder erwachter Verstand ihm sagte, daß die Schlehen ihm keinen Schutz gewähren würden, lief er in ihnen weiter, überquerte dann die Straße, keuchte an Güldners Bretterzaun entlang, bog um eine Ecke und entdeckte glücklich hohe Stöße kleingeschlagenen Holzes, zwischen denen er sich aufatmend verkroch. Erst einmal empfing ihn Dunkel und Stille. Leise legte er sich hin ...

Unterdessen hatte die Kuh Rosa sich wieder erhoben und war, auf drei Beinen hinkend, zum Dorffluß im Dorfe gepilgert, wo sie sich ins kühle, fließende Wasser gestellt hatte. Abwechselnd kühlte sie ihren verstauchten Fuß und die blutende Schnauze und verstand von der ganzen Welt nichts mehr. Die beiden andern Schmiedekühe und die beiden Haupt Jungvieh standen um ihre Leiterin und sahen sie mit blauen Augen dumm an. Dazu muhten sie leise, was etwa heißen sollte: »Es ist ganz entsetzlich, aber was ist eigentlich geschehen?«

»Ja, was ist eigentlich geschehen?« fragten sich auch die Leute, die mit Peitschen und Forken der Kuh zu Hilfe geeilt waren. »Was war das für ein komisches Tier, das der Kuh am Kopfe hing?« So fragten die Leute.

Es hatten Kinder bei den Häusern am Dorfeingang gespielt, und eines von ihnen erklärte: »Es war ein Tier wie ein Wolf mit glühenden Augen, und es lief ganz schnell um die Ecke in unsern Schweinestall – davon schreien unsere Schweine so.«

Wirklich quiekten die Hartigschen Schweine gewaltig, aber nicht wegen eines Wolfes, sondern weil sie gierig ihr Futter forderten. Die Leute liefen mit ihren Peitschen und ihren Forken in den Schweinestall, aber so viel sie dort auch herumsuchten, sie fanden das böse Tier nicht. So fragten sie wieder, was das wohl für ein Tier gewesen sei –?

Darauf sagte ein anderes Kind, das dort gespielt hatte, ein Mädchen mit Namen Gisela: »Es war ein langes Tier mit einem buschigen Schwanz wie ein Marder, und es lief empor an dem Güldnerschen Hause und hinein in den Taubenschlag. Hört doch, wie aufgeregt die Tauben gurren und hin und her trippeln!«

Wirklich gurrten und trippelten die Tauben sehr, aber nicht wegen eines Marders, sondern weil Frau Güldner in all dem Durcheinander vergessen hatte, ihnen Körner zu streuen. So war auch diese Nachsuche im Taubenschlag erfolglos, und wieder standen die Leute, kratzten sich die Köpfe und fragten sich nach Art und Verbleib des Tieres.

Nun war da noch ein kleiner Junge mit blonden Locken, der Achim Ditzen hieß, und dieser Junge sagte: »Es war ein graues Tier mit einem weißen Gesicht und einer spitzen Schnauze, und es lief dort zwischen das Holz.«

Weil der Junge aber noch so klein war, hörten die Leute nicht auf ihn, sondern gingen allmählich auseinander, die einen zurück zu ihren Gespannen auf den Acker, die andern brachten Rosa heim in den Stall zum Schmied Rechlin.

Der kleine Junge Achim aber ging an das Holz heran und kuckte hierhin und spähte dorthin, aber weil er ins Stickendustere sah, konnte er den Dachs nicht sehen. Fridolin aber sah den Jungen, der im hellen Sonnenlichte stand, sehr wohl, und er dachte mürrisch: »Schon wieder so ein gräßliches Zweibein! Seit ich diesen elenden Fuchs Isolein gesehen habe, bin ich doch förmlich vom Pech verfolgt! Was für ein gräßlicher Tag ist das nun wieder! Wohin bin ich nur geraten? Es riecht hier ganz abscheulich nach vielen unbekannten Sachen, hauptsächlich aber nach Zweibeinen. Hier will ich bestimmt nicht bleiben, sondern mir ein schönes einsames Loch suchen, in dem mich nichts stören kann. Aber bis zum Dunkelwerden muß ich hier schon aushalten. Ich will mal sehen, ob ich nicht auf den Riesenschreck ein kleines Auge Schlaf nehmen kann. Der kleine Zweibein wird mir wohl nichts tun.« Und Fridolin schloß die Augen.

Zu dieser Tageszeit sagte die Mutter Ditzen zu ihrem Mädchen, das man im ganzen Dorf nur die Mücke nannte: »Liebe Mücke, der Achim ist schon so lange fort, sicher treibt er wieder Unfug. Sieh doch einmal, ob du ihn nicht irgendwo findest, und bring ihn mir dann. Er muß auch noch eine Schnitte essen.« Das Mädchen Mücke war ein furchtbar braves Kind, wie es sie sonst eigentlich nur in den Märchenbüchern, in denen alles gelogen ist, gibt. Es war immer überglücklich, wenn es für seine Mutter einen Gang tun oder etwas arbeiten konnte, und so sagte es auch diesmal: »Liebe Mummi, das ist ja großartig, daß ich etwas für dich tun kann! Am liebsten würde ich ja bis Neustrelitz barfuß über spitze Steine laufen, um den Achim zu suchen. Ich werde ihn aber wohl leider schon im Unterdorfe finden.«

Damit legte das artige Kind den siebenundfünfzigsten Karl-May-Band, in dem es gerade las, genau auf den bestimmten Platz, wusch sich die Hände, kämmte sich das Haar und prüfte im Spiegel, ob es auch ordentlich genug war, ins Dorf zu gehen. Dann sagte es noch im Vorbeigehen in der Küche: »Haltet bitte die Teddy im Hause, sonst läuft sie mit mir mit und jagt die Gänse.« Denn die Ditzensche Hündin Teddy war eine große Unfugstifterin.

Das Mädchen Mücke ging in das Dorf, und wirklich fand es seinen Bruder Achim schon nach fünf Minuten hinter dem Hartigschen Haus beim Brennholz stehen und immerzu in einen Spalt kucken. »Komm, Achim«, sagte die Mücke und faßte ihn bei der Hand. »Du sollst nach Haus gehen und ein Butterbrot mit gezuckerten Himbeeren essen – ist das nicht fein?«

Der Junge aber wollte nicht mit seiner Schwester gehen, sondern hielt sie bei der Hand und flüsterte, immer noch in den Spalt hineinlugend: »Da drinnen liegt ein Tier, es hat ein weißes Gesicht mit schwarzen Streifen, das hat die Kuh Rosa ins Maul gebissen.« Denn weil der Junge nun schon lange in den Spalt starrte, hatte sich sein Auge an das Dunkel gewöhnt, und er konnte den Dachs liegen sehen.

Die Mücke schob den Bruder beiseite und sah auch einen Augenblick durch den Spalt. Weil sie aber plötzlich vom hellen Tageslicht ins Dunkel schaute, sah sie gar nichts und sagte ungeduldig: »Da ist nichts, Achim, das bildest du dir alles nur ein. Ein Tier mit weißem Gesicht und schwarzen Streifen gibt es gar nicht. Komm jetzt mit nach Haus und sei ein braver Junge, wie ich ein braves Mädchen bin. Die Mummi wartet doch auf dich, und man läßt seine Mutter nicht warten.«

Der Achim aber wollte durchaus nicht so artig sein wie seine Schwester, er legte wieder sein Auge an die Spalte und sagte nach einer Weile: »Jetzt sehe ich ihn wieder ganz deutlich. Wenn wir eine lange Stange hätten und stökerten ihn damit, käme er sicher hervor, und wir könnten ihn totschlagen, braten und aufessen.«

Mücke wollte grade ein ganz klein bißchen ungeduldig mit ihrem ungehorsamen Bruder Achim werden, da kam in wildem Lauf, mit fliegenden Ohren und wehendem Schwanz die Hündin Teddy angestürmt, wieder eine Unfolgsame, denn sie war trotz strengen Verbotes ausgerissen, um die Mücke auf ihrem Wege zu begleiten, und jagte auch jetzt schon wieder drei Gänse vor sich her.

»Teddy!« rief die Mücke empört. »Du abscheulicher Hund! Willst du wohl sofort herkommen und die Gänse in Ruhe lassen!«

Die Teddy wartete in Gemütsruhe so lange, bis die Gänse sich mit ausgebreiteten Flügeln in den Dorffluß gestürzt hatten, dann näherte sie sich mit freundlich wackelndem Schwänzchen ihrer Herrin. Als die Teddy aber in die Nähe des Holzstoßes kam, spürte sie einen fremden Geruch, der sie ganz aufgeregt machte. Ihre Haare sträubten sich, ihre Augen fingen zu glühen an, und sie ging auf ganz hohen Beinen, als schritte sie auf Zehenspitzen, dem Holze zu.

Dort angekommen schob die Teddy den Achim einfach beiseite, sie steckte die Nase schnobernd in den Spalt und fing böse an zu knurren.

»Siehst du, Mücke?« rief Achim triumphierend. »Da siehst du wieder mal, wie schrecklich dumm du bist! Die Teddy sieht das Tier auch, und gleich wird sie es herausgejagt haben!«

Der Dachs Fridolin war natürlich von all dem Geschwätz und gar jetzt von dem Geknurr wieder aufgewacht und dachte: »So geht es also auf der weiten Welt zu! Nirgendwo findet man Ruhe! Nicht einmal in einem solchen stinkigen dunklen Winkel hinter Holz! Wenn du altes Biest aber deine Nase nur ein Stückchen weiter vorstreckst, so beiße ich dich hinein, wie ich den schwarz-weißen Berg in die Nase gebissen habe. An einen schlimmeren Ort, wie ich jetzt bin, kann ich bestimmt nicht verschleppt werden!«

Die Teddy, als verstünde sie, was der Dachs Fridolin doch nur dachte, begnügte sich damit, weiter drohend zu knurren und mit den Augen zu funkeln, streckte aber die Nase nicht weiter vor. Der Mücke aber wurde soviel Ungehorsam doch zuviel: Sie packte mit der einen Hand die Teddy am Halsband, mit der andern ihren Bruder an der Hand und erklärte energisch: »Jetzt wird nach Haus gegangen; was zuviel ist, ist zuviel. Du solltest dich was schämen, Achim, und du, Teddy, auch! Nun fort!«

Und damit gingen sie wirklich. Auf diese Weise hatten aber ein paar von den Ditzens und der Dachs Fridolin, die noch soviel miteinander zu tun bekommen sollten, erste Bekanntschaft geschlossen, wenn sie auch kaum etwas voneinander gesehen hatten.


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