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Erstes Kapitel.

Fridolins glückliche Jugendzeit. Er verliert alle seine Geschwister und schickt seine Mutter in den Fuchsenbau.

 

In dem Haus am See wohnten die Leute, in der Höhle am Südhang des Baumwerders hauste der Dachs.

Die Leute hatten das Haus eines Tages einfach gekauft; sie nahmen große Veränderungen vor, in ihm und um das Haus herum. Die Veränderungen in dem Haus interessierten den Dachs Fridolin gar nicht, aber daß diese Leute überall Zäune zogen, kreuz und quer, über seinen geruhigsten Nachtwegen, und daß sie ihn dadurch von seinen besten Futterplätzen abschnitten, das bereitete ihm manchen Kummer. Auch hatten diese Leute viele Kinder, wie viele, so weit konnte Fridolin nicht zählen, denn ein Dachs kann gerade bis zwei zählen, was mehr ist als zwei, das nennt er viel.

Aber wir wissen, wie viele Kinder diese Leute hatten, nämlich drei; sie wurden genannt: der Uli, die Mücke, der Achim. Und außer den Kindern hatten die Leute noch einen Hund, Teddy, und die Leute und die vielen Kinder und der Hund hatten es sich angewöhnt, auf den Baumwerder zu laufen und dort herumzuspielen und Krach zu machen, und der Hund jagte und stöberte überall. All das störte Fridolin, den Dachs, gewaltig.

Der hatte sich seine schöne Höhle nicht kaufen können, sondern er hatte sie sich eigenpfotig mit großer Mühe ausgebaut. Ursprünglich hatte Fridolin nicht auf dem Baumwerder gewohnt, erst ein bitteres Erlebnis hatte ihn gezwungen, nach dort aus dem gut drei Kilometer entfernten Hullerbusch zu verziehen – und das ist ein weiter Weg für einen Dachs.

Der Hullerbusch ist ein mäßig großer Buchenwald, auf einer Hochebene gelegen, die nach Norden und Süden zu zwei Seen hin abfällt, zum Schmalen Luzin und zum Zanßen, wie die Leute diese Seen nennen.

Am Südhang zum Zanßen hatte Fridolin seinen ersten Bau gehabt, und dort, am Südhang im lichten Buchenwald, war er auch aufgewachsen, liebevoll betreut von seiner Mutter Friedesinchen, mit seinen drei Geschwistern, die Friedrich, Frieda und Friederike hießen.

Seinen Vater hatte Fridolin nie kennengelernt, denn die Dachse, die von Natur zur Einsiedelei neigen, leben stets für sich allein. Auch Mann und Frau hausen nicht miteinander, sondern die Mutter muß allein die Jungen aufziehen, bis sie groß genug sind, sich selbst in der Welt weiterzuhelfen. Mutter Friedesinchen hatte ihren Kleinen aber mancherlei von ihrem Vater Frieder erzählt, der wegen seiner Brummigkeit und wegen seines Griesgramtums unter den Dachsen hochgeehrt war. Denn die Dachse schätzen mürrisches Wesen ebensosehr wie die Menschen Freundlichkeit; sie finden, je weniger ein Dachs die anderen Dachse braucht, um so schätzenswerter ist er, und am höchsten ist der Dachs zu verehren, lehrte Mutter Friedesinchen ihre Kinder, der überhaupt nicht bemerkt wird.

Also am Südhang zum Zanßen im lichten Buchenwald hatte Fridolin seine Kindertage verlebt, und sehr schön waren sie gewesen! Am Ende eines sehr kalten Februar war er mit seinen Geschwistern geboren worden, aber von der Kälte draußen in der Welt hatten die Kleinen nichts zu spüren bekommen: die Mutter hatte die Höhle warm mit trockenem Laub, mit weichem Moos und langem Gras gepolstert – das war ein richtiges molliges Nest. Zwei Meter tief lag diese Höhle unter dem Erdboden; so weit drang kein Frost.

Auf die Sauberkeit war Friedesinchen besonders erpicht: sie hatte einen kurzen Gang von der Wohnhöhle fortgegraben und am Ende dieses Ganges einen ganz kleinen Kessel angelegt. Sie gewöhnte ihre Kinder schnell daran, für jedes Geschäft auf dieses Klosettchen zu gehen und die Losung, wie man das nennt, gut unterzuscharren. Auch alle von den Kleinen angenagten Speisereste trug sie dorthin, denn nichts ist den Dachsen so verhaßt wie der Gestank von Verdorbenem und Unrat. Darum legen sie auch außer den sechs bis acht Schlupflöchern, die vom Kessel ins Freie führen, noch zwei oder drei steile Schächte an, damit die Luft in der Höhle immer sauber und rein sein möge.

Von der ersten, ganz in der warmen, weich ausgepolsterten Höhle verlebten Zeit wußte Fridolin später natürlich gar nichts mehr. Wie seine Geschwister war er blind zur Welt gekommen, es dauerte lange Zeit, bis er sehen und ein wenig herumkriechen lernte. Die Nahrung war knapp in dieser Zeit; auf den eiskalten Februar war ein böser, nasser März gefolgt, und Mutter Friedesinchen hatte ihre liebe Not, die vier Mäuler ihrer Kinder und das eigene satt zu bekommen. Sie war aber unermüdlich tätig, und ganz gegen die Gewohnheit der Dachse fuhr sie sogar manchmal am Tage aus ihrem Bau, wenn die Kinder gar zu jämmerlich nach Futter quiekten.

Fridolin und Friedrich, Frieda und Friederike waren immer gespannt darauf, was die Mutter nun anbringen würde; sie lernten in diesen Tagen so viel Neues fühlen, riechen und schmecken. Was es doch auch alles auf dieser geheimnisvollen Welt draußen gab, von der sie noch nichts gehört und gesehen hatten! Wohlschmeckende Wurzeln brachte Friedesinchen an, Bucheckern und Eicheln, auf dem Felde vergessene Möhren und Futterrüben und als begehrte Fleischkost: Regenwürmer, eine froststarre Ringelnatter oder gar ein delikates Mäuschen! Der Höhepunkt im Speisezettel war es aber, als Friedesinchen einmal auf ein Erdwespennest gestoßen war – ach, wie gut schmeckte dem Fridolin der süße Honig! Er konnte es gar nicht verstehen, daß die Mutter nicht alle Tage solch süßes Schleckerzeug anbrachte, er schalt und muckschte mit ihr deswegen. Dumm, wie er noch war, hatte er natürlich keine Ahnung von den Schwierigkeiten, die seine Mutter mit dem Futterbeschaffen hatte, und er dachte, die süßen Honignester gäbe es überall.

Dann kam an einem schönen Sonnentag, Anfang April, der große Augenblick, wo Friedesinchen zum ersten Male ihre Kinder ans Tageslicht führte. Du lieber Himmel, was war das für eine Aufregung, als es in der düsteren Schlupfröhre immer heller und heller wurde! Den Kleinen, die bisher nur Dunkelheit gekannt hatten, wollte Angst werden vor dem Licht – Mutter Friedesinchen mußte nachschieben und tüchtig schelten, sonst wären alle vier gleich wieder in ihr Nest zurückgekrochen!

Und wie rissen sie erst die Augen auf, draußen im hellen Sonnenlicht! Rissen sie auf und machten sie gleich wieder zu, denn so viel Helligkeit tat den Augen weh. Erst langsam wagten sie wieder, zuerst zu blinzeln, dann um sich zu schauen – und nun ging die Fragerei los!

»Mutter, was ist das Gelbe, das Weiche, das Warme«? fragten sie und meinten den schönen, reinen Sand, den Friedesinchen beim Bau der Höhle aus der Tiefe der Erde hervorgescharrt hatte.

»Mutter, was ist das für ein braunes, langes Ding, in dem meine Zähne immer klebenbleiben?« fragten sie und meinten eine harzige Kiefernwurzel.

»Mutter, ist das ein kleiner Dachs, der so komisch schreit?« fragten sie und meinten die Vögel, die in den Kronen der Bäume tschilpten.

»Mutter, was macht mir so warm, als läge ich ganz dicht an deinem Bauch?« fragten sie und meinten die liebe Sonne, die ihnen den Pelz wärmte.

So hatten sie hundertundeine Frage, und Friedesinchen wußte sich nicht anders zu helfen, als daß sie, um endlich ein bißchen Ruhe zu bekommen, die Kinder den Abhang zum See hinunterführte, damit sie das Wassersaufen lernten. Gab das aber eine Stolperei, Purzelei, Fallerei den steilen Abhang hinunter! Es geschah sogar ein ernster Unglücksfall: Frieda kam so in Schuß, daß sie immer rundherum – rundherum – bumm! den Abhang hinabrollte. Unten konnte sie natürlich nicht bremsen; sie wußte ja auch nicht, daß das Helle, Glitzernde Wasser war – kopfüber fiel sie hinein, und ein großer Hecht, der sich behaglich im seichten Wasser gesonnt hatte, schoß auf sie zu und zog sie in die Tiefe, wo er sie mit Vergnügen verspeiste.

Zuerst hatte natürlich Friedesinchen einen großen Schreck bekommen, als sie den Plumps hörte und die Tochter im Wasser verschwinden sah. Aber dann lief sie um die drei ihr verbliebenen Kinder herum und zählte sie: »Eins – zwei – viele!« Es stimmte, sie hatte vorher viele gehabt, und jetzt waren immer noch viele da. Alles war in bester Ordnung. Da sieht man's, wie vorteilhaft es ist, wenn man nur bis zwei zählen kann!

Nach dem Saufen wurde wieder hinaufgekrabbelt zum Bau; das war noch schwieriger als das Hinunterpurzeln. Friedesinchen mußte oft tüchtig mit der rüsselförmigen Schnauze nachschieben. Aber schließlich waren sie doch alle wieder oben im schönen weichen Sande angelangt, die Kinder völlig außer Atem und sehr müde, und nun durften sie noch ein Weilchen in der Sonne liegenbleiben. Mal ließen sie sich von ihr den Rücken, mal den Bauch wärmen, und Friedesinchen machte sich indes an eine große Reinigung ihrer Kinder; mit Kralle und Schnauze ging sie dem Ungeziefer, das sich in dem dichten Fell eingenistet hatte, zu Leibe. Die Kleinen aber waren viel zu glücklich und zu müde, ihre Mutter noch viel zu fragen. Die Welt, diese Höhle unter der breitkronigen Buche, der steinige, oft bemooste Hang, das sonnenglitzernde Wasser unten, mit seinem immer leise im Winde raschelnden Schilfgürtel, das war alles nun einmal so, wie es war – was gab's da noch viel zu fragen –?

Diese kleinen Ausflüge wiederholte Friedesinchen mit ihren Kindern nun fast jeden Tag, wenn nur die Sonne schien und kein böser Feind in der Nähe war. Die Dachslein lernten dabei ihre Glieder gebrauchen; ohne jede Nachhilfe der Mutter kletterten sie rasch und sicher den Abhang hinunter und wieder hinauf – rasch, so weit ein Dachs eben rasch sein kann, denn viel schneller als ein guter Fußgänger unter den Menschen kann auch der schnellste Dachs nicht laufen. Vor dem Bau spielten die Kinder gern miteinander, während Friedesinchen ihnen friedlich zusah und dabei immer ein wachsames Auge und Ohr für jede herannahende Gefahr, wie Leute, streunende Hunde und den bösen Fuchs, hatte.

Die Kleinen stießen einander um, oder sie stellten sich tot, wobei sie sich ganz flach gegen die Erde drückten, den Kopf zwischen die Vorderpfoten legten und die Augen fest schlossen: sie bildeten sich ein, dann sähe sie keiner. Das beliebteste Spiel war Sicheingraben, da spielte Friedesinchen auch gerne mit. Die Mutter war natürlich Meisterin dabei, in drei, höchstens vier Minuten war sie vollkommen vom Erdboden verschwunden. Sie gebrauchte zum Graben ihre kräftigen Vorderfüße, deren Krallen durch feste Häute miteinander verbunden waren. Mit den Hinterfüßen warf sie die Erde nach rückwärts. War sie dann tiefer in den Erdboden gedrungen, schob sie die Erde mit ihrem Hinterteil zurück, und nur ein Häuflein Sand und Erde verriet, wo Mutter Friedesinchen geblieben war.

Die Kinder taten es der Mutter mit Begeisterung nach; es war so schön, aus dem hellen Sonnenschein immer tiefer in das geheimnisvolle Dunkel einzudringen, bis auch der letzte Schimmer von Tageslicht erloschen und alles still, tief still um sie war, wenn sie einmal mit Graben innehielten. Dann hörte Fridolin nur noch das Klopfen des eigenen kleinen Herzens in der eigenen kleinen Brust. Das fand er am schönsten: ganz allein mit sich zu sein, tief im stummen, stillen Schoß der Erde. Darin war er ein richtiger Dachs, der ja unter allen Tieren das einsiedlerischste, menschen- und tierscheueste Geschöpf ist. Nur in der Kindheit lebt er mit seinesgleichen, von da an will er immer nur allein sein.

Ach, der kleine Fridolin – wenn er sich da ganz tief eingegraben hatte, wenn er dabei vielleicht auf einen tief im Erdschoß ruhenden Felsblock geraten war, und er hatte seinen Gang unter dem Block fort- und auf der anderen Seite wieder hochgescharrt, so daß nun nichts mehr von der Welt draußen zu spüren war, und um ihn nichts als die tiefe, leise rauschende Samtschwärze der Dunkelheit – wie glücklich fühlte sich Fridolin da –! Er lag atemholend auf seinem Bauch und hatte beinahe völlig vergessen, daß es eine Mutter Friedesinchen und zwei Geschwister Friedrich und Friederike auf der Welt gab. Mit einem Schwung warf er sich auf den Rücken, zog die Füße eng an den Bauch, steckte den Kopf zwischen die Vorderbeine und war einen Augenblick später fest eingeschlafen.

Das ist auch eine besondere Eigenschaft der Dachse, daß sie jederzeit und beliebig lange schlafen können. Nach dem Fressen ist das Schlafen die beliebteste Beschäftigung der Dachse, wenn man Schlafen überhaupt eine Beschäftigung nennen darf. Die Dachse sind nämlich unglaublich faul, sie tun, wenn sie keine Kinder mehr sind, nicht einen Schritt, den sie nicht tun müssen, und wenn ihnen einmal so zumute ist, verschlafen sie lieber ihren Hunger, als daß sie sich etwas zu fressen suchen.

Fridolin verschlief auch oft in dem doch nur zum Spielen gegrabenen Gang die wartende Mutter mit den Geschwistern. Wenn er schließlich dann wieder hervorkroch, war es manchmal längst Nacht geworden, und die andern lagen schon in der Mooshöhle schlafend. Kroch er dann zu ihr ins warme Nest, sagte die Mutter ihm ein paar scheltende Worte über »Rumtreiberei« und »Nächtliches Bummeln«. Zum richtigen Schelten war aber Friedesinchen zu müde, und zum richtigen Zuhören war Fridolin zu müde, und so schliefen sie gleich wieder allesamt weiter.

Bei diesen Ausflügen und Spielen kräftigten sie sich die Glieder, die Kinder lernten es, ihre Pfoten, ihr Auge und ihr Gehör, vor allem aber auch ihr Gebiß zu gebrauchen, das ausnehmend stark und kräftig ist und gefährliche Wunden versetzen kann.

Eines Nachts glaubte Friedesinchen dann die Stunde gekommen, ihre Kinder in den Wald auf die Nahrungssuche mitzunehmen, damit sie es nun allmählich lernten, selbst für ihren Hunger zu sorgen. Oh, was waren das für geheimnisvolle, schweigsame Wege durch den stillen Wald! Sogar der Wind war dann schlafen gegangen, kein Blättchen rührte sich, und sachte, sachte mußte man mit den nackten Sohlen auftreten, um das Wild nicht zu verscheuchen!

Welche Freude für Fridolin, wenn er mit seinem Rüssel einen flachen Stein umdrehte und darunter eine ganze Versammlung von Würmern und Asseln fand! Mit kräftigem Schmatzen verzehrte er sie. Oder er kratzte mit seinen Krallen die morsche Rinde von einem fauligen Baum und fing die überraschten Käfer mit seinem Rüssel. Sein Meisterstück machte er aber, als er direkt vor der Nase seiner Mutter Friedesinchen ein vorwitziges Mäuslein schnappte. Heftig quiekte es, und die Mutter fauchte ärgerlich. Sie hatte nämlich für den eigenen Magen auf das Mäuslein gehofft, aber der Sohn ließ sich gar nicht stören und fraß es selber, behaglich schnaufend.

Leider geschah auch bei einem dieser ersten Nachtausflüge ein Unglück: Während die kleine Familie friedlich auf der Nahrungssuche stöberte, löste sich aus dem Dunkel eines alten Buchenstammes ein Schatten; große Flügel rauschten, zwei riesige Augen leuchteten unheimlich grün, und ein großer Uhu schwebte auf die Dachse herab. Während die Kinder in Totstellung mit geschlossenen Augen sich auf den Erdboden drückten, suchte Friedesinchen zufahrend den geflügelten Unhold mit Zähnen und Fauchen zu verscheuchen.

Umsonst – der Uhu hatte sein Opfer schon erwählt und schwebte mit dem aufgeregt quiekenden Friedrich in den Krallen von dannen. Diesmal war die Mutter sehr traurig, denn sie merkte ja doch, daß sie statt vielen, nämlich drei Kindern, nur noch zwei hatte: Fridolin und Friederike.

Um so mehr konnte sie sich von nun an den beiden ihr verbliebenen Kindern widmen, um so reichlicher war die Atzung, um so kräftiger entwickelten sich die beiden. Bei ihren nächtlichen Freßfahrten, die sie selten weiter als einen Kilometer vom schützenden Bau entfernten, blieb kein Fleckchen Waldboden ununtersucht, immer fanden sie den Tisch wieder neu gedeckt. Mit der vorschreitenden Jahreszeit lernten sie stets neue Köstlichkeiten kennen: Eiergelege von Rebhühnern oder auch ein aus dem Nest gefallenes Vögelchen, herrliche Fröschchen, die im Maule noch verzweifelt quakten, eine zarte Eidechse oder Schnecken, die so herzhaft schmeckten und so gut sättigten.

Das größte Erlebnis war aber, daß sie einmal auf das Nest einer Waldhäsin stießen und deren fünf noch blinde Junge mit hohem Vergnügen verspeisten, trotz des wütenden Wehrens der Mutter Häsin, die Friedesinchen ein wahres Trommelfeuer schallender Ohrfeigen versetzte. Aber gegen Schläge sind Dachse fast völlig unempfindlich, gegen sie schützt sie die Speckschwarte und das dichte Fell. Nur ihre Nase nehmen sie fein in acht, ein kräftiger Schlag auf die Nase kann einen Dachs nämlich töten.

Waren die Nächte mondlos, besonders dunkel und möglichst ein wenig regnerisch, so machte Friedesinchen gelegentlich einen weiteren Ausflug mit den Kindern, aus dem Walde hinaus aufs freie Feld, in die Nähe der Menschenhäuser, ja sogar in ihre Gärten hinein. Im allgemeinen ist dem Dachs der übel stinkende Geruch der Leute verhaßt, er meidet ihre Nähe und fürchtet sie fast noch mehr als ihre ständigen Begleiter, die raschen, überall herumschnüffelnden Hunde mit ihrem lauten Gebell und den bösen Zähnen. Aber auf den Feldern der Menschen und in ihren Gärten wachsen so schöne Dinge wie Möhren und Rüben, auf Beeten reifen köstliche Erdbeeren, an Spalieren hängen Weintrauben, und auch das ganz junge Grün der Saaten ist nicht zu verachten – dagegen schmeckt selbst das beste Waldgras noch sauer.

Ein so reich bestellter Tisch schläferte Friedesinchens tiefverwurzelte Vorsicht manchmal ein, wenn nämlich ihr Gaumen sich nach solchen Leckereien sehnte. Auch wußte sie, daß der Hund des Hofes Hullerbusch zwar gewaltig bellen und mit einer eisernen Kette tobend rasseln konnte, mehr aber auch nicht. Denn eben diese Eisenkette hielt ihn fest an seiner Hütte, und nahe seinem zornig gefletschten Gebiß konnten sie in aller Gemütlichkeit das Köstlichste aus dem Garten plündern. Der Zaun darum war für einen richtigen Dachs natürlich kein Hindernis – in einer Minute hatte man unter dem Draht oder den Latten durchgegraben.

Bei einer dieser nächtlichen Gartenfahrten gab es wieder einmal ein großes Abenteuer. Dachsens waren gerade dabei, die ersten Mohrrüben des Jahres auf ihre Zartheit zu prüfen, und Fridolin hatte das große Glück gehabt, einen fetten Maulwurf bei seiner wühlerischen Tätigkeit zu verhaften und in das Gefängnis seines Bauches für lebenslängliche Haft einzusperren, als das tobende Gekläff des Hofhundes plötzlich abbrach und in ein klagendes, flehendes Jaulen überging: Der Herr des Hundes hatte, von einem Nachbarnbesuch verspätet heimkehrend, soeben den heimatlichen Hof betreten. »Asta!« hatte er gerufen. »Willst du verfluchter Köter endlich stille sein?«

Beim Klang der menschlichen Stimme hatten die beiden Dachschen rasch und leise bei ihrer Mutter Schutz gesucht, und Friedesinchen war mit ihnen in das dichte Gewirre von Schoten und Reisern geflüchtet. Die Hündin Asta aber, weit entfernt davon, stille zu sein, war ihrem Herrn, so weit es die Kette nur erlaubte, entgegengelaufen, hatte ihm dann die Vorderpfoten auf die Schulter gelegt und ihn flehend angejachert, sie doch frei zu machen, damit sie die unverschämten Gartendiebe erlege.

Der Herr, der die Hundesprache nicht verstand, hatte die Asta gestreichelt und gesagt: »Was hast du nur, Asta? Sei doch vernünftig, mein Hund! Sicher ist es wieder nur ein Igel, und du weißt doch, Asta, diese nützlichen Mäuse- und Schlangenjäger mußt du mir am Leben lassen, sonst setzt es Hiebe!«

Der Hund aber hörte nicht auf zu jaulen und damit zu bitten, der Herr möge ihn doch losmachen von der Kette, diesmal sei es etwas ganz anderes als ein Igel. Der Herr möge doch nur gefälligst einmal seine Nase gebrauchen, das röche ja ganz anders als Igel ... Der Herr, der wie alle Menschen nur eine dumme Nase hatte, die bloß das Allerdeutlichste roch, aber nie einen Igel oder einen Dachs und am allerwenigsten den Unterschied zwischen beiden – der Herr ließ sich von dem Betteln seines Hundes schließlich erweichen und machte ihn von der Kette los.

Asta schoß in die Dunkelheit hinein, auf den Garten zu; der Herr folgte ihr brummend, weil er sich schon ärgerte, daß er ihr den Willen getan hatte und nun in der dunklen Nacht hinter ihr dreinstolpern mußte, statt schön in sein weiches, warmes Bett zu gehen. Asta, eine sehr große, gelb-schwarze Schäferhündin, war am Gartenzaun beschäftigt, sich ein Loch zu graben. Da sie aber lange nicht so schöne Grabkrallen hatte wie ein Dachs und da sie in ihrem wilden Eifer sich nicht eine schöne weiche Stelle ausgesucht hatte, sondern den harten Weg aufscharren wollte, so kam sie nur langsam voran. Die Dachse saßen unterdes ganz still bei ihrer Mutter im Erbsenbusch.

Der Herr kam dazu, wie die Asta am Gartenzaun grub und sagte ärgerlich: »Das habe ich mir doch gleich gedacht, daß du nur wieder in den Garten willst auf Igeljagd! Gleich kommst du her, Asta!«

Aber die Schäferhündin, endlich frei und vom Jagdeifer verwildert, dachte nicht daran, jetzt noch von ihrem Vorhaben abzustehen; sie lief nur ein Stück weiter und fing wieder zu graben an.

»Verflixte Asta!« rief der Herr wütend und rannte dem Hund im Dunkeln nach. Denn der Herr hatte wieder eine Herrin, nämlich seine Frau, und die konnte sehr böse werden, wenn der Hund in den Garten geriet und die sorgfältig geglätteten Beete zertrampelte und die zarten Pflänzchen mit seinen groben Pfoten zerstörte. »Willst du gleich herkommen –?!« rief der Herr zornig.

Aber ehe er den Hund im Nachtdunkel gefunden und gefaßt hatte, war der durch das rasch gegrabene Loch im Zaun gekrochen und raste nun wild auf der vielfältigen Spur der Dachse im Garten hin und wider. Mutter Friedesinchen aber, als sie merkte, der Hund würde in den Garten kommen, hatte ihre Kinder schnell durch ihr Einschlupfloch aus dem Garten und in einen dichten Schlehenbusch an der Scheune geführt, der ihnen einige Deckung bot.

»Warte, du verflixter Köter!« hatte der Herr gerufen und war durch die Pforte in den Garten geeilt, seinen Hund jagend. Der Hund, die Dachse jagend, hatte indessen gewittert, daß sie nicht mehr im Garten waren und schoß durch die offene Pforte hinaus, dem Schlehdorn zu, wobei er beinahe dem eigenen Herrn die Beine unter dem Leib fortgelaufen hätte. Friedesinchen jedoch, leise und sachte, hatte ihre Kinder wieder in den Garten zurückgeführt, in den deckenden Erbsenbusch.

So ging die wilde Jagd hin und her: rin in den Garten, raus aus dem Garten! So rasch der Hund war, weil er immer den weiten Umweg durch die Pforte machen mußte, während die Dachse ihre kleinen Schlupflöcher unter dem Zaun benutzen konnten.

Schließlich gelang es dem Herrn, die Asta einzufangen, und damit nahm freilich die ganze Jagd ein plötzliches, klägliches Ende. Während sich die Dachse friedlich und leise dem Walde zutrollten, hörten sie noch lange das klägliche Geheul der Asta, die für ihren guten Willen böse Hiebe vom Herrn erhielt. Am bösesten freilich war am nächsten Morgen die Herrin, die Frau des Herrn, als sie ihren so völlig verwüsteten Garten sah. Der Herr bekam zwar keine Hiebe wie die Asta, aber viele böse Worte mußte er hören, eine sehr böse Miene mußte er sehen, und sehr üppig war das Mittagessen auch nicht, das er in den nächsten Tagen bekam. Bei den Dachsen aber war es mit den Ausflügen in Feld und Garten für lange Zeit vorbei: Mutter Friedesinchen war gar nicht für solche Aufregungen, und ihre Kinder waren als echte Dachse genauso gesinnt.

*

Allmählich wuchs das Jahr in den Sommer hinein, und mit all dem Wachsen und Reifen in Wald und Flur war die Tafel der Dachse immer reichlicher bestellt. Sie brauchten nachts keine langen Expeditionen mehr zu machen, überall gab es Nahrung in Hülle und Fülle. Schnell war der Hunger gestillt, und rasch ging es wieder heim in die Höhle, die bald zu eng wurde für die drei. Viel wurde geschlafen, die Lieblingsbeschäftigung bei Dachsens, und wenn sie bei hellem Sonnenschein ausfuhren aus dem Bau, gab es keine kindlichen Spiele mehr. Fridolin und Friederike waren jetzt fast ausgewachsen, die fröhlichen Kinderspieltage waren vorbei; wie Mutter Friedesinchen lagen sie wortlos in der Sonne und ließen sich mal den Rücken, mal den Bauch braten.

Überkam Fridolin wirklich noch einmal der alte Jungenübermut, stieß er die Friederike mit dem Rüssel an und forderte sie dadurch auf, mit ihm Totstellen oder Wettgraben zu spielen, so verwiesen ihm die beiden Frauen strenge solch undächsisches Benehmen, schnauften verächtlich durch die Nase und ließen sich stumm weiter rösten. Bei solchen Gelegenheiten war es besonders die Schwester Friederike, die sich durch Griesgrämigkeit und Übellaunischkeit hervortat, sie übertraf überhaupt in diesen von den Dachsen so geschätzten Eigenschaften noch bei weitem die Mutter. Sie war manchmal so einsiedlerisch gesinnt, daß sie nicht einmal Mutter und Bruder einen Schlafplatz in dem ihnen doch allen gemeinsam gehörigen Kessel gönnen wollte. Dann schliefte sie heimlich als erste ein, setzte sich in die Mooshöhle an den Eingang der Röhre und zeigte der nachfahrenden Mutter fauchend die Zähne, ihr Alleinrecht auf den guten Schlafplatz behauptend. Friedesinchen fauchte und fletschte dagegen, und manchmal kam es schon zu kleinen Beißereien, kurz, der Friede, von dem sie alle doch ihren Namen trugen, war völlig aus dem kleinen Heim gewichen.

Aber noch war die Mutter die Stärkere, oft beutelte sie die heranwachsende Tochter kräftig durch und zeigte deutlich, wieviel lieber ihr der stets sanfte Sohn war. Nun begann Friederike, den zu verfolgen, versetzte ihm häufig kleine Bisse, nahm ihm bei den nächtlichen Fahrten die eben erjagte Beute aus dem Maule fort, bedrängte ihn ständig auf seinem Schlafplatz, daß er keine Ruhe bekam und sich nicht richtig ausstrecken konnte.

Da hätte Fridolin wohl manche bittere Träne geweint, wenn Dachse nur weinen könnten, aber auch ohne Tränen war er oft traurig und mißmutig, und der schöne Sommer freute ihn gar nicht mehr. Er bedachte auch wie lästig es doch ist, wenn mehrere zusammen leben, und in seinen Träumen sah er sich immer ganz allein in einer wundervoll mit Moos gepolsterten Höhle, nebenan eine Vorratskammer, die schön mit Möhren gefüllt war, und das alles lag fern allen Menschen, allen Hunden, allen Dachsen.

Oft tröstete ihn seine Mutter Friedesinchen mit weisen Worten. »Söhner«, sprach sie, »verzweifele nicht und gib den Mut nicht auf. Deine Schwester kommt in die Monate, da sie sich nach einem eigenen Hausstand sehnt – sie weiß nur selber noch nicht, was sie will. Aber eines Tages wird ihr ein Licht aufgehen, und wir werden Ruhe vor ihr haben!«

Und so kam es wirklich. Eines Nachts machten die drei einen weiteren Ausflug in eine Gegend, in der sie noch nie gewesen waren. Auf einem sandigen Abhang standen vereinzelte Buchen als letzte Ausläufer des Hullerbuschwaldes. Sie waren untermischt mit uralten, vom Winde zerwehten Kiefern, deren dicke Wurzeln sich wie Schlangen über den Sandboden ringelten. In dem Hang gab es viele Löcher von Kaninchenbauten, und von seinem Fuß an streckten sich, so weit das Auge reichte, Felder und Wiesen.

Sobald Friederike diesen Abhang gesehen hatte, fing sie an, unruhig hin und her zu laufen, sie steckte ihre rüsselförmige Nase in jedes Kaninchenloch und stieß kleine, aufgeregte, quiekende Laute aus. Schließlich blieb sie vor einem Loch, über dem sich wie ein Torbogen eine riesige, harzige Kiefernwurzel wölbte, sitzen und erklärte kurz: hier sitze sie, und hier bleibe sie auch.

Umsonst sagte ihr die weise Mutter Friedesinchen, dieser Hang sei mitnichten geeignet für einen Dachsbau. Die Kaninchen, die ein unruhiges und mit Trommeln oft lärmendes Volk sind, würden sie um jede Ruhe bringen; zudem bedinge die Nachbarschaft so vieler Felder und Wiesen ständige Störung durch Menschen und Hunde. Friedesinchen hatte gut reden, das Ei war wieder einmal klüger als die Henne, und Mutter und Sohn mußten schließlich allein heimwandern, Friederike auf dem Karnickelhang zurücklassend.

Auf dem Heimwege aber zeigte Friedesinchen dem Sohn im Walde einen verlassenen Bau, der ihr viel sicherer und ruhiger erschien. Am Hang einer kleinen Höhe mitten im dichtesten Buchenwald lag ein verlassener Fuchsbau, die Röhren mündeten künstlich zwischen riesigen, mit dichtem, grünem Moos bedeckten Findlingsblöcken; im Grunde lag ein kleiner Weiher. Es fehlte natürlich ganz die liebe Sonne, und im Bau selbst herrschte ein fürchterlicher Gestank. Denn der Fuchs ist ganz anders als der Dachs, er ist ein unsauberes Tier, dessen Nase den Gestank liebt. Er scheut sich nicht, den eigenen Dreck, den man ›Losung‹ nennt, in der Wohnung abzulegen, und seine Speisereste läßt er daheim verfaulen und veraasen, und freut sich noch des Gestankes. Aber davon abgesehen, war dies doch eine viel sicherere und ruhigere Wohnung als die von Friederike gewählte – die Mutter schniefte kummervoll, wenn sie an die unvernünftige Tochter dachte.

In der Folgezeit machten Friedesinchen und ihr Sohn noch manchen Besuch bei Friederike. Manchmal trafen sie die Tochter an, die aber nie mehr mit ihnen ein Wort wechselte, ihnen nicht einmal mehr die Tageszeit bot, sondern bei ihrem Kommen sofort mürrisch in den Bau schliefte. Sie war eben völlig zur Einsiedlerin geworden. Oft aber war bei ihrem Kommen Friederike auch auf Nahrungssuche unterwegs, dann kroch die Mutter, neugierig, wie die Frauen nun einmal sind, mit dem Sohn in den ehemaligen Karnickelbau und besichtigte die von der Tochter getroffene Anlage. Hier kargte sie nicht mit dem Lobe, denn Friederike hatte etwas Mustergültiges geschaffen.

Der schön mit Moos und langem Gras gepolsterte Wohnkessel lag wohl zwei Meter tief unter dem Erdboden, und er war so künstlich angelegt, daß eine über ihm stehende Kiefer mit ihrem dicken Wurzelwerk sicheren Schutz gegen das Aufgraben durch böse Menschen gewährte. Neben dem Hauptkessel befanden sich zwei kleinere Kessel, einer zum Klosettchen, der andere zur Vorratskammer bestimmt, und in der Vorratskammer lagen bereits, hübsch geordnet, Bucheln, Eicheln und Wurzeln. Nicht weniger als sieben Schlupfgänge hatte sich Friederike gegraben, und der Ausgang einer jeden Röhre lag fünfzehn bis zwanzig Meter von dem nächsten Ausgang, so daß sie Fluchtmöglichkeiten nach allen Seiten hatte; Die Erde aber bei jedem Röhrenausgang war so glatt und fest wie eine Tenne, so daß sie keine verräterischen Spuren aufnehmen konnte. Nicht weniger als vier steil nach oben führende Schächte sorgten für frische Luft.

»Das ist eine Wohnung«, sagte Friedesinchen zu ihrem Sohn, »auf die der älteste und erfahrenste Dachs stolz sein würde. Man merkt eben doch, daß Friederike von gutem Blute ist; hoffentlich machst auch du deinen Eltern einmal so viel Ehre, Söhner!«

Dies war eine Anspielung auf den nie gesehenen Vater Frieder. Dann aber schüttelte die Mutter doch wieder den Kopf: »Alles schön und gut, und doch wäre die Moossteinhöhle besser gewesen. Diese liegt eben doch zu frei und offen, da können auch die schönsten Notröhren nichts helfen.«

Leider sollte Mutter Friedesinchen mit ihren trüben Vorahnungen nur zu recht behalten. Als die beiden wieder einmal des Nachts die Wohnung der Schwester besuchten, fanden sie die tennenglatten Eingänge zerstört von Hundespuren, überall trafen sie auf den häßlichen Geruch dieser bösen Tiere. Die schönen Mooswände der Höhle waren im Kampfe zerrissen und zerstört, mit Blut befleckt war das Innerste des Baues – und es war nicht nur Hundeblut, das da geflossen war!

Friedesinchen ließ sich auf ihr Hinterteil nieder und sprach mahnend zu ihrem Sohne: »So geht es den Kindern, die nicht auf den weisen Rat ihrer Mutter hören! Arme Friederike, von Hunden zerbissen, vielleicht von bösen Menschen erschossen und bereits verspeist! Es ist schade um deine Schwester, Söhner. Sie hatte die glücklichsten Anlagen von der Welt, sicher wäre aus ihr die mürrischeste, einsiedlerischeste Dächsin geworden, weitberühmt in der Dachsenwelt. Und nun so jung gestorben!«

Friedesinchen schnappte sich schnell einen großen Laufkäfer, der vorwitzig gerade vor ihrer Nase vorbeimarschieren wollte, und fuhr also fort: »Du bist mir von meinen vielen, vielen Kindern als einziger verblieben. Ich erwarte von dir, daß du deinem Vater Frieder und mir Ehre machst, Fridolin! Laß das Schicksal deiner unseligen Schwester dir zum warnenden Beispiel dienen, Söhner! Gib dich nie mit einem anderen Geschöpf ab, und sei es die liebreizendste Dächsin! Lebe stets für dich allein, fauche, kratze, beiße alle weg! Sei mißtrauisch, laß auch das schönste Fressen stehen, wenn es dir Gefahr bringen kann. Du sollst nicht in einem Menschenmagen enden, Fridolin, in einer behaglichen Mooshöhle sollst du eines Tages an Altersschwäche sterben!«

»Ich will alles tun, wie du sagst, Mutter!« antwortete der Sohn und rieb seinen Rüssel gerührt an den Friedesinchens.

Den Rest des Sommers und den größten Teil des Herbstes verlebten Mutter und Sohn in schönster Eintracht. Sie schliefen zusammen, sie sonnten sich zusammen, sie jagten zusammen. Kaum je wurde ein Wort zwischen ihnen gewechselt, so einig waren sie sich über alles. Fridolin war jetzt ein voll ausgewachsener Dachs. Er war größer und schwerer als seine Mutter, und das war auch nur richtig so, denn bei den Dachsen sind die Männer größer und kräftiger als die Frauen.

Als der Herbst immer weiter vorrückte, als es immer windiger, kälter und nässer wurde, kam eine seltsame Unruhe über Fridolin. Er wußte noch nicht, daß er mit dem Eintritt strengen Frostwetters in den Winterschlaf verfallen würde, denn er hatte das ja noch nie erlebt. Aber diese Unruhe saß nun einmal in ihm. Sie trieb ihn, schon früh des Nachts ohne die Mutter auf die Jagd zu gehen, und nie kam er heim, ohne im Rüssel Möhren, Wurzeln oder Bucheckern heimzutragen.

Seine Mutter war nicht so vorsorglich; sie wußte, daß sie ausgangs des Winters bitteren Hunger leiden und klapperdürr in den Frühling gehen würde, aber ihre Faulheit, auch eine hervorragende Tugend der Dachse, war unbesieglich. Statt dessen suchte sie plötzlich auf heimlichen Liebespfaden den Vater ihrer Kinder, den Dachs Frieder. Ob sie ihn nun gefunden hatte oder nicht, jedenfalls änderte sich ihre Gemütsart völlig. Sie war nicht länger mehr liebevoll zu dem Sohne, auf jede Weise zeigte sie ihm, wie überflüssig und störend er in der Wohnung war. Ähnlich wie einst Friederike stieß und biß sie ihn bei jeder Gelegenheit, und der Sohn hörte von der Mutter nichts mehr als ein zornig ergrimmtes Fauchen.

Eines Tages sagte sie ihm dann geradezu: »Wie lange willst du Fettwanst dich noch in meiner Wohnung breitmachen? Viel zu lange schon habe ich dich hier geduldet! Der Winter steht vor der Türe – glaubst du vielleicht, ich will ihn mit dir gemeinsam in meiner Mooshöhle verbringen, wo du mit deiner Speckschwarte schon jetzt viel zuviel Raum beanspruchst? Marsch, fort mit dir! Trolle dich, Fridolin! Oft genug habe ich dir den alten Fuchsenbau unter den Moosfelsen gezeigt – jetzt ist noch Zeit genug, ihn instand zu setzen. Frisch ans Werk und aus meinen Augen!«

Ganz erschöpft von dieser langen Rede hielt die Mutter atemlos inne und sah den Sohn mit zornig funkelnden Augen an.

Fridolin aber bedachte die sonnenlose Fuchsenhöhle, er bedachte auch die große Arbeit, die es erforderte, sie von Unrat und Gestank zu befreien. Er bedachte ferner die Vorräte, die er in diesen Bau selbst eingetragen hatte, und schließlich dachte er daran, daß er größer und stärker war als die Mutter.

Darum antwortete er griesgrämig: »Nicht also, Mutter Friedesinchen! Wenn einer aus diesem Bau weichen muß, so bist du es! Du hast schon immer den alten Fuchsenbau gerühmt, der mir gar nicht gefiel – bewohne also auch du ihn! Ich bin der Stärkere, ich habe hierher die Vorräte eingetragen – also mach, daß du hier verschwindest, damit ich endlich vor deinem weibischen Gekeife meine Ruhe habe!«

Damit stemmte sich der Sohn gegen die Mutter und schob sie erst aus dem Kessel, dann durch die Röhre ins Freie, trotz ihren Wehrens und Keifens. Eine Weile saß Mutter Friedesinchen noch im kalten Herbstregen. Dann sah sie ein, daß der Sohn Fridolin recht hatte, denn das Recht des Stärkeren gilt in der ganzen Tierwelt und ist überhaupt das höchste Gesetz allen Lebens. Friedesinchen schniefte noch einmal kummervoll durch die Nase und machte sich dann auf den Weg zum alten Fuchsenbau, brummig an all die Arbeit denkend, die dort ihrer wartete.


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