Max Eyth
Der Invalide
Max Eyth

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VIII.

In einer Entfernung von etwa zehn Schritten war nach der Trennung der Gesellschaft der Stelzfuß dem jungen Paare gefolgt. Seine grauen, leuchtenden Augen ruhten, ohne sich eine Minute zu verirren, mit einem eigentümlichen Wohlbehagen bald auf dem Mädchen, bald auf dem jungen Mann. Es war nicht der Blick eines neugierigen Bedienten. Man hätte fast etwas Väterliches darin finden können, wenn der graubärtige Kerl mit der etwas geröteten Nase nicht gar so wenig für die Rolle gepaßt hätte.

Unmerklich kamen sie tiefer in den waldigen Grund des Parks. »Sie sind auch heute so kalt!« sagte nach einer kleinen Pause in einem gleichgültigen Gespräch Albrecht halb freundlich, halb unmutig. Agnes sah nicht auf.

»Morgen geh' ich, für immer vielleicht!« fuhr der junge Forstmann fort. »Sie sollten freundlicher sein!«

»Sie gehen?« fragte das Mädchen und blieb stehen.

»Ja; und ich hätte gern einen herzlichen Abschied von Ihnen bekommen. Sie waren doch sonst nicht so. Sie hatten mich gern, als wir noch klein waren, Agnes.«

Keine Antwort.

»Ich weiß nicht, ob uns der gestrige Abend mehr entfremdet hat, als zusammengeführt, wie er es sollte.«

»Das ist's eben!« flüsterte sie.

»Aber ich möchte noch einmal recht offen mit Ihnen sprechen. Sie müssen mir noch ein freundlicheres Lebewohl sagen. Ich kann so von Ihnen nicht scheiden, schon – schon des Vaters wegen!«

Agnes sah ihn groß an.

»Ja, meines Vaters wegen!« fuhr er heftiger fort, indem er auf die Seite sah, um die Glut zu verbergen, die er in seinen Wangen brennen fühlte; – »und des Ihrigen! – Das Schicksal oder die Liebe unserer Eltern oder der Tod, die haben uns enger verbunden, als es gewöhnlich die Menschen sind. Sie müssen das fühlen, und ich darf Ihnen wohl ein Wort sagen, das ich tausend andern nicht sagen würde.«

Agnes sah dem jungen Mann offen ins Gesicht. Albrecht hatte bereits Gewissensbisse. Er hatte mehr gesagt, als er sagen wollte, und hatte doch noch nichts gesagt. Der fragende Blick des Mädchens brachte ihn vollends außer Fassung. Der Invalide trat näher, als die Pause etwas zu lang zu werden drohte. Albrecht fuhr erregt fort: »Agnes, seit gestern glaube ich, daß Sie das edelste Mädchen auf der Welt sind. Ich darf Ihnen alles gestehen. Halten Sie mich für einen Narren, für wahnsinnig, für was Sie wollen, doch nicht für schlecht. Meines Vaters letzter Wille war, daß wir ein Paar werden sollten. Agnes, selbst wenn Sie wollten, wenn Sie sich dem Willen meines Vaters beugen könnten: – ich kann nicht – ich liebe –« Auf Agnes Wangen wechselte die Röte des Unmuts mit einer tiefen Blässe. Sie zitterte, als sie sich, in diesem Augenblick an einen Baum lehnte. Der Invalide, den Albrecht in seiner Aufregung nicht beachtete, schien den tiefsten Anteil an dem Gespräch zu nehmen und fluchte hinter dem nächsten Busch russisch und türkisch zwischen seinen Zähnen.

»O verzeihen Sie«, fuhr Albrecht, als sei ihm ein Stein vom Herzen gefallen, plötzlich mit dem offensten Tone fort, »ich kann Ihnen kaum das Wo, Wie und Wen? sagen. Aber Sie sollen wenigstens alles erfahren, was ich weiß. Schon seit Wochen fahre ich in einem Nachen den Fluß hinab bis zu einer alten Erle unter der Sägemühle. Geradeüber ist ein Garten. Dort singt fast jeden Abend ein Mädchen ein paar Lieder mit einer Stimme – o Agnes, wenn Sie diese Stimme gehört hätten, Sie müßten mir verzeihen!«

Agnes machte eine heftige Bewegung und wandte sich von ihm ab. Albrecht stand halb versteinert. Was hatte er nun wieder angestellt?

»Bomben und Granaten!« polterte der Invalide plötzlich dazwischen; »sind Sie denn mit Gottes Blindheit geschlagen? Das war ja Fräulein Agnes selber, die fast jeden Abend in Haselkrauts Garten kommt und singt, daß einem Hören und Sehen vergeht! Seit ich im Hause bin, muß ich sie abholen.«

Der Stelzfuß hatte sein zartestes Kompliment anzubringen versucht. Albrecht verging allerdings jetzt Hören und Sehen. Er stand da, als habe er das Tintenfaß über den ersten Liebesbrief geschüttet, stumm, vernichtet. Agnes wandte ihm trotzig den Rücken zu. Ihre blonden Haare verdeckten ihm jede Spur vom Gesicht. Eine lange Pause trat ein. »Agnes!« sagte der Jüngling endlich, so leis als möglich. Kein Laut, keine Bewegung. »Agnes!« rief er, mit fast erstickter Stimme.

»Sie lieben meine Stimme«, hörte er sie leise sagen, »was geht das mich an?«

»Dich – o vergib – vergeben Sie! – Ach, zu Ihrer Stimme sagte ich schon seit Wochen du!«

Agnes schüttelte sich, als er einen Schritt näher trat. Dem Invaliden dauerte die Sache zu lang. Er trat vor das Mädchen und sagte mit militärischer Haltung: »Fräulein, vergeben Sie dem Jungen! Er weiß noch nicht so recht, wie man mit Weibern umgeht. Bomben und Granaten! Es ist auch keine Kleinigkeit. Mit seinem Vater war's gerade so – aber ich sag' Ihnen, es ist ein guter Junge wie sein – ja so! Bomben und Granaten! und ich meine, das Fräulein dürfte ihn schon einmal ansehen.«

Albrecht war während diesen Erklärungen seines Fürsprechers um Agnes herumgegangen und suchte ihr unter das Taschentuch zu sehen, mit dem sie die Augen bedeckte. Jetzt sank ihre Hand. Ein Tränenstrom stürzte aus ihren Augen. Albrecht sank auf ein Knie; sie wankte. Er fuhr wieder empor und sie lag schluchzend in seinen Armen.

Der Stelzfuß trat auf die Seite und stopfte sich eine Pfeife. »Was noch übrig ist vom Regiment ist wieder beisammen! Bomben und Granaten!« brummte er vor sich hin. Der alte Mann war tief erschüttert und konnte nichts weiter sagen. Albrecht saß eine Minute später auf dem Rasen, Agnes neben ihm. Ihr Lockenkopf ruhte an seiner Brust, sein Auge in dem ihren. Sie sprachen vom Tod auf der russischen Steppe. Der Jüngling küßte hie und da eine Träne aus den Seidenwimpern des Mädchens.

Abseits saß der Kutscher und qualmte entsetzlich. »Wie – wa – wo – was!« keuchte plötzlich ein Ruf des Schreckens, der Entrüstung, der Überraschung, der Verwirrung zumal aus dem nächsten Gebüsch. »Sie! Sie Erzschelm! Sie Halunke! Sie demagogisches, verleumderisches Individuum! Sie Marionetten-Vagabund, Sie! Helf mir der Himmel! Agnes, was hast du mit diesem Menschen zu schaffen?«

»Albrecht, Albrecht! Du bist Förster in Hirschfeld!« Und die Mutter flog am Oberamtmann vorbei mit einem Schrei an seine Brust.

Zum Glück war Frau Sterner ein wenig zurückgeblieben; sonst wäre die Verwirrung bodenlos geworden. Albrecht war aufgefahren. Agnes barg ihr glühendes Gesicht an der Brust der Frau Wolfbach.

»Herr Oberamtmann«, sagte Albrecht, der das Entsetzen in den Zügen des alten Herrn mit dem Drange ringen sah, der ganzen Welt seinen Segen zu geben, denn der Fürst war soeben abgefahren, »Herr Oberamtmann, ich gesteh's, ich habe den bösen Streich gemacht. Er war nicht so bös gemeint.«

»Nun, nun. Sie – – Sie – aber – –«

»Aber ich möcht' ihn wieder gutmachen.«

»Das ist löblich!«

»Ihre Nichte, Ihre Agnes!«

»Ich will nicht hoffen! Agnes! Mädchen! Sieh mich an!«

Agnes sah auf. »Onkel – er liebt mich!« sagte sie bebend.

»Er liebt dich!« rief Albrecht und schlang seinen Arm um ihren Nacken, »und Onkel, Sie segnen uns!«

»Das will ich«, sagte der gute Mann mit glänzenden Augen, »so wahr ich Karl Johann Sterner heiße seit vierundsechzig Jahren!« »Nun, weil der gnädige Herr gerade am Namennennen sind«, sagte der Invalide, die Hände der beiden Glücklichen zusammenpressend, und seine Frostbeulen und eine breite Narbe auf der Stirne glühten purpurn darein, »weil Sie gerad' am Namennennen sind. – Aber Einsperren ist nicht, wegen Namensfälschung! In Nußweiler hab' ich schon alles abgesessen, was ein unschuldiger Leierkastenmann abzusitzen braucht. Einsperren ist nicht, Hand drauf, Euer Gnaden! – Ich heiße eigentlich Förik, Johann Förik aus Litauen!«


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