Max Eyth
Der Invalide
Max Eyth

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II.

»Aber mich so lange warten lassen, Albrecht!«

»Ach Mutter! kann ich dafür, daß der Herr Forstrat so freundlich war? Ich habe Tee bei ihm getrunken.« Und er verschloß ihr mit einem gewaltsamen Kuß den Mund, der sich zwei Stunden lang auf eine Viertelstunde Vorwürfe vorbereitet hatte.

»Ja«, sagte der junge Mann, ohne sie zu Wort kommen zu lassen, »und er hat gesagt: ich solle mich nur melden. Ich sei zwar noch sehr jung, aber meine Zeugnisse usw., und – ich schämte mich ein wenig, als er das sagte: – der Name meines verstorbenen Vaters –«

»Da hast du dich nicht zu schämen«, sagte die Mutter mit glänzenden Augen.

»Nun kurz, er meinte: schaden könne eine Meldung nichts.«

»Warst du schon in Hirschfeld?«

»Nein!«

»So denk dir mitten im grünen Buchenwald einen tiefen, schattigen See, und daran einen Felsen und darauf ein Schlößlein, alt, traulich, heimlich und ringsum einen herrlichen, stundenlangen Park voll lustigen Wildes.«

»Und in das Schlößlein mich als Förster, und dich – und den Tajo – du sagst nichts?«

Die Mutter sagte nichts. Ihr sinnendes Auge ruhte auf einem Geißblatt, das von der Laube herabsank. Auch Albrecht schwieg. Er dachte, was sie wohl denken möge. Seit ein paar Tagen wurde es ihm ganz schwül, wenn er sie so dasitzen sah.

»Ich glaub's nicht, Albrecht!« fing sie plötzlich wieder an.

»Nun, so hoffe! Hoffen ist so schön als glauben.« –

»Und wenn's wahr würde? Wie dein Vater als Oberst aus dem russischen Feldzug zurückkam und dich sah – du warst damals vier Jahre, Albrecht –, da küßte er dich und sagte: ›Es wird ein rechter Bube, aber ich erleb's nimmer!‹ Er hatte seine Wunde in der Brust und die eine Hand erfroren. Wir lebten doch noch zwölf glückliche Jahre zusammen drüben im Forsthaus. Ich wollte, er sähe dich heute!«

»Sei ruhig, Mutter! Seine Wunde tut ihm nicht mehr wehe; und wenn du das einsame Leben in einem Forsthaus noch gerne hast wie damals – es ist aber nicht so einsam auf Hirschfeld –«

»Als ob du's schon hättest! Ich glaube nicht daran, und dann bin ich doch an das hiesige Leben gewöhnt. Ich weiß nicht, ob ich für deine Einsamkeit passe.«

»Mutter!«

»Ja! und dann würde ich doch manches vermissen.«

»Du? Das ist das erstemal, daß ich dich so sprechen höre.«

»Und doch ist's so. Du weißt es selbst nicht mehr, wie still es draußen in den verlassenen Waldhäusern ist. Du brauchst ein junges, munteres Blut um dich, nicht mich.«

»Dich will ich, und brauche sonst niemand!« rief Albrecht heftig.

»Nein! ruhig mußt du sein und einmal etwas vernünftig sprechen; ich bitt' dich! – Hast du daran noch nie gedacht?«

Albrecht sah seiner Mutter starr in die Augen. Tausendmal hatte er früher im Scherz erklärt: daß er sich demnächst zu verheiraten gedenke. Seit einiger Zeit bebte er, wenn man diese Seite berührte.

»Fehlt dir in deiner Idylle nichts?« fragte Frau Wolfbach (Albrechts Familiennamen)dringender.

»Ein Mädchen!« fuhr dem Jüngling heraus. – »Ich hasse sie!«

»Alle?«

»Alle!« wiederholte er langsam, als sei er nach tiefem Nachdenken zu einem Entschluß fürs Leben gekommen. In Frau Wolfbachs Gesicht lag eine wunderliche Mischung von Kummer, Schalkheit und Liebe. Die Liebe siegte.

»So muß ich eben mit dir!« sagte sie, schlang ihren Arm um seinen Nacken und zog ihn herab zu sich.

Albrecht war ein unartiger Mensch. In Gedanken fiel er hundert Leuten um den Hals, seiner Mutter des Tags dreimal. Aber sobald sie einmal Ernst machen wollte, hatte er auch gleich einen schlechten Witz bei der Hand, um alle Rührung zu zerstören. Diesmal wollte ihm nichts einfallen. Er war in Verlegenheit und froh, als ein, Mädchen mit dem Tagblatt hereintrat und es ihm in die Hand gab.

»Ich will dir vorlesen, Mutter!« sagte er, sich losmachend. – »Soeben erfahren wir, daß man einer äußerst gefährlichen demagogischen Verschwörung auf die Spur gekommen ist, die sich heute auf dem Markte der Verhöhnung öffentlicher –« Albrecht hielt an. Er wußte nicht, ob er lachen sollte oder nicht. Die Mutter nahm ihm das Blatt aus der Hand: – »Ja hier: – öffentlicher, hochgestellter Personen zum Ziel gesetzt!« las sie. – Weiter heißt es: »Der Besitzer des Marionettentheaters soll bei der Verhaftung ohnmächtig geworden sein, was dringenden Verdacht erregt. Der eigentliche Täter ist im Gewühl entkommen. Jedoch soll man ihm auf der Spur sein. Einige unpassende Äußerungen im Publikum werden nur dazu dienen, die Wachsamkeit der Behörden zu schärfen. Im übrigen war die Haltung der Bürgerschaft eine musterhafte, und ist namentlich der Mut und die Geistesgegenwart einiger Beamten sehr anzuerkennen. Die Untersuchung wird wohl Licht auf diese traurigen Auswüchse unseres Staatslebens werfen.«


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