Max Eyth
Der Invalide
Max Eyth

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

VII.

Von Gaisburg war es noch eine Viertelstunde bis zu den türkischen Gärten des Fürsten. Man ließ, dort Gefährt und Pferd stehen und ging zu Fuß. Der Kutscher ließ sich's nicht nehmen, als Bedienter mitzugehen, und man ließ ihn gewähren.

Albrechts Entschluß war unerschütterlich. Morgen wollte er abreisen; den Urlaub hatte er bereits in der Tasche. Wohin? war ihm gleichgültig; nur aus Nußweiler mußte er fort. Ob es das Gefühl der Trennung machte? Er war heute freundlicher gegen Agnes, sie zurückhaltender und einsilbiger als gewöhnlich. Er ließ sich dadurch nicht abschrecken, und sie waren mit dem Invaliden unmerklich hinter den anderen zurückgeblieben. Es fiel keinem Menschen auf. Man verlor sich bald in den reizenden, so viel besprochenen Gartenanlagen. Der Oberamtmann war in seinem Element. Jedes Steinchen, jedes Schneckenhäuschen, das zierlich seinen bestimmten Platz hatte, fesselte seine ganze Aufmerksamkeit. Willig führte sie der Gärtner durch die wunderlichsten Laubgänge, vorbei an Teichen, Kiosken, Wasserwerken. Mit großer Wichtigkeit und wörtlich, um alles Frau Wolfbach deutlich zu machen, wiederholte Herr Sterner die Erklärungen des Mannes. Dieser lag freilich im Augenblick manches schwerer auf dem Herzen als die Moschee en miniature, an der man eben vorbeikam. Doch war sie gutmütig genug, die weisen Bemerkungen des Oberamtmanns aufmerksam anzuhören, was diesen in die glücklichste Laune versetzte. Die Frau Oberamtmann ging einen Schritt hinter beiden und warf manchmal einen scharfen Blick auf Agnes, die mit gesenktem Kopfe neben Albrecht ging und ebenfalls unter der Erklärung der Moschee verstohlen seufzte.

Die Laubgänge wurden immer verwickelter. Man hatte sich plötzlich verloren. Das Glöcklein am Eingangstor rief den Gärtner ab. Der Oberamtmann und die beiden Frauen befanden sich eben in einer der schönsten Partien des Parks. Der alte Herr schwärmte voll jugendlichster Begeisterung für Gartenkunst und Naturschönheit und hielt rührende Monologe; denn eigentlich hörte ihm niemand zu.

Eben begann er wieder, als mit einem wahren Tigersprung ihr Führer aus dem Gebüsch stürzte und mit erdrückter Stimme keuchte: »Um Gottes willen, Herr Oberamtmann, ich bin verloren! In dem Augenblick ist der Fürst hereingekommen.«

Ein Blitzstrahl aus blauem Himmel ist eine Kleinigkeit gegen eine solche Botschaft. Bleich, wie der Tod, sah der Oberamtmann gen Himmel, und dann auf den Unglücklichen. »Aber, ich bitte Sie, mein Teuerster, wohin? schnell! schnell!« rief er, und man sah ihm das Bestreben an, nach allen vier Himmelsrichtungen zugleich davonzurennen, was notwendig zur Folge hatte, daß er stehenblieb.

»Ach, Herr! wir sind verloren!« stöhnte der Gärtner tonlos.

»Ums Himmels willen –haben Sie keine Leiter in der Nähe? – Ich würde unter diesen Umständen nicht zögern, auf einen Baum zu steigen. – Guter Mann! eine Leiter!«

»Aber die Frau Oberamtmännin?«

»Eine Leiter, bester Mann! Meine Frau wird schon für sich selber sorgen. Aber ums Himmels willen – schnell!«

Sterner hatte recht. Seine Frau hatte allein noch einige Besinnung und sah ruhig um sich. »Was ist hinter dem Busch?« – fragte sie bestimmt.

»Ach, gnädige Frau« – der Gärtner und der Oberamtmann waren unendlich höflich in ihres Herzens Angst, – »ach, gnädige Frau verzeihen: eine Dunggrube.«

»Leer?«

»Ach, gnädige Frau, retten Sie mir das Leben! Freilich leer! Wollen sich die gnädige Frau nur gütigst selbst überzeugen.«

»Eine Leiter! Ich glaube, ich höre kommen! Eine Leiter!«

Der Oberamtmann zertrippelte verzweiflungsvoll ein Blumenbeet, ohne es zu merken. Madame Sterner war bereits in der fünf Fuß tiefen, frisch ausgegrabenen Grube.

»Wie – was?« sagte der Oberamtmann mit Staunen und Entsetzen, als er seine Frau verschwinden sah. »Du wirst doch nicht?« – Aber bereits versank auch Frau Wolfbach, und er stand allein noch trostlos in dem Blumenbeet. »Meine Leiter! – Es ist schon gut dort – für die Frauen. Aber es wäre mir unvergleichlich angenehmer, bester Mann, wenn ich eine Leiter hätte. – Bedenken Sie doch – ich, der Oberamtmann von Nußweiler, in eine Dunggrube! Sie sehen ein –«

Der Gärtner hatte ihn bereits leicht gegen den Rand der Öffnung gedrängt. Seine Frau streckte ihm die Hand entgegen. Er öffnete eben den Mund, um seine Bedenken durch mehrere Gründe zu belegen, als er das Gleichgewicht verlor und sanft hinabsank.

»Gottlob!« sagte er aus tiefstem Herzensgrund und warf einen dankbaren Blick zum verschwindenden Blau des Himmels. Denn der Gärtner hatte bereits eine ganze Schichte Bretter über die Öffnung gelegt und warf zum Überfluß noch etliche Säcke darauf. Dann kauerte der gestrenge Herr sich still in einer Ecke zu Boden; seine Knie trugen ihn nach einer derartigen Alteration nicht mehr. Eine lange Pause trat ein. Es hatte wohl jedes einige Ruhe nötig, Um sich wieder zu sammeln.

»Ich weiß nicht«, sing der Oberamtmann zuerst wieder an, »ich weiß nicht, ob es nicht besser gewesen wäre, wenn ich doch eine Leiter hätte erhalten können? Frau!«

Keine Antwort.

»Madame Wolfbach! Ich bitte Sie, in welcher Ecke sind Sie denn?«

»Ach, wo ist Agnes?« sing diese plötzlich mit einem fast zu lauten Schrei an.

»Denken Sie zuerst an Ihren Albrecht!« bemerkte Frau Sterner etwas scharf.

»Der Herr schütze sie!« sagte Sterner andächtig und faltete in der Finsternis die Hände mit Inbrunst. »Aber, Madame Wolfbach, was die Leiter betrifft, im ganzen ist es doch gut, daß wir hier sind. So weit ich es beurteilen kann, ist der Aufenthalt weiter mit keinerlei Gefahr verbunden.«

»Und, sehr amüsant«, meinte die Oberamtmännin.

»Ach ja! wenn es nur nicht so dunkel wäre.«

»Und Albrecht und Agnes geborgen sind!« seufzte Frau Wolfbach.

»Nach allem«, meinte Sterner, »ist der Fürst ein sehr leutseliger Herr und wird ihnen ihre jugendliche Unbesonnenheit gerne verzeihen. Wenn sie uns nur nicht verraten! Mein Gott – welcher Skandal! Ich – der Oberamtmann!« –

»Sei mir still!« herrschte die Frau. »Aber lauschig wäre der Ort, und ganz geeignet zu einem ernsten Gespräch! Ich hätte Sie schon längst gerne unter vier Augen gesprochen, Madame Wolfbach!«

»Mich?« sagte die Angeredete, während sich der Oberamtmann zufrieden in seinen Winkel drückte.

»Ich liebe die Offenheit sehr«, fuhr seine Frau fort; »das Verhältnis zwischen Agnes und dem jungen Wolfbach –«

»Welches Verhältnis?«

»Nun – mein Gott! das ist auch sehr naiv. Sie haben mir vor drei Wochen ja selbst darüber Andeutungen genug gegeben. Ich gab meine Zustimmung. Ich habe aber nicht im Sinn, mich hänseln zu lassen. Sie verstehen mich doch?«

»Nicht recht. Bitte, erklären Sie sich!«

»Ich habe Ihren Albrecht recht wohl beobachtet. Es ist hinten und vorn kein Ernst, und heute hat er sogar Urlaub genommen, ohne uns auch nur etwas davon zu sagen. Das geht zu weit.«

»Wissen Sie vielleicht, wie Agnes darüber denkt?«

»Agnes ist so erzogen, daß sie denkt, wie ich es für schicklich halte, will ich hoffen. Ich werde für eine andere Verbindung sorgen müssen.«

»Bst!« machte der Oberamtmann. Frau Wolfbach war durch diese plötzliche Wendung der Sache zu sehr überrascht, um sich gehörig sammeln zu können. In der Hauptsache mußte sie überdies der Oberamtmännin recht geben; aber auch von dieser Seite ihren liebsten Plan zerstört zu sehen, tat ihr weh.

»Bst!« zischte Herr Sterner mit wahrer Verzweiflung, als seine Frau wieder beginnen wollte. Man hörte Tritte. In der Grube wurde es todesstill. Die Tritte kamen näher. Es wurde ein Gespräch geführt, von dem man bald fast jedes Wort verstehen konnte.

»Aber Sie verzeihen, Hoheit!« sagte die eine der Stimmen, »wenn auch alles Ihren Wünschen entspricht: dem Alter nach ist der junge Mensch der Stelle durchaus noch nicht gewachsen. Es sind viel ältere –«

»A pah!« sagte der andere kühl. »Dafür sind wir dem verstorbenen Wolfbach auch noch etliches schuldig geblieben. Richten Sie das Dekret zurecht! Morgen ist der junge Mensch Förster in Hirschfeld!«

Frau Wolfbach hatte genug gehört. Sie wischte die Tränen des Unmuts aus den freudeglänzenden Augen, deren heiteres Feuer man freilich in der Dunkelheit nicht bemerken konnte. Der Oberamtmann, der mit Todesangst gelauscht hatte, atmete auf, als sich die Tritte entfernten.

»Nun, da gratuliere ich eben tausendmal«, fing er leise an, »und hoffe, daß wir immer in dem freundschaftlichen, innigen – –«

»Was freundschaftlich, innig!« fuhr die Oberamtmännin auf. »Weißt du, mit wem du in einem freundschaftlichen, innigen Verhältnis stehen willst? Weißt du, wer in dem Marionettenkasten gesteckt und dich und deine Frau dem allgemeinen Gespött preisgegeben hat? Ich hab' jetzt lange genug ein Auge zugedrückt. Aber das hat man von seinem Mitleid, von seiner Langmut! Der neue Herr Förster von Hirschfeld war der Verbrecher' Seit acht Tagen weiß ich's. Punktum!«

Werfen wir einen Schleier über die Bretter, mit denen die Grube bedeckt war. Als eine halbe Stunde später der Gärtner dieselben wegschaffte, trauerten die drei Insassen der Grube, jedes in seinem Winkel, und weinten; der Oberamtmann aus Alteration und Schwäche, die Oberamtmännin aus Wut, Frau Wolfbach, weil sie gegen die Tränen der Frau Sterner keine andere Waffen hatte als die ihrigen.


 << zurück weiter >>